Читать книгу Der Liebesentzug - Pernille Rygg - Страница 3
ОглавлениеBei der Abzweigung zu seinem Haus bleibe ich stehen. Der Nieselregen hat aufgehört, der Wald für einen Moment alle Geräusche verloren, so, wie er durch Feuchtigkeit und Nebel fast seine Farbe verloren hat. Alles hier ist Grau und verwaschenes Grün, träges Umbra, schmutziggelbes Rindenbraun. Mit Ausnahme von den Brettern seiner abgenutzten Südwand, die ab und zu zwischen den Bäumen zu sehen ist. Streifen von etwas schwerem Rotem in diesem vielen Grau, vom Alter gezeichnetes Messingrot zwischen den dichten Tannen.
Ich halte den Atem an. Nichts zu hören. Aber er ist zu Hause, das weiß ich, denn ich habe seinen Wagen auf den Kiesweg abbiegen sehen, als ich an den Feldern entlang zur Kreuzung ging. Sein blauer Pritschenwagen kam aus der Gegenrichtung, bremste unten an der Kreuzung und fuhr in den Wald.
Vielleicht hat er mich entdeckt. In diesem leichten Regen mit Helly-Hansen-Anzug, Gummistiefeln und gelbschwarzem Rucksack. Es ist möglich. Dass er mich gesehen hat und trotzdem in den Wald abgebogen ist, ohne anzuhalten.
Aus seinem Haus und aus dem Wald ist kein einziges Geräusch zu hören. Kein Rufen. Kein heiseres Jammern. Alles ist einfach still.
So wollen wir es vermutlich auch. Was sonst sollten wir hier suchen, wenn nicht diese Stille?
Amunds Haus liegt nur dreihundert Meter von unserem entfernt, aber es sind dreihundert Meter mit dichtem Wald, ein dunkler und ziemlich lebloser Puffer; einem Pflanzenfeld in unterschiedlichen Wachstumsstadien. Er ist den Weg zu uns nie entlanggegangen, soviel ich weiß. Wann habe ich ihn eigentlich zuletzt gesehen? Vor zwei, drei Wochen? Auch damals ist er nicht stehen geblieben. Er zerrte seinen Hund weiter und war kreideweiß im Gesicht, seine Augen waren schwarz und schauten ins Leere. Der Schnürsenkel an seinem einen Turnschuh hatte sich gelöst und schleifte durch den Kies. Der Hund erhob sich auf die Hinterbeine und kläffte wütend und heiser, als er mich sah, aber er riss das Tier zurück. Die kurze funkelnde Kette zeichnete einen glitzernden Bogen, ehe sie sich wieder wie ein Draht zwischen ihnen spannte. Wie ein Stahldraht zwischen Cäsars anschwellendem Hals und Amunds fest geballter Faust.
Ich blieb stehen, grüßte. Er zog den Hund bis zum Wegrand, um mich vorbeizulassen, ließ den Schnürsenkel durch den Dreck schleifen, registrierte wohl, dass ich stehen geblieben war, ging aber selber weiter. Er sah krank aus, kraftlos, abgesehen von dem Arm, der die Kette festhielt.
Er ist jetzt tot, dieser Hund.
Ich will nach Hause. Dreihundert Meter Kiesweg, vorbei an Amunds Haus. Hier wohne ich jetzt. Hier wohnen wir, Ragne und ich. Ich staune noch immer darüber. Und wir haben einen Hund. Ragne hat einen Hund, wir haben einen Hund, ich wohne in einem Haus mit einem Hund tief im Wald, und wer im Wald wohnt, legt sich oft einen Hund zu, denn die Nächte dort sind dunkel, und sollte jemand kommen, während es dunkel ist, würde der Hund aufwachen.
Er wartet jetzt auf mich, steht zitternd bei der Tür und kämpft gegen den Drang zu bellen, denn er erkennt meine Schritte und weiß, dass ich komme.
Es war ein schneearmer Winter, und wir haben das Gestrüpp vor dem Wohnzimmerfenster schon entfernt. Wir können jetzt den See sehen. Er liegt blank vor und unter uns, unterhalb der Böschung, auf der niedrige, aber dichte Büsche stehen. Da unten werden wir sicher auch fällen müssen. Weiter als bis zum See, der eigentlich nur ein Tümpel ist, können wir nicht blicken. Am anderen Ufer beginnt wieder das Unterholz, es streckt sich den ganzen See entlang und vermischt sich dann mit dem wirklichen Wald, dem unordentlichen und verwucherten, in dem sich Brennholz schlagen lässt, zu viel mehr taugt er nicht. Die Felder sehen wir nicht, aber sie liegen hinter den Bäumen, sie sind weit und sanft.
