Читать книгу Western Exklusiv Spezial Großband 1/2021 - Pete Hackett - Страница 11

Der Unerbittliche

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„Da stehen die zweihundertfünfzig gehörnten Biester“, sagte Allan Sheridan lächelnd, „und hier sind die Papiere.“ Er reichte Hunter Barkley den Umschlag aus braunem Papier. „Den Kaufpreis von 2500 Dollar habe ich quittiert. Wir können noch einen Drink auf das erfolgreiche Geschäft zu uns nehmen. Wollt ihr?“

Hunter und Jim Otis, sein Partner, sahen sich an. Otis schüttelte kaum merklich den Kopf und Hunter sagte: „Danke, Sheridan. Ein andermal vielleicht.“ Er schob den Umschlag ein und ließ seinen Blick über die grasenden Rinder gleiten. Sie trugen den Hufeisenbrand, und dem Kaufvertrag entsprechend war ihr Besitzer ein gewisser Jack Flaherty aus dem Lincoln County.

Nun war es Hunters und Jims Herde. Die beiden waren mit sich zufrieden. Zehn Dollar pro Rind war ein guter, fairer Preis.

„Wie ihr wollt“, sagte Sheridan, und es war offensichtlich, dass ihm die Ablehnung gelegen kam. Er hatte es plötzlich sehr eilig und nahm sein Pferd herum. „Glücklichen Trail“, wünschte er, dann gab er seinen beiden Begleitern einen Wink. Sie trieben die Pferde an und ritten zurück nach Santa Fe.

Jim Otis verzog den Mund. „Ohne die Papiere, die zweifellos echt sind, würde ich den drei Kerlen nicht ein einziges Rind abgekauft haben. Vom ersten Eindruck her hätte ich sie für lichtscheue Sattelstrolche gehalten, nicht aber für hart arbeitende, ehrliche Cowboys.“

„Der erste Eindruck täuscht eben oft, Jim“, versetzte Hunter und ritt hinüber zur Herde. Die Tiere grasten ruhig. Horn klapperte. Hin und wieder stieg Muhen oder Brüllen zum Himmel. Die Herde stand gut im Futter.

Jim folgte Hunter, holte auf und ritt neben seinem Partner her. Er sagte in den pochenden Hufschlag hinein: „Wir sollten so schnell wie möglich aufbrechen. In zehn - elf Tagen können wir zu Hause sein. Ich mache mir Sorgen wegen Isabel und Juanita. Es ist nicht gut, sie so lange in der Wildnis alleinzulassen.“

Hunter pflichtete ihm mit einem Nicken bei.

Sie umrundeten die Herde. Die Tiere standen auf der Ebene südliche von Santa Fe. Über den Berggraten im Osten stand die Sonne. Es war noch kühl. Dem Morgendunst nach zu schließen aber würde der Tag wieder heiß werden. Die Geräusche aus der Stadt wehten heran. Santa Fe war wirtschaftlicher Knotenpunkt und Umschlagplatz für Waren und Güter aller Art, Sitz des Gouverneurs und Stelldichein für Abenteurer und Glücksritter jeder Schattierung. Eine Stadt, in der das Leben pulsierte.

Als sie nach ihrem Rundritt wieder am Ausgangspunkt angelangt waren, gab Hunter zu verstehen: „Bleib bei der Herde, Jim. Ich besorge zwei Packpferde und Proviant und noch ein paar Dinge mehr, die wir brauchen auf dem Trail.“

„In Ordnung“, erwiderte Jim. „Wenn du zurückkehrst, brechen wir auf.“

Hunter wusste, wie sehr Jim sich um die Frau sorgte, mit der er seit über acht Jahren zusammenlebte und mit der er eine Tochter hatte. Isabel war Mexikanerin. Die Kleine hieß Juanita. Vor über einem halben Jahr hatten sie sich in der Nähe von Red Hill, einem kleinen Nest mitten in den Bergen weit im Westen New Mexikos, niedergelassen, ein Haus, einige Schuppen und Scheunen und Corrals errichtet, und vor einer Woche waren Hunter und Jim nach Santa Fe geritten, um Rinder zu kaufen.

Nach vielen ruhelosen Jahren des ziellosen Herumziehens hatten sie beschlossen, sesshaft zu werden und eine Ranch zu gründen.

Im Trab näherte Hunter sich der großen Stadt...

Als er über zwei Stunden später zurückkam, führte er zwei hochbeladene Maultiere an der langen Leine. Die Tiere trugen vom Hufnagel bis zum Campzeug alles, was sie auf ihrem Weg nach Südwesten brauchten. Zweihundert Meilen durch unwegsame Wildnis lagen vor ihnen. Zweihundert Meilen voller Strapazen und Gefahren.

Als die Sonne sich dem Zenit näherte, brachten sie die kleine Herde auf den Trail. Staub wolkte dicht, kroch unter die Kleidung der beiden Männer, knirschte zwischen ihren Zähnen und entzündete ihre Augen. Tausend Hufe wühlten den Boden auf, es war ein auf und ab knochiger Rücken. Bald nahm die Herde Marschordnung ein. Das Rumoren, das sie verursachte, schlug auseinander und ließ alle anderen Geräusche versinken. Nach und nach aber mäßigte es sich zu einem monotonen Brodeln, das an fernes Donnergrollen erinnerte.

Hunter führte den Leitbullen an der Longe. Die Herde zog in Keilformation dahin. Jim Otis ritt am Ende und sorgte dafür, dass keine Tiere zurückblieben. Er war dem wogenden Staub vollkommen ausgesetzt und hatte sich das Halstuch über Mund und Nase gezogen. Am nächsten Tag sollte Hunter als Dragrider der Herde folgen.

Das Land war hügelig, felsig, heiß und staubig. Die Herde zog eine deutliche Spur durch das harte, trockene Gras. Hier und dort wucherte auf den Hügelflanken dichtes, undurchdringliches Sumac-Dickicht, hauptsächlich aber bestand die kärgliche Vegetation aus Comas und Mesquitesträuchern.

Als die Sonne unterging und die Abenddämmerung den Tag nach Westen verscheuchte, lagerten sie in einem Talkessel, dessen Grund von einem plätschernden Bach zerschnitten und der ringsum von buckeligen Anhöhen begrenzt wurde. Die Longhorns drängten zum Wasser. Buschige Schwanzenden peitschten über den knochigen Rücken, die Senke war erfüllt vom Stampfen der Hufe, vom Muhen und Brüllen der Tiere.

Am Rand der Senke, etwas abseits von der drängenden und schiebenden Herde, schlugen Hunter und Jim ihr Camp auf.

„Ein guter Tag“, murmelte Jim, es klang mitgenommen und erschöpft, aber es lag auch Zufriedenheit im Tonfall seiner staubheiseren Stimme.

„Yeah“, antwortete Hunter einsilbig und begann, Feuerholz zu sammeln.

*



Es war dunkel. Dennoch war Santa Fe hell. Lichtbahnen fielen aus Fenstern und Türen in die riesige Plaza und lichteten die Nacht. Scharen von vergnügungssüchtigen, grölenden und johlenden Männern bevölkerten Gehsteige und Fahrbahnen. Dann und wann peitschte ein Schuss, den ein übermütiger Bursche in die Luft abfeuerte. Manchmal war es auch ein Schuss, der ein Leben auslöschte. In Santa Fe verging fast kein Tag ohne Schießerei und Blutvergießen. Aus der 'Santa Fe Dancing Hall' drang wilde Tanzmusik, aus den Saloons Geschrei und Gelächter. Die Stadt summte wie ein Bienenkorb. Bösartige Impulse füllten Santa Fe mit Lasterhaftigkeit und Todsünde.

Allan Sheridan, Cole Denton und Wade Morgan beobachteten die Wells & Fargo Bank. Nachdem sie Hunter und Jim die Herde verkauft hatten, beschlossen sie, die große Stadt zu verlassen und für einige Zeit unterzutauchen. Langsam wurde ihnen der Boden heiß unter den Fußsohlen hier in New Mexiko.

Es waren Banditen. Übles Grenzgesindel, das ohne mit der Wimper zu zucken für eine Handvoll Dollar ein Menschenleben auslöschte. Als Hunter und Jim den Kaufvertrag für die Herde unterzeichneten, konnten sie nicht ahnen, dass sie einen Pakt mit dem Teufel geschlossen hatten.

Der Erlös, den sie für die Herde erzielt hatten, reichte den Outlaws nicht, um für längere Zeit ein sorgenfreies Leben in Mexiko führen zu können. Und so hatten sie beschlossen, die Wells & Fargo Bank auszurauben und dann ihre Spur zu verwischen.

Sie observierten die Bank fast den ganzen Nachmittag lang. Auf den yardhohen Vorbau hatte sich einer der Wachmänner einen Stuhl hingestellt. Mit übereinandergeschlagenen Beinen saß er darauf, das Gewehr quer vor der Brust haltend, jeden Kunden scharf taxierend.

Soeben verließ ein dickleibiger Mann die Bank. Er wechselte ein paar Worte mit dem Gunman auf dem Vorbau, tippte an die Krempe seiner Melone und marschierte davon.

„Geh in den Hof, Cole“, murmelte Allan Sheridan zwischen den Zähnen.

Cole Denton setzte sich in Bewegung, schritt ein Stück den Gehsteig entlang, überquerte die Fahrbahn und verschwand auf der anderen Seite in einer Gasse.

Als Cole Denton mit der Dunkelheit verschmolz, war Wade Morgan an der Reihe. Einen Betrunkenen mimend torkelte er über die Plaza. Noch nahm der Wachmann keine Notiz von ihm. Betrunkene gehörten zum Stadtbild. Aufmerksam wurde er erst, als Wade Morgan seinen Fuß auf die Vorbautreppe setzte, sich mühsam auf das Geländer stützte, den linken Fuß nachzog, stolperte und der Länge nach vor ihm auf die Vorbaubohlen krachte.

Allan Sheridan kam über die Straße. Der Gunman von Wells & Fargo hatte nur Augen für den vermeintlich Sturzbetrunkenen. Er verzog angewidert das Gesicht, erhob sich und krümmte etwas seinen Oberkörper, als er grimmig hinausspuckte: „Du kannst wohl nicht mal mehr die Bank von einer Brandybude unterscheiden, Suffkopf. Steh auf und zieh Leine, oder ich trete dir in den Hintern.“

Wade Morgan wälzte sich auf den Rücken, lallte unartikulierte Worte, hickste, und mühte sich ab, auf die Beine zu kommen, fiel aber wieder nach hinten und gab unverständliche Laute von sich, gurgelte und stammelte.

Der Gunman beugte sich hinunter und packte ihn mit der Linken am Hemd.

Allan Sheridan schritt indessen an ihm vorbei in die Bank. Der Wachmann achtete kaum auf ihn. Er versuchte, Wade Morgan zum Rand des Vorbaus zu zerren, um ihn einfach über die Kante auf die Straße zu werfen. Seine Augen weiteten sich, sein Mund klappte auf, und über seine Lippen brach ein versiegender Ton, als er plötzlich einen harten Druck gegen den Leib verspürte, und ehe er seine Bestürzung überwinden konnte, zischte der vermeintlich Betrunkene mit glasklarer Stimme. „Zieh mich hoch, Buddy, und bleib schön vor mir. Was du auf dem Bauch spürst, ist nicht mein Zeigefinger, sondern der Lauf meines Sechsschüssers.“

Allan Sheridan war in der Bank verschwunden. Als die Tür hinter ihm zufiel, zog er völlig überraschend den Colt und schlug ihn auf den zweiten Wachmann an, der sich einen Stuhl neben die Tür gezogen hatte, so dass er den gesamten Schalterraum im Blickfeld hatte. Seine Wirbelsäule versteifte, im nächsten Moment wollte er aufspringen, aber da spannte Allan Sheridan den Hahn.

Die drei Clerks starrten Sheridan an wie eine außerirdische Erscheinung, als konnten sie nicht glauben, was sie sahen.

„Weg mit der Knarre!“, fauchte Sheridan. „Wenn du auch nur die geringste falsche Bewegung machst, puste ich dir das Hirn aus dem Schädel!“

Der Wachmann wusste, dass nur er gemeint sein konnte. Das Gewehr polterte auf den Fußboden. Mit dem zitternden Atemzug des lähmenden Erschreckens, der sich seiner Brust entrang, löste sich einen dumpfer Ton aus dem Mund des Revolvermannes, der ihm zwei Herzschläge lang wie ein dicker Kloß im Hals gesteckt hatte, und langsam - fast zeitlupenhaft langsam hob er die Hände.

In diesem Moment drängte Wade Morgan den anderen Gunman in den Schalterraum. Morgan drückte die Tür mit dem Fuß zu und schlug mit dem Colt den Burschen nieder. Und sofort lief er zur Hintertür, um sie aufzuriegeln. Cole Denton kam mit dem Colt in der Faust herein.

Seit Allan Sheridan die Bank betreten hatte, waren keine zwanzig Sekunden vergangen. Die drei Clerks standen da wie zu Steinsäulen erstarrt, und nur noch in ihren Augen war Leben. Cole Denton stieß brechend hervor: „Überfall! Packt alles Papiergeld ein! Steht nicht rum wie die Ölgötzen, sonst machen wir euch Beine.“

Er und Wade Morgan bedrohten mit ihren Colts die drei Angestellten, während Allan Sheridan den Gunman vor sich her auf die Schalter zutrieb. „Bringt die drei Narren auf Trab, verdammt!“, presste Sheridan hervor.

Cole Denton flankte über den Tresen. Er versetzte einem der entsetzten Clerks einen Stoß. Und jetzt fiel der Bann. Hilfesuchend fixierte der Angestellte den Gunman, aber dem hielt Allan Sheridan die Mündung des Colts unter das Kinn, und er senkte die Lider, um dem Clerk zu bedeuten, dass er tun sollte, was sie von ihm verlangten.

Er begann, alles Geld, das greifbar war, in einen Jutesack mit der Aufschrift 'Wells & Fargo Co.' zu stopfen.

„Ihr auch!“, herrschte Wade Morgan die anderen beiden an, und sie folgten hastig seiner Aufforderung, denn ihnen blieb die Rastlosigkeit, die Nervosität der Banditen nicht verborgen, und sie wollten es nicht herausfordern, dass einer der Kerle die Nerven verlor.

Dann lagen drei prallgefüllte Säcke auf dem Tresen.

„Das ist doch nicht alles!“, knirschte Allan Sheridan. „Im Tresorraum ...“

„Das ist genug!“, kam es kehlig von Cole Denton, dessen Nerven flatterten. Er warf einen der Säcke Wade Morgan zu, die beiden anderen raffte er an sich. „Verduften wir. Jeden Moment kann jemand aufkreuzen.“

„Okay.“ Allan Sheridan schlug zu. Der Gunman sackte mit einem verlöschenden Gurgeln zu Boden. „Geht vor uns her in den Hof“, zischte Allan Sheridan und winkte den Clerks mit dem Colt. „Und bleibt vernünftig. Ihr habt doch sicherlich Familien, die ...“

Einer der Clerks fühlte sich unbeobachtet. Seine Hände stießen unter den Tresen, wo eine Shotgun deponiert war. Aus den Augenwinkeln bemerkte Allan Sheridan diese Bewegung. Wade Morgan und Cole Denton hatten sich schon zur Hintertür gewandt. Mit einem wahren Donnerknall entlud sich Sheridans Colt. In dem Raum hörte es sich an wie ein Kanonenschuss. Die Wucht des Treffers trieb den Clerk zurück, er stürzte rücklings über einen Schreibtisch, sein Oberkörper rollte herum, fiel über die Kante und der Mann schlug haltlos am Boden auf.

„Nichts wie weg!“, peitschte Allan Sheridans heiseres Organ.

Sie hetzten zur Hintertür und drängten hinaus. Das Alarmgeschrei der Clerks folgte ihnen.

Wie von Furien gehetzt rannten sie durch die finstere Gasse stadtauswärts, wo sie ihre Pferde abgestellt hatten. Sie erreichten die Tiere, halfterten die Colts, stopften die Geldsäcke in die Satteltaschen und warfen sich in die Sättel. Die Tiere unter ihnen streckten sich. Und schon nach einigen Schritten fegten sie im stiebenden Galopp über das wellige Terrain der unwirtlichen Hügel- und Felslandschaft entgegen.

Hals über Kopf flohen sie nach Süden.

*



Virgil Hammond, der 42jährige Wells & Fargo-Agent der in Santa Fe niedergelassenen Station, sagte mit stählerner Härte: „Ich werde nicht ruhen, bis ich die drei Schufte geschnappt habe. Ihre Beschreibungen haben wir. Und wir wissen, dass sie in südliche Richtung abgehauen sind. Wahrscheinlich wollen sie nach Mexiko.“

Einer der Umstehenden nickte und murmelte: „Weston ist tot. Die drei Schufte sind reif für den Henker. Wird Wells Fargo eine Belohnung aussetzen?“

„Yeah - fünfhundert Dollar - für jeden“, gab Hammond spontan zu verstehen. „Ich nehme das zunächst auf meine Kappe, denke aber, dass man im Hauptquartier zustimmen wird.“

Hammond und ein weiterer Mann verließen die Bank. Draußen war die Plaza schwarz von Neugierigen. Sie standen Schulter an Schulter. Die Nachricht von dem Überfall war wie ein Lauffeuer durch die Stadt gegangen. Die Beschreibung der Banditen ging von Mund zu Mund.

Virg Hammond ließ seinen Blick über die Ansammlung schweifen und sagte: „Trommle alle verfügbaren Männer zusammen, Yates! Wir bilden ein Aufgebot und nehmen die Verfolgung auf. Lass für mich den Rappen satteln.“

„Wollen Sie es nicht lieber dem Gesetz überlassen, die drei zu jagen und zu stellen, Hammond?“, fragte ein Mann mit dem Sechszack an der Weste.

Hammond winkte ab. „Ihre Kompetenz endet an der Grenze des Santa Fe County, Sheriff. Ich hingegen ...“ Er brach ab, wischte noch einmal wegwerfend mit der Hand durch die Luft, und ging, um sich für den Ritt anzukleiden und zu bewaffnen.

Währenddessen stoben die drei Banditen nach Süden. Die Nacht war licht und klar. Soweit es die Anhöhen und Höhenzüge zuließen, war das Terrain auf eine Viertelmeile zu überblicken. Immer wieder sicherten sie auf ihrer Spur zurück, die sich dunkel, wie ein Strich, im struppigen Gras abzeichnete. Bis der laue Nachtwind ihre Fährte wieder mit dem feinen, puderigen Staub zuwehte, würden sicherlich Stunden vergehen.

Sie durften ihre Pferde nicht völlig verausgaben und ritten langsam. Cole Denton äußerte seine Bedenken: „Unserer Spur kann wahrscheinlich ein Blinder folgen. Wenn ich einen Wunsch frei hätte, würde ich mir wünschen, dass unseren Gäulen Flügel wachsen. So aber müssen wir uns etwas anderes einfallen lassen.“

„Wir müssen eben das letzte aus unseren Pferden herausholen“, entgegnete Wade Morgan. „Irgendwo in den Bergen verlieren sie unsere Spur und geben auf. Diese Stadtfräcke haben keine Ausdauer. Sie werfen sehr schnell die Flinte ins Korn.“

Allan Sheridan schwieg. Die deutliche Spur, die sie hinterließen, bereitete ihm Kopfzerbrechen. Morgans Zuversicht konnte er nicht teilen. Wells & Fargo beschäftigte erstklassige Leute. Das wusste er. Diese Burschen waren hart wie Stahl, ausdauernd wie Schweißhunde und zäh wie Sattelleder.

„Wenn sie unsere Fluchtrichtung kennen“, äußerte er schließlich, „begnügen sie sich nicht damit, auf unserer Fährte hinter uns herzureiten. Sie werden versuchen, uns den Weg zu verlegen.“

Sie versanken in trübsinnigen Überlegungen. Drei Stunden später, es war schon nach Mitternacht, erreichten sie einen schmalen, seichten Creek. An Gesteinsbrocken, die das Wasser im Laufe der Jahre frei gespült hatte, stauten sich die Fluten. Es rauschte, spritzte und gischtete.

Sie ließen ihre Pferde trinken, wuschen sich Staub und Schweiß aus den Gesichtern und füllten ihre Wasserflaschen. Als sie wieder auf den Pferden saßen, um ihre Flucht fortzusetzen, stieß Sheridan hervor: „Wir machen einen Umweg, Amigos, und reiten, soweit es möglich ist, im Flussbett nach Westen. So verwischen wir unsere Spur. Und dann trailen wir ins Catron County. Die beiden Narren, denen wir die gestohlene Herde verkauften, erzählten doch, dass sie dort unten, in der Nähe von Red Hill, eine Ranch gegründet haben. Dort verkriechen wir uns eine Zeitlang. Was meint ihr?“

Cole Denton lachte scheppernd. „Yeah“, rief er, „die Idee ist gut. Dort sucht uns keiner. Sollen sie ruhig an der Grenze auf uns warten.“

Also ritten sie im seichten Wasser nach Westen...

Es war ungefähr zwei Stunden nach Mitternacht, als das Aufgebot aus Santa Fe auf einem flachen Hügelrücken anhielt. Die Pferde standen müde und mit hängenden Köpfen.

Vor den Blicken der Reiter lag im vagen Mondlicht der gischtende und schäumende Fluss. Auf der anderen Seite dehnten sich öde Hügel und zerklüftete Felsen. Der Nachtwind hatte an Kraft gewonnen, wirbelte den Staub auf und trieb ihn vor sich her.

Virg Hammond hatte die Hände aufs Sattelhorn gestützt und beugte sich etwas vor. Seine Augen suchten das Land nach Süden hin ab, tasteten zwischen die Hügellücken, schweiften über die Höhenzüge hinweg, die vom Mond- und Sternenlicht versilbert wurden.

Über zwei Dutzend Männer waren mit ihm geritten. Die Hälfte davon arbeitete bei Wells & Fargo. Die andere Hälfte hatte die Aussicht auf die Prämie, die Hammond ausgesetzt hatte, in die Sättel getrieben.

„Die Spur endet am Fluss“, sagte Hammond. Er nagte nachdenklich an seiner Unterlippe.

Es war einige Zeit vergangen, ehe es ihnen gelungen war, die Fährte aufzunehmen. Und diese Verzögerung hatte den drei Banditen einen ziemlichen Vorsprung verschafft. Deutlich hatte die Fährte, nachdem sie sie aufgenommen hatten, im staubgepuderten Gras vor den Verfolgern gelegen. Sie führte schnurgerade nach Süden. Unbeirrt waren sie ihr gefolgt, Stunde um Stunde, Meile um Meile. Aber jetzt endete sie, und es zeigten sich bei den Männern erste Ermüdungserscheinungen und Unlust, aber auch Resignation.

Einer der Reiter drängte sein Pferd nach vorn und hielt neben Hammond. Ohne diesen anzusehen knurrte er mürrisch: „Sie sind im Flussbett geritten, um ihre Fährte auszulöschen. Ich denke, nun ist guter Rat teuer.“

„Wie soll ich das verstehen?“, fragte Hammond, und es klang sehr gereizt.

Der andere hob die Achseln, ließ sie wieder sinken und murmelte: „Die Kerle sind über alle Berge. Bis jetzt war ihre Flucht ziemlich wild und kopflos, und sie hinterließen eine deutliche Fährte. Hier aber haben diese dreckigen Sattelstrolche zu denken begonnen und ihre Spur verwischt. Die drei Schufte erwischen wir nicht mehr.“

„Sie meinen also, wir sollen aufgeben?“, ergrimmte sich Hammond.

„Ja, das ist meine Meinung.“ Der Sprecher nickte wiederholt, um so seine Worte zu unterstreichen. Mit Nachdruck setzte er hinzu: "Weiß der Teufel, in welche Richtung sie dem Fluss gefolgt sind. Wir sind auch gar nicht gerüstet für eine lange Verfolgungsjagd.“

Hammonds Oberkörper beschrieb eine halbe Drehung. Er stemmte seinen rechten Arm auf die Kruppe seines Braunen. Seine Lippen sprangen auseinander: „Wer von euch ist noch der Auffassung, dass wir aufgeben sollten?“

Die Männer starrten ihn an und schwiegen verbissen. Die Kälte der Nacht steckte ihnen in den Gliedern. Dunkle Ringe lagen unter ihren Augen, die Erschöpfung hatte ihre Lider entzündet. Ihr Schweigen brachte alles zum Ausdruck, was sich in ihren Gemütern abspielte. Sie hatten die Nase voll. Die Euphorie, mit der sie in die Sättel gestiegen waren, war erloschen. Sie wollten nicht mehr.

Stirnrunzelnd musterte Hammond das Rudel. Plötzlich stieß er hervor: „All right. Reitet zurück.“ Er wandte sich wieder nach vorn und fügte in Gedanken verächtlich hinzu: 'Hunde, die man auf die Jagd tragen muss, werden niemals gute Jagdhunde sein.'

„Und Sie, Hammond? Wollen Sie etwa nicht aufgeben?“, fragte einer und schniefte.

„Nein, bei Gott - nein!“ Jeder Zug in seinem kantigen Gesicht drückte unumstößliche Entschiedenheit aus, eine Entschlossenheit, die schon an Besessenheit grenzte. „Die drei haben nicht nur die Bank beraubt, sie haben einen Mann ermordet. Sie dürfen nicht ungestraft davonkommen.“

„Heiliger Rauch!“, entfuhr es einem der Männer. „Sie haben sich doch nicht etwa vorgenommen, den Hundesöhnen bis nach Mexiko zu folgen?“ Ein Blick in Hammonds Gesicht ließ ihn die Antwort ahnen. Er griff sich an die Stirn. „Das ist verrückt. Im Süden wimmelt es von Apachen. Auf mexikanischer Seite müssen Sie die Rurales fürchten. Diese Kerle schießen erst und stellen dann die Fragen.“

„Mein Entschluss steht fest“, versetzte Hammond hart, abschließend und mit Endgültigkeit im Tonfall. „Kehrt also um und versucht nicht, mich umzustimmen.“

Seine Stimme duldete keinen Widerspruch mehr. Er verströmte Unnachgiebigkeit. Und dem einen oder anderen von ihnen wurde in dieser Minute erst klar, dass dieser Virgil Hammond härter war als Stahl.

„Also reiten wir!“, schrie einer in das Hufestampfen, Schnauben, Klirren und Säuseln, das der Wind verursachte, hinein.

Sie wendeten die Pferde und ritten in loser Ordnung den Weg zurück, den sie gekommen waren. Hammond schaute ihnen nicht hinterher. Das Hufgetrappel entfernte sich. Hammond ruckte im Sattel. Ohne jede Hast lenkte er sein Pferd hangabwärts. Der Hufschlag der davonziehenden Kavalkade war versickert.

Der Wells Fargo-Mann fand einige Hufspuren im aufgeweichten Untergrund. Ratlosigkeit befiel ihn. Eine innere Stimme riet ihm, nach Westen zu reiten. Er folgte diesem Instinkt.

*



Es war in der Stunde vor Tagesanbruch, als die fünf Reiter die Geräusche der Herde vernahmen und ihren Pferden in die Zügel fielen.

„Wir haben sie!“, presste Jack Flaherty grimmig hervor. „Gnade ihnen Gott.“

Die Männer zogen ihre Gewehre aus den Scabbards und repetierten. Dann ritten sie auf die Lücke zwischen zwei Hügeln zu, aus der das Hörnerklappern und Muhen an ihre Ohren wehte. Im Schlagschatten saßen sie ab und leinten die Pferde an. Mit gedämpfter Stimme gab Jack Flaherty seine Anordnungen. Dann huschten sie auseinander und wurden eins mit der Nacht.

Jim Otis hatte die letzte Wache. Langsam umrundete er auf seinem Pferd die ruhenden Longhorns. Am Himmel begannen die Sterne zu verblassen. Die Dunkelheit im Tal wurde dichter, im Osten aber zeigte sich bereits der erste helle Schein. Jims Kinn war auf die Brust gesunken. Er war ahnungslos. Besonderer Wachsamkeit bedurfte es nicht. Der monotone Ritt um die Herde war einschläfernd. Es gab keinen Hinweis auf die Gefahr, die auf leisen Sohlen in den Talkessel schlich.

Als Jim einen Schemen aus der Dunkelheit kommen sah, als er seine Trägheit abschüttelte und mechanisch nach dem Gewehr im Sattelhalfter griff, war es zu spät. Eine Feuerblume platzte bei dem anderen auseinander, der Schuss sprengte die Atmosphäre in dem Tal, Jim spürte einen heftigen Schlag gegen die Brust und wankte im Sattel. Schlagartig riss sein Denken ab. Den Aufschlag am Boden spürte er schon nicht mehr.

Erschreckt vom Peitschen der Detonation und den rollenden Echos ruckten die Rinder in die Höhe, unruhiges Gewoge ging durch die Herde. Das Tosen, das tausend stampfende Hufe hervorriefen, schwoll an.

