Читать книгу Das magische Geheimnis der Familie Bernauer Verlockende Macht (Band 2) - Paula Böhlmann - Страница 10

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Kapitel 6

Die Geschichte hinter dem größten

aller Schwarzmagier

Abends lag Fiona mit Valerian in ihrem gemeinsamen Bett.

Es war wunderschön, endlich bei den Wenningers zu leben. Wieso hatte sie damit nur so lange gewartet? Es war unendlich befreiend, ihre scheußliche Familie endlich los zu sein. Es gab keine Zoe mehr, die mit ihrem perfekten Freund angab. Keine Aurora, die allen vorhielt, was sie nicht konnten. Keine Cleo, die sich von ihrer Mutter manipulieren ließ. Keine Abigail, die ihr Vorwürfe machte, dass Simon sich nicht für ihren schüchternen Arsch interessierte, und niemand, der Aurora jedes Vergehen petzte. Sie war frei!

Valerian blickte Fiona lange an. In seinen Augen lag Liebe und Zuneigung. Sie lächelte und rückte etwas näher zu ihm. Er nahm ihr Gesicht zwischen seine Hände und küsste sie. »Ich liebe dich. Ich weiß gar nicht, wie ich dich verdient habe«, flüsterte er verliebt.

»Ich liebe dich auch«, erwiderte Fiona und kletterte auf ihn.

Eine halbe Stunde später lagen sie erschöpft nebeneinander. Fiona fühlte eine Mischung aus völliger Entspannung und unglaublicher Energie, sodass sie am liebsten freudig durchs Zimmer gehüpft wäre.

»Was wollen wir morgen machen?«, fragte sie glücklich und verschränkte ihre Finger mit denen ihres Freundes.

»Dad will endlich mit deiner richtigen Ausbildung beginnen«, verkündete Valerian, und über diese Nachricht freute Fiona sich unheimlich.

Sie hatte nicht drängeln wollen, denn Claudius hatte ihr schon sehr viel gezeigt, doch sie wusste, dass nun die wirklich spannenden Sachen auf sie zukamen.

So standen sie zwölf Stunden später nach dem Frühstück im Trainingsraum.

Bereits vor ihrem Umzug hatte Claudius ihr hier ein wenig Nachhilfe gegeben. Sie kannte diese heiligen Hallen also. Dennoch stellte sie auch heute wieder entzückt fest, dass der Raum vollkommen anders aussah als der zu Hause.

Fiona schüttelte den Kopf. Das riesige Anwesen auf dem Hügel in Rosmerten war nicht mehr ihr Zuhause. Deshalb korrigierte sie ihre Gedanken: Der Trainingsraum in ihrem neuen Zuhause sah vollkommen anders aus als der, den Aurora in ihrem Keller eingerichtet hatte. Auf dem Bernauer-Anwesen gab es den riesigen, spärlich beleuchteten Zaubertrank-Keller, wo es nach Kräutern und alten Backsteinhäusern roch. Hier handelte es sich um einen sterilen, hell erleuchteten Raum, der nach Desinfektionsmittel stank. Es gab keine Regale mit Vorratsflächen, sondern weiße Schränke, deren Inhalt Fiona nicht kannte.

Claudius baute sich vor ihr auf und begann mit seinem Unterricht: »Wir haben bereits mit der Element-Telekinese begonnen. Die möchte ich fortsetzen, bevor wir zu anderen Zaubern kommen. Zuerst habe ich eine Frage an dich: Was ist die stilvollste Art, einen Mord zu begehen?«

Fiona dachte nach und vermutete schließlich: »Mit einer ruckartigen und ausladenden Handbewegung, sodass man die Kehle seines Opfers durchtrennt, ohne es auch nur anzufassen.«

»Nein, Fiona, ich sprach nicht von der dramatischsten, sondern von der stilvollsten. Es soll nicht wie Arbeit aussehen, sondern einfach vonstattengehen. Du hast recht, dass auch solche fließenden Bewegungen etwas hermachen, doch manchmal sind es die minimalistischen Sachen, die überzeugen. Ich habe bereits viele Menschen sterben sehen. Ein Fingerschnippen gefällt mir persönlich am besten. Fiona, du musst lernen, die Elemente ohne große Bewegungen zu kontrollieren. Du darfst nicht mit den Armen fuchteln. Du kannst bereits kleine Feuer mit einem Fingerschnippen entzünden, aber das muss größer werden und sich auf andere Sachverhalte übertragen lassen. Wie stilvoll ist es bitte, wenn man eine Kehle aufschlitzt, nur indem man mit dem Finger schnippt oder gar keinen Finger rührt«, freute sich Claudius.

