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IV

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Was sich tut, wenn sich nichts tut. – Die Ähnlichkeit zwischen einer Geschichte und Quark. – Warum man ausgerechnet die eigene Frau geheiratet hat. – Haben sie ihn schon erwischt? – Ablehnung von Hellseherei hemmt die Entfaltung des Denkens. – Kann man vor Wut sein Englisch vergessen? – Dieser Mensch kommt mir nicht ins Haus! – Der Einfluß eines schamlosen Nachthemds auf eine Mathematikarbeit. – Schlimmstenfalls fragst du die Klára ...

Es ist Mode geworden, den Helden einer Geschichte nur dann Aufmerksamkeit zu widmen, wenn sich in der Geschichte gerade etwas tut. Zumal die dramatischen Künste frönen dieser Unart, der dann auch die Prosa verfällt; weder auf der Bühne noch auf der Leinwand geschieht es jemals, daß die Helden stundenlang auf dem Klo Zeitung lesen, ganze Abende stumpfsinnig auf den Fernsehschirm starren oder einfach im Bett liegen, ohne wer weiß was zu tun. Auch in der Prosa gibt es kaum noch einen Autor, der sich zu schreiben traut, daß sich sogar auf dem Höhepunkt einer Krise mitunter nichts Erwähnenswertes tut: Da denkt er sich lieber aus, daß irgend jemand sich irgend etwas Bedeutungsvolles denkt.

Wenn die eben erst gemolkene Milch stockt, dann tut sich auch nichts. An der weißen Oberfläche hat sich eine Schicht abgesetzt, so trügerisch unbewegt wie ein Theatervorhang, hinter dem die Dekoration gewechselt und die Handlung ein Stück vorangetrieben wird. Dann genügt es, den Topf ein wenig anzustoßen, der Vorhang reißt, und auf der Bühne erscheinen Quark und Molke.

Indes: Hat man uns nicht gerade das vorenthalten, was ein Naturwunder von einem Taschenspielertrick unterscheidet?

Wenn die eben erst exponierte Handlung reift, dann tut sich oft noch weniger, obwohl sich währenddessen der Lauf der Dinge und deren Kulmination anbahnen. Dann genügt es, in die stehenden Gewässer einen Kiesel des Geschehens zu werfen, und wie vom Blatt, genau nach Lehrbuch, setzen Kollisionen, Krisen, Peripetien und Katastrophen ein.

Freilich: Hat man uns nicht gerade um das beraubt, was das wirkliche Leben über ein Schattenspiel hinaushebt?

Folgen wir nicht dem Beispiel der Faulpelze, Dummköpfe oder Arschkriecher, die lediglich Feuersbrünste, Morde und Bürgermeisterwahlen in die Gemeindechronik eintragen, so daß nach einem halben Jahrhundert kein Mensch mehr feststellen kann, wer in der Gemeinde die schönsten Beine hatte, was zwar nicht alle, aber auch nicht wenige umwälzende Ereignisse erhellen würde. Lernen wir aus den eigenen Tagebüchern, in denen sich verzweifelt oft der Satz »Heute nichts Besonderes« breitmacht, so daß wir nach Jahren zwar genau wissen, wann uns wer welchen Zahn gezogen hat, aber vergeblich herumrätseln, was uns veranlaßt hat, aus so vielen besseren Möglichkeiten ausgerechnet die eigenen Ansichten, den eigenen Beruf und die eigene Frau auszuwählen.

Daher: Behalten wir die Akteure auch an dem Abend im Auge, da die eben erst in Gang gebrachte Geschichte wieder zum Stillstand kommt und alle sich noch als unwissende Reisende darin befinden, die weder von Eisenbahn noch Flugzeug transportiert werden, sondern vom Planeten selbst.

An jenem Abend saß, wie an jedem Abend, die Familie Zima vor dem Fernsehgerät. Auf der Herdplatte erkaltete der Himbeersaft, und die Küche duftete wie ein mittäglicher Garten. Auf dem Bildschirm hatte ein Komiker den unglücklichen Liebhaber abgelöst, und dem Publikum kamen die Tränen jetzt vor Lachen. Auch die Zimas lachten mit.

