Читать книгу Im Herzen des Hochlandes - Penelope Williamson - Страница 5
KAPITEL 2
ОглавлениеGewitterwolken, wie sie zu Beginn des Frühlings häufig auftreten, hingen tief über der Stadt Carlisle, so daß es an dem Abend recht früh dunkel wurde. Laternen schwangen quietschend an ihren Ketten über den Eingängen der wenigen vornehmeren Häuser. Sie warfen nur ein flackerndes Licht, das nicht sehr weit trug, in die gewundenen engen Gassen. Einzelne Windstöße fegten Blätter und Schmutz um die Beine ihrer Pferde.
Ein Blitz erleuchtete kurz den Himmel über der Burg vor ihnen. Einen Augenblick lang sahen die roten Sandsteinmauern aus wie Gesteinsschichten aus glühender Kohle. Dem Blitz folgte ein lauter Donnerschlag, und Alexias Stute scheute und drängte zum Pferd ihrer Schwester hinüber.
»Es wird gleich anfangen zu schütten«, meinte Evie. »Bis wir durch sind, ist dein neuer Mantel hinüber.«
Alexia hatte schlechte Laune. »Hoffentlich, ich hasse diesen Mantel.«
»Alexia?« Sir Thomas zwängte sein Pferd zwischen die beiden. »Was soll diese Vorstellung, Mädchen? Ich dachte, du wolltest ihn haben.«
Ein Regentropfen fiel auf Alexias Sattelknopf und hinterließ einen häßlichen Fleck. Sie blickte kurz hinüber zu ihrem Vater, aber es war zu dunkel, um sein Gesicht zu erkennen.
»Du wolltest ihn.«
»Aye, aber ...«
»Was, aber? Du hast doch das erste Mal keine Rücksicht auf meine Wünsche genommen, warum jetzt?«
»Das war etwas anderes. Du warst damals noch zu jung, um zu wissen, was gut für dich ist.«
»Meinst du, ich würde Seymour deswegen heiraten? Weil ich mit neunzehn entdeckt habe, daß ein Howard in meinem Bett gut für mich wäre?«
»Lieber Himmel!« Sir Thomas brüllte laut genug, daß man ihn bis nach Schottland hätte hören können. »Hast du schon mit Seymour Howard geschlafen?«
Evie keuchte. Aus der Gruppe bewaffneter Begleiter, die hinter ihnen ritt, kam unterdrücktes Kichern. Aber Alexia lachte nur.
»Wenn du mir Enkel schenkst, Alexia, mein Mädchen«, diesmal brummte Sir Thomas sanfter, »paß bloß auf, daß sie ehelich sind.«
Sie ritten durch das Tor der Burg in den von Fackeln hell erleuchteten Hof. Schnell sprang ein junger Mann hervor, um Alexia vom Pferd zu helfen. Er war sorgfältig gekleidet – in grünweißen Bundhosen und einem dick gepolsterten, mit Edelsteinen besetzten Wams.
Eine steife weiße Halskrause hob sich gegen seinen dunklen Kopf ab, und ein goldener Ohrring glänzte in einem Ohr.
»Ich habe lange gewartet, dachte schon, Ihr würdet nicht kommen.«
Er zog ihre Hand an seine Lippen. »Willkommen.« Ein warmes Lächeln huschte über sein Gesicht, seine dunkelbraunen Augen glänzten.
Er drehte sich zu ihrem Vater um, der neben ihr abstieg. »Sir Thomas, danke, daß Ihr sie mir gebracht habt.«
»Na, na, ob Ihr mir später auch noch dankbar seid, müssen wir erst noch sehen.«
Alexia stieß ihrem Vater mit dem Zeigefinger in seinen leicht vorstehenden Bauch.
»Gib ihm was zu essen, Seymour. Er hat Hunger, und wenn er Hunger hat, wird er brummig.«
Der junge Mann lachte und betrachtete Alexia mit glänzenden Augen. »Ich habe Anweisung gegeben, für die späte Abendstunde eine leichte Mahlzeit in meinem Empfangszimmer zu servieren. Und ich werde dafür sorgen, daß Eure Männer gut untergebracht sind.« Er sah sich um.
»Ich sehe Lady Edwina nicht.«
»Lady Edwina«, erwiderte Sir Thomas, »wird morgen mit den Gepäckwagen nachkommen. Ihr bekommt nicht nur meine Tochter, junger Howard, sondern auch noch sechs Wagen voll von Dingen, ohne die Frauen offenbar nicht leben können. Inzwischen könnt Ihr« – und er zog Evie aus der Gruppe seiner Begleiter, die im Schatten hinter ihm standen, hervor – »meine ältere Tochter Evelyn kennenlernen.«
»Ach ja, das ist Evie, nicht wahr?« Seymour verbeugte sich tief vor ihr, als er ihre Hand nahm. »Ich fühle mich geehrt«, er reckte sich lächelnd auf.
Das Lächeln erstarrte, als er die Gazemaske über dem Gesicht des Mädchens sah, und er warf Alexia einen erschrockenen und fragenden Blick zu. »Alexia hat oft von Euch gesprochen«, fügte er verlegen hinzu.
Es entstand ein kurzes, betretenes Schweigen. Dann fing es an zu regnen. Große Tropfen platschten auf den Boden. Es hörte sich an wie das Getrappel von Hunderten von Füßen.