Hunter wurde von dem Schuss aus dem Schlaf gerissen. Er war sofort hellwach, schleuderte die Decke von sich, es riss ihn hoch - und eine metallische Stimme sprang ihn an: „Rühr dich nicht, dreckiger Mörder! Und streck die Flossen zum Himmel. Bei der geringsten unbedachten Bewegung pumpen wir dich voll Blei.“

Hunter erstarrte. Er war absolut perplex. Seine Gedanken wirbelten. Langsam, ohne von einem bewussten Willen geleitet zu werden, hob er die Hände in Schulterhöhe. Etwas Hartes drückte sich ihm auf die Wirbelsäule. Und dann trat ein zweiter Mann vor ihn hin. Ehe Hunter sich versah, bekam er einen brutalen Schlag ins Gesicht. Feurige Garben loderten vor seinen Augen in die Höhe, in seinem Kopf schien etwas zu explodieren, Tränen schossen ihm in die Augen, Blut rann von seiner aufgeplatzten Lippe über sein Kinn und zog eine dunkle Spur.

„Ihr gemeinen Mörder!“ Verschwommen, wie aus weiter Ferne, vernahm er die hassgetränkte, leidenschaftliche Stimme des Mannes, der ihn geschlagen hatte. „Du weißt hoffentlich, was dir blüht.“

Die Benommenheit nach dem Schlag wich von Hunter. Ein Ruck durchfuhr ihn, als verkrampfte sich etwas in ihm. Sofort verstärkte sich der Druck in seinem Rücken. „Mister“, ächzte er, und das Sprechen bereitete ihm Mühe, „ich weiß nicht, wovon Sie ...“

Er bekam die Faust des anderen in den Magen und krümmte sich nach vorn. Ein krachender Schwinger gegen das Ohr ließ ihn umkippen. Wieder krochen die Nebel der Benommenheit auf ihn zu, es gelang ihm nicht, seine Betäubung zu überwinden, das dumpfe Dröhnen in seinem Kopf wurde übermächtig. Er rollte auf den Rücken und stöhnte. Ein Gewehrlauf senkte sich auf seine Brust herab.

Jack Flaherty massierte sich die rechte Faust mit der hohlen linken Hand. Die Unruhe bei der Herde flaute ab. Die Nacht spuckte weitere Gestalten aus. Einer führte Jims Pferd. Quer über dem Pferderücken lag Jims schlaffe Gestalt. Der Bursche sagte rauh: „Es gibt niemand hier außer den beiden. Dieser Narr griff nach dem Gewehr und ich musste ihn erschießen.“

„Das bereitet dir doch gewiss keine Gewissenbisse, Willford?“, fragte Flaherty ohne jede Gemütsregung. „Der Strick wäre zwar angemessener gewesen für den Hundesohn, im Endeffekt aber ist es egal, auf welche Weise er in die Hölle geschickt worden ist. Ken, hol unsere Pferde. Stellt den hier auf die Beine.“

Klar und präzise kamen Flahertys Befehle. Harte, schwielige Fäuste packten Hunter, der noch immer nicht so richtig Herr seiner Sinne war, zerrten ihn in die Höhe und drehten ihm die Arme nach hinten. Er wurde gefesselt. Schmerzhaft schnitt die dünne Lederschnur in seine Handgelenke, die Blutzufuhr in seine Finger wurde abgeschnürt.

Jemand legte Holz in die Glut des niedergebrannten Lagerfeuers und blies hinein. Zaghaft leckten kleine Flammen über die zundertrockenen Zweige, dann flackerten sie höher, und schließlich geisterten zuckende Lichtreflexe über die Männer hinweg, die Hunter umstanden.

Hunter konnte wieder klar sehen, und es gelang ihm, einigermaßen Ordnung in seinem Denken zu schaffen. Plötzlich weiteten sich seine Augen, seine Lippen sprangen auseinander, aber der Schock ließ seine Stimmbänder versagen. Er hatte das Pferd am Rand des Lichtscheins wahrgenommen und den leblosen Körper quer über dem Pferderücken identifiziert. Sein Herz übersprang einen Schlag, und war dann nur noch als würgender Kloß in seinem Hals zu spüren. Er musste zweimal ansetzen, dann ächzte er: „Jim! Ihr - habt - ihn - erschossen! Gütiger Gott! Warum?“

„Er wartet sicher an der Höllenpforte auf dich, Mörder!“, stieg es unheilvoll und kalt aus Jack Flaherty Kehle. „Als ihr meine Männer aus dem Hinterhalt abgeknallt und ihnen die Herde geraubt habt - hat es dir da auch die Stimme verschlagen, du Bastard? Du wagst es, Gott anzurufen und fragst, warum wir mit euch Schuften nicht lange fackeln?“

Hunter war wie vor den Kopf gestoßen. Da waren Fassungslosigkeit und Erschütterung, gemischt mit Verständnislosigkeit und Verwirrung, da war aber auch der unbarmherzige Klammergriff der Angst, diese eisige Hand, die sein Herz umkrampfte und es zusammenpresste und die in seinen Eingeweiden wühlte.

„Bei allem, was mir heilig ist“, entrang es sich Hunter, als er die Tragweite dessen, was Flaherty regelrecht hinausgespuckt hatte, begriff. „Ich habe keine Ahnung, wovon Sie sprechen. Wir haben die Herde gekauft. 2500 Dollar bezahlten wir dafür. Die Männer, von denen wir sie übernahmen, hießen Sheridan, Denton und Morgan. Ich habe die Kaufpapiere in der ...“

Ansatzlos schlug Flaherty zu. Wieder traf er Hunter in den Magen. Hunter wurde die Luft mit seinem unbeherrschten Schrei aus den Lungen gedrückt. Eine Hand fuhr schmerzhaft in seine Haare und richtete ihn wieder auf. Hunters Atem ging japsend, rasselnd und stoßweise.

„Die Papiere, natürlich!“, dröhnte Flahertys unerbittliche Stimme. „Ich gab sie meinem Vormann, Tom Kellock, mit auf den Weg. Jetzt ist Kellock tot. Unbarmherzig niedergeknallt. Auch Sid Hannagan und Fred McMurray sind tot. Joe Sand schaffte es noch bis zur Ranch, im Hof aber fiel er tot vom Pferd. Das Blut meiner Männer ist auf dem Weg nach Santa Fe im Staub versickert. Und ihr Strolche habt es kaltblütig vergossen.“ Flaherty Stimme sank herab zu einem drohenden, fast besessenen Geraune. „Leugnen hilft dir nichts, Bandit, ebenso wenig wie jammern und winseln. Noch ehe die Sonne aufgeht, hängst du.“

Hufepochen wurde laut, dann schälte sich ein Reiter aus der Dunkelheit, der vier Pferde mit sich führte.

„Worauf warten wir, Boss?“, fragte einer.

„Okay. Beenden wir die Sache.“ Im Tonfall des Ranchers lag der unumstößliche Entschluss. „Hängt ihn auf.“

Sie schubsten und stießen Hunter zu einer der uralten, knorrigen Korkeichen, die vereinzelt im Tal wuchsen. Hunter wehrte sich, so gut es seine gefesselten Hände zuließen. Seine Zähne knirschten. Die Todesangst würgte ihn. Es war eine nüchterne, logische Angst, die der härteste und furchtloseste Mann im Angesicht des gewaltsamen Todes empfunden hätte. Der Gedanke, für die Schandtat anderer sterben zu müssen, erzeugte in ihm Schwindelgefühl. Und zur Angst gesellte sich Panik. Schrill setzte sie sich in seinem Verstand durch. Er stemmte sich gegen den derben Druck der Fäuste, die ihn hielten, trat nach einem der Kerle vor sich und fegte ihn von den Beinen. Der Stau, der sich in ihm gebildet hatte, brach sich mit einem wilden Aufschrei Bahn. Der Selbsterhaltungstrieb war stärker als alles andere. Er warf sich gegen den Cowboy zu seiner Linken und rammte ihm die Schulter in den Leib, wirbelte herum, wich einem Hieb mit dem Gewehrlauf aus und ließ das Bein hochschnellen. Der Bursche quittierte den Treffer mit einem gellenden Aufschrei, sein Oberkörper pendelte nach vorn.

Flaherty sprang Hunter an und riss ihn zu Boden. Und dann fielen sie über ihn her wie eine Meute hungriger Wölfe. Sie schlugen und traten auf ihn ein, und schon bald gab Hunter es auf, gegen diesen Irrsinn der brutalen Gewalt anzuschwimmen. Schließlich schwanden ihm die Sinne.

Die Männer von der Hufeisen Ranch traten keuchend zurück. Schweiß rann über ihre Gesichter. Einer nahm die Wasserflasche vom Sattel eines der Pferde, schraubte sie auf und entleerte den Inhalt über Hunters zerschlagenem, blutverschmiertem Gesicht.

Es verging einige Zeit, bis Hunter sich regte. Er stöhnte und gurgelte. Sogleich kam die Erinnerung, und mit ihr das Grauen. Seine Lage war aussichtslos. Flaherty und seine Männer waren fest davon überzeugt, dass er und Jim die Herde gestohlen und vier Cowboys ermordet hatten. Hoffnungslosigkeit befiel ihn. An seinem Körper gab es keine Stelle mehr, die nicht schmerzte. Die Flamme des Widerstandsgeistes war erloschen. Hunter war bereit, sich seinem Schicksal zu ergeben.

Sie zerrten ihn auf die Beine, die ihn kaum noch zu tragen vermochten. Als sie ihn zusammenschlugen, war das ein Ausbruch der niedrigsten Instinkte gewesen. Sie hatten ihrem vernichtenden Hass freien Lauf gelassen. Die Qualen waren fast unerträglich. Dennoch krächzte er unter Aufbietung allen Willens: „Es - es gibt eine Quittung. Sie - sie befindet sich bei den Kaufpapieren. Ehe ihr weitermacht, solltet ihr sie euch ansehen.“

Jemand legte ihm von hinten eine Schlinge um den Hals und zog sie eng. Der rauhe Hanf scheuerte auf Hunters Haut. Das Lassoende flog über den dicken, waagrechten Ast der Korkeiche.

„Bei Gott, ihr hängt einen Unschuldigen!“, keuchte Hunter erstickend. „Die Papiere sind in meinen Satteltaschen. Es ist ein brauner Umschlag.“

„Sieh nach, Warren!“ Flaherty stemmte die Fäuste in die Seiten und fixierte Hunter unter halbgesenkten Lidern hervor.

Warren McLeod brachte den Umschlag. Flaherty riss ihn auf. Seine Kiefer mahlten. Seine Züge muteten wie versteinert an. Und Hunter begriff, dass dieser Mann derart vom Hass besessen war, dass er weder Worten und Argumenten noch irgendwelchen Beweismitteln zugänglich war. Er sah die Papiere kaum an.

„Eine Fälschung“, sagte Flaherty herablassend. „Ihr wolltet ganz besonders clever sein, wie? Aber mich täuscht du nicht, Bandit. Also fahr zur Hölle!“

Flaherty nickte seinen Männern zu. Er kannte keine Gnade, kein Erbarmen - er kannte nur mitleidlose, unerbittliche Rache für den Tod einer Männer. Das machte ihn zu einer den niedrigsten Trieben gehorchenden Bestie.

Gerade, als sie Hunter auf eines Pferde hoben, das herangeführt worden war, peitschte ein Schuss. Die Kugel fuhr in den Stamm der Eiche und zerfetzte die Rinde. Die Hände, die Hunter hielten, ließen ihn los, er krachte schwer auf die harte Erde. Die Männer von der Hufeisen Ranch griffen nach den Colts, aber da dröhnte ein zweiter Schuss, und dieses Geschoss pflügte vor Jack Flahertys Stiefelspitzen in den Boden und schleuderte Erdreich gegen seine Schienbeine.

Die Hufeisen-Männer versteiften.

Aus dem einsetzenden Grau löste sich ein Reiter. In seiner rechten Armbeuge lag die Winchester. In dem Getöse, die die Herde verursachte, war der Hufschlag seines Pferdes untergegangen. Die Kerle waren auch viel zu sehr mit Hunter beschäftigt gewesen, als dass sie auf fremde Geräusche geachtet hätten.

Nun lauerten sie, und sie waren angefüllt mit einer angespannten, bösen Bereitschaft.

*



Es war Virg Hammond, der im letzten Augenblick eingegriffen hatte. Er war unermüdlich dem Fluss gefolgt. Als er die Stelle erreichte, in der ein schmaler Bach, der sich aus den Hügeln schlängelte, in den Creek mündete, prallte der Knall eines Schusses heran.

Ohne zu zögern nahm der Wells Fargo-Mann das Gewehr aus dem Scabbard, hebelte eine Patrone in den Lauf, dann lenkte er das Pferd in die Hügellücke. Ein heller, fingerdicker Streifen über dem Horizont im Osten wies auf den Tagesanbruch hin. Die Dunkelheit wich einem diffusen Grau. Der Widerhall des Schusses war über den Höhenzügen zerflattert, und ein anderes Geräusch, das Hammond bisher entgangen war, wehte in dumpfer Monotonie heran.

Hammond verhielt am Rand des Talkessels das Pferd. Er sah die Herde. Die Leiber der Tiere muteten im Dämmerlicht an wie schwarze, ineinander fließende Schatten. Wie ein rotes Auge gloste der Glutpunkt des Lagerfeuers am Fuße des Höhenzuges, der das Tal nach Norden begrenzte. Der Wells Fargo-Mann vernahm Geschrei. Langsam ließ er sein Pferd weitergehen. Er konnte sich keinen Reim aus dem machen, was er bisher an Eindrücken aufnehmen konnte. Seine Sinne arbeiteten mit doppelter Schärfe. Er war ein Bündel angespannter Wachsamkeit. Seine Augen bohrten sich in den Morgendunst und durchdrangen ihn auf fünfzig, sechzig Yards. Die rauen Stimmen wiesen ihm die Richtung.

Und dann lag die Szene vor seinem Blick. Mit der Wucht eines Blitzschlags kam das Begreifen. Virg Hammond schluckte hart, dann hob er das Gewehr...

Und jetzt zerrte er vor den Lynchern das Pferd in den Stand. Er spürte den Anprall von Misstrauen und Feindschaft. Er sah den Mann am Boden, dessen Hände auf den Rücken gefesselt waren und der sich keuchend und ächzend auf die Knie hochkämpfte. Sein Gesicht war verschwollen und blutverschmiert, er sah zum Fürchten aus. Um seinen Hals lag eine Schlinge. Das Pferd, das unter dem soliden Ast stand, peitschte mit dem Schweif und spielte mit den Ohren.

„Was soll das?“ So herrschte Hammond die Hufeisen-Männer an. „Wer gibt euch das Recht, diesen Mann aufzuknüpfen?“ Plötzlich stutzte er. Er beugte sich etwas nach vorn, sein Blick verkrallte sich am verkniffenen Gesicht Jack Flahertys, seine linke Braue zuckte in die Höhe, und er stieß hervor:

„Sie sind doch Jack Flaherty aus dem Lincoln County. Sie sind Kunde der Wells & Fargo Bank in Santa Fe. Yeah, ein Irrtum ist ausgeschlossen. By gosh, Flaherty, aus welchem Grund wollen Sie diesem Mann den Hals langziehen?“

Flaherty Haltung entspannte sich. Seine Schultern sanken nach unten. Er kannte Hammond. „Er ist ein Mörder und Viehdieb. Seinen Komplizen mussten wir erschießen, denn er griff zur Waffe, als wir auftauchten. Sie haben die vier Männer, die diese Herde nach Santa Fe zum Verkauf treiben sollten, ohne Skrupel niedergeknallt. Joe Sand gelang schwer verwundet die Flucht. Er schaffte es noch bis zur Ranch. Wir brachen sofort auf - und hier holten wir die Bastarde ein. Ist das kein Grund, Hammond, ihn zu hängen?“

„Es stimmt nicht!“, krächzte Hunter. Seine Mundhöhle war trocken wie Wüstensand. Mit seinen aufgeschlagenen Lippen hatte er Mühe, die Worte einigermaßen klar zu formulieren. Der Schädel drohte ihm zu platzen. „Mein Partner und ich - wir sahen die Herde, die südlich von Santa Fe rastete. Es waren drei Männer, die sie bewachten. Wir kamen mit ihnen ins Geschäft und zahlten 2500 Dollar. Ich - ich habe alles schwarz auf weiß. Flaherty jedoch ignorierte es. Sie - sie hat der Himmel geschickt, Mister.“

„Halten Sie Ihre Männer zurück, Flaherty“, warnte Hammond. Dann saß er ab. Ohne in seiner Wachsamkeit nachzulassen fragte er abgehackt: „Sagten Sie drei Männer? Können Sie die drei beschreiben?“

„Yeah.“ Hunter räusperte sich, atmete tief durch, und ihm rann ein eisiger Schauer über den Rücken, als er daran dachte, dass er ohne das Auftauchen dieses Mannes jetzt schon schlaff am Ende des Seiles baumeln würde. Er nannte zuerst die Namen der drei Banditen, und dann ordnete er jedem der Namen eine ziemlich detaillierte Beschreibung zu.

Als Hunter geendet und Hammond das Gehörte verstandesmäßig verarbeitet hatte, wandte der Wells Fargo-Mann sich Flaherty zu. Er sagte grollend: „Es besteht kein Zweifel, Flaherty. Es handelt sich um die drei Halsabschneider, die in Santa Fe die Wells & Fargo-Bank ausgeraubt und einen Kassier ermordet haben. Ich bin hinter ihnen her. Lieber Himmel, Flaherty, der Mann spricht die Wahrheit.“

Jack Flaherty zog den Kopf zwischen die Schultern. Ein unruhiges Flackern zeigte sich in seinen Augen. Betreten wich er dem Blick Hammonds aus. Mit belegter Stimme befahl er: „Nehmt ihm den Strick und die Fesseln ab. Ich ...“

„Sie haben um ein Haar einen Mord begangen, Flaherty!“ So schnitt ihm Hammond, der für Lynchjustiz nicht die Spur von Verständnis aufbringen konnte, schroff das Wort ab.

Der Rancher zuckte zusammen wie unter einem Stockhieb.

Hunters Handfesseln fielen. Schmerzhaft zirkulierte das Blut in seine Finger. Er massierte seine Handgelenke. Seine Hände waren angeschwollen und taub. Mit einer ihm selbst fremdartig klingenden Stimme sagte er: „Sie haben meinen Partner Jim Otis erschossen, Hammond. Sein Tod geht auf das Konto Flahertys. Sie haben ihn einfach auf den Verdacht hin, dass wir die Rinderdiebe sind, niedergeknallt. Auf Jim warten eine Frau und ein sechsjähriges Mädchen. Doch nun ...“

Hunters Stimme brach. Ein Beben durchrann seine Gestalt, und es sah aus, als wollte er sich mit bloßen Fäusten auf Flaherty stürzen.

„Er griff nach dem Gewehr, als er mich bemerkte“, versuchte sich Bill Willford, der den tödlichen Schuss abgegeben hatte, zu rechtfertigen. „Ich feuerte in Notwehr. Außerdem war ich überzeugt, einen der Mörder meiner Kameraden vor der Mündung zu haben.“

„Ihr werdet dafür büßen!“ Hunters Stimme war nur ein heiseres, fanatisches Geflüster. Der Zorn, der ihn angesichts des sinnlosen Todes seines Freundes beherrschte, war stärker als alles andere, überwand Schmerz und Schwäche und näherte sich der Grenze zum verzehrenden Hass.

„Mann, Flaherty, wo hatten Sie bloß Ihren Verstand, als Sie die vermeintlichen Viehdiebe und Mörder eingeholt zu haben glaubten“, presste Hammond hervor. „Der Tod seines Partner wird für Sie und den Schützen ein Nachspiel haben. Sie sind auf jeden Fall wegen Totschlags dran.“

„Wir waren einer Mörderbande auf der Spur!“, brauste Flaherty auf. „Alles sprach dafür, dass diese beiden die Schufte sind. Es tut mir leid, dass der Mann gestorben ist. Könnte ich ihn wieder lebendig machen, täte ich es. Es tut mir leid. Es war ein tragisches Missverständnis.“

„Damit hat es gewiss nicht sein Bewenden“, versetzte Hammond unbeeindruckt. „Niemand hat Sie zum Richter und Henker berufen, Flaherty. Sie waren mit Ihren Männern in der Überzahl. Es wäre ein Leichtes gewesen, die beiden zu überwältigen und im Falle, dass sie Ihren Verdacht nicht entkräften hätten können, dem Gesetz zu übergeben. Sie aber sind schon mit dem Vorsatz, kurzen Prozess zu machen, Ihrer Herde gefolgt. Ich schätze, das Gericht wird wenig Einsicht für Ihr Vorgehen aufbringen können.“

Scharf stieß Flaherty die Luft durch die Nase aus. Finster starrte er den Wells Fargo-Mann an. Plötzlich wandte er sich ab und stieß hervor: „Wir treiben die Herde zurück, Leute.“ Zu Hammond sagte er ungerührt und hart: „Ich kann das Geschehene nicht ungeschehen machen. Die beiden trieben eine gestohlene Herde. Männer wurden skrupellos ermordet. Jeder andere Mann an meiner Stelle hätte ebenso gehandelt. Sie sollten sich raushalten, Hammond.“

In seinen Worten lag zuletzt eine unausgesprochene, dennoch unverhohlene Warnung.

„Sie werden Rechenschaft abgeben müssen, Flaherty“, knirschte Hunter. „Ich werde nicht ruhen.“

Der Rancher maß ihn mit einem geringschätzigen Blick. Dann knurrte er: „Du bist dem Tod im letzten Augenblick von der Schaufel gesprungen, Amigo. Danke Gott dafür und werde nicht übermütig. Das Schicksal lässt sich nicht ungestraft herausfordern ...“

Er brach bedeutungsvoll ab, ging zu einem der Pferde und schwang sich in den Sattel. „Worauf wartet ihr?“, herrschte er seine Männer an, nahm das Pferd herum und ritt zur Herde.

*



Es war fast hell. Mit leerem Blick lauschte Hunter den sich entfernenden Geräuschen der Herde, die die Hufeisen-Männer zwischen die Hügel getrieben hatten. Jim und er hatten das Geld, das sie in langen Jahren zusammengekratzt und zurückgelegt hatten, in diese Herde investiert. Die letzten Dollars waren für die Packtiere, das Campzeug und den Proviant draufgegangen. Der Traum von einer eigenen Ranch war zerplatzt wie eine Seifenblase. Die Illusion von einer guten, sorgenfreien Zukunft lag in Trümmern.

Hammond hatte Jims Leichnam vom Pferd gehoben. Sein Schatten fiel auf Hunter, der gedankenverloren im Gras saß. „Werden Sie nach Santa Fe zurückreiten und Anzeige gegen Flaherty erstatten?“

Hunter schrak aus seiner Versunkenheit auf. Die Leere in seinen Augen verflüchtigte sich. „Ja“, murmelte er. „Ich werde Sie als Zeugen benennen, Hammond.“

Der Wells Fargo-Mann nickte. „Ich schätze jedoch, es wird einige Zeit dauern, bis ich nach Santa Fe zurückkehre. Ich habe nämlich geschworen, die drei Höllenhunde, die den Kassier ermordeten, zur Strecke zu bringen, ehe sie sich über die Grenze nach Mexiko aus dem Staub machen.“

„Mexiko liegt im Süden“, gab Hunter zu bedenken. „Mir scheint aber, sie folgen den Kerlen in südwestlicher Richtung.“

Hammond deutete mit dem Daumen über die Schulter. „Sie haben den Fluss benutzt, um ihre Spuren zu verwischen. Irgendwo aber müssen sie ihn wieder verlassen. Ich hoffe, dass ich mich für die richtige Richtung entschieden habe. - Flaherty und seine Männer haben Sie ziemlich hart rangenommen. Sie sollten einige Stunden ruhen, um wieder zu Kräften zu kommen. Andernfalls fallen Sie nach fünf Meilen aus dem Sattel.“

Hunter stemmte sich hoch. Es war eine Anstrengung, die all seinen Willen erforderte. Er ging auf tauben Beinen zum Bach, knotete sein Halstuch auf und wusch sich Blut, Schweiß und Staub aus dem Gesicht. Die Platz- und Schürfwunden brannten wie Feuer. Seine Bewegungen muteten lahm und hölzern an.

Wieder erreichte ihn Hammonds Stimme: „Was machen wir mit Ihrem Partner? Wollen Sie ihn hier begraben, oder schaffen Sie ihn nach Santa Fe? Ich denke, Sie sollten dem U.S. Marshal den Toten präsentieren. Das beschleunigt die Sache, denn Donovan kann dann sofort die nötigen Schritte einleiten und den Sheriff im Lincoln County verständigen.“

„Donovan?“, kam es fragend von Hunter.

„Stan Donovan. Er ist der U.S. Marshal. Der höchste Gesetzesmann von New Mex.“

Hunter erhob sich. Jetzt, da das Blut abgewaschen war, konnte Hammond die zahlreichen Blessuren und Schwellungen in seinem Gesicht deutlich ausmachen. Es war das Zeugnis roher, unmenschlicher Gewalt, das er sah. Mitfühlend legte er Hunter die Hand auf die Schulter. „Ich helfe Ihnen, das Camp abzubrechen. Dann aber müssen Sie wieder alleine zurecht kommen, denn ich habe schon viel zu viel Zeit verloren. Kommen Sie.“

Mit sanfter Gewalt dirigierte er Hunter vor sich her zum Lagerplatz. Langgestreckt lag neben dem erloschenen Lagerfeuer Jim Otis. Noch im Tod spiegelten seine Züge den Schrecken wider, dem er in der letzten Sekunde seinen Lebens ausgesetzt gewesen war. Die Haut war wächsern. Der Blutfleck auf seiner Hemdbrust war fast eingetrocknet. Der Anblick ließ Hunter das Blut in den Adern gefrieren, und der Hass kam in langen, giftigen Wogen.

Hammond, der ihn von der Seite beobachtete und dem die jähe Veränderung in seinem Mienenspiel nicht verborgen blieb, murmelte: „Sie sollten nicht versuchen, es selbst in die Hand zu nehmen, Amigo. Es würde Sie auf eine Stufe mit Flaherty und seinen Reitern stellen. Wenden Sie sich an Donovan. Er wird für Gerechtigkeit sorgen.“

Die letzten Worte fielen mit Nachdruck, in Hammonds Stimme lag ein beschwörender Unterton.

„Keine Sorge“, antwortete Hunter und eiste gewaltsam seinen Blick von Jim los. „Ich wende mich an Donovan.“

Eine halbe Stunde später trennten sie sich an der Stelle, an der der Bach in den Creek mündete. Hunter hatte auf eine längere Ruhepause verzichtet. Er folgte der Fährte der Herde. An der Longe führte er Jim Otis’ Pferd. Hammond hatte den Leichnam festgebunden, damit er nicht herunterrutschen konnte. Die beiden Maultiere, den Proviant und das Campzeug hatte Hunter in dem Tal zurückgelassen. Er ritt langsam. Jeder Schritt des Pferdes bereitete ihm Qualen. Er war ein geschlagener Mann und er fürchtete die Stunde, in der er heimkehrte und Isabel die grausame Wahrheit berichten musste.

Hunter achtete nicht auf seine Umgebung. Viel zu sehr war er mit sich selbst und seinen trübsinnigen Gedanken beschäftigt. Er konnte auch nicht ahnen, dass Jack Flaherty einen teuflischen Entschluss gefasst hatte - den Entschluss, die Zeugen seines brutalen, tödlichen Vorgehens für alle Zeit mundtot zu machen.

Sie hatten die Herde noch keine zwei Meilen getrieben, als er anhalten ließ. Seine Männer scharten sich um ihn. Er ließ seine Stimme erklingen: „Es war ein Missverständnis. Aber es ist Blut geflossen, ein Mann ist tot, und den anderen hätten wir um ein Haar hinter ihm her geschickt. Es wird für uns böse Folgen haben. Wäre uns dieser verdammte Wells Fargo-Mann nicht in die Parade gefahren, hätte kein Hahn nach den beiden Narren gekräht. So aber werden uns einige Jahre im Zuchthaus nicht erspart bleiben.“

Vielsagend schaute er seine Reiter der Reihe nach an. In Bill Willfords Gesicht zuckten die Nerven. Er blinzelte erregt. Flaherty fuhr fort: „Wir müssten allerdings keinen Gedanken mehr daran verschwenden, wenn Hammond und der andere Mister, dessen Namen ich nicht mal kenne, von der Bildfläche verschwinden würden.“

„Du - du willst sie umlegen?“, würgte Ken Wood hervor und starrte seinen Boss mit einer Mischung aus Betroffenheit und Ungläubigkeit an.

„Wie sonst wollen wir verhindern, dass sie uns das Gesetz auf den Hals hetzen?“, fragte Flaherty fast gelassen. „Im Zuchthaus gehen wir vor die Hunde. Denkt mal nach. Drei, vier, vielleicht sogar fünf Jahre hinter Stacheldraht und Mauern lebendig begraben sein. Das blüht uns. Die Arbeit im Steinbruch! Das höhlt einen Mann aus und zerbricht ihn.“

Seine drängenden Worte zeigten Wirkung. Ihre Mienen waren Spiegelbild dessen, was sich in ihren Köpfen abspielte.

