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bb) Privatisierung, Gewährleistungsverwaltung, Regulierung
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Das klassische Bild der unmittelbaren Staatsverwaltung als einer hierarchischen und bürokratischen Verwaltung wurde in Deutschland in den vergangenen Jahren durch eine „Welle“ von Privatisierungen überformt,[169] die erhebliche – in der Tendenz eher komplexitätssteigernde – Auswirkungen auf die Verwaltungsorganisation in Deutschland gehabt hat.[170] Dies gilt besonders für die Organisationsprivatisierung (formelle Privatisierung)[171], das heißt die Kreation von Verwaltungsträgern in Privatrechtsform, sowie für die Beleihung Privater mit der Ausübung hoheitlicher Gewalt und Formen der Verwaltungshilfe (funktionale Privatisierung)[172]. Demgegenüber ist die Aufgabenprivatisierung (materielle Privatisierung) für die Verwaltungsorganisation ohne Auswirkung, da hier eine Aufgabe, deren Wahrnehmung Privaten überlassen wird, aus dem Kreis der Staatsaufgaben und damit auch der Verwaltungsaufgaben herausfällt.[173] Die Vermögensprivatisierung hat von vornherein keinen direkten Bezug zu den Verwaltungsaufgaben und spielt in öffentlich-rechtlichen Analysen deshalb kaum eine Rolle.[174]
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In der Folge der zurückliegenden „Privatisierungswelle“ stellt sich eine Vielzahl von juristisch anspruchsvollen, zum Teil bis heute noch nicht abschließend geklärten Rechtsproblemen (Privatisierungsfolgenrecht).[175] Dabei besteht weitgehende Einigkeit, dass die Verknüpfung der Liberalisierung der Märkte mit der staatlichen Ergebnisverantwortung nur herstellbar ist, wenn der Staat, dem die Mittel der Erfüllung durch eigenes Personal und eigene Sachmittel aus der Hand genommen sind, der also nicht mehr die Erfüllungsverantwortung trägt, auf die Handlungsrationalität privater Wirtschaftsunternehmen weiterhin einwirkt, um als „Gewährleistungsstaat“[176] seiner Gewährleistungsverantwortung gerecht zu werden, einschließlich einer „Auffangverantwortung“[177], also der Pflicht, im Falle des Versagens der Privaten gegebenenfalls wieder selbst „in die Bresche zu springen“ und die Aufgabe zurückzuholen. Um diese Zusammenhänge im Einzelnen näher zu erforschen, hat sich mit dem Gewährleistungsverwaltungsrecht zwischenzeitlich eine neue, eigenständige Teildisziplin des (im Schwerpunkt) Öffentlichen Rechts etabliert.[178]
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Die Gewährleistungsverwaltung[179] setzt vor allem auf das Instrument der Regulierung,[180] also die Schaffung eines rechtlichen Rahmens dynamischer, gemeinwohlsichernder Regelungsstrukturen sowie die eingreifende Reglementierung der tatsächlichen Bedingungen gemeinwohlverträglicher Marktteilnahme im Einzelfall.[181] Sie trägt damit der gesicherten Erkenntnis Rechnung, dass zwischen Privatisierung (Selbstregulierung) und Regulierung ein – je nach Gebiet unterschiedlich enger – sachlicher Zusammenhang („regulierte Selbstregulierung“) besteht.[182]
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Vor diesem Hintergrund hat sich mit der Regulierungsverwaltung ein neuer Verwaltungstypus entwickelt, dessen Neuartigkeit sich sowohl auf die Regelungsstrukturen wie auch auf ihre Organisation bezieht.[183] Dem Regulierungsverwaltungsrecht geht es vor allem „um die Überführung vormals staatlich betriebener Infrastrukturen in die Wettbewerbsordnung bei gleichzeitiger Erhaltung eines allgemein erreichbaren Standards, daneben aber auch um die technologieneutrale Erweiterung oder Neuschaffung von innovativen Infrastrukturen (Bahn, Post, Energie, Telekommunikation, zukünftig eventuell Wasser)“[184].
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Zwar dient die Regulierung als Hebel zur Ermöglichung privater Wirtschaftsteilnahme auf durch frühere Staatsmonopole geprägten Märkten und erweist sich somit in finaler Perspektive als freiheitsförderlich. Auch bei dem Prozess der Regulierung besteht jedoch die Gefahr, dass es modal zu freiheitsgefährdenden Effekten durch ein „zu viel“ an Eingriffen und Planung kommt. Daher sind die Vorgaben des Rechtsstaatsprinzips (insbesondere Verhältnismäßigkeit, Vorrang und Vorbehalt des Gesetzes) genau zu beachten.[185] Da die Regulierungsbehörden staatliche Gewalt vorrangig gegenüber privaten Leistungserbringern, mittelbar aber auch gegenüber Dritten (Wettbewerbern, Endkunden) ausüben, gilt für sie überdies das Erfordernis einer hinreichenden demokratischen Einbindung (Art. 20 Abs. 2 GG).[186]