Alexia hakte sich bei dem jungen Mann unter. »Führ uns bitte ins Haus, Seymour, sonst ist mein neuer Mantel gleich ruiniert.«
Alexia warf ihren Mantel über eine Truhe und sprang aufs Bett, von wo sie ihre Schuhe auf den Boden schleuderte.
»Wie kommt es, Alexia, daß du nie in ein Zimmer kommen kannst, ohne daß es innerhalb von Sekunden aussieht wie auf einem Schlachtfeld?«
Alexia seufzte und warf sich auf die Kissen. Die Arme hinter dem Kopf verschränkt, überlegte sie, daß sie dieses Zimmer nun eine ganze Woche mit Evie würde teilen müssen. Dann würde sie in Seymours Zimmer umziehen, als seine Frau.
In Seymours Bett.
»Was hältst du von ihm, Evie?«
»Er sieht gut aus. Er hat seelenvolle Augen«, Alexia setzte sich auf und betrachtete Evies gesichtslose Maske.
»Seelenvolle Augen ... So was Komisches.«
Sie ging hinüber zum Fenster. Es bot den Blick nach Nordwesten, auf den Solway Firth und zu den Ländereien der Maxwells in Schottland in der Ferne. Seelenvolle Augen. Er war inzwischen Lord Maxwell – jener verrückte hellblonde Junge. Und kein Junge mehr. Sie überlegte, was wäre, wenn sie auf ihr Pferd steigen und über die Grenze reiten würde, um ihn zu suchen. Er würde sie für verrückt halten – das wäre alles. Er hatte sie nur ein einziges Mal gesehen, vor mehr als fünf Jahren, ein mageres Mädchen mit Zöpfen und in den Klamotten eines Stalljungen. Selbst wenn er sich erinnerte, was an dem Tag geschehen war (und was war denn schon geschehen?), gab es nur einen einzigen Grund, warum er sie jetzt würde haben wollen: das Lösegeld, das er von ihrem Vater erpressen könnte. Und wer war er schon? Ein Schotte, ein Grenzräuber, ein Maxwell.
Es war lächerlich, jetzt an ihn zu denken, wo sie in Seymour verliebt war.
»Wenigstens dieses Mal wirst du freiwillig zum Altar gehen«, meinte Evie und hängte ihrer beider Mäntel in einem Wandschrank auf. »Ich bezweifle, daß diese Familie einen weiteren Versuch, dich noch einmal zu einer Ehe zu zwingen, überleben könnte.«
Alexia wandte sich vom Fenster ab. »War ich wirklich so schlimm?«
Evie schüttelte den Kopf. »Schlimmer.«
Es war damals das erste Mal in ihrem Leben gewesen, daß Alexia Carleton ihren Kopf nicht hatte durchsetzen können. Ihr Vater, der ihr immer alles durchgehen ließ, war hart geblieben: Sie würde Nicholas Forster heiraten, und wenn er sie an den Haaren in die Kirche schleifen müßte.
Sir Thomas konnte nicht verstehen, warum sie so hysterisch Widerstand leistete; sie hatte den Mann doch noch nicht einmal gesehen. Es stimmte, man konnte Nicholas Forster nicht gerade als jung bezeichnen. Er war dreißig, aber damit war er noch lange nicht friedhofsreif. Man konnte ihn auch nicht als gutaussehend bezeichnen. Das Wichtigste: Er war ein weltreisender Kaufmann, einer der Teilhaber der vornehmen »Muscovy Company«. Wenn seine nächste Unternehmung – ein Tauschgeschäft: englische Wollstoffe und Metalle gegen russische Pelze und Fette – erfolgreich verlief, konnte er das Vierfache seiner Investition herausholen und würde zu einem der reichsten Männer in England. Als Sir Thomas versuchte, ihr diese Vorzüge klarzumachen, hielt sich Alexia die Ohren zu und summte ihm ins Gesicht. Damit hatte sie Sir Thomas so provoziert, daß er sie zum ersten Mal in ihrem Leben schlug. Ihre Reaktion bestand darin, sich ihm vor die Füße zu werfen. Aber ein solches Verhalten glich so sehr den Darstellungen in italienischen Romanen, deren Lektüre Alexia verboten war, daß sie sich selbst ausgelacht hätte, hätte sie nicht so viel Angst gehabt.
»Vater, bitte zwing mich nicht, diesen Mann zu heiraten«, flehte sie ihn an und weinte nun wirklich. »Bitte.« Sie suchte verzweifelt nach einer Erklärung, und über das, was sie dann schließlich fand, erschrak sie fast so sehr wie er. »Ich liebe einen anderen.«
»Wen, um Gottes willen?« brüllte Sir Thomas. »Nicht etwa Rufus? Ich dachte, du magst ihn nicht einmal.«
»Ich hasse Rufus!«
»Wer ist es dann?«
Sie schüttelte den Kopf. Wenn sie den Namen »Jamie Maxwell« erwähnte, würde er sie umbringen.
»Wer auch immer, es wäre nicht schicklich.« Er packte sie an den Schultern, zog sie hoch und schüttelte sie heftig. »Du wirst Nick Forster heiraten.«
»Lieber würde ich sterben!«
»Dann wird ihn eben deine Leiche heiraten. Aber tot oder lebendig, Alexia, du wirst seine Frau.«
Alexia machte sich mit den ständigen Wutanfällen in der Folge immer wieder krank, und die Hochzeit mußte jedesmal verschoben werden. Endlich, am letzten Tag vor seiner Abreise nach Rußland, traf eine dünne, blasse Alexia in der winzigen Kirche von Gilsland Nicholas Forster zum ersten Mal. Sie stand neben ihm vor dem Altar, und er reichte mit seinem Kopf gerade bis an ihr Kinn.
