Читать книгу Im Schatten der Colthelden: Western Roman Sammelband 10 Romane - Pete Hackett - Страница 46

Shannon und der Horse-King John F. Beck

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IMPRESSUM

Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books und BEKKERpublishing sind Imprints von Alfred Bekker

© Roman by Author / Cover 2019: Edward Martin

© dieser Ausgabe 2019 by Alfred Bekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen in Arrangement mit der Edition Bärenklau, herausgegeben von Jörg Martin Munsonius.

www.AlfredBekker.de

postmaster@alfredbekker.de


Brent Wellman ist ein Rancher, der seine Land- und Machtansprüche rigoros durchsetzt. Für Pferdediebe gibt es kein Pardon. Als er und seine Männer den Mexikaner Lopez lynchen, mischt sich Jim Shannon ein, bevor Wellmans Cowboys auch Lopez´Sohn Antonio aufhängen können. Denn Antonio ist unschuldig. Er und sein Vater haben lediglich gesehen, dass einige Männer mit den gestohlenen Pferden auf und davon sind – und es waren keine Mexikaner.

Shannon glaubt Antonios Worten, und deshalb schlägt er Wellman vor, der Spur der wirklichen Pferdediebe zu folgen. Tom Baker, der Vormann des Ranchers, soll ihn dabei begleiten. Dem stimmt Wellman zu, aber Antonio Lopez wird bis zu Shannons und Bakers Rückkehr sein Gefangener bleiben.

Das ist der Auftakt eines spannenden Abenteuers am Nueces River, der Jim Shannon wieder mal alles abverlangt und ihn schließlich zu einem Mann namens Jeff Santana führt, den man auch „König der Pferdediebe“ nennt.


Der Blitz zerriss die Dunkelheit über dem texanischen Buschland. Im gleißenden Licht sah Shannon den Baum, dessen kahle Äste wie eine Geisterhand in den Himmel ragten. Auf dem Pferd darunter saß ein Gefesselter mit einer Schlinge um den Hals. Mehrere Männer in derber Viehzüchterkleidung umstanden ihn. Einer hielt die Gerte zum Schlag erhoben. Auf die Entfernung wirkte die Szene gespenstisch lautlos. Nur das Grollen des noch fernen Donners hallte über das Land. Dann drang der Fetzen eines gellenden Schreis zu dem einsamen Reiter. Ein Schrei, den Shannon nicht so schnell vergessen würde.

Im selben Augenblick fiel die Gewitterschwärze wieder wie ein Vorhang herab. Shannon warf seinen Braunen herum und jagte los, ohne lange darüber nachzudenken, dass er wahrscheinlich gleich wieder bis zum Hals in höllischem Verdruss stecken würde. Aber es gab Ereignisse, denen der große, dunkelhaarige Mann mit der Schussnarbe an der rechten Schläfe niemals aus dem Weg ging. Härte spannte sein schmales, sonnengebräuntes Gesicht.

Die Hufe schleuderten Sand in die trockenen Sträucher.

Eine schrille, verzweifelte Stimme mischte sich in das dumpfe Trommeln.

„Mörder! Verfluchte Gringos!“

Shannon dauerte es viel zu lange, bis sein Pferd aus dem Kreosot- und Cottonwoodgestrüpp brach.

Zu spät!

Der flackernde Schein eines neuerlichen Blitzes beleuchtete die schlaffe Gestalt am Strick.

Ein großer, breitschultriger Mann, dessen Hutband mit Silbermünzen verziert war, führte gerade das Pferd des Gehenkten unter eine zweite Schlinge. Mit einer Kopfbewegung wies er auf den gefesselten jungen Mexikaner, der keuchend, mit schweißbedecktem Gesicht im Gras lag. ■

„In den Sattel mit ihm!“

Der Gefangene bäumte sich auf. Panik loderte in seinen aufgerissenen Augen.

„Nein! Lasst mich los, ihr Mörder! Ich bin unschuldig!“

Zwei kräftig gebaute Cowboys zerrten ihn hoch und schleiften ihn zu dem schnaubenden Gaul. Da riss das Stampfen der Hufe von Shannons Braunem die Männer unter dem kahlen Baum herum. Einer machte eine Bewegung, als wollte er den Revolver ziehen. Eine Kugel hieb vor ihm in die Erde.

„Halt!“, schrie Shannon. „Was ihr vorhabt, ist Mord!“

Jede Bewegung erstarrte. Der große, schlanke Reiter behielt den rauchenden 44er Colt in der Faust. Der Anblick des Gehenkten erfüllte ihn mit Bitterkeit und kalter Wut. Es war ein hagerer, grauköpfiger Mexikaner, offenbar der Vater des jungen Gefangenen. Nur um eine Minute war Shannon zu spät gekommen. Sechzig Sekunden, die über Leben und Tod entschieden hatten.

Feindselige Blicke trafen ihn. Er sah starre, wettergegerbte Gesichter, die von breitkrempigen Stetsons beschattet wurden. Der Mann mit dem Hutband aus Silbermünzen trat einen Schritt vor. Ein hartgesichtiger, kaltäugiger Bursche, den der Army Colt in Shannons nerviger Rechter nicht beeindruckte. Die frostige Stimme passte zu seinem grimmigen außehen.

„Wer immer du bist, Mister, misch dich nicht in Dinge ein, die dich nichts angehen.“

„Mein Name ist Jim Shannon. Ich werd nicht zusehen, wie ein Mann ohne Gerichtsverhandlung gehängt wird, gleich, was er verbrochen hat.“

Das Gesicht des Anführers der Lyncher blieb wie aus Stein gemeißelt. Der Mann war nicht viel älter als Shannon, etwa fünfunddreißig. Seine Haltung und sein Ton verrieten, dass er hier die Rolle des großen Bosses spielte.

„Lopez’ Sohn bekommt nur, was er verdient. Er und sein Vater haben meine besten Pferde gestohlen. Einer meiner Cowboys, der die Schurken überraschte, wurde angeschossen.“

„Das ist nicht wahr!“, schrie der Gefangene. „Helfen Sie mir, Senor! Ich bin unschuldig!“

„Das sagt jeder, den’s erwischt!“ Der Mann mit dem im Schein der Blitze funkelnden Hutband blickte Shannon kalt an. „Er lügt. Es ist noch immer ungeschriebenes Gesetz in diesem Land, dass Pferdediebe auf der Stelle gehenkt werden. Wenn du nicht für einen Partner dieser Halunken gehalten werden willst, dann hau ab, Mann! Es könnte sonst böse für dich ausgehen!“

Shannon spürte es heiß in sich aufsteigen. Diese Anmaßung, diese Selbstherrlichkeit waren fast zuviel für ihn, Seine Stimme klirrte:

„Bindet ihn los!“

Die Augen des Ranchers verengten sich.

„Vorsicht, Shannon — oder wie du heißt. Du befindest dich hier auf meinem Land. Hier gibt nur einer Befehle, und das bin ich, Brent Wellman.“

Er wies auf die Männer an seiner Seite, die um vieles älter waren.

„Das sind meine Nachbarn Ike Sheppard und Gil Taylor. Die übrigen Hombres gehören zu meiner Crew. Außer unseren Ranches gibt es hier weit und breit keine menschliche Niederlassung, von ein paar armseligen Ranchos abgesehen. Wenn überhaupt so etwas wie ein Gesetz in dieser Gegend existiert, dann wird es von den Wellmans, Sheppards und Taylors vertreten.“

„Brents Vater war der erste Weiße südlich des Nueces“, murmelte Taylor, ein weißhaariger, magerer Mann mit knochigem Gesicht. „Er hat die Regeln eines Gesetzes aufgestellt, das uns das Leben in dieser Wildnis überhaupt erst ermöglichte.“

„Seid ihr nie auf den Gedanken gekommen, dass sich die Zeiten ändern könnten?“, fragte Shannon bitter.

Wellmann spuckte aus. „Davon haben wir bis jetzt im Buschland zwischen dem Nueces River und dem Rio Grande nichts gemerkt. Hier sind wir noch immer ganz auf uns allein gestellt. Der Teufel soll jeden Halunken holen, der denkt, sich deswegen hier was rausnehmen zu dürfen! Wir brauchen keinen Sternträger, keinen Richter, um mit solchem Gesindel fertig zu werden. Das haben wir über zehn Jahre lang recht gut allein geschafft. Warum soll sich daran etwas ändern? Aber verdammt noch mal. ich hab’s nicht nötig, mich mit einem fremden Satteltramp rumzustreiten! Ich ...“

„Vielleicht doch“, lächelte Shannon gefährlich. „Vergiss nur nicht, dass dieser Satteltramp ein geladenes Schießeisen in der Faust hat und nichts davon hält, wenn Männer wie du das Gesetz in die eigene Hand nehmen, Rancher. Zu viele Unschuldige sind schon auf diese Weise ums Leben gekommen.“

„Antonio Lopez ist nicht unschuldig!“, stieß der bullige, vierschrötige Ike Sheppard wütend hervor. „Wir haben ihn und seinen Vater mit drei von Brents gestohlenen Gäulen erwischt. Da stehen die Tiere. Wenn das kein Beweis ist!“

„Mein Vater und ich fanden die Pferde in der Nähe unseres Ranchos!“, schrie der junge Mexikaner verzweifelt. „Wir wollten sie auf Wellmans Land zurückbringen, um keinen Ärger zu bekommen. Wir ...“

„Lüge!“ Der junge, hartgesichtige Rancher lachte scharf. „Ihr seid nach Süden geritten — in Richtung zur mexikanischen Grenze. Ihr wolltet die Gäule auf der anderen Seite des Flusses verschachern.“

„Nein! Wir waren auf dem Weg in die Coyotenhügel, um dort Unterschlupf vor dem heraufziehenden Gewitter zu suchen. Wir haben die Pferde nicht gestohlen. Mein Vater war sein Leben lang ein ehrlicher Mann. Ihr habt einen Unschuldigen ermordet!“

Ein trockenes Schluchzen schüttelte den jungen Mann. Er hatte es aufgegeben, an den Fesseln zu zerren. Wellman starrte ihn verächtlich an.

„Ach nein! Und darum seid ihr abgehauen, als ihr uns kommen saht, he?“

Der Gefangene lachte bitter.

„Mein Vater sagte gleich: ,Lass uns fliehen, Antonio! Sie werden uns gewiss für die Diebe halten, wenn sie die Pferde bei uns finden. Denn in ihren Augen ist jeder arme Mexikaner ein Taugenichts, dem sie alles Zutrauen. Mein Vater hatte recht. Ich wünschte, er hätte nie versucht, die verdammten Pferde zurückzubringen. Schießen Sie ihn nieder, Shannon! Es ist die einzige Chance, die Ihnen und mir noch bleibt!“

„Hängt ihn auf!“, befahl Wellman scharf. „Shannon, wenn du versuchst, ihm zu helfen, wirst du neben ihm baumeln.“

„Nicht, solange ich den Finger am Abzug halte.“

„Damit ist es vorbei!“, meldete sich eine spröde Stimme seitlich von ihm. „Wirf die Kugelspritze weg, Hombre.“

Shannon sah den Mann aus den Augenwinkeln. Er spürte sofort, dass dies nicht irgendein gewöhnlicher Weidereiter war, für den es nur Rinder, Pferde, Lassos, Brandeisen und die Befehle seines Bosses gab. Der Mann war groß, sehnig, blond und knapp über vierzig. Sein wettergegerbtes, hageres Gesicht mit dem blonden Schnurrbart strahlte unbeugsame Entschlossenheit aus. Die Mündung einer Winchester 66 zielte auf den Satteltramp. Die Art, wie der Blonde das Gewehr hielt, lässig und doch mit einer gefährlichen Sicherheit, warnte Shannon.

Brent Wellman lächelte spöttisch. „Tom Baker, mein Vormann. Er kann mit seiner Winchester mindestens so gut umgehen wie mit einem Lasso. An deiner Stelle würd ich tun, was er sagt.“

„Du bist nicht am meiner Stelle — Baker, mach jetzt keinen Fehler! Ich hab immer noch Zeit, deinen Boss mit einer Kugel zu erwischen, wenn du so verrückt, bist ...“

Der Peitschenknall eines Schusses füllte seine Ohren. Shannon spürte einen wuchtigen Schlag, der ihm den 44er aus der Faust prellte. Er selbst hätte es nicht besser gekonnt. Sein Brauner stieg wiehernd vorn hoch. Kaum hatte Shannon das Pferd unter Kontrolle, da drückte Bakers Winchester gegen seine Rippen. Wellman lachte triumphierend. Aber Shannon blickte in das schnurrbärtige, unbewegte Gesicht des sehnigen Vormanns.

„Ein Meisterschuss. Ich wette, Baker, du hast in deinem Leben nicht immer Kühe gehütet.“

„Es gab Männer, denen ihre Neugierde das Leben gekostet hat“, brummte Baker.

Shannon lächelte hart.

„Und es gibt Männer, die Unschuldige hängen, nur weil sie sich für unfehlbar halten! Ich komme von der mexikanischen Grenze herauf. Ich hab die Fährte eines Pferderudels gekreuzt, das zum großen Fluss getrieben wird. Ich bin jetzt sicher, dass es sich um Wellmans Pferde handelt.“

„Na und?“ Wellman machte eine Geste, als wollte er Shannons Worte wegwischen. „Dann hat Lopez die Tiere also bereits an Mittelsmänner weitergegeben, die sie für ihn über die Grenze bringen. Die Greaser in dieser Gegend stecken ja doch alle unter einer Decke.“ „Ich hab die Männer, die die Pferde trieben, von fern gesehen. Es waren keine Mexikaner.“

„Das beweist gar nichts.“

„Aber es würde eine Menge mehr beweisen, wenn ihr diesen jungen Hombre am Leben lasst und statt dessen die wirklich Schuldigen jagt und sie zum Reden bringt.“

„Daher weht also der Wind!“ Brent Wellman pfiff durch die Zähne. „Der Kerl will uns auf eine falsche Spur locken. Also doch ein Verbündeter von Lopez, was? Raus mit der Sprache, Antonio! Kennst du ihn?“

„Ich hab ihn nie zuvor gesehen.“

„Er lügt. Er weiß, dass er nichts mehr zu verlieren hat. Er wird so oder so hängen.“

Der breitschultrige Rancher deutete auf Shannon.

„Packt ihn! Fesselt ihn! Wir werden genauso Gericht über ihn halten wie über Pedro Lopez und seinen Sohn!“

Gil Taylor bewegte unbehaglich seine mageren Schultern.

„Könnte es nicht sein, Brent, dass das mit den Reitern, die Shannon gesehen haben will, vielleicht doch stimmt?“

Wellman fuhr herum.

„Zum Teufel, Gil, zweifelst du etwa nachträglich an Lopez’ Schuld? Glaubst du diesem gerissenen Herumtreiber mehr als deinen eigenen Augen? Da sind drei von den gestohlenen Gäulen! Da ist Lopez’ Spur nach Süden! Was willst du mehr?“

Shannon murmelte bitter: „Es wäre auch zu schlimm, wenn eintreten würde, was nicht sein darf — nämlich, dass sich Lopez“ Unschuld herausstellt, nicht wahr, Wellman?“

Der Rancher zog schweigend den Revolver. Mit einem Satz war er bei dem dunkelhaarigen Reiter und schlug ihn vom Pferd. Shannon stürzte ins verdorrte Grammagras. Ein heftiger Schmerz drohte ihm die Besinnung zu rauben. Er wehrte sich verzweifelt dagegen, wälzte sich mit zusammengebissenen Zähnen herum. Keuchend starrte er zu Wellman hoch, dessen breitschultrige Gestalt sich drohend vor einem dreizackig niederglühenden Blitz abzeichnete.

„Damit zeigst du dein wahres Gesicht, Rancher! Behauptest du immer noch, dass du Recht und Gesetz vertrittst? “

Wellman ballte die Fäuste. Mühsam beherrschte er sich. „Stellt ihn auf die Füße!“, fuhr er die Cowboys an.

Sie zerrten Shannon hoch. Stählerne Fäuste hielten ihn fest. Wellman musterte ihn mit verkniffener Miene.

„Du weißt genau, Shannon, dass es keinen Zweck hat, wenn ich ein paar Reiter hinter den Kerlen herschicke, die du angeblich gesehen hast. In einer halben Stunde haben wir hier den schönsten Wolkenbruch, der von keiner Spur etwas übriglassen wird. Du kannst also viel erzählen ..."

„Ich kann mehr. Ich kann dir die gestohlenen Pferde zurückbringen, wenn du mich freilässt — und vielleicht sogar einen von den Banditen, der Antonios Unschuld beweisen wird.“

Wellman lachte rau.

„Verstehe! Jetzt denkst du nicht mehr an ihn, sondern nur noch daran, deine eigene Haut zu retten.“

„Er käme nicht weit, wenn ich ihn begleite“, sagte Baker ruhig.

Wellmans Kopf flog herum. „Du meinst also auch, er hat recht?“

„Ich meine, dass dein Vater jedem Hinweis nachgegangen wäre, Brent, auch auf die Gefahr hin, unnötig Zeit zu verlieren. Antonio könnte als Gefangener auf der Ranch bleiben, bis Shannon und ich zurück sind.“

„Lass meinen Vater aus dem Spiel, Tom!“, brauste Wellman auf. „Er ist seit mehr als einem halben Jahr tot. Zeit genug, dich an den Gedanken zu gewöhnen, dass ich jetzt der Boss bin. Du musst mir nicht sagen, was ich zu tun habe.“

„Es geht um eine letzte Chance für einen zum Tode Verurteilten. Die gleiche Chance, die dein Vater mir vor Jahren verschaffte.“

„Schon gut, Tom. Ich weiß, dass ich mich auf dich verlassen kann, so wie mein Vater sich auf dich verließ. Okay, ich geb euch drei Tage. Wenn ich dann nichts von euch höre, warte ich nicht länger. Dann wird Lopez’ Sohn hängen. Setzt ihn auf das Pferd, Jungs. Wir nehmen ihn mit zur Ranch.“

„Mörder!“, keuchte der Gefesselte. Er riss wieder an den Fesseln, ohne dass es etwas nützte. „Wenn ich jemals mit dem Leben davonkomme, wirst du es bereuen, dass du ...“

Eine Faust verschloss seinen Mund. Vier Cowboys waren nötig, um den jungen Mexikaner auf dem Pferd festzubinden.

Shannon blickte Tom Baker an, der zurückgetreten war, aber noch immer mit dem Gewehr auf ihn zielte. „Wir sollten keine Zeit verlieren. Bevor es zu regnen anfängt, schaffen wir noch einige Meilen. Gib mir meinen Colt zurück.“

Wellmans Vormann schüttelte den Kopf. „Erst, wenn ich sicher bin, dass du nicht gelogen hast. Und auch dann erst, wenn du ihn brauchst, um am Leben zu bleiben. Bis dahin bist du mein Gefangener.“

*

„Vier Mann!“, murmelte Baker einen Tag später, als sie ihre staubbedeckten Pferde auf einem von Hitzewellen umflirrten Hügel zügelten. „Wir werden kein leichtes Spiel mit ihnen haben. Aber wenn es sich irgendwie machen lässt, dann will ich diese Kerle lebend.“

Ein freudloses Lächeln sprengte die Staub und Schweißkruste auf Shannons Gesicht. „Dann sind wir ja einer Meinung. Wie steht’s nun mit meinem Colt?“

Schweigend reichte ihm Baker den Gurt mit der tiefhängenden Halfter, aus der der Hickorykolben des 44ers ragte. Die Sonne stach wie mit Feuerspeeren auf sie herab. Aber Hitze, Staub und die langen Meilen, die zwischen ihnen und dem Rio Grande del Norte lagen, waren nun vergessen. Ringsum dehnte sich das karge, sonnenverbrannte mexikanische Hochland mit Buschinseln, Kakteen, ausgetrockneten Flussläufen und fernen, blauschimmernden Bergketten.

