Читать книгу Die Heimat - Paul Keller - Страница 6

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Anfang des nächsten Oktober kam Heinrich wieder nach Hause. Es waren Herbstferien. Ein Dienstjunge holte ihn mit einem kleinen Korbwagen vom Bahnhof ab. Die grossen, schwarzen Augen des Knaben hingen unverwandt an den heimischen Bergen. Immer, wenn er von der flachen Oderebene da unten kam und zum ersten Male wieder die Hügel des prächtigen, reichgegliederten Waldenburger Berglandes aufsteigen sah, schlug sein Herz schneller, gerade als ob auf den einsamsten jener Berge ein heiliger Friede wohne, wo allein alle Bangigkeit gestillt und alle Sehnsucht vergessen würde.

Und doch war die Landschaft trübe. Die bunten Blätter zitterten an den Bäumen, und weisse Nebelschleier zogen über die leeren Wiesen. Die Weiden standen wie gebückte, krumme Greise an den Bächen und Teichen, als wollten sie sich hinunterstürzen und sterben. Und der Wind sang in den hohen Pappeln am Wege ein Lied vom fernen Sommer und von toter Freude.

Aber es war die Heimat, die Heimat, die dieser Knabe schmerzhaft liebte, an die er alle Tage dachte, da er ihr fern sein musste.

Langsam fuhr der Wagen die sandige Strasse entlang. Der Kirchturm des Dorfes ragte auf; da lief ein Zittern über die Gestalt des Kindes, und die feine Gestalt reckte und dehnte sich, mehr zu sehen, mehr von der Heimat. Dann kam ein Grenzweg, und nun war Heinrich Raschdorf auf väterlichem Boden. Ein glückseliges Leuchten brach aus seinen Augen. Jetzt war es aus mit Sehnsucht, Heimweh und Herzeleid, jetzt fühlte er sich sicher und geborgen. Hier auf heimischer Erde wäre er dem gefürchtetsten Lehrer sicher und lächelnd entgegengetreten; hier hätte er sie nur einmal haben mögen, alle seine Mitschüler; beide Hände würde er ausstrecken und sagen:

„Seht ihr, hier bin ich zu Hause! Hier wohnen mein Vater und meine Mutter und mein Grossvater und alle, die ich kenne. Und alle die Felder sind unser, und dort drüben das ist unser Hof.“

Ein Mann mit einem Jagdgewehr ging über die Felder, kaum zwei- oder dreihundert Meter vom Wege entfernt. Der Dienstjunge hielt das Pferd an. Heinrich aber sprang auf, riss den Hut vom Kopfe, winkte und schrie: „Vater, Vater, Vater!“

Der Mann unten blieb stehen, blinzelte durch das Herbstlicht herauf und winkte ein wenig mit der Hand. Dann gab er ein Zeichen weiterzufahren und setzte seinen Pirschgang fort.

Knarrend fuhr der Wagen die Strasse weiter. Der Knabe sass ganz still. Ein Kartoffelfeld tauchte auf. Eine Anzahl arbeitender Menschen war da beschäftigt und wühlte geschäftig in der schwarzen Erde nach den weissen, duftenden Knollen. August Reichel, der Schaffer, überwachte das Ganze wie ein schweigender König. Aber allen nahm er die schweren gefüllten Körbe ab und schüttete deren Inhalt auf einen riesigen Wagen.

Da trennte sich ein junger Bursche vom Arbeitstross, rannte ein Stückchen, fiel über einen Kartoffelsack, stand wieder auf, stolperte noch einmal über eine Furche, riss dann die Mütze vom Kopfe, schlug in einem ganz närrischen Tempo Räder damit in der Luft, sprang über den Strassengraben, trat an den Wagen und sagte keuchend:

„Na, Heinrich, das is aber fein, dass de kommst!“

„Guten Tag, Hannes! Du hast ja so kalte Hände.“

„Na, klaub mal Kartoffeln, wenn der Boden so kalt is! Du kannst froh sein, dass de immer Quartaner sein und in der Stube sitzen kannst.“

„Hannes, du musst mitkommen!“

Heinrich rief hinüber nach dem Felde: „He – Reichel! – Schaffer! – Darf der Hannes mit mir fahren?“

Der Riese verfiel in Nachdenken, schüttelte erst heftig den Kopf, dachte aber weiter nach, zuckte dann unschlüssig die Achseln, machte noch eine bedenkliche Pause, nickte kurz darauf und wandte sich ab.