Sie verbrachten ihre Hochzeitsnacht in ihrem Mädchenschlafzimmer auf Thirlwall Castle. Alexia lag im Bett, wohin sie eine Gruppe kichernder Carleton-Cousinen gebracht und dann völlig ausgezogen hatte. Sie beobachtete ihren Mann, wie er sich auszog. Sein Körper war muskulös und über und über mit schwarzen Löckchen behaart, und sie haßte ihn.
Er stieg ins Bett und streckte sich neben ihr aus. Auf einen Ellenbogen gestützt, betrachtete er sie. Alexia dreht sich um und vergrub ihr Gesicht im Kopfkissen.
»Du kommst mir vor wie eine Gefangene, die auf die Folter wartet«, sagte er und streichelte ihr Haar. Dann legte er die Bettdecke etwas zurück und umfaßte eine ihrer kleinen, knospenden Brüste. Mit dem Daumen massierte er ihre Brustwarze. »Alexia ... ich weiß, du wolltest diese Heirat nicht.«
»Nein.« Seine Berührung war sanft. Vielleicht wurde es nicht so schlimm, und weil sie dachte, sie hätte ihn gekränkt, fügte sie hinzu: »Aber das war nicht wegen Euch. Es hat nichts mit Euch zu tun.«
Zu ihrer Enttäuschung ließ er ihre Brust los und rollte auf den Rücken. »Vielleicht wäre es klüger gewesen zu warten, bis ich aus Rußland zurück bin.«
Nach einer kurzen Pause sagte Alexia: »Mein Vater wünscht sich einen Enkel.«
Er lachte leise und zog ihren steifen Körper an sich. »Dann wollen wir doch mal sehen, was wir für ihn tun können.«
Nicholas Forster war sich der Tatsache bewußt, daß die Braut in seinen Armen kaum mehr als ein Kind war, und eine Jungfrau dazu.
Er wollte sie erst einmal beruhigen, indem er sie eine Weile sanft in den Armen hielt und streichelte – eine Behandlung, wie er sie einem Füllen zuteil werden ließe, das zugeritten werden sollte. Aber er hatte in den letzten drei Monaten täglich bis zu achtzehn Stunden gearbeitet, um sein Schiff Resolute für die russische Expedition auszurüsten. Er war die zweihundertfünfzig Meilen von London herübergeritten, ohne öfter zu halten als notwendig, um die Pferde zu wechseln. Außerdem hatte er beim Hochzeitsmahl dem Essen und dem Wein so zugesprochen, wie es sich für einen Bräutigam gehört.
Das Nächste, was er wahrnahm, als er die Augen öffnete, waren die helle Sonne und das schmollende Gesicht seiner Kind-Frau. Als er nach ihr greifen wollte, schreckte sie zurück.
Er setzte sich auf und schwang die Beine über die Bettkante. »Du hast heute morgen nichts von mir zu befürchten. Ich will dich nicht vergewaltigen, und dich zu umwerben fehlt mir die Zeit.«
Sie hatte sich zurückgelehnt, die Bettdecke fest bis unters Kinn gezogen, und beobachtete ihn beim Anziehen. Als er fertig war, stellte er sich ans Fußende des Bettes und sah zu ihr hinunter.
»Alexia, wegen heute nacht. Du bist noch so jung, eigentlich kaum mehr als ein Kind. Und es kann das erste Mal sehr weh tun bei einer Frau. Wenn man es erzwingt oder zu schnell ist, wird es nur noch schlimmer. Ich wollte nicht, daß du schließlich vor mir Angst hast oder mich haßt.« Er lächelte wehmütig.
»Und dann bin ich eingeschlafen. Es tut mir leid.« Als sie nichts sagte, beugte er sich hinüber zu der Truhe und hob Mantel und Hut auf.
»Nicholas?« Er sah sie an. »Du bist ein guter Mann.«
Einen Augenblick zögerte er. Dann ging er zu ihr, lehnte sich über sie und drückte ihr einen sanften Kuß auf die Stirn. »Wir werden noch viele Nächte haben, wenn ich zurück bin, meine edle Gattin.«
Aber er hatte sich geirrt; es sollte keine gemeinsamen Nächte mehr für sie geben. Alexia wartete über ein Jahr, und auch die Muscovy Company wartete. Dann rüstete die Gesellschaft ein weiteres Schiff aus und schickte es dem ersten nach. Als Alexia erfuhr, was Nicholas Forster und der Resolute zugestoßen war, mußte sie feststellen, daß sie bereits seit drei Jahren Witwe war.
»Hör auf, dich hin und her zu bewegen«, befahl Evie. Sie versuchte, rote Seidenbänder durch die hoch aufgetürmten Locken ihrer Schwester zu ziehen.
