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a) Direkte Demokratie und bürgerschaftliche Beteiligung

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Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG nennt neben den Wahlen auch „Abstimmungen“ als eine Form der Ausübung der Staatsgewalt durch das Volk, ohne dass zwischen den Formen der repräsentativen (mittelbaren) und der direkten (unmittelbaren) Demokratie ein Vorrang- oder Nachrangverhältnis bestünde. Gleichwohl kennt das Grundgesetz de constitutione lata keine Beispiele für „Abstimmungen“. Die in diesem Zusammenhang häufig genannten Territorialplebiszite der Art. 29, 118, 118a GG stellen richtigerweise ebenso wenig einen Anwendungsfall von Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG dar wie die in Art. 28 Abs. 1 Satz 4 GG geregelte Möglichkeit von „Gemeindeversammlungen“[452], von der die Kommunalordnungen der Länder ohnehin keinen Gebrauch mehr machen.[453] Das Grundgesetz ist damit prononciert antiplebiszitär;[454] Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG läuft im Ergebnis weitgehend leer.

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De constitutione ferenda dürften Formen direkt-demokratischer Entscheidung jedoch durch den verfassungsändernden Gesetzgeber (Art. 79 Abs. 2 GG) eingeführt werden.[455] Die (noch) überwiegende Staatsrechtslehre steht einer solchen Einführung gleichwohl aus historischen und verfassungspolitischen Gründen ablehnend gegenüber;[456] auch unter den Parteien hat sich bislang hierfür keine Mehrheit finden lassen.[457] Neuerdings mehren sich jedoch die Stimmen, die, nicht zuletzt inspiriert durch positive Erfahrungen anderer Länder (z.B. Schweiz)[458], – mit Recht – für eine behutsame und punktuelle Ergänzung der repräsentativen Demokratie durch Elemente der Volksgesetzgebung (Volksbegehren, Volksentscheid) eintreten.[459]

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Eine bunte Palette direkt-demokratischer Instrumente besteht in unterschiedlich weitem Umfang und gekoppelt an unterschiedlich strenge Voraussetzungen sowohl mit Blick auf Verfassungsänderungen als auch auf Volksgesetzgebung auf der Ebene des Landesverfassungsrechts.[460] Die Länder halten sich damit auch im Rahmen des Homogenitätsgebots (Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG), solange sie sich auf die Wahrnehmung ihrer eigenen Kompetenzen beschränken.[461]

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Eine große Rolle spielen plebiszitäre Instrumente auf der kommunalen Ebene. In zahlreichen Gemeindeordnungen bestehen hierzu umfangreiche Regelungen,[462] die sich gleichfalls innerhalb des verfassungsrechtlichen Rahmens (Art. 28 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 GG) halten. Kernelement ist dabei das auf die Herbeiführung eines Bürgerentscheids gerichtete Bürgerbegehren[463], das den Gemeindebürgern wichtige Spielräume der politischen Gestaltung ihrer örtlichen Lebensverhältnisse („Schule der Demokratie“) eröffnet und damit der grassierenden Politikverdrossenheit entgegenwirkt. Weitere plebiszitäre Elemente auf lokaler Ebene sind die Bürgerversammlung[464], der Bürgerantrag und die konsultative Bürgerbefragung.[465]

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Nicht zu den plebiszitären Instrumenten im rechtlichen Sinne, aber in deren thematisch-funktionalen Kontext gehören die vielfältigen Rechte bürgerschaftlicher Beteiligung (Partizipation). Sie reichen von informellen Maßnahmen wie bloßen Beschwerden als Ausprägung des – auch gegenüber der Gemeinde oder dem Landkreis bestehenden – Petitionsrechts (Art. 17 GG)[466] bis hin zum Zusammenschluss von Bürgern und Vereinigungen zu Bürgerinitiativen in Ausübung des Grundrechts der Vereinigungsfreiheit (Art. 9 Abs. 1 GG). Auch andere Kommunikationsgrundrechte wie die Meinungs- und Pressefreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG) oder die Versammlungsfreiheit (Art. 8 GG) können mit Blick auf kommunalpolitische Anliegen aktiviert werden.

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