Der Vater hatte die großen Hände im Schoß liegen. Klára streichelte die weiße Katze. Die Großmutter strickte und dachte an den Opa: Auf dem Heimweg vom Slawenball waren sie bis zur Torbogeneinfahrt des vornehmen Hauses im Prager Stadtteil Vinohrady gelangt, wo sie in Dienst stand. Der Opa setzte ihr begeistert auseinander, das siegreiche revolutionäre Proletariat werde in Kürze auch ihr Joch beseitigen, und die Oma hoffte erregt, er werde ihr noch vorher einen Kuß geben. Mutter Zimová, die sich endlich vor das Fernsehen hingesetzt hatte, kramte ständig abwechselnd in beiden Schürzentaschen. Nach einer Weile fragte Vater Zima:

– Was suchst du, Mama?

– Ach, die Brille ...

antwortete Mutter Zimová.

Der Komiker machte den nächsten Witz, und Eltern und Tochter lachten aufs neue los. Dann drehte sich die Mutter zur Tochter um:

– Dir fällt auch nicht ein, wo sie sein könnte, Klárinka?

– Im Saft,

sagte die Tochter.

– Im Saft?

wunderte sich die Mutter,

– was macht die Brille im Saft?

Sie stand auf, ging zum Herd, rührte mit einer Schöpfkelle im erkalteten Saft und erstöberte etwas. Ein seltsamer Gegenstand kam zum Vorschein; von allen bekannten Gegenständen glich er ausschließlich einer in Himbeersaft gekochten Brille.

– Sie war drin!

rief die Mutter und spülte sie unter der Wasserleitung ab.

– Na also, hurra!

sagte Vater Zima.

– Dankeschön, Klárinka!

sagte die Mutter, als sie, die Brille auf der Nase, wieder vor dem Fernseher Platz nahm.

– Schon gut, Mama,

sagte Klára Zimová und stimmte in das Lachen ihrer Eltern über einen weiteren gelungenen Witz ein.

Die Großmutter küßte den Opa aus eigenem Antrieb und entfloh, schamentbrannt, in die Gegenwart. Forschend betrachtete sie den Bildschirm und erkundigte sich:

– Haben Sie ihn schon erwischt?

Die Antwort erfolgte, wie üblich, unisono:

– Das ist schon was anderes, Oma!

Am selben Abend, fast gleichzeitig, saßen Tikals im Wohnzimmer. Es geschah selten, daß sie so dasaßen, denn der Vater hatte oft im Krankenhaus Dienst, in letzter Zeit sogar um so öfter, als er die neue Schwester Dušková, ebenso bildhübsch wie unerfahren, vor den Zudringlichkeiten der übrigen Ärzte bewahren mußte; heute hatte Schwester Dušková dienstfrei, und so konnte er sich der Familie widmen. Frau Tikalová räumte den Tisch ab, und Doktor Tikal schlug interessiert eine englische Fachzeitschrift auf. Darin befand sich ein Aufsatz über die nichtoperative Heilung von Meniskusschäden, den er unbedingt lesen mußte.

– Papa,

fragte Tikal junior, daheim keine Spur von Häuptling,

– wie wird man Hellseher?

– Was ist das für eine blöde Frage?

– Kann man sich dazu ausbilden lassen?

– Ja. Im Zirkus. Läßt du mich eine Weile lesen?

– Wie kannst du das sagen!

sagte vorwurfsvoll Frau Tikalová. Sie kam eben aus der Küche zurück und zündete sich eine Zigarette an. Den sich häufenden emotionalen Rückziehern ihres Gatten trachtete sie ein gesteigertes intellektuelles Übergewicht entgegenzusetzen.

– Zum Beispiel dieser Hanumann? Kürzlich stand in den »Kuriositäten aus aller Welt« etwas über ihn geschrieben!

– Du meinst wohl Hanussen!

sagte Doktor Tikal ätzend. Die endlose Polemik, die seine Frau aus krankhafter Eifersucht mit ihm führte, ging ihm gleich aus zwei Gründen auf die Nerven: weil sie zu Recht eifersüchtig war und weil sie sich nicht einmal die allereinfachsten Namen merken konnte.