Im Sommer müssen die Wände des Hauses abgekratzt und neu angestrichen und die Fenster gekittet werden. Aber das Gestrüpp ist zum Glück schon verschwunden. Bei meinem ersten Besuch hier stand es ganz dicht und schwarz vor dem Wohnzimmerfenster. Das ist jetzt über ein halbes Jahr her, und es war auch an einem Sonntag. Das gehört wohl zu den Ragne-Tricks mit dem ersten Besuch, darin zeigt sich vielleicht ihr bisweilen ziemlich seltsamer Sinn für Humor. Doch es war außerdem ein Kristin-Trick, denn auch ich habe gespielt. Das weiß sie nicht.
Irgendjemand – Nikolas, glaube ich – hat mir einmal erzählt, dass er sich zuerst die Bücherregale ansieht, wenn er neue Leute besucht. Auf diese Weise glaubt er, sich ein Bild von den Besitzern machen zu können. Eine bestimmte Sorte von Büchern verrät den Charakter der Besitzer; ich weiß nicht mehr, welche Bücher er meinte, vielleicht Buchclubausgaben, oder waren es Taschenbücher? Aber ich weiß noch, wie empört ich bei der Vorstellung war, wie er mit zusammengekniffenen Augen dastand und Buch um Buch addierte, daraus einen Charakter erhielt, eine entblößte Persönlichkeit sozusagen, die von einem Teil ihrer Habseligkeiten verraten worden war. Seither habe ich versucht, mir fremde Bücherregale nicht zu genau anzusehen, so als könnten sie etwas Intimes enthalten, etwas, mit dem ich lieber nichts zu tun haben will. Wie schmutzige Unterhosen in einem Kleiderschrank oder zwischen zwei Sofakissen versteckte private Briefe.
Ich wüsste gern, ob einzelne Titel seiner Meinung nach auf diese Weise entlarvend wirken, oder ob es die Sammlung an sich sein muss. Vielleicht ist es ja beides.
Wenn jetzt jemand das Haus sähe, zum ersten Mal herkäme, wie ich vor einem halben Jahr, wenn jemand zufällig oder scheinbar zufällig herkäme, wie würde diese Person dann die Baumstümpfe deuten? Würde sie sich die gelblichen Schnittflächen ansehen, die noch die Überreste von Gestrüpp und Unterholz aufweisen, oder würde sie eher auf die Wandbretter achten, auf die undichten Fenster, und sich vorstellen, dass jemand eine Arbeit angefangen und aufgegeben hätte, resigniert, weil es zu viel war? Vielleicht würde diese Person denken, dass das Unterholz entfernt worden sei, weil jemand – eine abwesende Besitzerin, ein Nachbar – Holz benötigt hätte?
Dann würde sie durchs Fenster schauen. Und etwas finden, was sie in ihrer Vorstellung bestärken würde. Oder diese entkräften würde. Vielleicht würde das graue Wetter ihre Gedanken lenken. Das graue Wetter und der Hund, der bellt, weil er nicht weiß, wer da kommt. Meine Schritte kennt er und kann sich deshalb beherrschen, aber auch das ist oft ein harter Kampf.
Natürlich kannte ich den Inhalt von Ragnes Bücherregalen schon, als ich zum ersten Mal mit ihr hier war, so, wie das der Fall ist, wenn man sich im Laufe der Zeit häufiger an einem Ort aufhält, und es sich nicht vermeiden lässt, dass man diese Dinge registriert, auch wenn man nicht sucht, nicht forscht.
Wenn ich gewollt hätte, hätte ich ausgiebig in ihren Habseligkeiten herumstöbern können, um etwas zu finden, was immer neue Züge an ihr entlarven könnte, im Bücherregal oder anderswo. Ich hätte mit einem solchen Ziel vor Augen ihren Küchenschrank durchsuchen, hätte aus den Brotkrümeln ganz hinten Zeichen und Bedeutung herauslesen oder dem Fehlen von Brotkrümeln einen besonderen Sinn beimessen können.