Fiona lächelte. Es war sonderbar, wie sehr er das Morden doch glorifizierte.

»Aber darum kümmern wir uns später. Heute bin ich erst einmal neugierig, wie du dich beim Einfrieren anstellst. Man kann seinen Feinden auch wortwörtlich das Blut in den Adern gefrieren lassen. Bis du so weit bist, ist es noch ein weiter Weg. Darum lass uns erst einmal beginnen, wie man aus Wasser Eis macht.« Er griff sich ein Glas. Er hielt es in der Hand und es füllte sich mit Wasser. Das Wasser tropfte nicht aus seiner Hand, sondern er berührte das Glas und sofort füllte es sich scheinbar von selbst. Er bemerkte ihren bewundernden Blick, zuckte mit den Schultern und meinte: »Das wirst du auch bald alles können, Fiona! Du hast Talent!« Er stellte das Glas vor sie und forderte: »Einfrieren!«

Fiona sah ihn mit großen Augen an und hakte unsicher nach: »Wie geht das? Ich habe das noch nie gemacht!«

»Dann wird es Zeit! Probier es einfach! Du musst es spüren und deinen eigenen Weg finden. Jede Hexe und jeder Hexer ist einzigartig. Wenn es nicht funktioniert, kann ich dir immer noch einen Anstoß geben«, verkündete er und schob das Glas vor sie.

Sie betrachtete es. Wie sollte sie beginnen? Sie legte ihre Hand darüber. Wie strahlte man Kälte aus? Sie schloss die Augen und leitete ihre Magie in ihre Hand. Dann spannte sie die Finger an und leitete Kälte in ihren Arm, so wie sie es sonst mit der Hitze tat. Die Kälte war träger und schwerer, doch sie spürte, wie ihre rechte Hand eiskalt wurde. Es war anstrengend, so viel Energie aufzubringen, dass es für das ganze Glas reichte.

»Du tust genau das, was ich erwartet habe«, kritisierte Claudius amüsiert.

Fiona brach ab und sah ihn verwirrt an. Sie wusste nicht, was sie falsch gemacht hatte.

»Für Hitze brauchst du Energie. Das heißt, dass du sie von dir geben musst, aber wenn du etwas abkühlen willst, wird Energie frei. Das heißt, dass du dem Wasser die Energie entziehen musst. Du versuchst, die Energie in deinem Körper umzuleiten. Du schadest dir selbst. Das ist das Problem der Weißmagier. Ihr zaubert nur auf eure eigenen Kosten. Saug die Energie des Wassers stattdessen in dich auf!«, forderte er.

Sie nickte, legte ihre Hand wieder über das Wasser und befolgte seinen Befehl. Es war also genau das Gegenteil von Feuer. Und tatsächlich, es funktionierte vortrefflich. Sie spürte, wie die Energie in ihren Körper strömte und sich Eiskristalle im Wasser bildeten, bis sich schließlich im Glas kein Wasser mehr befand, sondern ein massives Eisstück.

Sie sah triumphierend zu Claudius, der breit grinste. »Du lernst schnell! Gut, versuchen wir es nun mit etwas, das sich bewegt. Ich erzeuge Wellen und du versuchst sie einzufrieren«, erklärte Claudius und schwang seine Hände.

Dünne Wellen wirbelten durch die Luft. Sie waren schnell. Immer wenn Fiona ihre Hand ausstreckte, um Energie aus ihnen zu absorbieren, waren sie schon wieder verschwunden.

»Du musst schneller werden«, stichelte Valerian, der locker an der Wand lehnte und das Schauspiel beobachtete.

Fiona versuchte es. Sie hatte das Gefühl, schon mit den Händen zu fuchteln. Sie atmete durch und konzentrierte sich. Sie streckte ihre Hand aus und entzog der Welle Energie. Ein wenig begann diese auch zu kristallisieren, doch zu schnell war sie wieder fort. Fiona konnte die Magie einfach nicht aufrechthalten. »Das funktioniert nicht«, beschwerte sie sich.