„Das wusst’ ich schon“, sagte Hannes und kletterte auf den Wagen. „Ich sag dir, a hätte sich geärgert, wenn ich nicht mitgefahren wär’, und ich och. Los, Friedrich! Nu komm’n wir vom Gymnasium! Haste vielleicht Zigaretten, Heinrich? Hier sieht’s keen Mensch!“

Auch der einsame Jäger ging heim. Er hatte kein Glück. Seine Jagdtasche blieb leer.

Glück! Raschdorf lachte. Er und Glück haben! Das gab’s lange nicht mehr für ihn.

Müde lehnte er sich auf sein Gewehr und sah düsteren Blickes über die kahlen, toten Felder und nach den Wolken, die schwer über die bunten Berge herabsanken. So trübselig hüllten sie die schimmernde Herrlichkeit ein, wie man dunkle Decken und Schleier zieht über goldene Wände zur Zeit der Trauer. Nach Minuten erst merkte der Einsame, dass er in Gefahr sei; denn die Hähne des Gewehrs, gegen dessen Lauf er sich lehnte, waren gespannt.

Ein herbes Zucken ging über das Gesicht des Mannes, dann riss er das Gewehr herauf und feuerte beide Schüsse in die Luft. Er schloss die Augen bei dem Knall, dann ging er weiter.

Und wie so häufig in letzter Zeit, ging er zum Schräger. Er traf den Wirt allein, denn es war noch am zeitigen Nachmittag.

„Nu, kommste mit a Zinsen, Hermann?“ fragte Schräger freundlich.

„Haste es so eilig mit a Zinsen? Ich dächte, du brauchst’s nich so nötig.“

„Nu je, sein Geld braucht jeder; jeder, Hermann! Ich och!“

Raschdorf setzte sich schwerfällig hinter einen Tisch.

„Schneid mir’s aus der Haut! Ich hab’s nich! Hexen kann’s keiner!“

Der Wirt wandte ihm verdriesslich den Rücken und sah mürrisch zum Fenster hinaus. Draussen rumpelte eine Rübenfuhre langsam vorbei. Dann wurde es still. Keiner der Männer sprach.

Da öffnete sich die Tür, und ein etwa siebzehnjähriger Junge trat herein, ein starker Bursche von auffallend idiotischem Gesichtsausdruck. Das war der einzige Sohn Schrägers.

„Hu, hu“, sagte er und rieb sich die Hände. „Is aber kalt heute! Mag ich nich auf dem Felde sein – mag ich nich – mag ich gar nich a bissel. – Schön tumm! – Schön tumm! – Schön tumm!“

„Du sollst machen, dass du wieder ’rauskommst, du Faulpelz!“ sagte Schräger.

Aber der Sohn lachte ihn aus.

„Selber Faulpelz! Och, es is kalt draussen. Und hier is warm! Hier is viel schöner! Schön tumm! Schön tumm!“ Er fing an zu pfeifen und hüpfte auf einem Bein die Stube entlang, wobei er sich immer abwechselnd Ohren und Nase rieb. Dann setzte er sich hinter einen Tisch und dröselte stumpf vor sich hin. Schräger beobachtete ihn nicht mehr. Er wandte sich wieder an Raschdorf.

„Sieh mal, Hermann, Ordnung muss nu mal sein. In Geldsachen hört die Gemütlichkeit auf. Das is nu mal so! Zum Wegschenken hat keiner was.“

Raschdorf fuhr auf und schlug mit der Faust auf den Tisch. „Wegschenken? Wer spricht denn von Wegschenken? Mir braucht keiner was zu schenken, und du zu allerletzt. Das hab’ ich noch nicht nötig!“

Schräger zuckte die Achseln.

„Immer gleich beleidigt! Immer der grosse Herr, der sich nischt sagen lässt. Siehste, Hermann, das is dein Fehler. Du hast dir’s nach und nach mit allen Bauern verdorben. Wenn du mehr Freunde hättest –“

„Ach halt’s Maul, lass mich in Frieden mit den Schafköppen!“

„Ihihihi – Schafköppen, Schafköppen, Schafköppen!“ lachte der Idiot.

„Du sollst machen, dass du ’rauskommst, Gustav!“

Der Junge rührte sich nicht vom Platze.

„Ne“, grinste er. „Es is kalt! Schön tumm!“

Raschdorf nahm wieder das Wort.

„Würde mir einer von den’n helfen? Was? Keiner! Sie würden sich hüten. Sie borgen mir nicht einen Taler.“

„Das macht bloss der Schräger“, sagte der Wirt bitter.

„Der is der Schafkopp.“

Da wurde das Gesicht des Buchenbauern dunkelrot, und er fuhr jähzornig auf:

„Du – Schräger – ich – ich – geb dir ’ne Backpfeife!“

„Gib ihm eine, gib ihm eine!“ schrie der Idiot mit Begeisterung.

