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III

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Stadt S. versus Fluß S. – Ein Fluß, töpfchenweise aufgefüllt. – Die Schlüssel zur Stadt mitsamt dem Tor gefällig? – Revolutionärer Mönch und imperialistischer Teufel. – S/S. – Eine Katze als Bote. – Zwei Paar Kuhaugen. – Unser Mädel hat eine Eins bekommen? Da muß etwas faul sein. – Dieser Schoß ist jungfräulich. – Sollte dir wieder etwas einfallen, dann sag’s ruhig weiter! – Die Polizei weint nicht, darf aber staunen.

Die Stadt S. liegt am Fluß S. Seit uralten Zeiten ereiferten sich die Bürger der Stadt und die Anwohner des Flusses über die Streitfrage, ob der Fluß nach der Stadt benannt war oder umgekehrt. Es erinnerte an die mittelalterliche Polemik, was zuerst da war: die Henne oder das Ei.

Die Bürger der Stadt behaupteten, es sei der wegen seiner unerschrockenen Krieger, geschickten Glasbläser und aufgeklärten Geistlichkeit berühmte Ort S. gewesen, der dem unbedeutenden, unschiffbaren und daher namenlosen Wasserlauf seinen Sinn und folglich auch seine Benennung verliehen hatte; erst danach und lediglich dadurch sei das Rinnsal zur Kenntnis genommen, in Landkarten verzeichnet, mit Gehöften und Ferienhäusern gesäumt, befischt und schließlich reguliert worden, nach Ansicht der Bürger der Stadt völlig überflüssigerweise, da jeder Anwohner des Flusses verpflichtet gewesen sei, täglich ein Töpfchen Wasser hineinzuschütten, damit er überhaupt floß.

Die Anwohner des Flusses behaupteten, es sei der wegen seiner kühnen Flößer, fleißigen Fischer und aufgeklärten Geistlichkeit berühmte Fluß S. gewesen, der dem bedeutungslosen, weltabgeschiedenen und daher völlig unbekannten Nest seine Daseinsberechtigung und folglich auch seinen Namen verliehen hatte; erst danach und nur deswegen sei es entdeckt, der Öffentlichkeit zugänglich gemacht, bewohnt, in den Territorialplan aufgenommen und mit Wällen umgeben worden, laut Meinung der Anwohner des Flusses ganz entbehrlicherweise, denn kaum wurde das neuerliche Eindringen fremder Heere in Böhmen kundgetan, hätten sich die Bürger der Stadt in den Feldern postiert und den Eroberern mitsamt den Schlüsseln vor lauter Eifer auch das ausgehängte Stadttor überreicht.

Als aufgeklärte Geistlichkeit galt sowohl der einen als auch der anderen Seite der Mönch Clarinus, welcher der Sage nach den Teufel aus einer Höhle am (!) Ufer vertrieben und im (!) Fluß ertränkt hatte, so daß beide Seiten zu Recht Anspruch auf ihn erhoben. In der Zeit knapp vor Klára Zimovás Geburt wurde die Erwähnung der Geistlichkeit vorübergehend unterlassen, und zwar im Zusammenhang mit der revolutionären Umwandlung der Gesellschaft. Der Kreisausschuß erstellte später für die Schulen der Stadt und des Flußgebietes einen einheitlichen Text, in welchem statt des Mönchs die fortschrittliche Intelligenz gefeiert und statt des Teufels der Imperialismus verurteilt wurde. Da Großmütter und Mütter den Kindern die Legende jedoch weiterhin im Originalwortlaut erzählten, wurde gleichzeitig der völkischen Tradition und dem Prestige des Regimes Achtung gezollt.

