Читать книгу Trevellian und die falschen Mediziner: Action Krimi - Pete Hackett - Страница 8
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ОглавлениеAls Toby um siebzehn Uhr immer noch nicht zu Hause war, rief seine Mutter seinen Lehrer an. Sie erfuhr, dass Toby nicht in der Schule war. Sofort informierte Mrs. Warren ihren Mann, der bis 18 Uhr Dienst hatte. Und Mr. Warren schaltete die Polizei ein.
»In New York verschwinden wahrscheinlich täglich mehrere hundert Personen«, sagte der Polizist, der die Anzeige aufnehmen sollte. »Darunter sind auch Kinder, die von zu Hause weglaufen. Deshalb werden wir in solchen Fällen erst nach vierundzwanzig Stunden tätig. Wenn Ihr Sohn also bis morgen Mittag nicht wieder zu Hause auftaucht …«
Toby tauchte innerhalb der Frist von vierundzwanzig Stunden nicht auf. Die Eltern sprachen wieder auf dem Revier vor. Und nun wurde die Polizei tätig.
Um neunzehn Uhr dieses Tages brachten die lokalen Sender einen Aufruf. Wer sachdienliche Hinweise zum Verschwinden des Jungen machen könne, möge sich an die nächste Polizeidienststelle oder das FBI New York wenden, bat der Nachrichtensprecher.
Ein Bild von dem Jungen wurde eingeblendet.
Dann fuhr der Nachrichtensprecher fort: »Es handelt sich möglicherweise um den vierten Fall einer Serie von Kindesentführungen, die seit zwei Wochen New York in Atem halten. Zu den Entführern gibt es keine Spur. Lösegeldforderungen wurden nicht geltend gemacht. Die Polizei steht vor einem Rätsel. Inzwischen wurde auch das FBI eingeschaltet. Die Eltern werden aufgeboten, ihren Kindern einzuschärfen, sich von Fremden fernzuhalten, mit niemandem mitzugehen und in kein fremdes Auto zu steigen.«
Ich spürte einen bitteren Geschmack im Mund. Entführung Nummer vier. Mein Herz schlug höher, und ich rief sofort Milo an. »Hast du die Sieben-Uhr-Nachrichten gesehen?«, fragte ich ihn.
»Nein. Ich komme gerade unter der Dusche hervor. Was gibt es denn? Du klingst ziemlich angespannt.«
»Es wurde wieder ein Kind entführt.«
»Was?«
»Ja. Acht Jahre. Ein Junge. Sein Name ist Toby Warren. Er verschwand in der Charles Street.«
»Gütiger Gott. Du denkst, dass er von denselben Leuten entführt wurde wie Joey, Sandy und Billy.«
»Es ist anzunehmen.«
»Vielleicht sollten wir mit den Eltern sprechen«, meinte Milo.
»Ich hol dich in einer halben Stunde ab.«
»All right.«
Ich rief das Police Department an und ließ mich mit dem Detective Bureau verbinden. Gleich darauf hatte ich einen kompetenten Mann an der Strippe. »Die Eltern wohnen in der Charles Street, Hausnummer hundertdreiundvierzig«, sagte der Mann. »Richard Warren und Evelyn. Sie haben bereits ausgesagt. Die Mutter hat erklärt, dass der Junge kurz nach sieben Uhr dreißig die Wohnung verlassen hat. Um sieben Uhr fünfundvierzig spätestens musste er an der Bushaltestelle sein. Er kam dort nie an. Dies haben Nachfragen bei seinen Schulkameraden ergeben.«
»Erfolgte schon eine Resonanz auf den Aufruf in Funk und Fernsehen?«
»Bis jetzt nicht.«
»Vielen Dank.«
Ich holte Milo ab und wir fuhren zu den Eltern. Sie waren bleich. Mrs. Warren hatte gerötete, verschwollene Augen. Sie konnte nur wiederholen, was sie schon vor der Polizei angegeben hatte.