Unter ihnen, am Fuß des Hügels, duckten sich mehrere weiß getünchte Adobelehmhütten. Unter einem strohgedeckten Vordach dösten vier Gäule, die amerikanische Cowboysättel trugen. Die Scabbards waren leer. Ein Schild mit der verwaschenen Aufschrift ,Cantina! baumelte über ihnen an einer rostigen Eisenkette. Tiefe Stille lag über allem. Zeit der Siesta.

Shannon und Baker blickten aus zusammengekniffenen Augen auf die Pferde in einem der glühenden Sonne ausgesetzten Korral. Elf rassige, hochbeinige Tiere, die jedem Rebellenhäuptling auf dieser Seite der Grenze ein Vermögen wert sein würden. Jedes Tier trug des große „W“, das Brandzeichen der Wellman-Ranch, an der Flanke.

Baker wartete gerade solange, bis Shannon den Coltgurt mit altgewohntem Schwung umgeschnallt hatte. Dann zog er seinen Grauen zwischen den Mesquites und Ocotillos herum, die sie gegen die Sicht vom Dorf schützten.

„Die Halunken haben sicher alles genau ausspioniert, ehe sie sich Wellmans Zuchtpferde schnappten. Möglich, dass sie mich deshalb kennen. Ich halte es für besser, du lenkst sie erst ein wenig ab, bevor ich da unten aufkreuze. Einverstanden, Partner?“

Zum erstenmal gebrauchte er dieses Wort. Shannons Zähne blinkten. „Nichts dagegen, wenn du mir Zeit für einen Drink lässt. Meine Kehle ist ausgetrocknet wie der Llano Estacado. Na dann, bis gleich.“

Er trieb sein Pferd aus den raschelnden Sträuchern und ritt gemächlich den sanft abfallenden, mit Geröll und Biberschwanzkakteen bedeckten Hang hinab. Das Bild eines vor sich hindösenden, im Sattel zusammengesunkenen Reiters ohne Ziel, ohne Eile, ohne mehr als den Wunsch nach einem Schluck, um sich den Staub eines langen Trails aus der Kehle zu spülen. Nichts verriet seine Anspannung, seine Wachsamkeit. Der tief in die Stirn gezogene Stetson verdeckte das Funkeln der dunklen, indianerhaften Augen, denen keine Einzelheit der Umgebung entging. Auch nicht das fahle, verkniffene Gesicht, das sich für den Bruchteil einer Sekunde in der scheibenlosen dämmrigem Fensterluke neben der Tür zeigte.

Metall blinkte. Dann war alles wieder wie ausgestorben, totenstill. Aber Shannon wusste, dass sich jetzt mindestens ein Gewehrlauf mit ihm bewegte. Er machte sich nichts daraus. Er spielte das alte gefährliche Spiel, bei dem immer nur der gewann, der die besseren Nerven besaß.

Revolverpoker!

Shannon ritt am Korral mit Wellmans gestohlenen Pferden vorbei, ohne den Kopf zu wenden. Es sah aus, als überließ er es seinem Braunen, den Weg zu finden. Neben den bereits angebundenen vier fremden Pferden glitt er steifbeinig aus dem Sattel, schlang die Zügel lose um den Hitchrack und betrat gähnend die Cantina. Der Eingang war so niedrig, dass er sich bücken musste. Nach der flimmernden Helligkeit brauchte er Sekunden, um sich an die Dämmerung zwischen den kahlen, schmucklosen Lehmziegelwänden zu gewöhnen. Sekunden, in denen er die Männer nur wie Schemen sah.

Es waren vier. Raubeinige Burschen mit tiefhängenden Colts und lauernden Augen. Ihre Kleidung war schäbig und verdreckt, als seien sie wochenlang nicht aus der Wildnis herausgekommen. Niemand außer ihnen war hier, vom Cantinero keine Spur. Drei saßen an einem runden Tisch, halbvolle Gläser und ein Päckchen abgegriffener Spielkarten zwischen sich. Der vierte Kerl stand beim Fenster rechts neben der Tür. Ein Remingtongewehr lehnte neben ihm.

„Hallo“, sagte Shannon und ging zur Theke. Nur das Tacken seiner Absätze war zu hören. Vier verkniffene, unrasierte Gesichter drehten sich mit ihm mit. Der Atem der Gefahr füllte den tristen Raum, in dem es nach billigem Fusel und Tabakqualm roch.

„Suchst du wen, Muchacho?“, lauerte eine blecherne Stimme.

Shannon drehte sich grinsend an der Theke um. „Na sicher — den Kerl, der mir ’ne Pulle von dem Zeug verkauft.“' Er wies mit dem Kopf auf die Flaschen im wandhohen Regal.

Die Gesichter vor ihm grinsten. Ein Grinsen allerdings, das die kalten Augen nicht erreichte. Es war kein Zufall, dass die Hände der Pferdediebe in der Nähe ihrer tiefgeschnallten Colts hingen.

Shannon kannte sich aus mit solchen Burschen, die immer wieder seinen Weg kreuzten.

Diese Vier waren gefährlich wie Wölfe auf dem Sprung. Ihre Lässigkeit, ihr Grinsen war genauso Theater wie sein eigenes Auftreten.

Der mit dem knallroten Hemd und dem messerscharfen Oberlippenbärtchen lachte leise.

„Du siehst nicht aus wie einer, der lange wartet, wenn er was haben will. Oder irre ich mich?“ Und im gleichen Atemzug: „Hat Wellman dich hinter uns hergeschickt? Will er seine Pferde zurückhaben?“.

Shannon hatte sich eisern in der Gewalt. Er tat den Schurken nicht den Gefallen, sich zu verraten. Er grinste. „So ist das! Doch wer ist Wellman?“

Der Kerl mit dem Bärtchen beugte sich lauernd auf dem Stuhl vor. „Einer, der mindestens hundert Dollar für den Skalp von jedem von uns ausspuckt, so wie ich ihn kenne.“

Shannon zuckte die Achseln. „Schwer verdientes Geld, schätze ich. Und zu wenig, um dafür ins Gras zu beißen. Da genehmige ich mir lieber einen Drink auf Kosten des Hauses.“

Er ging um die Theke herum, steckte eine Hand nach einer bauchigen, bastumwickelten Flasche aus — und erstarrte. Direkt vor seinen Füßen lag mit dem Gesicht nach unten ein kahlköpfiger Mann, der eine verwaschene Schürze umgebunden hatte. Ein Blick auf die Messerwunde in seinem Rücken, und Shannon wusste, dass es keine Hilfe mehr für den Cantinero gab. Ihm war, als würde sich sein Magen in einen Eisklumpen verwandeln. Der Appetit auf den Drink war vergangen. Er fühlte die durchdringenden Blicke der vier Banditen, die nur auf eine falsche Bewegung warteten, um hier drinnen die Hölle zu entfesseln.

Shannon lauschte, wartete auf das Malmen von Tritten vor der Cantina, auf Bakers Auftauchen mit der Waffe in der Faust.

Nichts.

Die Stille war wie ein Abgrund, der alles zu verschlingen drohte.

„Ist was, Amigo?“ Wieder war es die blecherne, unangenehme Stimme des Kerls mit dem Bärtchen. Diesmal mit einem deutlich drohenden Unterton. „Du brauchst es nur zu sagen, wenn dir was nicht gefällt.“

Alles war umsonst gewesen. Nachdem die Banditen den Cantinero wahrscheinlich wegen ein paar lumpiger Pesos ermordet hatten, dachten sie nicht daran, ihn als Zeugen entkommen zu lassen, gleich, was er ihnen vorschwindelte. Langsam hob Shannon den Kopf und nahm die Flasche aus dem Regal.

Bemerkten die Schurken nicht, dass er die Linke dazu benutzte? Sie bewegten sich nicht. Die Flasche zerschellte auf dem festgestampften Lehmboden. Shannons Rechte war so schnell, dass kein Auge mitkam. Eine Schnelligkeit, die dem Satteltramp schon oft das Leben gerettet hatte. Wie hingezaubert lag der Colt in seiner Faust. Kein Versuch der Mörder, ebenfalls die Waffen zu ziehen.

„Wenn du abdrückst, Hombre, bist du ’ne Leiche“, grinste der Anführer verzerrt.

Der Vorhang aus Perlenschnüren, der eine dunkle Seitentür verdeckte, klimperte leise. Shannon hörte das metallische Schnappen eines Repetierbügels. Die weiße Narbe an seiner rechten Schläfe begann plötzlich zu jucken.

Vorsichtig wandte er ein wenig den Kopf. Vor dem schwankenden Vorhang stand ein großer, dunkelhäutiger Mexikaner mit einem Sharpskarabiner in den Fäusten. Langes schwarzes Haar umzüngelte sein maskenhaft starres Gesicht. Ein riesiger, spitzkroniger Sombrero baumelte auf seinem Rücken. An den Nähten seiner Chivarra-Hose blinkten silberne Zierknöpfe. Über seiner linken Schulter hing ein zusammengerollter, buntgemusterter Poncho. Kalte, mitleidlose Augen starrten Shannon an.

„Pech, Muchacho!“, höhnte der Anführer der Pferdediebe. „Pablo ist der Mann, der uns Wellmans Pferde abkauft. Er hat hier auf uns gewartet. Du hast keine Chance.“

„Aber ich!“, meldete sich Tom Bakers harte Stimme vom Eingang her.

Der Kerl neben dem Fenster packte seine Remington. Die anderen sprangen von ihren. Stühlen auf. Ein Glas zer klirrte auf dem Boden. Baker jagte eine Kugel in die Tischplatte.

Im nächsten Augenblick bewegte sich niemand mehr. Der dunkelgesichtige Mexikaner hielt nach wie vor den Finger am Abzug. In den unrasierten Gesichtern seiner Kumpane zuckte es heftig. Ihre Blicke flogen zwischen Shannon und Baker hin und her. Blicke, die die gegenseitigen Chancen abschätzten. Gekrümmte, zum Zupacken bereite Hände über den Kolben der tiefgehalfterten Colts.

Der Kerl mit dem Bärtchen lachte plötzlich heiser auf.

„Tom, beinahe hätt ich dich nicht wiedererkannt! Du liebe Zeit, was für ein Wiedersehen!“

„Hallo, Luke!“, antwortete Wellmans Vormann spröde.

Der Bandit zog die Hand von der Waffe, deutete auf Bakers Winchester.

„Sie friedlich, Tom. Du wirst doch nicht auf einen alten Sattelpartner schießen.“

„Das hängt ganz von dir ab, Luke. Sag deinen Freunden, sie sollen abschnallen.“ Bakers Stimme klang gepresst. Dicke Schweißtropfen glänzten auf seiner Stirn.

Luke schüttelte den Kopf.

„Das ist doch nicht dein Ernst, Tom. Das sind die paar Klepper, die wir Wellmann abgenommen haben, doch nicht wert. Es ist doch nicht dein Geld, um das es geht.“

„Es geht um mehr als Geld. Tu, was ich dir sage, Luke!“

„Das wird Santana nicht gefallen, Tom“, warnte der Bandit schleppend. „Du kennst ihn. Er kann es nicht leiden, wenn einer versucht, ihm ins Handwerk zu pfuschen. Er ist nicht nur ein gefährlicher, sondern auch ein verdammt mächtiger Mann, den sie nicht umsonst den „König der Pferdediebe“ nennen. Überleg’s dir gut, Tom, bevor du dich mit ihm anlegst.“

„Ich glaube nicht, dass Jeff Santana euch zu Wellmans Ranch geschickt hat. Ich glaube vielmehr, dass ihr auf eigene Faust und gegen seinen Befehl gehandelt habt. Ihr seid es. die Santana ins Handwerk pfuschen. Wellmans Ranch war bisher für ihn tabu.“

Luke duckte sich. Ein Flackern war in seinen Augen. „Du bist verrückt, Tom! Was du dir ausdenkst! Meinst du, Santana hat Angst vor deinem Boss?“

„Er hat andere Gründe.“

„Ach nein! Und woher willst du sie kennen?“

„Ich kenne sie eben. Und ich weiß, dass Santana euch keine Träne nachweinen wird.“

Einer von Lukes Kumpanen, ein gedrungener Kerl mit gedunsenem Gesicht und aufgeworfenen Lippen, spuckte auf den Boden. „Er redet nicht wie ’n alter Freund von dir, Luke.“

„Die Zeiten sind lange vorbei“, erklärte Baker heiser. Immer mehr Schweiß sammelte sich auf seiner Stirn. Nicht nur Shannon sah es. Lukes dünne Lippen verzogen sich zu einem verschlagenen Lächeln.

„Wirklich, Tom? Ich kann mir zwar nicht vorstellen, dass du auf einen Mann feuern willst, mit dem du Seite an Seite geritten bist, aber wenn du’s trotzdem vorhast, dann bedenke, dass wir zu fünft sind. Dein Partner wird keine Kugel mehr aus dem Rohr bringen. Dafür wird Pablo sorgen. Gleich, was Wellman dir bezahlt, Tom, es lohnt nicht, deswegen dem Teufel in den Rachen zu springen.“

Baker zögerte. Sein Blick tastete die lauernden Gesichter ab, ruhte auch einen Moment auf Shannon.

„Vielleicht hast du recht, Luke, doch würde es sich denn lohnen, wenn ich mich auf eure Seite schlage?“

Der Bandit lachte falsch. „Das klingt schon viel besser. Das klingt schon mehr nach dem alten Tom Baker, dem kein Job zu heiß war, wenn nur genug Bucks dabei heraussprangen. Klar, dass wir dich an dem Geschäft beteiligen, Tom. Aber was ist mit ihm?“

Er wies auf Shannon, der reglos hinter der Theke stand.

Bakers hellgraue Augen richteten sich kalt auf den schlanken, dunkelhaarigen Mann. „Er wird tun, was ich ihm sage, denn es ist seine einzige Chance, am Leben zu bleiben.“

„Da wär ich mir nicht so sicher“, lächelte Shannon verkniffen.

Baker richtete die Winchester auf ihn. Sporenklirrend kam er langsam durch die dämmrige Cantina. Shannon wartete auf ein Signal in den Augen des Vormanns, auf ein Zeichen, dass alles nur ein Bluff war. Doch Bakers schnurrbärtige Miene blieb ausdruckslos.

Ahnte er denn nicht, dass Luke und die anderen nur auf die Chance warteten, ihn und Shannon ohne Risiko zu erwischen?

Dieser verdammte starrgesichtige Mexikaner hielt immer noch den Finger am Abzug. Eine Warnung von Shannon, ein verkehrtes Wort an Baker, und das Krachen der Sharps würde das Letzte sein, was der Satteltramp hörte.

Luke und seine Kumpane bewegten sich nicht, als Wellmans Vormann an ihnen vorbeistreifte. Dann jedoch schlossen sich ihre Hände um die Revolverkolben. Keiner von ihnen würde auch nur einen Augenblick zögern, Baker in den Rücken zu schießen.

Es war eine Sekunde heißer Verzweiflung.

Shannon hielt zwar den Colt in der Faust, aber Bakers sehnige Gestalt verdeckte das Schussfeld. Luke war der erste, dessen Sixshooter aus dem Leder glitt.

„Schieß, Shannon!“, schrie Baker, warf sich zur Seite und feuerte auf den Mexikaner mit der Sharps. Die Kugel stieß den Mann durch den klirrenden Perlenvorhang in den angrenzenden Raum zurück.

Shannons Kugel traf Luke, riss ihn halb herum und schleuderte ihn unter die Tische.

Dann tauchte Shannon blitzschnell unter die Theke weg.

Mündungsfeuer stachen durch brodelnde Pulverdampfwolken auf ihn zu.

Eine Reihe von Flaschen zerplatzten im Regal hinter ihm.

Baker warf sich zu Boden, drehte sich und schoss gleichzeitig mit Shannon auf die huschenden Schatten hinter den grauen beizenden Schwaden. Schreie vermischten sich mit dem ohrenbetäubenden Krachen der Schüsse, das den Raum zu sprengen drohte.

Dann war schon alles vorbei.

Baker erhob sich mit steinernem Gesicht.

Shannon flankte mit einem geschmeidigen Satz über die grobgezimmerte, von Kugeln zernarbte Theke. Stöhnende Männer lagen zwischen Scherben, verstreuten Spielkarten, umgeworfenen Stühlen und Tischen. Auf die Ellenbogen gestützt, starrte Luke den blonden Vormann ungläubig an.

„Tom!“, keuchte er. „Du verdammter ...“

Besinnungslos fiel er zurück. Baker ging an ihm vorbei auf den vierten, unverletzt gebliebenen Pferdedieb zu, der bleich, mit erhobenen Händen an der Adobewand stand. Es war jener mit den Wulstlippen.

„Wie heißt du?“

„Wade Nesbit. Zum Teufel, Mann, tu das verdammte Gewehr weg. Ich hab genug. Ich kämpfe nicht mehr. Ich verzichte auf die Pferde. Mach mit ihnen, was du willst.“

„Hat Lopez euch den Tipp mit Wellmans Zuchtpferden gegeben?“

Der Bandit blinzelte verständnislos.

„Wer ist Lopez?“

Baker drückte ihm mit grimmiger Miene die Winchester gegen den Bauch.

„Der Kerl, den ihr mit drei von Wellmans Pferden für seine Mithilfe bezahlt habt!“

„Ich kenne keinen Lopez!“, krächzte Nesbit. „Wellmans Klepper stachen uns schon lange in die Augen. Vor allem Luke leuchtete es nicht ein, dass Santana sie nicht haben wollte. Es ist richtig, dass uns drei von den Gäulen durch die Lappen gegangen sind. Wir hatten keine Zeit, sie zu suchen. Wir wollten schleunigst über die Grenze.“

Es war ihm anzusehen, dass er die Wahrheit sagte.

Schwer atmend trat Baker zurück und wandte sich an Shannon.

„Du hattest recht. Wir haben einen Unschuldigen gehängt. Jetzt müssen wir wie die Teufel reiten, um nicht auch noch für Lopez’ Jungen zu spät zu kommen.“

*

Antonio Lopez schlug die Augen auf, wälzte sich auf die Seite und erstarrte, als er die Frau an der Gittertür zu seinem Verlies im Erdgeschoss von Wellmans Ranchhaus sah. Sie war jung, hübsch, gertenschlank und dunkelblond. Große blaue Augen brannten in einem bleichen ebenmäßigen Gesicht. Augen, in denen sich eine Mischung aus Besorgnis, Furcht und Neugierde spiegelten. Mit einer Hand hielt sie krampfhaft die fransenverzierte Mantilla zusammen, die sie um die schmalen, weichgerundeten Schultern geschlungen hatte. Unwillkürlich trat sie einen Schritt von den Eisenstäben zurück, ohne jedoch den Blick von dem jungen Gefangenen zu wenden.

Antonio setzte sich langsam auf, schwang die Füße von der schmalen Holzpritsche, die mit Eisenketten an der kahlen Wand befestigt war. Es war eine Zelle wie in einem richtigen Gefängnis. Eingeritzte Zeichen an den Wänden verrieten, dass der junge Lopez nicht der erste Insasse war.

Eine Petroleumlampe erhellte den schmalen Gang hinter der Frau. Nirgends ein Fenster. War es Tag? War es Nacht? Antonio hatte keine Ahnung. Er wusste nicht, wieviel Zeit ihm noch blieb, bis sie ihn holen würden, um ihn zu hängen, wie sie es mit seinem Vater gemacht hatten.

„Wer sind Sie? Was wollen Sie von mir?“

Zögernd stand er auf. Die Frau machte eine Bewegung, als wolle sie sich herumwerfen. Doch irgend etwas zwang sie zum Bleiben. Ihre Stimme klang leise.

„Ich bin Loreen Milnor, Brents Verlobte. In ein paar Tagen wollen wir heiraten. Ich bin heute mit einer Kutsche aus El Paso angekommen. Warum bist du hier eingesperrt?“

Antonio lachte rissig. „Hat Wellman Ihnen das nicht erzählt? Er ist doch sonst so stolz darauf, wenn er unter seinen Feinden aufräumt.“

Die Art, wie der junge Mexikaner lachte, trieb die Frau noch weiter zurück.