Der dicke Leib des Wirtes zappelte vor Erregung.

„So? – Soso? Backpfeifen – Backpfeifen bietet mir der gnädige Herr an? So? Backpfeifen für alles, was ich ihm schon zu Gefallen getan hab’? Is gutt, Herr Raschdorf! Wenn ich bis morgen meine Zinsen hab’ und zum nächsten Quartal meine zwanzigtausend Mark, da – da kann der gnädige Herr backpfeifen, wen a will.“

Es wurde still. Nur eine Zeitung knisterte, die der Idiot mit den Händen bearbeitete. Schräger trat wieder ans Fenster und sah hinaus. Langsam erhob sich Raschdorf und griff nach seinem Gewehr. Und so trat er neben den Wirt.

„Julius“, sagte er langsam und schwer, „ich werd’ versuchen, dass du zu deinem Gelde kommst. Was ich heute rede, weiss ich nich. Mir summt alles im Koppe, und manchmal – da – da wird mir ganz trübe. Siehst du, vorhin, draussen auf ’m Felde, da hab’ ich so auf der Büchse gelehnt – so –“

„Sie is doch nicht geladen?“ kreischte der Wirt und trat ein paar Schritte zurück.

Raschdorf lächelte. „Vorhin war sie geladen – jetzt nich!“ Schräger betrachtete ihn mit unruhigen Augen.

„Du musst doch nich – du musst doch nich, Hermann, hier in der Stube – leg mal die Flinte weg und setz dich wieder! Wir wollen miteinander reden.“

Der andere folgte mechanisch.

„Wieviel haste denn übrig, Hermann?“ fragte der Wirt.

„Übrig?“ Raschdorf lachte. „Übrig is sehr gut! Ich häng’ noch von Johanni her, und dann in fünf Tagen is ’n Wechsel fällig über fünfhundert Mark. Ich – ich weiss mir keinen Rat mehr. Es gelingt mir nischt mehr, es geht nich mehr, alles geht krachen, Geld kommt nich ein – es is zum Verrücktwerden!“

„Aber du hast doch noch das ganze Getreide in den Scheunen. Warum lässte denn nich ausdreschen?“

„Eins – zwei, links – rechts, eins – zwei, links – rechts!“ Der Idiot hatte sich einen Helm aus Papier gemacht und marschierte durch die Stube.

„Mach doch, dass du ’rauskommst, Gustav“, fuhr ihn nun Raschdorf an. „Man kann ja kein vernünftiges Wort reden, du alberner Bengel!“

Gustav schnitt ihm eine Grimasse, „Schön tumm! Gar nischt zu sagen! Es is kalt draussen. Eins – zwei, rechts – links!“ Dann hielt er plötzlich inne, drohte dem Bauern mit der Faust und schrie:

„Gar nischt zu sagen! Gar nischt ’rauszuschmeissen! Hu je, es is so kalt, es is so sehr kalt!“

Er heulte laut auf. Sein Vater sagte freundlich zu ihm:

„Setz dich still in den Winkel, Gustav! Du kannst hierbleiben!“

Er war tief verstimmt. Er selbst schrie seine Kinder manchmal an, aber von fremden Leuten liess er ihnen nicht zu nahe treten. Der Idiot setzte sich hinter einen Tisch und heulte stumpf eine Weile vor sich hin. Von Zeit zu Zeit warf er einen grimmen Blick nach den Männern und drohte mit der Faust. Dann nahm er den Papierhelm vom Kopfe und entfaltete das Zeitungsblatt. Er fand ein Bild darin, das ihn offenbar sehr interessierte; denn er stierte es unausgesetzt an, lachte, grunzte zuweilen vergnügt und schnitt Gesichter dazu.

Ein Bauer aus dem Dorfe trat in die Stube.

„Guten Tag, Schräger! ’n Korn! Tag, Raschdorf!“

„Guten Tag, Riedel!“

„Na, wie geht’s?“

Raschdorf lachte.

„Gutt geht’s! Famos geht’s! Wie soll’s gehen?“

Der Bauer nickte.

„Na ja, wie soll’s dem reichen Raschdorf gehn? Dem muss ’s gutt gehn! Habt ihr’s schon gehört? Beim Huhndorf sein’m Schwager hat’s letzte Nacht gebrannt. Die Scheune und die Stallung is abgebrannt.“

„Ach, da is das dort gewesen?“ sagte der Wirt. „Die Röte haben wir ja gesehen; ’s muss a riesiges Feuer gewesen sein. Nu, wie is denn das zugegangen?“

Riedel zuckte die Achseln und lächelte vielsagend.

