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KAPITEL 3

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Lord Jamie Maxwell hob instinktiv sein Schwert, um dem Hieb des Rapiers zu begegnen. Die Wucht des Stoßes stauchte sein Handgelenk, aber an der harten Kante seiner großen Klinge zerbrach die empfindlichere Waffe. Mit einer raschen Bewegung hatte er dem Mädchen das Heft aus der Hand geschlagen, und die Waffe war auf die Binsenmatten am Boden gefallen. Er richtete die Spitze seines Schwertes auf ihre Brust.

»Bewegt Euch nicht!«

Ein Lichtstrahl traf den blanken Stahl, und das Mädchen zuckte zusammen. Jamie starrte in ein Paar unvergeßliche bernsteinfarbene Augen, und er war sich des Feuers, das in ihrer beider Blicke lag, bewußt.

»Keiner von euch bewegt sich«, wiederholte er mit kalter und strenger Stimme, »oder sie stirbt durch dieses Schwert.«

Jamie Maxwell war ein Tatmensch, und das bewies er jetzt wieder, indem er seine Stimme und seine Miene auf überzeugende Weise grausam wirken ließ. Seymour Howard war einen Schritt auf ihn zugegangen und dann erstarrt. In seinen Augen stand Angst, aber auch gespannte Aufmerksamkeit; der alte Sir Thomas ballte die Fäuste und brummte in hilflosem Zorn.

Jamie wandte seinen Blick wieder zu Alexia Carleton, die mit hochmütigem Gesichtsausdruck dastand. Entweder war sie weniger leicht zu übertölpeln oder weniger leicht in Angst zu versetzen als die anderen. Ihre Miene wirkte so erhaben, daß er einen wilden Lachanfall unterdrücken mußte.

»Ihr verdammter, räuberischer. Maxwellscher Schuft!« röhrte Sir Thomas. »Wenn Ihr sie auch nur ankratzt, werde ich ...«

»Malcolm, hat dich jemand am Fußboden festgenagelt?« fragte Jamie, und Malcolm schreckte auf. »Erleichtere diese Herren um ihre Degen und ...« Er hörte Schritte hinter sich im Treppenhaus und sah, wie Alexia ihn anstarrte. »Aha, Jock«, sagte er und drehte sich nicht einmal um. »Was ist mit den Wachen?«

»Alle hinüber, wie Säufer in einem Bierfaß.« Big Jock mußte sich ducken, um unter dem Türbogen durchzukommen. »Mann, die haben da aber ganz schön Silber ausgestellt in dem Saal.«

»Beherrsch deine unedle Habsucht, Jock. Wir haben es ein ganz klein bißchen zu eilig.«

Jock lachte brummend in sich hinein und schob den Griff einer abgerundeten Axt in seinen Gürtel. In der einen Faust hielt er eine Rolle Seil, und die warf er Malcolm zu.

»Gibt es keine Ehre mehr in Schottland?« giftete Seymour Howard, als ihm Malcolm seine Gelenke hinter dem Rücken zusammenband. »Ihr habt Euer Wort gegeben, daß Ihr nicht zu fliehen versuchen werdet.«

»Er flieht doch gar nicht«, kam es gedehnt aus Jamies Ecke. »Er wird bloß ein bißchen gerettet.«

Alexia schnaubte verächtlich, und Jamie lächelte sie an, aber seine Schwertspitze bewegte sich nicht.

Sir Thomas spuckte aus. »Euer Clan wird hierfür bezahlen müssen, Maxwell. Wir werden Euch zur Hölle schicken, und Ihr werdet Eure Tage am Galgen baumelnd beschließen ...« Sir Thomas’ Gebrumm wurde von Big Jock unterbrochen, der dem alten Mann eine zusammengeknüllte Serviette in den offenen Mund stopfte. Alexia versuchte zu protestieren.