Es soll nicht unerwähnt bleiben, daß sich in der Stadt und im Flußgebiet ortsüblicherweise die Abkürzung S. an der S., weiterverkürzt zu S. a. d. S. und schließlich zu S/S, eingebürgert hatte. Eine ganze Reihe von Briefen und Ansichtskarten S/S-Gebürtiger, die als Touristen, Sportler, Geheimdienstler oder Emigranten nach einer der zahlreichen Okkupationen die Welt durchstreiften, war – mit dieser Anschrift versehen, wiewohl versehentlich ohne Angabe des Landes nach Hause gesandt – in den Archiven der britischen Admiralität geendet, denn dort bezeichnet man mit der Abkürzung S/S jedwedes steam ship, also Dampfschiff.

Als das Telefon klingelte, hatte Mutter Zimová alle Hände voll zu tun. Auf dem Tisch ruhte umgekehrt ein Stuhl, an jedem seiner Beine war der Zipfel einer Serviette befestigt, und unter der Serviette stand ein Topf; Mutter Zimová passierte die ersten Himbeeren dieses Jahres und filterte den Saft durch die Serviette. Ihre Hände waren bis zu den Ellbogen so rot, als steckten sie in Handschuhen.

Sie blickte sich nach der Großmutter um. Oma Zimová saß in ihrem Sessel, auf der einen Seite weiße Wolle, auf der anderen Seite braune Wolle. Die braune Wolle verstrickte sie. Den grauen Kopf schräg gehalten, betrachtete sie den dunklen Fernsehschirm und lächelte. Mutter Zimová erriet, daß sie an den Opa dachte. Oma Zimová dachte ausschließlich an den Opa. Seit er voriges Jahr gestorben war, wiederholte sie sich im Geiste ihr ganzes mit ihm verbrachtes Leben, Minute um Minute. Eben tanzte sie Mazurka auf dem Slawenball.

Mutter Zimová bereitete es ziemliche Mühe, den Hörer so zu ergreifen, daß sie ihn möglichst wenig verschmierte. Dann fragte sie altväterlich:

– Hallo? Wer dort?

– Hier Direktor Plavec,

krächzte es aus dem Hörer,

– ich hätte gern mit Herrn Zima gesprochen.

– Ich passiere gerade Himbeeren,

antwortete Frau Zimová.

Den Direktor verblüffte diese Antwort. Es dauerte einen Augenblick, bis er, leicht aus dem Konzept gebracht, abermals anhub.

– Aber ich hätte gern den Genossen Zima ...

– Der ist in der Werkstatt. Aber Sie können vorbeikommen, er macht’s Ihnen gleich.

In dem Moment erinnerte sich der Direktor glücklicherweise, daß Zima eine kleine Autoreparaturwerkstatt leitete. Er kannte sich wieder aus.

– Hier Plavec, der Schuldirektor. Es wäre nötig, daß er sofort in die Schule kommt, es geht um Ihre Klára. Richten Sie’s ihm aus?

Mutter Zimová sagte entschuldigend:

– Aber wo ich gerade die Himbeeren passiere ...

Sie fragte nicht einmal, worum es ging. Plavec kam zu Bewußtsein, daß er in all den Jahren weder sie noch ihren Gatten in der Schule gesehen hatte. Zugegeben, das Mädel hatte gute Noten, und auch ihr Betragen hatte bis heute nichts zu wünschen übriggelassen, aber trotzdem: Eltern sollten sich nach ihren Kindern erkundigen kommen, schon aus Achtung vor den Pädagogen. Gereizt sprach er weiter.

– Könnten Sie nicht wen zu ihm schicken? Es ist wirklich sehr dringend!

– Also, dann schick ich die Líza hinüber.

– Seien Sie so freundlich!

schloß der Direktor scharf und legte auf; irgend etwas ging ihm nicht aus dem Kopf, und deshalb wandte er sich an die Zimová.

– Du hast eine Schwester?

– Bitte, nein.

– Und wer ist Líza?

– Bitte, unsere Katze.

Der Direktor sperrte den Mund auf, aber da bemerkte er den Blick des Mathematiklehrers und klappte ihn wieder zu. Er wollte keine dummen, läppischen Fragen stellen.

– Tsch, tsch, tsch!

machte Mutter Zimová; das weiße Wolleknäuel neben der Großmutter stand auf und dehnte sich.