– Wenn du weißt, wie er heißt, dann weißt du auch, daß er ein berühmter Hellseher war,

verkündete Frau Tikalová, deren Übergewicht in letzter Zeit durch das untrügliche Gefühl gesteigert wurde, ihr Gatte habe sich wieder mal mit einem Weibsbild eingelassen.

– Ich weiß nur das, wovon ich mich selbst überzeugt habe. Und das möchte ich gern auch meinem Sohn einimpfen.

Er begann aufs neue mit der Lektüre des ersten Absatzes. Seine Frau setzte sich ihm kampfeslustig gegenüber.

– Wer eine Möglichkeit nur deshalb ausschließt,

sagte sie und überlegte, ob es wieder eine Patientin war oder eine seiner Kolleginnen,

– weil es der Wissenschaft noch nicht gelungen ist, sie aufzuhellen, der hemmt die Entfaltung des Denkens!

Ihr Tonfall ließ Doktor Tikal aufhorchen. Sollte sie von der Existenz der bildhübschen Schwester Dušková bereits Kenntnis erlangt haben? Sicherheitshalber gab er sich äußerst versöhnlich.

– Aber ich will doch nichts hemmen! Ich sage nur meine persönliche Meinung, nichts weiter. Meiner Ansicht nach ist jegliche Hellseherei entweder ein Trick oder ein Schwindel. Darf ich jetzt diesen Artikel zu Ende lesen? Ich muß morgen einen Fall entscheiden.

Er begann zum drittenmal mit der Lektüre des ersten Absatzes.

– Seltsam!

sagte Frau Tikalová und brach ab. In dem Moment hatte sie die Erleuchtung durchzuckt, sie könnte sich den Monatsdienstplan verschaffen: Sollte sie dem Personal angehören, mußte sich die Unbekannte durch einfachen Vergleich mit den Dienstzeiten des Gatten glatt aussondern lassen. Jawohl, dem Herrn Doktor Tikal würde über kurz oder lang nichts anderes übrigbleiben, als wieder einmal zu Kreuze zu kriechen, sich durch reichliches Lösegeld freizukaufen und, was die Hauptsache war, längere Zeit leisezutreten! Der künftige Triumph schwang schon jetzt in ihrer Stimme mit.

– Seltsam,

wiederholte sie,

– daß du’s fertigbringst, nach dem Artikel irgendeines englischen Scharlatans einen Menschen aufzusäbeln, und gleichzeitig schimpfst du auf den Hanussík, mit dem sich die größten Schriftsteller befaßt haben, etwa dieser ... Wie heißt er doch ...?

– Erstens,

sagte Doktor Tikal nun wieder gereizt, weil er sich eben genau ausgerechnet hatte, daß seine Frau von der erst vor knapp einem Monat erfolgten Einstellung der neuen Schwester in der entlegenen Inneren keinen blassen Schimmer haben konnte,

– hieß der Kerl Hanussen, zweitens ist Professor Applebaum kein Scharlatan, sondern der größte Orthopäde Europas, drittens säble ich niemanden auf, sondern operiere, und viertens lese ich diesen Artikel eben deshalb, damit ich morgen vielleicht nicht operieren muß!

– Was ereiferst du dich? Wenn du deinem Sohn etwas einimpfen willst, dann lern erst mal diskutieren. Wenn man will, kann man sich auch überzeugen lassen. Ich zum Beispiel habe mich überzeugen lassen. Noch bevor ich dich kennengelernt habe, da gab’s bei uns in der Nähe eine sehr bekannte Wahrsagerin, eine gewisse ... Nun, der Name tut nichts zur Sache, und die hat mir prophezeit, ich heirate einen Arzt und bekomme einen Jungen. Wie erklärst du dir das?

– Ihre Fehlprognosen hast du wahrscheinlich mittlerweile vergessen.

– Ich habe zufällig ein sehr gutes Gedächtnis!

– Besonders für Namen!

– Du merkst dir vielleicht ein paar Namen, aber dafür bist du nicht imstande, deinem Sohn die einfachsten Fragen zu beantworten!

– Ich habe ihm geantwortet!