„Ja, wer weiss! Wenn einer gut versichert is, und die Gebäude taugen nich mehr viel, da is ja das Abbrennen gar keen so grosses Unglück nich.“

Raschdorf lachte grimmig.

„Da haste recht! Man möchte selber wünschen, dass ’s amal brennte!“

„Versündigt euch nur nicht!“ sagte Schräger.

Riedel blickte Raschdorf aufmerksam an.

„Nu, bei dir sind doch die Gebäude noch ganz gutt!“

Raschdorf zuckte die Achseln.

„Gutt? Was heisst gutt? Flickereien gibt’s immerfort. Die Scheunen möcht’ ich neu decken lassen, und der Kuhstall is ganz erbärmlich eingerichtet. Die alten Kerle haben keine Idee gehabt, wie a vernünftiger Stall zu bau’n is. Na, und wie das beim Huhndorf sein’m Schwager is – a kriegt a schönes Stück Geld von der Versicherung, und dann – ein’m Abgebrannten hilft jeder. Das is gar nich so schlimm.“

„Na, immerhin, jetzt vor’m Winter – ’ne Zuckerlecke is das nich.“

„Nu ja, man red’t halt so“, sagte Raschdorf achselzuckend; „ich für mein Teil red’ ihm ja nichts Böses nach.“

Damit sprang die Unterhaltung auf etwas anderes über. Ein paar Gäste kamen noch, und der dicke Wirt ging immer hin und her mit den gefüllten Schnapsgläsern. Am meisten trank Hermann Raschdorf.

*

Drüben seine kranke Frau war allein. Am Nachmittag, als ihr Junge heimgekommen war, hatte sie seit Wochen wieder einmal eine glückliche Stunde gehabt. Den Hannes, der mitkam, hatte sie mit einem Auftrag ins Nachbardorf geschickt. Er war ihr zu unruhig, und sie wollte auch ihren Heinrich allein für sich haben.

Sie war so einsam. Höchstens, dass ihr Vater aus dem Dorfe kam und sie besuchte. Den Mann sah sie selten, und wenn er da war, hatte er schlechte Laune. Und das Kind, die Magdalene, war nicht fürs Stillsitzen. Ihr gesunder Körper wollte hinaus zu Arbeit oder Spiel.

So war sie eine stille Frau, immer sich selbst überlassen. Da kamen so trübe Gedanken. Krank sein, immer krank, keine Hoffnung haben auf völlige Heilung, machtlos zusehen, wie dem Manne sein Hab und Gut langsam aus den Händen glitt und den Kindern die Heimat versank, das war ihr Los.

Aber die Märtyrerinnen murren nicht, und wenn sie jemand um ihr Schicksal fragt, lächeln sie. Und es ist auch im ärmsten Leben etwas Liebes und Lichtes.

Der Heinrich! Er hing so zärtlich an ihr, er schrieb ihr alle drei Tage einen Brief. Und wenn sie in stiller Nacht leidend und wachend in ihrer tiefen Verlassenheit im Bette lag, dann suchte auch ihre geängstigte Seele eine Heimat. Durch die Nacht flog ihre Sehnsucht, hinab über Berge, hin über rauschende Wälder und schlummernde Dörfer, bis zu einer grossen, glänzenden Stadt an einem breiten, tiefen Strom, dorthin, wo die hellen Lichter nicht erlöschten die ganze Nacht, wo das Leben flutete auf den Strassen und Plätzen, und wo doch in einem einsamen Stüblein ein müder Knabe schlief, dessen letzter Gedanke seine Mutter gewesen. Am warmklopfenden, reinen Herzen dieses Kindes machten Frau Annas Leid und Sehnsucht halt und wurden stille – denn dort war ihre Heimat.

Und heute war diese Heimat ihr wieder nähergerückt, heute war eigentlich auch sie nach Hause gekommen.

Es war so schön gewesen die zwei Stunden, so, als ob draussen goldener Sonnenschein wäre und die blassen Astern im Garten strahlende Rosen seien. Von ihrem Kummer und ihren Leiden hat sie wenig erzählt, fast gar nichts. Sie wollte sich diese Glücksstunde, auf die sie lange gewartet hatte, nicht trüben. Sie fühlte ja auch nichts Schmerzliches, sie war ganz gesund und glücklich.

Aber dann war der Hannes zurückgekommen. Er hatte sich heute sehr beeilt. Da hatte sie selbst dem Heinrich zugeredet, er solle ein bisschen mit dem Hannes hinausgehen; sie wolle nun ruhen.