Jamie konzentrierte seine Aufmerksamkeit wieder auf sie. Er fragte sich, warum sie mit einem Degen auf ihren Verlobten losgegangen war. Offensichtlich hatte sie ihren Hang zu verrückten und ungewöhnlichen Streichen noch immer nicht überwunden. Was die anderen Eigenschaften betraf, an die er sich erinnerte – ihre Anlagen zu Anmut und Schönheit, zu einer seltenen Geistesstärke, die er in einem schlaksigen, jungen Mädchen an einem heißen Herbsttag entdeckt hatte, als er selbst erst siebzehn war – all diese Anlagen waren in der Frau, die jetzt trotz der Bedrohung durch sein Schwert furchtlos vor ihm stand, voll zutage getreten.

Er riß sich von dem Anblick ihrer bernsteinfarbenen Augen los, betrachtete ihre festen, schön geschwungenen Lippen und senkte den Blick dann auf den viereckigen Ausschnitt ihres Mieders, unter dem sich ihre Brüste sanft hoben und senkten. Er meinte, ihren Herzschlag förmlich sehen zu können, und wußte plötzlich, daß er sie haben wollte, daß er sie so sehr begehrte, wie er es nie für möglich gehalten hatte. Es kam ihm vor, als hätte er sie immer haben wollen und sein ganzes Leben auf sie gewartet.

Er hob den Blick, und sie sahen einander an. Ganz bewußt ließ er seine Gedanken, seine Absicht, auf seinem Gesicht widerspiegeln.

»Das würdet Ihr nicht wagen!« zischte sie durch zusammengebissene Zähne.

Er lächelte und flüsterte sanft: »Für Euch, Alexia Carleton ... würde ich alles wagen.«

Irgend etwas blitzte in diesen unglaublichen Augen – Angst, Verachtung. Vielleicht auch Triumph. Der Gedanke, daß es Triumph sein könnte, erschreckte ihn so sehr, daß er plötzlich finster dreinblickte.

Er bemerkte, daß Big Jock etwas gesagt hatte. »Was?«

»Das Mädchen, Mylord?«

»Stopf ihr den Mund, und fessle nur ihre Hände. Sie kommt mit uns.«

»Das könnt Ihr nicht!« schrie Seymour, und Malcolm stopfte ihm lachend eine Serviette in den Mund.

Schnell band Big Jock Alexias Handgelenke fest zusammen. Da er keine weitere Serviette fand, riß er mit seinem Degen ein Stück vom Tischtuch ab und band es ihr um den Mund. Er hob den Blick und sah die bekannte Begeisterung in den Augen Seiner Lordschaft blitzen, und ein breites Grinsen trat auf sein zerfurchtes Gesicht.

»Ist das das winzige Etwas, das wir alle bereuen werden?«

»Ja«, lachte Jamie.

Big Jock schnalzte mit der Zunge. »Und Ihr wolltet mich nicht einmal ein bißchen Silber stehlen lassen.«

Jamie packte Alexia am Arm und zog sie an Seymour und Sir Thomas vorbei, die auf den Binsenmatten zusammengebunden lagen wie zwei erlegte Wildgänse, bereit, gerupft zu werden. Als er das Schaudern durch ihr dichtes Ärmelfutter spürte, betrachtete er sie erstaunt, aber er sah nur Wut, keine Angst, in ihrem Gesicht.

Er betrachtete Sir Thomas von oben. »Wenn Ihr sie zurückhaben wollt, macht das fünfhundert Pfund ... und das Schwert meines Großvaters.«

Sir Thomas ließ erstickte Wutgeräusche hinter dem Knebel hören und kämpfte gegen seine Fesseln. Seymour Howard dagegen bewegte sich nicht. Er starrte nur hinauf zu Jamie, Haß glühte wie ein Torffeuer in seinen dunklen Augen, und sie gaben einander ein lautloses Versprechen, ein Versprechen auf Rache und Tod. Ein Versprechen zwischen zwei Männern, die wußten, daß sie beide die gleiche Frau wollten und daß nur einer von ihnen sie bekommen konnte.

Bis zum Morgengrauen hatte sich der Regen in dichten Dunst verwandelt. Alexia war noch nie so naß und elend gewesen. Einer der Schotten hatte ihr einen Mantel geliehen, aber innerhalb kurzer Zeit war auch der durchnäßt. Sie saß hinter Jamie Maxwell auf dem Rücken des Pferdes, die Arme um seine Mitte geschlungen. Und es war nur ein geringer Trost für sie, daß dieser diebische schottische Schuft in seinen dünnen Lehrlingslumpen noch nässer war und noch mehr frieren mußte als sie.