– Kschtz! Sag dem Papa, er soll herkommen.

Die weiße Katze schrumpfte ein, als hätte man die Luft aus ihr herausgelassen. Dann stieß sie sich ab, streckte sich und sprang in einem langsamen, fließenden Bogen aus dem Fenster. Sie schritt, sich im Schatten der Rosen haltend, würdevoll am Haus entlang. Das schwere Tor der Werkstatt stand nur einen Spaltbreit offen; um hindurchzugelangen, mußte sie sich fast so dünn machen wie ein Blatt Papier. In der Werkstatt war keine Menschenseele zu sehen, nur ein halbes Dutzend auseinandergenommener Autos. Die weiße Katze ging zu einem uralten Praga, setzte sich neben die Hinterachse und miaute zweimal.

– Gleich, Líza,

ertönte es unter dem Wagen hervor,

– bin schon unterwegs!

Der Direktor wollte überhaupt keine Fragen mehr stellen, um die Klinge seiner Mission nicht von kindischem Geschwätz abstumpfen zu lassen. Die Uhr auf der Pfarrkirche schlug fünf. Er forderte Brunát auf:

– Schicken Sie die anderen nach Hause. Bis auf die Urbanová.

Der Mathematiklehrer öffnete die Tür, und der Tonfall seiner Stimme verriet alles.

– Die ganze Klasse kann nach Hause gehen. Nur die Urbanová bleibt.

Er verschwand. Vierzig Kehlen gaben einen Laut von sich, als knurrte ein riesiges Tier. Vierzig Paar Augen stellten die Urbanová an den Pranger.

– Du blöde Ziege,

sagte Tikal halblaut,

– wenn sich herausstellt, daß du gepetzt hast ...

Das pummelige Mädchen brach in Tränen aus und setzte sich mit einer unerwarteten Gewandtheit, wie sie die Angst gebiert, treppab in Bewegung. Die anderen rannten trampelnd hinterdrein.

– Urbanová!

schrie Schulwart Coufal; damit hatte er seiner Pflicht Genüge getan und ging zum Volkstumsbarden, um seine Zigarre zu holen.

Wie ist die Zeit zu überbrücken, die uns vom Höhepunkt der Jagd trennt, wenn die Beute enthäutet ist und der Kopf als Trophäe feierlich über der Tafel der Sieger aufgerichtet wird?

Der Direktor zog gewaltsam die Spannung hinaus. Er setzte sich an seinen Tisch, machte ein äußerst strenges Gesicht, warf gelegentlich einen Blick auf die Uhr, trommelte gelegentlich mit den Fingern. Der Mathematiklehrer ließ sich im Sessel für hohe Besucher und Pädagogen nieder. Er machte ein finsteres Gesicht, warf gelegentlich einen Blick auf die Uhr, rasselte gelegentlich mit den Schlüsseln. Klára Zimová saß auf dem Stuhl für Eltern und Schüler, genauso ruhig, als wäre sie im Kino.

Schließlich ertönte ein Klopfen.

– Herein!

Als niemand eintrat, sprang der Direktor hinter dem Schreibtisch hervor und riß die Tür auf. Wut wurde von Schrecken abgelöst. Auf der Schwelle stand ein Mann, noch größer als Brunát. Doch Brunát war spindeldürr, Zima hingegen muskelbepackt. Er hatte seinen ölverschmierten Overall an und hielt die riesigen Hände auf dem Rücken versteckt.

– Ich bin einfach gleich so gekommen ...

Der Direktor schilderte ihm den Fall viel zurückhaltender, als er beabsichtigt hatte. Nicht aus Feigheit; die Kleine begann ihm leid zu tun. Wenn diese Pranken einmal zuschlugen ...

– Vielleicht hatte sie Angst vor uns,

schloß er versöhnlich,

– vielleicht sagt sie Ihnen eher die Wahrheit. Na, Klára, wie war das also?