– Du hast gesagt, er soll zum Zirkus gehen!

– Ich habe nicht gesagt ... Ich habe gesagt ...

Doktor Tikal stellte fest, daß er sich ums Verrecken nicht erinnern konnte, was er gesagt hatte, und ging in die Luft.

– Herrgott, und hat dir die Hexe auch gesagt, wer dich nach mir heiratet?

In heiligem Zorn, vom Bewußtsein der bislang unbefleckten Unschuld gesteigert, ergriff er die Zeitschrift, knallte die Tür zu, riß sich einen Knopf vom Schlafanzug ab und warf den Wecker herunter. Er atmete auf, als er endlich wohlbehalten im Bett lag, und schlug die Zeitschrift wieder auf. Als er den ersten Absatz zum sechstenmal las, stellte er fest, daß er vor Wut sein Englisch vergessen hatte.

Tikal junior, der bis dahin schweigend dem Wortgefecht der Eltern zugeschaut hatte, mit dem Kopf pendelnd wie beim Tennis, murmelte, er habe noch zu lernen, und begab sich in seine Bude. Nach dem Verarzten einiger Schrammen, die er mittags beim siegreichen Zweikampf mit dem Häuptling der 8 b hinter der Schule abbekommen hatte, widmete er sich der Literatur. Es handelte sich jedoch nicht um den für Mutters Auge angefangenen »Letzten Mohikaner«, sondern um die »Vollkommene Ehe«, während des Abendessens aus der verschlossenen Abteilung des väterlichen Bücherschranks entwendet. Einige der abgebildeten Organe erregten ihn zunächst. Dann erfaßte ihn Beklommenheit und schließlich Widerwillen. Er löschte das Licht aus und versuchte, sich im Dunkeln die Mandelaugen der Klára Zimová zu vergegenwärtigen.

Frau Tikalová weinte noch eine Zeitlang im Eßzimmer. Doktor Tikals rechtschaffene Empörung hatte sie in Zwiespalt versetzt. Sie weinte beim Gedanken, ihn diesmal zu Unrecht der Untreue verdächtigt zu haben, und zugleich beim Gedanken, er sei ihr diesmal auf raffiniertere Weise untreu als je zuvor. Schließlich beschloß sie, sich direkt bei ihm Trost zu holen. Sie demolierte die Pyramide auf ihrem Kopf und barg den Gatten unterm Zelt ihres unvergleichlichen Haars, wie nur sie es hatte und wie er es am liebsten hatte. Doktor Tikal schlief schon, und ihre Liebkosungen drangen mitten in einem Traum von der bildhübschen Schwester Dušková zu ihm durch.

Auf welch verschlungenen Pfaden das Glück doch die Menschen erreicht!

Am selben Abend, etwas später, nach dem psychologischen Film heimgekehrt, zu dessen Anfang sie noch zurechtgekommen waren, dessen Ende jedoch beide nicht befriedigt hatte – Herrn Plavec nicht, weil dem älteren, seriösen Mann die junge Ehefrau abspenstig gemacht wurde; Frau Plavcová nicht, weil der Liebhaber keine seriösen Absichten hatte –, berichtete der Direktor bei der gewohnten Partie Canasta von den Ereignissen in der 8 a. Die Partie zur Guten Nacht hatte im dritten Ehejahr Frau Plavcová eingeführt. Weniges war ihr so unerträglich wie Canasta, aber seit dem vorvorigen Jahr zog sie das Spiel Plavecens Annäherungsversuchen vor. Jetzt überlegte sie, ob sie eine Partie vorschlagen sollte, damit er endlich müde wurde, oder gleich Migräne vorschützen. Sie dachte auch voll Unbehagen an den Film und voll Argwohn an Richard.

– Und das muß ausgerechnet bei der Wachablösung geschehen,

seufzte der Direktor sorgenschwer,

– stell dir vor, heute hat mir der Vorsitzende Karas unter dem Siegel der Verschwiegenheit verraten, daß man das im Bezirkssekretariat ausgekocht hat!

Frau Plavcová dachte gerade daran, wie Richard ihre neue Tönung gefallen würde; sie reagierte geistesabwesend.