Alexia seufzte. »Beeil dich dann aber. Er wartet.«
In der Erinnerung lag ihre Hochzeitsnacht mit Nicholas sehr sehr weit zurück. Jetzt war sie im Begriff, sich wieder zu verheiraten. Trotz ihrer Andeutung dem Vater gegenüber, hatte sie noch nicht mit Seymour Howard geschlafen. Seymour wußte natürlich, daß sie Witwe war. Er würde also annehmen, daß sie das Ehebett im wahrsten Sinne seines Namens kannte. Sie meinte, er sollte vor ihrer Hochzeitsnacht die Wahrheit erfahren, aber es war nicht leicht, dieses Thema zur Sprache zu bringen. Sie konnte doch nicht einfach hinausposaunen, daß sie, obwohl Ehefrau, noch immer Jungfrau war. Sie mußte bei ihrer Wortwahl über sich selbst lächeln, als gäbe es verschiedene Grade der Jungfernschaft.
So wie es Grade der Erfahrenheit gab.
Mit vierzehn hatte ihre Erfahrung in der Liebe aus einem einzigen Kuß von einem Jungen bestanden, den zu hassen ihr beigebracht worden war. Drei Jahre keuscher Ehe mit einem Geist waren gefolgt. Dann hatte sie Seymour kennengelernt. Er hatte sie auf den Weg zu sinnlichen Freuden geleitet. Sein Mund und seine Hände hatten sie geführt, bis ihr Körper sich in einem Schwebezustand befand, kurz vor einer Erfahrung, die sie sich selbst nur halb vorstellen konnte. Sie war bereit, mehr als bereit, den letzten Sprung zu tun.
Aber es war ihr Körper, der dazu bereit war, nicht ihr Geist. Alexia hoffte, daß ihre letzten Bedenken in ihrer Hochzeitsnacht mit Seymour sich in nichts auflösen würden, so wie die Angst eines Kindes vor der Dunkelheit verschwindet, wenn der Morgen naht.
Evie klopfte ihr auf die Schulter. »Da, siehst du, ich bin fertig. Bitte versuche mein Meisterwerk nicht zu zerstören, bevor er Gelegenheit hatte, es zu bewundern.«
Alexia stand auf und tanzte auf Zehenspitzen herum. Ihr Kleid blähte sich über ihrer Krinoline und ließ rote bestickte Strümpfe sowie passende Schuhe aus weichem spanischen Leder sehen. Ihr Überrock aus goldener Seide war in der Mitte geschlitzt, so daß ein Unterkleid aus elfenbeinfarben besticktem Satin hervorblitzte. Das Mieder war steif und reich bestickt. Die Ärmel fielen auseinander und enthüllten karminrote Unterärmel. Ein gestärkter, schneeweißer Kragen stand weit ab und ließ ihre glänzenden braunen Locken noch besser zur Wirkung kommen.
»Nun? Was meinst du, Evie?«
»Ich glaube, so wie er dich ansieht, könntest du in Lumpen gekleidet sein, und er würde dich noch immer schön finden ...«, Evies Stimme zitterte, und sie wandte sich ab.
Alexia hörte auf zu tanzen. Die unausgesprochenen Worte schienen im Zimmer widerzuhallen: Niemand würde jemals Evelyn Carleton für schön halten; nicht Evie mit ihrem narbenübersähten und vom Feuer zerstörten Gesicht. Und Alexia spürte wieder den stechenden Schmerz des Schuldgefühls, der ihr die Brust immer schier zerriß, wenn sie daran dachte, was sie ihrer Schwester angetan hatte.
»Willst du wirklich nicht mit uns zu Abend essen?« fragte sie sanft.
Evie schüttelte den Kopf. »Jetzt noch nicht. Gib ihm Gelegenheit, sich an mich zu gewöhnen, an die Vorstellung von mir.«
Alexia hatte die Lider gesenkt und betrachtete ihren Verlobten schüchtern von unten. »War die Königin böse, als du sie um Erlaubnis gebeten hast zu heiraten?«
Seymour lachte herzlich. »Böse? Das kann man wohl sagen. Sie warf mir eine Konfektdose an den Kopf.«
»O nein. Konntest du ausweichen?«
»Ich habe es nicht gewagt. Schließlich mußte ich meine ganze Überredungskunst aufwenden, um mich vor dem Tower zu bewahren.«
Er nahm ihre Hand und küßte ihre Finger. »Nur eine von den vielen Schlachten, in die ich freudig für dich, mein Liebling, gehen würde.«
Sie entzog ihm ihre Hand. »Du wirst eher gegen mich kämpfen müssen, Seymour. Ich habe dich gewarnt, daß du keine einfache Ehefrau an mir haben wirst.«
»Das hast du gesagt. Ich glaube es aber zufällig nicht.«
Sie saßen nebeneinander auf dem Fensterbrett in seinem Empfangszimmer. Hinter ihnen peitschte der Regen gegen die schwarzen Scheiben, aber im Zimmer war es warm und gemütlich. Im Kamin brannte ein Feuer, und von den getünchten Mauern herunter spendeten die Binsenlichter in ihren Wandhaltern freundliche Helligkeit. Auf einem mit einem Teppich belegten Tisch standen große Platten voller Fleisch, Käse, Obst und Nüsse. Alexia konnte das schwere Aroma von gewürztem Wein riechen.
»Die Königin ist in solchen Dingen komisch, nicht wahr?« fing sie an. »Sie will nicht, daß ihre Favoriten heiraten.«
Alexia hatte Seymour Howard kennengelernt, als sie die Schwester ihrer Mutter besuchte, die Hofdame bei der Königin war. Seymour war einer der vielen Höflinge, die Elizabeth Tudor umschwärmten und gut zu ihrem Hof mit seinen rohen Sitten und seiner Vergnügungssucht paßten. Drohnen, die um die Gunst einer Königin wetteiferten, die gut aussehende, virile junge Männer liebte, wenn sie Witz, Charme und Mut besaßen.