Sie schaute vertrauensvoll ihren Vater an und begann in der Kindersprache, deren Sätze keinen Anfang und kein Ende kennen:

– Der Genosse Professor hat gesagt, es werden Beispiele aus dem Rechenbuch sein, und da hab ich es nach dem Unterricht aufgeschlagen, um nachzusehen, und da ist mir eingefallen, das werden diese fünf sein, und die Urbanová hat mich gefragt, was ich glaube, daß wir aufbekommen, und da hab ich’s ihr gesagt, und die Urbanová hat gefragt, wieso ich das weiß, und da hab ich ihr gesagt, es ist mir so eingefallen, und dann ist der Tikal dazugekommen, und die Urbanová hat ihm dasselbe gesagt, was ich ihr gesagt hab, und der Tikal hat mich gefragt, ob ich das hundertprozentig weiß, und da hab ich gesagt, ja, und er hat’s dem Brož gesagt, und der Brož dem ...

Als erster verlor der Mathematiklehrer die Nerven.

– Zimová! Im Rechenbuch stehen einhundertzwanzig Beispiele! Bitte, überzeugen Sie sich selbst!

Das galt dem Vater, dem er das aufgeschlagene Lehrbuch hinhielt. Zima zog verschämt die Hände zurück.

– Ich hab mich nicht richtig gewaschen ...

Der Direktor sagte eindringlich:

– Zimová! Du wirst doch deinen eigenen Vater nicht anlügen!

– Aber ich lüge nie,

sagte das Mädchen, als wäre ihre Geduld unerschöpflich.

Der Direktor appellierte an die letzte Instanz.

– Genosse Zima! Sie sollten ihr ins Gewissen reden!

– Aber sie lügt nie,

sagte der Vater, als wollte er ein eigensinniges Kind beschwichtigen.

Er tauschte mit der Tochter einen liebevollen Blick, und der Direktor stellte bestürzt fest, daß der Riese die gleichen schrägen Mandelaugen hatte wie sie. In dieser Größe strahlten sie so etwas wie wehrlose Unbeholfenheit aus. Woran erinnerten sie ihn ganz stark? Eine Kuh! dachte er. Der Ochse und sein Kalb! Er verlor jeglichen Respekt vor ihm.

– Zimová, geh mal kurz hinaus!

Sie stand auf, machte eine Verbeugung und ging auf den Korridor. Der Direktor deutete gebieterisch auf den freien Stuhl, und nachdem Vater Zima sich bedrückt gesetzt hatte, richtete er an ihn – auch im Namen des Präsidenten – streng das Wort.

– Es ist schön, Genosse Zima, wenn die Eltern ihren Kindern glauben, aber was zuviel ist, ist zuviel! Aufgrund unserer gesamten pädagogischen Praxis können ich und mein Kollege –

er meinte allerdings Brunát, aber es wirkte, als meinte er den Präsidenten.

– behaupten: So ein Zufall ist total ausgeschlossen. Wenn wir’s recht bedenken, dann ergibt sich: a) Die ganze Klasse hat nur jene fünf Beispiele ausgerechnet, die Genosse Brunát in seinem Buch angekreuzt hatte, und b) Ihre Tochter gibt zu, daß sie es war, die den Mitschülern diese Beispiele angegeben hat. Ergo: Wie hat sie das herausbekommen? Es ist doch im Interesse ihrer gesamten Weiterentwicklung, daß sie uns das sagt. Das meinen Sie doch auch, hab ich recht?

Zima hatte die ganze Zeit über schüchtern genickt.

– Es bleibt also nichts anderes übrig, als daß Sie selbst sie fragen, und zwar mit allem Nachdruck!

Zima hörte auf zu nicken und sagte verlegen:

– Aber sie hat’s doch schon gesagt ...

– Was?

– Na, daß es ihr eingefallen ist.

Direktor Plavec brüllte gar nicht pädagogenhaft:

– Aber das ist doch absoluter Blödsinn!!