Sie war, über seine Schulter geworfen wie ein Sack Steckrüben, durch eine unverriegelte Hintertür der Vorratskammer hinausgetragen worden. Keine Spur von der Burgbesatzung, aber einige Schotten, die plötzlich in ihren Stülphelmen und Lederwamsen mit Äxten und Hellebarden bewaffnet aus dem Nichts aufgetaucht waren, um ihnen auf ihrer Flucht Deckung zu geben. Im Schutz der Dünen, die hinter dem unterhalb der Burg dahinfließenden Fluß Eden aufragten, warteten die Pferde in der Obhut zwei weiterer Schotten auf sie. Schon jetzt führte der Eden sehr viel Wasser, und Alexia sah mit Entsetzen, daß, wenn nicht bald Alarm geblasen würde, jede Hoffnung auf Verfolgung und Rettung vergebens wäre. Sie blickte zur Burg zurück, und einen kurzen Augenblick lang schlug ihr Herz schneller, denn sie sah eine Gruppe Reiter und faßte Hoffnung, als sie die dunklen Schatten vor den grauen, riesig aufragenden Festungsmauern sah. Im nächsten Augenblick erkannte sie, daß es noch mehr Schotten waren, abgeordnet, um einen Hinterhalt zu organisieren, falls die Verfolgung aufgenommen wurde.

Es war ein wagemutiger, gut durchgeführter Plan gewesen, und Alexia mußte unwillkürlich die Verwegenheit des Mannes bewundern, der sich das ausgedacht hatte. Ein schottischer Räuber mit einer Handvoll Männern war in eine englische Festung geschlichen, hatte eine Geisel aus fremder Hand gerettet und sogar eine neue eigene gewonnen. Und wenn der Tag käme, an dem sie Lord Jamie Maxwell für das Verbrechen hängen würden, wäre sie gern bereit, das Seil und das Schafott zu spendieren.

Sie galoppierten an dem roten Ufer des Esk-Flußes entlang und hinein nach Schottland. Aber anstatt nach Westen in Richtung der Festung der Maxwells in Nithdale zu reiten, ging es weiter nach Norden in die trostlosen Sümpfe des Tarras Moss. Ihre Grenzpferdchen, die in der Lage waren, das schwierigste, sumpfigste Gelände im dichtesten Nebel der schwärzesten Nacht zu durchqueren, hatten sie bald dorthin gebracht, wohin ihnen niemals eine englische Patrouille würde folgen können.

Als der starke Regen etwas nachließ, ritten sie aus dem Moor und begannen, zu den kahlen, rostbraunen Kuppeln der Cheviot Hills hinaufzuklettern. Der Himmel wollte gerade hell werden, als sie vor einigen Hirtenhütten anhielten. Man baute solche Hütten aus Eichenrinden und bewarf sie mit Torf. Die schottischen Hirten verbrachten in ihnen die Sommermonate.

Jamie Maxwell glitt vom Pferd und hob Alexia herunter. Er hatte zunächst außer einigen möglichst kurzen Befehlen nichts zu ihr gesagt, aber als sie die Grenze von Schottland überquert hatten, hatte er anhalten lassen, um ihr den Knebel und die Handfesseln abzunehmen. Dabei hatte er sie so berührt, daß sie es für sanftes Streicheln gehalten hätte, wenn es ein anderer und eine andere Situation gewesen wären. Es war zu dunkel und der Regen zu dicht, um sein Gesicht zu sehen.

Einen Augenblick standen sie nebeneinander, und seine Hand blieb auf ihrer Taille liegen, bis sie sich steif machte und vor ihm zurückwich.

»Alexia, ich ...«, fing er an und unterbrach sich dann. »Kommt herein und trocknet Euch.«

Drinnen war es warm. Ein Torffeuer brannte im Herd, vor dem ein Klapptisch stand, gedeckt mit Roggenbrot und Lederkrügen mit heißem Bier. Man hatte sie offensichtlich erwartet, obwohl von den Bewohnern der Hütte nichts zu sehen war.