„O verdammt“, knirschte Willford. „Ich bin ein Mann der Weide. Ich würde keine zwei Wochen im Zuchthaus überstehen.“ Er schob das Kinn nach vorn, was seiner jähen Entschlossenheit Ausdruck verlieh. „Ich bin dabei, Boss. Hier in der Wildnis können wir die beiden verschwinden lassen. Und wir sollten keine Zeit mehr vertrödeln.“

„Ihr wisst doch hoffentlich, dass uns allen der Strick droht, wenn man uns auf die Schliche kommt“, gab Phil Mason rau zu verstehen. Unruhig rutschte er im Sattel hin und her.

„Nur wir fünf wissen es“, versetzte Flaherty. „Und von uns wird ja keiner dumm genug sein, den Kopf freiwillig in die Schlinge zu stecken.“

„Ich weiß nicht“, murmelte Mason zweifelnd.

„Ich denke, es gibt nichts zu überlegen!“, zischte Willford, der Todesschütze. Er musterte seine drei Gefährten der Reihe nach. „Denkt nur nicht, dass ihr ungeschoren davonkommt. Ihr wart dabei, als wir das Camp überfielen. Ihr hättet ohne Hemmungen den Burschen baumeln lassen. Erwartet nur keine Nachsicht. Wir haben ihn fast zu Tode geprügelt. Wenn sie Hammond in den Zeugenstand rufen, wird er gewiss kein Blatt vor den Mund nehmen. Er hat keinen Grund, uns zu schützen.“

„Er hat recht“, ließ Ken Wood vernehmen. Er hatte sich durchgerungen. Der Gedanke, eingesperrt zu werden, entsetzte ihn bis ins Mark. „Ich bin dabei. Reiten wir zurück und besorgen wir es den beiden.“

Herausfordernd musterte Jack Flaherty Warren McLeod. Dieser nickte. „Wir gehen kaum ein Risiko dabei ein“, knurrte er.

Schließlich war auch Phil Mason einverstanden.

Jack Flaherty sagte: „Ken und Phil, ihr beide treibt die Herde langsam weiter. Bill, Warren, wir reiten zurück. Vielleicht haben wir Glück und die beiden sind noch in dem Tal. Vorwärts!“

Er gab seinem Pferd die Sporen. Bill Willford und Warren McLeod schlossen sich ihm an.

Als sie etwa die Hälfte der Strecke zurück zu dem Talkessel hinter sich gebracht hatten, sahen sie den Reiter, der ein Pferd an der langen Leine führte. Sie lenkten ihre Tiere in den Schutz einer Anhöhe, sprangen ab, nahmen die Gewehre und liefen hangaufwärts, gingen auf dem Kamm in Deckung.

Schon bald erkannten sie Hunter. Sie zogen die Gewehre an die Schultern und beobachteten ihn über Kimme und Korn hinweg.

Hunters Pferd schnaubte. Der Wind kam ihnen entgegen und es hatte die Witterung seiner Artgenossen aufgenommen. Hunter tauchte aus seiner Versunkenheit auf. Er nahm das Blinken auf dem Rücken des Hügels vor sich wahr, als Metall das Sonnenlicht reflektierte, sein sechster Sinn für die Gefahr schrillte Alarm, er vergaß alle körperlichen Nöte, griff nach dem Gewehr und ließ sich seitlich vom Pferd fallen.

In diesem Moment brüllten auf dem Hügel die Gewehre auf. Die Mündungsblitze verschmolzen mit dem Sonnenlicht. Wie ein Gruß aus der Hölle prallte das Peitschen heran, und Hunter spürte den heißen Strahl eines der Geschosse wie einen Peitschenhieb auf dem Rücken. Dann schlug er hart am Boden auf, rollte weiter und kam in einer flachen Mulde, die ihm nur notdürftig Schutz bot, zum Liegen.

Sein Pferd tänzelte unruhig auf der Stelle. Das Pferd mit dem Toten scharrte mit dem Huf. Über dem Hügel vor Hunter zerflatterten Pulverdampfwolken. Sekundenlang war er nicht in der Lage, einen Zusammenhang herzustellen, irgendeinen Gedanken festzuhalten und den Sinn des Hinterhalts zu begreifen. Mechanisch lud er durch. Hart presste er seinen Körper gegen den Boden. Und plötzlich begannen wieder die Gewehre zu hämmern. Das Krachen stieß über die Ebene und rollte die Abhänge hinauf. Klumpen von Erdreich wurden über Hunter geschleudert. Die beiden Pferde drängten sich erschreckt aneinander und rollten verstört mit den Augen.

Schlagartig brach das Feuer wieder ab. Bleierne Stille folgte dem höllischen Intermezzo, das die hinterhältigen Schützen veranstaltet hatten. Hunter sammelte sich. Und er begann zu ahnen, wer die Kerle waren, die ihm ihr Blei um die Ohren knallten. Etwas in ihm verhärtete. Sie hatten seinen Freund auf dem Gewissen, und sie hätten ihn um ein Haar gehängt. Und nun hatten sie ihm aufgelauert, um dort weiterzumachen, wo sie der Wells Fargo-Mann Virg Hammond am Morgen gezwungen hatte, aufzuhören. Ihnen ging es nicht mehr darum, Sühne für den Tod einiger Männer und den Diebstahl der Rinderherde zu fordern - es ging ihnen nur noch darum, die Zeugen ihres gesetzlosen Handelns aus dem Weg zu räumen, um sich so der Gerechtigkeit zu entziehen.

Ein mitleidloser Zug brach sich Bahn in Hunters Miene. Seine Augen blickten hart wie Stahl. Sein Verstand begann präzise zu arbeiten. Ihn erfüllte plötzlich das grimmige und ungeduldige Verlangen, sie gnadenlos zur Rechenschaft zu ziehen.

Hier, in dieser Mulde, konnte er nicht bleiben. Er war angeschlagen und nicht vollwertig. Dieses Handicap glichen jedoch der wühlende Hass, die tödliche Entschlossenheit und der dämonische Selbsterhaltungstrieb aus. Und er verfügte über Kampferfahrung. Die Jahre, in denen er und Jim ruhelos durch das Land gezogen waren, hatten so manche gefährliche Überraschung für sie bereitgehalten, hatten sie oftmals gezwungen, sich kämpfend zu behaupten und sie wie Stahl geschmiedet. Sie hatten aus den Lektionen, die ihnen erteilt wurden, gelernt.

Hunter sah sich um. Außer einigen Büschen gab es in seiner Nähe keine Deckung. Er beobachtete wieder den Hügelkamm, auf dem sich die heimtückischen Schützen postiert hatten. Er rechnete sich aus, dass sie versuchen würden, ihn in die Zange zu nehmen. Während ihn einer mit seinen Kugeln in dieser Bodenvertiefung festnagelte und seinen Gefährten Feuerschutz gab, konnten diese ihn von verschiedenen Seiten packen. Und er bot sich ihnen hier dar wie auf einem Präsentierteller.

Hunter setzte alles auf eine Karte, zog die Beine an, spannte die Muskeln und Sehnen seiner Arme und federte hoch. Hakenschlagend wie ein Hase rannte er auf eine Gruppe von Sträuchern zu, er hörte das hämmernde Stakkato ihrer Schüsse und sah aus den Augenwinkeln, dass sein Pferd und das Tier mit Jim auf seinem Rücken die Flucht ergriffen.

Als Hunter regelrecht in den Schutz des Gestrüpps flog und für die drei Männer auf dem Hügel nicht mehr zu sehen war, knirschte Bill Willford:

„Der Hundesohn ist mit dem Satan im Bunde! Die Pest an seinen Hals!“

„Wir kriegen ihn“, versicherte Flaherty, doch seine Stimme wies einen nervösen Unterton auf. „Bill, versuche von der anderen Seite an ihn heranzukommen. Nimm deinen Gaul und umreite ihn in einem sicheren Bogen, und dann treibst du ihn aus seiner Deckung.“ Er wies nach Süden. „Sein Pferd ist in diese Richtung geflohen. Er wird versuchen, sich ebenfalls in diese Richtung abzusetzen, denn ohne Gaul ist er aufgeschmissen. Reite zwischen die Hügel, Warren, und nimm ihn in Empfang, wenn wir ihn nicht schon vorher erledigen.“ Er kratzte sich am Hals, leckte sich über die trockenen Lippen, und schloss: „Ich bleibe hier. Und wenn er auch nur seine Nasenspitze zeigt, schieße ich sie ihm weg.“

Bill Willford und Warren McLeod liefen zu ihren Pferden.

In der Senke kniete Hunter hinter dem Gestrüpp, bog mit der linken Hand das dichte Zweiggespinst etwas auseinander und beobachtete voll kalter Ruhe den Hügelrücken. Und er tat genau das Gegenteil von dem, was Flaherty von ihm erwartete. Er folgte nicht den Pferden nach Süden, sondern zog sich - immer darauf bedacht, dass die Büsche in der Sichtlinie zwischen ihm und seinen Gegnern waren -, soweit zurück, bis ihn eine Bodenwelle deckte, der er kriechend nach Norden folgte.

Es dauerte lange, bis er das hügelige Terrain erreichte und sich ungezwungen bewegen konnte. In dem Moment, als er sich aufrichtete, vernahm er das Klopfen der Hufe eines einzelnen Pferdes. Zuerst dachte Hunter, seine überreizten Sinne spielten ihm einen Streich, doch der Hufschlag wurde deutlicher, und Hunter glitt hinter einen Busch. Der Reiter näherte sich zwischen den Hügeln. Noch konnte Hunter ihn nicht sehen. Schließlich aber kam er um die Anhöhe herum, und Hunter erkannte in ihm den Mann, der Jim Otis erschossen hatte.

Bill Willford hatte das Gewehr quer über den Mähnenkamm seines Braunen gelegt und hielt es mit der Rechten am Kolbenhals fest. Die Linke führte die Leinen. Als er mit Hunter auf einer Höhe war, zeigte sich dieser.

Willford reagierte überraschend schnell. Aber er war für Hunter zu langsam. Hunter schoss aus der Hüfte. Sein Blei fegte Willford regelrecht vom Pferderücken. Sein Gewehr flog im hohen Bogen davon. Der Braune machte einen erschreckten Satz nach vorn.

Willford war nicht tot. Er lag auf dem Rücken. Hunters Geschoss hatte ihm die linke Schulter zerschmettert. Blut quoll aus der Wunde. Willford röchelte. Der glühende Schmerz tobte bis unter seine Schädeldecke und drohte ihm die Besinnung zu rauben. Doch Angst und Entsetzen verliehen ihm die Kraft, Schmerz und Betäubung zu überwinden, den Kopf zu heben und nach dem Colt zu greifen.

Die feurige Lohe, die aus Hunters Gewehrmündung auf ihn zustieß, war die letzte Wahrnehmung seines Lebens. Den Knall des Schusses hörte er schon nicht mehr. Er fiel zurück, seine Hand öffnete sich und der Sechsschüsser fiel ins Gras.

Hunter empfand nichts. Sie hatten ihm diesen Kampf aufgezwungen, für ihn ging es ums Überleben. Rücksichtnahme und Mitleid konnte er sich nicht leisten.

Er ging um den Toten herum und schwang sich auf das Pferd, das noch erschreckt von dem Schuss schnaubend zurückscheute, das Hunter jedoch sehr schnell seinem Willen unterwarf...

*



Hunter ritt im Schutze der Anhöhen ein ganzes Stück nach Osten, schwenkte nach Süden ein und näherte sich schließlich dem Hügel, von dem aus er beschossen worden war, von der Ostseite. Er ließ, als er befürchten musste, gehört zu werden, das Pferd zurück und schlich sich an.

Seine Vermutung, dass sie ihn in die Zange nehmen wollten, bestätigte sich. An der Basis des Abhanges stand nur noch ein Pferd. Hunters aufmerksamer Blick schweifte über die Hügelkuppe. Einer saß noch dort oben. Das war für Hunter keine Frage. Aufgabe des Burschen war es gewesen, ihn in der Senke festzunageln. Nach den Schüssen aber, aus denen er sich dieses oder jenes zusammenreimen konnte, hockte er vielleicht hoffnungsvoll, vielleicht auch wie ein verängstigtes Kaninchen zwischen den Büschen und Felsgebilden dort oben und harrte zitternd vor Unbehagen und Erregung der weiteren Entwicklung der Dinge.

Ein hartes Grinsen kerbte Hunters Mundwinkel nach unten. In seinem von den brutalen Schlägen verunstalteten Gesicht mutete dieses Grinsen maskenhaft und starr an.

Hunter machte sich an den Aufstieg. Unablässig sicherte er nach oben. Auch hier gab es Gestrüpp und Felsbrocken, die sporadisch aus der Erde wuchteten und Schutz boten. Er glitt von Deckung zu Deckung, schnell und lautlos wie ein Schatten, wartete, witterte und gehorchte seinen Instinkten. Und sie ließen ihn nicht im Stich. Als er hinter einem der Felsen hervortrat, mit den Augen die nächste Deckungsmöglichkeit anpeilend, nahm er oben zwischen den Felsen die flüchtige Bewegung wahr, drückte sich ab, und der Schütze fand nicht mehr die Zeit, sich auf das jäh veränderte Ziel einzustellen. Seine Kugel klatschte gegen Felsgestein, meißelte einen wahren Hagel von Splittern los und quarrte mit grässlichem Heulen als Querschläger davon.

Hunter stand jetzt vollkommen ungeschützt auf dem Abhang, breitbeinig und leicht in der Mitte nach vorne geknickt, als suchte er festen Stand. Seine Winchester spuckte Feuer, Rauch und Blei. Oben taumelte mit einem schrillen Aufschrei Jack Flaherty aus den Felsen, stolperte, knickte in den Knien ein, drückte sich noch einmal zu seiner vollen Größe in die Höhe, plötzlich jedoch drehte er sich halb um seine Achse und kreiselte zu Boden. Sein Hut rollte ein Stück hangabwärts und verfing sich schließlich im Gras.

Vorsichtig pirschte Hunter sich an ihn heran. Flaherty röchelte erstickend. Es hörte sich fast an wie verzweifeltes Wimmern. Er hatte Hunters Kugel in den rechten Oberschenkel bekommen. Mit beiden Händen umklammerte Flaherty das Bein. Blut quoll zwischen seinen Fingern hervor. Die pulsierenden Schmerzen verzerrten sein staubverkrustetes Gesicht, in das der perlende Schweiß helle Spuren zeichnete. Schmerz und Schock lähmten Flahertys Bewusstsein und Hunter war für ihn in diesen qualvollen Minuten nebensächlich geworden.

Das änderte sich schlagartig, als Hunter unvermittelt, wie aus dem Boden gewachsen, neben ihm auftauchte. Sein Röcheln verstummte. Sein Kehlkopf rutschte hinauf und hinunter, als würgte ihn eine unsichtbare Faust. Hunter bückte sich, zog Flaherty den Colt aus dem Halfter, steckte ihn sich in den Hosenbund, nahm das Gewehr und zerschlug es an einem der von der Erosion der Jahrtausende zernagten Quader in zwei Stücke.

Flaherty stierte ihn aus unterlaufenen Augen an, in denen Schmerz und Hass aber auch die panische Angst wüteten. Hunter sagte ungerührt und irgendwie schleppend: „Du hast es dir zu einfach vorgestellt, Flaherty. Jetzt ist für dich der Schuss nach hinten losgegangen. Wie viele von deinen Männern schleichen noch durch die Gegend, um mich für immer zum Schweigen zu bringen? Einen habe ich zwischen den Hügeln erledigt. Wie viele noch, Flaherty? Sind es zwei, oder ist es nur noch einer. Aus euren Schüssen konnte ich schließen, dass ihr zu dritt oder viert wart. Antworte!“

„Die Hölle verschlinge dich!“, japste der Rancher, der, um sich der Gerechtigkeit zu entziehen, innerhalb weniger Stunden ins Banditentum abgerutscht war. Rasselnd holte er Luft.

„Wie du willst“, murmelte Hunter gelassen. „Ich finde es auch so heraus. Du solltest dir das Halstuch um die Wunde binden, ehe du ausblutest, Flaherty. Ich brauche dich nämlich lebend. Für den U.S.-Marshal. Es würde eine ganze Reihe von unangenehmen Fragen aufwerfen, wenn ich ihm nur Leichen brächte. Bis Hammond nach Santa Fe zurückkehrt und seine Aussage macht, kann ich aber nicht warten.“

Hunter schritt den Hang hinunter. Flaherty schickte ihm eine üble Verwünschung hinterher. Er sah, dass Hunter sein Pferd losleinte und davonführte. Der Rancher schleppte sich in den Schatten. Wenn es McLeod nicht gelang, Hunter auszuschalten, dann war er verloren. Hunter hatte keinen Zweifel offengelassen, dass er entschlossen war, ihn dem Gesetz auszuliefern. Und sein Schuldkonto hatte sich um den Tatbestand des versuchten vorsätzlichen Mordes vergrößert. Es drängte mit niederschmetternder Vehemenz in seinen Verstand, ließ ihn schwindlig werden, und er hatte plötzlich das Empfinden, den Boden unter den Füßen zu verlieren.

Flaherty schloss die Augen, der Taumel ging vorüber, er zwang sich zu klarer Überlegung und Besonnenheit, lauschte dem Hufschlag, der sich langsam entfernte, und erschauderte. Irgendwie, das spürte er ganz deutlich, gab es für ihn kein Entrinnen. Das Begreifen, dass er in seiner Unduldsamkeit und Härte zu weit gegangen war und sich selbst ins Verhängnis manövriert hatte, erschütterte ihn und ließ ihn fast verzweifeln. Er wusste aber auch, dass seine Reue zu spät kam. Er hatte sich selbst den Todesstoß versetzt, seiner mitleidlosen Kompromisslosigkeit und Rachgier einen hohen Tribut gezollt. Aber sollte er sich jetzt wie ein Hammel zur Schlachtbank führen lassen? Alles in ihm bäumte sich gegen diesen Gedanken auf.

Zunächst einmal aber musste er die Wunde abbinden. Er spürte schon die Schwäche, die der Blutverlust mit sich brachte, und die Benommenheit, die mit der Schwäche einherging. Er nahm - wie es ihm Hunter geraten hatte -, das Halstuch. Er schlang es oberhalb der Wunde eng um seinen Oberschenkel und drosselte so die Blutzufuhr ins Bein ab. Dann lehnte er sich keuchend, halb betäubt vom Schmerz und aus jeder Pore schwitzend, mit dem Rücken gegen den Fels, um wieder Kraft zu schöpfen. Wie eine zweite Haut klebte sein Hemd an seinem Körper.

Seit Hunter ihn verlassen hatte, war etwa eine Viertelstunde vergangen. Schüsse peitschten. Die Detonationen verschmolzen ineinander und verebbten schließlich grollend. Flahertys Kopf ruckte hoch, seine geröteten Lider zuckten, er schaute sich um wie ein Erwachender und lauschte. Nichts! Das Dröhnen in seinen Gehörgängen kam von seinem eigenen Herzschlag, der sich durch die Erregung, die ihn nach den Schüssen befiel, zur Raserei beschleunigte. Die Stille nach den Schüssen mutete ihn unwirklich und schrecklich an, zermürbte seine Nerven und verursachte ein chaotisches Durcheinander in seinem Bewusstsein. Die Ungewissheit verzehrte ihn regelrecht.

Und dann trieb wieder das Krachen einiger Schüsse heran. Einige Sekunden der schweren, lastenden Stille traten ein, dann sprengte noch ein einzelner Schuss die unheilvolle Atmosphäre - und dann herrschte wieder diese nervenzerrende, tödliche Lautlosigkeit. Sogar die Natur schien den Atem anzuhalten.

Der Aufruhr in seinem Innern erstickte Flaherty fast. Wie Fieber durchrann es seine Blutbahnen. Der letzte, einzelne Schuss hatte den Kampf zwischen den Hügeln im Süden entschieden. Aber aus wessen Waffe war er gekommen? Hunter Barkley hatte sich als Kampfmaschine entpuppt. Eine innere, unerbittliche Stimme hämmerte Flaherty ein, dass Hunter Sieger geblieben war.

Damit war sein Schicksal besiegelt. Die Erkenntnis kam bei Flaherty mit der Wucht eines Keulenhiebes. Die Angst, kalt und stürmisch wie ein Blizzard, kehrte zurück. Fiebrige, fast panikartige Erregung befiel ihn, seine Zähne schlugen aufeinander wie im Schüttelfrost - und plötzlich erfasste sein gehetzter Blick den Gewehrlauf mit dem zersplitterten Schaft, den Hunter, nachdem er die Waffe entzwei geschlagen hatte, achtlos fallen ließ.

Flaherty holte ihn sich. Der Schmerz im Bein brachte ihn fast um, als er wieder beim Felsen anlangte. Er schob den Lauf in einen Riss im Gestein und setzte sich so, dass er ihn mit einem schnellen Griff packen konnte. Dann wartete er voller Anspannung.

Hufschlag erklang nach geraumer Zeit, die Flaherty wie eine kleine Ewigkeit anmutete. Sein Puls raste. In seinem eingefallenen Gesicht zuckten die Nerven, zeigten sich hektische rote Flecken.

Der Reiter kam in sein Blickfeld. Obwohl er es geahnt hatte, war Flaherty wie elektrisiert. Es war Hunter Barkley. Er ritt wieder sein eigenes Pferd. Ihm folgten vier weitere Tiere. Das mit Jim Otis auf dem Rücken, Flahertys und Bill Willfords Pferde, und ein Rotfuchs, über dessen Rücken die schlaffe Gestalt Warren McLeods hing.

Am Fuß des Hügels ließ Hunter die Pferde zurück und stieg, das Gewehr in der Hand, den Hang hinauf. Oben presste er zornig hervor: „Ich musste den Narren erschießen. Er geht, ebenso wie der andere, den du in krankhaftem Eigennutz in den Tod schicktest, auf dein Konto, Flaherty. Ich hole jetzt den anderen Burschen, und dann reiten wir. In einigen Stunden sind wir in Santa Fe.“

Ihm blieb das heimtückische, raubtierhafte Schillern in Flaherty Augen nicht verborgen. Der Rancher schwieg verbissen. Er verströmte etwas, das Hunter alarmierte.

„Du solltest zur Vernunft kommen, Flaherty“, mahnte er gedehnt und mit einer unverhohlenen Warnung im Tonfall. „Hast du nicht schon genug Geschirr zerschlagen? Mein Partner und zwei von deinen Reitern sind tot. Du hast eine Kugel im Bein. Bist du nicht der Meinung, dass genug Blut geflossen ist?“

„Yeah“, kam es heiser von Flaherty, „viel zu viel Blut.“ Er hüstelte. „Keine Sorge, Mister“, schnappte er dann, „ich habe aufgegeben.“ Es war ein reines Lippenbekenntnis. Sein hinterlistiger Blick strafte seine Worte Lügen. Er stöhnte auf. „Ich habe das Bein nur abgebunden, um die Blutung zu stillen. Es ist schon ganz gefühllos. Ich wäre dir dankbar, wenn du das Verbandszeug aus meiner Satteltasche holen und mich anständig verarzten würdest.“

„Das geht in Ordnung“, murmelte Hunter und wandte sich ab.

Wenige Minuten später kam er mit Verbandszeug und der Wasserflasche zurück. Er zog sein Messer, um Flahertys Hosenbein aufzuschlitzen. Dabei beugte er sich über den Rancher. Da kam blitzartig Flahertys Rechte mit dem Gewehrlauf zum Vorschein. Sein Arm beschrieb eine Drehung, der Stahl pfiff durch die Luft. Hunter registrierte die jähe Gefahr und zuckte unwillkürlich zurück. Sein traumhaftes Reaktionsvermögen verhinderte, dass ihm der Stahl den Schädel zertrümmerte. Er wurde jedoch an der linken Schulter, genau am Halsansatz, getroffen, und der Schmerz lähmte seine linke Seite. Zischend entwich die Luft seinen Lungen, er torkelte zurück und fiel schließlich auf den Hosenboden. Nahe daran, seine Not hinauszubrüllen, sah er wie durch eine Nebelwand Flaherty heranhumpeln. Der Rancher hatte den Arm mit dem Gewehrlauf zum tödlichen Schlag erhoben. Hunter schleuderte das Messer, das er noch in der Rechten hielt, aber Flaherty wich mit einer geschickten Drehung seines Oberkörpers aus und das Messer klirrte gegen den Fels.

„Ich erschlage dich wie einen tollwütigen Hund!“, hechelte Flaherty.

Der Hieb sauste auf Hunter herunter. Dieser aber warf sich im letzten Moment zur Seite. Von der Wucht seines Schlages getrieben taumelte Flaherty zwei Schritte nach vorn, er belastete dabei sein verwundetes Bein über die Gebühr und brüllte voller Pein auf. Hunters Bein säbelte schräg nach oben und traf ihn in die Kniekehlen. Seine Knie gaben nach. Wieder brüllte er wie am Spieß, als er fiel. Er begrub das Schlaginstrument, dieses letzte Mittel, mit dem er sich auf blutige Weise die Freiheit erkaufen wollte, unter sich. Dann lag er wimmernd auf dem Gesicht, seine Finger verkrallten sich im Erdreich, von Zeit zu Zeit erschütterte ihn ein trockenes, krampfhaftes Schluchzen.

Hunter kämpfte sich auf die Beine. Zuerst befürchtete er, dass ihm der Schlag auf die Schulter das Schlüsselbein zersplittert hätte. Er tastete es ab und atmete erleichtert auf, als sich seine Befürchtung nicht bewahrheitete. Vorsichtig bewegte er den linken Arm. Er öffnete und schloss die Hand und versuchte, die linke Schulter zu rollen. Nur mühsam verbiss er einen Aufschrei.

Er ließ den Arm hängen. Taub baumelte er von seiner Schulter. Mit der Rechten zog er den Colt. Zwei Schritte brachten ihn an Flaherty heran. Er schob den Fuß unter dessen Körper und schleuderte ihn auf den Rücken. Dann stieß er den Winchesterlauf, der ihm um ein Haar zum Verhängnis geworden wäre, zur Seite und schnappte grimmig: „Erwarte von nun an keine Rücksichtnahme mehr, Flaherty. So sehr du dich bis jetzt vor der Auslieferung an den U.S.-Marshal gefürchtet hast, so sehr wirst du von nun an die Stunde herbeisehnen, in der ich dich ihm übergebe. Du gehörst nämlich zu der Sorte, die weder Mitleid noch Barmherzigkeit verdient.“

Hunter holte nach diesen Worten sein Messer und verstaute es im Stiefelschaft.

*



Als die Sonne ihren höchsten Stand längst überschritten hatte, parierte Hunter vor dem Headquarters des U.S.-Marshals das Pferd. Er war ziemlich erschöpft. Die Bruthitze hatte ihn ausgelaugt. Er war so sehr mitgenommen, dass er die Schmerzen, die von den brutalen Schlägen in der Nacht herrührten, gar nicht mehr bewusst wahrnahm. Seinen linken Arm, der nach Flahertys heimtückischer Attacke mit dem Gewehrlauf wie gelähmt gewesen war, konnte er - wenn auch nur eingeschränkt und unter ziehenden Schmerzen -, wieder gebrauchen.

Jack Flaherty war am Ende, psychisch und physisch am Nullpunkt angelangt. Hunter hatte ihm die Hände gefesselt. Sein Kopf baumelte haltlos vor der Brust. Seine Bronchien pfiffen. Die Hitze füllte seine Lungen wie mit Feuer, die Zunge klebte ihm wie ein trockenes Blatt am Gaumen. Sein rechtes Hosenbein war rostbraun vom eingetrockneten Blut.

Die drei übrigen Pferde trugen tote Männer. Der Blut- und Schweißgeruch lockte die Mücken an. Wie eine dunkle Wolke belagerten die kleinen, lästigen Blutsauger den Pulk. Es war ein makaberes Bild, das sich den Passanten bot. Sehr schnell scharten sich Neugierige um die Ankömmlinge. Vermutungen wurden angestellt, und schon bald hing das Geraune ihrer Stimmen wie das monotone Gemurmel eines schnell fließenden Stromes über dem Platz.

Das Büro des U.S.-Marshals war in einem soliden, langgestreckten Backsteingebäude untergebracht, das an seiner Frontseite über zwei Dutzend Fenster verfügte, aufgeteilt auf das Erd- und Obergeschoss. Vier davon waren mit zolldicken Gittern gesichert, und Hunter sagte sich, dass dahinter Arrestzellen lagen. Ein riesiges Schild, das verriet, dass dies das Hauptquartier des U.S.-Marshals des Staates New Mexiko war, prangte über der Eingangstür.

Zwei Männer traten nun aus dieser Tür. Große, geschmeidige und düster dreinblickende Burschen, an deren Westen die kunstvoll gestanzten und ziselierten Abzeichen von Deputy-Marshals funkelten. Nur die hartgesottensten und aufrechtesten Männer waren gut genug für diesen Job.