Die Zimová wartete unterdessen auf dem Korridor: Die tiefstehende Sonne drängte sich an die Quadrate der Fensterscheiben; auf dem Fußboden des Korridors zeichneten sich jedoch merkwürdigerweise Rauten ab. Sie versuchte, über sie hinwegzuhüpfen, ließ es aber plötzlich bleiben und trat neugierig ans Geländer. Gleich darauf schlug im Erdgeschoß eine Tür zu, und Schritte wurden laut. Dann erschien in der Treppenbiegung ein schlanker Mann in der Uniform eines Polizeibeamten. Klára lächelte zufrieden und grüßte artig.

– Guten Tag.

– Grüß dich, Klárka,

sagte der Polizeibeamte,

– ich bitte dich, was geht hier ...

In Kláras Augen flackerte Angst auf. Sie rief:

– Vorsicht!

Er blieb stehen.

– Wieso?

– Damit Sie nicht ausrutschen ...

– Ich? Warum sollte ich ausrutschen?

Sie zuckte verwirrt die Achseln.

Welche Verantwortung, wenn man Vater ist! Welche Sorge, wenn man Vater einer Tochter ist! Welche Plage, wenn man Vater einer Tochter ist, an der die Pubertät rüttelt! Der Polizeibeamte hatte auch so eine daheim, und er hätte über ihre Hirngespinste wissenschaftliche Werke verfassen können, wenn er Zeit gehabt hätte. Seiner Věra hätte er schlicht eine gelangt. Klára lächelte er nur mitleidig zu und ging wortlos weiter. Er griff in dem Moment nach der Klinke des Direktorzimmers, als die Tür aufflog und der Mathematiklehrer kläffte:

– Urbanová!

Beide erschraken.

– Puh!

machte der Polizeibeamte.

– Pardon ...

stotterte Brunát,

– ich rufe eben Ihre ...

– Mein Mädel,

erklärte der Polizeibeamte und schloß die Tür hinter sich,

– kommt verheult angerannt, angeblich ist ein Malheur passiert, da hab ich ihr gleich eine gelangt, als Vorschuß, und nun möchte ich fragen, wie viele ich ihr nachliefern soll. Hat sie ein Ungenügend geschrieben?

– Nein, im Gegenteil, aber es geht gar nicht um sie,

sagte der Direktor Plavec und reichte ihm die Hand,

– sei mir gegrüßt, Karel, das hier ist Herr Zima, Genosse Zima, das ist Hauptmann Urban, falls Sie ihn nicht ...

– Ich kenne ihn ...

Nach der Gewohnheit von Männern, die eine militärische Grundausbildung als einfacher Soldat genossen haben, nahm Zima respektvoll Haltung an, ein ganz klein wenig geduckt, damit er den um so viel Ranghöheren nicht um so viel überragte.

Hauptmann Urban reichte ihm erfreut die Hand.

– Ah! Da bin ich aber froh! Unser Mädel und Ihr Mädel sind doch Banknachbarinnen! Also, um was geht’s denn?

Direktor Plavec setzte es ihm in allen Einzelheiten auseinander. Der Polizeibeamte machte lange eine skeptische Miene. Plötzlich merkte er auf:

– Unser Mädel hat eine Eins bekommen? Da muß also wirklich etwas faul sein. Wo ist der Schlüssel, und wo ist der Tisch?

Er hockte sich davor, schweigend eingekreist von den Vorigen sowie von einigen anderen Pädagogen, die sich im Lehrerzimmer noch auf den morgigen Unterricht vorbereiteten. Mit Kláras Hilfe war auch Schulwart Coufal gefunden worden; sie war, ohne zu überlegen, in den Turnsaal gelaufen, wo er auf dem Stapel aufgehäufter Matten dann und wann ein Schläfchen zu machen pflegte. Der Hauptmann untersuchte eingehend das Schloß. Dann fragte er Brunát:

– Haben Sie noch einen Schlüssel?

– Nein.

– Sie auch nicht?

Das galt Coufal, der eben schlaftrunken überlegte, wo er seine Zigarre vergessen hatte. Man mußte die Frage wiederholen.

– Nein ...

– Dann ist alles klar.