„Brent weiß nicht, dass ich hier bin“, antwortete sie zögernd. „Er hat mir nichts davon gesagt, dass es auf seiner Ranch ein Gefängnis gibt und ...“ Sie zuckte zusammen, als Antonio mit einem Panthersprung die Tür erreichte und die Eisenstäbe mit beiden Händen umklammerte.

Er presste keuchend sein Gesicht dagegen. Seine schwarzen Augen glühten.

„Helfen Sie mir, Senorita! Holen Sie mich hier heraus! Ich bin unschuldig!“

Die hübsche dunkelblonde Frau schluckte. „Wenn das stimmt, hast du von Brent nichts zu befürchten.“

„Sie irren sich, Senorita!“, keuchte Antonio. „Er bildet sich ein, er kann mit seinen Freunden von den Nachbarranches in diesem Land Recht und Gesetz vertreten, so wie es sein Vater getan hat. In Wahrheit will er nur seine Macht und Stärke beweisen und den anderen Ranchern vor Augen führen, dass er der Mann ist, der hier den Ton angibt! Er will mich hängen lassen!“

„Warum?“

„Er hält mich für einen Pferdedieb.“

„Aber das ist doch kein Grund, um ...“

„Sie kennen dieses Land nicht, Senorita! Auf Pferdediebstahl steht hier noch immer die Todesstrafe, wie vor zehn, zwanzig Jahren.“

„Mein Gott!“ Loreen schauderte. „Ich werde mit Brent darüber sprechen.“ Sie wollte sich abwenden.

„Tun Sie’s nicht!“, schrie Antonio. Er rüttelte heftig an den Gitterstäben. „Es ist nur ein Grund mehr für ihn, mich nicht entkommen zu lassen! Er wird nie zugeben, dass er im Unrecht ist. Er hat auch meinen Vater gehenkt, der unschuldig war. Brent Wellman ist ein Mörder!“

„Nein!“ Die junge Frau schüttelte heftig den Kopf. „Das ist nicht wahr! Das sagst du nur, damit ich ...“

Sie verstummte. Der verzweifelte Ausdruck auf Antonios schmalem, braunem Gesicht verriet mehr als alle Beteuerungen.

„Helfen Sie mir!“, flüsterte Antonio heiser. „Schließen Sie auf! Der Schlüssel hängt an dem Haken dort an der Wand.“

Loreens Blick folgte wie von einem fremden Willen gelenkt Antonios ausgestreckter zitternder Hand.

Da flog die Bohlentür hinter ihr auf. Schwere Tritte pochten den Korridor entlang. Ein bärtiges, breitflächiges Gesicht tauchte im Lichtkegel der schwach brennenden Petroleumlampe auf.

„Ah, da sind Sie ja, Miss Loreen. Der Boss sucht Sie schon überall. Er hat vergessen, Ihnen zu sagen, dass Sie diesem Teil des Hauses besser fernbleiben. Es kommt nur hin und wieder vor, dass wir hier einen Gast haben, aber dann sind es Burschen, die vor nichts zurückschrecken wie der da.“ Der Bärtige wies mit dem kurzen Stiel einer zusammengerollten Peitsche auf den Gefangenen. Er lachte roh. „Aber keine Sorgen, Ma’am. Der Boss weiß genau, wie solche Halunken zu behandeln sind. Kümmern Sie sich nur nicht darum, was immer er Ihnen vorzuschwindeln versucht hat. Geh weg von der Tür, Lopez, sonst mach ich dir Beine!“

Loreen griff hastig nach dem Arm des Bärtigen. „Was wird mit ihm geschehen?“

Der Bärtige hob die breiten, muskulösen Schultern. „Was mit allen verdammten Pferdedieben zwischen dem Nueces River und dem Rio Bravo geschieht, Er wird hängen. Kommen Sie, Miss Loreen, ich bring Sie zum Boss.“

Antonio warf sich wie eine eingesperrte Raubkatze gegen die fest verschlossene Zellentür.

„Mörder! Lasst mich raus! Ich bin unschuldig, ihr verdammten Hunde!“

Der Bärtige, schon halb im Abwenden, stockte.

„Du sollst von der Tür weggehen, Greaser, hab ich gesagt! Versuch hier bloß nicht vor Mr. Wellmans Braut den wilden Mann zu spielen. Das bekommt dir garantiert nicht. Da kennst du Hank Fletcher noch immer nicht gut genug, mein Junge.“

„Ich bin unschuldig! Lasst mich raus, ihr verfluchten Gringos! Senorita, helfen Sie mir!“

Wieder und wieder sprang der junge Mexikaner verzweifelt gegen die Gitterstäbe.

Entsetzt wich Loreen Milnor an die Korridorwand zurück. Der Haken mit dem großen Zellenschlüssel war nur eine Armlänge von ihr entfernt. Ihr flackernder Blick wurde von ihm angezogen. Aber da war Fletchers klobige, behaarte Pranke, die den Schlüssel herabnahm. Gleich darauf sprengte ein wuchtiger Fußtritt die Zellentür nach innen auf.

Geduckt wie ein in die Enge getriebener Wolf wich Antonio zurück. Fletchers massige Gestalt füllte die Breite der Tür. Er hatte die junge Frau vergessen. Mit einem drohenden Grinsen schüttelte er die aus Rohleder geflochtene Peitschenschnur aus.

„Na warte, Freundchen, gleich wirst du hier keinen Stunk mehr machen!“

Der erste Schlag traf Antonio quer über den Oberkörper und fetzte sein Hemd auf. Der Mexikaner taumelte gegen die Zellenwand. Der Bärtige erwischte ihn nochmals, dann war Loreen bei ihm. Sie klammerte sich an ihn.

„Aufhören! Um Himmels willen, Sie haben kein Recht, ihn so zu behandeln!“

Bevor Fletcher sich losreißen konnte, stürzte Antonio heran. Fletcher brachte nur noch eine halbe Verwünschung heraus, dann traf ihn der Lauf seines eigenen Colts an der Schläfe. Ächzend sank der schwere Mann auf die Knie, fiel nach vorn und rührte sich nicht mehr.

Keuchend, mit der fremden, ungewohnten Waffe in der Faust, starrte der junge Mexikaner auf ihn nieder. Als er den Kopf hob, begegnete sein funkelnder Blick wieder den Augen der Frau.

Sie lehnte bleich am Zellengitter. Antonio versuchte ein dankbares Lächeln, aber es wurde nur eine Grimasse daraus.

„Flieh!“, keuchte Loreen. „Schnell, bevor ...“

Sie fuhr zusammen. Wellmanns harte Stimme kam vom Ende des Korridors.

„Hank? Loreen?“

Die Bohlentür bewegte sich. Die schattenhaften Umrisse des Ranchers zeichneten sich im hereinflutenden Sonnenlicht ab.

Antonio riss die erschrockene Frau zu sich heran und hielt ihr den erbeuteten Colt an die Schläfe.

„Keinen Fehler, Wellman, wenn du nicht willst, dass deine Verlobte noch vor mir stirbt!“

Der Schatten in der halb offenen Tür verschwand blitzschnell. Ein halblauter Fluch, hastige Tritte, dann nichts mehr.

Loreen wand sich in Antonios hartem Griff.

„Lass mich los! Mein Gott, du hast mich belogen! Du bist ja wirklich ein ...“

„Ich bin unschuldig!“, knirschte der junge Mexikaner. „Doch ich weiß, dass ich nur einen Trumpf habe, um lebend von dieser Ranch zu kommen: Sie!“

Er presste sie entschlossen an sich. Der kalte Stahl des 45ers berührte ihre Schläfe. Langsam schob Antonio die Frau vor sich her den Korridor entlang.

„Wellman, ich komm jetzt! Denk immer dran, dass jeder Schuss, der auf mich abgefeuert wird, deine zukünftige Frau töten wird!“

Keine Antwort, kein Laut.

Loreen hörte auf, sich zu wehren.

„Sei vernünftig! Damit stempelst du dich doch nur selbst zum Verbrecher! Gib mich frei und ich werde alles tun, um ...“

„Wellman würde nicht auf Sie hören. Er lässt mir keine andere Wahl. Los, weiter! Glauben Sie ja nicht, ich bluffe nur! Ich werde alles tun, um am Leben zu bleiben und meinen Vater zu rächen!“

Er war nicht mehr der hoffnungslos Verurteilte. Hass glitzerte in seinen Augen. Ein Hass, der ihn nicht nur die Furcht, sondern auch die Dankbarkeit vergessen ließ. Niemand war zu sehen. Auch dann nicht, als Lopez mit seiner Geisel auf der überdachten Ranchhausveranda stand.

Der weitflächige Hof lag im flimmernden Licht. Buschbewachsene Hügel umschlossen die Lehmziegelgebäude, Blockhütten, Korrals und das hohe, klapprige Gerüst des Windbrunnens. Über allem spannte sich der seidig blaue, wolkenlose Himmel des südlichen Texas.

Antonios funkelnder Blick tastete die Hüttenecken, Zäune, Brennholzstapel und abgestellten Wagen ab.

„Wellman, ich weiß, dass du hier bist! Ich warne dich! Spiel nicht mit dem Leben dieser Frau! Schick einen deiner Männer mit einem Pferd her! Ich geb deine Verlobte frei, wenn die Ranch hinter mir liegt. Hast du verstanden, Wellman?“

Stille. Ein leichter Luftzug trieb Staubwirbel über den Hof. Antonios Griff um Loreens Handgelenk verstärkte sich. Er schob die Frau bis an die Verandakante.

„Brent, tu, was er verlangt!“, rief Loreen mit halberstickter Stimme. „Er hasst dich! Er ist zum Äußersten entschlossen!“

Es dauerte eine Weile, bis Wellmans Antwort aus dem Schatten kam. „Okay, Lopez, gib Loreen frei, dann kannst du verschwinden!“ Auch jetzt war seine Stimme kalt, herrisch, keineswegs die Stimme eines in die Enge Getriebenen.

Der junge Mexikaner lachte hasserfüllt.

„O nein, Wellman, ich kenne dich! Ich weiß, dass ich so nicht weit kommen würde! Ich stelle die Bedingungen! Ich werde ...“

Reiter preschten in einer Staubwolke aus den Hügeln. Die Hufe dröhnten wie Indianertrommeln. Jemand schrie:

„Boss, sieh dir das an! Das sind Tom und dieser Satteltramp Shannon. Sie haben die Pferde bei sich und einen Gefangenen.“

*

Das Hämmern der Hufe verstummte zwischen den Korrals. Der Staub senkte sich. Kerzengerade saßen die Reiter in den Sätteln, bis auf Nesbit, dessen Hände vorn zusammengebunden waren. Sein unrasiertes Kinn ruhte auf der Brust. Baker legte eine Hand auf den Winchesterkolben, der aus dem staubigen Sattelfutteral ragte.

„Wellmans Verlobte“, raunte er Shannon zu.

Shannon blickte auf den Colt in Antonios Faust und hatte plötzlich das Gefühl, dass sie trotz allem zu spät gekommen waren. Seine Stimme klang rau, als er befahl:

„Lass die Frau los, Muchacho! Es ist alles vorbei. Wir haben die wirklichen Pferdediebe erwischt. Hier ist einer von ihnen, der deine Unschuld bestätigen wird.“

„Wellman wird nicht danach fragen! Er wird schon aus dem Grund versuchen, mich zu töten, um zu verhindern, dass ich eines Tages zurückkomme und mit ihm abrechne. — Ist es nicht so, Wellman?“ Er lachte rissig. Ein Lachen, das vergessen ließ, dass er noch ein halber Junge war, noch keine zwanzig. „Du hättest dir den Weg sparen können, Shannon! Versuch mir nicht einzureden, was ich zu tun habe, um am Leben zu bleiben. Ich weiß es selbst ganz genau.“

„Sei nicht verrückt, Amigo! Wenn du die Frau bedrohst, machst du dich zum Banditen!“

„Spielt das denn noch eine Rolle, wenn Wellmans Leute den Strick für mich so oder so bereithalten? Gib dir keine Mühe, Shannon. Und vor allem: bleib, wo du bist, sonst ...“

Ein Schatten löste sich aus der offenen Tür hinter ihm.

Wellman.

Er war lautlos durch ein Fenster ins Ranchhaus eingestiegen. Nun bewies der große, breitschultrige Rancher seine ganze Gefährlichkeit. Ein Sprung, ein Griff nach Antonios Schulter, ein knochenharter Schlag, und der junge Lopez wälzte sich auf den Verandabrettern. Mit einem wuchtigen Tritt prellte Wellman ihm die Waffe aus der Hand und richtete selbst den Revolver auf ihn.

Loreen taumelte mit einem leisen Aufschrei gegen einen Stützpfeiler.

„Brent, um Himmels willen, tu’s nicht!“

„Hör auf sie, Wellman, wenn du nicht willst, dass es dich selbst erwischt!“

Shannon hielt plötzlich ebenfalls den Colt in der Faust, die einzige Sprache, die ein Mann wie Brent Wellman wirklich verstand.

Shannon ritt über den heißen, staubigen Hof, ohne die Männer zu beachten, die ringsum mit Gewehren und Revolvern aus dem Schatten traten.

Baker folgte mit dem zusammengesunkenen Gefangenen.

„Brentl Lopez ist tatsächlich unschuldig! Es gibt nicht mehr den leisesten Zweifel daran.“

Wellmans Kopf ruckte herum. Sein hartliniges, sonst so eisern beherrschtes Gesicht verzerrte sich.

„Geht es denn darum überhaupt noch, Tom?“

„Wofür haben Shannon und ich sonst unsere Haut riskiert?“, versetzte Baker hart. Kein Wort davon, dass er gezwungen gewesen war, auf einen ehemaligen Sattelgefährten zu schießen. Sein schnurrbärtiges Gesicht war grau und kantig, sein Blick zwingend.

Widerwillig ließ Wellman die Waffe sinken. Im Nu war Antonio auf den Beinen. Hastig stellte der Rancher einen Fuß auf den am Boden liegenden Colt. Der junge Mexikaner lachte grell.

„Du hast allen Grund, um dein Leben zu bangen — Mörder!“

Das letzte Wort stieß er wild hervor. Loreen schlug die Hände vors Gesicht. Ihre Schultern zuckten. Die Knöchel an Wellmans Fäusten schimmerten weiß. Sein Blick suchte Shannon.

„Bist du nun zufrieden, Satteltramp?“, stieß er hasserfüllt hervor, so als sei Shannon schuld an allem. „Hast du mich nun da, wo du mich haben wolltest? Und jetzt? Wartest du darauf, dass Lopez’ Sohn mir bei passender Gelegenheit ’ne Kugel in den Schädel jagt?“

„Ich werde ihn daran hindern, so wie ich dich daran gehindert habe, auf ihn zu schießen. Antonio wird mit mir reiten.“

„Wohin?“

Shannon wies auf den Gefangenen. „Er wird mir helfen, Nesbit beim nächsten Sheriff abzuliefern. Ich werde dafür sorgen, dass von jetzt an das Gesetz den Weg auch in diese abgelegene Gegend findet.“

Sekundenlang blitzte Hass in Wellmans Augen. „Verrückt! Es sind fast hundert Meilen bis Del Rio, wo der nächste Sternträger sitzt. Das schaffst du nie.“

Shannon lächelte gefährlich. „Glaub nicht, du kannst mich aufhalten, Wellman. Du würdest es bestimmt bereuen.“

*

Wellman stürzte auch den zweiten Drink in einem Zug hinunter, ehe er sich heftig zu Baker umdrehte, der müde in einem Ledersessel ruhte.

„Hör auf, Löcher in die Luft zu starren. Tom! Damit änderst du auch nichts mehr daran, dass Pedro Lopez tot ist. Zum Teufel, ja, wir haben einen Fehler gemacht, aber das heißt noch lange nicht, dass Lopez eine reine Weste hatte. Ich bleibe dabei, dass er mit den Banditen unter einer Decke steckte, dass sie den Tipp mit meinen Gäulen von ihm hatten!“

Baker blickte ihn leer an. Sein schnurrbärtiges Gesicht wirkte um vieles älter als er tatsächlich war.

„Mach dir doch nicht selbst was vor, Brent.“

„Hölle und Verdammnis! Sieh mich doch an, Tom! Willst du behaupten, ich bin ein Mörder?“

„Nach dem Gesetz — ja.“

„Gesetz, Gesetz!“, schnaubte der Rancher zornig. „Wessen Gesetz denn? All die Jahre hindurch hat sich kein Sternträger in dieser Gegend blicken lassen. In dieser ganzen Zeit waren wir auf unser eigenes Gesetz angewiesen, und es hat uns genügt. Zum Teufel, glaubst du denn, die Sternträger in Del Rio, El Paso und wer weiß wo sonst haben noch nie ’nen Unschuldigen an den Galgen gebracht?“

„Darum geht es jetzt nicht ...“

„Richtig!“ Wellman atmete tief durch. Sein aufgewühltes Gesicht wurde wieder starr und kantig. „Es geht vielmehr darum, was passiert, wenn dieser verrückte Shannon mit Lopez’ Sohn und dem gefangenen Pferdedieb nach Del Rio durchkommt.“

Baker erhob sich langsam. „Brent, wir haben schon einen verhängnisvollen Fehler gemacht! Wir dürfen nicht ...“

„Willst du ein Aufgebot hierhaben?“, unterbrach ihn Wellman schneidend. „Willst du, dass wir in Handschellen nach Del Rio gebracht werden, so als wären wir die Schurken, die das Land zwischen dem Nueces und dem Rio Bravo mit Mord und Terror überziehen? Willst du das wirklich, Tom?“

Baker schluckte. Sein Gesicht war fahl.

„Was willst du, Brent?“

„Verhindern, dass Shannon uns einen Sternträger auf den Hals hetzt. Er darf mit dem gefangenen Halunken Del Rio nicht erreichen. Du wirst dafür sorgen. Du bist der Mann, dem ich vertraue, Tom, auf den ich mich verlasse wie auf sonst keinen.“

Der sehnige Vormann schüttelte den Kopf. „Nein, Brent, das ist keine Lösung. Damit verstricken wir uns nur tiefer in ...“

„Weißt du einen anderen Ausweg? Verdammt, Tom, niemand hat Shannon gebeten, sich in unsere Angelegenheiten einzumischen. Hätte er die Finger von der Sache gelassen! Dann ...“

„... wäre jetzt auch ein zweiter Unschuldiger tot“, unterbrach Baker ihn heiser. „Dann hättest du deine wertvollen Zuchtpferde nie zurückbekommen, und die wirklichen Täter würden eines Tages wiederkommen und zuschlagen. Ich bin Seite an Seite mit Shannon geritten, Brent. Ich weiß, der Mann ist in Ordnung.“

Wellman lachte wütend.

„So sehr in Ordnung, dass er drauf und dran ist, uns alle an den Galgen zu bringen oder zumindest für Jahre hinter Gitter! Könnte es etwas Schlimmeres für dich geben, Tom? Für einen Mann, der im Sattel zu Hause ist, der ohne seine Freiheit nicht leben kann? Glaub ja nicht, ich denk nur dran, meine eigene Haut zu retten, Es geht auch um dich, Ike Sheppard und Gil Taylor. Sie haben Frau und Kinder. Willst du, dass sie wie gewöhnliche Verbrecher abgeurteilt werden? Es wäre ihr Ruin!“

Baker fuhr sich mit dem Handrücken über die schweißnasse Stirn. „Es war kein vorsätzlicher Mord, Brent. Vielleicht wird der Richter ...“

„Ich lasse mich auf nichts ein! Ich werde es erst gar nicht so weit kommen lassen, dass wir vor einer Jury um Gnade betteln müssen! Das wäre ja noch schöner. Nein, Tom, kein Wort mehr! Vergiss nicht, wer hier der Boss ist! Verlier keine Zeit mehr. Nimm deine Winchester, lass dir ein frisches Pferd satteln und reite!“

„Du weißt nicht, was du von mir verlangst, Brent.“

Wellman trat mit angespannter Miene zu ihm und legte ihm schwer eine Hand auf die Schulter. „Etwas, was ich von niemand sonst verlangen würde. Und du weißt auch, warum, Tom.“

„Du musst mich nicht an das Versprechen erinnern, dass ich deinem Vater auf dem Sterbebett gegeben habe“, murmelte der Vormann heiser. „Ich werde es nie vergessen. Ebenso wie ich nie vergessen werde, dass mir dein Vater die Chance meines Lebens verschaffte, als ich schon mit dem Strick um den Hals unter dem Galgenbaum stand. Aber dein Vater hätte sicher nicht gewollt, dass ...“

„Ich weiß, was du sagen willst, Tom!“ Wellmans Stimme klirrte. „Du meinst, Dad war ein besserer Mann als ich jemals einer sein werde. Ein Mann, der keinen Unschuldigen gehängt hätte.“

„Er hätte nicht versucht, sich so aus der Schlinge zu ziehen, wie du es vorhast, Brent“, antwortete Baker schwer.

