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6. Verhältnismäßigkeit
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Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ergibt sich nach der Rechtsprechung des BVerfG als übergreifende Leitregel „allen staatlichen Handelns zwingend aus dem Rechtsstaatsprinzip“ und besitzt damit seinerseits „Verfassungsrang“[70]; teilweise wird er auch – eher unklar – „aus dem Rechtsstaatsprinzip, im Grunde bereits aus dem Wesen der Grundrechte selbst“[71] hergeleitet.[72] Das Übermaßverbot[73], das auf Einzelfallgerechtigkeit zielt, ist für alle Staatsorgane verbindlich und erfasst über seine ursprünglich beschränkte Rolle als Eingriffsmaßstab (sogenannte Schranken-Schranke) hinaus auch Vorgänge der gestaltenden, leistenden und planenden Staatstätigkeit.[74] Es gliedert sich in die Teilprinzipien der Geeignetheit, Erforderlichkeit und Angemessenheit (Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne, Zumutbarkeit).
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Im Schrifttum wird zum Teil eine Hypertrophie der Verhältnismäßigkeit („Abwägungsstaat“[75]) beklagt, welche „harte“ Direktiven, Maßstäbe und Strukturen des Rechts aufweiche.[76] Die Rechtspraxis, zumal die Rechtsprechung, hat diese Kritik völlig unbeeindruckt gelassen. Für sie bildet der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz unvermindert und mit eher noch steigender Tendenz den zentralen, nicht selten für die Entscheidung über Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit einer Maßnahme letztlich ausschlaggebenden Kontrollmaßstab. Im Europäisierungsprozess steht der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz sogar für einen der erfolgreichsten „deutschen Exportschlager“ erster Güte, der vom deutschen Recht ausgehend – wenn auch zumeist in weniger fein ziselierter Form – Eingang in die Rechtsdogmatik verschiedener anderer Mitgliedstaaten und vor allem des EuGH/EuG gefunden hat.[77]