»Es scheint, als wäre sie gierig nach Liebe, nach Jugend, und ... was starrst du mich so an?«
»Deine Augen. Du hast wirklich erstaunliche Augen. Braungelb und bernstein-gefleckt, wie die Augen eines exotischen Tieres.«
Alexia versuchte nicht zu lachen. »Du stellst mich so dar, als sei ich etwas, was man in einem Zoo ausstellen müßte.«
»Und dein Haar. Es ist so weich, wie Marderfell, und doch glänzt es, als läge Goldstaub darauf.«
»Bitte, Seymour, wenn du anfängst zu dichten, muß ich dich auslachen.«
Er lächelte und neigte den Kopf über sie. »Also muß ich dich statt dessen küssen.« Sie spürte das sanfte Kitzeln seines Bartes und die Wärme seines Atems, dann schloß sich sein Mund über dem ihren.
Ein lautes Husten erscholl von der Tür her. »Ich würde ja gerne sagen, ich komme später wieder, aber ich habe so einen schrecklichen Durst.«
Seymour sprang auf und errötete. »Sir Thomas, bitte tretet ein.«
Er geleitete den älteren Mann zu dem einzigen Sessel im Raum. Das Möbelstück war nach der neuesten Mode gedrechselt und hatte Armlehnen, und obwohl der Sessel breit und bequem war, war er zu eng für Sir Thomas’ erheblichen Leibesumfang. Er stöhnte und brummte, als er sich in den Sitz zwängte.
Seymour gab ihm einen Zinnkrug. »Etwas Wein, Sir?«
Sir Thomas trank einen Schluck und stieß einen zufriedenen Seufzer aus. Seymour goß noch etwas Wein in ein Glas, verdünnte ihn und brachte ihn Alexia.
»Also sagt mir, junger Howard«, fing Sir Thomas an. »Wie findet Ihr das Dasein als Landeshauptmann? Mehr Kopfschmerzen als die Sache wert ist, würde ich wetten.«
Sir Thomas hatte sich von dem Amt zurückgezogen, als seine Gicht schlimmer und die Schmerzen beim Reiten zu groß wurden.
Er hatte die Königin gebeten, Seymour Howard an seiner Stelle zu ernennen, und sie war der Bitte nachgekommen und hatte den jungen Mann nicht nur zum Landeshauptmann der englischen Westmarsch ernannt, sondern auch zum Burgherrn von Carlisle Castle. Außerdem war ihm die Domäne Rose Castle zugesprochen worden. Jetzt war Sir Thomas zufrieden. Als Howards Frau wäre Alexia versorgt, und der Bursche war jung und zeugungsfähig genug, um Vater von vielen Söhnen zu werden, die Sir Thomas im Alter Freude machen würden, besonders jetzt, da die Zeiten der Räuberei für ihn vorüber waren.
»Ich habe kürzlich einen dieser schottischen Schufte gefangen, von denen Ihr mir erzählt habt«, sagte Seymour, »aber ich kann mich nicht entscheiden, ob ich ihn verkaufen oder hängen soll.«
Sir Thomas brummte. »Verkauft ihn. Man kann immer Geld gebrauchen, und auf einen Räuber mehr oder weniger kommt es nicht an. Wer ist es?«
»Eigentlich war es ein glücklicher Zufall.« Seymour schnitt ein großes Stück Rinderbraten ab, legte es auf ein Stück Brot und reichte es Sir Thomas. »Meine Patrouille stieß zufällig auf eine schottische Räuberbande, als sie das Ödland von Bewcastle abritt. Leider sind sie alle davongekommen, außer dem Jungen. Sein Pferd war mit dem Bein in eine Kaninchenfalle geraten. Ich müßte ein gutes Lösegeld für ihn bekommen, wenn er, wie er behauptet, Malcolm Maxwell ist, der jüngere Bruder von Lord Maxwell.«
Alexia zuckte zusammen und vergoß Wein über ihre Hand. Schon wollte sie sie an ihrem Kleid abwischen, hielt sich aber rechtzeitig zurück und leckte sie statt dessen ab.
Sir Thomas schlug sich vor Vergnügen auf das Knie. »Ein Maxwell, bei Gott!«
»Ich dachte, Ihr kennt ihn vielleicht, und ich hoffe, es macht Euch nichts aus, mit ihm an einem Tisch zu sitzen. Der Junge mag kein freiwilliger Gast hier sein, aber er ist immerhin ein ...«
Sir Thomas stand brüllend auf, so heftig, daß beinahe der Stuhl umfiel. Er stieß ihn wütend weg.
»Um Gottes willen! Er sollte im tiefsten Loch Eures Turms stecken, anstatt frei hier herumzulaufen wie ein Taschendieb auf einem Jahrmarkt!«
»Aber er hat mir sein Wort gegeben, daß er nicht versuchen würde zu fliehen.«
»Sein Wort! Er ist ein Maxwell. Ihr solltet ihn lieber gleich morgen früh auf Harraby Hill aufhängen. Damit die Welt wenigstens von einem Mitglied dieser verfluchten Brut befreit ist.«
»Bitte, ich habe eine ganz außergewöhnliche Abneigung gegen das Hängen«, ließ sich eine gelassene, lachende Stimme von der Tür her vernehmen. »Besonders wenn es um mich geht.«
Der Hauptmann der Wache am Torhaus war nicht in der Stimmung, die warme Wachstube zu verlassen und nachzusehen, wer um diese Nachtstunde und beim schlimmsten Regensturm seit der Sintflut an das Tor pochte. Andererseits konnte es ja ein Bote aus London sein.