Claudius antwortete nicht und gab keinen Tipp, sondern holte aus und gewaltige Wassermassen drohten auf Fiona einzubrechen. Sie hob schützend die Arme und bevor sie unter den Fluten begraben wurde, stieß sie einen Eisblitz los. Es herrschte Stille. Für einige Sekunden war es sogar totenstill. Dann begann Claudius langsam zu klatschen: »Das funktioniert sogar sehr gut. Du hast nur die richtige Motivation gebraucht.«

Fiona blickte nach oben und tatsächlich türmte sich ein riesiger Block Eis über ihr auf.

Valerian trat zu ihr und drückte ihr einen Kuss auf die Stirn: »Sie ist halt die Eisprinzessin!«

»Daran besteht keinerlei Zweifel«, bestätigte Claudius und nickte anerkennend.

Fiona spürte, wie Stolz in ihr aufstieg. Es war wie früher bei Auroras Unterrichtsstunden, als sie ihre ganze Familie übertrumpft hatte.

»Jetzt bei der Eisherstellung hast du gesehen, was wirkliche schwarze Magie ist. Die großen Feuer in den letzten Stunden vor deinem Umzug waren nicht schwarzmagisch. Deine nette Familie voller Weißmagier würde sich an Telekinese mit solch einer zerstörerischen Kraft kaum wagen, aber schwarze Magie sind solche Feuer nicht. Telekinese wird erst schwarze Magie, wenn du nicht mehr Energie reinsteckst, sondern welche rausholst. Genau das hast du gerade getan, als du das Wasser zu Eis hast erstarren lassen. Du hast Energie aus dem Wasser gezogen. Heute erkläre ich somit deine schwarzmagische Ausbildung für begonnen.« Er verwandelte die riesigen Wellen aus Eis in Wasserdampf, der sich in dünnen Nebelschwaden in der Luft verteilte. Für ihn schien es eine Leichtigkeit zu sein. Er sprach nebenbei, als wäre es für ihn nicht mehr, als einen Tisch abzuwischen. Er war so stark.

»Und was gibt es dann noch so? Um ein Feuer zu entfachen, muss man Aktivierungsenergie hinzufügen und für die restlichen drei Elemente muss man kinetische zuführen. Was ist dann an Telekinese außer Eisherstellung wirklich schwarzmagisch?«, fragte Fiona überrascht nach.

Claudius überlegte. Nicht weil er die Antwort nicht wusste, sondern er schien sich nicht sicher zu sein, wie er es ihr am besten erklären konnte. Schließlich erläuterte er: »Das bei dem Feuer gilt nur, wenn du das Feuer herrschen lässt. Das ist eine exotherme Reaktion, auch da wird Energie frei. Du musst sie nur nutzen. Da kann man viel resorbieren, aber das greift noch zu weit. Merke dir erst einmal das Einfrieren.«

Sie übten das Einfrieren und Auftauen noch zwei Stunden, bevor Claudius den Unterricht für den heutigen Tag für beendet erklärte. Fiona war froh, denn ihre Konzentrationsfähigkeit hatte in den letzten Minuten stark abgenommen. Sie ging nach oben und setzte sich aufs Bett. Sie schaute auf ihr Handy. Sie hatte sich neue Accounts in den sozialen Netzwerken angelegt, um die Entwicklung in ihrer Heimatstadt zu beobachten, ohne dass das jemand bemerkte.

Valerian schaute ihr dabei über die Schulter. »Ich versteh nicht, warum dieser Thomas mit deiner Cousine zusammen ist«, mischte er sich ein.

Fiona zuckte mit den Schultern. »Er weiß ja nicht, was wir getan haben«, erinnerte sie ihren Freund. Sie wusste nicht, was sie denken sollte. Vor ihrem Auszug hatte sie gelernt, Zoe zu verabscheuen, aber sie gönnte ihr dennoch ein glückliches Leben. Gar zu sehr hasste sie sie auch wieder nicht.

»Vielleicht sollte er es mal erfahren«, überlegte Valerian lächelnd, als wäre es ein Spiel.