»Eßt lieber etwas. Wir reiten in einer halben Stunde weiter«, sagte er hastig und verschwand wieder nach draußen.

Alexia breitete den durchnäßten Mantel über einem Hocker vor dem Feuer aus. Sie zog die Nadeln und Bänder aus ihrem Haar, schüttelte es und versuchte, es mit ihren Fingern zu kämmen. Der Regen hatte das Scharlachrot der hübschen seidenen Bänder zu einem matten Rosa verfärbt. Sie benutzte eines, um ihr dichtes, bis zur Taille reichendes Haar aus dem Gesicht zu binden. Ein Kratzen an der Veranda schreckte sie auf, dann humpelte Malcolm Maxwell in die Hütte. Er riß ein Stück Brot ab und hielt es ihr hin.

Sie schüttelte den Kopf. »Ihr habt ihn gestern abend erwartet, nicht wahr?« fragte sie.

Malcolm lachte: »Im nächsten Winter werden sie darüber Balladen an den Herdfeuern singen. Es war genau die Sorte verrückter, hirnrissiger Pläne, die meinem Bruder Spaß machen.« Er zuckte mit seiner schiefen Schulter. »Natürlich habe ich ihn erwartet. Er hat einen Spitzel in der Burg. Übrigens mehr als einen.«

»Seymour hat Euch vertraut.«

Malcolm schüttete etwas Bier aus einem größeren Krug. »Ich will Euren Verlobten nicht herabsetzen, meine Liebe, aber Seymour Howard ist ein Narr. Aber mein Bruder hat die Angewohnheit, die meisten Männer lächerlich wirken zu lassen ...« Dann sah er sie zweideutig an. »Und die Frauen.«

Draußen auf dem Rasen hörte man das Dröhnen vieler Hufe und dann laute Begrüßungen. Malcolm trat aus der Tür, Alexia folgte. Ein Reiter sprang vom Pferd, noch ehe es vollständig angehalten hatte, warf die Zügel und seinen Stülphelm dem nächsten Mann in die Hände und ging mit einem breiten Lächeln auf Malcolm zu.

»Robin!« rief Malcolm. »Hattest du Gelegenheit, ein paar Engländern die Köpfe einzuschlagen?«

»Nein, die Bastarde ergriffen das Hasenpanier, als sie uns sahen.«

Alexia fiel es nicht schwer, diesen Maxwell als den Sohn des alten Lords zu identifizieren. Er hatte den gleichen Schopf feuerroter Haare und einen ebenso hellen sorgfältig geschnittenen Bart, der sein ganzes Kinn bedeckte. Grüne Maxwell-Augen schimmerten vor Freude, als er seinen jüngeren Bruder umarmte und ihm einen mächtigen Schlag auf den Rücken versetzte, der Malcolm fast zu Boden warf.

»Er hat dich rausgeholt! Ich kann es kaum fassen.« Dann bemerkte er Alexia, und sein Lächeln verschwand. »O Gott, was hat er denn noch angestellt?«

»Er hat nur Sir Thomas Carletons Tochter entführt«, meinte Malcolm lapidar.

»Carletons Tochter. Herrgott! Der König wird seinen Kopf dafür haben wollen. Warum, um Gottes willen, hat er das getan ...«

»Für fünfhundert Pfund und das Schwert unseres Großvaters.«

Bei diesen Worten kam Jamie Maxwell aus der Tür der nächststehenden Hütte. Er hatte sich gewaschen und die Lehrlingskleidung gegen ein Batisthemd und Reithosen aus weichem Wollstoff in hohen Lederstiefeln eingetauscht. Er trug sein Lederwams lässig über die Schulter geworfen, und sein blondes Haar, vom Regen dunkler gefärbt, lag eng um seinen Kopf geschmiegt.