Richard Warren hatte bereits um sieben Uhr das Haus verlassen. »Mein armer Junge«, murmelte er. »Ich würde jeden Preis der Welt zahlen …« Seine Stimme brach. Er schluchzte. Ich konnte mit ihm fühlen.
Wir ließen uns ein Bild von Toby geben. Ich hinterließ meine Visitenkarte, dann verabschiedeten wir uns.
Am folgenden Morgen erhielt ich einen Anruf. Es war ein Kollege aus dem Police Department. »Eine Frau hat sich gemeldet«, sagte er. »Es war ein dunkelblauer Chevy, in den der Junge stieg. Und zwar vor dem Geschäft von Mr. David Leonhard, einem Antiquitätenladen. Die Frau heißt Marcy Dixon und wohnt dem Laden gegenüber in der ersten Etage.«
Ich war wie elektrisiert. Wir fuhren sofort in die Charles Street. Bei Mrs. Dixon handelte es sich um eine übergewichtige, resolute Person mit Lockenwicklern in den Haaren. Sie war mit einer grünen Wickelschürze bekleidet und verfügte über eine rauchige Altstimme. »Ich habe mir sogar die Zulassungsnummer des Wagens aufgeschrieben«, sagte sie, ging zu einer Pinnwand, die an der Tür hing, und nahm einen gelben Notizzettel ab, den sie mir reichte. Ich warf einen Blick darauf, dann holte ich meine Brieftasche heraus und verstaute den Zettel.
»Ich habe alles beobachtet«, erzählte die Lady. »Der Junge schaute durchs Schaufenster in den Laden. Ich sehe ihn oft morgens vor dem Geschäft stehen. Dann fuhr der Chevy vor und ein junger Mann stieg aus. Ein zweiter junger Mann blieb hinter dem Steuer sitzen. Er sprach den Jungen an, und dieser stieg wenig später in den Wagen.«
»Warum haben Sie nicht sofort die Polizei alarmiert?«
»Ich dachte doch nicht an Entführung! Der Junge zierte sich nicht. Ich war der Meinung, er kennt die beiden Burschen aus dem Auto. Erst als ich in den Nachrichten davon hörte, besann ich mich und verständigte das Department.«
»Schon gut«, sagte ich. »Es sollte kein Vorwurf sein.«
Die Lady musterte mich mit einem Blick, der in etwa zum Ausdruck brachte: Dein Glück, junger Mann, dass du einlenkst. Sei froh, dass ich euch überhaupt verständigt habe. Statt mir dankbar zu sein, muss ich mir noch den Vorwurf gefallen lassen, nicht umsichtig genug gehandelt zu haben. Das ist nicht fair.
»Sie haben uns sehr geholfen«, gab ich zu verstehen.
Ihr Gesichtsausdruck veränderte sich. Die Verkniffenheit löste sich auf, sie lächelte geschmeichelt. »Meinen Namen und meine Adresse haben Sie ja, G-men. Ich meine, für den Fall, dass es eine Belohnung gibt, steht diese wohl mir zu. Ich habe den entscheidenden Hinweis geliefert.«
»Natürlich. Wir melden uns wieder bei ihnen.«
Dann verließen wir die Wohnung.
»Wenn dieser Dragoner einmal scharf Luft geholt hätte, hättest du ihm quer vor der Nase gehangen«, meinte Milo grinsend, als er neben mir im Wagen saß.
»Das fürchte ich auch«, sagte ich und blies die Backen auf. »Checken wir, auf wen der Chevy zugelassen ist«, ergänzte ich, nachdem ich die Luft langsam abgelassen hatte.
Der Name des Mannes war Liam Ferris. Er wohnte in West 94th Street und war nicht zu Hause. Von einem Wohnungsnachbarn erfuhren wir, dass Ferris Medizinstudent an der Columbia Universität war und sich wahrscheinlich in der Vorlesung befand. Also fuhren wir zur Columbia University. Wir begaben uns ins Sekretariat, ich trug unser Anliegen vor, und dann wurde Liam Ferris per Lautsprecherdurchsage gebeten, sich im Sekretariat einzufinden.