Einer der beiden sagte mürrisch: „Was bringen Sie uns da an, Stranger?“ Er stutzte, als er Flaherty betrachtete, dann knurrte er: „Den kenne ich doch. Ja, den habe ich schon öfter gesehen. Im Moment allerdings komme ich nicht drauf.“ Er zuckte mit den Achseln und richtete seinen Blick wieder auf Hunter. „Raus mit der Sprache. Die drei auf den Gäulen sind gewiss nicht am Hitzschlag gestorben.“

Hunter rutschte vom Pferd. Er fühlte sich wie durch den Wolf gedreht. „Das ist Jack Flaherty aus dem Lincoln County. Ihm gehört die Hufeisen Ranch. Er ist schuld am Tod dieser drei Männer. Doch wenn Sie nichts dagegen haben, Marshal, dann würde ich die ganze Geschichte gerne Stan Donovan selbst erzählen.“

Die beiden Deputys wechselten einen schnellen Blick, dann gab der Sprecher von eben zu verstehen: „Richtig. Jack Flaherty aus dem Lincoln County.“ Er runzelte die Stirn. „Drei tote Männer sprechen eine ziemlich eindeutige Sprache. Tex, kümmere du dich um Flaherty. Und Sie, Mister - äh ...“

„Barkley - Hunter Barkley.“

„Folgen Sie mir, Barkley.“

Schleppend schritt Hunter hinter dem Deputy Marshal her in das Gebäude. Wenig später saß er Stan Donovan, dem U.S.-Marshal, gegenüber. Der Deputy setzte sich halb auf die Fensterbank und verschränkte die Arme vor der Brust. Vorher hatte er seinen Vorgesetzten mit knappen Worten informiert. Donovan forderte Hunter auf zu sprechen. Und dieser berichtete. Donovan unterbrach ihn nicht. Er war ein Mann, den so leicht nichts mehr aus der Fassung bringen konnte. Er hatte in all den Jahren, in denen er das Gesetz vertrat, die schrecklichsten Seiten der menschlichen Niedertracht und Habgier kennengelernt, und das hatte ihn unerschütterlich werden lassen.

Als Hunter geendet hatte, musterte ihn der Marshal eine ganze Zeit schweigend und durchdringend. Plötzlich sprangen seine Lippen auseinander und seine Stimme erklang: „Hammond will also als Zeuge auftreten, sobald er von seiner Jagd auf die Bankräuber zurückkehrt.“ Es kam nicht als Frage, sondern als Wiederholung dessen, was er von Hunter erfahren hatte. Er lehnte sich zurück, ließ aber seine nervigen Hände auf der Tischplatte liegen. „Allerdings kennt er nur den Teil der Geschichte, der sich bei der Herde abspielte, als Flaherty und seine Männer Sie hängen wollten. Über die Fortsetzung, als zwei Männer starben und Flaherty eine Kugel ins Bein bekam, wird nichts aussagen können.“

Hunters Schultern strafften sich. „Dass meine Geschichte stimmt, können Sie daraus ersehen, dass Flaherty noch lebt, Marshal“, stieß er schärfer hervor, als er beabsichtigt hatte. „Die beiden anderen ließen mir keine andere Wahl.“

Beschwichtigend hob Donovan die rechte Hand. „Schon gut, Barkley. Ich glaube Ihnen. Wir nehmen Flaherty in Gewahrsam, bis die Untersuchungen abgeschlossen sind. Sie, Barkley, muss ich allerdings bitten, Santa Fe bis zu diesem Zeitpunkt ebenfalls nicht zu verlassen.“

„Aber ...“

Donovan winkte ungeduldig ab. „Kein aber. Tatsache ist, dass zwei Männer durch Sie ums Leben gekommen sind. Sie berufen sich auf Notwehr. Was Sie erzählt haben, klingt auch plausibel. Dass Sie Flaherty zu mir brachten, macht ihre Aussage glaubhaft. Laufen kann ich Sie aber erst dann lassen, wenn die Ermittlungen abgeschlossen sind und ihre Unschuld am Tod der beiden Männer eindeutig erwiesen ist.“

„Marshal“, entwand es sich Hunter fast verzweifelt, „in der Nähe von Red Hill warten auf unserer Ranch eine Frau und ein sechsjähriges Mädchen darauf, dass wir endlich zurückkehren. Sie sind alleine und ohne jeden Schutz. Jim Otis, mein Partner ist tot. Die beiden gehörten zu ihm. Jetzt trage ich die Verantwortung für Isabel und Juanita. Ich muss nach Hause. Ich kann nicht warten, bis ...“

Hunter brach ab, als Donovan begann, mit den Fingerkuppen seiner Linken auf der Schreibtischplatte zu trommeln. Er schien nach Hunters drängenden, fast beschwörenden Worten etwas ratlos zu sein. Versonnen fixierte er Hunters verschwollenes Gesicht mit den unzähligen Blessuren. Dann grollte sein Organ: „Geben Sie mir bis morgen Mittag, Barkley. Ruhen Sie sich aus und sehen Sie zu, dass Sie Ihren Partner unter die Erde bringen. Ich will Flaherty in die Mangel nehmen. Sie können sich frei in Santa Fe bewegen. Versuchen Sie aber nicht, sich dünn zu machen. Meine Männer werden ein Auge auf Sie haben.“

Hunter erhob sich. „In Ordnung, Marshal. Und keine Sorge, dass ich mich aus dem Staub mache. Ich fühle mich wie eine hohle Nuss. In meinem Zustand käme ich wohl nicht sehr weit.“

Er deutete ein lahmes Grinsen an, nickte Donovan und dem Deputy zu und ging.

Flaherty war verschwunden. Die Gaffer standen nach wie vor Schulter an Schulter. Hunter griff sich die Leinen seines Pferdes und des Tieres mit Jim Otis auf dem Rücken und führte die beiden Pferde auf die Mauer aus Leibern zu. Die Menschen wichen auseinander, eine Gasse bildete sich. Hunter atmete irgendwie befreit auf, als er den Kreis der Neugierigen hinter sich gelassen hatte. Er führte die Pferde über die Plaza und erkundigte sich bei einem alten, zahnlosen Mexikaner nach dem Boothill.

Eine halbe Stunde später hatte er Jim dem Totengräber übergeben. Die Beerdigung sollte am kommenden Morgen stattfinden. Hunter beschloss, Jims Pferd samt Sattelzeug zu verkaufen, um das nötige Geld für das Begräbnis aufbringen zu können. Er fragte den Coroner nach einem Mietstall und bekam den Weg dorthin beschrieben.

Der Mietstallbesitzer zahlte ihm fünfundsiebzig Dollar für das Pferd, den Sattel und das Zaumzeug. Und er gestattete Hunter, auf dem Heuboden zu schlafen. Ehe Hunter sich jedoch langlegte, begab er sich in einen Barber Shop, um ein heißes Bad zu nehmen, das seine Muskulatur entkrampfte und die Verspannungen in seinem Körper löste. Und er spürte nagenden Hunger...

*



Virg Hammond fand Hufabdrücke im Schlamm des Ufersaums und unterschied sie sehr schnell als die Spuren dreier Pferde. Die Fährte führte steil nach Südwesten. Und er begann sich zu fragen, ob das Ziel der Banditen Albuquerque war. Schließlich beantwortete er sich diese Frage mit einem klaren Nein. Sheridan, Denton und Morgan wussten, dass Santa Fe und die größeren Städte New Mexikos per Telegraph miteinander verbunden waren und dass die Sheriffs und Marshals in diesen Städten zwischenzeitlich informiert waren. Also hüteten sie sich, das Risiko einzugehen, erkannt und verhaftet zu werden.

Unverdrossen folgte der Wells Fargo-Mann der Spur. Manchmal verlor er sie, dann aber nahm er sie wieder auf. Es gab immer wieder Hinweise, die ihm verrieten, dass die Outlaws hier geritten waren. Und Virg Hammond verstand es, diese Hinweise zu deuten.

So sehr er auch versuchte, sich in die Lage der Banditen zu versetzen, es gelang ihm nicht. Was sie im Südwesten suchten, blieb ihm ein Rätsel. Sie gehörten nicht zu der Sorte, die sich irgendwo in der Felswüste verkroch, schon gar nicht, wenn sie Geld im Überfluss hatte und es sich leisten konnte, die Puppen tanzen zu lassen.

Aber etwas trieb die Schufte. Etwas, das der Wells Fargo-Mann nicht einzuordnen vermochte, das ihn aber ununterbrochen beschäftigte.

Albuquerque blieb linkerhand liegen. Am Rio Puerco rastete Hammond. Die Sonne hing über der zerklüfteten, majestätischen Bergwelt im Westen. Hammond wusch sich am Fluss Staub und Schweiß aus dem Gesicht. Seine Gedanken schweiften zurück, begannen um Flaherty und Hunter Barkley zu kreisen - und ihn durchfuhr es siedend: Barkley - Catron County - Ranch in der Nähe von Red Hill!

Hammond hielt mitten in der Bewegung inne. Das war es. Als Barkley und Otis nichtsahnend von den drei Banditen die Herde übernahmen, verrieten sie diesen sicherlich ihre Herkunft. Fast schmerzhaft drängte es sich in Hammonds Verstand. Red Hill lag im Südwesten. Auf der Ranch drohte den Banditen keine Gefahr. Dort konnten sie für einige Zeit untertauchen. Denn sie konnten davon ausgehen, dass Barkley und Otis, um die Herde zweihundert Meilen weit durch unwegsames, wüstenähnliches Gebiet zu treiben, zehn, vielleicht sogar zwölf Tage brauchten. Von dem, was in der Nacht, als Jack Flaherty die Herde einholte, geschehen war, konnten sie nichts ahnen.

Zehn Tage, in denen sich die Wogen im Land glätteten, in denen die Aufmerksamkeit der Gesetzeshüter in den kleineren Ansiedlungen nachließ, in denen sich die Banditen Bärte wachsen ließen, um ihr Äußeres zu verändern, in denen jeder Suchtrupp aufgab.

Die einsame Ranch in den westlichen Ausläufern der Gallo Berge war das Ziel der Banditen. Ein eisiger Klumpen bildete sich in Hammonds Magen, als er an die Frau und das Kind dachte, die dort alleine und ohne jeden Schutz lebten, weil Barkley und Otis nach Santa Fe geritten waren, um Rinder zu erwerben, mit denen sie den Grundstock für eine rentable Viehzucht legen wollten.

Von Hunter Barkley wusste er, dass Isabel Mendoza eine ausgesprochen hübsche Frau war. Und die drei Outlaws würden in ihrer maßlosen Gier vor nichts zurückschrecken.

Der Schreck, der Virg Hammond befiel, ging tief - tiefer als je ein Schreck zuvor. Es war ein gefrierendes Gefühl, das ihn beherrschte, dem er machtlos ausgeliefert war und dem er hilflos gegenüberstand. Die jähe Unrast, die Sorge, dass die Banditen vor ihm die Ranch erreichten und der Frau und dem Mädchen Leid zufügten, wollten ihn wieder in den Sattel treiben, aber da war die totale Erschöpfung nach einer schlaflosen Nacht und einem ganzen Tag ohne größere Pausen auf dem Pferderücken.

Er brauchte Schlaf. Der Körper verlangte ganz einfach sein Recht. Und auch das Pferd brauchte Ruhe...

*



Nur Hunter und der Totengräber standen an Jims Grab. Hunter hielt seinen Hut in den Händen. In Gedanken formulierte er ein Gebet. Der Traum von einer großen Rinderranch war hier in Santa Fe gnadenlos zerstört worden. Jim war tot. Jack Flaherty und seine Männer waren nur das Werkzeug gewesen. Ausgelöst hatten die Lawine von Verhängnis, Leid und brutaler Vernichtung die drei Banditen, die ihnen eine gestohlene Herde verkauften.

Aus brennenden Augen starrte Hunter auf den schlichten Sarg aus Fichtenbrettern. Der Totengräber hatte die Schaufel ins aufgeworfene Erdreich gerammt und stützte sich darauf.

„So long, Jim“, murmelte Hunter, als er mit seiner stummen Andacht am Ende war. Er stülpte sich den Stetson auf den Kopf. Ehe er sich abwandte, gab er dem toten Freund ein letztes Versprechen, das Versprechen, sich um Isabel und Juanita zu kümmern, solange sie seiner Fürsorge bedurften. Er versprach es, und es würde für ihn Gesetz sein.

Er verließ den Friedhof. Der Boothill lag einige hundert Yards außerhalb der Stadt. Der Weg war schmal und von uralten Bäumen gesäumt. Unter den dichten Kronen herrschte Schatten. Nur vereinzelte Strahlen der Morgensonne brachen durch und malten Lichtkringel in den Staub.

Hunter war weit weg mit seinen Gedanken. Und so registrierte er den Mann, der ein ganzes Stück vor ihm hinter einem Baum hervortrat, nur unterbewusst. Als aber hinter seinem Rücken eine brechende Stimme erklang, holte ihn dies mit einem Schlag in die Wirklichkeit zurück.

„Du elender Bastard!“, klirrte das Organ hinter ihm. „Du hast Willford und McLeod abserviert und Flaherty dem U.S.-Marshal ausgeliefert. Du hast die Hufeisen Ranch und uns alle ruiniert.“

Jetzt nahm Hunter auch den Burschen vor sich bewusst wahr. Er sah das Gewehr in seinen Händen, und er bemerkte, dass die Mündung auf ihn deutete. Den reflexartigen Impuls, nach dem ersten Wort zum Colt zu greifen, hatte er beherrschen können. Jetzt war er heilfroh darüber. In der Stimme hinter ihm hatte ein derartiger Hass gelegen, wie er nur in einem Mann leben konnte, der nur noch von Besessenheit und Vernichtungswillen beseelt war. Er wäre wahrscheinlich schon tot, wenn er sich nicht im richtigen Moment in der Gewalt gehabt hätte. Einen alptraumhaften Augenblick durchzog ihn ein eisiger Schauer beim Gedanken daran und in seinem Mund bildete sich ein galliger Geschmack.

Er drehte sich langsam herum, darauf bedacht, keine falsche Bewegung zu machen, die den anderen veranlasst hätte, abzudrücken. Es war Ken Wood, einer von Flahertys Cowboys, der, den Colt in der Faust, neben einem der riesigen Bäume stand und ihn verzehrend anstarrte. Wood zeigte die Zähne und knirschte: „Flaherty schickte uns mit der Herde voraus. Als er, Willford und McLeod aber am Abend noch immer nicht aufgetaucht waren, überließen wir die Herde sich selbst und ritten zurück. Ein Mexikaner, der außerhalb der Stadt Schafe und Ziegen hütete, erzählte uns, dass ein Mann drei Tote und einen Gefangenen nach Santa Fe brachte. Den Rest erfuhren wir dann in der Stadt.“

Hunter vernahm hinter sich das Knirschen von Staub, das Knarren von Stiefelleder und leises Sporengeklirr. Er atmete hart und stoßweise. Die unmittelbare Gefahr, die von den beiden ausging, berührte ihn wie etwas Animalisches, wie ein giftiger Atem, und er suchte fieberhaft nach einem Ausweg aus dieser für ihn bedrohlichen Lage.

Aber Ken Wood und Phil Mason hatten jeden Vorteil auf ihrer Seite. Deshalb versuchte Hunter zunächst einmal Zeit zu gewinnen. Er sagte kehlig: „Ihr denkt, ihr habt nichts mehr zu verlieren, wie? Das ist dumm und selbstzerstörerisch. Euch droht keine strenge Bestrafung wegen des Todes meines Partners. Keiner von euch beiden hat den Überfall auf unser Camp angeordnet oder den tödlichen Schuss abgegeben. Das Gesetz beinhaltet nicht nur Maßregeln, sondern auch entschuldbare Tatbestände. Wenn ihr mich aber erschießt, so ist das Mord. Und in diesem Fall kennt das Gesetz nur eine einzige Antwort: den Tod. Wollt ihr tatsächlich wegen falsch verstandener Loyalität hängen?“

Er verunsicherte die beiden mit seinen Worten. Über seine Schulter hinweg kreuzten sich ihre Blicke. Phil Mason hatte hinter ihm angehalten und die Mündung seiner Winchester war nur eine Handbreit von Hunters Rücken entfernt. Jetzt stieß er aggressiv hervor: „Plötzlich sprichst du mit Engelszungen, da wir dich vor den Läufen haben. Als du Willford und McLeod auf die Nasen gelegt hast, warst du gewiss nicht so gesprächig. Ich glaube, du redest nur so, weil du mächtigen Schiss hast. Es waren unsere Freunde, Hombre. Gute Freunde. Und du hast sie ohne großes Wenn und Aber abserviert. Wie heißt es doch so schön: Auge um Auge, Zahn um Zahn.“

Mit dem letzten Wort rammte Mason Hunter die Mündung gegen das Rückgrat, als wollte er damit die Unmissverständlichkeit seines Bibelzitats unterstreichen.

Hunters Innerstes begann zu revoltieren. Viel Zeit hatte er nicht mehr. Der Hass der beiden war gutgemeinten Worten nicht zugänglich. Sie wollten Rache. Sonst nichts. Und darüber ließen sie keinen Zweifel offen.

Ken Wood sprach es aus. Er sagte zwischen den Zähnen: „Das ist alles, was uns geblieben ist, Hombre. Rache. Du bist schuld, dass die Hufeisen Ranch zum Untergang verurteilt ist. Wie du es schon sagtest: Wir haben wirklich nichts mehr zu verlieren. Phil und ich sind fast vierzig, und keine Ranch in den Staaten bietet uns noch einen Sattel. Durch dich haben wir den uns angestammten Platz verloren. Und du hast zwei gute Freunde von uns auf dem Gewissen.“

Es klang wie ein Hohn, und Hunter war sich nicht sicher, ob Wood seiner Überzeugung Ausdruck verliehen hatte, oder ob er mit dieser lächerlichen Anklage nur sein Gewissen beruhigen wollte.

„Dafür müsst ihr euch bei eurem Boss bedanken“, presste Hunter hervor - und handelte. Er wirbelte halb herum und schlug mit dem linken Unterarm Phil Masons Gewehr zur Seite. Das Stechen, das durch Arm und Schulter bis in sein Hirn raste, ignorierte er angesichts der Tatsache, dass es für ihn ums Überleben ging.

Und jetzt bewies es sich, dass die beiden keine Kämpfernaturen waren, die sich ansatzlos einer Situation anpassen und richtig reagieren konnten. Sie mussten erst verstandesmäßig verarbeiten, dass sich der Gegner trotz ihrer vermeintlichen Überlegenheit nicht geschlagen gab. Und als es sich in ihrem Bewusstsein durchgesetzt hatte, war es zu spät, um das Ruder noch einmal herumreißen zu können.

Das Gewehr Masons zur Seite zu schlagen und Phil Mason den angewinkelten Ellenbogen in die Magengrube zu rammen geschahen aus einer einzigen, fließenden Bewegung heraus. Dann warf Hunter sich nach vorn und rammte Ken Wood die rechte Schulter in den Leib, zugleich zog er den Colt. Er griff mit der linken Hand nach, erwischte Wood am Hemd und wirbelte ihn herum. Und ehe Mason sich besann, ehe er sich von seinem Schrecken und seiner Überraschung erholte, hielt Hunter Wood wie ein lebendes Schutzschild vor sich, den linken Arm, der in Flammen zu stehen schien, um Woods Hals geschlungen, den Colt an Woods rechter Seite vorbei auf Mason angeschlagen. Der Daumen lag auf der Hammerplatte, der Zeigefinger hart um den Abzug.

„Fallen lassen!“, peitschte Hunters Stimme, und sie hatte den Klang von berstendem Eis.

Wood keuchte und ächzte unter dem unerbittlichen Klammergriff. Die Augen quollen ihm aus den Höhlen. Seine Hand öffnete sich, der Sechsschüsser prallte auf den Weg.

Mason zögerte. Er zerkaute einen Fluch. „Lass fallen, verdammt!“, japste Wood. „Er - er erwürgt mich.“

Es knackte kurz und trocken, als Hunter den Hahn zurückzog. Und mit diesem Geräusch verlor Phil Mason die Nerven. Er schwang herum und rannte querfeldein davon. „Du verdammter Hund!“, brüllte Wood überschnappend hinterher, doch Mason war nur noch sich selbst der Nächste. Er rannte, als säße ihm der Leibhaftige im Nacken, verschwand hinter dichtem Gestrüpp, und tauchte nicht wieder auf.

Hunter löste seinen Arm von Woods Hals, versetzte dem Cowboy einen derben Stoß in den Rücken, der diesen einige Schritt nach vorne taumeln ließ, richtete den Colt auf ihn und sagte mit zerspringendem Tonfall: „Okay, Amigo, du hast jetzt die Wahl: Entweder du hältst deinem Boss die Treue und verschwindest mit ihm für viele Jahre hinter Zuchthausmauern, oder du sagst dem U.S.-Marshal die ungeschminkte Wahrheit und ich verschweige, dass ihr mir eben den Garaus machen wolltet.“

Wood massierte seinen Hals. Obwohl noch die Kühle des Morgens unter dem dichten Blätterdach nistete, schwitzte er. Und er entschied sich von einem Augenblick zum anderen. „Ich sage alles. Bei Gott, ich will reinen Tisch machen.“

„Also gehen wir“, befahl Hunter und winkte mit dem Schießeisen.

*



Hunter war frei. Nach einem ausgiebigen Frühstück verließ er Santa Fe. Voller Erwartungen an die Zukunft und mit ihrem Ersparten waren er und Jim vor drei Tagen angekommen - als armer, desillusionierter Mann trat er den Ritt nach Hause an. Ihm graute vor der schrecklichen Stunde der Wahrheit, in der er Isabel von Jims Schicksal berichten musste. Und als zusätzliche bittere Pille musste er ihr eingestehen, dass ihre Pläne von einem festen Platz und einer gesicherten Existenz gescheitert waren.

Mutlosigkeit setzte sich in Hunter fest. Die Zukunft lag so finster wie ein Höllenschlund vor ihm...

*



Drei Tage waren vergangen, seit Virg Hammond sich von Hunter Barkley getrennt hatte. Er machte sich nicht mehr die Mühe, der Fährte der Banditen zu folgen. Denn der Wells Fargo-Mann war sich sicher, ihr Ziel zu kennen.

Unermüdlich, unbeirrbar peitschte ihn die Sorge um die Frau und das Mädchen auf der einsamen Ranch in der Nähe von Red Hill vorwärts. Er gönnte sich und dem Pferd nur die nötigsten Ruhephasen. Und so war er den Banditen ziemlich nahe gekommen, ohne dies jedoch zu ahnen. Er befand sich mitten in den Ladron Mountains. Hammond durchritt ein Tal, folgte einer aufsteigenden Schlucht zu einem Bergsattel, dann ging es wieder einen sich abwärts senkenden Canyon hinunter, dessen Sohle sich verbreiterte und bald eine halbe Meile einnahm. Der Canyon wurde von steilen Geröllhängen, terrassenartigen Felsen und schroffen Wänden begrenzt. Aus tiefen Spalten und Schlünden strömte dem Wells Fargo-Mann kalte Luft entgegen. Zwischen den himmelstürmenden Felsmassiven hatte er das Gefühl, ins Innere der Erde hinabgestiegen zu sein.

Der Hufschlag wurde von den Felswänden zurückgeworfen und von den Echos verzerrt. Der Canyon mutete Hammond an wie ein riesiges steinernes Grab, düster und unheimlich.

Als der Canyon endete, dehnte sich vor Hammonds Blick eine öde, von der Sonne versengte Ebene, die von Felsketten und sandigen Hügeln gesäumt und von ausgetrockneten Bachläufen, die die Schmelzwasser im Frühjahr gegraben hatten, zerschnitten war. Spärliche Büschel harten Galletagrases, Dornengestrüpp, Kreosot- und Mesquitesträucher bildeten die ganze Vegetation.

Der Wells Fargo-Mann verhielt das Pferd und tastete mit seinen Blicken das Terrain vor sich ab. Trotz aller Eile, trotz aller Sorgen - die gebotene Vorsicht ließ er nicht außer acht.

Im Westen ballten sich dunkle Gewitterwolken. Darunter war der Horizont schwefelgelb. Scharf und schwarz zeichneten sich die Berge vor dem Hintergrund dieses unwirklichen Lichtes ab. Grelle Blitze zerrissen von Zeit zu Zeit den aufgewühlten Himmel und fuhren am Horizont entlang. Ferner Donner rollte über die Berge heran.

Hammond schätzte, dass der Sturm in einer halben Stunde da sein würde. Er trieb sein Pferd an und ritt in die Ebene hinein. Er hoffte, auf der anderen Seite im Labyrinth der Schluchten und Canyons einen Unterschlupf für sich und das Pferd zu finden, in dem er einigermaßen geschützt das Ende des Sturmes abwarten konnte.

Ahnungslos, dass ihn drei eiskalte Augenpaare beobachteten, galoppierte er auf das Maul der Schlucht zu, in der die drei Banditen Zuflucht vor dem Sturm gesucht hatten.

Allan Sheridan zischte: „Den habe ich, als wir die Wells Fargo Bank in Santa Fe beobachteten, einige Male gesehen. Ich fresse meinen Hut, wenn er nicht hinter uns her ist. Na schön. Sollen ihn hier die Geier fressen.“

Sie feuerten fast gleichzeitig. Virg Hammond warf beide Arme in die Höhe, kippte nach hinten und stürzte rücklings vom Pferd. Sein linker Fuß blieb im Steigbügel hängen, und er wurde ein ganzes Stück über den rauen Untergrund mitgeschleift. Dann lag er reglos. Die drei Banditen senkten die Gewehre. Vor ihren Gesichtern zerflatterte Pulverdampf.

„Sehen wir nach, ob wir ihn auch richtig getroffen haben“, sagte Sheridan ohne die Spur einer Gemütsregung.

Die Gewehre im Anschlag näherten sie sich Hammond. Sheridan beugte sich über ihn. „Der braucht nichts mehr“, knurrte er und richtete sich wieder auf. Er spuckte aus. „Und ich dachte, wir hätten unsere Fährte ausgelöscht, als wir meilenweit im Fluss ritten.“

„Was machen wir mit ihm?“ fragte Cole Denton.

„Was wohl! Wir lassen ihn hier liegen.“ Sheridan ging zu Hammonds Pferd, das in einiger Entfernung stehengeblieben war und nun dem Banditen misstrauisch entgegen äugte. „Ein Irrtum ist ausgeschlossen!“, rief er über die Schulter. „Der Gaul trägt das Brandzeichen von Wells Fargo. Schätzungsweise haben wir uns soeben einen besonders ausgekochten und hartgesottenen Spürhund vom Hals geschafft.“

Er führte das Pferd heran.

„Hier sollten wir ihn nicht liegen lassen“, bemerkte Cole Denton. „Spätestens morgen kreisen weithin sichtbar über der Ebene die Geier. Und wenn der Teufel die Hand im Spiel hat, locken sie jemand an, der ihn findet. Man wird sehr schnell herausfinden, um wen es sich handelt, und ebenso schnell wird man uns den Mord anhängen. Denn außer uns kommt ja wohl niemand in Frage dafür. Dann kennt man auch unsere Fluchtrichtung, und sie werden uns hetzen, bis uns die Zungen zum Hals heraushängen.“

„Genauso wird es kommen“, pflichtete Wade Morgan bei. „Also werfen wir ihn in einen Felsspalt und decken ihn mit Steinen zu.“ Auf besondere Art herausfordernd schaute er Sheridan an. „Ich frage mich sowieso, warum wir unsere Gäule nicht nach Süden wenden und schnurstracks ins Greaserland verschwinden. Mir gefällt deine Idee nicht, eine Weile auf der Ranch dieser beiden Narren zu verbringen. Solange wir uns in New Mexiko herumtreiben, laufen wir Gefahr, erwischt zu werden. Weißt du denn, ob nicht noch mehr solcher Schnüffler auf unserer Fährte kleben? Sicher hat Wells Fargo eine Belohnung ausgesetzt. Sicher ist auch, dass nach unserer Flucht wahrscheinlich die Telegraphendrähte in alle Teile des Landes geglüht haben, als sie die Fahndungsmeldung und unsere Beschreibungen durchgaben.“

Klagend strich eine Windböe über die Ebene, trieb Staubwolken vor sich her und brachte die ersten Regentropfen mit. Das Gewitter war ziemlich nahe. Zuckenden Blitzen folgten krachende Donnerschläge. Die Sonne war verschwunden. Das düstere Grau ringsum, die reglose Erhabenheit der Felslandschaft, das Säuseln und Wimmern des Windes in den Klüften - das alles wirkte unheimlich und bedrückend.

„Wir reiten nach Red Hill“, erklärte Sheridan stur. „Hilf mir mal, ihn aufs Pferd zu legen“, wandte er sich an Denton. „Und dann lass uns Schutz vor dem Unwetter suchen.“

Sie wuchteten Hammond aufs Pferd, dann beeilten sie sich, zwischen die Felsen zu kommen. Sie holten ihre Pferde und ritten tiefer in die Schlucht hinein. Unter einem überhängenden Felsen, der sich zehn Yards über ihrem Grund wie eine riesige Kanzel weit in die Schlucht hineinschob, lagerten sie. Die Pferde wurden gehobbelt. Hammond ließen sie auf dem Pferderücken liegen.