Wellman ballte die Fäuste. Für eine Sekunde erschien ein verschlagener Ausdruck in seinen Augen.

„Das ändert nichts an dem Eid, den du geleistet hast, Tom. Nichts an der Schuld, die du den Wellmans gegenüber abzutragen hast.“

„Alles hat seine Grenzen.“

Wellman lachte hart.

„Ich verlange ja nicht, dass du Shannon tötest. Ich will nur, dass weder er noch sonst jemand eine Aussage vor dem Sheriff in Del Rio macht, die uns belastet. Wie du das verhinderst, ist deine Sache. Du tust es auch nicht nur für mich, Sheppard und Taylor. Das Vermächtnis meines Vaters steht auf dem Spiel. Du weißt, wieviel ihm die Ranch bedeutet hat. Sein Lebenswerk, für das er sich im wahrsten Sinn des Wortes zu Tode geschuftet hat. Es würde verfallen, wenn wir ins Jail wandern. Es liegt an dir, dies zu verhindern. Nur an dir!“

Wellman wandte sich ab, ging zur Kommode an der mit Fellen, alten Waffen und einer Landkarte geschmückten Wand und goss sich einen neuen Drink ein. In der Stille war nur das Gluckern der Flüssigkeit zu hören.

Dann sagte Baker gepresst: „Ich tue, was du verlangst, Brent. Ich reite. Aber wenn ich zurückkomme, sind wir quitt für alle Zeiten.“

„Aber sicher“, lächelte der junge Rancher verkniffen, ohne sich umzudrehen. Er lauschte auf Bakers sporenklirrende Tritte, die das Wohnzimmer durchquerten. Die Tür klappte. Wellman lachte leise, trank das Glas wiederum mit einem Ruck leer und stellte es hart ab.

„Ruf ihn zurück, Brent!“, kam Loreens leise Stimme von der lautlos geöffneten Nebentür.

Einen Moment stand Wellman reglos, dann fuhr er so heftig herum, dass er das Glas von der Kommode wischte.

Die junge Frau stand bleich auf der Schwelle. Ihre weich geschwungenen Lippen zuckten. Eine Weile starrte Wellman sie schweigend an, ehe er mit heiserer, mühsam beherrschter Stimme fragte: „Hast du gelauscht?“

„Das war nicht nötig. Ihr habt laut genug gesprochen.“ Plötzlich musste sie gegen die Tränen kämpfen, die ihr in die Augen stiegen. Sie lief mit wippendem Kleidersaum auf Wellman zu und klammerte sich an ihn.

„Brent, du machst einen Fehler! Halte Baker zurück! Lass es nicht zu, dass ...“

Sein Mund war schmal und hart. Er fasste ihre Schultern und drückte sie von sich.

„Es sind Dinge, von denen du nichts verstehst. Geh auf dein Zimmer, Loreen! Vergiss, was du gehört hast!“

Es war ein Ton, in dem er noch nie mit ihr gesprochen hatte. Ihre blauen Augen forschten in seinem starren Gesicht.

„Brent!“, keuchte sie. „Stell mich nicht auf eine Stufe mit deinen Cowboys, die dafür bezahlt werden, dass sie deinen Befehlen gehorchen!“

„Schon gut. Es tut mir leid, Loreen. Ich wollte nicht ...“

„Was du vorhast, ist ein Verbrechen, Brent! Um Himmels willen, noch ist es Zeit, um alles ...“

Sie brach ab, lauschte mit angehaltenem Atem. Auf dem sonnenlichtüberfluteten Ranchhof trommelten Hufe los. Ein Reiter sprengte davon, westwärts, wohin Shannon mit Antonio und Nesbit geritten war.

Die junge Frau riss sich von Wellman los und wollte zur Tür. Mit einem Satz holte der Rancher sie ein.

„Sei vernünftig, Loreen! Tom kann dich nicht mehr hören.“

Seine Faust umspannte ihr Handgelenk. Sie atmete heftig: Ihre Wangen glühten. „Brent, wenn du mich liebst, wenn du willst, dass ich deine Frau werde, dann ...“

„Dann soll ich mich ins Jail stecken lassen? Dann soll ich, ohne einen Finger zu rühren, darauf warten, dass sie mich vielleicht zum Tode verurteilen? Meinst du das?“

Sie starrte ihn entsetzt an. Als er sie losließ, wich sie vor ihm zurück. Er knurrte: „Versuch mir nie vorzuschreiben. was ich zu tun habe, wie ich mich meiner Haut wehren soll! Du wirst es gut hier haben, wenn du dich danach richtest. Nichts wird dir fehlen. Ich werde alles für dich tun. Aber, vergiss nie, dass ich dieses Land regiere. IBM werde jeden vernichten, der mich daran zu hindern versucht.“

*

Nesbit stellte mit den gefesselten Händen den leeren Kaffeebecher auf die Erde und starrte über das niedrig züngelnde Feuer auf Shannon, der am Stamm einer Weißeiche lehnte und tief und gleichmäßig atmete. Der staubbedeckte Stetson war ihm über die Augen gerutscht. Die Winchester 66 lag neben ihm im verdorrten Gras.

Der junge Lopez war damit beschäftigt, den Pferden die Hafersäcke umzuhängen. Er kehrte dem gefangenen Desperado den Rücken zu. Ein lauerndes Funkeln erschien in Nesbits Augen. Sein gedunsenes, unrasiertes Gesicht spannte sich, als er sich vorsichtig erhob. Ein paar Schweißtropfen glitzerten in seinen Bartstoppeln. Nochmals ein Blick auf den unbewaffneten Mexikaner, dann ging alles blitzschnell.

Mit einem Panthersprung schnellte Nesbit über das Feuer, die gefesselten Hände vorgestreckt, um Shannons Kehle zu erwischen.

Nesbit prallte hart auf. Seine Hände stießen ins Leere. Von einem Moment zum anderen lehnte Shannon nicht mehr zusammengesunken am Baum, sondern kniete mit der Winchester in den flinken Fäusten zwei Schritte daneben. Sein Stetson lag im Gras. Ein spöttisches Lächeln huschte über sein schmales tiefgebräuntes Gesicht.

„Suchst du Ameisen, Nesbit? Oder hat dich ein Skorpion in den Hintern gezwickt?“

Er erhob sich geschmeidig. Keuchend sah der Bandit zu ihm auf. Langsam glättete sich sein wutverzerrtes Gesicht. Er setzte sich auf, schüttelte den Kopf.

„Ich versteh dich nicht, Shannon. Anfangs hab ich dich für ’nen verkappten Ranger gehalten, der einen Stern in seiner Jackentasche mit sich rumschleppt. Das würde ja noch einiges erklären. Aber so? Du bist entweder verrückt oder lebensmüde, wenn du mich für nichts und wieder nichts zum Sheriff nach Del Rio zu schleppen versuchst. Mann, was hast du denn bloß davon? Nicht mal ’ne Kopfprämie ist für mich ausgesetzt, die du dir verdienen könntest.“

„Hätte ich dich lieber bei Wellman lassen sollen?“, lächelte Shannon kühl.

„Zum Teufel, wer hindert dich daran, mich laufen zu lassen? Er vielleicht?“ Nesbit wies auf Antonio, der noch bei den Pferden stand. „Mit dem wirst du doch spielend fertig. Er hat nicht mal ein Schießeisen. Also, was willst du eigentlich?“

„Zum Beispiel verhindern, dass deinetwegen wieder Unschuldige sterben. Gib dir keine Mühe. Wenn du noch ’nen Schluck Kaffee willst, dann sag’s. Wir haben heute noch mindestens zehn Meilen vor uns.“

„Hör zu, Shannon! Du bist doch genauso ’n armer Hund wie ich und der Mex da. Dein Pferd, deine Waffen, das ist alles, was du besitzt. Wovon lebst du eigentlich, he?“

„Von diesem und jenem Job, manchmal von den Karten. Willst du mir etwa verraten, wie ich reich werden kann?“

„Ich kann dir zumindest zu ’nem einträglichen Job verhelfen.“

„Gestohlene Pferde über die Grenze treiben, wie?“

„Warum nicht? Jeff Santana zahlt nicht schlecht dafür. Und was noch wichtiger ist: Er ist in Wahrheit der große Boss im Land zwischen dem Nueces und dem Rio Bravo, nicht Wellman. Weiß der Teufel, warum er Wellman bisher geschont hat. Aber eines steht fest: Wellman kann ihm nichts anhaben Gegen Santana ist er nur ein lausiger Kuhhirte. Warum ich dir das alles erzähle?“ Nesbit beugte sich vor und grinste tückisch. Mit den zusammengebundenen Händen machte er eine umfassende Geste.

„Hier ist nicht mehr Wellmans Land. Hier ist Santanas Reich, und wenn dich schon nicht der Job bei ihm lockt, dann vielleicht wenigstens die Aussicht, am Leben zu bleiben, wenn du aufhörst, mich als deinen Gefangenen mitzuschleppen.“

Antonio kam von den Pferden herüber und blieb neben dem allmählich verlöschenden Feuer stehen. Seine schwarzen Augen richteten sich brennend auf den Pferdedieb. „Vielleicht lügst du. Vielleicht gehörst du gar nicht zu Santanas Leuten.“

Nesbit spuckte in die Glut, dass es zischte. „Halt dich da raus, Grünschnabel. Ich red nicht mit dir, sondern mit Shannon. Na, was ist, Hombre? Was hältst du von meinem Vorschlag?“

„Nichts.“ Shannon hielt das Gewehr lässig unterm Arm und schob eine Zigarette in den Mund. Bevor er sie anzünden konnte, spürte er, dass seine Colthalfter plötzlich leer war.

Antonio glitt katzenhaft von ihm weg. Der Hammer des 44ers knackte unter seinem Daumen. „Vielleicht solltest du nun doch lieber mit mir reden, Nesbit.“

Shannon bewegte sich nicht. Es spielte keine Rolle, wie gut oder schlecht Lopez’ Sohn mit einem Schießeisen umgehen konnte. Auf die knappe Distanz war ein Fehlschuss für den stümperhaftesten Anfänger unmöglich. Nesbits Blick zuckte von einem zum anderen. Ein gespanntes Grinsen tauchte in seinen Mundwinkeln auf.

Shannon mahnte ruhig: „Überleg dir gut, was du jetzt tust, Amigo. Es gibt Fehler, die nicht mehr gutzumachen sind.“

„Einen solchen Fehler hat Wellman begangen, als er meinen Vater hängen ließ!“, fauchte der junge Mexikaner. Seine Augen funkelten entschlossen. „Lass das Gewehr fallen, Shannon! Zwing mich nicht, auf dich zu schießen!“

Shannons Winchester klatschte zu Boden. Allein der Klang von Antonios Stimme verriet ihm, dass der Mexikaner ihm tatsächlich keine Chance lassen würde. Shannon war verwegen, doch nicht der Mann, der leichtfertig sein Leben aufs Spiel setzte.

„Was hast du vor?“

„Ich werde nicht mit dir nach Del Rio reiten. Mich interessiert nur noch eines: Rache an Wellman.“

Shannon drehte sich ihm vorsichtig voll zu. Sein Gesicht war eine unbewegte Maske wie immer, wenn es darum ging, seine aufgewühlten Gefühle zu verbergen. Er sah nicht zum erstenmal das Feuer der Besessenheit in den Augen eines Mannes und jenen verbissenen, fanatischen Zug um den Mund, der schon so manchen zum Verlorenen gestempelt hatte. Bitterkeit stieg in ihm auf.

„Du bist zu jung, um dein ganzes Leben schon mit Hass zu vergiften und zu zerstören“, sagte er heiser. „Überlass es dem Sheriff in Del Rio, mit Wellman abzurechnen.“

Antonio lachte hart auf. Nichts Jungenhaftes war mehr an ihm. „O nein, Shannon, ich werde nicht riskieren, dass Wellman mit ein paar lächerlichen Jahren hinter Gittern davonkommt oder gar von einer Jury Gleichgesinnter freigesprochen wird! Ich will, dass ihm keine Chance mehr bleibt, genausowenig wie meinem Vater.“

Shannons Kehle war trocken. Diese Stimme, dieses Funkeln in den Augen! War das wirklich noch Pedro Lopez’ verzweifelter junger Sohn, den er vor dem Lynchstrick gerettet hatte?

„Du verrennst dich in etwas, das du nicht ...“

„Gib dir keine Mühe, Shannon, Du stimmst mich nicht um. Ich weiß genau, was ich tue. Ich bin nicht so verrückt, allein auf Wellmans Land zurückzukehren und zu versuchen, ihn mit einem Schuss aus dem Hinterhalt zu erwischen. Santana wird mir helfen, mit Wellman auf meine Weise abzurechnen. Nesbit wird mich zu ihm bringen — als Preis für die Freiheit, nicht wahr, Nesbit?“

Vergeblich wartete Shannon darauf, dass Lopez den Kopf drehte. Alles, was er brauchte, war der Bruchteil einer Sekunde, ein Augenblick der Unachtsamkeit. Aber der junge Mexikaner ließ ihm keine Chance. Nesbit erhob sich hastig.

„Ich tue alles, was du willst, Muchacho! Nur sieh zu, dass ich endlich diese verdammten Armbänder loswerde!“ Er zerrte an den Fesseln. „Hol dir Shannons Messer. Er trägt es im rechten Stiefelschaft. Aber sei vorsichtig. Und du, Shannon, nimm die Hände hoch! Eine falsche Bewegung, und es knallt!“

Shannon gehorchte. Er riskierte auch nichts, als der gedrungene, stoppelbärtige Halunke das Feuer umrundete und grinsend auf ihn zukam. Unverwandt starrte ihn das schwarze Todesauge seines eigenen 44ers an.

„Hast du vergessen, dass Nesbit zu den Burschen gehört, an deren Stelle dein Vater sterben musste?“

„Im Gegenteil! Und deshalb wird Nesbit auch tun, was ich will. Seine Schuld ist beglichen, wenn er mich zu Santana bringt.“

„Gut und schön, aber wie kommst du darauf, dass Santana dir helfen wird, wo er doch bisher sorgfältig vermieden hat, Wellman in die Quere zu kommen? Ausgerechnet der große Santana, den man hier den König der Pferdediebe nennt?“

Antonio lächelte seltsam. „Das ist mein Problem, Shannon. Es geht dich nichts an. Es ist besser, du ...“

In dem Moment, als Nesbit sich bückte und nach Shannons Bowiemesser fischte, ließ sich der große, geschmeidige Mann fallen. Ein blitzschneller Stoß mit beiden Füßen schleuderte den Pferdedieb gegen Antonio. Beide stürzten. Der Schuss des jungen Mexikaners fetzte wirkungslos in die Kreosotsträucher. Shannon verlor keine Zeit damit aufzuspringen. Er wirbelte herum und packte seine am Boden liegende Winchester.

Antonio hatte den Colt verloren. Seine nach der Waffe ausgestreckte Hand erstarrte. Der Grund dafür war jedoch nicht Shannons hochzuckendes Gewehr.

Gebannt starrte Antonio auf die Büsche hinter dem Satteltramp. Im ersten Moment glaubte Shannon an einen uralten Trick. Dann hörte er das Rascheln der Zweige und das Schnauben eines Pferdes.

„Lass fallen, Shannon!“

Eine harte, entschlossene Stimme. Vorsichtig wandte der große Mann den Kopf.

Tom Bakers Winchester war auf ihn gerichtet. Der sehnige Vormann saß wie eine Statue auf seinem ebenfalls bewegungslosen Pferd.

„Ich bluffe nicht, Shannon. Ich werde schießen.“

Im Bruchteil einer Sekunde war Shannon alles klar. Es war, als schnürte sich ein Panzer um seine Brust. Er versuchte ein Grinsen, versuchte, Zeit zu gewinnen.

„Hallo, Baker, jetzt sag bloß noch, du bist hier, um Nesbit ’rauszu hauen!“

„Du weißt, warum ich hier bin, Shannon. Machen wir uns nicht gegenseitig was vor.“

Jähe Müdigkeit durchströmte Shannon. Er stand auf. Das Gewehr in seinen Händen war schwer wie Blei.

„Wellman schickt dich, um zu verhindern, dass ich den Sheriff in Del Rio aufsuche. Warum gerade dich, Baker?“

Kein Muskel zuckte in dem schnurrbärtigen Gesicht über dem in der Sonne glänzenden Winchesterlauf.

„Weil ich der einzige Mann bin. der Wellman so sehr verpflichtet ist, dass er für ihn töten wird. Lass es lieber nicht drauf ankommen, Shannon. Gib mir dein Wort, dass du nicht nach Del Rio reitest, dann ist alles in Ordnung.“

„Und was geschieht mit Lopez und Nesbit?“

„Ich bring sie zur Ranch zurück.“ Shannon schüttelte bitter den Kopf. Warum nur musste er immer wieder in so eine Klemme geraten?

Seine Stimme klang fremd und heiser. „Du weißt, dass ich das nicht zulassen werde, Baker.“

„Dann musst du kämpfen. Aber ich werde schneller sein. Ich werde dich erwischen.“

„Ist Wellman das wert?“

„Brent nicht, aber sein Vater, dem ich am Sterbebett versprochen habe, Brent und die Ranch nicht im Stich zu lassen. Ich werde ...“

Wade Nesbit war mit einem Satz bei dem Colt, den Antonio verloren hatte. Seine gefesselten Hände schnappten zu, stießen die Waffe hoch, und im nächsten Moment versank alles im Donnern des Schusses. Die Kugel traf Baker in die Brust. Aber in einer Reflexbewegung krümmte sich sein Finger noch am Abzug.

Shannon war herumgewirbelt, um auf den Verbrecher zu feuern. Da erhielt er einen Schlag über dem linken Ohr, der ihn auf die Knie zwang. Fr hatte nicht mehr die Kraft, das Gewehr zu halten. Es wurde schwarz vor seinen Aupen. Bewusstlos rollte er ins verdorrte Gras.

In einer Sekunde war alles vorbei. Pulverdampf wehte über den Lagerplatz. Bakers Cowboypferd preschte mit schlingernden Steigbügeln davon. Der Vormann lag reglos am Rand der Sträucher. Nesbit, der sich geduckt aufrichtete, warf nur einen kurzen Blick auf ihn. Dann lief er,zu den schnaubenden Gäulen.

„He, Lopez, worauf wartest du noch? Wolltest du nicht zu Santana?“

Mit steifen Schritten ging Antonio zu Shannon und beugte sich über ihn. Der unverwüstliche Satteltramp hatte wieder mal eine tüchtige Portion Glück im Unglück gehabt. Bakers unbeabsichtigter Schuss hatte ihn nur gestreift. Antonio rief:

„Wir können ihn nicht so liegenlassen. Wer weiß, ob Baker wirklich allein ist. Vielleicht hat Wellman ein paar von seinen Cowboys hinter ihm hergeschickt. Sie werden Shannon hängen, wenn sie ihn erwischen.“

„Na und?“, lachte Nesbit roh. „Hat er nicht alles getan, um dir ’nen Strich durch die Rechnung zu machen?“

Antonio starrte den Halunken kalt an. „Er hat auch alles getan, um mich vor dem Strick zu bewahren. Ich lasse so oder so keine Rechnung unbeglichen. Komm her und fass mit an. Wir nehmen ihn mit zu Santana.“

*

Jeff Santana sah genauso aus, wie Shannon sich den berüchtigten „König der Pferdediebe“ vorgestellt hatte. Ein großer, katzenhaft geschmeidiger Mann, dessen dunkelbraunes Gesicht mit den hervortretenden Backenknochen deutlich die indianisch-mexikanische Abstammung verriet. Ein rotes Stirnband hielt das schulterlange, rabenschwarze Haar. Ansonsten war Santana wie ein Cowboy gekleidet, nur mit dem Unterschied, dass zwei schwere, langläufige 45er Colts in tiefgeschnallten Halftern auf seinen Oberschenkeln baumelten. Colts mit abgegriffenen rotbraunen Kolben. Die Stahlläufe ragten jeweils einen Zoll unten aus dem eingefetteten Leder.

