Читать книгу Sechsmal Mord für den Strand: Sechs Kriminalromane - Pete Hackett - Страница 44
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Es war bereits dunkel, als wir den Pier 62 über die Eleventh Avenue erreichten. In unmittelbarer Nähe des ungefähr zweihundert Meter in den Hudson hineinragenden Pier befanden sich mehrere Lagerhäuser einer kürzlich in Konkurs gegangenen Import/Export-Firma. Jetzt hatten diese Lagerhäuser noch nicht einmal mehr Tore. Man hatte buchstäblich alles, was nicht niet- und nagelfest war abtransportiert und mit der Konkursmasse versteigert.
Im Moment war das Gelände eine Industriebrache.
Ich stellte meinen Sportwagen ab. Milo und ich stiegen aus.
Einen Augenblick später kamen Medina und Clive. Milo hatte eine Taschenlampe dabei, ließ sie aber noch ausgeschaltet.
Dann gingen wir zum Pier.
Auf der anderen Seite des Hudson war die Silhouette von Hoboken zu sehen. Ein Lichtermeer in der Nacht.
"Ich hoffe, dieser Kalman kann auch wirklich was vorweisen", meinte Clive.
"Ich glaube schon", sagte Medina.
"Und wieso?", fragte Clive.
Medina zuckte die Achseln.
"Instinkt", meinte er.
Ich überprüfte den Sitz meiner Waffe. Sicher war sicher.
Ein einsamer Treffpunkt, ging es mir durch den Kopf. Aber für jemanden wie George Kalman konnte es unter Umständen lebenswichtig sein, nicht mit uns gesehen zu werden.
Wir betraten den Pier.
Ein kühler Wind fegte von Westen über den Hudson River. Er blies von Westen her, aus New Jersey. Ein hell erleuchtetes Schiff kroch den Fluss entlang in Richtung Mündung.
Am Ende des Piers hob sich dunkel eine Gestalt ab. Der Mantelkragen war hochgeschlagen, die Hände in den Taschen vergraben.
Er kam auf uns zu.
"Kalman!", rief Medina, der ihn offenbar erkannt hatte.
Er blieb stehen und musterte uns. Das Auffälligste an seinem Gesicht war der buschige Schnauzbart. Seine Augen wirkten unruhig.
"Schön, dass Sie da sind...", murmelte Kalman. Er drehte dabei den Kopf nervös zur Seite. Er hatte Angst.
"Sie wollten uns etwas über unseren Kollegen Mike Sutter sagen", stellte ich fest. Ich wollte, dass wir gleich zur Sache kamen.
Ich musterte aufmerksam das Gesicht des Spitzels. Und dabei fragte ich mich, wie man ihn einschätzen sollte. Er war lange Zeit erfolglos gewesen und hatte uns nichts anbieten können, was für uns von Interesse war. An die entscheidenden Informationen war er einfach nicht herangekommen. Oder er scheute das Risiko. Wie auch immer.
"Er ist ein Maulwurf", stellte Kalman fest. "Ich habe selbst beobachtet, wie er in das Magic kam, um sich einen Packen Dollars in der Bar abzuholen... Er verschwand mit Tarantino in einen Nebenraum. Die Tür stand einen Spalt offen und so konnte ich das Geld sehen..." Er atmete tief durch.
"Ich war Sutter zuvor einige Male begegnet. Er hat mich sogar befragt. Schließlich war Sutter doch auch an der Untersuchung des Mordfalls Harry Gordon beteiligt."
"Ja, das ist richtig", bestätigte ich.
"Sutter hat offenbar Beweise unterschlagen."
"Welche Beweise?", hakte ich nach. Ich wollte etwas Konkreteres. Alles, was er bisher von sich gegeben hatte, hörte sich in meinen Ohren ziemlich vage an.
"Ein bisschen Arbeit müsst ihr auch noch leisten, G-men", erwiderte Kalman etwas ärgerlich. "Ich habe nur ein Gespräch vom Boss..."
"Sie meinen Ray Tarantino!"
"Ja, den! Also, der sprach mit Clayton und Jimenez darüber, dass Sutter mehr Geld wollte."
"Wer sind Clayton und Jimenez?", wollte ich wissen.