Dann kam der Sturm. Der Wind heulte wie ein hungriger Wolf durch die Schlucht und trieb graue Regenvorhänge vor sich her. Es schüttete, als hätte der Himmel sämtliche Schleusen geöffnet. Das Fauchen und Jaulen des Sturm füllte die Ohren der Banditen. Aber der Platz, an dem sie lagerten, war gut gewählt, und nur wenn sich der stürmische Wind zwischen den Felswänden drehte, traf sie der Regen.

Das Orgeln und Fauchen ließ etwa eine halbe Stunde später schon wieder nach. Das Gewitter hatte sich nach Osten verzogen. Es regnete jetzt leise. Sie saßen auf ihren Sätteln. Morgan und Denton rauchten. In die Schlucht senkte sich die Dunkelheit. Rinnsale, kleinen, reißenden Bächen gleich, und riesige Pfützen hatten sich auf der Sohle der Schlucht gebildet. Von den Vorsprüngen tropfte das Wasser.

Wade Morgan zog an seiner Zigarette, stieß den Rauch durch die Nase aus, und nickte. „Lassen wir also den Leichnam verschwinden. Was machen wir mit dem Pferd? Der Wells Fargo-Brand ist viel zu verräterisch, als dass wir es mitnehmen sollten.“

„Wir jagen ihm eine Kugel in den Kopf“, knurrte Sheridan kalt.

Morgan erhob sich und schnippte den Zigarettenstummel fort. Er führte das Pferd mit dem Toten tiefer in die Schlucht hinein. Die Hufe klirrten. Sheridan und Denton folgten ihm.

*



Der Tag nach dem Gewitter brachte wieder Trockenheit und Hitze. Das Land dampfte. Meterhohe Ocotillosträucher trugen nach dem Regen leuchtend rote Blüten. Es roch nach blühendem Salbei. Die Gipfel der Berge waren vom Dunst eingehüllt. Die drei Banditen behielten unbeirrt die Südwest-Richtung bei. Meile um Meile ritten sie.

Die Blütenpracht, die der Regen zum Leben erweckt hatte, verschwand bald wieder. Die Wüste wurde wieder lebensfeindlich. Die Gluthitze höhlte die Banditen aus. Ihr Wasser ging zur Neige. Sogar das Sprechen strengte sie an, und so ritten sie bald nur noch in dumpfes Schweigen gehüllt dahin.

Am Morgen des vierten Tages nach dem Gewitter aber lag endlich die Ranch vor ihnen. Hunter und Jim hatten sie in der grasigen Ebene fünf Meilen südlich von Red Hill errichtet. Es war kein besonders üppiges Stück Land, aber für die Zucht genügsamer Longhorns auf jeden Fall geeignet. Ringsum wuchteten Felsmonumente zum ungetrübten Himmel. Vor dem Hintergrund dieser urwelthaften, kahlen Giganten mutete die Ranch verschwindend an.

In den Gesichtern der Outlaws wucherten wilde Bärte. Eine Woche in der Wildnis hatte sie hohlwangig, hager und sehnig werden lassen. Sie waren verstaubt, verschwitzt und erschöpft.

Das Haupthaus war flach und in seiner Frontseite befanden sich außer der Tür drei Fenster. Es gab einige Schuppen, einen Stall und einen Corral, der allerdings leer war. Das Holz war an den Schnittstellen noch hell. Alles wirkte neu und frisch, wenngleich auch einfach und noch sehr behelfsmäßig. Im Staub des Hofes badeten einige Hühner. Aus dem Stall drang das Meckern einer Ziege. In den Fenstern brach sich das Sonnenlicht.

Hinter den Gebäuden floss ein schmaler Creek vorbei. Dieser kleine Fluss war lebensnotwendig für die Ranch. Einen Brunnen zu graben hatten Hunter Barkley und Jim Otis noch nicht in Angriff genommen. Außerdem war der Creek als Viehtränke unentbehrlich.

Es war ein guter, geschützter Platz, und das Land gehörte dem, der es für sich in Anspruch nahm. Durch eine Schlucht, die sich nach Norden öffnete, führte der Weg nach Red Hill. Es gab aber auch nach Westen und Süden passierbare Durchlässe. Die Banditen registrierten es und waren zufrieden. Sich einen Fluchtweg zu sichern war ihnen zur zweiten Natur geworden.

Sheridan legte die Hände auf den Sattelknopf, reckte sich im Sattel, warf einen umfassenden Blick in die Runde und sagte dumpf: „Unser Entschluss, hierher zu reiten war richtig. Hier sind wir sicher wie in Abrahams Schoß. Hier sagen sich Fuchs und Hase gute Nacht.“

Sie setzten ihre Pferde wieder in Bewegung. Müde zogen die Tiere die Hufe über den Boden. Ebensowenig wie an den Banditen waren die Strapazen und Entbehrungen der vergangenen Tage spurlos an den Pferden vorübergegangen.

Im Ranchhof zügelten sie. Die Pferde ließen die Köpfe hängen. Aus dem Ranchhaus trat eine Frau. Sie hielt eine Schrotflinte mit verkürztem Doppellauf im Anschlag. Einen halben Schritt vor der Tür blieb sie stehen, die Shotgun auf die drei verwegenen Typen angeschlagen. So sehr sie sich auch bemühte, Ruhe und Furchtlosigkeit zu vermitteln, das Vibrieren ihrer Nasenflügel verriet ihre Erregung.

„War seid ihr und was wollt ihr?“

Auch die Erregung, die in ihrer Stimme schwang, konnte sie nicht ganz unterdrücken.

Die Verblüffung auf Seiten der Banditen war nicht gespielt. Sie sahen eine rassige Schönheit mit langen, welligen Haaren, die im Sonnenlicht wie Rabengefieder glänzten. Isabel war mittelgroß, schlank und dennoch wohlproportioniert. Der schwarze Rock, den sie trug, reichte bis zu den Knöcheln. Darüber hatte sie einen Schurz von weißer Farbe gebunden, der an manchen Stellen verschmutzt war, was darauf schließen ließ, dass die Frau während der Abwesenheit Jims und Hunters nicht die Hände in den Schoß legte. Den Rest ihrer Kleidung bildeten ein kariertes Hemd und ein rotes Halstuch.

Ja, die Kerle staunten, und als sie ihre Überraschung abgestreift hatten, ergingen sie sich sicher in den wildesten Phantasien. Allan Sheridan pfiff anerkennend zwischen den Zähnen. Das Grinsen, das sich in sein Raubvogelgesicht schlich, war anzüglich und widerwärtig. Er rief: „Wir sind Geschäftspartner von Barkley und Otis. Sie kommen mit einer Herde Longhorns von Santa Fe herunter. Die Herde haben wir ihnen verkauft. Und da uns unser Weg in der Nähe ihrer Ranch vorbeiführte, dachten wir daran, dass Sie nichts dagegen hätten, wenn wir hier ein paar Tage rasten, Ma’am.“

Isabel musterte die drei mit einer Mischung aus Misstrauen, Ablehnung und Unbehagen - und natürlich Überraschung. Geschäftsfreunde von Jim und Hunter!, echote es durch ihren Verstand. Sie wollte es nicht glauben. Ein Blick in ihre Gesichter ließ sie die Verworfenheit, die in den dreien lebte, deutlich erkennen. Von ihnen war nichts Gutes zu erwarten. Das spürte die schöne Frau tief in der Seele. Sie waren Abschaum. Deshalb schüttelte sie den Kopf und erwiderte hart und ohne die geringste Spur von Entgegenkommen: „Daraus wird wohl nicht werden. Es mag sein, dass ihr Jim und Hunter kennt - wo immer auch diese Bekanntschaft herrührt. Warum seid ihr nicht mit ihnen und der Herde gezogen, wenn ihr den selben Weg hattet?“

Sheridan hob das linke Bein über den Sattelknauf und ließ sich vom Pferd gleiten. Sofort richtete Isabel die Shotgun auf ihn. Der Bandit zeigte ihr die Handflächen, um zu bekunden, dass er nichts im Schilde führte. „Nur nicht nervös werden, Lady“, rief er. Und sofort sprach er weiter: „Nachdem wir unsere kleine Herde verkauften, hielt uns nichts mehr oben in Santa Fe. Wir wollten nach Süden - ohne ein besonderes Ziel im Auge zu haben. Da waren Otis und Barkley allerdings mit der Herde schon auf den Trail gegangen. Irgendwann sagten wir uns, dass es doch ein feiner Spaß wäre, den beiden eine kleine Überraschung zu bescheren. Doch nun sind Sie drauf und dran, uns den Spaß zu verderben, Ma’am.“

„Wann werden Jim und Hunter hier sein?“, fragte Isabel.

Diesmal war es Wade Morgan, der die Stimme erhob. „In vier - fünf Tagen schätzungsweise.“ Er stieß sich den Hut aus der Stirn und setzte sich bequemer im Sattel zurecht. „Mit Ihrer Gastfreundschaft scheint es nicht besonders weit her zu sein, Senora. Sie sollten sich von unserem Erscheinungsbild nicht täuschen lassen. So sieht man eben aus, wenn man eine Woche lang durch die staubige und glühendheiße Einöde geritten ist. Sie haben von uns nichts zu befürchten. Mein Wort drauf.“

Auch Cole Denton meldete sich zu Wort: „Sie sind nervös, Ma’am. Wie leicht kann das Donnerrohr in Ihren Händen losgehen. Wissen Sie, wie ein Mann aussieht, den eine Ladung gehacktes Blei erwischt? Es wäre sicherlich nichts für ihre schönen Augen. Wir sind Freunde von Hunter und Jim. Sie werden doch nicht auf deren Freunde schießen, nur weil die sich einen kleinen Scherz mit den beiden leisten möchten.“

Denton grinste verschlagen, nachdem er geendet hatte.

Isabel ließ sich nicht umstimmen. Mit dieser Sorte gingen Hunter und Jim keine Freundschaft ein. Die Sorge um die beiden ließ plötzlich ihr Herz höher schlagen. Das ungute Empfinden, diese bedrückenden Ahnungen, deren Ursprung sie nicht zu analysieren vermochte, verstärkten sich und steigerten ihre Unruhe. Mit belegter Stimme rief sie: „Kommt wieder, wenn Jim und Hunter hier sind. Solange ich alleine auf der Ranch bin, könnt ihr nicht bleiben. Also steigen Sie wieder auf Ihr Pferd, Senor, und dann reitet weiter.“

Sheridan machte einen Schritt nach vorn. Das Grinsen, das seine Lippen in die Breite gezogen hatte, war einem düsteren, drohenden Ausdruck gewichen. Er ließ die Maske fallen, die er bis zu diesem Moment aufgesetzt hatte, und stieß rau hervor: „Nehmen Sie Rücksicht auf Ihre kleine Tochter, Lady. Wir werden gewiss nicht ruhig stehen bleiben, wenn Sie tatsächlich abdrücken sollten. Dann könnte Ihnen sehr leicht etwas zustoßen. Was soll dann aus dem kleinen Engel werden?“

Isabel wurde bleich bis in die Lippen. Der Bandit hatte sie an ihrer verwundbarsten Stelle getroffen. Ihre Vermutung, dass es sich bei den Fremden um gemeine Sattelstrolche handelte, bestätigte sich. Obwohl sie in der Sonne stand, fröstelte sie plötzlich. Ihre Unsicherheit wuchs. Sheridan kam langsam auf sie zu. Wade Morgan und Cole Denton schwangen sich von den Pferden.

„Por Dios, bleiben Sie stehen, Senor!“, wand es sich über Isabels zuckende Lippen. „Zwingen Sie mich nicht, auf Sie zu schießen.“

„Nimm Rücksicht auf deine kleine Tochter, Honey!“, knurrte Sheridan unbeeindruckt und ging langsam weiter.

Isabel wich zurück, blieb aber im Türrechteck stehen, als wollte sie so zum Ausdruck bringen, dass sie unter keinen Umständen bereit war, den Weg ins Haus freizugeben.

Denton und Morgan zogen ihre Gewehre aus den Scabbards und repetierten. Das Knacken ließ Isabel erschaudern. Im Haus befand sich Juanita. Als sie die Fremden kommen sah, gebot sie dem Mädchen, auf keinen Fall die Küche zu verlassen und sich auch nicht am Fenster zu zeigen. Diese Vorsichtsmaßnahme war plötzlich zur Farce geworden. Denn Isabel begriff mit schmerzlicher Klarheit, dass sie verloren hatte.

Ein gehetzter Ausdruck prägte ihr gleichmäßiges, schmales Gesicht. Die fahle Blässe unter der gebräunten Haut vertiefte sich. Im wirbelnden Durcheinander ihrer Gedanken wusste sie nicht mehr, wem sie ihre Aufmerksamkeit widmen sollte. Jenem, der unbeirrt näherkam, oder den beiden anderen, die jetzt die Gewehre auf sie richteten.

Sheridan nahm ihr die Entscheidung ab. Die Distanz zwischen ihm und Isabel betrug noch zwei Schritte, die er mit einem blitzschnellen Satz überwand, und ehe sie reagieren konnte, hatte er ihr das Gewehr entwunden. Isabels entsetzter und erschreckter Aufschrei erstickte in der Kehle und brach nur als verzweifeltes Stöhnen über ihre Lippen.

Der Bandit sagte kalt und mitleidlos: „Du bist eine Wildkatze, Honey. Dafür habe ich ein Auge. Aber wir kriegen dich so weit, dass du anschmiegsam wirst wie ein niedliches Hauskätzchen. Ich schätze, wir werden eine Menge Freude miteinander haben.“

Die Abscheu, die sie unvermittelt empfand, ließ in der Frau würgende Übelkeit aufsteigen. Gleichzeitig krallte sich die erstickende Angst in ihr fest, denn da war Juanita, und die Banditen würden das Mädchen als Druckmittel einsetzen, um ihrem Willen Geltung zu verleihen. Juanita aber durfte kein Leid geschehen.

Sheridan bugsierte Isabel ins Haus. Morgan und Denton folgten ihnen.

*



Hunter kam Tags darauf, am späten Nachmittag an. Er hatte das letzte aus seinem Pferd herausgeholt. Hinter ihm lag das Fegefeuer - vor ihm die Hölle. Nur wusste er das in dieser Minute noch nicht.

Er sah die Ranch, und auf den ersten Blick schien alles ruhig und friedlich wie eh und je. Er empfand keine Freude über die Heimkehr, denn sie stand unter keinem guten Stern. Dennoch fiel ihm ein Stein vom Herzen, und er vergaß für kurze Zeit, dass er als betrogener und geschlagener Mann zurückkehrte, dass er heim kam, um Hoffnungen zu zerstören, dass er Schmerz und Leid brachte.

Cole Denton sah ihn durch das Küchenfenster. Er kniff die Augen eng, starrte eine ganze Zeit angestrengt dem Reiter entgegen, dann platzte es aus ihm heraus: „Da kommt einer geradewegs auf die Ranch zu. Und ich verwette meines Großmutters Seele an den Satan, wenn das nicht Barkley ist.“

Sheridan und Morgan saßen am Tisch. Eine Flasche Whisky stand zwischen ihnen. Isabel bereitete am Herd das Abendessen. Im Raum daneben, dessen Tür offenstand, und in dem sich Jim Otis’ und Isabels Schlafzimmer befand, sprach Juanita mit einer Holzpuppe. Das Kind war noch zu klein, um die Tragödie, die über ihre Mutter und sie alle hereingebrochen war, begreifen zu können.

Die beiden Banditen erhoben sich gleichzeitig. Ruckhaft wandte Isabel sich um. Sie verkrampfte die Hände vor dem Leib, die Ader an ihrem schlanken Hals pochte in plötzlicher Erregung.

„Das kann nicht sein!“, hörte sie Sheridan sagen. „So schnell können sie die Herde nicht von Santa Fe heruntergetrieben haben.“ Er trat neben Denton an das Fenster und blickte unter zusammengeschobenen Brauen hervor dem Reiter entgegen, der der Sonne entgegenritt und sich deshalb den Hut tief in die Stirn gezogen hatte, um die Augen vor dem blendenden Licht zu schützen. „Hölle!“, fluchte er. „Das könnte tatsächlich dieser Barkley sein.“

„Er ist es“, knurrte Denton.

Morgan drängte sich zwischen sie, beobachtete kurz den Näherkommenden, dann erklärte er lässig: „Wer immer es auch ist - nehmen wir ihn in Empfang.“

Sie nahmen ihre Gewehre. Sheridan wandte sich an Isabel. „Du verhältst dich still, Sweetheart. Verstehst du, mucksmäuschenstill. Andernfalls ...“

Er ließ den Rest offen. Ein zynisches Grinsen spaltete seine Lippen, er ging zur Tür und verließ den Raum, um sich an der Haustür zu postieren. Cole Denton blieb am hochgeschobenen Fenster in der Küche. Wade Morgan begab sich in den angrenzenden Raum.

Isabels Hoffnung auf Hilfe erlosch ebenso schnell wieder, wie sie aufgeflackert war. In den dreißig Stunden, in denen die drei Outlaws auf der Ranch weilten, hatte die Frau aus ihrer Unterhaltung so ziemlich alles über sie herausgefunden. Die Kerle hatten auch gar kein Hehl daraus gemacht, dass sie Räuber und Mörder waren. Sie prahlten sogar mit ihren Verbrechen.

Die kalte Knochenhand der schrillen Angst griff nach Isabel. Wenn es sich bei dem Reiter tatsächlich um Hunter handelte - weshalb kam er allein? Weshalb um alles in der Welt kam er viel früher, als sie mit der Herde hier sein konnten?

Eine zweite Woge der Angst durchflutete sie wie ein eisiger Guss. Sie würden ihn töten. Ahnungslos ritt er vor ihre Mündungen. Sie würden überhaupt jeden töten, der - aus welchem Grund auch immer -, zu ihr kam. Denn sie durften nicht zulassen, dass sich ihre Anwesenheit auf der Ranch herumsprach. Sie waren flüchtige Banditen, die ihre Spur verwischen wollten ...

Bar jeglichen Willens, nur noch Opfer der Panik, die in ihr hochraste und sie überwältigte, begann sie wie von Sinnen zu schreien: „Nicht näher kommen! Banditen! Sie lauern ...“

Denton federte herum, war mit zwei Schritten bei ihr, sein Handrücken landete bretterhart auf ihrem Mund, sie verschluckte ihre weiteren Worte und taumelte stöhnend zurück. Blut tropfte von ihrer Unterlippe.

Aber ihr gellendes Geschrei trieb durch das offene Fenster hinaus. Hart nahm Hunter sein Pferd an die Kandare, zwei Herzschläge lang war er verdutzt und unentschlossen, denn er hatte nicht genau verstehen können, was sie mit sich überschlagender Stimme gebrüllt hatte. Das Wort Banditen aber glaubte er ganz deutlich vernommen zu haben. Es dauerte noch einmal zwei Sekunden, bis es sich in seinem Verstand durchgesetzt hatte. Etwas in ihm verkrampfte sich, er war erschrocken und voll Sorge. Er zog das Pferd um die linke Hand, ließ es mit einem Schenkeldruck angehen und gab ihm gleichzeitig den Kopf frei. Im Trab ritt er nach Süden. Auf der Ranch rührte sich nichts. Für einen Gewehrschuss war er noch zu weit entfernt. Hunter hielt auf die Berge zu.

Auf der Ranch knirschte Sheridan voll ohnmächtiger Wut: „Das wirst du bereuen, Lady. Wir schnappen uns den Mister. Dann kommen wir zurück. Und dann gnade dir Gott. - Cole, sperr sie und das Kind in den Vorratsschacht.“ Er wies auf die quadratische Klapptür im Küchenfußboden, unter der sich eine zwei Yard tiefe, ausgemauerte Grube befand, in der es kühl genug war, um Lebensmittel und andere schnell verderbliche Dinge über einen längeren Zeitraum aufzubewahren. „Wade, wir beide satteln die Pferde. Der Hombre darf uns nicht entkommen.“

Er schoss Isabel einen giftigen Blick zu, in dem eine böse Prophezeiung zum Ausdruck kam und hastete zur Tür, Wade Morgan ebenfalls. Sie rannten in den Stall. Keine zehn Minuten später stoben die drei Outlaws in wilder Karriere hinter Hunter her, der vor der graubraunen Kulisse der Felsenkette nur noch als schwarzer Punkt auszumachen war. Schließlich verloren sie ihn aus den Augen.

Sheridan gab den anderen Zeichen, als sie sich den Felsen auf etwa zweihundert Schritte genähert hatten. Sie jagten nach Osten und Westen davon. Das Hämmern der Hufe prallte zwischen die Felswände und holte Hunter ein, der im Maul einer Schlucht angehalten hatte und seine Verfolger beobachtete.

Ihn traf fast der Schlag, als er sie erkannte. Und im nächsten Moment überschwemmte ihn eine Welle des ungezügelten Hasses. Er sah, wie sie sich trennten. Allan Sheridan drosselte jetzt das Tempo seines Pferdes. Hunter hob das Gewehr. Fragen über Fragen stürmten auf ihn ein. Da war vor allem die Frage nach Virg Hammond, dem Wells Fargo Agenten, der ihm das Leben gerettet hatte, da war die bohrende, sorgenvolle Frage nach Isabels und Juanitas Befinden, die übelkeitserregende Frage danach, was Isabel an Demütigungen und Widerwärtigkeiten durchlebt hatte, seit die Banditen hier auftauchten und sich bei ihr einnisteten.

Plötzlich nahm Sheridan das Pferd nach links herum und folgte Wade Morgan nach Osten. Hunter knirschte mit den Zähnen und ließ das Gewehr wieder sinken. Er ritt weiter in die Schlucht hinein, bis diese endete und für ihn die Möglichkeit bestand, die Richtung, der er folgen wollte, frei zu bestimmen. Er folgte den Windungen zwischen den Felsen nach Westen, in der Hoffnung, auf Cole Denton zu stoßen, der sich ihm von dieser Seite nähern musste.

In kurzen Abständen hielt er das Pferd an, um zu lauschen. Schließlich vernahm er vor sich im Felsgewirr den krachenden und klirrenden Hufschlag. Hunter saß ab. Er zog das Pferd in den Schutz einer Gruppe übereinander gelagerter, riesiger Felsplatten, deren Basis genügend Spalten und Vorsprünge aufwies, um das Tier vor frühzeitiger Entdeckung zu schützen.

Hunter verbarg sich. Der Hufschlag nahm an Lautstärke zu. Vorsichtig, um kein zu scharfes Geräusch zu verursachen, riegelte Hunter eine Patrone in den Gewehrlauf. Unvermittelt trat Stille ein. Das scharfe Prusten eines Pferdes wehte heran. Ein Klirren, als das Tier noch einmal mit dem Huf aufstampfte ...

Die geschärften Sinne Cole Dentons hatten Gefahr signalisiert. Sicher hatte auch er desöfteren sein Pferd angehalten und den Hufschlag von Hunters Tier vernommen. Jetzt blieb diese Wahrnehmung aus. Und das alarmierte den Banditen.

Ein Geröllhang verbarg ihn vor Hunters Blicken. Von Morgan und Sheridan war nichts zu hören. Wahrscheinlich pirschten sie wie jagende Pumas durch die Schluchten und Einschnitte, um das Wild, das sie jagten, aufzustöbern und gnadenlos zu erlegen.

Hunter war kalt wie ein Stück Eis. Die Flamme des Hasses brannte nach wie vor in ihm, aber sie loderte nicht mehr heiß genug, um den klaren Verstand auszuschalten.

Und dann sah er Denton. Der Bandit schob sich um einen Felsblock herum, blieb geduckt im Schatten stehen und sicherte nach vorn und zur Seite. In seiner Faust lag der Colt. Das Gewehr hatte er im Scabbard stecken lassen. Im Nahkampf war der Colt schneller und präziser zu handhaben.

Hunter visierte ihn an. Aber er brachte es einfach nicht über sich, den Banditen aus sicherer Deckung abzuknallen. Trotz des Hasses, der ihn zerfraß, bei allem Verlangen nach Rache - er war kein kaltblütiger Killer. Also trat er aus seiner Deckung. Im selben Sekundenbruchteil nahm ihn Denton wahr. Er riss die Hand mit dem Colt hoch, schlug die Waffe auf Hunter an. Hunter kniete gedankenschnell links ab und schoss gleichzeitig mit dem Outlaw. Dentons Geschoss ging fehl, Hunters Blei hingegen riss den Banditen von den Beinen.

Die Schüsse klangen wie einer und dröhnten durch die Bergwelt, die Wände und Hänge schienen die Detonationen festzuhalten und immer wieder aufs Neue zum Leben zu erwecken. Endlich verhallte das letzte Echo.

Hunter hetzte zwischen die Felsen. Die beiden anderen Banditen konnten nicht weit sein. Cole Dentons Röcheln erreichte sein Gehör, als er kurz verhielt, um hinter sich zu horchen. Er vernahm das Tacken harter Lederabsätze auf steinigem Untergrund. An einer anderen Stelle - über Hunter - löste sich ein faustgroßer Stein unter einem Tritt und klickerte in die Tiefe. Einer der Kerle befand sich also über ihm auf dem Felsen, der die Höhe eines zweistöckigen Hauses hatte. Hunter presste sich eng an die raue Wand und zog sich zurück. Nach zwei Seiten gleichzeitig konnte er sich nicht verteidigen. Das Schicksal herauszufordern - danach stand ihm nicht der Sinn.

*



Wade Morgan sah seinen langgestreckt daliegenden und leise wimmernden Komplizen und drückte sich in einen Spalt. „Cole!“, rief er und verlieh seiner Stimme einen eindringlichen Klang. „Cole, hörst du mich? Hat es dich schlimm erwischt? Wo ist er?“

„Die Brust - rechts - wahrscheinlich die Lunge“, gurgelte Denton. „Ich - habe ihn erkannt. Es - es ist Barkley. Er - steckt - zwischen - den - Felsen.“

Ein Schuss peitschte. Trommelfellbetäubendes Jaulen folgte, als die Kugel vom Gestein abprallte. In den verklingenden Knall hinein brüllte Sheridan: „Verdammt! Um ein Haar hätte ich ihn erwischt. Er läuft tiefer in die Berge hinein. Versuch ihm den Weg abzuschneiden, Wade!“

Oben erschien Sheridan. Mehr auf den Absätzen schlitternd als laufend und verzweifelt mit den Armen rudernd, um das Gleichgewicht zu bewahren, kam er den Abhang herunter. Loser Untergrund kam unter ihm ins Rutschen, Steine sprangen vor ihm er in die Tiefe, und er musste alle Geschicklichkeit aufbieten, um nicht zu stürzen und von einer Gerölllawine mitgerissen zu werden.

Keuchend kam er unten an. Er wischte sich den Schweiß von der Stirn und aus den Augenhöhlen. „Cole hat’s erwischt“, empfing ihn Morgan. „Sieht schlecht aus.“

„Zur Hölle mit dir!“, grunzte Sheridan. „Was stehst du hier herum? Sehen wir lieber zu, dass wir uns den Bastard gegenseitig vor die Waffen treiben.“

Morgan hatte eine scharfe Erwiderung auf den Lippen, beherrschte sich aber, denn jetzt einen Streit vom Zaun zu brechen wäre angesichts der Gefahr, die von Hunter ausging, womöglich tödlich gewesen. Also schwang er auf den Absätzen herum und hetzte los.

„Hilf mir, Allan“, ächzte Denton kaum noch verständlich.

Sheridan schaute ohne eine erkennbare Regung auf ihn hinunter. Aus Dentons Mundwinkel rann ein Gemisch aus Blut und Speichel. Winzige Blutblasen netzten seine Lippen. „Wozu, Cole? Du bist so gut wie tot. Selbst wenn du eine Chance hättest. Du wärst nur eine Last für uns.“

Dann rannte Sheridan davon. Bald hatte er Morgan vor sich. Er holte ihn ein. Sie konnten Hunter nirgends entdecken. Er war im Gewirr aus Fels und Dornengestrüpp verschwunden, als hätte es ihn nie gegeben.

Sheridan bedeutete Morgan, sich nach rechts zwischen die Felsen zu schlagen. Er verschwand nach links. Geduckt glitt er, jeden Schutz ausnutzend und unablässig um sich sichernd, im Schattenfeld eines der steinernen Riesen dahin. Es gab Spalten und Risse, an die er sich vorsichtig heranschob, in denen aber keine Gefahr für ihn lauerte.

Ein Schuss brüllte auf. Sheridan blieb wie angenagelt stehen und drehte das Ohr in die Richtung, aus der er erklungen war. Die Echos antworteten, und in sie hinein peitschte hell eine Winchester. Sheridan staute den Atem. Plötzlich stieß trommelnder Hufschlag heran. Eines der Pferde, die überall herumstanden, war erschreckt vom Donnern der Schüsse durchgegangen.

Während Sheridan an der rauen Wand entlang pirschte und Hunter in den engen Schluchten und Spalten suchte, kauerte dieser tief geduckt und flach atmend in einem klaffenden Riss. Er hatte sich das Knie blutig geschlagen, als er einmal ausglitt und damit gegen einen spitzen Stein prallte. Blut besudelte seine Hose und ließ sie an der Haut kleben.