Lautlos betrat der Mestize das Zelt, in dem Antonio, Nesbit und Shannon untergebraoht waren. Sterne blinkten durch die zurückgeschlagene Zeltkappe. Aus den Sümpfen und der Buschwildnis, die das einsame Camp umschlossen, kam das vielstimmige Quaken von Fröschen und Zirpen von Zikaden. Santanas scharfer Blick glitt über die von einer Petroleumlampe angeleuchteten Gesichter.

Shannon, der an einen Zeltpfosten gefesselt war, rührte sich nicht. Die anderen sprangen auf.

„Jeff!“, rief der iunge Lopez mit freudiger Stimme.

Ein kurzes Leuchten in Santanas Augen, eine Bewegung, als wollte er auf Antonio zutreten und ihn umarmen. Dann erstarrte seine dunkle Miene zur Maske. Der harte Klang seiner Stimme bannte den jungen Mexikaner an den Fleck.

„Warum hast du ihn hergebracht, Nesbit? Hast du vergessen, dass ich unseren Schlupfwinkel für jeden Fremden verboten habe?“

„Ich habe Nesbit keine andere Wahl gelassen“, rief Antonio hastig. „Jeff, ich bin doch kein Fremder. Du warst viele Jahre lang wie ein älterer Bruder für mich.“

„Ein Grund mehr zu verhindern, dass du dich in so einer Umgebung bewegst.“ Santanas Stimme wurde weicher, als er zu dem viel jüngeren Mann trat und ihm eine Hand auf die Schulter legte. „Ja, wir waren wie Brüder, als ich niemand sonst hatte als deinen Vater und dich. Aber du hättest es vergessen sollen, Amigo. Dann jetzt bin ich Santana, der König der Pferdediebe, und jeder, der mein Freund und Bruder ist, wird zum Gejagten wie ich selber. Das will ich nicht, Antonio. Was aus mir geworden ist, ist meine eigene Schuld. Aber ich will nicht, dass dein Steckbrief ebenfalls eines Tages in allen texanischen Sheriffbüros aushängt. Du hättest wirklich nicht kommen sollen, mein Junge.“

Antonio starrte ihn schweratmend an. Mit beiden Händen ergriff er Santanas Rechte. „Ich bin hier, weil ich deine Hilfe brauche, Jeff.“

Einen Moment glich der Mischling einer Statue. Dann schüttelte er den Kopf. „Die Hilfe eines steckbrieflich gesuchten Pferdediebs? Was ist passiert? Brauchst du Geld?“

„Ich brauche Colts und Gewehre und Männer, die damit umgehen können!“, stieß Antonio heftig hervor.

„Sagen Sie nein, Santana!“, rief Shannon beschwörend. „Schicken Sie ihn fort! Lassen Sie sich in nichts hineinziehen!“

Stirnrunzelnd blickte der Anführer der Pferdediebe ihn an. „Wer ist der Mann, Antonio? Warum ist er gefesselt?“

„Er hat mir das Leben gerettet, aber seither will er alles tun, um meine Pläne zu verhindern. Er heißt Shannon.“

„Welche Pläne, Antonio?“

„Ich brauche deine Hilfe gegen Brent Wellman, Jeff!“, keuchte der junge Mexikaner. „Seine Leute sind hinter mir her. Sie wollen mich hängen, weil sie mich für einen Pferdedieb hielten, der deiner Bande zusammenarbeitet. Ich hasse Wellman, wie ich noch nie jemand gehasst habe, Jeff! Ich will ihn vernichten!“

Santana riss sich von ihm los, trat einen Schritt zurück. „Schlag dir das aus dem Kopf! Ich werde keine Hand gegen Wellman und seine Ranch rühren!“

„Auch nicht, wenn du erfährst, dass Wellman und seine Nachbarn meinen Vater lynchten?“

Antonio beugte sich mit wild funkelnden Augen vor.

Der Bandenführer wirkte einen Moment wie benommen.

„Nein! Sag, dass es nicht wahr ist!“

„Frag Shannon! Er kam gerade noch zurecht, um zu verhindern, dass diese Teufel auch mich aufknüpften! Sie haben meinen Vater ermordet, obwohl er nichts anderes im Sinn hatte, als ein paar von Wellmans Gäulen, die wir in der Nähe unseres Rancho fanden, zurückzubringen. Jeff, mein Vater hat dich wie einen Sohn behandelt, als du so jung warst wie ich und keine Heimat mehr hattest. Er hat alles für dich getan. Du weißt, dass er niemals ein fremdes Pferd angerührt hätte.“

„Ich weiß“, murmelte Santana gepresst. „Und ich werde nie vergessen, was Pedro Lopez für mich getan hat.“

„Dann beweis es jetzt! Dann hilf mir, Rache an seinen Mördern zu nehmen! Wellman ist an allem schuld. Hilf mir, mit ihm abzurechnen.“

Santana kämpfte mit sich. Eine dünne Schweißsohicht überzog seine Stirn.

„Chico, du weißt nicht, was du von mir verlangst!“

Lopez’ Sohn starrte ihn ungläubig an. „Was jeder Sohn für seinen Vater tun würde! Dios mios! Man sagt, du bist der wahre Beherrscher dieses Landes. Hast du Angst vor Wellman?“

Santana bekam schmale, gefährlich glitzernde Augen. „Jedem anderen, der mich das fragen würde, würde ich damit antworten!“ Er klopfte auf seine beiden Colts.

„Warum denn, Jeff? Warum?“

Der Mestize atmete tief durch. „Es ist meine Sache. Ich habe nie darüber gesprochen, weil ich niemand Rechenschaft schulde. Auch dir nicht, Chico.“

Er wollte das Zelt verlassen. Antonio holte ihn ein und hielt ihn am Arm fest.

„Wenn mein Vater an meiner Stelle hier stünde, würdest du auch ihn fortschicken?“

Santana war gewiss nicht gewohnt, dass man ihn so bedrängte. Das verriet das drohende Auf blitzen seiner dunklen Augen. Gleich darauf war sein Blick völlig ausdruckslos. Er sagte kehlig:

„Es gibt noch einen Mann, dem ich außer deinem Vater viel verdanke. Er hat mir einmal das Leben gerettet und sein eigenes dabei riskiert. Damals, nachdem ich euren Rancho verließ, war ich lange Zeit mit ihm zusammen. Wir sind viele Jahre hindurch Bügel an Bügel geritten, bevor er die eine und ich die andere Seite des Zaunes wählte. Seinetwegen hab ich Wellmans Ranch bisher verschont und jeden Ärger mit Wellman. der sich für den großen Boss zwischen dem Nueces und dem Rio Bravo hält, vermieden. Denn wenn ich gegen Wellman kämpfe, müsste ich auch gegen diesen Hombre kämpfen, der einmal mein bester und einziger Freund war.“

„Wer?“

„Tom Baker.“ Santanas Blick war abwesend, seine Stimme angeraut. „Ich weiß, wie tief er sich Wellman verpflichtet fühlt, seit dessen Vater ihn damals vor dem Galgen bewahrt hat. So sehr verpflichtet, dass er sich auch gegen mich stellen würde. Aber es gibt nichts und niemand, was mich dazu bringen könnte, eine Kugel auf ihn abzufeuern.“

„Das wird auch nicht nötig sein, wenn du mit mir gegen Wellman reitest. Baker ist tot.“

Wie der Blitz schossen Santanas Hände hoch, krallten sich in Antonios Hemd.

„Du lügst!“, schrie er.

„Es ist die Wahrheit, Jeff! Frag Nesbit. Er hat ihn erschossen.“

Santanas Hände sanken herab. Sein maskenhaftes, von der Petroleumlampe angestrahltes Gesicht wirkte unheimlich, als er sich langsam dem gedrungenen Verbrecher zudrehte. Nesbit zog den Kopf ein. wich an die Zeltwand zurück.

„Santana, ich schwör dir, ich hatte keine Wahl!“, keuchte er. „Baker war hinter uns her, um uns zu Wellman zurückzubringen, und dort hätte der Strick auf uns gewartet! Ich musste auf ihn schießen! Lopez, verdammt noch mal, sag’s ihm doch! Sag’s ihm!“

Santanas schlanke braune Hände lagen an den Kolben der tiefgeschnallten 45er Colts. Ein harter Zug spannte seinen schmalen Mund. Er schien gar nicht zu hören, was Nesbit sagte.

„Tom war mein bester Freund. Ich habe nie einen Zweifel daran gelassen, was mit dem passieren würde, der auch nur eine Kugel auf irgendeinen von Wellmans Reitern abfeuern würde. Nun gut, Nesbit, wenn du eine Chance willst, dann wehr dich! Dann versuch, schneller zu sein als ich.“

„Nein, Santana! Um Himmels willen, ich weiß, dass ich nicht ..."

Antonio sprang dazwischen. „Er hat recht, Jeff. Es blieb ihm keine andere Wahl. Baker handelte auf Wellmans Befehl. Ein Grund mehr, Wellman nicht davonkommen zu lassen.“

Er konnte nur mehr an seine Vergeltung denken. Es war wie ein Fieber, das in ihm wütete und ihn langsam, aber sicher auszehrte, innerlich verbrannte.

Shannon fühlte sich hilflos und verloren. nicht nur wegen der Stricke, mit denen er an die Zeltpfosten gebunden war.

Santana entspannte sich zögernd.

„Verschwinde, Nesbit! Ich geb dir zehn Minuten, das Camp zu verlassen! Lass dich hier nie wieder blicken. Und merk dir eines: Wenn wir uns jemals wieder begegnen, dann verlier keine Zeit mit Worten. Dann zieh und schieß. Denn dann werde ich alles tun, dich zu töten.“

„Aber, Boss, ich ...“

„Es ist alles gesagt. Zehn Minuten. Die Zeit läuft. Wenn ich dich danach noch im Camp treffe, knall ich dich nieder wie einen tollen Hund!“

Nesbit stürzte mit verzerrter Miene an ihm vorbei aus dem Zelt. Santana trat zu der an einer rostigen Kette hängenden Lampe und drehte den Docht höher.

„Nun gut, Chico, ich werde tun, was du willst. Ich werde dir helfen, deinen Vater zu rächen. Aber dieser Mann da“, er wies auf Shannon, „darf das Camp nie mehr lebend verlassen, sonst sind wir in Zukunft in unserem Schlupfwinkel nicht mehr sicher.“

*

Der Reiter tauchte wie ein Spuk in den Hitzeschleiern über dem ausgetrockneten Flussbett auf. Die niedrigen, mit Erdschollen gedeckten Lehmziegelgebäude von Ike Sheppards kleiner Ranch lagen friedlich vor ihm.

Rauch kräuselte aus dem Blechschornstein, der mit einem Drahtseil an den vorspringenden Dachsparren festgebunden war. In einem Bretterverschlag gackerten Hühner.

Der bullige Rancher lehnte mit aufgestützten Unterarmen, eine Pfeife im Mund, am Korral und beobachtete zufrieden die Pferde, denen er ein paar Ballen Heu vorgeworfen hatte. Auf der anderen Seite des Hofes kam das laute Klappern von Geschirr aus der offenen, dämmerigen Haustür. So hörte Sheppard das dumpfe Schaufeln der Hufe erst, als der Reiter schon fast den Rand des Hofes erreicht hatte.

Ahnungslos drehte der Rancher sich um, nahm die Pfeife aus dem Mund und legte die andere Hand zum Schutz gegen die grelle Sonne über die Augen. Sein fleischiges Gesicht verfärbte sich. Die Pfeife fiel in den heißen Staub.

„Lopez!“, entfuhr es ihm.

Der junge schlanke Reiter zügelte sein Pferd. Er hatte nicht mehr viel mit dem ärmlich gekleideten, von Panik erfüllten Jungen gemeinsam, dessen Vater die Rancher vor ein paar Tagen gelyncht hatten. Er trug einen schwarzen, mit Silberstickereien verzierten, knapp sitzenden Charro-Anzug, dazu ein weißes Hemd und hochhackige Stiefel mit Silbersporen. Um seine Hüften schlang sich ein rotbrauner Gurt mit einem Colt in einer tiefhängenden Halfter. Antonios rechte Hand ruhte lässig auf dem Kolben. Ein kaltes Lächeln spannte sein schmales Gesicht.

„Du hast wohl gedacht, Sheppard, Wellman würde schon dafür sorgen, dass du mich nie mehr zu Gesicht bekommst, wie?“

Sheppard duckte sich. Seine schwielige, von Lassonarben bedeckte Hand tastete nach der Waffe an seiner Hüfte.

„Was willst du, Lopez?“

Das Lächeln des jungen Mexikaners wurde noch kälter.

„Kannst du dir das denn nicht denken?“

Sheppards Blick zuckte zum Haus hinüber. Seine Brust hob und senkte sich. Im nächsten Moment warf er sich zur Seite und versuchte, den klobigen alten Patersoncolt aus dem Leder zu bekommen. Wie die meisten Männer der Weide, für die der Revolver nur ein notwendiges Werkzeug war, trug er die Waffe viel zu hoch.

Sheppard hatte den Sechsschüsser erst halb aus der Halfter, da hielt Antonio seinen Colt schon in der Faust. Er war. fast so schnell wie ein berufsmäßiger Revolverschwinger. Das Resultat verbissenen, stundenlangen Übens. Doch die Kugel, die den bulligen Rancher traf, kam nicht aus seiner Waffe.

Der peitschende Schuss zerfetzte die schläfrige heiße Stille. Sheppard fiel gegen die Korralstangen, versuchte sich festzuhalten, sank jedoch nieder. Erschreckt flohen die Gäule in die entfernteste Ecke der Umzäunung. Eine Frauenstimme schrie im Haus.

In den Sträuchern ringsum raschelte und knackte es. Stampfende Hufe trieben Staubfahnen in die Höhe. Sheppards Sohn, genauso schwergewichtig wie sein Vater, stürzte mit einer alten Flinte in den Fäusten aus dem dunklen Scheunentor. Er war barfuß, nur mit einer zerschlissenen Hose und einem roten Unterhemd bekleidet. Einen Moment war er starr vor Schreck, als er die zwischen den Sträuchern auftauchenden Reiter und die reglose Gestalt seines Vaters beim Korralzaun sah. Dann schwang er mit einem heiseren Schrei die Flinte hoch.

„Ben!“, gellte die entsetzte Stimme seiner Mutter bei der Haustür.

Antonio richtete mit verkniffener Miene seinen Colt auf Sheppards Sohn. Da raste ein großer, geschmeidig im Sattel sitzender Reiter von hinten auf Ben zu.

„Nicht schießen, Antonio! Denk an unseren Plan!“

Der Mexikaner zögerte, behielt den Finger am Abzug. Ein wildes Feuer loderte in seinen Augen. Der bullige Rancherssohn kam gerade noch dazu, sich herumzuwerfen, da war das hochbeinige pechschwarze Pferd schon auf gleicher Höhe mit ihm. Ein Tritt prellte ihm die Flinte aus den Fäusten. Der Lauf eines 45er Colts sauste auf ihn herab und schleuderte ihn wie ein großes Stoffbündel in den Staub. Gleich darauf zügelte Santana seinen Rappen neben Antonio.

Staub brodelte ringsum. Metall blinkte. Raue Stimmen schwirrten durcheinander.

Santana reckte sich im Sattel.

„Öffnet das Gatter! Treibt die Pferde mit!“

Antonio wies finster auf Sheppard, der sich stöhnend herumwälzte. Seine rechte Schulter war blutverschmiert.

„Warum hast du ihn nicht mir überlassen, Jeff?“

Einen Moment bohrte sich Santanas durchdringender Blick in seine Augen. „Weil du ihn sonst getötet hättest!“

Antonio wollte etwas sagen, aber Santanas energische Handbewegung hinderte ihn daran.

„Ich hab dir meine Hilfe zugesagt, weil du wie ein junger Bruder von mir bist. Aber das ist auch der Grund, warum ich nicht will, dass du zum Mörder wirst. Ich bin der König der Pferdediebe, aber ich bin kein Killer. Sheppard ist nicht wichtig. Er und Taylor sind lediglich Wellmans Vasallen, auch wenn sie es nicht wahrhaben wollen. Nur Wellman zählt.“

Widerwillig halfterte Lopez die Waffe, während Santanas Reiter schreiend und lassoschwingend die Pferde aus dem Korral jagten. Sheppards Frau taumelte mit entsetzt aufgerissenen Augen über den Hof. Ihre weiße Schürze flatterte.

„Mörder! Verfluchte Mörder!“

Der gellende Schrei ließ Antonio zusammenzucken. Er machte eine Bewegung, als wollte er sich die Ohren zuhalten. Eine Bewegung, die Santanas scharfen Augen nicht entging.

Schluchzend warf sich die Ranchersfrau bei ihrem Sohn auf die Knie. Als sie merkte, dass er nur bewusstlos war, raffte sie sich auf und lief schwankend zu ihrem verwundeten Mann. Antonio presste die Lippen zusammen und wendete mit hartem Zügelruck sein Pferd. Santana legte ihm schnell eine Hand auf die Schulter.

„Noch ist es Zeit, alles beim alten zu lassen und in die Sümpfe am Nueces zurückzukehren. Überleg es dir gut, Chico. Willst du wirklich weitermachen?“

Antonio schüttelte die aufkeimenden Zweifel ab. Er starrte Santana wild an.

„Was sonst?“

*

Hinter der Zeltplane war es so stickig heiß, dass Shannon der Schweiß in Bächen über den Körper lief. Kein Laut sickerte herein. Das Camp, das wie eine Insel inmitten des Sumpfdickichts am südlichen Nueces-Ufer lag, schien ausgestorben.

Shannon hatte Stunden gebraucht, um die Stricke soweit zu lockern, dass er die nach hinten gefesselten Hände an dem Zeltpfosten auf und ab schieben konnte. Stunden, in denen sich Antonio, Santana und dessen wilde Reiter viele Meilen von diesem Schlupfwinkel entfernt hatten. Der Gedanke daran spornte Shannon an. Seine Muskeln schmerzten. Seine Handgelenke waren wundgescheuert. Doch er biss die Zähne zusammen und gab nicht auf.

Er musste hier weg!

Er war der Einzige, der wusste, was der junge Lopez in seinem Hass vorhatte. Er musste ihn daran hindern, notfalls mit Gewalt, auch wenn Wellman ein Bursche war, der diesen Einsatz nicht verdiente. Shannon war verzweifelt. Nicht, weil er darüber nachdachte, was mit ihm geschehen musste, wenn Santanas Horde von ihrem Rachefeldzug zurückkam. Aber er hatte den jungen Mexikaner nicht vor dem Lynchstrick bewahrt, damit Antonio zum besseren Killer wurde, der eines Tages dann zu Recht selbst am Galgen enden würde.

Shannon gönnte sich nur ein paar Sekunden, um zu Atem zu kommen. Das durchschwitzte Hemd klebte ihm auf der Haut. Sein Blick heftete sich auf die an der Eisenkette baumelnde Petroleumlampe. Ein Glück, dass seine Füße nicht auch noch an den Zeltpfosten .gefesselt waren. So gab es vielleicht noch eine Chance. Vielleicht.