»Du Lügner«, lachte Malcolm. »Du hast sie mitgenommen, weil sie hübsch ist und du sie haben willst. Gib’s zu!«

Jamie ignorierte ihn. »Wurdet ihr verfolgt, Robin?«

Robin Maxwell sah Alexia so intensiv und prüfend an, daß sie errötete. »Nein ... nein, wir wurden nicht verfolgt.« Er wandte sich an seinen Bruder. »Jamie, bring sie zurück.«

»Nein.«

»Um Himmels willen, Jamie. Es lohnt sich nicht, für sie zu sterben ...«

Jamie grinste und sah Alexia an, die ihn so böse anfunkelte, daß er wieder lachen mußte. »Robin, das war nicht sehr galant von dir. Alle schönen Frauen halten sich für wert, daß Männer für sie sterben.«

»Du kannst sie nicht nach Caerlaverock bringen. Mutter würde ...«

»Ich bringe sie zu Tante Mad in Kilchurn. Wenn das Lösegeld ankommt, laß es mich wissen, und ich werde sie sicher in Howards Arme zurückführen. Und in mehr oder weniger dem gleichen Zustand, in dem ich sie bekam.«

Er sah zu ihr hinüber, und in seinen schummrig-grünen Augen stand der Schalk genau wie an jenem Tag bei der Grenzland-Versammlung. Dann lächelte er, und wieder schien der Junge von damals durch, aber nur solange er lächelte.

Für ihn ist es nur ein Spiel, dachte sie. Ein Räuber-und-Gendarm-Spiel gegen Seymour und ihren Vater, der Schotten gegen England. Er benutzte sie nur, um jene zu demütigen und zu besiegen.

Sie betrachtete ihn, wie er wegging, um einen Schwall von Befehlen an seine übrigen Männer loszulassen. Er bewegte sich mit der gleichen Aura adeliger Eleganz, die ihr schon das erste Mal aufgefallen war. Er war jeder Zoll ein Lord. Sie wunderte sich, daß er die Wachen auf Burg Carlisle so hatte täuschen können, daß sie ihn durch das Tor ließen, trotz seiner schmutzigen Verkleidung.

Plötzlich merkte sie, wie Robin und Malcolm sie beobachteten, und riß sich von Jamie Maxwells Anblick los.

»Ich darf nicht zulassen, daß Ihr in Bedrängnis geratet«, bemerkte Malcolm mit einem hochnäsigen Lächeln, das einen verrückt machen konnte. »Er wirkt auf jeden so.« Und Alexia spürte, wie brennende Schamröte in ihr Gesicht stieg.

Robin seufzte und schüttelte den Kopf. »Eines Tages wird er zu weit gehen.«

Die Männer stiegen auf und ritten in kleinen Gruppen weg, bis nur noch Alexia und die Maxwell-Brüder zurückblieben. Alexia ging wieder in die Hütte, um ihren Mantel zu holen.

Sie saß am Klapptisch und kaute auf einem Stück Brot, dabei dachte sie an Flucht. Sie hatte noch nie von einer Burg Kilchurn gehört, das hieß, sie lag nicht im Grenzland, sondern irgendwo tiefer im Innern Schottlands. Wenn sie fliehen wollte, müßte das bald geschehen, solange sie noch den Weg nach Hause finden konnte. Wie es anstellen war eine andere Frage. Sie würde ihn nie überwältigen, noch schneller laufen oder schneller reiten können als er. Sie hatte bereits die Hütte nach irgendeinem Gegenstand durchsucht, den sie als Waffe benutzen konnte, und war dabei sogar auf Händen und Knien über die verrotteten und wurmstichigen Binsen gekrochen, aber sie hatte nichts gefunden. Sie würde ihn überlisten müssen.

Ein Schatten verdunkelte den Türeingang, und als sie aufsah, erkannte sie Robin Maxwells stämmige Silhouette. Er betrat die Hütte und warf sich neben sie auf eine Bank.

»Gieß mir Bier ein«, forderte er.

Sie wollte ihm gerade sagen, er solle sein verdammtes Bier selber eingießen, als sie einen gewissen Ausdruck auf seinem Gesicht bemerkte. Wortlos hob sie den schweren Lederkrug mit beiden Händen hoch und kippte ihn über eine Deckelkanne. In diesem Augenblick spürte sie, wie etwas in ihren Schoß fiel.