Leise Schritte kamen näher. Hunter sah den Gegner nicht, aber er wusste, aus welcher Richtung er heranpirschte. Hunter hielt das Gewehr fest gepackt. Vorsichtig spähte er über den Rand des Spalts, in dem er sich verkrochen hatte. Schweiß rann ihm in die Augen. Staub verklebte seine Poren. Seine Beinmuskulatur begann sich zu verspannen. Mit aller Macht spürte er die Erschöpfung nach dem harten, strapaziösen Ritt von Santa Fe herunter.

Als er Morgan auftauchen sah, wartete er ab. Er wusste nicht, ob Sheridan in der Nähe steckte und er sich mit einem Schuss auf Morgan verriet. Hunter bemerkte das Zögern des Banditen. Morgan war sich nicht sicher, ob er noch einen Schritt wagen konnte. Zwischen ihm und der Deckung eines wie von Riesenhand hingelegten Findlings auf der Sohle zwischen den Steilhängen betrug die Entfernung gut zehn Schritte.

Hunter verlor schließlich die Geduld. Er nahm einen Stein und schleuderte ihn über den Rand des Risses zwischen die Felsen. Morgan fiel prompt auf den plumpen Trick herein und reagierte ansatzlos. Er schnellte halb herum, duckte sich, um ein möglichst kleines Ziel zu bieten, und feuerte. Und jetzt ließ auch Hunter seine Winchester sprechen. Er sah Morgan zurücktaumeln, registrierte das Aufbrüllen des Banditen, und kroch schnell in dem Spalt davon.

Morgans schmerzgepresste Stimme sickerte heran. „Allan, beim Henker, er hat mich getroffen. Das Blei steckt in meiner Schulter. Leg ihn endlich um, Allan, und dann hilf mir.“

Sheridan gab keine Antwort.

Wieder ertönte Morgans Stimme. Sie klang fast hysterisch vor Angst: „Allan, wo steckst du? Töte diesen Dreckskerl endlich. Hölle und Teufel, was ist los? Gib dem Bastard endlich den Fangschuss und hol mich dann raus hier!“

Sheridan aber dachte nicht daran. Er hatte den Rückzug angetreten, nachdem er nur noch alleine gegen den gefährlichen Gegner stand, den er total unterschätzt hatte und der ihm plötzlich Angst machte. Das Schicksal Wade Morgans interessierte ihn nicht im Geringsten. Ihm war es nur noch wichtig, das eigene Fell zu retten.

Mit pumpenden Lungen erreichte er sein Pferd. Er leinte es los und warf sich in den Sattel. Plötzlich hatte er es höllisch eilig. Sein unsteter Blick sprang hin und her. Er war bereit, auf alles zu feuern, was sich bewegte. Er hämmerte dem Tier rücksichtslos die Sporen in die Seiten und das Pferd sprang mit einem harten Ruck an. Als es die Bodenbeschaffenheit zuließ, ließ der Bandit die Zügel schießen. „Hüh!“ Er ruckte im Sattel und das Pferd begann zu laufen.

Der Hufschlag war weit vernehmbar. Wade Morgan ahnte die für ihn niederschmetternde Wahrheit. Seiner Hilflosigkeit und Wut, der gefrierenden Angst und noch einigen anderen Gefühlsregungen mehr verlieh er in einer Serie lästerlicher Verwünschungen Ausdruck. Er verfluchte Sheridan, tastete sich an einem Felsen entlang, presste sein Halstuch auf die stark blutende Wunde an der rechten Schulter und der glühende Schmerz raubte ihm fast die Besinnung.

Auch Hunter vernahm das sich schnell entfernende Hufgeklapper. Er presste die Lippen zusammen. Das Pferd wurde nach Norden gejagt. Zurück zur Ranch also. Hunter richtete sich auf. Das Begreifen durchzog seinen Verstand wie ein kalter Wind. Er rannte, so schnell es sein schmerzendes Knie erlaubte, zurück. Plötzlich hatte er Morgan vor sich. Der Bandit klebte regelrecht mit dem Rücken an einem Felsen, die linke Hand mit dem blutdurchtränkten Halstuch auf die Wunde pressend. Sein Colt steckte im Halfter.

Sofort verhielt Hunter, krümmte sich nach vorn und riss das Gewehr an die Hüfte.

„Nicht schießen!“, schrie Morgan mit kippendem Organ. „Ich gebe auf.“ Er rutschte langsam an dem Felsen zu Boden und stöhnte gequält. „Mach mit mir, was du willst, Barkley, aber lass mich hier nicht elend vor die Hunde gehen.“

Hunter näherte sich ihm mit der gebührenden Vorsicht. Diese Sorte war heimtückisch. Aber Morgan war nur noch ein vom Schmerz ausgehöhlter und vom Blutverlust geschwächter Haufen Elend, der von seinem Feind nun das forderte und erwartete, was er selbst nie praktiziert hatte. Nämlich Menschlichkeit und Fairness.

Doch dafür fehlte Hunter im Moment die Zeit. Er sagte unversöhnlich, ohne eine Spur von Wärme oder Anteilnahme: „Dein guter Freund Sheridan hat dich ja ganz schön schmählich im Stich gelassen, Morgan. Er ist zur Ranch zurück geflohen und ich kann mich nicht mit dir aufhalten. Dass es dir dreckig geht hast du dir selbst zuzuschreiben. Du musst zusehen, wie du alleine zurecht kommst. Sag mir nur eines: Was ist mit dem Mann geschehen, der euch gefolgt ist?“

Er stellte diese Frage voll Hoffnung, dass Virg Hammond die Spur der Banditen verloren hatte und eine Zickzackfährte durchs Land zog, um sie wieder aufzunehmen. Doch die Sorge, dass es dem nicht so war, ließ sich einfach nicht verdrängen.

Wade Morgan wich seinem zwingenden Blick aus. Die fiebrig-trockenen Lippen des Outlaws blieben verschlossen.

„Hat er euch eingeholt?“, geißelte ihn Hunters unerbittliche Stimme. Wie Bleiklumpen fielen die Worte auf ihn hinunter. Hart traten die Backenknochen Hunters unter der Haut hervor. Das verstockte Schweigen Morgans sagte ihm alles. Ihm war plötzlich alles klar, und die Gewissheit war wie ein Hammer, der Zorn und Hass in sein Gemüt trieb.

„Er hat euch also eingeholt und ihr habt ihn umgebracht.“ Hunters Stimme war nur noch ein heiseres, hassvolles Geflüster. „Weißt du miese Ratte überhaupt, was für eine Lawine ihr ins Rollen gebracht habt? Mein Freund und Partner ist tot. Zwei von Jack Flahertys Cowboys sind gestorben. Ihr Blut klebt an meinen Händen. Flaherty hat sich und seine Ranch ruiniert. Er wartet im Gefängnis in Santa Fe auf seinen Prozess. - Ihr gewissenlosen Strolche habt den Stein ins Rollen gebracht. Und nun kommt ein weiterer Mord hinzu - der Mord an Virg Hammond. Ganz zu schweigen von dem, was ihr Schweine wahrscheinlich mit Isabel angestellt habt.“

Er nannte den Namen, es war für ihn das Signal. Für eine Minute war er von seiner Leidenschaft regelrecht überrollt worden. Isabel und ihrer Tochter drohte aufs neue Gefahr. Wenn Sheridan keinen Ausweg mehr sah, schreckte er vor nichts zurück. Er würde über Leichen gehen.

Nichts mehr hielt Hunter an diesem Platz. Als er sich drei Schritte von Morgan entfernt hatte, vernahm er einen dumpfen Laut, der aus der Kehle des Banditen brach, und ein schabendes Geräusch war zu hören. Ehe Hunter es identifizieren konnte, erklang das Knacken eines Colthahnes.

Morgan hatte seine letzten Energien und den Rest seines verlöschenden Willens aufgeboten, um den Colt zu ziehen. Er hielt ihn mit beiden Händen. Anstrengung und tobender Schmerz verzerrten sein Gesicht zur Fratze. Ein hässliches Funkeln stieg aus der Tiefe seiner Augen.

Hunter reagierte mit dem Erkennen der tödlichen Gefahr. Er ließ sich zur Seite fallen und schleuderte sich im Fall herum. Der Schuss des Banditen wummerte. Morgan spürte den Rückstoß bis in die Schultern und heulte auf. Sein Schrei ging jedoch unter im Krachen der Winchester. Das Mündungsfeuer zerteilte die Düsternis, die bereits zwischen den Felsen wob, mit grellgelbem Strahl

Morgan saß sekundenlang steif da, plötzlich sanken seine Arme kraftlos nach unten, sein Gesicht verlor den Ausdruck, wurde leer, und mit dem nächsten Atemzug kippte er zur Seite. Hunters Geschoss hatte einen blutigen Schlusspunkt unter sein unseliges Banditendasein gesetzt.

Hunter hielt sich nicht mehr länger auf. Auf schnellstem Weg hetzte er zu seinem Pferd.

*



Als Hunter aus dem Felsgewirr sprengte, sah er Sheridan die Ranch nach Westen verlassen. Im ersten Impuls war Hunter versucht, ihm im spitzen Winkel den Weg abzuschneiden, doch dann dachte er an Isabel und das Mädchen und lenkte sein Pferd zur Ranch.

Vor dem Haupthaus sprang er ab und lief hinein. „Isabel!“ Sein Schrei gellte durch die Räume.

Ein dumpfes Pochen erklang. Eine erstickende Stimme rief: „Hunter, hier unten, im Vorratskeller ...“

Hunter schob die schwere Truhe, die Denton auf die Klappe gezogen hatte, zur Seite und öffnete die Luke. Isabels bleiches Gesicht war nur ein heller Fleck in der Dunkelheit, die in dem engen Schacht herrschte. Juanita klammerte sich an sie. Hunter half ihnen heraus. Das Mädchen weinte. Isabel lehnte sich an den Mann, als suchte sie Halt, ein krampfhaftes Schluchzen ließ sie erbeben.

„Es war schrecklich, Hunter. Madre de Dios, es - es war die Hölle.“

Ihre Stimme klang erschöpft, Abscheu, Grauen und Demütigung, die sie nachträglich durchlebte, lähmten ihre Stimmbänder, ihr Blick voll Qual, mit dem sie ihn ansah, erschütterte Hunter.

Er starrte sie eine Weile schweigend und voll Verzweiflung an, verzweifelt deshalb, weil er daran dachte, dass er ihr noch mehr Schmerz und Leid zufügen musste, dann aber fand er die Sprache wieder und sagte heiser: „Wade Morgan und Cole Denton haben für ihre Verbrechen gebüßt.“ Er wusste selbst, dass diese Eröffnung sie weder trösten konnte noch ihr Genugtuung verschaffte. Dennoch fuhr er fort, wenn auch nur, um überhaupt etwas zu sagen, vielleicht auch um Zeit zu gewinnen, denn alles in ihm sträubte sich dagegen, ihr in diesem Zustand von Jims Tod zu berichten. „Sheridan ist mir leider entkommen. Aber ich hole ihn mir und ziehe ihn zur Rechenschaft. Und wenn ich ihm bis nach Feuerland folgen muss. Das verspreche ich dir, Isabel.“

Er strich Juanita über die dunklen Haare, führte die beiden zum Tisch, auf dem noch die halbvolle Whiskyflasche stand, und drückte Isabel mit sanfter Gewalt auf einen der Stühle. Dann nahm er Juanita auf den Arm. Das Mädchen klammerte sich an ihm fest.

Heiß stieg es in Hunter hoch. Wie sollte er ihnen die grausame Wahrheit schonend beibringen? Tonnenschwer legte sich diese Frage auf ihn. Er hatte das Gefühl, erdrückt zu werden.

„Sheridan war noch einmal hier“, sagte Isabel lahm. „Wahrscheinlich holte er die Satteltaschen mit dem Geld. Er - er war der Schlimmste, Hunter, schlimmer als ein wildes Tier.“ Plötzlich schwammen ihre Augen in seinem See von Tränen und sie stammelte: „Ich - ich werde Jim wohl nie mehr die Frau sein können, die ich ihm in all den Jahren war. Und er wird mich verachten. Ich weiß es.“ Sie begann hemmungslos zu weinen. Hunter legte ihr die linke Hand auf die Schulter. Isabel hob das Gesicht. „Was sollte ich tun, Hunter?“, fragte sie, als sie sich wieder etwas beruhigt hatte. „Sie drohten, Juanita Leid zuzufügen. War es nicht meine Pflicht, mich zu opfern?“

„Niemand kann dir einen Vorwurf machen, Isabel“, murmelte Hunter, und er hasste die Lahmheit seiner Worte. „Jim ...“ Er verstummte. Es wollte ihm einfach nicht über die Lippen. Ein düsterer Schatten lief über sein Gesicht. Sein Blick irrte ab.

Wie gebannt starrte ihn Isabel an. „Weshalb sprichst du nicht weiter?“, entrang es sich ihr. „Was ist mit Jim?“ Ihre Miene veränderte sich schlagartig, mit einem Ruck erhob sie sich, seine Hand fiel von ihrer Schulter. Vergessen war ihr eigenes Leid. Alptraumhafte Ahnungen, das jähe, grässliche Empfinden, dass ihr das Schrecklichste erst noch bevorstand, dieses unbestimmte Gefühl, das sie bis in ihr Innerstes entsetzte und würgende Angst mit sich brachte, schlug wie eine verschlingende Woge über ihr zusammen.

„Was ist mit Jim?“ Ihre Hände verkrallten sich in seinem Hemd, sie schüttelte ihn, der Stoff krachte. Ihre Nerven spielten nicht mehr mit. Sie hielt dem psychischen Druck nicht mehr stand. Die aufgestauten Emotionen entluden sich eruptiv, in einem regelrechten Hysterieanfall.

Juanita klammerte sich verzweifelt mit beiden Armen an Hunters Hals fest. Laut fing das Kind an zu heulen. Dieser Ausbruch ihrer Mutter, dessen Ursachen sie noch nicht so richtig begriff, erschreckte das Mädchen.

„Jim ist tot.“

Die drei Worte fielen wie Hammerschläge.

Sekundenlang war Isabel wie versteinert. Dann brach ein abgerissener Ton aus ihrer Kehle, ihre Hände lösten sich von Hunters Hemd, sie schlug sie vor das Gesicht und fiel schwer zurück auf den Stuhl.

Minuten verstrichen. Nur ihre schweren Atemzüge durchbrachen die Stille, die sich wie ein Leichentuch in den Raum gesenkt hatte. Schließlich ließ Isabel die Hände sinken. Sie sah zu Hunter in die Höhe. Ruhig, fast zu ruhig, fragte sie: „Wie konnte das geschehen?“

Hunter erzählte ihr alles.

Und dann trat wieder diese erdrückende Stille ein, die nach einiger Zeit erneut von Isabels hohl und unnatürlich klingender Stimme gesprengt wurde: „Du hast geschworen, Sheridan zu töten, Hunter.“

„Ich habe geschworen, ihn zur Rechenschaft zu ziehen, Isabel“, widersprach Hunter und fügte schnell hinzu. „Aber ich werde ihn töten, wenn er mich dazu zwingt.“

„Sie sprachen immerzu davon, sich in nächster Zeit nach Mexiko abzusetzen.“

„Es gibt keinen Ort auf der Welt, an dem ich ihn nicht aufspüre“, murmelte Hunter.

„Dann reite und töte diesen Bastard!“, fauchte sie leidenschaftlich.

Hunter nickte. Dann sagte er: „Ich habe an Jims Grab versprochen, mich um dich und Juanita zu kümmern. Vorausgesetzt, du willst das, Isabel. Ich denke, wir sind es Jim schuldig, an der Ranch festzuhalten. Sein Tod war sowieso sinnlos genug. Wenn wir aber aufgeben, dann wäre das wie ein Verrat an ihm.“

Isabel prallte etwas zurück. Sie wollte etwas sagen, in ihrem Blick mischten sich plötzlich die unterschiedlichsten Empfindungen. Da waren Verwirrung, Misstrauen, Zorn und kühle Zurückweisung. Hunter kam ihr zuvor, indem er schnell weitersprach: „Versteh mich bitte nicht falsch. Ich will nicht Jims Stelle bei dir einnehmen. Ich will nur Jims Erbe antreten, was die Verantwortung für dich und Juanita betrifft. Wenn es mir gelingt, Sheridan zu stellen, bekommen wir auch unser Geld zurück. Ich denke, es wäre in Jims Sinn, wenn ich dir und Juanita damit eine gesicherte Existenz aufbaue.“ Eindringlich und ernst schloss er, nachdem er seinen Vorschlag sekundenlang auf sie wirken hatte lassen: „Ohne Hintergedanken, Isabel, ohne dir das Gefühl zu geben, in meiner Schuld zu stehen. Ich habe es Jim geschworen.“

Er meinte es ehrlich. Sie konnte es fühlen. Dieser Mann war aufrecht und stolz, er war ein Kämpfer, und er war ohne Falschheit und Niedertracht. Beschämt senkte sie den Blick. „Verzeih mir, Hunter“, flüsterte sie, und es klang wie ein Windhauch. „Wie konnte ich an dir zweifeln?“

„Vergiss es“, murmelte er, und jetzt spürte er auch wieder die unsägliche, grenzenlose Erschöpfung, die er überwunden zu haben glaubte. Er sagte: „Ehe ich reite, brauche ich einige Stunden Schlaf. Ich kenne Sheridans ungefähren Fluchtweg. Er bekommt zwar dadurch einen gewissen Vorsprung. Aber auch er muss irgendwann schlafen, und irgendwo wird er anhalten und sich in Sicherheit wiegen. Und dann ...“

*



Acht Tage war Allan Sheridan geritten. Er war von New Mexiko aus hinüber ins Arizona-Territorium gewechselt und dann immer nach Süden gezogen, bis er im südöstlichsten Winkel Arizonas die Grenze nach Mexiko überschritt.

Aus Furcht vor den Rurales wählte er seinen Weg durch die Gebirgs- und Wüstenregion, und er gelangte in ein Dorf am Rio San Bernardino, dem seine Bewohner den Namen San Miguelito gegeben hatten. Es handelte sich um eine typisch mexikanische Ansiedlung, klein, zusammengedrängt, mit engen, winkligen Gassen, einer staubigen Plaza, weißgetünchten Adobehäusern und windschiefen Bretterschuppen. Außerhalb des Ortes gab es Pferche für Schweine, Schafe und Ziegen. Struppige Hunde lagen in der Sonne. Einige schmutzige Kinder lärmten am Rande der Plaza. Gestalten in bunten, zerschlissenen Ponchos lungerten herum und beobachteten den Fremden mit einer Mischung aus Argwohn und Neugierde.

Vor der Bodega saß der Bandit ab. In seinem Gesicht wucherte zwischenzeitlich ein dichtes und wildes Bartgeflecht. Der Peon, ein Halbwüchsiger, der im Schatten der Hauswand kauerte und vor sich hin döste, erhob sich und trat an ihn heran.

„Darf ich Ihr Pferd versorgen, Senor?“, fragte er.

„Yeah“, erklärte Sheridan, nahm das Satteltaschenpaar ab, griff in die Tasche und gab dem Jungen einen halben Dollar. „Versorge es gut, Chico“, murmelte er, dann ging er steifbeinig hinein.

Der Vorhang aus verschiedenfarbigen Holzperlen, die an Schnüren aufgereiht waren, rasselte, als er ihn zur Seite schob. Er betrat einen niedrigen, muffigen Schankraum mit einer primitiven Theke aus ungehobelten Brettern und einem halben Dutzend Tische, auf denen Schalen mit Talglichtern standen. Um jeden Tisch waren vier Stühle gruppiert. Es war düster. An den vier kleinen Fenstern hingen schmutzige und zerschlissene Gardinen. Bei der Bodega handelte es sich um eine verdreckte Spelunke. Darauf jedoch achtete der Bandit nicht.

Aus einer Tür hinter dem Tresen kam der Wirt. Sheridan setzte sich an einen Tisch und legte die Satteltaschen auf den Stuhl neben sich. Der Bodegonero setzte ein freundliches Lächeln auf und rief: „Buenos dias, Senor, es kommt selten vor, dass sich Americanos in unseren kleinen Ort verirren. Was darf ich Ihnen anbieten? Wein, Bier, Pulque, vorzügliches Essen - ich habe alles.“

„Bring mir Wein und etwas zu essen - und eine Zigarre.“

Der Wirt stellte eine Flasche und ein Glas vor ihn hin und legte eine dicke Zigarre daneben. Dann verschwand er wieder durch die Tür hinter dem Schanktisch, und gleich darauf hörte ihn Sheridan mit Pfannen hantieren. Eine Frauenstimme mischte sich in die Geräusche aus der Küche.

Der Outlaw trank von dem Wein und zündete sich die Zigarre an. Und er sagte sich, dass er in diesem Nest ein paar Tage bleiben wollte, um sich richtig auszuruhen und sein Ziel endgültig festzulegen. Er wollte in eine der größeren Städte weit im Süden, um dort mit dem erbeuteten Geld das Leben eines Edelmannes führen.

Der Wirt brachte eine halbe Stunde später das Essen. Es war ein Pampf aus roten Bohnen, gewürfeltem Hammelfleisch, Kartoffeln und einer scharfen Soße, dazu brachte er einen kleinen Korb mit Fladenbrot.

Hungrig wie ein Wolf stürzte Sheridan sich über die Mahlzeit her. Er schlang die ersten Bissen regelrecht hinunter. Schließlich nahm er sich Zeit, um sorgfältig zu kauen. Da hörte er Hufschlag. Er näherte sich der Bodega und brach vor ihr ab. Ohne irgendein Anzeichen von Unruhe aß der Bandit weiter. Draußen erklangen Stimmen, versickerten, ertönten wieder. Sporen rasselten, dann wurde der Vorhang auseinander geschoben und drei mittelgroße, drahtige Typen in dunklen Leinenanzügen und mit riesigen Sombreros auf den Köpfen drängten herein. Über der Brust des vorderen der drei Burschen kreuzten sich Patronengurte. An seinem Gürtel hing ein schwerer Coltrevolver. Die beiden anderen waren ebenfalls mit Colts bewaffnet, einer trug auch ein Gewehr.

Sie gingen sattelsteif zum Tresen und flüsterten mit dem Wirt. Der Staub der Sierra de Madera rieselte von ihren Schultern. Die drei Kerle gefielen Sheridan nicht. Es waren keine Bewohner dieses Ortes, es waren Sattelwölfe. Ihre Bewaffnung war die von Pistoleros, von Revolvermännern also. Sheridan stufte sie auf Anhieb als Bravados ein, wahrscheinlich Mitglieder einer der vielen mexikanischen Banden, die das Grenzgebiet unsicher machten und denen nichts heilig war.

Sheridans Rechte verschwand zwei Wimpernschläge lang unter dem Tisch, dann aß er seelenruhig weiter. Die drei Männer am Tresen wandten sich ihm zu, fixierten ihn mit stechenden Blicken, dann kamen sie sporenklirrend zu seinem Tisch. Sheridan legte die Gabel zur Seite, lehnte sich etwas zurück und legte wie beiläufig seine Hände in den Schoß, jedoch so, dass sie von der Tischplatte gedeckt waren.

Der Bursche mit den gekreuzten Patronengurten über der Brust stemmte sich mit den Armen auf den Tisch, beugte sich weit vor und sagte: „Wir sahen dich durch die Berge reiten, Muchacho. Kein Mann nimmt den beschwerlichen Weg freiwillig auf sich. Es sei denn, er hat sich verirrt, oder er hat das Licht der Öffentlichkeit zu scheuen.“

Sheridan deutete ein Grinsen an. “Ich habe mich verirrt, Amigo“, erwiderte er dann trocken.

Auch der Mexikaner grinste. Seine Zähne blitzten. Es war ein eingefrorenes Grinsen. „Du solltest mich nicht anlügen, Gringo“, sagte er dann drohend. „Vielleicht sollte ich dich nicht im Unklaren darüber lassen, wen du vor dir hast. Ich bin Pepe Sandobal. Mein Bruder und ich kontrollieren sozusagen diesen Teil der Sierra de Madera. Ich denke, du bist ein amerikanischer Bandit, der aus Angst vor den Rurales den Weg durch die Berge genommen hat.“

„Denk was du willst, Hombre!“, presste Sheridan unbeeindruckt, fast gelassen hervor. „Wenn ich ein Bandit bin, dann können wir uns wahrscheinlich die Hand geben. Oder täusche ich mich?“

„Respekt, Gringo“, tönte Sandobal. „Du bist mutig und furchtlos. Aber du irrst dich. Wir sind keine Bravados. Wir schützen die Menschen in dieser Region vor Gewalt und Terror, und ...“

„... und lasst euch gut dafür bezahlen!“, schnitt ihm Sheridan das Wort ab. „Wer nicht zahlt, nun ...“ Er fuhr sich mit dem Zeigefinger seiner Linken quer über den Hals, dann ließ er die Hand auf der Tischkante liegen. Seine Rechte blieb für die drei Kerle weiterhin unsichtbar. „Ich brauche euren Schutz nicht. Ich hätte auch gar nicht genug Geld, um euch für eure Dienste“ - er zog dieses Wort ganz besonders in die Länge -, „zu entlohnen. Du verstehst, Pepe? Mit mir ist kein Geschäft zu machen.“

„Wir haben dein Pferd draußen gesehen. Am Sattel sind Satteltaschen befestigt. Wozu brauchst du ein zweites Paar?“ Er wies auf die Taschen, die Sheridan neben sich auf den Stuhl gestellt hatte. „Und weshalb hütest du sie - im Gegensatz zu den anderen - wie deinen Augapfel?“

„Sie enthalten einige persönliche Dinge“, entgegnete Sheridan. „Was geht es dich an, Amigo?“

„Du bist sehr von dir eingenommen, Gringo!“, stieß Sandobal scharf hervor. Demonstrativ trat er einen Schritt zurück, reckte seine Schultern und legte die Hand auf den Revolverknauf. „Selbstsicher und arrogant. Das gefällt mir nicht.“ Er starrte Sheridan sekundenlang an, und in seinem Blick lag eine böse Verheißung. Plötzlich schnarrte er: „Juan, sieh nach, was er in den Satteltaschen hat.“

Einer seiner beiden Begleiter wollte sich in Bewegung setzen, als Sheridan zischte: „Wenn er die Satteltaschen auch nur mit den Fingerkuppen berührt, blase ich dir das Hirn aus dem Schädel, Hombre!“

Sie starrten ihn an als zweifelten sie plötzlich an seinem Verstand. Dann knirschte Sandobal: „Vorwärts, Juan.“ Und gleichzeitig zog er.

Sheridan schoss unter dem Tisch hervor. Er hatte sich den Sechsschüsser zwischen die Oberschenkel geklemmt, und seine Rechte umklammerte den Knauf. Während sie sprachen, schlug er unter der Platte das Eisen auf Sandobal an.

Dieser bekam seinen Colt nicht einmal aus dem Halfter. Er fiel gegen den Burschen mit dem Gewehr, klammerte sich an ihn, und ein zweiter Schuss ließ die Bodega in ihren Fundamenten erbeben. Juans Rechte war zur Waffe gefahren, aber Sheridans Blei war schneller. Der Mexikaner sank sterbend zu Boden. Und jetzt erschien Sheridans Colthand über dem Tisch. Dem dritten Burschen gelang es nicht, sich von Pepe Sandobal zu befreien. Sheridan zögerte nicht. Mit seinem dritten Schuss brachen der Bursche und mit ihm Sandobal zusammen.

Sheridan erhob sich abrupt. Sein Stuhl kippte um. Händeringend, mit schreckensweiten Augen, stand der Bodegonero hinter dem Tresen. Ätzend verbreitete sich im Raum der Gestank von verbranntem Pulver. Der Bandit umrundete den Tisch. Er untersuchte kurz die drei Reglosen. Dann schaute er den Wirt an. „Muss ich seinen Bruder fürchten, Muchacho? Lebt er in der Nähe?“

Die Lippen des Wirts bewegten sich. Es drang jedoch kein Wort über sie. Draußen jedoch wurde es laut. Sheridan packte ihn am Hemd und zog ihn halb über den Tresen. „Ich habe dich was gefragt?“, knurrte er ungeduldig und drohend.

„Fe - Fer - Fernando Sa - San - Sandobal wird - dich - dafür zu Tode hetzen!“, stotterte der Mexikaner. „Er - er ...“

Sheridan versetzt ihm einen derben Stoß, der ihn zurücktaumeln und gegen ein Regal stoßen ließ. Einige Gläser und Flaschen fielen heraus, es klirrte und schepperte. Der Bandit holte seine Satteltaschen, warf sie sich über die Schulter und verließ, nach wie vor den Colt in der Faust, die Bodega.

Draußen drängten sich die Neugierigen. „Verschwindet!“, brüllte er und winkte dem Peon. „Meinen Gaul! Pronto, pronto, Muchacho.“

Der Halbwüchsige beeilte sich. Wenige Minuten später sprengte Sheridan aus dem Ort, der zu einem weiteren Meilenstein seines blutigen Spur von Santa Fe herunter geworden war.