– Was ist klar, Karel?

fragte der Direktor ungeduldig.

– Dieser Schoß ist jungfräulich.

– Wie bitte?

– Verzeihung,

entschuldigte sich der Hauptmann,

– dieses Schloß hat niemand gewaltsam geöffnet.

– Ja, aber wie ist sie dann an die Beispiele gekommen?

fragte der Mathematiklehrer zerquält.

Da aller Blicke auf ihm ruhten, sagte Vater Zima seelenruhig:

– Es ist ihr eingefallen ...

Stille. Dann sprach das älteste Mitglied des Lehrerkollegiums, der Naturkundelehrer Látal, dem es die Treue zu den altmodischen Idealen einer überholten Demokratie verwehrt hatte, Direktor zu werden, dessen Meinung hier jedoch seit jeher mehr galt als diejenige Plavecens.

– Ich finde, man sollte keine Affäre daraus machen. Hier der Kollege Brunát sucht zu Hause neue Beispiele heraus, die Kinder schreiben das morgen einfach noch mal, und wer gestern geschummelt hat, kann baden gehen.

Damit war der Fall für ihn erledigt. Unterwegs zum Kleiderständer, wo als letztes Banner der alten Zeiten ein dunkelblauer, breitkrempiger Hut hing, wie ihn der erste Präsident der Republik getragen hatte, sagte er streng zum Schulwart:

– Coufal, bringen Sie mir endlich das Naphthalin ins Kabinett, sonst muß ich demnächst statt der Vögel die Motten drannehmen!

Er setzte den Hut auf, öffnete die Tür und nahm ihn galant wieder ab. Auf der Schwelle stand eine junge Dame, die Brust wie ein antiker Harnisch, das Haar wie ein goldener Helm.

– Ergebenster Diener, Madame!

sprach Látal und dienerte tatsächlich, ließ sie passieren, erwiderte freundlich den artigen Gruß der wartenden Klára und strebte zur Treppe.

Pallas Athene blickte den Direktor fragend an. Woher kenne ich die nur, überlegte der fieberhaft. Da öffnete sie den Mund:

– Albert, wo bleibst du? Wir kommen schon wieder zu spät.

Er erkannte seine Gattin, die sich das Haar hatte färben lassen. Er war momentan außerstande, sich darüber Gedanken zu machen. Er spürte, daß zum Fall Zimová noch etwas gesagt werden mußte, und zwar von ihm selbst. Frau Plavcová entschuldigte sich bei den anderen durch ein Lächeln.

– Ich möchte wenigstens einmal den Anfang eines Films sehen!

Der Direktor erblickte das Mädchen auf dem Gang, und plötzlich sah er auch das Ende der Sache vor sich. Er ging hinaus, die anderen folgten in seinem Sog.

– Klára ... Ich kann’s noch immer nicht glauben, aber es ist nun mal so, daß ich keine Beweise habe. Morgen meldest du der Klasse, daß die Turnstunde ausfällt, weil ihr eine neue Arbeit schreibt.

Dann gewann der Zweifel die Oberhand, und er fügte ironisch hinzu:

– Und sollte dir wieder etwas einfallen, dann sag’s ruhig weiter. Wenn sie dich dann ums Schulhaus jagen, werde ich mit Vergnügen zuschauen!

– Unserer Věra sagst du aber nichts,

sagte Hauptmann Urban, schon im Gehen salutierend,

– ich werde dafür sorgen, daß sie’s büf ...

Er sprach nicht zu Ende. Den Blick auf die anderen gerichtet, hatte er unachtsam die erste Stufe betreten, glitt aus und rutschte krachend bis zum Treppenabsatz.

Die Männer eilten ihm trampelnd nach. Der Direktor rief:

– Karel! Ist dir etwas ...

– Nein ...

Immer noch platt auf allen vieren wie ein Frosch, starrte der Polizeibeamte das Mädchen an, das oben stehen geblieben war. In seinen Augen spiegelte sich nicht Schmerz, sondern Staunen.

Die Einfälle der heiligen Klara

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