Doch das war es nicht, nicht für Fiona. In ihren Kopf hatte sich dieser Tag eingebrannt. Sie sah manchmal noch Florentins tote Augen vor sich. Sie wollte sich daran nicht erinnern, geschweige denn, dass ihre Schuld offenbart wurde. Die Polizei würde sie suchen. Sie schüttelte energisch den Kopf. »Nein, bist du bescheuert?! Erstens will ich ihr Leben nicht zerstören und zweitens beschuldige ich mich da selbst des Mordes. Ich stand neben ihr im Keller. Ich habe das Grab für die Leiche ausgehoben. Es war mein Ritual, mein Fehler«, erinnerte sie ihn, und der letzte Satz schmerzte am meisten.

Valerian lenkte ein. »Gut, deine Entscheidung. Aber was die Polizei betrifft, darüber brauchst du dir keine Sorgen zu machen. Du bist hier vollkommen sicher.«

Fiona wollte es gern glauben, aber sie vermutete, dass sie nach dem Unfall schlechter aufgeräumt hatten, als Claudius es zu tun pflegte. Seine Überlegenheit gegenüber der Polizei resultierte nur aus seiner Gründlichkeit.

So verbrachte sie den Nachmittag damit, zu googeln, was in ihrer alten Heimatstadt vonstattenging.

Zum Abendessen kam Patrick vorbei. Er brachte eine Frau mit, die sich als seine neue Freundin herausstellte.

»Sie ist eine Hexe. Wir haben uns über das Internet kennengelernt und wir haben nicht nur festgestellt, dass wir dieselbe genetische Besonderheit besitzen, sondern auch sie interessiert sich für schwarze Magie. Ist das nicht wundervoll?«, freute er sich und präsentierte die Frau, die einfach nur freundlich lächelte.

»Zum Glück, Patrick! Ich dachte schon, du würdest es wie so viele andere tun und dich mit einem Menschen zufriedengeben. Das ist so erbärmlich«, beschwerte sich Claudius und rümpfte die Nase.

»Es ist mir eine Ehre, Sie kennenzulernen, Herr Wenninger! Patrick hat mir nur Gutes über Sie erzählt«, verkündete die Frau mit sanfter Stimme. Ihre Augen waren geweitet, als sie bewundernd zu Claudius aufblickte. Auch ihre Atmung ging schnell und Fiona wusste nicht, ob sie es sich einbildete, aber sie glaubte, den Herzschlag an der Halsschlagader zu sehen. Die Frau schien so aufgeregt. Sie himmelte Claudius regelrecht an. Es fehlte nur noch, dass sie anfing zu kreischen wie ein Haufen Teenager, die irgendeine Boyband erblickten.

»Nenn mich Claudius, Patricks Freunde sind auch meine Freunde. Wie heißt du, Schätzchen?«, wollte Claudius wissen und streckte der Frau, die sich als Nora vorstellte, die Hand hin. Er war so nett und zuvorkommend. Er deutete auf Valerian und Fiona und stellte die beiden vor: »Das sind mein Sohn Valerian und seine bezaubernde Freundin Fiona!«

Fiona grinste breit. Sie konnte sich keinen besseren zukünftigen Schwiegervater vorstellen.

Sie gingen ins Wohnzimmer. Valerian und Fiona tischten das Abendessen auf. Es gab gegrillte Fischfilets auf Bandnudeln mit Spinat.

»Das sieht köstlich aus«, lobte Nora und griff zum Besteck.

An ihrem Gesicht sah Fiona, dass sie log. So wie sie den Fisch musterte, schloss Fiona daraus, dass sie in Wahrheit Vegetarierin war, aber sich vor Claudius nicht traute, dies zuzugeben.

Claudius übersah ihre wahren Empfindungen, vermutlich absichtlich. »Vielen Dank! Ich habe mir viel Mühe gegeben, als Patrick meinte, er würde einen Dinnergast mitbringen.« Wenninger lächelte charmant.

»Wow, ich hätte nicht gedacht, dass ein Mann wie Sie kochen kann. Man beschreibt Sie als so absolut.« Sie schien im Gegensatz zu Claudius noch nicht beim Du angekommen zu sein.