So war sie wieder allein. Aber das stille Lächeln auf ihrem Gesichte blieb. Die Lene kam und brachte die Lampe. Sie küsste die Mutter in grosser Eile und ging bald wieder hinaus.

Es war so stille. Man hörte, wie die Lampe knisterte. Der Dackel war verfroren vom Felde gekommen und vertrug sich heute sogar mit der Katze, nur um ein Plätzchen am Ofen neben ihr in ungestörter Ruhe zu geniessen.

Die Uhr schlug sieben. Da ging draussen knarrend das Hoftürchen, und ein schwerer, unsicherer Schritt schlurrte über den Hof. Das war wohl ihr Mann. Sie lauschte. Die Schritte verloren sich, er kam noch nicht ins Haus.

Erst nach einer knappen Viertelstunde trat er bei ihr ein. Er hing die Mütze an einen Nagel und sah sich unsicher um.

„Wo is der Heinrich?“

„Er is ein bisschen drüben beim Schaffer.“

„So. Beim Schaffer? Ge – hört a da hin? Was? Hierher gehört a! Der Schaffer is wohl wichtiger – wie – wie ich – was?“

Die Frau wandte sich ab: „Er kommt gleich wieder!“

„So? Kommt gleich! – Will ich auch – will ich auch wünschen.“

Da ging schon die Haustür, und Heinrich kam. Hannes war in seiner Begleitung. Aber als er sah, dass der „Herr“ in der Stube war, zog er es vor, draussen zu bleiben.

„Guten Abend, Vater!“

„Nu, kommste endlich?“

„Ja, ich war ein bisschen beim Schaffer, weil du noch nicht da warst.“

„Weil ich – weil ich nicht da war? Werd’ wohl noch amal fortgehen können – was?“

„Ich bitte dich, Hermann.“

Der Junge setzte sich niedergeschlagen und verschüchtert an den Tisch.

Sein Vater trat vor ihn, legte die Hand auf seine Schulter und schüttelte ihn ein bisschen. Dann sagte er mit rauher Stimme: „Na, haste schon die grosse Neuigkeit gehört, dass wir – dass wir – so gut wie bankerott sind?“

„Vater!“

„Hermann, ich bitte dich ...“

„Was is da zu schreien? In a paar Monaten da wissen’s alle alten Weiber – da pfeifen’s die Sperlinge ...“

Der Knabe richtete die Augen auf den Vater – entsetzt, fassungslos.

„Vater! Was sagst du? Das ist doch nicht wahr!“

Er sprang auf, klammerte die Hände um den einen Arm des Vaters, und der Mund verzog sich zu zuckendem Weinen. Raschdorf liess schwer das Haupt sinken.

„Es ist wahr – ich sag’s ja eben – es ist nichts mehr zu machen ...“

„Vater, müssen wir da fort von unserem Hofe? Müssen wir da fort von zu Hause?“

Der Mann war plötzlich nüchterner geworden.

„Ja“, sagte er, und seine Stimme ging schwer, „es geht hier mit uns zu Ende.“

Da liess ihn der Knabe los und brach in bitterliches Weinen aus. Die kranke Frau im Lehnstuhl sah ihn mit unbewegtem Gesichte an. Langsam aus der tiefsten Quelle des Herzens stiegen zwei Tränen in ihre grossen Augen. Die galten ihrem Kinde, das einen Schicksalsspruch vernahm, der es aus seiner Heimat verbannte, und das es nun nicht glauben wollte und mit unschuldigen Tränen und Bitten sich dagegen vergebens wehrte. –

Draussen war Nacht. Ringsum am Himmel hing ein Kranz aus lichteren Wolken. Aber über dem Buchenhofe drohte ein schwarzes Gewölk – finster – zerrissen. Regentropfen rieselten aus der Unheilswolke und trafen den Buchenhof, als ob ein finsterer Geist mit seinem Weihwedel dort oben stände und einen schrecklichen Segen spräche: das Weihewort des Verderbens.

Eine dunkle Gestalt jagte flatternd über den Hof. Ein Keuchen ging von ihrem Munde. Sie fiel. Sie sprang auf. Die Haustür riss sie auf, die Stubentür: „Jeses, es brennt in der Scheune!“

„Es brennt – es brennt!“

Ein schriller Laut aus dem Munde der Frau, die sich erhob und leblos zurücksank.

„Es brennt?! Es brennt?!“ Ein lallendes Kinderwimmern.

„Es brennt!“ Ein lautes, gellendes Männerlachen! –

Die Heimat

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