»Danke«, sagte Robin. Er stand auf, nahm das Bier und ging weg.

Alexia sah hinunter in ihren Schoß. Es war ein altmodisches Speisemesser, schmal und etwa sechs Zoll lang. Ein Messer, wie es die Gäste mitzunehmen pflegten, wenn sie auswärts aßen. Sie versteckte es zwischen ihrem Mieder und dem Brusttuch.

Warum hatte Robin es ihr gegeben? Natürlich wollte er, daß sie flieht; er war mit dem, was sein Bruder getan hatte, nicht einverstanden. Aber mußte er nicht befürchten, sie würde es bei der ersten Gelegenheit benutzen, um Lord Maxwell umzubringen? Vielleicht meinte er, sie als Frau hätte keinen Mut, damit zu drohen. Wenn Robin dachte, sein Bruder sei mit Drohungen einzuschüchtern, kannte er offenbar Jamie Maxwell überhaupt nicht. Und wenn er annahm, sie hätte Skrupel, ein Messer in einen lügnerischen, räuberischen Schuft von Schotten zu stoßen, dann kannte er sie nicht.

»Halt!«

Jamie zügelte das Pferd und drehte sich um. »Was ist los?«

»Ich muß mich ausruhen.«

»Ausruhen? Wir sind erst ein paar Stunden geritten. Ich wußte nicht, daß englische Mädchen so empfindlich sind.«

Den Seitenhieb ignorierend, glitt Alexia aus ihrem leichten Damensattel und sah sich um. Öde Hügelketten, bedeckt mit Gras und häßlichen Klumpen aus Adlerfarn, übersät mit Felsbrocken, so weit das Auge sehen konnte. Der Wind blies ihre Röcke platt gegen die Beine und peitschte ihre Haare um das Gesicht. Er blies in das Gras, so daß kleine Wellen entstanden, wie die, die sich auf einem See kräuseln. Ein Zwergfalke kreiste über ihnen auf der Suche nach Futter.

Jamie stieg neben ihr ab. Sie machte sich auf den Weg zu einer dichten Ansammlung von Felsen und Bergheide.

Er holte sie ein. »Wo geht Ihr hin?«

»Was meint Ihr wohl?«

»Ich glaube, ich gehe besser mit Euch.«

»Zum Teufel noch mal. Kann ich mich nicht einmal erleichtern, ohne daß Ihr mich anglotzt wie ein geiler kleiner Junge?« Sie ließ ihren Mund weich und zitternd erscheinen. »Habt Ihr mich nicht genug erniedrigt?«

Er errötete ein klein wenig und blieb stehen. Aber sie ging weiter auf die Schutzwand aus Felsen und Buschwerk zu, ohne sich umzudrehen.

Sie verschwand dahinter, bückte sich, riß ein gutes Stück aus ihrem Unterrock heraus, breitete den Stoff auf dem Boden aus und ließ die eine Ecke hinter einem der Büsche hervorschauen. Dann kroch sie tief am Boden entlang und hinunter in eine mit Schlamm und Felsbrocken übersäte Schlucht. Als sie meinte, weit genug weg zu sein, so daß er sie nicht hören konnte, begann sie zu laufen. Sie achtete nicht auf die scharfen Steine, die das weiche Leder ihrer Schuhe durchbohrten.

Die Cheviots sind trostlose Hügel, von vielen kleinen Rinnsalen und schroffen Klippen durchzogen, wo man sich an tausend Stellen verstecken konnte. Aber es war sein Land, mit dem er sicherlich sehr vertraut war, genauso wie sie jeden Zoll des wandernden Morastes um Thirlwall Castle herum kannte. Also rannte sie so schnell wie möglich, bis das Seitenstechen unerträglich wurde. Je mehr Abstand sie zwischen ihn und sich bringen konnte, bevor er ihre Flucht entdeckte, um so besser, denn dann würde er seine Suche einschränken müssen, und sie hätte eine Chance, eine winzige Chance, ihm zu entkommen.