Fiona und Valerian gingen in die Küche, um die restlichen Teller und eine neue Flasche Wein zu holen. »Wetten, dein Vater spannt sie Patrick aus. Die himmelt Claudius richtig an«, witzelte Fiona amüsiert.

Valerian lachte nur abfällig, als könnte er sich das überhaupt nicht vorstellen. »Nee, dafür ist Dad zu nett. Das macht er nicht. Außerdem will er eher etwas auf seiner Ebene, kein schwaches Weibchen, das ihn wie einen Gott behandelt.«

»Gibt es da denn eine?«, stichelte Fiona, wie sie es immer in der Schule getan hatte. Sie kam sich furchtbar lächerlich vor. Der Mann, über den sie sprach, war sechsundvierzig und nicht mehr vierzehn.

»Wohnt im Haus denn eine?«, ertönte die Gegenfrage von Valerian, die Fiona verneinen musste.

Sie kehrten zurück ins Wohnzimmer und setzten sich an den Tisch, wo noch immer die Diskussion über menschliche Lebenspartner in vollem Gange war.

»Ich überlege, ob es nicht vielleicht besser wäre, es den Mitgliedern des engen Kreises zu verbieten. Ich denke, das könnte eine Risikoquelle darstellen«, gab Claudius gerade zu bedenken.

»Wie viele Mitglieder zählen Sie denn zu Ihrem engsten Kreis?«, hakte Nora nach.

Fiona war sich nicht sicher, aber sie vermutete, dass die Frau hoffte, in einem halben Jahr in diesen aufzusteigen.

»Neunzehn!«, kam die Antwort wie aus der Pistole geschossen.

Fiona zählte durch, denn viel weniger waren sie zu Weihnachten nicht gewesen. Claudius, Valerian, Patrick, sie selbst und noch vierzehn weitere Personen waren damals hier gewesen. Sie hatte diesen Kreis also bereits kennengelernt und war Teil davon. Aus irgendeinem Grund fühlte sie sich besonders privilegiert, dass Claudius ihr die Ehre schon so zeitig erwiesen hatte. Sie vermutete, dass Patrick und Valerian dabei ihre Finger im Spiel gehabt hatten.

Wer allerdings die neunzehnte Person war, wollte ihr niemand sagen. Alle waren zu sehr mit Patricks neuer Flamme beschäftigt, sodass auch Fiona das Interesse am engsten Kreis verlor.

»Wie viele Anhänger haben Sie insgesamt?«, erkundigte sich Nora.

Diesmal musste Claudius etwas länger überlegen, aber auch diese Frage beantwortete er: »Ich schätze, es müssten weltweit um die zweitausend Aktive sein und eine hohe Zahl an Bewunderern.«

»Das sind ziemlich viele«, schleimte Nora weiter, was Fiona zum Lächeln brachte.

Nora war bei diesem ersten Treffen mit Claudius ganz anders, als Fiona sich damals verhalten hatte. Fiona hatte versucht intelligenter zu wirken, während Nora ihm nur Honig ums Maul schmierte.

»Wie bist du eigentlich zur schwarzen Magie gekommen, Nora?«, wollte Fiona wissen.

»Ich wollte einfach mehr können als das, was uns als weiße Magie verkauft wird«, behauptete Nora.

Am Tisch herrschte Stille, denn alle wussten, dass sie log. Jeder Mensch brauchte für seine Handlungen ein Motiv, das besser als Neugier war. Sie war zu alt für jugendlichen Leichtsinn. Ab dreißig besaß man wohl genug Lebenserfahrung, dass solche Entscheidungen aus Hass geschahen.

Nora schien einzusehen, dass sie etwas mehr preisgeben musste. So sagte sie: »Ich war einfach mit meinem Leben vollkommen unzufrieden. Ich war so allein. Schon als ich noch ein Teenager war, hatte ich niemanden. Ich habe angefangen, schwarzmagische Bücher zu lesen und mich mit Gleichgesinnten zu treffen. Ich hatte endlich jemanden, der mich versteht.«

»Ich weiß gar nicht, wie so ein wunderschönes Wesen wie du einsam sein kann«, schmeichelte Patrick.

Er war wirklich richtig verknallt. Fiona fand das furchtbar süß.

»Warum bist du hier?«, erwiderte Nora Fionas Frage.