– Wen hat man ausgekocht?

Er wußte, daß Schule und Politik sie unsäglich langweilten, und war hoch erfreut, daß sie ihn jetzt überhaupt wahrnahm. Er begann ihr die geplante Rotation der Kader zu schildern, in deren erfolgreichem Verlauf ihn die Zentrifugalkraft zum Kreisschulinspektor emporheben könnte.

Während er einen Rosenkranz von Namen und Titeln herunterbetete, legte sie mechanisch Karten ab und stellte sich die Frage, die sie sich seit dem Moment stellte, als ihre Freudin ihr den letzten Brief überbracht hatte: ob Richard sie tatsächlich binnen einer Woche verführen würde. Schon hatte sie einen Besuch bei ihrer Mutter angekündigt, sich ein Alibi besorgt und eine Tönung machen lassen, mit der sie sich noch begehrenswerter dünkte. Es brauchte nur noch die dumme Scheu überwunden zu werden, die all ihren herbeigesehnten Verehrern Einhalt geboten und sie selbst schließlich gezwungen hatte, mit dem schmachtenden Plavec vorliebzunehmen.

– ... und infolge alles dessen, jetzt halte dich fest,

steigerte der Direktor seine Mitteilung und legte dramatisch eine Pause ein, als wollte er ihr den Mörder bekanntgeben,

– bekommen wir einen neuen Stadtsekretär, unser Lebeda hat sich den Weg direkt ins Bezirksbüro geebnet, und an seinen Platz kommt der Fuchs vom Kreisbüro, den kennst du doch, hab ich recht?

Frau Plavcová vernahm von der ganzen Mitteilung nur diesen Namen. Sie hatte keine Ahnung, in welchem Zusammenhang er eben gefallen war. Sie entsann sich augenblicklich, wie ihr Mann letztes Jahr im Frühling den Brief Eduard Hakls gerade an dem Tag im Wäscheschrank entdeckte, als sie endlich dessen ehrbaren Absichten geglaubt und sich entschlossen hatte, seine Geliebte zu werden, wozu ihr dann der Mut vergangen war. Sie überlegte in höchster Panik, ob sie in Ohnmacht fallen oder ein Geständnis ablegen sollte. Sie stammelte mit letzter Kraft:

– Was für ein Fuchs?

– Na, der von der Partei! Wir haben ihn doch letztes Jahr in Bulgarien kennengelernt!

– Ich habe keine Ah-...

– Aber ja! Wo er hinter jeder Schürze her war und zum Schluß sogar auf dich gesponnen hat!

Frau Plavcová war es, als durchbohrte er sie mit den Augen. Fieberhaft überlegte sie, ob er mit übersinnlichen Kräften begabt war oder mit Hilfe staatlicher Kräfte fremde Briefkästen kontrollierte. Der weibliche Instinkt drängte sie zum Risiko.

– Ah!

machte sie gedehnt und offensichtlich angeekelt,

– dieser widerliche Seladon?

– Ich würde das nicht so streng auffassen ...

– Letztes Jahr hast du’s streng genug aufgefaßt.

Der Direktor breitete die Arme aus.

– Letztes Jahr, letztes Jahr! Mir ist es darum gegangen, daß er das Dekorum wahrt, aber daß du ihm gefallen hast ... Mich freut es doch, wenn du wem gefällst, Puppilein!

Er setzte sich zu ihr, um sie zu umarmen. Sie legte die Karten weg.

– Ich hab auf einmal scheußliches Kopfweh.

– Schon wieder?

sagte Plavec enttäuscht, hielt sich jedoch zurück, denn er hatte noch etwas auf dem Herzen. Vorsichtig fing er an:

– Ich weiß, es wird dir wenig Freude machen, aber wir müssen den Fuchs so bald wie möglich zum Abendessen einladen ...

Diese Vorstellung erfüllte sie mit echtem Schauder.

– Um Himmels willen!

– Puppilein, begreif doch ...

– Nein! Das begreife ich nicht!