Dazu geben wir uns die Möglichkeit, wenn wir lange schlafen, wie Ragne das an ihren freien Wochenenden tut. Oder wenn wir uns gegenseitig Zugang zu den Gegenständen gewähren, die uns umgeben. Wir deuten. Sagt es etwas über Ragne aus, dass der kleine Tisch in ihrer Küche eine Resopalplatte hatte statt einer aus Holz? Dass der Sessel vor ihrem Wohnzimmerfenster mit verschlissenem grünem Velours bezogen war? Erzählte das etwas über ihren Charakter? So, wie ich es vermied, die Bücher in ihrem Regal zu einem einzigen Buch zusammenzuziehen, das ihre Person beschrieb, vermied ich es auch, die Gegenstände, die sie umgaben, als Installation zu betrachten, als Ragne, beschrieben als räumliche Form.
Die Wohnung war immer tadellos aufgeräumt, wenn ich Ragne in der Jac Aalls Gate besuchte, so, wie auch dieses Haus hier aufgeräumt ist. Damals war ich zumeist an den Wochenenden bei ihr. Manchmal auch mitten in der Woche, meistens aber an den Wochenenden. Es wäre also denkbar, dass sie den Hausputz gemacht hat, ehe ich kam, dass sie meinen Besuch vorbereitete. Aber das konnte ich nicht wissen, auch wenn ich oft dort war.
Einmal kam ich auf jeden Fall unerwartet, in der ersten Nacht. Aber vielleicht auch nicht. Das ist eine ulkige Vorstellung. Möglicherweise hatte sie die Wohnung geputzt, für den Fall, dass sie nicht allein nach Hause käme. Es machte mir Freude, sie so vor mir zu sehen, wie sie die Wohnung für einen möglichen nächtlichen Gast in Schuss brachte. Dieser Gast war dann also ich.
An diesem Morgen in der Jac Aalls Gate, vor über einem halben Jahr, erwachte ich wie üblich vor ihr. Sie verfügt über diese Eigenschaft, die Leute mit Schichtdienst häufiger haben, und konnte sich den nötigen Schlaf zu allen möglichen Zeitpunkten holen. Sie hatte sich von mir weggedreht, das macht sie immer, und lag ganz still und vollständig begraben unter der Decke. Nur eine dunkle Haarsträhne war von ihr zu sehen. Ich konnte ihren Atem nicht hören, nicht einmal, wenn ich mich darauf konzentrierte. Das kommt manchmal vor, es ist dann fast so, als sei sie gar nicht da. Ihr Schlafzimmerboden war mit Vinyl belegt und immer eiskalt unter meinen Fußsohlen, wenn ich aufstand.
Im Wohnzimmer war ihr Hund, der in diesem Augenblick gegen den Drang zu Bellen ankämpfte. Er erhob sich von seiner Decke in der Ecke, als ich aus dem Schlafzimmer kam, er beschnupperte meine Hand, ließ aber kein Geräusch hören, er trottete nur vorsichtig hinter mir her in die Küche und trank dort Wasser aus seinem Blechnapf. Es war sehr früh, und er musste noch nicht nach draußen, denn am späten Abend war er noch ausgeführt worden, ehe wir uns hingelegt hatten.
Ich bewege mich immer ganz leise, um sie nicht zu wecken, wenn sie ausschlafen kann. Schon damals wusste ich diese ganz frühen Morgenstunden sehr zu schätzen. Solche Stunden sind sich alle ähnlich, egal, wo sie verbracht werden. Sie gehören gewissermaßen zu keinem bestimmten Tag, sondern bilden eine eigene, unveränderliche Kette aus Stunden, die nur mit anderen frühen Morgen zusammenhängen, mit nichts sonst. Sie sind in gewisser Hinsicht ein ganz eigenes Universum, befreit von den Nächten, die sie abschließen, und von den Tagen, die ihnen folgen. Frühe Morgen sind vielleicht das einzig wirklich Unveränderliche, das ich kenne.
Ein solcher Morgen. Der Hund kehrte auf seine Decke zurück und beobachtete mich von dort aus, während ich in der Küche Kaffee kochte, und er betrachtete mich schweigend, als ich mit der Tasse ins Wohnzimmer ging. Ich war ihm auch damals keine Fremde, aber es wäre ihm leichter gefallen weiterzuschlafen, wenn auch Ragne ins Wohnzimmer gekommen wäre. Ich stelle mir jedenfalls vor, dass er mich deshalb nicht aus den Augen ließ. Aber ich habe keine Ahnung von Hunden, ich habe mich immer ein wenig vor ihnen gefürchtet.