Ein letztes tiefes Luftholen, dann riss Shannon seinen rechten Fuß so weit wie nur möglich in die Höhe. Er verfehlte die Lampe um zwei Handbreit. Er versuchte es wieder und wieder, doch alles sah danach aus, als sei diese verflixte Lampe ganz einfach zu weit entfernt. Shannon machte eine Pause, sammelte neue Kraft, versuchte sich zu konzentrieren. Er wäre nicht Shannon gewesen, wenn er in Trübsinn verfallen wäre. Sein zäher Wille, niemals aufzugeben, war schon oft der einzige Trumpf gewesen, der ihm aus einer schlimmen Patsche geholfen hatte.

Beim nächstenmal schaffte er es auf Anhieb. Die Lampe zerplatzte in einem Scherbenregen. Shannon grinste verzerrt.

„Na also!“

Aber es war erst der Anfang. Er lauschte. Keine Tritte, keine Stimmen. Nur seine eigenen heftigen Atemzüge füllten das backofenheiße Zelt. Mit der Fußspitze schob er ein Stück scharfkantiges Glas dicht an den Zeltpfosten heran. Dann ließ er sich an der Stange niedersinken, bis seine rückwärts gefesselten Hände den Zeltboden berührten. Seine Finger waren nicht nur flink und geschickt, wenn es um den Colt oder die Pokerkarten ging. Sie schnappten das gezackte Glasstück, und nun begann die eigentliche mühsame Arbeit. Mit dem Scherben begann Shannon an seinen Fesseln zu sägen.

Die Stricke waren geradezu teuflisch dick, und Shannon hatte manchmal.das Gefühl, dass er auch noch hierhocken und im Schweiße seines Angesichts sägen würde, wenn Antonio und Santana zurückkehrten. Aber Jahre in der Wildnis, von tausend Gefahren und Abenteuern umgeben, hatten Shannon eine weitere wertvolle Eigenschaft gelehrt, um am Leben zu bleiben: Geduld. Er ließ sich zu keinen Flüchen, zu keinen überstürzten Bewegungen hinreißen mit dem Erfolg, dass er nach einer Stunde frei war.

Er erhob sich, streifte die Enden der Fesseln von den schmerzenden Handgelenken und durchsuchte das Zelt nach Waffen. Das einzig Lohnenswerte, was er fand, war eine halbvolle Brandyflasche, aus der er sich ein, zwei Schluck genehmigte. Dann spähte er vorsichtig aus dem Spalt in der Zeltklappe.

Niemand war zu sehen. Ein Dutzend, von Sonnenglut und Regengüssen gebleichte Zelte und windschiefe Zweighütten, ein Korral mit ein paar struppigen Pferden, die Asche eines Kochfeuers unter einer mächtigen alten Lebenseiche, das war das ganze Camp. Ringsum eine grau-grüne verfilzte Buschmauer, in der ein paar enge, dämmerige Pfade klafften.

Pfade wohin?

Meilenweit dehnte sich nach allen Seiten die Sumpfwildnis mit einem schier undurchdringlichen Dickicht aus Kreosots, Cottonwoods, Comas, Stecheichen, Mesquites, Dornbüschen. Dazwischen gab es Ansammlungen vulkanischer Felsen, trügerische Treibsandflächen, morastige Wasserläufe. Hier war das Reich der Klapperschlangen, Skorpione, Wildschweine und Wölfe. Kein Land, in dem sich ein Mann der freien Prärie wohlfühlen konnte, es sei denn, er kannte hier jeden Weg und Steg und hatte Grund, sich zu verbergen. Alles, was Shannon wusste, war, dass er nach Süden musste, dorthin wo Wellmans Ranch lag.

Er stärkte sich mit einem weiteren Schluck aus der Brandyflasche, ehe er aus dem Zelt trat. Prompt durchbrach das metallische Klirren eines Gewehrschlosses die hitzegesättigte Stille. Shannon war nicht überracht. Er wäre es gewesen, wenn Santana das Camp ohne einen Wachtposten gelassen hätte.

„Mach keinen Blödsinn, Junge!“, rief er mit verstellter, scheinbar alkoholschwerer Stimme. Er schwenkte die Brandyflasche an den Mund, trank mit zurückgelegtem Kopf und tat so, als hätte er Mühe, sich auf den Beinen zu halten.

„Will doch nur n’ bisschen frische Luft schnappen, Amigo! Fang da drinnen ja sonst zu schmoren an, verdammt noch mal! He, zum Teufel, wo steckst du eigentlich, Muchacho?“

Er starrte, immer noch schwankend, angestrengt umher, als hätte er den Gewehrlauf, der ein wenig hinter einer Hüttenecke hervorragte, nicht längst entdeckt. Aber das heisere Lachen, das er nun hörte, kam aus einer anderen Richtung.

„Nun sieh dir den Kerl an, Greg! Weiß der Henker, wie er es geschafft hat, die Stricke loszuwerden, aber er hat sich nicht die Gelegenheit entgehen lassen, diese Tatsache tüchtig zu feiern. Ein verrückter Hund!“

„He! Du meinst doch nicht etwa mich, Amigo?“, lallte Shannon beleidigt und bewegte sich auf wackligen Beinen vom Zelt weg.

Ein grinsender bärtiger Kerl mit einem Revolver in der Faust trat aus dem Schatten.

„Nun pass auf die Flasche auf! Du verschüttest ja gleich alles. Heb mir auch noch was auf, Kamerad.“

„Sei vorsichtig, Matt“, warnte der mit dem Gewehr, der zögernd hinter der Hütte hervorkam. „Der Boss hat uns vor ihm gewarnt und uns eingeschärft, gut auf ihn aufzupassen.“

„Dabei sind wir ja gerade“, grinste der Bärtige. Er kam schwergewichtig näher. Sein Revolver zielte auf Shannons Bauch. Shannon stierte ihn glasig an und drückte die Brandyflasche an sich, als sei sie jetzt alles, um was es ging. Der Bandit streckte die freie Hand aus.

„Sei friedlich, Compadre. Gib her!“

Shannon warf ihm die Flasche zu und sauste gleich selber mit einem Tigersprung hinterher. Das kam so überraschend und schnell, dass dem Pferdedieb keine Zeit mehr blieb, Shannons Faust auszuweichen. Der Schmetterhieb warf ihn ins Gras. Shannon landete neben ihm. während Gregs Gewehrschuss wie ein Peitschenschlag über ihn wegging, entriss er dem Bärtigen den Revolver.

Damit war schon alles entschieden. Greg brachte nur diesen einen Schuss aus dem Rohr, dann krachte Shannons Waffe. Das Gewehr wirbelte davon. Der Bandit rutschte ächzend an der Hüttenwand nieder. Geschmeidig sprang Shannon auf und richtete die Waffe auf den bärtigen Matt.

„Hol mein Pferd aus dem Korral!“

Der Kerl kniete im Gras und starrte lauernd zu ihm hoch. „Ich wette, du wirst nicht weit kommen, Shannon. Es gibt zwar viel Pfade rings um das Camp, aber nur einen, der auch wirklich aus diesen verteufelten Sümpfen rausführt.

Shannon lächelte schmal. „Dann wette ich, dass du ihn mir zeigen wirst.“

*

Zur selben Zeit erreichte Ben Sheppard auf schäumendem Pferd Wellmans Ranch.

Die Veranda des Haupthauses war mit Blumengirlanden geschmückt, und ein ebenfalls von Girlanden umrankter Altar war im Schatten unter einer breitkronigen Sykomore aufgebaut worden. Auf seinen Stufen kniete der mexikanische Padre, der den Rancher und seine Braut trauen sollte, vor einem vergoldeten Kruzifix. Mitten auf dem Hof spannte sich ein riesiges Sonnenschutzdach über Reihen weiß gedeckter Tische. Kristallkaraffen und Gläser blinkten zwischen dem noch unberührten Gedeck. Schwere Fruchtbündel hingen an den Stangen, die die Plane trugen.

Von der Veranda zu dem in farbenprächtigem Blumenschmuck leuchtenden Altar war ein roter Teppich ausgerollt. Zu beiden Seiten waren die Cowboys und Peones der Wellman-Ranch versammelt, alle festlich aufgeputzt, Stille breitete sich aus, als das Hochzeitspaar Arm in Arm auf die Veranda trat. Wellman in einem maßgeschneiderten, eleganten schwarzen Anzug mit weißem Hemd und Kragenschleife. Loreen Milnor in einem hochgeschlossenen weißen Kleid, dessen Rüschen sich um ihre Knöchel bauschten. Ein weißer Schleier umhüllte ihr hochgestecktes dunkelblondes Haar, ließ aber ihr schmales, ein wenig vor Aufregung bleiches Gesicht frei.

Wellman dagegen war wieder mal ganz der Boss, überlegen, lässig, selbstzufrieden. Lächelnd hob er eine Hand, um einige Worte an die fast ehrfürchtig verharrende Versammlung zu richten

Da hörten alle den herantrommelnden Hufschlag und das klägliche Wiehern des Braunen, der unter Ben Sheppard zusammenbrach. Wellmans hartliniges Gesicht spannte sich. Die Köpfe der Männer auf dem Hof flogen herum.

Keuchend, mit schweißbedecktem, gerötetem Gesicht erhob sich der bullige Rancherssohn aus dem Staub. Mechanisch machte er ein paar torkelnde Schritte in Richtung Haus, ehe er erkannte, dass er mitten in die Vorbereitungen einer Hochzeit hineingeplatzt war. Unsicher blieb er stehen.

„Entschuldige mich einen Augenblick, Loreen.“ Wellman löste seinen Arm von der erschrockenen jungen Frau und hastete die Verandastufen hinab. „Ben, was ist passiert?“

Sheppards Brust hob und senkte sich. „Sie haben Dad niedergeschossen und die Pferde weggetrieben. Ich bekam eins über den Kopf, bevor ich etwas unternehmen konnte.“

Heiseres Geraune lief über den Hof. Der Padre auf den Altarstufen, ein hagerer, hakennasiger Mann, bekreuzigte sich. Wellman packte den jungen Mann an den Schultern.

„Wer?“, stieß er scharf hervor.

„Santanas Leute. Antonio Lopez war bei ihnen. Ich denke, er hat sie geführt. Er steckt hinter allem.“

Wellman starrte ihn wild an. „Bist du sicher?“

„Ganz sicher“, keuchte Sheppard.

„Und dein Vater? Ike? Was ist mit ihm?“

„Sie haben ihn voll erwischt, aber Ma meint, er wird es überleben. Sie kümmert sich um ihn. lch bin wie der Teufel geritten, um Ihnen Bescheid zu sagen, Mr. Wellman, bevor sich diese Bastarde auch hier bei Ihnen blicken lassen.“

Wellman lachte hart.

„Ich glaube kaum, dass sie das wagen. Santana hat mich bisher in Ruhe gelassen, weil er meine Macht und Stärke genau kennt. Er wird es auch in Zukunft tun. Ich schätze eher, der Nächste, den sie sich vorknöpfen wollen, wird Gil Taylor sein. Er war schließlich auch dabei, als wir Lopez’ Vater aufknüpften. Wenn Lopez mit von der Partie ist, handelt es sich bestimmt um einen Rachefeldzug. Damit ist wohl klar, dass er also doch mit Santana unter einer Decke steckt, dass wir keinen Unschuldigen gehängt haben.“

Wellman ballte die Fäuste. Ein scharfes Funkeln erschien in seinen Augen. „Na wartet, ihr Halunken, wir werden euch einen verdammt dicken Strich durch die Rechnung machen!“ Er klopfte Sheppard auf die Schulter. „Es war richtig, dass du gleich zu mir gekommen bist, Ben, vollkommen richtig. Wir werden diesen Teufeln keine Chance lassen, auch nur eine Kugel auf Taylor abzufeuem. Wäre ja gelacht, wenn wir nicht alle zusammenhielten! Wenn du nicht zu müde bist, mein Junge, dann lass dir von meinen Leuten ein frisches Pferd geben und komm mit. Und ihr, Männer, ihr habt gehört, was los ist! Holt eure Waffen! Sattelt die Pferde! In einer Viertelstunde brechen wir auf!“

„Brent, das ist doch nicht dein Ernst!“ Ein Zittern war in Loreens Stimme. Wellman drehte sich zu ihr um. Sie war bis auf ein paar Schritte herangekommen. Enttäuschung und Angst malten sich auf ihrem hübschen Gesicht.

Während die Männer ringsum zu ihren Quartieren hasteten, ging der Rancher zu seiner Braut und fasste sie an den Schultern.

„Es tut mir leid, Loreen. Wir werden die Trauung auf morgen verschieben. Der Padre bleibt hier. Dafür bezahle ich ihn schließlich.“

Loreens Augen schimmerten feucht. „Es sollte der schönste Tag meines Lebens werden, das hast du mir versprochen. Und jetzt ...“

Eine Spur rauer Ungeduld schwang in seiner Stimme mit. „Du siehst doch, ich habe keine andere Wahl!“

„Wirklich nicht? Würde es nicht genügen, wenn du nur einen Teil deiner Mannschaft losschickst, um Taylor zu beschützen?“

„Wenn es gegen Lopez und Santana geht, dann will und muss ich die Mannschaft selber führen!“, erwiderte Wellman heftig. „Tut mir leid, mein Schatz, ich habe jetzt keine Zeit für lange Erklärungen.“

„Ja, ich weiß, du bist der Boss, und alle haben zu gehorchen“, murmelte sie bitter. „Wenn es darum geht, deine Feinde zu erwischen, dann zählt nicht einmal mehr dein Hochzeitstag.“

„Dieser Tag läuft mir nicht davon, aber Lopez, dieser rachsüchtige Schurke, wenn ich mich nicht beeile.“

Er bemerkte nicht, wie sie zusammenzuckte und gegen die Tränen kämpfte. Er beachtete es auch nicht weiter, wie sie sich versteifte, als er sie besitzergreifend an sich zog und ihr einen flüchtigen Kuss auf die Wange drückte. Im nächsten Moment gellte schon seine Kommandostimme über die Ranch.

„Mike und Joe, ihr bleibt hier bei dem Padre und meiner Braut! Hank, bring mir den Falben mit der Blesse! Pablo, lauf und hol mein Gewehr und den Revolvergurt! Macht schnell, Leute. schnell! Jede Minute ist wichtig!“

Loreen berührte ihn zögernd am Arm. „Hast du keine Angst, Santana könnte dich in eine Falle locken?“

„Angst?“ Er lachte wieder. „Sieh dir meine Crew an! Das sind lauter harte Burschen, die nicht nur mit Lasso und Brandeisen, sondern auch mit dem Revolver umgehen können! Warum, denkst du, hat Santana bisher kein einziges Pferd von meiner Weide geholt? Soll er nur versuchen, mich in eine Falle zu locken, der Hundesohn. Er wird sein blaues Wunder dabei erleben. Ah, da ist ja endlich der Gaul! Zieh den Sattelgurt stramm, Hank! Ben, was ist? Reitest du mit?“

„Schon, um den Schurken zu erwischen, der meinen Vater niedergeschossen hat!“, knirschte der junge Sheppard grimmig.

Loreen fühlte sich fremd und verloren zwischen den rauen Gestalten ringsum. Der Pater trat zu ihr. Er blickte Wellman vorwurfsvoll an, wagte aber nichts zu sagen. Der breitschultrige Rancher schwang sich auf das vor Ungeduld tänzelnde Pferd.

„Padre, seien Sie so freundlich und leisten Sie meiner zukünftigen Frau ein bisschen Gesellschaft, bis ich zurück bin. Kann sein, dass es doch ein wenig länger dauert. Seid ihr soweit, Jungs? Well, dann los!“

Loreen behielt ihre Fassung, bis von den davonpreschenden Reitern nur mehr eine Staubwolke zu sehen war. Dann schlug sie die Hände vors Gesicht und begann zu schluchzen. Unbeholfen legte der Geistliche einen Arm um sie und wollte sie unter das schützende Sonnendach führen.

Er erstarrte mitten in der Bewegung. Die beiden Cowboys, die Wellman zurückgelassen hatte, standen ebenfalls da wie angenagelt.

Die Reiter kamen lautlos hinter dem Ranchhaus hervor. Die Hufe ihrer Pferde waren mit Tüchern umwickelt. Ihre Gewehre steckten in den Scabbards an den Sätteln, ihre Revolver in den Halftern. Sie taten, als würden sie keine Notiz von den Zurückgebliebenen nehmen. Ein paar verwildert aussehende Burschen ritten unter das Sonnendach und rissen die zusammengebündelten Früchte herab oder schnappten sich vom Sattel aus die Karaffen mit dem dunkelroten mexikanischen Wein.

Lächelnd deutete Antonio auf die Pferde im Korral, deren Fell seidig in der Sonne glänzte.

„Nun, Jeff, hab ich zuviel versprochen? Es gibt keine besseren Pferde entlang der Grenze von der Mündung des Rio Bravo bis hinauf nach El Paso. Was meinst du?“

Santanas Indianeraugen leuchteten. Es war keine Gier, sondern die Begeisterung des echten Pferdekenners.

„Treibt sie heraus!“, rief er seinen Leuten zu.

„Schnell, laufen Sie ins Haus!“, raunte der Padre Loreen zu. „Sperren Sie sich ein! Öffnen Sie nicht, was immer auch geschieht!“

Sie zögerte, warf einen halb ängstlichen, halb ungläubigen Blick auf Lopez. Er hatte kaum noch Ähnlichkeit mit dem verzweifelten jungen Gefangenen, dem sie zur Flucht hatte verhelfen wollen. Er war ganz kalte, gefährliche Gelassenheit. In dem Moment, als Loreen zu laufen begann, warf er sein Pferd herum.

Das hochsteigende Tier versperrte der jungen Frau den Weg. Sie schrie, als Antonios Faust sich wie eine Stahlklammer um ihr rechtes Handgelenk schloss. Staub umhüllte sie. Fluchend griffen die beiden Wellman-Cowboys zu den Colts.

Zwei Schüsse blitzten auf, und die Männer brachen zusammen, bevor sie die Waffen aus dem Leder bekamen. Der Staub trieb auseinander. Ein qualmender Revolver lag in Antonios rechter Faust. Mit der linken hielt er Loreen eisern fest.

„Seien Sie vernünftig, Senorita, dann wird Ihnen nichts geschehen.“

„Was wollen Sie?“, keuchte Loreen. Das schmale, kalt lächelnde Gesicht des jungen Mexikaners flößte ihr Angst ein.

„Ich will meinen Vater rächen“, erwiderte Antonio mit erzwungener Ruhe. „Deshalb werden Sie uns begleiten, Senorita, als Faustpfand gegen Wellman. Das ist der eigentliche Grund, warum wir hier sind.“

„Nein!“, schrie sie. „Lass mich los, Bandit!“

Bei dem Wort verkniffen sich Antonios Mundwinkel. Er versuchte, sie vor sich aufs Pferd zu ziehen. Der Padre rannte los, um der sich verzweifelt wehrenden Frau beizustehen. Einer von Santanas Raureitern sprengte lachend auf ihn zu und schlug ihn mit dem Gewehrlauf nieder.

Loreen hörte nicht auf, sich zu wehren. Ihr Schleier zerriss. Ihre Fingernägel zogen rote Kratzer über Antonios linke Wange. Er schleuderte sie so heftig von sich, dass sie zu Boden stürzte.

„Fesselt sie!“, schrie er den Banditen wütend zu.

Mehrere grölende Burschen sprangen sofort aus den Sätteln. Jeder versuchte die gestürzte Frau zuerst zu erreichen. Ein Schuss peitschte von der Ranchhausveranda. Eine Sandfontäne spritzte vor dem vordersten Banditen hoch. Sie duckten sich. Ein halbes Dutzend Colts richteten sich auf den großen, sehnigen Mann, der mit einer Winchester in den Fäusten an den Rand der Veranda trat.

„Der erste von euch Dreckskerlen, der die Lady anrührt, bekommt meine Kugel!“

Antonios Augen weiteten sich ungläubig. Santanas breitknochiges Gesicht färbte sich aschfahl. Er hatte die Pferde, die Frau und alles andere vergessen.

„Tom!“, keuchte er.