– Ich verstehe dich vollkommen, aber hie und da muß man eben zurückstecken, wenn man weiß, worum es geht. Einen Abend lang wirst du’s schon aushalten, und er wird sich jetzt nichts herausnehmen, ein Parteisekretär kann sich keinen moralischen Makel leisten. Also, was meinst du?

verlegte er sich aufs Bitten,

– tust du’s für mich? Du tust es ja auch für dich, hab ich recht?

Es war ihr nun klar, daß er nicht die geringste Ahnung hatte, aber ihre Haltung gegenüber Fuchs änderte sie sicherheitshalber nicht.

– Also gut, aber wir gehen in ein Restaurant. Dieser Mensch kommt mir nicht ins Haus!

Als schließlich dann aus dem Bad die Dusche zu hören war, schloß Frau Plavcová leise die Dielentür und eilte zum Telefon.

Am selben Abend, fast gleichzeitig, klingelte in der Wohnung des Kollegen Brunát das Telefon. Frau Brunátová, schon in einem reizenden Nachthemd neuesten Schnitts, das aus Paris mitzubringen sie ihre Kusine angefleht hatte, hob ab. Sieben Jahre Ehe, das waren für Frau Brunátová sieben Jahre wechselhaft erfolgreichen Ringens mit ihrer hartnäckigen Rivalin gewesen – der Mathematik. Das Nachthemd hatte sie just als allerneueste Waffe angelegt.

– Bitte?

sagte sie,

– bist du das? Ich hör dich kaum, kannst du nicht etwas lauter ... Ach so, verstehe ... Was? Meiner arbeitet ...

Sie warf einen Blick auf den Schreibtisch. Der Mathematiklehrer saß im Schlafrock mit dem Rücken zu ihr und schenkte ihr nicht die geringste Aufmerksamkeit. Beruhigt nahm sie das Gespräch wieder auf.

– Nein, überhaupt nicht, sag schon ... Was du nicht sagst!

Im Hörer ertönte rasches Krächzen. Frau Brunátová drückte ihn dichter ans Ohr.

– Du brauchst nicht zu schreien, ich höre dich.

Das Krächzen nahm an Lautstärke ab, doch schwangen Beklommenheit und Unsicherheit darin mit. Es klang in einer verzweifelten Frage aus.

– Goldkind,

sagte die Brunátová ratlos,

– da bin ich überfragt ...

Ihr Mann schnaubte ungeduldig. Sie erschrak.

– Vielleicht ruft die Schneiderin dich an!

ergänzte sie rasch, um die Freundin nicht aller Hoffnung zu berauben.

– Was für eine Schneiderin?

kam es verständnislos aus dem Hörer.

– Na, die für dich näht, Herrschaft ...

Frau Brunátová seufzte bedeutungsschwanger

– ... von wem reden wir denn? Also, gute Nacht. Ich rufe dich morgen früh an!

Noch bevor sie auflegte, hatte sie ein Märchen für den Gatten fertig. Aber als sie zu ihm trat, wurde sie gewahr, daß es sich erübrigte. Brunát säuselte leise durch die Lippen, während seine Hand mit dem scharfgespitzten Bleistift über dem Lehrbuch kreiste, um den vier bereits angekreuzten Beispielen ein fünftes hinzuzufügen. Die Entscheidung war offensichtlich quälend: Schon hielt der Bleistift inne, um eine Nummer aufzuspießen, da zuckte er gleich darauf zu einem anderen Beispiel hinüber, wie um einen unsichtbaren Widersacher zu täuschen.

Frau Brunátová empfand plötzlich Mitleid. Auch wenn sie oft eifersüchtig darauf war, so mochte sie eigentlich doch seine wissenschaftliche Verbohrtheit, die ihn zwar immer wieder von ihr entfernte, ihm jedoch eine rührende Jungenhaftigkeit bewahrte. Wie sie so hinter ihm stand, drückte sie sich mit voller Brust gegen seinen Nacken und umschlang sacht mit linden Händen seinen Hals.

Brunát klappte jäh das Lehrbuch zu und brüllte:

– Schau mir da nicht hinein!

Sie war dermaßen erschüttert, daß sie zu stottern anfing.

– Ich sch-schaue doch g-gar nicht ...

– Also, was willst du?

– Na, erlaube mal ...