"Sie führen für ihn einen Großteil der Geschäfte. Wie soll man ihre Funktion beschreiben?" Er zuckte die Schultern. "Mädchen für alles, würde ich sagen." Er verzog das Gesicht.
"Jetzt braucht sich niemand mehr zu wundern, weshalb Tarantino immer bestens darüber informiert war, wenn etwas gegen ihn vorbereitet wurde..."
"Allerdings!", knurrte Medina.
Und Clive sagte: "Ich glaube Ihnen nicht, Kalman! Sie wollen sich nur interessant machen. Am besten wir streichen Sie von unserer Liste..."
"Hören Sie..."
"Sie lügen doch, was das Zeug hält, nur um sich wichtig zu machen!" Clive atmete tief durch.
"Clive!", ermahnte ich ihn. Ich konnte ihn verstehen. Mike war sein Freund gewesen, und er konnte einfach nicht wahrhaben, was sich immer mehr als Tatsache abzuzeichnen begann. Schließlich war da ja nicht nur die Aussage dieses Spitzels.
Clive ging ein paar Schritte weiter. Er strich sich das Haar zurück.
Kalman schaute mich an.
Ich glaubte meinen Augen nicht zu trauen.
"Vorsicht!", rief ich.
Mitten auf seiner Brust war ein kleiner roter Punkt.
Ein Laserstrahl!
Jemand zielte mit einem Spezialgewehr auf Kalman, das über eine Laserzielvorrichtung verfügte. Auch über lange Distanzen konnte man damit punktgenau treffen.
Der Bruchteil einer Sekunde - mehr blieb mir nicht, um zu handeln.
Ich riss den verdutzten Kalman zur Seite.
Wir taumelten beide zu Boden. Die anderen waren verwirrt.
Im selben Moment krachte der Schuss durch die Nacht.
Ich rollte mich am Boden herum.
Meine Hand ließ wie automatisch Mantel und Jackett zur Seite gleiten. Ich fasste nach dem Griff meiner Waffe und riss sie heraus.
Die anderen G-men waren indessen auch zu Boden gegangen, die Händen an den Griffen ihrer Waffen.
Ich blickte über das Becken zwischen Pier 62 und 61.
Dieses Becken war etwa hundert Meter breit und zweihundert Meter lang.
Fast bis zur Spitze war Pier 61 mit Industrieanlagen bebaut. Lagerhallen, großen Kränen und so weiter. Als dunkle Umrisse hoben sich diese Anlagen gegen die Dunkelheit ab.
Und dann sah ich die Gestalten am Ende des Piers.
Es waren mindestens zwei.
Etwas blitzte auf.
Ein weiterer Schuss bellte auf.
Clive Caravaggio feuerte zweimal zurück, obwohl das mehr oder minder sinnlos war. Auf diese Entfernung waren unsere Waffen hoffnungslos unterlegen.
Von der anderen Seite des Hafenbeckens kamen noch ein paar Schüsse zu uns herüber. Und auch die waren verdammt gut gezielt. Dicht sirrten die Projektile über unsere Köpfe hinweg.
Ich blickte zur Seite.
George Kalman sah mich mit starren, gebrochenen Augen an.
Blut sickerte durch den Stoff seiner Jacke hindurch auf den kalten Beton des Piers.
Innerlich fluchte ich. Ich war nicht schnell genug gewesen.
"Die schnappen wir uns!", hörte ich Milo grimmig hervorstoßen.
Er hatte sich aufgerappelt und lief nun in geduckter Haltung den Pier entlang - zurück in Richtung unseres Wagens.
Noch immer wurde auf uns geschossen. Ich feuerte zweimal zurück. Weniger in der Hoffnung, tatsächlich zu treffen, als mit der Absicht, die geheimnisvollen Scharfschützen etwas einzuschüchtern.
Ich kam auf die Füße und folge Milo in ebenso geduckter Haltung.
Auf Pier 61 verebbte das Feuer.
Vage war in der Dunkelheit eine Bewegung zu erkennen.
"Die wollen abhauen!", rief ich an Caravaggio und Medina gewandt. Medina hatte indessen zum Funkgerät gegriffen.
"Hier Agent Medina. Ich melde eine Schießerei am Pier 62. Die Täter versuchen zu fliehen. Brauchen dringend Verstärkung, um das Gebiet abzusperren..."