Von denen waren in letzter Zeit viele gekommen, seit der neue Landeshauptmann seine Residenz in der Burg errichtet hatte. Nicht wie früher, als der Mensch sich, wenn er nachts auf Wache war, ein ruhiges Schläfchen gönnen konnte. Schimpfend zog Hauptmann Mapes seine Stiefel an und zwängte sich in sein Wams.
Als er durch das Guckloch blinzelte, trieb ihm der Wind den Regen klatschend ins Gesicht. Er rieb sich das Wasser aus den Augen.
Dann merkte er, daß das, was er für einen Geist gehalten hatte, lediglich ein bartloser junger Mann mit einer grauen Wollkappe auf dem Kopf war.
»Was willst du?«
»Ich bin’s, Jim, Sir.«
Hauptmann Mapes rollte die Augen zum Himmel und erflehte Geduld vom Herrgott. »Und darf ich fragen, wer ...«
»Ich bring das Bier, Sir.«
Der Hauptmann spähte dem jungen Mann über die Schulter. Er konnte durch die Wasserschwaden ungenau die Umrisse eines mit Fässern beladenen Ochsenkarrens ausmachen. »Heute ist Dienstag«, meinte er.
»Was?«
»Das Bier kommt nicht dienstags. Es kommt immer am Donnerstag. Und es kommt am Nachmittag, nicht mitten in der verdammten Nacht.«
Der junge Mann nahm seine Mütze ab und kratzte sich an einem Büschel seiner schmuddeligen blonden Haare. »Wollt Ihr dann, daß ich es zurückbringe?«
»Nein, nein, Augenblick.«
Hauptmann Mapes öffnete das Tor und wartete mit kaum verhohlener Ungeduld, daß der junge Mann die Ochsen durchlockte. Bei dem schwachen Lichtschein, der aus der offenen Wachstubentür fiel, betrachtete er die fröstelnde Gestalt von oben bis unten, nahm die nackten schlammverschmierten Füße und den ausgeblichenen Lehrlingskittel wahr. Regenwasser rann in schmutzigen Bächen von den hohlen Wangen des Burschen herab, und ein großer Tropfen blieb an seiner Nasenspitze hängen. Der Hauptmann mußte gegen einen plötzlichen Impuls ankämpfen, den Tropfen wegzuwischen.
»Wie kommt es, daß ich dich noch nie zuvor gesehen habe?«
Der junge Mann zuckte die Schultern. Der Regentropfen an der Nasenspitze zitterte, fiel aber nicht herab, und der Hauptmann seufzte.
»Der Meister liefert sonst immer das Bier für die Burg selbst aus«, plauderte der Lehrling drauflos. »Ich verlauf mich immer.«
Das erklärt alles, dachte der Hauptmann und mußte lachen. Man stelle sich vor: sich auf den fünf Meilen zwischen der Burg und der Corby-Brauerei zu verfahren!
»Nur, er ist krank«, fügte der Lehrling hinzu, »ist der Meister.«
Hauptmann Mapes war stolz darauf, ein gewissenhafter Mensch zu sein.
Er untersuchte den Wagen von unten bis oben, ob er auch wirklich nur Fässer geladen hatte und die Fässer nur Bier enthielten. Erst dann trat er in die Wachstube zurück und brüllte nach einem seiner Männer.
»Führe diesen Burschen zur Burg hinauf, Cuthburt, zeig ihm, wo der Bierkeller ist. Und paß auf, daß er sich nicht verläuft«, fügte er, über den eigenen Witz lachend, hinzu.
Beim Klang dieser bekannten, neckenden Stimme hatte Alexias Herz schneller zu schlagen begonnen, und sie war ungeschickt aufgestanden. Aber der junge Mann, der da durch die Tür kam, sah seinem Bruder überhaupt nicht ähnlich.
Er wirkte schwächlich und hatte sehr dunkles Haar. Als er ins Zimmer trat, merkte man, daß er einen Fuß etwas nachschleifte. Zuerst meinte Alexia, er habe eine Verletzung, aber dann sah sie, daß er wegen einer Mißbildung hinkte, denn eine Schulter stand höher.
Er blieb stehen und machte eine gespielte Verbeugung vor Alexia. »Madam«, dann mit einem unverschämten Lächeln zu ihrem Vater hin: »Carleton.«
Alexia ging hinüber zu Sir Thomas, der finster dreinschaute und wie ein wütender Bär von einem Fuß auf den anderen trat. »Setz dich hin, Vater, bevor dich der Schlagfluß trifft. Und du, Seymour, steh nicht so rum wie ein Narr. Biete deinem Gefangenen ein Glas Wein an.«
Seymour warf Alexia einen erschrockenen, beleidigten Blick zu, griff aber unwillkürlich zur Weinkaraffe.