Fiona sah zu Valerian, wie viel sie preisgeben sollte.

Er nickte.

Sie sollte wohl alles erzählen. Man konnte Nora scheinbar vertrauen. Aus diesem Grund zählte sie die wichtigsten Eckdaten betont teilnahmslos auf: »Patrick ist mein Onkel und hat mit mir Kontakt aufgenommen. Von ihm habe ich ein paar schwarzmagische Bücher bekommen. Dann habe ich jedoch etwas Mist gebaut. Ich dachte, ich wäre in der Lage, ein richtiges Ritual durchzuführen. Leider hatten meine drei Mitstreiterinnen jedoch keinerlei Erfahrungen mit schwarzer Magie. Das Ritual scheiterte und Florentin lag tot vor uns. Wir haben seinen Tod vertuscht. Ich habe mich von meiner Familie distanziert und wurde hier mit offenen Armen empfangen.« Sie verschwieg, dass sie anfänglich nicht ganz freiwillig Zeit mit Patrick verbracht hatte. Das musste Nora nicht wissen. Nicht, dass sie noch an Fionas Überzeugung zweifelte, wozu es mittlerweile wirklich keinen Grund mehr gab.

»Ihr habt einen Menschen umgebracht?« Nora schien vollkommen fassungslos. Wie niedlich naiv sie doch war.

Gelächter wurde im Raum laut. »Schatz, ein einziger Mord ist hier aber noch gar nichts. Der liebe Claudius kann darüber nur lachen«, stichelte Patrick und boxte seinem Kumpel spielerisch auf den Oberarm.

»Du bist jetzt vielleicht etwas überrascht. Das war ich auch, aber du wirst dich daran gewöhnen«, versprach Fiona. Sie wusste, wovon sie sprach. Mittlerweile war sie gar nicht mehr schockiert, dass Claudius sechzig Leute auf dem Gewissen hatte.

»Alles in Ordnung!«, versicherte Nora und erklärte ihre Verwirrung: »Du bist nur so jung. Ich hätte gerade bei dir nicht damit gerechnet.«

»Es war ja auch mehr ein Unfall als ein Mord«, stimmte Fiona zu, worauf Nora nur verständnisvoll nickte.

»Nora, Schätzchen, was sind deine Ziele für die Zukunft?«, hakte Claudius nach, der sich offensichtlich von dem Gespräch ausgeschlossen fühlte.

Patricks Freundin überlegte kurz, dann schilderte sie lächelnd: »Mit meinem Job bin ich ganz zufrieden. Meine Chefin ist zwar gewöhnungsbedürftig, aber ich werde ganz gut bezahlt. Ich bin jetzt zweiunddreißig. Ich denke, langsam tickt meine biologische Uhr. Ich will eine Familie gründen. Ich möchte irgendwann in ein kleines Häuschen ziehen und mir einen Hund kaufen.« Sie und Patrick lächelten sich an.

Ganz schön große Pläne für so eine junge Beziehung, dennoch hoffte Fiona für die beiden, dass sie zusammen Noras Ziele umsetzen konnten.

Als Fiona und Valerian später im Bett lagen, hatte sie die Unterhaltung vom Abendessen noch nicht losgelassen.

»Ich weiß, wie Patrick zu euch gekommen ist, und ich kenne nun auch Noras Geschichte. Aber wie begann es bei deinem Vater mit der schwarzen Magie?«

»Das ist aber eine schwere Frage. Mit einer sehr langen Antwort. Ich weiß nicht alle Details, denn mein Vater hat mir die Geschichte nur ein einziges Mal erzählt und wollte dann nie wieder darüber sprechen. Es ist krass.« Valerian atmete tief durch.