Er kam nach zehn Minuten. Als er den Raum betrat und uns sah, stutzte er, dann warf er sich herum und warf die Tür hinter sich zu. Wie von einer Tarantel gestochen fuhr ich hoch und erreichte mit vier langen Schritten die Tür, riss sie auf, und sah gerade noch, wie Ferris am Ende des Flures hinter einer doppelflügeligen Glastür um die Ecke verschwand. Ich hetzte hinterher und stand schließlich bei der Treppe. Milo kam einen Herzschlag nach mir an. Die Flügel der Glastür schlugen. Ich war mir nicht sicher, ob Ferris nach unten oder nach oben gerannt war, ging aber davon aus, dass er wohl das Uni-Gelände verlassen wollte. Also machte ich mich auf den Weg nach unten. Milo kam hinterher. Wir nahmen immer drei Stufen auf einmal. Dann waren wir im Erdgeschoss angelangt und rannten zur großen Glastür, die nach draußen führte. Hinter der Rezeption in der Halle saß eine Frau mittleren Alters.
»Ist eben ein junger Mann hier vorbeigelaufen?«, fragte ich zwischen fliegenden Atemzügen.
»Ja. Er ist wie von Furien gehetzt nach draußen gerannt. Bis ich richtig zum Denken kam, war er verschwunden.«
Wir verließen das Gebäude und standen auf der Straße. Auf der anderen Seite begann eine Grünfläche, auf der Büsche und Bäume wuchsen und die von einem Kiesweg unterteilt war. Alle hundert Yards etwa waren Bänke aufgestellt. Da es nicht gerade warm war und die Sonne von dichten Wolken verdeckt wurde, saß niemand auf diesen Bänken. Einige Studenten hasteten vorüber. Ein Stück entfernt stand eine Gruppe und debattierte heftig. Milo und ich gingen zu den jungen Leuten hin, und ich erkundigte mich, ob Ferris vorbeigekommen wäre.
»Er rannte, als säße ihm der Leibhaftige im Nacken, in diese Richtung«, sagte einer der jungen Männer und streckte den Arm aus. »Sind Sie Polizisten? Hat er was ausgefressen?«
»Ja«, erwiderte ich, »wir sind Polizisten. Vielen Dank.«
Milo und ich trabten wieder los. Schließlich standen wir am Rand der 121st Street. Ein Stück weiter westlich war der Morningside Park zu sehen. Von Ferris keine Spur.
»Fahren wir zu seiner Wohnung«, schlug ich vor. »Er wird versuchen, sich abzusetzen. Es ist daher anzunehmen, dass er sich zu seiner Wohnung begibt, um sich mit ein paar Dingen wie Zahnbürste und Wäsche einzudecken.«
Wir fuhren zurück in die 94th Street. Ein Stück von dem Gebäude entfernt, in dem Ferris wohnte, stellte ich den Wagen ab. Dann postierten wir uns so, dass er einem von uns in die Arme laufen musste, falls er wieder die Flucht ergriff.
Während ich wartete, machte ich mir einige Gedanken. Das Verhalten von Ferris ließ den Schluss zu, dass er der Entführer des Jungen war. Aber handelte er aus eigenem Antrieb, oder führte er einen Auftrag aus? Was bezweckte der Kidnapper? Die erste Entführung lag mehr als zwei Wochen zurück, und der Kidnapper hatte sich nicht gemeldet. Es ging scheinbar nicht um die Zahlung von Lösegeld. Mein Denken blockierte, als sich wieder das Wort Kinderpornografie in den Vordergrund meines Bewusstseins schob. Mir drehte sich der Magen um. Aber gab es eine andere Erklärung?