Baker trat mit angeschlagenem Gewehr auf die oberste Verandastufe. Das Sonnenlicht fiel auf sein abgemagertes, bleiches Gesicht mit dem blonden Schnurrbart. Aber seine Haltung war aufrecht, entschlossen, unbeugsam, so, als wäre nie eine Kugel auf ihn abgefeuert worden. Seine Augen glitzerten eisig.

„Nun bist du also doch gekommen, Jeff. Sag diesen Halunken, sie sollen Miss Milnor in Ruhe lassen. Glaub nicht, ich werde nicht auf dich schießen.“

Santana griff sich an die Kehle. Seine Stimme klang erstickt. „Tom, Amigo, ich schwöre dir, ich wusste nicht ...“

„Nenn mich nie mehr deinen Freund, Jeff!“, unterbrach Wellmans Vormann ihn scharf. „Du hast unsere Abmachung gebrochen. Von jetzt an werde ich keinen Unterschied mehr machen zwischen dir und jedem anderen Schurken, der mir über den Weg läuft.“

Schweiß perlte auf der Stirn des „Königs der Pferdediebe“. Er fuhr herum, packte Antonio am Arm.

„Du hast mich belogen! Du hast behauptet, er ist tot!“

„Caramba, ja! Ich sah, wie Nesbit ihn in die Brust traf. Ich sah ihn fallen.“

Baker hielt den Winchesterkolben zwischen Ellenbogen und Hüfte. Mit der Linken griff er in die Hosentasche und brachte eine Lederschnur mit einem silbrig glänzenden Anhänger zum Vorschein. Es war eine Jahrhunderte alte wertvolle indianische Schmiedearbeit, vielleicht noch aus der Zeit, als die Azteken Mexiko beherrscht hatten. Baker lächelte hart.

„Erinnerst du dich, Jeff? Dein Geschenk, nachdem ich dir damals das Leben gerettet hatte. Ein Talisman, der mich beschützen sollte. Er hat es getan. Nesbits Kugel hat ihn zwar mit einer solchen Wucht durchschlagen, dass ich mehrere Stunden lang bewusstlos war, aber weiter keinen nennenswerten Schaden angerichtet. Wenn es sein müsste, könnte ich sogar wieder in den Sattel steigen. Dein Pech, Jeff! Bedauerst du es nun, dass du ihn mir geschenkt hast? Denn nun wird nichts aus deinem Plan, was immer du vorhattest.“

Santana hatte sich wieder gefangen. Er beugte sich im Sattel vor. Sein dunkles Gesicht war ausdruckslos.

„Ich wäre nicht gekommen, wenn ich gewusst hätte, dass du hier mit dem Gewehr wartest, Tom. Nicht aus Angst, sondern weil ich nicht vergessen habe, was du für mich getan hast. Aber nun bin ich hier, Tom. Nun hat Antonio mein Wort, dass ich ihm helfen werde, den Tod seines Vaters zu rächen. Es gibt kein Zurück mehr.“

„Vergiss, was einmal war“, antwortete Baker rau. „Du schuldest mir nichts. Ich brauche deine Dankbarkeit nicht, Jeff. Denn hier habe ich einen Freund, der mich noch nie im Stich gelassen hat.“ Mit einem grimmigen Lächeln hob er die Winchester.

„Du bist einer gegen viele, Tom. Du hast keine Chance. Du würdest vergeblich kämpfen.“

„Auch ich habe mein Wort gegeben und werde es halten. Es ist weit mit dir gekommen, Jeff, dass du dich dazu hergibst, eine Frau zu entführen.“

Santanas Gesicht verdunkelte sich noch mehr. Sein Mund wurde hart und schmal. Aber er rührte sich nicht.

„Stehen Sie auf, Miss Milnor!“, rief Baker. „Gehen Sie erst nach links, damit Sie mir nicht ins Schussfeld geraten, dann kommen Sie her!“

Ängstlich richtete sich Loreen auf. Ihr weißes Brautkleid war zerknittert.

„Bleiben Sie, wenn Sie nicht wollen, dass er stirbt!“, sagte Santana schneidend. Loreen stockte, krampfte ratlos die Hände zusammen. Sie wusste nicht, was sie tun sollte. Santana war der Einzige, der keine Waffe in der Faust hielt. Die anderen Banditen, auch Antonio, lauerten wie Wölfe. Ein harter, verächtlicher Zug kerbte Tom Bakers Mundwinkel. Langsam, mit dem Finger am Abzug, kam er die Verandastufen herab.

„Keine Sorge, Ma’am, ich werd Sie holen! Jeff, wenn du ...“

Loreens Warnschrei kam zu spät. Eine Lassoschlinge legte sich um Bakers Oberkörper, zog sich blitzschnell zusammen und riss ihn um. Einer der Pferdediebe galoppierte von der Hausecke her an ihm vorbei und schleifte ihn ein Stück am Seil hinter sich her. Kein Laut kam über Bakers zusammengepresste Lippen.

„Fesselt ihn!“, befahl der große Mestize kehlig.

Loreen wollte zu Baker, doch mehrere Banditen packten sie, hielten sie fest und banden ihr die Hände auf dem Rücken zusammen. Der Vormann starrte den „König der Pferdediebe“ keuchend an.

„Lass die Frau hier, Jeff. Wenn du mit Wellman kämpfen willst, dann tu es wie ein Mann.“

„Es ist mein Kampf!“, mischte sich Antonio wütend ein. „Und ich werde ihn so führen, dass Wellman so wenig eine Chance erhält wie mein Vater, den ihr unschuldig gehängt habt! Eine schnelle gut gezielte Kugel ist für ihn zu billig.“

„Jeff, lass es nicht zu! Es ist sonst besser, du lässt mich töten, bevor ich dir zuvorkomme!“

Santana blickte mit unbewegter Miene auf ihn hinab. „Ich kann dich nicht daran hindern, es zu versprechen. Aber wenn du beim nächstenmal dein Gewehr auf mich richtest, werde ich bereit sein. Ich lasse dich diesmal am Leben. Damit sind wir quitt.“

*

Mit einer gleitenden Bewegung zog Brent Wellman den Karabiner aus dem Sattelfutteral. Mondlicht glänzte auf seinem angespannten Gesicht. Er winkte den hinter ihm wartenden Reitern, zu ihm aufzuschließen.

„Wir haben sie!“

Er deutete mit dem Gewehr in die von Sträuchern und Felsblöcken umschlossene Senke. Die Glut eines Campfeuers leuchtete wie ein rotes Auge zu ihnen herauf. Mehrere in Decken gerollte dunkle Gestalten lagen daneben. Ein paar Packtaschen lagen herum. Die Pferde ruhten in einem aus Lassos und Pflöcken gespannten Korral. Die Nacht war sternenklar. Von weit her kam das Geheul eines Coyoten.

Ben Sheppard beugte sich mit glühenden Wangen auf seinem grobknochigen Gaul vor.

„Beim Himmel, da sind unsere Pferde! Aber es waren mehr Männer, die Dad und mich auf der Ranch überfallen haben, Mr. Wellman.“

Der Anführer lächelte kalt. „Die Kerle da sollen sicher die erbeuteten Tiere in Sicherheit bringen. Seht zu, dass ihr einen von ihnen lebend erwischt. Dann werden wir schnell wissen, wo die anderen sind. Nehmt die Waffen zur Hand! Schwärmt aus! Ich geb das Zeichen zum Hinabstürmen!“

„Lieber nicht!“, meldete sich eine leise, spöttische Stimme hinter ihnen.

Wellman und seine Begleiter fuhren herum. Sie trauten ihren Augen kaum, aber es war tatsächlich Shannon, der lässig zwischen den mondlichtüberfluteten Cottonwoods hervorritt. Seine schlanken Hände ruhten auf dem Sattelhorn. Er hatte wieder seinen Gurt mit dem 44er Army Colt umgeschnallt, und im Scabbard an seinem Sattel steckte die Winchester 66.

Wellman brauchte keinen Befehl zu geben, damit die anderen ihre Revolver und Gewehre auf den schlanken Satteltramp züchteten. Der Rancher starrte ihn aus zusammengekniffenen Augen feindselig an. „Wo kommst du her?“

„Direkt aus den Sümpfen am Nueces — aus Santanas Lager. Reitet nicht dort hinab! Ich bin sicher, es ist eine Falle.“

„Ach nein! Und du bist der selbstlose Helfer, der uns davor bewahrt!“, höhnte Wellman zornig. „Weiß der Teufel, welches Spiel du treibst, Satteltramp, aber zwei Tatsachen stehen fest: Du bist schuld, dass Lopez uns Scherereien macht. Und was die angebliche Falle betrifft: Santana mag es zwar auf unsere Pferde abgesehen haben, vielleicht auch auf Sheppards und Taylors Skalpe, aber er wird sich hüten, mit mir und meiner Mannschaft anzubinden.“

Shannon schüttelte den Kopf. „Für wie groß und unbezwingbar hältst du dich eigentlich, Rancher? Denkst du wirklich, Santana hätte dich bisher aus Angst geschont? Du bist ...“

Wellman hob den Karabiner. Die Mündung deutete auf Shannons Stirn.

„Genug! Ich hab jetzt keine Zeit, mich mit dir rumzustreiten. Hank, Clint, entwaffnet ihn! Nehmt ihn fest!“

Shannon juckte es in den Fäusten. Aber er war ein Mann, der nicht so leicht die Nerven verlor, auch wenn so viel Verbohrtheit und Arroganz seine Geduld auf eine harte Probe stellten. Für Wellman, dem Macht und Reichtum alles bedeuteten, war er nur ein Herumtreiber, dem man alles Mögliche, nur nichts Gutes zutrauen durfte. Deshalb würde Wellman schießen. Und deshalb rührte Shannon sich nicht, als zwei von Wellmans Cowboys an seine Seite ritten.

„Verdammt, Wellman, denkst du, ich bin nur deshalb so hart und weit geritten, damit du wieder eine von deinen verrückten Lynchparties veranstalten kannst?“, stieß er bitter hervor.

Wellman musterte ihn argwöhnisch. „Vielleicht schickt Santana dich? Vielleicht hast du dich auf seine Seite geschlagen und willst den Hundesöhnen dort unten helfen, die gestohlenen Pferde in Sicherheit zu bringen. Ich werde es schon rausfinden, Freundchen.“

„Ich weiß nicht, Mr. Wellman“, murmelte Ben Sheppard unbehaglich. „Könnte es nicht sein, dass er recht hat? Das Camp da unten kommt mir merkwürdig vor. Seltsam, dass die Halunken nicht mal einen Wachtposten aufgestellt haben.“

„Niemand zwingt dich, mit hinabzureiten!“, schnaubte Wellman verächtlich. Aus funkelnden Augen blickte er in die Runde. Die Cowboys wichen seinem Blick aus, zogen die Köpfe ein. Wellmans Hände schlossen sich härter um den Karabiner.

„Na gut, ich werd’ euch beweisen, dass Shannon lügt. Ich werd’ euch zeigen, wie man mit ein paar lausigen Pferdedieben umspringt. Ich brauche vier Freiwillige, die mich hinab begleiten. Vier Mann, mit denen ich dem Spuk in fünf Minuten ein Ende bereiten werde. Wer meldet sich?“

Vier hartgesichtige Typen lenkten ihre Gäule an seine Seite. Kerle, die wussten, dass sich ihre „Treue“ in klingende Münze auszahlen würde, sobald sie wieder auf der Ranch waren. Wellman nickte zufrieden. Noch ein höhnischer Blick auf Shannon, dann zog er wortlos seinen Falben herum.

Die fünf Reiter brachen wie ein Ungewitter zwischen den Felsen und Sträuchern hervor.

Ihre Colts und Gewehre reflektierten das bleiche Mondlicht. Die wirbelnden Hufe rissen die vertrocknete Grasnarbe auf. Die Pferde im Korral wieherten. Wellmans Schuss fetzte die Glut des halberloschenen Lagerfeuers auseinander.

„Hoch mit euch, ihr Lumpen! Ergebt euch!“

Die dunklen Gestalten bewegten sich nicht. Einer von Wellmans Begleitern stieß einen Schrei aus.

„Es sind nur Deckenbündel und Hüte! Zurück! Eine Falle!“

Sie kamen nicht mehr dazu, die Pferde zu wenden. Wellman war auf einen uralten Trick hereingefallen. Ein Donnerschlag erschütterte die Senke. Die vier Sättel neben dem Rancher waren plötzlich leer. Mündungsfeuer glühten am gegenüberliegenden Senkenrand. Pulverdampfschwaden hoben sich über die Sträucher ins Mondlicht. Es war wie ein Wunder, dass es ausgerechnet Wellman nicht erwischte. Er riss so heftig an den Zügeln, dass der Falbe vorn hochging. Wellman war engstirnig, machtbesessen, skrupellos. Aber er war kein Feigling. Er wusste, dass er den Schutz der Büsche und Felsen nicht mehr erreichen würde. Er schwang das Gewehr hoch und feuerte auf die orangefarbenen Mündungslichter.

Heißes Blei pfiff an ihm vorbei.

„Schießt auf sein Pferd! Ich will ihn lebend!“

Antonio Lopez’ Stimme!

Wellman fluchte.

Im selben Moment wurde sein Falbe von mehreren Kugeln getroffen. Wellman warf sich aus dem Sattel, blieb jedoch mit einem Fuß im Steigbügel hängen. Er schrammte hart auf. Sein Karabiner schlitterte davon. Auf dem Hang über ihm krachte und blitzte es. Die Luft über der Senke war von fauchendem, heißem Blei erfüllt. Keuchend und zähneknirschend versuchte Wellman den Fuß aus dem verwickelten Steigbügel zu befreien. Da sah er drüben die tiefgeduckten, von Mündungsblitzen angeleuchteten Gesichter zwischen den Cottonwoods hervorbrechen.

Sie jagten reiterlose, ungesattelte Pferde vor sich her. Schlanke, rassige Renner, von denen jeder ein Vermögen wert war. Wellmans Kehle schnürte sich zu, als er seine eigenen wertvollen Zuchtpferde erkannte. Einen Moment vergaß er die Gefahr, in der er selber schwebte. Er zog den Colt und feuerte.

Die Pferde preschten wie eine alles niedertrampelnde tödliche Walze durch die Senke auf ihn zu. Zwischen ihnen ritten, wie von einem schützenden lebendigen Panzer umgeben, Santanas Banditen. Wellmans Magen drehte sich um, als er die unter seinen eigenen Schüssen zusammenbrechenden Tiere sah. Aber er schoss wie rasend seine Colttrommel leer. Er ahnte, was ihm bevorstand. wenn er Lopez in die Hände fiel - oder wenn er unter die heranhämmernden Hufe geriet, die die Erde erbeben ließen.

Ein Moment siedendheißer Verzweiflung, als sein Colthammer auf eine leere Patronenhülse schlug. Da fiel ein Schatten auf ihn. Zuerst glaubte Wellman, das Pferd, das neben ihm auftauchte, sei reiterlos. Doch plötzlich schwang sich von der ihm abgewandten Seite eine schlanke Gestalt in den Sattel. Eine Hand mit einem im Mondschein blitzenden Messer zuckte herab und durchtrennte den Steigbügelriemen.

„Herauf zu mir, Wellman!“, schrie Shannon.

Wellman hatte keine Zeit, verblüfft zu sein. Er packte die ausgestreckte Hand. Keine Sekunde zu früh saß er hinter dem Satteltramp auf dem bereits herumwirbelnden Pferd. Das Donnern der Hufe füllte die Senke, und die paar Schüsse, die jetzt noch abgefeuert wurden, klangen wie das Brechen von dürren Ästen. Shannon stieß einen gellenden Indianerschrei aus. Sein Brauner preschte mit der doppelten Last den grasbewachsenen Hang hinauf. Gleich dahinter die zur Stampede getriebenen Gäule. Aber Santanas Reiter hatten abgedreht. Als Shannon und Wellman gleich darauf den Schutz der Felsblöcke und Büsche erreichten, fiel kein Schuss mehr.

Die Cowboys umringten sie aufgeregt. Keuchend, mit schweißbedecktem Gesicht, sprang Wellman von Shannons Pferd. Wortlos entriss er dem nächsten Mann das Gewehr, lief entschlossen zum Rand der Senke zurück und spähte hinab. Kein Ziel mehr für seinen Karabiner. Nur die vier Männer, die sich mit dem Rancher hinabgewagt hatten, lagen als dunkle reglose Bündel im zertrampelten Gras. Kein Schatten einer Bewegung mehr. Nur das Coyotengeheul kam immer noch aus der Ferne.

Da erst wandte sich Wellman an Shannon.

„Warum hast du das getan?“

Der große Mann saß so ruhig im Sattel, als hätte er die sichere Deckung nie verlassen. Die Narbe an seiner rechten Schläfe schimmerte weiß.

„Vielleicht wollte ich nur beweisen, dass ich nicht zu Santana gehöre. Keine Sorge, Rancher, du schuldest mir nichts.“

Wellman blickte ihn starr an, wollte etwas sagen. Da trieb Antonio Lopez’ Stimme von der anderen Seite der Senke herüber.

„Wellman, glaub ja nicht, nun ist alles vorbei. Was hier geschah, ist erst der Anfang. Ich verspreche dir, du wirst dich noch selber dafür verfluchen, dass du meinen Vater gelyncht hast.“

Wellman vergaß Shannon von einem Augenblick zum anderen. Antonios Stimme wirkte auf ihn wie das rote Tuch auf den Kampfstier. Mit einem Satz war er neben einem Felsklotz und hob den Karabiner an die Schulter.

„Lopez, du verdammter Bastard, wo steckst du? Wenn du nicht zu feige bist, dann komm! Dann tragen wir beide allein es aus!“

Ein spöttisches Lachen klang über die Senke. „Diesmal bestimme ich die Regeln, Wellman, nicht du! Wenn ich einen Kampf wollte, dann würden die meisten von euch jetzt schon nicht mehr leben.“

„Was willst du dann, du Hund?“

„Geld, Wellman! Viel Geld.“

„Du bist verrückt, Greaser!“, schrie Wellman. „Du kannst ein Dutzend Kugeln in den Bauch haben, nichts sonst.“

Antonio lachte auf eine Art, die Shannon frösteln ließ.

„Du bist ein Narr, Wellman! Einer, der sein Maul aufreißt, ohne zu überlegen. Du taugst nicht dazu, dieses Land zu regieren. Deshalb werde ich dich von deinem selbst errichteten Thron stürzen, schon bald. Nein, fang nicht wieder zu schreien an. Hör mir erst zu. Hast du denn deine eigenen Pferde nicht erkannt? Dann müsstest du doch wissen, woher wir sie haben — von deiner Ranch.“

„Großer Himmel!“, krächzte einer von Wellmans Cowboys. „Sie haben uns absichtlich dort weggelockt! Ihre Braut, Boss ...“

„Wir haben nicht nur deine Pferde mitgenommen, Wellman!“, rief Antonio höhnisch. „Wir haben auch Loreen!“

Wellmans Schultern verkrampften sich. Er ließ das Gewehr sinken. Die Cowboys murmelten betroffen. Shannon schloss einen Moment die Augen. Er hatte wieder das Bild des blitzerleuchteten Galgenbaums vor sich. Aber der Tod eines Unschuldigen war keine Rechtfertigung für das, was Antonio trieb. Es dauerte eine Weile, bis Wellman ein Wort hervorbrachte.

„Ihr verfluchten Banditen, wenn ihr Loreen nur ein Haar krümmt ...“

„Droh uns nicht, Wellman! Die Zukunft deiner Braut hängt von dir ab.“

„Ich will sie sehen! Ich zahle keinen Dollar, Lopez, bevor ich weiß, dass sie lebt und unversehrt ist.“

„Du wirst sie erst wiedersehen, wenn du getan hast, was ich von dir verlange. Aber meinetwegen, du kannst sie hören. Sagen Sie ihm ein paar Worte, Senorita!"