Ein solcher Morgen. Weinflasche und Gläser hatten wir schon am Vorabend weggeräumt, aber die Tischplatte wies noch einen Halbmond aus getrocknetem Wein auf. Ich holte einen Lappen und wischte ihn weg, dann setzte ich mich in den Sessel am Fenster, der mit grünem Velours überzogen war. Von dort konnte ich auf einen kleinen Springbrunnen und einige Ulmen blicken. Im Springbrunnen war kein Wasser, glaube ich. Jedenfalls war er oft leer. Ich trank Kaffee, schaute auf die glasblauen Schatten und auf die beginnenden Sonnenstreifen auf dem Asphalt hinaus.
Die Zeitung lag ordentlich zusammengefaltet auf dem Tischchen zu meiner Linken, die Anzeige war mit Kugelschreiber eingerahmt. Das kam mir fast gekünstelt vor, gibt es wirklich Menschen, die Anzeigen auf diese Weise einrahmen, außer im Film? Ragne hatte es getan und die Zeitung dann so zusammengefaltet, dass die Anzeige ganz oben lag. Am Vortag hatte sie nicht dort gelegen, oder es war mir nicht aufgefallen. Warum glaubte ich, dass sie nicht dort gelegen hatte, als wir diese Weinflasche geteilt hatten, warum stellte ich mir für einen Moment vor, wie Ragne sie irgendwo hervorholt und auf das Tischchen legt, während ich mir die Zähne putzte oder als ich schon im Bett lag? War sie ins Wohnzimmer gegangen und hatte das Licht ausgeknipst, ehe sie zu mir gekommen war?
Ich trank Kaffee. Ich sah den leeren Springbrunnen und die glasblauen Schatten an. Ich dachte an Nikolas, daran, wie er vorging, wenn er sich die Bücherregale anderer Leute ansah. Irgendwie zufällig, verstohlen, während der Besitzer in der Küche oder auf dem Klo war. Nikolas, der den Kopf ein wenig schräg legte, um die Titel lesen zu können. Vielleicht machte er es ganz offen, trat vor das Regal und zog ein Exemplar hervor, liest du so was?
Es war ihre Zeitung. Nicht meine. Ordentlich zusammengefaltet, mit der Anzeige nach oben. Sie beunruhigte mich, mitten an diesem angerissenen Morgen in einer Wohnung, die nicht meine war, wo der Inhalt des Bücherregals und der Standort der Möbel etwas über Ragne erzählen konnten oder auch nicht, und durch sie über mich, vielleicht, sie beunruhigte mich, diese Zeitung, mitten in der Freiheit, die ein früher Morgen bedeutet.
An und für sich wusste ich ja, dass sie gern Immobilienanzeigen las. Sie konnte sich dann auf seltsame Weise aufregen, rote Wangen und eine helle Stimme bekommen. Das faszinierte mich, das weiß ich noch.
»Neunhunderttausend«, konnte sie rufen. »Für sechzig Quadratmeter. Also echt!«
So ging das. Eins-Komma-zwei-Millionen, zwei-Komma-vier! Sie errötete und ihre Augen glänzten, sie las die Preise mit heftiger und für mich unerklärlicher Erregung vor, es irritierte sie, dass sie die Preise ebenso verrückt fand wie die Käufer. Es ist auch möglich, dass sie ein wenig schadenfroh war.
Nun war da diese Anzeige. Noch dazu im Østlandets Blad. Wo, dachte ich, hat sie bloß Østlandets Blad her, das wird hier in der Gegend doch gar nicht verkauft?
Ich sollte sie wecken, dachte ich. Fragen. Fragen, ob es bei ihrer Arbeit ein langweiliges Paar gibt, das sich aus irgendeinem Grund ein Ferienhaus wünscht, oder – es ist ja nicht unmöglich, auch dort wohnen schließlich Leute – sogar eine Wohnung in der Gegend von Vestby. Und Ragne als gute Kollegin notiert sich die Nummer, wenn sie rein zufällig über eine düster aussehende Bruchbude stolpert. Und lässt die Zeitung dann zu Hause liegen.