Und Jamie Maxwell zu entkommen wäre nur der Anfang. Sie müßte dann ihren Weg durch eine feindliche Landschaft zurück nach England finden, von räuberischen Clans und wandernden Banden Gesetzloser bedroht und von Männern, die ihr den Hals durchschneiden würden, um an die Perlen in ihren Ohren zu kommen.

Sie rannte in eine Sackgasse und schlitterte hinein, bis es nicht mehr weiterging. Sie wurde von Panik ergriffen, und sie atmete heftig. Anstatt zurückzuweichen, zog sie sich an einem steilen Felsen hoch, hielt sich an dem rauhen Buschwerk fest und steckte ihre Fußspitzen zwischen die Felsen. Sie riß sich die Handflächen und Knie wund, und eine ihrer Schuhsohlen wurde in der Mitte aufgeschlitzt. Sie spürte etwas Klebriges an ihren Füßen, aber ob es Schweiß oder Blut war, konnte sie nicht sehen und wollte es auch nicht wissen.

Als sie die Spitze des Felsens erreicht hatte, blieb sie stehen und sah hinunter. Sie rang nach Luft. Das weit in die Ferne reichende Ödland da unten sah leer aus. Sie lauschte angestrengt. Das Hufeklappern der Verfolger war nicht zu hören, nur das anhaltende Heulen des Windes.

Als sie sich mühselig erhoben hatte, wandte sie sich um und wollte weiterrennen. In dem Schwung stieß sie an die Metallplättchen auf einer Lederjacke. Da schlangen sich starke Arme um ihren Leib, und sie wurde hochgehoben. Sie schrie erschrocken auf und hieb um sich. Es gelang ihr, einen heftigen Stoß mit dem Ellenbogen zu landen. Er fluchte und ließ sie los. Aber sie hatte nur ein paar Meter gewonnen, denn er griff sie von hinten erneut an, packte sie um die Hüften und zog sie hinunter auf den harten, steinigen Boden. Er fiel zusammen mit ihr hin und rollte auf sie. Sie schwang ihre Faust. Aber er konnte sie leicht abwehren, packte ihr Handgelenk und hielt es über ihrem Kopf fest.

Sie schaute in lachende grüne Augen.

»Du kleine Närrin«, neckte sie Jamie Maxwell und gab ihr einen Kuß.

Seine Lippen lagen fest und doch zärtlich auf ihrem Mund, und in ihr löste sich etwas, das sie fest unter Kontrolle gehabt zu haben glaubte. Sie schien unter seiner Wärme dahinzufließen wie Butter auf einem frischen, warmen Brotlaib. Einen ganz kleinen Augenblick lang vergaß sie, wie er sie benutzen wollte, vergaß, wie sehr sie ihn haßte, vergaß alles, spürte nur diese arrogante, rauhe Männlichkeit und das Gefühl seiner Lippen auf ihrem Mund.

Sie riß sich los. »Wollt Ihr jetzt Euren anderen Verbrechen auch noch Vergewaltigung hinzufügen, Mylord?«

Er lächelte spöttisch. »Das klingt verdächtig nach Einladung.«

»Ooh! Wenn Ihr meint, daß ich ... ich hasse Euch! Ich würde lieber sterben als ...«

Sein Mund schloß sich über ihrem, diesmal fordernder. Seine Zunge zwang sich durch ihre Lippen und preßte gegen ihre Zähne. Sie widerstand noch einen Augenblick, dann aber entspannte sich ihr Mund, und sie küßte ihn wieder.

Er ließ ihre Handgelenke los, um ihren Kopf zu streicheln. Seine Lippen wanderten weiter, weg von ihrem Mund, und entdeckten die empfindliche Stelle unter ihrem Ohr. Sie stöhnte leise.

»Lieber Gott«, murmelte er. »Alexia, Alex ...«

Er streichelte ihre Brüste mit der rechten Hand, seiner Schwerthand, und die Schwielen an seinen Fingern fühlten sich rauh auf der empfindlichen Haut an und erregten sie. Ihre Bauchmuskeln strafften sich, und sie spürte die harten Metallplättchen seines Jacketts. Sie fühlte auch eine andere Härte, voller Begierde und Verlangen.