»Er ist mittlerweile sechsundvierzig, aber es ist immer noch ein wunder Punkt. Dad hatte große Probleme zu Hause. Seine Eltern waren Hexe und Hexer und sein Vater auch noch Arzt an der Charité. Es schien alles perfekt, doch nur in der Öffentlichkeit. In Wahrheit war Claudius' Vater gewalttätig. Er schlug seinen Sohn und seine Frau. Claudius begann ihn zu hassen. Doch gegen seinen Vater war er wehrlos, denn der überschritt die Grenze zur schwarzen Magie auch das ein oder andere Mal. Dad war fünfzehn und in der neunten Klasse, als er ein Mädchen auf einer Klassenfahrt kennenlernte. Sie war damals knapp vierzehn und hatte es ebenfalls nicht leicht zu Hause. Sie wurden gute Freunde und blieben in Kontakt. Sie schrieben fast täglich Briefe und berichteten einander, was sie zu ertragen hatten. Eines Tages muss sie ihm wohl geschrieben haben, er solle lernen, sich zu wehren. Er nahm es wörtlich, ein bisschen zu wörtlich. Er stöberte in den Bücherregalen seines Vaters auf der Suche nach Informationen zu schwarzer Magie, und als der wieder auf seine Frau einprügelte, hielt Claudius es einfach nicht mehr aus. Er stieß ihn mit aller Kraft, die er mit Telekinese aufbringen konnte, zurück. Claudius war damals mit siebzehn schon stark, sodass sein Vater stolperte und mit dem Kopf auf die Tischkante schlug. Es war so ein gewaltiger Aufprall, dass die Polizei davon ausging, dass er nicht nur gestolpert, sondern hart geschubst worden wäre. Seine Mutter nahm die Schuld auf sich und landete für zwei Jahre im Gefängnis. Wegen häuslicher Gewalt gab es mildernde Umstände, doch der dämliche Richter ließ es nicht als Notwehr durchgehen. Dad hatte ein ganz gutes Verhältnis zu ihr, doch vor fünf Jahren starb sie an einem Herzinfarkt.«

»Den Mord an seinem Vater verstehe ich, aber wieso hat er sich so entwickelt?«, bohrte Fiona weiter. Sie hatte sich schon immer sehr für den Klatsch und Tratsch in der Schule begeistert. So interessierte sie sich auch für den Werdegang ihres zukünftigen Schwiegervaters.

Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit, bis Valerian endlich den Mund für eine Antwort öffnete: »Die schwarze Magie hat die Ketten gelöst. Sie hat Dad die Kraft verliehen, sich zu wehren. So hat er ihr sein Leben verschrieben. Er hat sich mit der Ideologie beschäftigt und einen Hass auf die Menschen, die das wahre Gesicht seines Vaters ignoriert hatten, entwickelt.«

Doch Fionas Neugier war noch lange nicht befriedigt. »Er hat mir bei unserem ersten Treffen gesagt, er wolle die Weltherrschaft. Wie kommt dieses Ziel zustande?«

Valerian atmete hörbar ein und aus. Es klang beschwerlich, als würde Fiona ihn in eine komplizierte Situation bringen. Schließlich seufzte er. »Ich bin kein Psychologe und ich rede mit ihm über so etwas auch nicht. Ich vermute, dass er das einfach gesagt hat, um dich aufzuziehen. Er will nicht über die ganze Welt herrschen. Er will nur allgemein Macht haben. Er hat durch früher riesige Angst vor Fremdbestimmung. Alles, was ihm die Kontrolle rauben könnte, versetzt ihn in Panik. So bringt er lieber Leute um, als Gefahr zu laufen, dass sie ihn beherrschen. Genau weiß ich das nicht, aber von der Weltherrschaft ist er meilenweit entfernt.« Valerian lachte.

»Und diese Freundin von damals? Hat er sie geheiratet? Ist sie deine Mutter?«, wollte Fiona hoffnungsfroh wissen. Dass Valerian eigentlich selbst kaum etwas wusste, war ihr klar, dennoch war sie begierig darauf, jede Information aus ihm herauszubekommen. Claudius Geschichte war spannend. Sie wollte endlich wissen, wer hinter der mörderischen Fassade steckte, und scheinbar war es ein kleines, verletztes Kind! Irgendwie erhoffte sie sich ein Happy End, doch sie wusste, dass, selbst wenn diese Frau Valerians Mutter war, die Geschichte nicht glücklich ausging. Sie war gegangen.