Ich hätte sie wirklich wecken müssen. Das wäre das einzig Richtige gewesen. Aber ich tat es nicht. Es ist mein Morgen, dachte ich wahrscheinlich. Ich wollte ihn nicht aus einem Grund ruinieren, der mir töricht und außerdem ein wenig peinlich vorkam.
Stattdessen ging ich mit dem Hund spazieren, obwohl ich mir schon denken konnte, dass damit der Morgen im Grunde schon zu Ende war, dass diese Stunden nicht der unveränderlichen Kette angehörten, die ich so wichtig fand.
Der Hund zeigte Interesse an seinem eigenen oder an fremdem Urin an den Bäumen um den leeren Springbrunnen, wie sich das bei einem Morgenspaziergang gehört. Dann gingen wir weiter. Während er an Hausecken und Wagenrädern schnüffelte, registrierte ich zwei Dinge. Die ungeheuer demütigenden und konspirativen Gedanken, die ich mir wegen der Zeitung machte. Und die Tatsache, dass ich sie besser nicht fragen sollte, warum die Zeitung auf dem Tischchen links neben dem Sessel lag. Diese Erkenntnis machte mich nervös und froh. Jetzt lassen wir die Sache ausscheren, dachte ich, jetzt bewegen wir uns in eine richtig fiese Richtung.
Sie zu fragen, ihr dieses plötzliche Interesse an ihren Zeitungsgewohnheiten zu signalisieren, wäre natürlich peinlich. War es wichtig, eine Peinlichkeit zu vermeiden? Vielleicht. Ich konnte mir versteckte Möglichkeiten vorstellen, es zu tun; ich stellte mir vor, wie ich die Zeitung hochhob und belustigtes Staunen darüber vortäuschte, dass sie Østlandets Blad las, wie ich sie so ganz nebenbei fragte, ob sie dort Verwandte habe, oder bisher nie erwähnte Bekannte. Das wäre doch legitim und nicht einmal besonders schwierig, obwohl ich eine schlechte Schauspielerin bin.
Aber nicht deshalb wollte ich nicht fragen. Sondern, weil ich neugierig war und mitmachen wollte, falls es sich hier um ein Spiel handelte. Bei der Vorstellung, dass das Ganze ein kleines Spiel sein sollte, wurde ich richtig wach. Wach und besorgt.
Denn natürlich hatten wir darüber gesprochen. Vor allem sie, aber ich auch. Über rote Hütten und Tümpel und Stille, hatten über das andere, reine Leben gesprochen. Es hatte, wie das bei roten Hütten nun einmal so ist, etwas Unwirkliches und Unverbindliches gehabt. Das hatte ich zumindest geglaubt, und deshalb hatte ich die roten Hütten nicht als unpraktisch und zu weit weg abgeschrieben, sondern nach keinerlei Prinzip eingeordnet. Ich wäre überhaupt nicht auf die Idee gekommen, dass das nötig werden könnte.
Als ich langsam mit dem Hund Frigg an der Leine über die weite Grünfläche zwischen dem Kirkevei und dem Rundfunkgebäude ging, registrierte ich auch noch Folgendes: Ich stellte mir durchaus nicht vor, dass mich das nichts anging. Ich kannte Ragne seit einem halben Jahr, und ohne darüber gesprochen zu haben, wohnte jede von uns noch immer in ihrer eigenen kleinen Wohnung, auch wenn wir die Wochenenden zusammen verbrachten, vor allem die Wochenenden, und das mit Vorliebe in ihrer Wohnung. Trotzdem hatte ich keine Zweifel daran, dass auch ich betroffen war, egal, welche Bedeutung diese Bruchbude in Vestby haben mochte.
Ich war allein auf der grünen Wiese vor dem Rundfunkgebäude. Es war noch kühl. Die Sonne schien. Der Hund fand kleine gefrorene Schneckenhäuser aus Kot, an denen er schnüffeln konnte. Und was empfand ich? Ich war erfüllt von einer brodelnden Panik. Das hier war nicht nötig. Es war nicht schön. Trotzdem war ich von dieser Panik erfüllt, wie vor einem zukünftigen Geschenk, dessen Inhalt man nur ahnt und wofür man nicht dankbar sein muss. Auf dem Heimweg war ich wach, und mir war warm.