*



Hunter Barkley ritt durch die Wildnis der Sierra de Madera. Als drei Reiter ihre Pferde hinter einem Felsen hervortrieben und ihre Gewehre auf ihn anschlugen, zügelte er und hob die Hände.

Sie umringten ihn, einer sagte mit hartem Akzent: „Ihr elenden Gringos seid eine richtige Plage für unser Land. Man sollte kurzen Prozess mit jedem von euch machen. Gib mir deinen Colt und dein Gewehr, Hombre. Und dann reiten wir zu Fernando. Seit vorgestern ein verdammter Americano in San Miguelito seinen Bruder und zwei gute Amigos von ihm erschoss, ist er auf euch Gringos gar nicht mehr gut zu sprechen.“

Es fiel Hunter schwer, angesichts der verwegenen Kerle und der auf ihn angeschlagenen Colts die Ruhe zu bewahren. Was der Mann aber von sich gegeben hatte, ließ sein Interesse erwachen, und er sagte schnell: „Ich verfolge einen Banditen, der in dieser Gegend untergetaucht ist. Er ist in den Staaten reif für den Galgen. Wie sah der Mann aus, der eure Freunde erschoss?“

„Bist du ein Gesetzesmann von drüben?“, kam sofort die Gegenfrage.

Hunter zauderte nicht lange. „Ja. U.S.-Deputy Marshal“, log er. „Aus New Mexiko.“

Der Mexikaner grinste herablassend. „Du weißt doch, dass dein Rang hier nichts wert ist, Amigo.“

„Darum habe ich auch meinen Stern zu Hause gelassen“, gab Hunter zurück und grinste ebenfalls, obwohl ihm danach ganz und gar nicht zumute war.

„Reiten wir“, befahl der Mexikaner, ohne noch einmal Hunters Waffen zu verlangen.

Sie brachten Hunter nach San Miguelito. In der Bodega wartete Fernando Sandobal auf die Rückkehr seiner Männer, die er auf die Jagd nach Sheridan ausgeschickt hatte. Er trank Pulque und schien schon nicht mehr ganz nüchtern zu sein. Lange, speckige Haare fielen ihm weit in die Stirn und auf die breiten Schultern. Er trug zwei langläufige Colts am Kreuzgurt. Sein Gesicht zeigte Spuren von Lasterhaftigkeit und war blatternarbig, um seine wulstigen Lippen lag ein brutaler Zug. Unter seiner Nase prangte ein ungepflegter, schwarzer Schnurrbart, dessen Enden bis zum Kinnwinkel reichten.

Aus geröteten Augen taxierte er Hunter, indes einer der drei Kerle, die diesen hergebracht hatten, berichtete. Mit alkoholschwerer Zunge sagte er dann: „Du hast Pech, Marshal. Der Gringo, der meinen Bruder umlegte, gehört mir. Ich will ihm bei lebendigem Leibe die Haut abziehen. Du hast aber auch Glück, dass du ein Mann des Gesetzes bist. Wenn auch eines Gesetzes, das bei uns einen Dreck wert ist. Jeden anderen, x-beliebigen Mann würde ich in die Hölle schicken und kein Hahn würde nach ihm krähen. Wenn ich aber dich umbringe, spricht sich das schnell herum, weil du eben ein Gesetzesmann von drüben bist, und wir hätten hier sehr schnell die lästigen Rurales auf dem Hals. Also lasse ich dich in Ruhe. Sei mein Gast, Marshal. Und wenn meine Männer den dreckigen Mörder meines Bruders erwischen, überlasse ich dir den Ehrenplatz, wenn ich ihn eigenhändig bestrafe.“

Er griff nach der Flasche und schüttete den Inhalt wie Wasser in sich hinein. Der scharfe Schnaps rann über sein Kinn. Hunter fand diesen Banditen abstoßend. Aber er wusste, wann Zurückhaltung geboten war. Und als ihm Sandobal die Flasche reichte, nahm er ohne mit der Wimper zu zucken daraus einen Schluck, wenn sich ihm auch der Magen dabei umdrehte. Dann hub er vorsichtig an zu sprechen: „Es ist in Ordnung, wenn du dich des Verbrechers annimmst, Fernando. Deine Männer werden ihn fangen, und er bekommt, was er verdient. Es ist klar, dass ich dir nicht in die Quere komme. Also gibt es nichts mehr, was mich in Mexiko hält. Drüben gibt es viele Schufte wie Sheridan, auf mich wartet eine Menge Arbeit. Du hast doch sicher nichts dagegen, wenn ich nicht so lange warte, bis ihr des Banditen habhaft werdet und du ihn zur Rechenschaft ziehst. Ich will auf dem kürzesten Weg zurück in die Staaten reiten.“

„Du schlägst meine Gastfreundschaft aus?“, grunzte Sandobal und seine Stirn legte sich in drohende Falten.

„Ich weiß deine Gastfreundschaft sehr wohl zu schätzen“, versicherte Hunter hastig, denn er wollte den Bravado nicht unnötig herausfordern. „Wenn du meinst, dann bleibe ich gern ein paar Tage.“

Misstrauisch stierte ihn der Bandit an. Dann knurrte er: „Du weißt, dass du tot bist, wenn du versuchst, mich zu täuschen.“

„Yeah“, murmelte Hunter. „Sehe ich vielleicht aus wie ein Selbstmörder?“

Lachend schlug sich Sandobal mit der flachen Hand auf den Oberschenkel. „Du gefällst mir, Amigo. Trinken wir.“

*



Hunter war sozusagen Gefangener Fernando Sandobals. Er durfte zwar seine Waffen behalten und sich frei im Ort bewegen, aber er wurde von Fernandos Männern, die nicht das Land nach Sheridan absuchten, ständig beobachtet.

Der geringste Fehler konnte tödlich sein. Fernandos Stimmungen waren sehr wechselhaft. Hinter dem freundschaftlichen Getue des Banditenbosses versteckten sich Gemeinheit und niedrige Instinkte. Er war unberechenbar, und seine zur Schau getragene Freundlichkeit konnte sehr schnell in tödliche Leidenschaft umschlagen.

Hunter war voll Sorge. Wenn Fernandos Banditen Sheridan tatsächlich schnappten und nach San Miguelito schleppten, würde seine Lüge wohl sehr schnell auffliegen. Und Fernando würde ihm ebenso wie Sheridan die Haut abziehen.

Aber es war ihm unmöglich, den Ort unbemerkt zu verlassen. Also gab er sich wie ein Mann, der sich den Tag mit Langeweile totschlug.

Zwei Tage verstrichen.

Und am dritten Tage trat ein, was Hunter kaum noch für möglich gehalten, insgeheim jedoch befürchtet hatte. Ein Pulk Reiter kam nach San Miguelito, und in ihrer Mitte ritt Allan Sheridan. Er sah übel aus. Seine Hände waren gefesselt. Sein Pferd führte ein Mexikaner. Sie lachten und johlten triumphierend. Sheridan aber trieb zwischen Ohnmacht und Benommenheit. Er war blutig und zerschunden. Sein Kopf baumelte haltlos vor der Brust. Nach vorne gekrümmt saß er auf dem Pferd.

Vor der Pulqueria zerrten sie ihn aus dem Sattel. Er fiel direkt vor Sandobals Füße, der ins Freie getreten war. Stöhnend und ächzend wand er sich am Boden. Überall aus den Häusern und Hütten waren die Bewohner des Dorfes getreten, um das Schauspiel, das sich ihnen bot, zu beobachten.

„Da hast du den Mörder Pepes“, sagte einer der Kerle, die Sheridan gestellt hatten. „Er setzte sich wie ein Teufel zur Wehr und erschoss dabei Fernandez und Paolo. Dass wir ihn erwischt haben, ist ein Grund, ein Fest zu feiern. Was meinst du, Fernando?“

„Si“, nickte der Bandit und seine Augen versprühten Hass, als er Sheridan anstarrte. „Du verdammter Gringohund!“, knirschte er und versetzte Sheridan einen brutalen Tritt in die Rippen. „Si“, wiederholte er, „wir feiern ein Fest. Und deine Höllenfahrt wird der Höhepunkt des Festes sein.“

Noch einmal trat er Sheridan in die Seite. Der Bandit hatte nicht einmal mehr die Kraft, seine Not hinauszubrüllen. Nur ein verlöschenden Röcheln drang über seine Lippen.

Sandobal rief drei Namen. Dann befahl er: „Werft ihn in den Schweinekoben, bindet ihn fest und bewacht ihn.“

Sie packten Sheridan unter den Achseln und schleiften ihn fort. Sandobal spuckte in den Sand und erklärte: „Wir warten, bis alle unsere Amigos zurückgekehrt sind. Es soll ein großes Fest werden. Die Leute hier ...“

Plötzlich stutzte er. „Brach nicht wegen der Satteltaschen des Gringos der Streit aus? Ich sehe sie nicht. Wo sind sie?“ Er fixierte die drei Banditen, die noch vor der Bodega herumstanden. Seine dichten Brauen schoben sich zusammen wie dicke Würmer und bildeten nur noch einen geraden, durchgehenden schwarzen Strich. „Warum habt ihr die Satteltaschen nicht mitgebracht? Sicher enthielten sie Geld, das der Americano drüben geraubt hat.“

„Als wir ihn schnappten, hatte er die Satteltaschen nicht mehr, Fernando“, erwiderte einer der Banditen. „Wir fanden bei ihm nicht einen rostigen Peso.“

„Sicher enthielten die Taschen Geld“, sinnierte Fernando. „Warum sonst verteidigte er sie mit dem Colt in der Faust? Sabe Dios, ich werde es aus ihm herausquetschen. Er wird mir sagen, wo er die Satteltaschen versteckt hat. - Bueno, die Leute sollen das Dorf schmücken. Die jungen Senoritas sollen sich hübsch machen. Pepe würde es so wollen.“

Er klatschte in die Hände, wollte sich umwenden, um in die Bodega zurückzukehren, als er Hunter wahrnahm, dessen Gestalt sich aus dem Schatten eines der Häuser löste. Er erwartete ihn unter der Tür. „Leiste mir Gesellschaft, Amigo. Und erzähle mir mehr über Sheridan.“ Hinterlistig blinzelte er Hunter an. „Er muss ein besonders übler Halunke sein. Nicht umsonst folgt ihm das Gesetz der Vereinigten Staaten bis nach Mexiko.“

„Er hat gemordet und vergewaltigt“, gab Hunter knapp zu verstehen.

„Und geraubt, wie?“, fragte Sandobal mit lauerndem Unterton. Er packte Hunter am Oberarm und zog ihn hinter sich her in den Schankraum.

Hunter stand ihm Rede und Antwort. Den Bankraub in Santa Fe aber verschwieg er. Er erfand den Mord an einem Hilfssheriff, der Sheridan und seine Komplizen verhaften wollte, weil sie eine kleine Herde Longhorns gestohlen hatten. Was er dann erzählte, war eigentlich seine eigene Geschichte, was er Sandobal jedoch nicht auf die Nase band.

„Du belügst mich doch nicht, Amigo?“, knurrte der Bandit. „Ich bin fair zu dir. Ich habe dich am Leben gelassen. Ich habe sogar gestattet, dass du deinen Colt trägst. Also sei auch du fair zu mir.“

Sicher, dachte Hunter. Ihr habt mich in der Gewalt. Mit oder ohne Colt, ihr seid euch meiner sicher. Und wahrscheinlich wartet ihr nur darauf, dass ich versuche zu fliehen. Du bist etwa so fair wie eine Klapperschlange, der man auf den Schwanz tritt, Sandobal.

Diese bitteren Gedanken sprach er jedoch nicht aus. Er sagte vielmehr: „Ja, du warst fair zu mir, Fernando. Darum habe ich dir die ganze Wahrheit über Sheridan erzählt. Er begann als kleiner Bandit und zog zuletzt eine blutige Fährte. Mehr kann ich dir nicht sagen.“

Fernando schlug krachend die flache Hand auf den Tisch. „Den Rest holen wir aus Sheridan heraus. Ich kenne da Mittel und Wege, um einen Mann zum Sprechen zu bewegen. Du wirst zusehen, Amigo, wie ich dem Bastard mit der Peitsche das Fleisch von den Knochen schlage.“

„War das alles?“, fragte Hunter, und als der Bandit nickte, verließ er die Bodega. Tief sog er die frische Luft in seine Lungen. Es muss einen Weg geben, Sheridan aus der Hand dieses blatternarbigen Scheusals zu befreien und über die Grenze zu flüchten, pulsierte es durch Hunters Verstand. Und es muss geschehen, ehe Sandobal den Banditen mit der Peitsche in Stücke schlägt, um das Versteck der Geldtaschen zu erfahren.

Er dachte nicht daran, ohne den Banditen und das Geld in die Staaten zurückzukehren. Schließlich ging es auch um seine Existenz, und um die Existenz Isabels und Juanitas. Zweitausendfünfhundert Dollar von dem Geld gehörten ihnen ...

Er schlenderte durch das Dorf. Durch staubblinde Fensterscheiben wurde er beobachtet. Als er einmal hinter sich blickte, sah er einen von Sandobals Bravados schnell hinter einer Hausecke verschwinden. Grimmig registrierte Hunter, dass scheinbar das ganze Dorf - wahrscheinlich aus Furcht vor seinem Beschützer Sandobal -, auf ihn aufpasste.

Das Grunzen von Schweinen wies ihm den Weg. Dann sah er den Pferch, dessen Boden an manchen Stellen einen halben Yard tief aufgewühlt war und von dem ein abscheulicher Geruch nach Dung und Küchenabfällen ausging, den die windstille, glühende Hitze festzuhalten schien. Einige Dutzend Schweine, die dem ganzen Dorf gehörten, suhlten sich. An die Fence hatten die Banditen Sheridan gebunden. Er hing mehr in den Stricken als dass er stand. Die Sonne knallte auf seinen unbedeckten Kopf herunter und Hunter fragte sich, wie lange es wohl dauern würde, bis Sheridan einen Hitzschlag erlitt. Die drei Bravados, die Sandobal zu Sheridans Bewachung abgestellt hatte, hockten am Boden und verhöhnten Sheridan.

Hunter blieb ihm Schatten eines Schuppens stehen. Einen Moment empfand er sogar so etwas die Mitleid mit dem Banditen. Er verdrängte dieses Gefühl, denn er dachte an Virg Hammond und an Isabel, und er kam zu dem Schluss, dass von der niedrigen Gesinnung, von der Skrupellosigkeit und Unmenschlichkeit her Sheridan und Sandobal aus seinem Stück Holz geschnitzt waren.

Dennoch weigerte sich alles in ihm, Sheridan diesem Schlächter zu überlassen. Sheridan sollte für seine Verbrechen büßen. Nach Recht und Gesetz. Nicht aber nach dem Gesetz des mexikanischen Banditen.

Tief in Gedanken versunken stand Hunter da. Das höhnische Gelächter der drei Bravados erreichte nur den Rand seines Bewusstseins. Wie gekreuzigt hing Sheridan an dem Gatter. Es war, als hätte sich Hunters Blick nach innen gerichtet. Es muss einen Weg geben!, durchpeitschte ihn eine zwingende Stimme. Es muss ...

Da erreichte ihn Sheridans Krächzen: „Barkley, he, Hunter Barkley! Beim Allmächtigen, hilf mir ...“

Unbarmherzig wurde Hunter in die bittere Realität zurückgerissen. Er sah Sheridans fiebernden, qualvollen und flehenden Blick auf sich gerichtet. Und ihm blieb nicht verborgen, dass ihn die drei Bravados überrascht anstarrten.

„Lass nicht zu, dass diese Bestien mich elend massakrieren.“

Sheridans Stimme klang misstönend und erschreckend schwach, die Worte entrangen sich ihm mehr oder weniger als unverständliche, gurgelnde Laute.

Einer der Mexikaner erhob sich und kam heran. Seine Lider verengten sich, als er in Hunters Gesicht forschte, und schließlich sagte er: „Er kennt dich. Weiß er, dass du ihn verfolgst? Oder hast du ihn gar nicht verfolgt? Gehört ihr vielleicht zusammen? Habt ihr euch irgendwo getrennt, um euch in Mexiko wieder zu treffen?“

„Unsinn“, versetzte Hunter. „Ich bin in Santa Fe stationiert. Und er hielt sich lange Zeit dort auf. Diese Sorte interessiert sich für die Männer, die ihr eines Tages gefährlich werden können. Wahrscheinlich kennt er jeden Mann, der für den U.S.-Marshal reitet vom Namen und vom Aussehen.“

„Quien sabe - wer weiß“, murmelte der Bandit, schoss Hunter einen letzten, zweifelnden Blick zu und kehrte zu den anderen zurück. Er redete auf sie ein und gestikulierte dabei heftig. Sheridan hing jetzt wieder schlaff in seinen Fesseln. Wahrscheinlich war er besinnungslos geworden.

Hunter hatte unvermittelt das Empfinden, barfuß auf glühenden Kohlen zu stehen. Das Schicksal Sheridans vor Augen durchrann ihn exzessives Unbehagen, der Hals wurde ihm plötzlich eng und trocknete schlagartig aus.

Das Lügengebäude, das er um sich herum errichtet hatte, war ins Wanken geraten. Mehr und mehr sah er seine Felle davon schwimmen.

Einer der drei Bravados rannte ins Dorf. Hunter ahnte, was sich anbahnte. Die beiden Banditen vor dem Pferch waren für ihn kein Problem. Sie beobachteten ihn zwar aufmerksam, ihre Hände lagen auf den Revolverknäufen, Hunter jedoch traute sich zu, sie zu schlagen. Aber er hätte damit nichts gewonnen. Er konnte sich Sheridan nicht auf die Schulter laden und davonlaufen. Er käme keine hundert Yards weit.

Einen Herzschlag lang drohte Hunter in Panik auszubrechen. Dann aber wandte er all seinen Willen auf und zwang sich zu Ruhe und Besonnenheit. Noch war nichts verloren. Er schwang herum und folgte dem Banditen ins Dorf.

Quer über die Plaza kam ihm Sandobal mit einer Handvoll seiner Männer entgegen. Das Mienenspiel des Banditenbosses verriet wenig Gutes. „Du scheinst Sheridan gut bekannt zu sein, Hombre. Caramba, ich habe dir gleich nicht so recht vertraut. Du hast mich getäuscht. Davon bin ich überzeugt. Ich werde aus Sheridan nicht nur das Versteck der Satteltaschen herausschlagen, sondern auch die Wahrheit über dich. Schnall deinen Gurt auf und lass ihn fallen!“

Hunter hatte keine andere Wahl. Der Gurt rutschte an seinen Beinen hinunter und landete im Staub. Einer der Bravados bückte sich schnell und zog ihn weg, wich zurück und warf ihn sich über die Schulter.

„Ich habe gute Lust, dich neben Sheridan an das Gatter des Schweinekoben fesseln zu lassen, Barkley“, bekundete Sandobal grollend. „Aber ich tue es nicht. Ich will mir erst hundertprozentige Sicherheit über deine wahre Identität verschaffen. Falls du mich aber angelogen hast, dann bete, Gringo. - Sperrt ihn dort ein!“

Er wies auf einen flachen, fensterlosen Anbau der Bodega, in dem der Wirt seine Fässer mit Bier und Wein aufbewahrte. Die Banditen schoben und stießen Hunter quer über die Plaza. Hunter war sich seiner Chancenlosigkeit bewusst und fügte sich - jedenfalls für den Augenblick.

*



In Fernando Sandobal aber war bereits ein Plan völlig anderer Art gereift. Ein teuflischer Plan. Hinter Hunter schloss sich die Tür aus soliden Bohlen. Finsternis umfing ihn. Nur durch einige Ritzen zwischen den Brettern der Tür sickerten dünne Lichtstreifen, in denen winzige Staubpartikel tanzten. Draußen wurde der Riegel in die Halterung geworfen. Eine hämische Stimme rief etwas Hohnvolles, ebenso hämisches Lachen erklang, sporenklirrende Schritte entfernten sich.

Der Geruch von Bier und saurem Wein stieg Hunter in die Nase. Er setzte sich auf eines der Fässer. Es sieht ganz so aus, als wäre dein Trail hier zu Ende, Hunter, durchrieselte es ihn, und er wurde sich seiner Einsamkeit und des Alleinseins inmitten der Banditen voll bewusst. Er fühlte sich ratlos und verloren. Er hatte den gefährlichen Trail der Vergeltung beschritten, und war direkt - so hatte es jedenfalls den Anschein -, in der Hölle gelandet.

Langsam gewöhnten sich seine Augen an die Dunkelheit. Er konnte verschwommene Umrisse erkennen. Außer den Fässern und einigen Kisten mit Flaschen gab es hier nichts. Hunter war überzeugt, dass draußen mindestens zwei Banditen standen, die sein Gefängnis bewachten.

Die Zeit verstrich in zäher Langsamkeit. Hunter verspürte Hunger und Durst. Einmal vernahm er den Hufschlag mehrerer Pferde, und er schätzte, dass einer der Suchtrupps, die die Felswüste nach Sheridan abgesucht hatten, zurückkehrte.

Die Lichtstreifen, die grell auf den Boden vor der Tür fielen, verblassten mit der Abenddämmerung. Aus der Bodega erschallte Grölen und Lachen. Die Nacht kam. Die Finsternis in dem Verlies wurde undurchdringlich, mutete fast stofflich und greifbar an. Der Lärm im Schankraum hatte nervtötende Ausmaße angenommen. Nun mischten sich auch Frauenstimmen und helles Gelächter in das Gegröle der angetrunkenen Banditen.

Es war noch nicht das Fest, das Sandobal seinen Männern versprochen hatte. Das sollte erst dann steigen, wenn all seine Bravados aus den Bergen zurückgekehrt waren. Und Höhepunkt des Festes sollte Sheridans Höllenfahrt sein.

Staub knirschte unter Stiefeltritten. Ein Pferd prustete und stampfte. Leises Klirren war zu vernehmen. Anspannung nahm von Hunter Besitz. Laternenlicht floss durch die Türritzen, und dann wurde der Riegel entfernt. Die Tür schwang auf, Licht huschte in den Raum und hüllte Hunter ein. Er blinzelte geblendet, und dann erkannte er Sandobal und zwei weitere Mexikaner.

Sandobals Zähne blinkten unter seinem riesigen Schnurrbart. Sein Grinsen aber war so falsch wie ein Acht-Dollar-Schein. Er war angetrunken und seine wulstigen Lippen glitzerten feucht vom Speichel. Er sagte: „Es war ein guter Tag heute, Americano. Meine Männer haben den Mörder meines Bruders geschnappt, in der Bodega fließt der Pulque in Strömen, meine Amigos und ich sind in der allerbesten Stimmung.“

„Das freut mich für dich und deine Männer, Fernando“, versetzte Hunter sarkastisch. „Aber warum erzählst du mir das? Stehe ich seit heute Nachmittag nicht auf deiner Abschussliste?“

Sandobal lachte schallend auf, als hätte er einen guten Witz vernommen. Dann drehte er etwas den Kopf und sagte zu einem seiner Begleiter: „Gib ihm seinen Colt, Gonzales.“ Wieder an Hunter gewandt fuhr er fort: „Die gute Laune stimmt mich gnädig, Amigo. Was habe ich davon, wenn ich dich abmurkse? Du hast nichts, was ich dir abnehmen könnte. Darum schenke ich dir zum zweiten Mal das Leben. Nimm deinen Colt. Hier“ - er wies mit dem Daumen über seine Schulter -, „steht dein Gaul. Du bist frei. Reite!“

Hunter traute seinen Ohren nicht. Fast mechanisch griff er nach dem zusammengerollten Gurt, den der Bandit namens Gonzales ihm reichte und aus dem der Knauf seines Revolvers ragte. Da war aber auch das jähe Misstrauen, das in ihm hochloderte. Was hatte dieser Teufel in Menschengestalt tatsächlich im Sinn?

Hunter trat an Sandobal vorbei ins Freie. Er traute dem Banditen nicht. Sein Verstand signalisierte Alarm. Aber da stand sein Pferd, aus dem Scabbard ragte die Winchester, hinter dem Sattel war die Deckenrolle festgeschnallt, und am Sattelhorn hing sogar ein fleckiger Leinensack mit Proviant.

Hunter schnallte sich den Revolvergurt um. Grinsend musterten ihn Sandobal und seine beiden Begleiter. Sandobal hub noch einmal an: „Ich bin kein Unmensch. Auch wenn du mir nur Lügengeschichten erzählt hast. Wir haben dir einen ziemlichen Schrecken eingejagt, denke ich. Und du wirst daraus lernen. Nun reite. Nimm den kürzesten Weg zurück in die Staaten. Das ist meine Bedingung. Und sprich zu niemand darüber, dass du in San Miguelito Fernando Sandobal getroffen hast. Wirst du dich daran halten?“

„Worauf du dich verlassen kannst“, versprach Hunter wider besseres Wissen und ging zu seinem Pferd, zog sich in den Sattel.

„Ich habe dir den Namen El Estafador gegeben, Hombre“, rief Sandobal lachend. „Der Schwindler ...“

„Nicht gerade vertrauenserweckend dieser Name“, erwiderte Hunter mit bitterem Galgenhumor, dann zog er das Pferd herum und ritt nach Norden aus San Miguelito. Und er wusste, dass eine Heimtücke im Spiel war. Zwischen den Felsen, etwa eine halbe Meile vom Ort entfernt, hielt er an. Der Lärm, den die Banditen in der Bodega veranstalteten, war längst versunken. Stille umgab Hunter. Er sprang ab, führte das Pferd zwischen die Felsen und leinte es an. Mit dem Gewehr in der Hand schlich er zurück nach San Miguelito.

Das wüste Geschrei der Banditen empfing ihn. Sie feierten ausgelassen und kannten sicherlich keine Grenzen, wenn es darum ging, dem Laster in seiner ganzen Bandbreite zu frönen. Nur noch in vereinzelten Häusern brannte Licht. Die Dorfbewohner kuschten vor den rabiaten Bandoleros. Um sie gnädig zu stimmen, überließen sie ihnen sogar ihre Frauen und Töchter.

Hunter drang in einen Stall ein. Er hörte das Pferd unwillig schnauben, ertastete einen Sattel und legte ihn dem Tier auf. Dabei sprach er beruhigend auf das Pferd ein. Er riss ein Streichholz an, sein Blick erhaschte ein Zaumzeug, er schlenkerte die Hand und die kleine Flamme erlosch. Er ließ das Hölzchen achtlos fallen. Kurz darauf führte er das Pferd aus dem Stall. Und er konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, dass alles viel zu glatt vonstatten ging. Er ließ das Tier im tintigen Schatten einer Scheune zurück und pirschte zu dem Schweinekoben. Geflüster erreichte sein Gehör. Schemenhaft konnte er Sheridans schlaffe Gestalt am Gatter ausmachen. Er folgte den leisen Stimmen und erkannte zwei Männer, die am Boden hockten. Als er repetierte, sprangen die beiden auf, als hätte er sie mit einem glühenden Eisen berührt - und erstarrten im nächsten Moment.

Hunter zischelte: „Keinen Laut, Muchachos.“ Seine schattenhafte Gestalt löste sich aus der Finsternis.

„Bitte, Senor“, kam es geradezu kläglich von einem der Mexikaner. „Es ist nicht unsere Schuld. Fernando hat uns befohlen, den Gefangenen zu bewachen. Wir leben hier und es ist für uns besser, seine Befehle zu befolgen. Er ist brutal und grausam. Wir haben dem Gringo sogar zu trinken gegeben. Bei der Heiligen Jungfrau, Senor, töten Sie uns nicht.“

„Ich kann euch aber auch nicht einfach wegschicken“, murmelte Hunter bedrückt, denn er ahnte, dass er die beiden armen Burschen ins Unglück schickte, wenn er den Gefangenen befreite. Aber er sah keinen anderen Weg. Er schlug blitzschnell zu. Zweimal sauste der Gewehrlauf nach unten, die beiden Männer brachen zusammen.

Eine nicht zu überwindende Unruhe trieb Hunter zur Eile. Er fühlte sich plötzlich von tausend Augen beobachtet. Wie eine entfesselte Naturgewalt stürmte auf ihn die dumpfe Ahnung ein, dass Sandobal mit ihnen ein teuflisches Spiel inszenierte. Dass er seine Banditen abgezogen und zwei Dorfbewohner mit der Bewachung Sheridans beauftragt hatte, war ein weiteres Indiz dafür.

Hunter befreite Sheridan von seinen Fesseln. Der Bandit war bei Bewusstsein. Er fiel röchelnd auf die Knie. Hunter zerrte ihn hoch: „Reiß dich zusammen, verdammt!“ zischte er. „Es sind nur fünfzig Yards bis zum Pferd.“ Er zerrte Sheridan auf die Beine und stützte ihn. Dann schleppte er ihn durch die Nacht zwischen die Hütten. Beim Pferd ließ er Sheridan zu Boden gleiten. „Warte hier auf mich!“, raunte Hunter, dann kehrte er zurück und holte sich die Gewehre der beiden bewusstlosen Wachposten. Und wieder wurde er das beklemmende Gefühl nicht los, beobachtet zu werden.