Er starrte ihr gewagtes Nachthemd an, dessen Kaumvorhandensein auch noch mit Durchsichtigkeit konkurrierte, und in seinem überreizten Sinn keimte ein Verdacht auf. Drohend sprach er ihn aus:

– Hör mal ... Oder bist das etwa du?

– Was?

– Bist du das, die’s ihnen zuträgt?

– Ich bitte dich, warum sollte ich so etwas tun?

Dieses Nachthemd regte ihn auf. Warum nur trug seine Frau ein so schamloses Nachthemd? Ein Kurzschluß gebar einen weiteren teuflischen Gedanken.

– Hat dich etwa einer von diesen Knaben bezirzt?

– Also, du bist wohl ... Du bist wohl übergeschnappt!! Die sind doch erst vierzehn!

– Vielleicht hat einer von ihnen einen feschen Vater!

Frau Brunátová hatte sich mehr als einmal gewünscht, ihr Mann möge wenigstens ein einziges Mal im Leben eine Eifersuchtsszene hinlegen, sie eine Zeitlang anbrüllen oder sogar irgendwas zertrümmern, aber diese himmelschreiende Verleumdung verschlug ihr den Atem.

– Jan, wenn es einen Gott gibt,

sprach sie in gerechtem Zorn,

– dann wird er dich dafür strafen!

Er hörte, wie sie sich im Schlafzimmer einsperrte, spürte, daß er sie wohl gekränkt hatte, aber er konnte sich nicht helfen: Solange der rätselhafte Vorfall nicht zufriedenstellend geklärt war, stand jeder unter Verdacht. Er glaubte fanatisch an Zahlen, das Irrationale wies er schlichtweg von sich. Ich kriege dich! drohte er im Geiste dem unbekannten Übeltäter. Dann kam ihm eine geniale Idee.

– Weißt du, was?

wandte er sich laut an den Übeltäter,

– das machen wir ganz anders!

Er nahm einen Gummi und radierte alle vier im Lehrbuch angebrachten Merkzeichen aus – fast zerrieb er dabei das Papier.

Anschließend zog er einen Block aus dem Schreibtisch und schnitt mit der Schere hastig, aber fein säuberlich kleine Quadrate aus.

In derselben Nacht, viel später, blickte Hauptmann Urban in der Küche auf seine verheulte Tochter herab. Er war nur im Trainingsanzug, aber die Verräterin Urbanová hatte vor ihm noch mehr Angst als ein ertappter Räuber.

– In fünf Stunden nur sieben Beispiele!

rief er aus und haute auf den Tisch, auf dem sich eine Halde mit durchgestrichenen Zahlen bekritzelter Papiere türmte.

– Das versteh ich niiie ...

blökte seine Tochter.

– Bist du denn total verblödet?

Ich glaube, jaaa ...

– Du bist nicht dumm,

grollte der Vater,

– du bist nur stinkfaul! Aber merk dir eins! Wenn du das verpatzt, komm mir nicht unter die Augen!!

– Ich geh da nicht hiiin ...

– Was?

– Ich tu mir was aaan ...

Bevor er dazu kam, ihr noch eine zu kleben, erschien in der Küche seine Gattin. Mit Lockenwicklern sah sie aus wie eine Frau von einem anderen Planeten. Sie schritt um ihren Mann herum und trocknete mit mütterlicher Hand die töchterlichen Tränen.

– Na, komm, Věruška,

sprach sie besänftigend,

– wasch dich mal schön, und dann ab in die Heia.

– Entschuldige mal,

protestierte der Vater,

– es bleiben ihr noch hundertdreizehn Beispiele!

– Na eben!

entgegnete die Mutter kategorisch. Sie war weit und breit die einzige, die vor Urban keine Angst hatte: Sie kannte den Zustand seiner Wäsche, seines Körpers und seiner Seele besser als er, und er ordnete sich ihr unter wie seinen Vorgesetzten.

– Also, hopp,

sie gab der Tochter einen Schubs,

– guter Rat kommt über Nacht.

Und kaum außer Urbans Hörweite, flüsterte sie noch:

– Schlimmstenfalls fragst du wieder die Klára!

Die Einfälle der heiligen Klara

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