»Ich hoffe, Ihr habt Euch nicht gegen meine Auslösung entschieden«, warf Malcolm Maxwell lässig hin, als Seymour ihm ein Glas in die Hand drückte. »Mein Bruder Jamie ist weit weniger knausrig, als es mein lieber verblichener Vater war.«
Sir Thomas räusperte sich und spuckte in die Binsen. »Da hört Ihr die feige Seele einer Memme.«
Malcolm hob die fein geschwungenen schwarzen Augenbrauen. »Warum Zweckmäßigkeit mit Feigheit vermengen? Ein Mann ist dumm, nicht unbedingt tapfer, wenn er am Galgen baumelnd stirbt. Im übrigen, wenn Ihr mich aufhängt ...« Er sah Seymour an, und bei seinem Lächeln stockte ihr der Atem, denn sie erinnerte sich. »Mylord, mein Bruder, wäre sehr, sehr böse.«
Alexias Lachen klang laut und etwas gezwungen. »Vielleicht solltest du, Seymour, dich vor diesem jungen schottischen Lord in acht nehmen.«
»Sollte ich das? Ich habe gehört, er hätte etwas von einem Gecken. Sie nennen ihn Jamie, den Hübschen.«
Sir Thomas schnaubte. »Hübsch könnte er schon sein. Aber er ist kein Weichling.« Er warf Malcolm einen bösen Blick zu. »Erzähl ihm, Junge, wie der schottische König eine Konspiration veranlaßt hat, um deinen Vater während des Aufstands der Barone umbringen zu lassen. Und wie dein Bruder dem König den Kopf des Mörders auf einem Spieß dargebracht hat. Jamie Maxwell ist vielleicht ein Schuft und ein Bastard, aber er ist aus hartem Holz geschnitzt«, wiederholte er für Seymour, sah aber weiterhin den Jungen an. »Ihr tätet gut daran, Euch das zu merken.«
Alexia betrachtete Malcolm, wie er in seinen Wein starrte, sein scharf geschnittenes, fuchsartiges Gesicht war glatt und ausdruckslos.
Aber in seinen grünen Augen, seinen Maxwell-Augen, blitzte ein heimliches Lachen.
Der Wachmann lehnte sich gegen den Türpfosten der Vorratskammer und beobachete den Lehrling, wie er ein Bierfaß vom Wagen hob und leicht auf der Schulter absetzte. Der Kerl mag ein Schwachkopf sein, dachte Cuthburt, aber er ist stark, stärker als er aussieht.
Der Lehrling trug das Faß hinein, kam dann zurück und stellte sich vor dem Wachmann auf, hochrot im Gesicht. Er betrachtete aufmerksam den Boden zu seinen Füßen.
»Ich werde dir nicht helfen, das Zeug abzuladen«, sagte Cuthburt gereizt. »Es ist nicht meine Aufgabe.«
Das Gesicht des Burschen wurde noch röter, und er murmelte etwas vor sich hin.
»Aha, also mußt du erst mal was rauspissen, nicht wahr?« fragte Cuthburt lachend. »Hast das Bier deines Meisters angestochen, was?«
Er führte den Lehrling zur Rückseite der Vorratskammer und öffnete mit einem Ruck eine kleine Tür, die in einen dunklen engen Gang führte.
»Dort hinten, aber beeil dich.«
Er sah dem Lehrling nach, wie er den Gang hinunterschlurfte, die Latrine fand und darin verschwand. Dann schloß er die Tür. Der Gang war zugig, und er hatte sich schon eine Erkältung eingefangen.
Der Lehrling lehnte sich gegen die Klotür und wäre von dem Gestank fast ohnmächtig geworden. Er wartete zehn Sekunden, ohne Luft zu holen, und schlüpfte dann zurück in den Gang. Mit der Hand am rauhen Stein entlangstreifend rannte er, bis er auf das glatte Holz einer kleinen Hintertür stieß. Sie war ihm beschrieben worden. Er fand den Riegel und schob ihn zurück. Der bewegte sich leicht und geräuschlos, denn er war erst kürzlich geschmiert worden.
Als er in den windgepeitschten Regen hinaustrat, baute sich vor ihm die Erscheinung eines Riesen auf. Die Erscheinung erwies sich als ein sehr großer Mann in Lederjacke und mit einem Stülphelm, der im strömenden Regen stand und leise fluchte.
»Ist das naß«, fluchte Big Jock und lehnte sich platt gegen die Sandsteinmauer der Burg, als wolle er sich unterstellen. Er schüttelte seinen mächtigen Kopf, dann teilte ein breites Grinsen seinen schwarzen Bart. »Ihr seht unheimlich blöd aus in dieser Aufmachung.«
»Ich fühle mich auch unheimlich blöd«, gab Lord Jamie Maxwell zurück. »Wo ist mein Schwert?«
»Hier. Habt Ihr den Bergfried gesehen?«
»Er sitzt nicht im Turm. Er diniert mit dem verfluchten Landeshauptmann. Und mit seinen Gästen.« Jamie machte eine wirkungsvolle Pause. »Den Carletons.«
Big Jock ließ dieses besondere Geräusch vernehmen, das er Lachen nannte. »Aye? Das kann ja lustig werden.«
»Oder unser beider Tod. Sind Robin und seine Männer in Stellung gegangen?«
»Halbwegs zwischen hier und dem Tor. Er kann sie sehen, aber sie sehen ihn nicht.«
»Gib den anderen ein Zeichen, daß sie uns ins Haus folgen sollen, einer nach dem anderen.«Jamie hob sein Schwert zu einem gespielten Salut, und Big Jock konnte das Lächeln in der Stimme Seiner Lordschaft förmlich hören.