Geduckt huschte er zurück zu Sheridan. Er stieß eines der Gewehre in den leeren Scabbard des Pferdes. Dann half er dem Banditen auf die Beine und in den Sattel. Er packte das Tier am Kopfgeschirr und führte es davon.

Im Ort blieb alles ruhig, abgesehen vom Lärm, den die trinkenden Bravados veranstalteten. Und selbst dieser Lärm mutete Hunter plötzlich unecht und in Szene gesetzt an.

Bei seinem Reittier angekommen stieß Hunter die zweite erbeutete Winchester in die Deckenrolle, sein Gewehr versenkte er im Sattelschuh, er saß auf und ritt an. Das Tier mit Sheridan führte er am Zügel. Der Bandit lag mit dem Oberkörper fast auf dem Pferdehals. Er hatte Mühe, sich im Sattel zu halten. Er war nur noch ein ausgebranntes Wrack, eine willenlose Hülle aus Fleisch und Knochen.

Hunter ritt kreuz und quer nach Westen. Die Nordroute einzuschlagen wagte er nicht. Sobald Sandobal ihre Flucht bemerkte, würde er annehmen, dass sie in Richtung der Staaten flohen. Und da Sheridan zu schwach war für einen harten Ritt, wäre es nur eine Frage der Zeit, bis die Bravados sie eingeholt hatten.

So dachte Hunter. So musste er zwangsläufig denken, um nicht im Pessimismus zu versinken. Irgendwie konnte er sich nämlich des Gefühls nicht erwehren, dass seine Rechnung einen schweren Fehler beinhaltete. Also war er wachsam, angespannt bis in die letzte Nervenfaser, böse Überraschungen einkalkulierend.

Dann graute der Morgen ...

*



An einem schmalen Rinnsal, das aus einer der Schluchten plätscherte, rasteten sie. Das kalte Wasser weckte in dem Banditen die Lebensgeister. Er aß mit Heißhunger von dem Proviant, den Hunter von Sandobal erhalten hatte. Etwas von der alten Kraft strömte in seinen geschundenen Körper zurück. Er war zäh und hart im Nehmen. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte er auch keine einzige Frage gestellt oder überhaupt etwas gesprochen. Er war sich klar, dass er vom Regen in die Traufe geraten war.

Jetzt dehnte und reckte er sich, schielte nach dem Gewehr, das im Sattelhalfter seines Pferdes steckte, und sagte: „Okay, Barkley. Du warst hinter mir her, und diese dreckigen Greaser sind dir in die Quere gekommen. Ich habe zwar nicht den Hauch einer Ahnung, wie du es geschafft hast, mich rauszupauken, aber das spielt auch keine Rolle. Im Moment sehe ich das noch als Fügung des Himmels an. Fernando Sandobal hätte mir wahrscheinlich das Fell über die Ohren gezogen.“

„Das hätte er. Ganz bestimmt.“ Hunter sprach es, nahm das Gewehr und richtete es auf Sheridan. „Gib dich aber keinen Illusionen hin, Bandit“, setzte er hinzu. „Ich habe dich nur herausgeholt, um dich drüben hängen zu sehen.“

Sheridan deutete ein Achselzucken an. „Noch sind wir nicht über der Grenze. Sandobal und seine zweibeinigen Wölfe sind sicher nicht untätig.“

„Wo hast du das Geld gelassen, Sheridan?“ Wie aus heiterem Himmel stellte Hunter diese Frage.

„Das möchtest du gerne wissen, wie?“, gab Sheridan zurück. „Geht es dir mehr um das Geld, oder darum, mich hängen zu sehen?“

„Nur um dich sterben zu sehen hätte ich auf Sandobals Vorschlag eingehen und bleiben können, bis er dir den Hals umdreht. Zweitausendfünfhundert Dollar vom dem Geld gehören mir. Mir, Isabel und Juanita, der Tochter meines Partners, den ihr - du und deine Kumpane -, im Endeffekt auf dem Gewissen habt.“

Sheridan starrte ihn verblüfft an. „Das soll wohl ein Witz sein“, knurrte er.

„O nein.“ Hunter Stimme war scharf und schneidend wie ein Rasiermesser. Er berichtete von den Umständen, die zu Jim Otis’ Tod führten. „Ihr habt noch eine Menge mehr auf dem Kerbholz, Sheridan“, endete er. „Ich weiß, dass ihr Virg Hammond, den Wells Fargo-Mann, mit heißem Blei von eurer Fährte gefegt habt. Ihr habt Isabel geschändet und in Santa Fe den Kassierer ermordet. Und ihr habt die Cowboys kaltblütig abgeknallt, als ihr die Flaherty-Herde klautet. Genug, um dir den Hals langzuziehen.“

„Was hältst du von einem Geschäft, Barkley?“, fragte Sheridan nach einiger Zeit. „Die Wells Fargo Bank verschmerzt den Verlust des Geldes leicht. Teilen wir. Du könntest mit dem Geld gleich groß ins Rindergeschäft einsteigen. Sag ja, und wir reiten zu dem Versteck. Andernfalls sollen die Bucks meinetwegen verrotten.“

Hunter gab sich zögerlich und unentschlossen. „Wieviel ist es?“, fragte er schließlich.

„Fast fünfundzwanzigtausend. Nimm die Hälfte und reite nach Hause. Ob ich nun hänge oder nicht - was geschehen ist ist geschehen. Es tut mir leid um deinen Partner. Als wir euch die Herde andrehten, dachten wir nicht daran, dass Flaherty Amok laufen könnte.“

„Reiten wir!“, stieß Hunter hervor.

„Erst die Antwort auf meinen Vorschlag“, beharrte Sheridan.

„Ich bin einverstanden“, erklärte Hunter. „Wenn du aber versuchst, mich aufs Kreuz zu legen, dann bist du fällig.“

„Keine Sorge. Wir sind doch jetzt Partner. Um uns herum wimmelt es wahrscheinlich schon von Sandobals Schießhunden. Einmal hatten sie mich schon, und ich hatte abgeschlossen. Eine Hand wäscht die andere. Auch ich muss mich auf dein Wort verlassen, Barkley. Wäre es nicht möglich, dass du nur zum Schein auf meinen Vorschlag eingehst?“

Er grinste schief.

„Hoch mit dir, Partner“, sagte Hunter trocken und mit bitterem Sarkasmus im Unterton. „Verschwinden wir, ehe uns Sandobals Halsabschneider Zunder geben.“

„Wo befinden wir uns überhaupt?“, fragte Sheridan, als er sich im Sattel zurecht setzte.

„Etwa fünfzehn Meilen westlich von San Miguelito.“

„Also nach Südosten“, gab Sheridan zu verstehen.

Die Pferde ruckten an. Es wurde hell. Der Weg, den sie nahmen, war waghalsig und manchmal für die Pferde kaum zu bewältigen. Von Sandobals Banditen war nichts zu sehen oder zu hören. Nur Klapperschlangen, Eidechsen und Skorpione schienen in der felsigen Wildnis ihr Unwesen zu treiben. Hunter überließ dem Banditen die Führung. Abgesehen von einigen Pausen ritten sie den ganzen Tag.

Und als die Abenddämmerung ins Land fiel, deutete Sheridan auf einen Felsen, der frappierende Ähnlichkeit mit einem riesigen Pilz hatte. Sheridan sagte: „Wir sind da. Ich hole das Geld.“

Er glitt vom Pferd und verschwand in einem Felsspalt. Hunter blieb im Sattel. Sheridan kehrte zurück. Die staubgepuderten Satteltaschen hingen über seiner Schulter. „Teilen wir an Ort und Stelle?“, fragte er lauernd und trat neben sein Pferd, warf die Satteltaschen über den Widerrist des Tieres. Er stand so, dass er das Gewehr in seinem Scabbard mit seinem Körper verdeckte. Als er herumwirbelte, hielt er es in den Händen. Wie das hohle Auge eines Totenschädels starrte die Mündung auf Hunter. Der Bandit feixte: „Ich habe dich eigentlich für klüger gehalten, Barkley. Hast du tatsächlich geglaubt, dass ich mit dir teile? War deine Gier nach dem Geld so groß, dass sie dich alle Bedenken über Bord werfen ließ?“ Er lachte lauthals. „Die Dummköpfe sterben eben niemals aus, Amigo. An deine Stelle werden hundert andere treten. Farewell, Barkley, und bestelle all den anderen Narren in der Hölle die besten Grüße von mir.“

Er lud durch und drückte ab. Der Schlagbolzen stieß in eine leere Kammer. Fast gelassen zog Hunter den Colt. Er spannte den Hahn und sagte: „Ich wusste, dass du nicht mit mir teilen würdest, Sheridan. Aber das hatte ich auch gar nicht im Sinn. Der Dummkopf bist du. Nachdem ich dich befreite, als du wie ein Sack Mehl auf dem Pferd hingst und gar nicht bewusst wahrnahmst, was um dich herum geschieht, habe ich die Patronen aus dem Gewehr genommen.“

„Du dreckiger Bastard!“, geiferte Sheridan und schleuderte das Gewehr mit einer wilden, unbeherrschten Bewegung zur Seite. „Es war also alles nur Schein, als du ...“

Schroff fuhr ihm Hunter dazwischen: „Du bist ein heimtückischer Hundesohn ohne einen Funken Charakter. Kerle deines Schlages muss man mit ihren eigenen Waffen schlagen. Nun dreh dich um und leg die Hände auf den Rücken, damit ich dich fesseln kann. Mit dir gehe ich nämlich kein Risiko mehr ein. Wir rasten bis Mitternacht. Dann brechen wir auf. In drei Tagen sind wir in den Staaten, und dann wird sich das Gesetz um dich kümmern.“

*



„Das kommen die Gringohunde“, frohlockte Fernando Sandobal. „Ich wusste es. Wir brauchten uns nur auf die Lauer zu legen. Unsere Amigos haben Sheridan südlich von San Miguelito erwischt. Also kann er nur dort das Geld versteckt haben. Sie haben es geholt - wie ich es mir ausgerechnet habe. Und nun sind sie auf dem Weg zur Grenze.“

Sein selbstgefälliges, triumphierendes Gegrinse wirkte schmierig und abstoßend. Er lag mit zwei seiner Banditen auf einer Felskanzel, von der aus der Blick weit in die Einschnitte zwischen den Felsen und Hügeln reichte. Tief unter ihnen, noch eine halbe Meile entfernt, ritten Hunter und Sheridan. Manchmal verschwanden sie, dann gerieten sie wieder in das Sichtfeld der Bravados. Die Hufe ihrer Pferde rissen eine brodelnde Staubfahne in die flirrende Luft.

„Erwarten wir sie unten“, sagte Sandobal.

Sie krochen zurück, sprangen auf und folgen einem natürlichen Pfad, der sich serpentinenartig in die Tiefe schwang. Unten erwarteten sie fast ein Dutzend Bandoleros, die die Zeit mit würfeln und trinken totgeschlagen hatten.

„Auf die Pferde, Companeros!“, schrie Sandobal wild und riss seinen Colt heraus. „Die Gringohunde sind im Anmarsch. Wir fangen sie ab, ehe sie in einer der vielen Schluchten verschwinden können. Adelante! Presto, presto!“

Als sie aus dem Felsgewirr brachen, riss Hunter scharf das Pferd zurück. „O verdammt!“, brüllte Sheridan. „Schneide meine Fesseln auf und gib mir eine Waffe. Wo kommen die Schufte plötzlich her?“

Wie verrückt zerrte er an seinen Fesseln, aber sie hielten.

„Es war eine Falle“, entfuhr es Hunter. „Sandobal hat es vom ersten Augenblick an darauf angelegt. Er wollte, dass ich dich befreie, und er war sich sicher, dass wir uns die Satteltaschen holen.“

Seine Worte waren schon fast nicht mehr zu vernehmen im hämmernden Stakkato des Hufschlags der Banditenpferde. Die Bande fächerte auseinander. Die Absicht der Banditen war klar. Sie wollten sie vor den schützenden Felsen einkreisen und erledigen.

„Meine Fesseln!“, heulte Sheridan auf.

„Halt dich mit den Beinen fest!“, brüllte Hunter, zerrte an den Zügeln und spornte sein Pferd an. Sheridans Tier wurde regelrecht mitgerissen. Sie jagten den Weg zurück, den sie gekommen waren. Im Schutze eines steil abfallenden Felsens lenkte Hunter die Pferde nach rechts. Und schon hundert Yards weiter sprengte er in eine klaffende Schlucht, von der er hoffte, dass sie nicht irgendwo vor unüberwindlichen Felswänden endete. In halsbrecherischem Galopp stoben die Pferde dahin. Hunter jagte sein Tier in eine Kurve hinein und in eine Seitenschlucht, deren Sohle anstieg und bald schon ziemlich steil nach oben führte. Die Hinterbeine der Pferde stemmten sich wie Säulen gegen das Zurückgleiten. Die Hufe hinterließen helle Kratzspuren auf dem steinigen Untergrund. Bald schon tropfte den Tieren der Schaum von den geblähten Nüstern.

„Absitzen!“, schnaubte Hunter, als sie eine etwas flachere Stelle erreichten, zu deren Seiten die Felswände senkrecht zum Himmel steilten. Zugleich griff er nach Sheridan und riss ihn fast vom Pferd. Unten schien der brandende Hufschlag der Banditenpferde die Berge zum Einsturz zu bringen. Mit fliegenden Fingern löste Hunter Sheridans Fesseln. Dann zog er die zweite Winchester, die er erbeutete, als er den Banditen befreite, aus seiner Deckenrolle und warf sie Sheridan zu. Er musste jetzt alles auf eine Karte setzen. Ohne die Hilfe des Banditen hatten sie keine Chance. Er musste darauf vertrauen, dass auch Sheridan wusste, dass er alleine verloren war. Die Übermacht der Banditen war sowieso schon viel zu groß. Für einen einzelnen Mann aber war sie vernichtend.

„Weiter!“, drängte er, den Blick nach unten gerichtet.

Das Hufgeprassel brach ab. Nur noch vereinzeltes Stampfen, Klirren und Wiehern sickerte nach oben.

Sie folgten dem Weg und zogen die Pferde hinter sich her. Schon bald waren sie in Schweiß gebadet. Endlich erreichten sie eine Plattform, die sich weit nach Norden und Westen dehnte. Sie schwangen sich auf die Pferde und sprengten nach Norden. Dort wuchteten wieder Felsen in die Höhe, die ihnen Schutz boten. Besorgt fragte sich Hunter, wie lange ihre Pferde die Strapazen, die sie ihnen aufzwangen, aushielten. Auf die Schnelligkeit, Kraft und Ausdauer der Tiere würden sie vielleicht noch bitter angewiesen sein.

Schnell rückten die Felsen näher. Aufatmend fegten sie zwischen sie. Sie parierten die Pferde und schauten zurück. In der wabernden Luft auf dem Plateau zeigte sich keiner der Banditen. Ehe Sheridan sich versah, zielte Hunter auf ihn.

„Du brauchst das Gewehr jetzt nicht mehr. Her damit!“

Zähneknirschend warf es ihm der Bandit zu. Hunter fing es geschickt auf und stieß es in den Scabbard. Seine Winchester behielt er in der Hand. Er stellte sie mit der Kolbenplatte auf seinen Oberschenkel.

Langsam ritten sie weiter. Ihre Pferde bedurften der Schonung ...

*



„Sie entkommen uns nicht!“, spuckte Fernando Sandobal leidenschaftlich hinaus. Wild schaute er um sich. Sein unterlaufener Blick war voll Hass, Mordlust und Teufelei. Sein Gesicht hatte fast tierische Züge angenommen.

Sie verhielten zwischen den Felsen. Von den beiden Gringos keine Spur.

Einer der Banditen stieß eine Serie von Flüchen aus, dann rief er wütend: „Es war dein Fehler, Fernando. Wir hätten sie näher herankommen lassen sollen. Du aber warst dir deiner Sache viel zu sicher.“

Sandobal trieb sein Pferd an das des vorlauten Burschen heran und versetzte ihm einen krachenden Faustschlag, der ihn beinahe aus dem Sattel warf. „Wage es nie wieder, mich zu maßregeln, Sanchez. Du bist noch zu jung, um zu sterben.“

Sanchez massierte sich das anschwellende Kinn und duckte sich, als erwartete einen zweiten Schlag. Aber Sandobal zog das Pferd um die rechte Hand und brüllte: „Nach Norden. Irgendwo dort oben in den Ebenen kommen sie wieder zum Vorschein.“

Sein Pferd schnellte erschreckt nach vorn, als ihm die scharfgezackten Sporenräder in die Seiten fuhren. Die Bande folgte den Windungen zwischen den Bergen. Sie hetzten die Pferde durch Schluchten, tiefe, staubige Arroyos und sonnendurchglühte Senken, jagten sie sandige Abhänge und Geröllhalden hinauf, rücksichtslos und unbarmherzig ...

Es war Nachmittag, als Hunter und Sheridan am Rand eines Tales entlang ritten. Hunter hielt sich hinter dem Banditen und dirigierte ihn mit Zurufen. Sheridans Hände hatte er nicht mehr gefesselt. Er war nicht gerade zuversichtlich, was die Frage anbetraf, ob sie Sandobal und seinen Bandoleros entkommen waren. Die Banditen kannten das Land wie ihre Westentaschen, und sie würden Abkürzungen reiten, um ihnen den Weg zu verlegen.

Das Terrain war sandig, staubig, steinig und von Inseln verbrannten Grases durchsetzt. Rechterhand zogen sich Hügel, aus deren Kuppen ruinenähnliche Felsgebilde ragten. Weit vor ihnen öffnete sich ein Canyon.

Hunter und Sheridan waren ziemlich müde. Bei dem Banditen war es fast schon Erschöpfung, die seinen Oberkörper bei jedem Schritt des Pferdes vor und zurück pendeln ließ. Es waren die Nachwirkungen der brutalen Behandlung durch die mexikanischen Banditen, die ihm schwer zu schaffen machten. Und gewiss kam eine ziemliche Portion Selbstaufgabe hinzu, nachdem er schmerzlich begreifen hatte müssen, dass er in Hunter seinen Meister gefunden hatte.

Sie lenkten die Pferde in den Canyon. Der Hufschlag prallte vor ihnen her zwischen die schroffen Wände, an denen sich riesige Felsbrocken türmten. Sie legten etwa achtzig Yards zurück. „Stopp!“, schrie Hunter, einer jähen Eingebung folgend. Ihre Pferde standen. Die Flanken der Tiere zitterten leicht. Hunter deutete nach vorn, als ihn Sheridan fragend über die Schulter anschaute. „Dort vorne“, presste Hunter hervor, „siehst du den feinen Staub, der über dem Boden schwebt. Sieht aus, als wäre vor ganz kurzer Zeit erst ein Pferd durch den Canyon galoppiert.“

„Zurück!“, kreischte Sheridan, der den feinen Schleier aus Staubmolekülen jetzt ebenfalls wahrnahm und richtig zu deuten wusste.

Da rannten auch schon einige Bravados mit wagenradgroßen Sombreros auf den Köpfen um einen Knick des Canyons. Sie brüllten und schossen. Hunter handelte. Er warf Sheridan die Winchester zu, dieser feuerte dreimal in rasender Folge und zwei der Angreifer stockten, als wären sie gegen ein unsichtbares Hindernis gelaufen, machten das Kreuz hohl und fielen.

Auch Hunters Gewehr fing an zu hämmern. Er traf gleichfalls zwei der Banditen, sah sie noch die Arme hochwerfen und in die Knie brechen, dann hatten sie die Pferde herumgerissen und preschten zum Ausgang des Canyons.

Dort aber erwartete sie der Rest der Bande. Fernando Sandobal stieß seinen Arm mit dem Colt in die Höhe, brüllte etwas, und dann sengten die Mündungsfeuer aus den Läufen. Sheridans Pferd brach vorne ein, im selben Moment, als der Bandit abspringen wollte. Er versuchte, das Pferd noch einmal hochzureißen, bewirkte damit aber nur, dass das Tier zur Seite umkippte. Sheridan brachte gerade noch die Füße aus den Steigbügeln. Um sich vor den keilenden Hufen zu retten sprang er zurück. Sheridans Gewehr donnerte. Dann lag das Pferd still, und der Bandit warf sich neben dem Kadaver auf den Bauch.

Hunter hatte das Pferd derart hart gezügelt, dass es hinten einknickte. Er riss es halb herum, Sand spritzte unter den Hufen auseinander, dann stand Hunter am Boden und schoss von der Hüfte aus. Aus den Augenwinkeln sah er sein Pferd zusammenbrechen. Er jagte seine Kugeln blindlings in der Pulk der herandonnernden Pferde hinein, während Sheridan sich der Bravados widmete, die im Canyon auf sie gelauert hatten.

Zwei Pferde stürzten. Ein drittes raste in das Hindernis hinein und überschlug sich samt seinem Reiter. Hunter hechtete zur Seite, rollte über die Schulter ab und lag neben Sheridan, leidlich gedeckt von dem toten Pferd. Der Canyon war voll vom Krachen der Waffen. Die Banditen feuerten blindwütig, ohne anzuhalten, was natürlich keinen sicheren Schuss zuließ. Jene Kerle, die zu Fuß aus der Schlucht kamen, versuchten nun in Deckung zu gelangen. Hunters Geschosse hatten unter den berittenen Bandoleros für Panik und Chaos gesorgt. Fernando Sandobal war ausgeschert und jagte auf die Felswand zu, um in einem der Risse Schutz zu suchen. Die beiden anderen Kerle, die noch auf ihren Pferden saßen, drifteten gleichfalls ab, um aus dem tödlichen Bereich der Kugeln Hunters zu fliehen, ein vierter, dessen Pferd tot war, rannte wie von Furien gehetzt hinter Sandobal her.

Hunter blutete aus einer Wunde am linken Oberarm. Eine andere Kugel hatte ihn an der Hüfte gestreift. Sheridans Wange wies eine blutende Schramme auf, das Hemd an seiner linken Seite war blutbesudelt.

„Dort hinein!“, hetzte es aus Hunters Mund, er wies mit dem Gewehr auf einen Felsspalt, dessen Boden von Geröll übersät war. „Gib mir Feuerschutz!“

Sheridan hatte gar keine Möglichkeit, zu widersprechen oder einen anderen Vorschlag zu unterbreiten. Denn Hunter schnellte hoch und rannte geduckt los. Sheridans Gewehr begann zu sprechen. Vereinzelte Schüsse fielen von Seiten der Bravados, die sich zwischenzeitlich verkrochen hatten. Ein halbes Dutzend ihrer Companeros hatten diesen Einsatz bereits mit dem Leben bezahlt, und das mahnte sie zu besonderer Vorsicht. Querschläger heulten ohrenbetäubend. Sandobal brüllte sich fast die Lunge aus dem Leib.

Sheridan traute seinen Augen kaum, als er bemerkte, dass Hunter nicht den direkten Weg zu dem Felsspalt nahm, sondern zu seinem Pferd lief, sich in Deckung warf, und die Satteltaschen mit dem Geld losschnallte. Banditenblei klatschte in den Pferdekadaver, als Sheridan sein rasenden Feuer für einen Augenblick unterbrach. Dann feuerte er wieder, Hunter kam federnd hoch und erreichte den Riss im Fels, der sich als eine Schmelzwasserrinne erwies, die steil nach oben führte.

Hunter winkte Sheridan, dann bestrich er mit seinen Kugeln die gegenüberliegende Seite des Canyons und zwang die Bandoleros in Deckung. Sheridan rannte wie wahrscheinlich nie zuvor in seinem Leben und drängte vollkommen außer Atem an Hunter vorbei in Deckung.

„Da hinauf!“, ordnete Hunter an und wies mit dem Kinn auf den steil nach oben führenden Pfad. „Diesen Aufstieg kann ein Mann allein gegen eine ganze Armee verteidigen“, fügte er hinzu, schaute dabei Sheridan an und ihm entging nicht das gehässige Aufblitzen in dessen Augen. Es mutete Hunter an wie ein Signal.

Da schlug Sheridan auch schon nach ihm. Der Hieb kam von der Seite und zielte auf seinen Kopf. Instinktiv tauchte Hunter unter dem Schlag weg, der Gewehrlauf krachte gegen die Felswand. Sheridan ließ die Waffe fallen, zog das Knie an und traf Hunter empfindlich in den Leib. Hunter japste, der Schmerz ließ seine Augen tränen, die Satteltaschen rutschten von seiner Schulter und klatschten auf den Boden. Hunter war einen Moment benommen und das Gesicht des Banditen verschwamm vor seinem Blick. Er spürte aber, wie Sheridan ihm den Colt aus dem Halfter zog. Er schwang das Gewehr hoch, repetierte es im Hochreißen und drückte ab. Sheridan wurde zurückgestoßen. Der Colt klirrte zwischen das Geröll, das den Boden bedeckte. Steif wie ein Brett fiel der Bandit um. Er hatte seine letzte Heimtücke mit dem Leben bezahlt. Hunter hatte das Versprechen, das er Isabel gegeben hatte, eingelöst. Wenn er auch einen galligen Beigeschmack empfand - im Endeffekt hatte er Sheridan nicht der Vergeltung wegen erschossen, sondern in Notwehr. Einen Moment drifteten seine Gedanken ab, er dachte an die Frau und das Kind, an den toten Freund und Partner, doch dann durchfuhr ihn die Erkenntnis, dass ihm das Wasser bis zum Halse stand, wie ein Stromstoß.

Im Canyon knirschte Sand unter schleichenden Schritten. Sandobals Geschrei war verstummt. Kleine Steine wurden unter harten Lederabsätzen regelrecht zermalmt.

Hunter raffte seinen Colt vom Boden auf, halfterte ihn, angelte sich die Satteltaschen und machte sich an den Anstieg. Gesteinsbrocken, die er los trat, polterten in die Tiefe. Die Rinne knickte ab und verlief schräg zum Fels. Schon bald schleppte Hunter sich nur noch dahin. Sein Atem flog, seine Lungen stachen, sein Hals war wie ausgedörrt und schmerzte von den keuchenden Atemzügen.

Hinter ihm kamen die Banditen wie eine Meute Bluthunde. Fast am Ende seiner Kräfte angelangt erreichte Hunter einen Felssattel mit vereinzelten, turmartigen Felsen. Er stolperte und stürzte. Auf allen vieren kroch er hinter einen dieser Felsen. Heiß brannte die Sonne auf seinen Rücken.

Bald vernahm er das Scharren ihrer Schritte, hörte er das trockene Schlagen in die Tiefe springender Steine, dann das rasselnde Keuchen der Banditen. Ehe sie über die Kante der Rinne kletterten, begannen sie wie von Sinnen den Bergsattel mit ihren Kugeln einzudecken. Dann warf sich der erste über den Abbruch, der zweite, ein dritter, und schließlich Fernando Sandobal. Noch zwei Banditen folgten, sofort hetzten sie auseinander. Einer der Kerle fegte auf den Felsen zu, hinter dem Hunter lag. Und er rannte direkt in Hunters Schlag mit dem Gewehr hinein. Ohne einen Laut von sich zu geben fiel er und rührte sich nicht mehr.

Es wurde totenstill.

Dann sah Hunter zwei der Banditen um einen Felsen herumkommen und feuerte. Der eine stürzte, der andere zog sich schnell zurück. Ein peitschendes Inferno war die Antwort. Gestein und Staub spritzten, es jaulte und sirrte. Vorsichtig kroch Hunter um den Felsen herum. Er sah einen der Bravados über einen hüfthohen Findling flanken und schoss. Wütendes Geheul ertönte, dann ein dumpfer Fall. Hunter warf sich herum. Im letzten Moment. Auf einem der Felsen stand Sandobal. Sein Blei klatschte neben Hunter in den Boden. Hunter schoss auf dem Rücken liegend schräg nach oben. Sandobal schrie gellend auf und wankte. Plötzlich neigte er sich nach vorn und stürzte kopfüber ab. Er überschlug sich einmal in der Luft, dann krachte er auf eine Felsplatte und blieb mit ausgebreiteten Armen liegen.

Ehe die Banditen zur Besinnung kamen, rannte Hunter, die Satteltaschen in der Linken hinter sich herschleifend, das Gewehr in der Rechten, zurück zu der Rinne. Er sprang einfach über den Rand und schlitterte auf einer wahren Gerölllawine und eingehüllt in eine dichte Wolke Staub abwärts. Er fing sich und kam schon nach wenigen Minuten unten an, stieg über den Leichnam Sheridans hinweg und schaute sich um.

Verstreut standen einige Pferde im Canyon herum. Er holte sich das Tier Fernando Sandobals. Die anderen verjagte er mit einigen Schüssen. Dann ließ er das Pferd laufen. Es trug ihn aus dem Canyon und dann nach Norden.

Er hatte ein Versprechen einzulösen - das Versprechen, das er dem toten Freund gegeben hatte.

Der Weg nach Norden zur Grenze war frei. Die Wells Fargo Bank würde das geraubte Geld zurückerhalten. Hunter war bereit, die Verantwortung für Isabel und Juanita zu übernehmen - die Verantwortung, der zu stellen er sich vorbehaltlos bereit erklärt hatte ...

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E N D E


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