Ihre Finger zwängten sich zwischen ihrer beider Körper und unter ihr Mieder und schlossen sich um den Griff des Messers.

Er sprach sanft, sein Atem warm an ihrem Hals. »Sag mir noch mal, wie sehr du mich haßt ...« Er hob den Kopf, um sie anzusehen, seine Augen waren so dunkel, fast schwarz.

Er mußte die Absicht an ihrem Gesicht abgelesen haben, denn er warf sich in dem Augenblick zur Seite, als sie zustieß. Das Messer kratzte an seinem Oberarm entlang, zerschnitt leicht seinen dünnen Hemdenstoff und stach in sein Fleisch.

Er entwand ihr das Messer, ehe sie noch einmal zustechen konnte und warf es über die Felskante. Es glitzerte in der Sonne, als es durch die Luft schwirrte und zwischen den Felsen verschwand.

Er setzte sich zurück auf die Knie, eine Hand fest auf den Schnitt in seinem Arm gepreßt. Das Blut quoll zwischen seinen Fingern hervor. »Verflucht, Alexia. Das war ein neues Hemd.«

»Ich hoffe, Ihr verblutet daran.«

Er zog sie grob auf die Füße. Mit eiskalter Miene fragte er sie: »Welcher meiner Brüder hat dir das kleine Spielzeug gegeben? Macht nichts, ich kann es erraten. Zieh dich aus.«

Alexias Unterkiefer fiel herab. »Warum ... was wollt Ihr tun?«

»Du bist zu begeistert von scharfen Waffen, meine Süße. Ich will sichergehen, daß du nicht noch eine kleine Überraschung irgendwo für mich versteckt hast. Also zieh dich aus, oder ich werde es für dich tun.« Er tat einen Schritt auf sie zu.

Mit zitternden Fingern fing sie an, die Haken an ihrem Mieder zu öffnen. »Ihr werdet nicht hingucken?«

»Was für einen Sinn hätte es, wenn ich nicht aufpassen würde?«

Er paßte sehr wohl auf. Ärmel, Rüschen, Leibchen, Mieder, Röcke und Unterrock häuften sich zu einem kleinen Berg auf dem Boden zu ihren Füßen. Sie hielt inne, als sie bei ihrem Korsett mit seinen steifen Eisenstäben angekommen war. »Weiter«, sagte er mit ausdruckslosem Gesicht.

Ihre Finger zitterten so heftig, daß er ihr mit den Schnüren helfen mußte. Das Blut war durch seinen Hemdsärmel gedrungen und tropfte jetzt in den Schmutz. Der Schnitt war tiefer, als sie gedacht hatte. Es tat ihr leid; jetzt würde er sie hassen.

»Du brauchst das nicht«, sagte er, und seine Stimme war rauh. Das Korsett folgte dem Messer über den Felsen. »Du bist sowieso dünn genug.«

Der heiße, brennende Blick in seinen Augen erregte sie wieder. Sie schwankte leicht, und er stützte sie mit einer Hand unter ihrem Ellenbogen. Seine Berührung ließ sie erschauern. Sie fühlte sich heiß und kalt zugleich, sehnte sich nach etwas und fürchtete sich gleichzeitig vor dem, was sie begehrte.

Die Augen auf seinem Gesicht, fingerte sie an den Bändern ihres Unterhemds.

Er bedeckte ihre Hände mit seinen: »Nein. Das reicht.«

Sie dachte schon, er würde sie wieder küssen, als er den Kopf neigte, aber er tat einen Schritt zurück, bückte sich, hob ihre Kleider auf und warf sie ihr in die Arme.

»Zieh dich an. Ich hol das Pferd.« Im Weggehen drehte er sich um und rief: »Lauf nicht wieder weg.«

Sie schüttelte den Kopf. Ihre Kehle war wie zugeschnürt, so daß sie kaum sprechen konnte. »Jamie ... ich wollte Euch nicht umbringen.«

Ein amüsiertes Lächeln spielte um seinen Mund. »Sicher, das wolltest du nicht.«

Im Herzen des Hochlandes

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