»Also gehen wir meinen Bruder aus den Klauen des Bösen retten, und nebenbei, Jock, werde ich vielleicht etwas tun, was ich sehr sehr zu bereuen haben werde.«
»Aye, Mylord?« Big Jock seufzte. »Aber dann doch wir alle.«
Sir Thomas schlug mit der Faust auf den Tisch. Dabei kippte ein Weinglas in die halb leer gegessene Platte mit Speisen. »Gebt meiner Tochter ein Schwert in die Hand, und sie ist jedem Mann ebenbürtig!«
»Vater ... bitte«, Alexia protestierte.
Seymour neigte sich zu ihr herab. Sein Gesicht war von dem guten Essen gerötet. Er starrte sie mit erschrockenen, etwas unsicheren Augen an.
»Das Schwert, mein Liebes? Ich hatte keine Ahnung.«
Malcolm Maxwell rührte mit seinen Fingerspitzen in einer Weinpfütze.
»Ich würde Euch kaum herausfordern können, Madam. Die Zeit eines Fechtmeisters ist zu teuer, als daß man sie an einen Krüppel verschwendet hätte.« Seine schmalen Lippen verzogen sich zu einem hämischen Lächeln. »Zumindest pflegte das mein Herr Vater, der Lord, zu sagen.«
»Das Schwert«, sagte Seymour wieder, kopfschüttelnd.
»Dann fordert sie heraus, Howard«, Sir Thomas gab niemals auf, wenn er meinte, eine gute Idee gehabt zu haben. »Ein gespieltes Duell, ja? Wenn Ihr es wagt.«
»Jetzt?« fragte Seymour.
Alexia hob den Kopf, und ihr Blick traf ein spöttisch dreinschauendes Augenpaar Maxwellscher Abstammung. Eine unvernünftige Wut packte sie, und sie ballte ihre Hände in ihrem Schoß zu Fäusten. Sie wandte sich an ihren Verlobten. »Nun, Seymour? Wagst du es?«
Sie schoben den Tisch an die Wand, während ein Diener ausgesandt worden war, um ein Paar Rapiere zu holen. Seymour zog sich bis aufs Hemd aus, und Alexia legte ihre Krinoline ab. Es war auch ohne den großen Reifen um ihre Hüften nachteilig genug, daß sie in ihren Röcken fechten mußte.
Seymour übergab ihr mit einer weit ausholenden Verbeugung einen Degen mit dem Griff nach vorn. Er nahm diesen Kampf nicht ernst, nahm sie nicht ernst, das wußte sie. Außerdem hatte er viel mehr Wein getrunken als sie. Seine Sinne würden getrübt sein, seine Reaktionen zu langsam. Als sie den Degen aus der Scheide zog, stellte sie fest, daß sie schon jetzt Seymour als ihren Gegner betrachtete, als einen Feind, den man übertreffen mußte.
Es war eine italienische Waffe, von der Spitze bis zum Knauf vier Fuß lang. Die starken Muskeln und Sehnen an ihrem Handgelenk spannten und dehnten sich, als sie ein paar Übungsstöße und Hiebe ausführte, um das Gewicht und die Stoßkraft des Rapiers zu prüfen. Dann kreuzten sie die Klingen, und das Duell begann.
Sie tauschten ein paar leichte Hiebe und Stöße, so daß sie die Schnelligkeit und den Rhythmus des anderen abschätzen konnten. Alexia merkte sofort, daß Seymour zu sehr auf der Hut war. Sie prüfte ihn, indem sie seine Klinge hochschlug und dann einen tiefsitzenden Hieb landete, und wenn es ein echter Kampf gewesen wäre, hätte sie schon jetzt sein Blut vergossen.
Auch Seymour wußte das. Er preßte die Lippen aufeinander und begann, ernsthaft anzugreifen. Alexia ging zurück, mit dem Rücken zur Tür und in Richtung auf den einzigen Bereich im Zimmer, den die flackernden Binsenlichter nicht erleuchteten.
Sie hörte das Kratzen von Stiefeln eines Bediensteten auf der Treppe und das Geräusch eines Schlüssels, der sich im Türschloß drehte. Sie wählte diesen Augenblick, um in den Schatten zu treten. Seymour kniff die Augen zusammen und erkannte ihre Strategie, die Dunkelheit als Schutzschild zu benutzen. Gerade wollte er seinen Kommentar dazu abgeben, als die Tür aufgerissen wurde und gegen die Wand schlug. Anders als Alexia, hatte er das nicht erwartet. Sein Mund blieb offen und sein Arm erstarrt in der Luft stehen. Sie parierte seinen unterbrochenen Stoß mit einer kreisenden Abwehrbewegung, die das Heft seines Rapiers traf und die Waffe durch das Zimmer schleuderte.
Der Eindringling war kein Diener. Sie erkannte das in der Sekunde, die Sir Thomas brauchte, um ungläubig loszubrüllen, und die Malcolm brauchte, um in freudiger Überraschung über das ganze Gesicht zu strahlen.
Im nächsten Augenblick schwang sie ihr Rapier hoch und herum, bis es klirrend auf die erhobene Klinge von Jamie Maxwells starkem Schwert traf.