Valerian schüttelte den Kopf. »Nein, meine Mutter lernte er später kennen. Diese andere Frau und er hatten keine richtige Beziehung. Es war ein On-off mit vielen Gefühlen, aber ohne jegliche Perspektive. Sie hatte zahlreiche Freunde, die sie nicht nach ihren Interessen, sondern nach den Ansprüchen ihrer Eltern auswählte, und so suchte mein Vater auch nach einer neuen Liebe. Die sollte meine Mutter sein. Sie bekamen mich ziemlich schnell, aber die Beziehung hat, wie du weißt, nicht sonderlich lange gehalten.«

»Und was wurde aus der anderen Frau?« Fiona hasste offene Enden.

»Sie hat auch ihr Leben gelebt. Sie ist in der Geschichte auch gar nicht wichtig. Ich habe sie nur erwähnt, damit du weißt, dass er angespornt wurde, sich zu wehren«, beteuerte Valerian und klang dabei sonderbar ausweichend.

»Ich will aber immer, dass alle Leute glücklich sind und die wahre Liebe bis ans Lebensende hält«, gab Fiona zu.

Die Geschichte machte sie traurig. Sie hatte in Claudius immer den starken, würdevollen, ungebrochenen Mann gesehen, doch was Valerian erzählt hatte, warf ein ganz anderes Licht auf seinen Vater. Sie kannte mittlerweile die Wege der Rekrutierung. Hexen und Hexer hatten Probleme und suchten bei Claudius ihren letzten Ausweg, aber der sollte doch der starke Fels in der Brandung sein und nicht ein einsamer Mann, dessen Begeisterung für die schwarze Magie ebenfalls aus Verzweiflung erwachsen war. Fiona wäre es in diesem Moment sogar lieber gewesen, wenn Claudius Ziel tatsächlich die Weltherrschaft gewesen wäre.

Valerian lächelte traurig und glücklich zugleich. Er blickte seiner Freundin voller Liebe tief in die Augen und flüsterte: »So ist das Leben nicht. Nur die wenigsten können von solch einem Glück sprechen, aber ich schon.«

Ein Lächeln glitt über Fionas Gesicht. Er war so süß. Sie küsste ihn.

»Erzähl ihm nicht, dass du das jetzt weißt. Es ist ihm peinlich, dass er einmal so verletzlich gewesen ist«, bat Valerian, als sie sich wieder von ihm löste.

Fiona nickte und kuschelte sich in seinen Arm, wo sie rasch einschlief.

Am nächsten Morgen wachte Fiona durch den Geruch von frischem Kaffee auf. Als sie die Augen aufschlug, saß Valerian da und strahlte sie an.

»Guten Morgen, Schatz! Du weißt, dass du wunderschön bist, oder?«

Sie lächelte und küsste ihn. Er hatte ein Tablett mit zwei Tassen Kaffee und Croissants neben sie gestellt. »Wollen wir uns auf die Terrasse setzen?«, schlug sie vor.

»Das ist doch viel zu kalt. Es ist Mitte März«, entgegnete er lachend.

»Dort sind Decken und die Sonne scheint«, widersprach Fiona und sprang aus dem Bett. Ihre Beine waren nackt. Sie trug nur eine Unterhose und ein weites T-Shirt. Sie nahm Valerians Pullover vom Sessel und streifte ihn über. Dann nahm sie sich aus dem Schrank dicke Kuschelsocken und posierte. »Tata. Ich bin fertig«, verkündete sie.

Valerian nickte lachend und trug das Tablett nach draußen, wo sie die Liegestühle nebeneinander schoben und sich in die Decken kuschelten. Fiona zog eine Zigarette aus der Packung, die sie mitgenommen hatte. Sie führte sie zum Mund und sog den Rauch ein. Sie musste nicht mehr ihre Hände zum Feuermachen benutzen, denn Claudius hatte ihr beigebracht, wie das einfach nur mit Gedanken möglich war. Sie bot ihrem Freund eine Zigarette an, doch er lehnte ab.

Es war der perfekte Morgen. Sie blies den Rauch in die frische, kühle Morgenluft, trank ihren Kaffee und aß köstliche Croissants, während sie mit der Liebe ihres Lebens die warmen Strahlen der Frühlingssonne genoss.

Sie konnte sich ihr Leben nicht besser vorstellen. Sie war so froh, dass sie das Bernauer-Anwesen verlassen hatte. Egal, was das Leben hier für sie bereithielt, es war perfekt!

Das magische Geheimnis der Familie Bernauer  Verlockende Macht (Band 2)

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