„Ich bin hier, Brent!“, hallte Loreens helle, verzweifelte Stimme durch die Nacht. „Es ist mir nichts geschehen. Sie bewachen mich unablässig. Brent, hilf mir! Sie wollen ...“

„Genug!“, befahl Antonio in einem Ton, als sei er der Boss der Bande. Loreens Stimme erstickte hinter einer Hand. Wellman knirschte mit den Zähnen.

Shannon rief: „Antonio, lass die Frau aus dem Spiel! Sie hat mit dem Tod deines Vaters nichts zu tun! Was du vorhast, ist ein übler Banditenstreich und nicht ...“

„Sei still. Shannon! Misch dich nicht ein! Ich weiß nicht, wie du es geschafft hast, aus Santanas Camp zu entkommen, aber es ist verrückt, wenn du die Gelegenheit nicht benutzt, dieses Land rechtzeitig zu verlassen. Wenn du Wellman hilfst werde ich keine Rücksicht mehr auf dich nehmen, so wenig wie auf ihn!“

„Nenn mir den Preis, Lopez!“, forderte der Rancher wild.

Antonio lachte leise. „Das klingt schon viel besser, Wellman. Bueno, du kannst deine Braut wiederhaben, wenn du hunderttausend Dollar für sie bezahlst.“

Wellman zuckte zusammen. Seine Cowboys hielten erschrocken die Luft an. Hunderttausend Dollar waren für einen Mann, der dreißig Bucks im Monat verdiente, eine geradezu wahnwitzige Summe.

„Du bist verrückt!“, schrie Wellman. „Was denkst du denn eigentlich? Dass ich in Geld schwimme? Dass die Dollarscheine auf meiner Ranch nur so rumliegen? Ich kann im Höchstfall fünftausend Dollar zusammenkratzen. Wenn du mir Zeit lässt, vielleicht sogar zehntausend. Mehr nicht.“

„Ich handle nicht! Ich will hunderttausend! Sag nicht, es ist unmöglich. Du bist ein reicher, mächtiger Mann. Zu reich! Zu mächtig! Du besitzt eine große Ranch, viel Land, viele Rinder! Du hast bestimmt ein dickes Konto auf der Bank in Del Rio. Wenn das Geld darauf nicht langt, dann verkauf deine Rinder und nimm Kredit auf.

Einer wie du hat damit doch keine Schwierigkeiten! Du bist doch der große Brent Wellman! Nun zeig, wie groß du wirklich bist. Bring mir die hunderttausend Dollar Lösegeld, sonst siehst du deine hübsche zukünftige Frau nie wieder! Ich geb dir zehn Tage Zeit.

Reite mit deinen Männern zurück, Wellman. Versuch nichts gegen mich zu unternehmen, wenn dir etwas an Loreens Sicherheit liegt. Zehn Tage werden dir genügen, das Geld aufzutreiben. Ich melde mich dann wieder bei dir. Ich werde dir eine Botschaft senden, wohin du die Hunderttausend bringen sollst. Hast du alles genau verstanden?“

Wellman schwieg. Seine Fäuste umklammerten das Gewehr so fest, als wollten sie es zerbrechen. Die Cowboys wagten keine Bewegung. Jeder wusste, hunderttausend Dollar Lösegeld würden auch einen so mächtigen und reichen Mann wie ihren Boss ruinieren.

Antonios grelles Lachen schmerzte in Wellmans Ohren.

„Ich bin sicher, Wellman, dass du nichts vergessen wirst. Ich werde gut auf deine Braut aufpassen. Aber halte du nur ja die Frist ein, damit sie zehn lange Tage nicht umsonst auf ihre Freiheit wartet.“

Nochmals ein Lachen, dann setzten Hufschläge zwischen den dunklen Büschen auf der anderen Seite der Senke ein.

„Brent!“ Das war ein letztes mal Loreens atemlose Stimme. Dann trommelten die Hufe nach Westen davon.

Fluchend riss Wellman das Gewehr hoch. Aber er wartete umsonst darauf, dass sich ein schattenhaftes Ziel vor dem sternenübersäten Firmament abzeichnen würde. Unsichtbar verschwanden Santanas Reiter mit ihrer Gefangenen im einsamen Land.

*

Das Hufgetrappel war längst in der Mondnacht verklungen, aber noch immer saßen die Cowboys wie versteinert in den Sätteln. Kein Wort fiel. Erst als Wellman zu dem für ihn bereitgestellten Pferd trat und den Karabiner in den Scabbard schob, wendeten die Reiter schweigend und bedrückt ihre Pferde.

„Nein!“, sagte der Rancher hart. „Wir kehren nicht um! Bei Tagesanbruch reiten wir auf ihrer Fährte weiter!“

Die hartgesichtigen, sonst gewiss nicht zimperlichen Kerle starrten ihn ungläubig an. Wellman stemmte die Fäuste in die Seiten.

„Zum Teufel, glotzt nicht wie die Kälber! Steigt ab! Wir bleiben hier. Es ist schließlich mein Geld, um das es geht.“

„Und deine Braut“, fügte Shannon mit schwerer Stimme hinzu.

Wellman ging dicht an ihn heran.

„Du hast vorhin selber gesagt, ich schulde dir nichts. Also richte dich danach und versuch mir nicht dreinzureden, wie ich mit Lopez fertigwerden soll. Hunderttausend Dollar! Der Kerl ist ja übergeschnappt! Ich kann nie im Leben soviel Geld in zehn Tagen auftreiben!“

„Käme es nicht auf einen Versuch an?“, fragte der junge Sheppard zögernd. Wellman fuhr herum. Seine spaltengen Augen blitzten.

„Und wenn! Verdammt, begreift ihr denn nicht, dass es diesem verfluchten Greaser gar nicht so sehr um das viele Geld geht, sondern darum, mich zu ruinieren? Er will, dass ich alles verliere, dass ich als Bettler dastehe, mit einer verpfändeten Ranch, mit leeren Weiden. Dieser Hundesohn will mich erst langsam zugrunde richten, bevor er dann eines Tages versucht, mir einen Strick zu knüpfen, wie wir es mit seinem Vater getan haben. Es ist ein Teil seines Racheplans. Aber ich spiele nicht mit!“

„Du solltest wenigstens solange mitspielen, bis Loreen in Sicherheit ist, Brent“, sagte ein älterer, ledergesichtiger Weidereiter, der schon viele Jahre unter Wellmans Vater geritten war.

Der Rancher starrte ihn finster an.

„Fang nicht auch so an wie Shannon, Tobe! Ich weiß selber gut genug, was ich zu tun habe! Ich werde Loreen helfen und alles für sie riskieren, aber nicht so, wie dieser lumpige Bandit es mir vorschreibt!“

„Ich fürchte, Lopez blufft nicht, Brent“, murmelte der Oldtimer beklommen. „Er ist nicht wiederzuerkennen, zum Äußersten entschlossen.“

„Darin werde ich ihm nicht nachstehen!“, knirschte Wellman. „Diese mexikanische Rotznase bildet sich vergeblich ein, mich vernichten zu können! Auch nicht mit der Unterstützung dieses Bastards, der sich prahlerisch ,König der Pferdediebe' nennt! Ich werde diese Halunken allesamt zur Hölle jagen. Das ist in Wahrheit die einzige Chance für Loreen!

Starrt mich nicht so an, zum Teufel! Glaubt ihr denn, Lopez wird so einen Trumpf aus der Hand geben, auch wenn ich ihm hunderttausend Dollar hinblättere? Da unten liegen eure toten Kameraden, Männer. Damit hat Lopez bewiesen, dass er vor nichts mehr zurückschreckt. Er wird Loreen nicht freilassen. Wir können ihr nur helfen, wenn wir Lopez und Santana erledigen.“

„Ich glaube kaum, dass du dazu eine Chance hast, solange sie Loreen als Geisel besitzen“, sagte Shannon heftig.

„Sie sind ahnungslos“, lachte Wellman grimmig. „Sie sind überzeugt, mich in der Hand zu haben. Und genau das wird ihr Verhängnis. Wir werden zuschlagen, wenn sie es am wenigsten erwarten. Wir werden ihnen keine Chance lassen. Es muss alles nur ganz schnell gehen, damit ..."

„Du machst dir selbst etwas vor!“, unterbrach Shannon ihn scharf. „Zum Teufel, denke jetzt mal nicht an deine Ranch, dein Geld, deine Macht, sondern an Loreens Leben! Du wirst nicht ...“

„Ich denke auch noch an etwas anderes“, knurrte Wellman mühsam beherrscht. „Nämlich daran, was aus diesem Land wird, wenn es die Wellman-Ranch und ihre Macht nicht mehr gibt, gegen die du so sehr bist. Sheppard, Taylor und die paar Mexikaner auf ihren Ranchos sind Santanas Banditen dann hoffnungslos ausgeliefert. Dann werden sich diese Schurken bald nicht mehr damit begnügen, gestohlene Pferde nach Mexiko zu verkaufen. Dann werden hier Mord und Terror regieren. Mein Vater hat es bisher mit seinen Nachbarn verhindert, und ich habe diese Verpflichtung von ihm übernommen. Du. Shannon, bringst mich nicht davon ab!“

Shannon lächelte bitter. „Du ver stehst es großartig, alles so hinzudrehen, wie du es haben möchtest. Ich glaube, du bist gar nicht fähig, dir um einen Menschen Sorgen zu machen, dich selber ausgenommen.“

Wellman streckte die Hand nach dem im Scabbard steckenden Gewehr aus. „Ich habe mir eine Menge von dir gefallen lassen, Shannon. Mehr als von jedem anderen Mann. Aber jetzt ist es genug.“

In Shannon kochte es. Aber sein Gesicht war eine glatte Maske, so als würde er am Pokertisch um höchsten Einsatz spielen. Der Einsatz war diesmal jedoch kein Geld, auch nicht die von Lopez geforderten hunderttausend Dollar. Es ging um das Leben einer jungen Frau, die zu ihrem Pech das wahre Gesicht des Mannes, der vorgab, sie zu lieben, bisher noch nicht kennengelernt hatte. Deshalb verzichtete Shannon auf die bissige Bemerkung, die ihm auf der Zunge brannte. Achselzuckend wendete er sein Pferd.

„Okay, ich verschwinde ja schon.“

Er hätte es besser mit dem Colt in der Faust versuchen sollen. Denn im nächsten Moment war das Knacken von Wellmans Gewehrschloss hinter ihm.

„Wohin?“

Shannon drehte sich halb und stützte die Linke auf die Hinterhand seines Braunen.

„Hör zu, Wellman! Von mir aus kannst du beim Teufel landen. Es juckt mich nicht. Und wenn diese Männer so närrisch sind, dir dorthin zu folgen, dann ist es ihre Sache, dann kann ich nichts mehr für sie tun. Aber ich werde nicht zulassen, dass deswegen eine Frau, die mit all dem nichts zu tun hat, ihr Leben verliert.“

„Willst du hinreiten und Lopez bitten, sie freizugeben?“ Wellman lachte, aber in seinen Augen funkelte blanker Hass.

„Ich werde versuchen, sie zu befreien, bevor es zum Kampf zwischen deiner Mannschaft und Santanas Bande kommt.“

Weltmann hob ruckartig den Karabiner.

„Das wirst du nicht! Packt ihn, Männer! Fesselt ihn!“

Sie zögerten. Shannon bekam schmale Augen, während er langsam das Pferd abermals wendete. Wer ihn gut kannte, hätte jetzt einen weiten Bogen um ihn gemacht. Wellman jedoch vertraute auf das Gewehr in seinen Fäusten. Er stand da wie ein Felsblock.

„Warum?“, fragte Shannon leise.

„Weil alles davon abhängt, dass die Schurken keinen vorzeitigen Verdacht schöpfen. Sie würden dich schnappen und zum Pteden bringen. Ich riskiere nicht, dass mein Plan wegen einer verrückten Idee von dir fehlschlägt. Also, runter vom Pferd!“

Das Gewehr unterstrich den Befehl.

Shannon gehorchte, aber anders, als der Rancher sich das vorgestellt hatte. Er sprang wie ein Panther aus dem Sattel auf Wellman hinab. Wellmans Mündungsfeuer glühte an seinem Gesicht vorbei. Der Knall drohte seine Trommelfelle zu zerreißen. Aber dann lag Wellman schon unter ihm. und Shannon schleuderte wütend das Gewehr zur Seite. Es war ein verzweifelter Kampf, bei dem er von Anfang an keine richtige Chance besaß. Es sei denn, er zog den Colt und versuchte wild um sich schießend zu seinem Pferd durchzubrechen. Doch Shannon war kein Killer, der auf Männer feuerte, die sich im Recht glaubten. Er traf Wellman mit zwei knochenharten Hieben, dann fielen ein halbes Dutzend fluchender Kerle über ihn her.

Trotzdem schaffte es Shannon noch, auf die Füße zu kommen. Er wehrte sich mit stummer Wildheit. Ein Mann wie ein Tiger. Seine Fäuste wirbelten wie Schmiedehämmer. Zwei, drei Cowboys landeten fluchend im Gras, wie von Huftritten hingeworfen. Doch die Übermacht der anderen erdrückte Shannon fast. Sie rissen ihn zu Boden, schlugen blindlings auf ihn ein, umklammerten seine Arme und Beine.

„Bindet ihn!“, schrie Wellman. „Verschnürt ihn so, dass er sich nicht mehr bewegen kann!“

„Nein, lasst ihn los!“

Die harte Stimme zwang die Köpfe der Weidereiter herum. Shannon war so erledigt, dass er keinen Versuch mehr machte, sich loszureißen. Er war noch verblüffter als die anderen, als er den mondbeschienenen sehnigen Reiter zwischen den Cottonwoods erkannte.

Tom Baker.

Die unvermeidliche Winchester 66 lag wie festgeschmolzen in seinen nervigen Fäusten. Shannon erinnerte sich an Nesbits Schuss. Es war wie ein Wunder, dass Baker noch lebte.

Wellman drehte sich ihm mit kantiger Miene zu.

„Was soll der Unsinn, Tom? Wie kommst du hierher? Ich dachte, du würdest noch halbtot auf der Ranch liegen.“

„Nesbits Kugel hat mich nicht so schlimm erwischt, dass ich nicht reiten konnte, nachdem deine Braut entführt wurde, Brent. Die Halunken ließen mich zwar gefesselt zurück, aber der Padre, den sie bewusstlos schlugen, befreite mich. Ich bin hier, um mit Santana abzurechnen und Miss Loreen zu befreien.“

„Dazu wirst du bald Gelegenheit bekommen, Tom“, lächelte der Rancher verkniffen. „Tu endlich das verdammte Gewehr weg!“

„Erst, wenn Shannon frei ist. Ich hab alles mit angehört. Brent, seine Idee ist nicht schlecht. Wenn du mich fragst. ..“

„Ich frag dich aber nicht!“

„Das hab ich mir gedacht“, nickte Baker grimmig. „Deswegen halte ich den Finger am Drücker.“

„Du bist verrückt, Tom!“, keuchte Wellman mehr verblüfft als erschrocken. „Du wirst nicht schießen!“

„Ich würde es für Miss Loreen tun. Ich denke nämlich, dass Shannon der einzige Mann ist, der sie mitten aus Santanas Lager herausholen kann. Und ich werde ihm dabei helfen.“

Wellmans eckiges Gesicht färbte sich dunkel.

„Du vergisst, wer hier der Boss ist, Tom! Du vergisst, worüber wir uns schon mal ausführlich unterhalten haben! Denk an deinen Schwur, den du meinem Vater geleistet hast!“

„Es ist meine Sache, wie ich ihn erfülle. Was ich hier tue, tue ich auch für dich, Brent. Vielleicht wirst du das eines Tages begreifen. Du hast keinen Grund an meiner Zuverlässigkeit zu zweifeln. Lasst Shannon endlich los!“

Als Wellman schwieg, gehorchten die Cowboys. Shannon erhob sich, wischte sich ein paar Blutstropfen aus dem Mundwinkel und grinste rissig.

„Du kommst wie bestellt, Muchacho.“

„Red nicht lange!“, brummte Baker. „Da steht dein Pferd. Steig auf.“

„Erst, wenn ich dafür gesorgt habe, dass ich beim Reiten keine Kugel in den Rücken bekomme.“

Bevor die anderen begriffen, was er vorhatte, stand Shannon bei dem Rancher und schlug blitzschnell zu. Ein stahlharter, präziser Haken, gegen den kein Kraut gewachsen war. Wellman fiel wie eine Stoffpuppe um.

Achselzuckend grinste Shannon den Vormann an. „Nichts für ungut, Amigo, aber ich bringe es selten übers Herz, eine Schuld unbeglichen zu lassen. Reiten wir also.“

*

Einen Tag lang folgten sie wie Wölfe den Spuren der Entführer. Drei Stunden nach Einbruch der Dunkelheit lagen sie nur mehr dreißig Schritt vom Lagerfeuer der Banditen entfernt hinter einem halbvermoderten Baumstamm. Der zuckende Lichtschein dehnte sich, als einer von Santanas Männern mehrere trockene Äste in die lodernden Flammen warf. Roter Schein geisterte über die zerklüfteten Wände der tief in das Busch und Prärieland eingeschnittenen Schlucht. Die Metallteile der Gewehre, die neben dem Feuer lagen, schienen zu glühen.

Shannon und Baker duckten sich tiefer in ihre Deckung. Dreißig Schritte zu den Banditen. Dreißig Schritte zwischen ihnen und dem Tod, falls sie jetzt entdeckt wurden.

Die letzten Yards hatten sie kriechend zurückgelegt, Zoll für Zoll, damit nur ja kein Knistern oder Rascheln sie verriet. Ihre Pferde standen am Eingang der Schlucht. Zu weit, um sie noch rechtzeitig zu erreichen, wenn die Gewehre und Revolver der Pferdediebe losdröhnten.

Die Bande war etwa fünfzehn Mann stark. Lauter verwegen aussehende Kerle, die sich Santana angeschlossen hatten, weil ihre Steckbriefe in den dichter besiedelten Gegenden von Texas längst die Bretterwände und Zäune zierten. Kerle, denen es gleich war, ob sie unter Jeff Santanas Kommando nun Pferde stahlen, Banken überfielen oder die zukünftige Frau eines reichen Ranchers als Geisel mitschleppten.

Hauptsache, es lohnte sich. Für hunderttausend Dollar Lösegeld würden diese wilden Burschen Santana und Lopez durch die Hölle folgen, daran zweifelte Shannon keinen Moment.

Seine Augen suchten Loreen. Sie kauerte auf der anderen Seite des Feuers. Eine schmale, zusammengesunkene Gestalt in dem zerknitterten weißen Brautkleid. Einsam und verloren inmitten der rauen Kerle, die schmatzend und rülpsend einen Teil ihres mitgebrachten Proviants verzehrten.

Loreens Hände waren gefesselt. Das zerzauste dunkelblonde Haar umrahmte ihr bleiches, erschöpftes Gesicht. Ein Anblick, bei dem sich Shannons Herz zusammenkrampfte. Er wusste nicht, wen er mehr verwünschen sollte, Santana, den jungen Lopez oder Wellman, der aus seinem falschen Stolz heraus keinen Dollar Lösegeld für diese junge hilflose Frau zahlen wollte.

Ein mit mexikanischem Rotwein gefüllter Ziegenlederschlauch machte die Runde. Die Stimmen der Banditen wurden lauter, ausgelassener. Dröhnendes Gelächter brach sich an den Steilwänden der Schlucht. Sie waren ahnungslos. Aber nicht so ahnungslos, dass sie ihre hübsche junge Gefangene unbewacht ließen. Zwei bis an die Zähne bewaffnete Burschen hockten links und rechts neben Loreen, vielleicht auch nur, um sie vor Zudringlichkeiten der eigenen Kumpane zu schützen. Nicht weit davon lehnte Antonio rauchend an einer der Pinien, unter denen die Gäule ruhten.

Baker schob sein schweißbedecktes Gesicht nahe an Shannon heran. Die Verletzung machte dem Vormann doch mehr zu schaffen, als er vor sich zugeben wollte. Aber Shannon hatte bis jetzt keinen Klagelaut von ihm gehört. Dieser eisenharte Weidereiter würde mit Sicherheit durchhalten, was immer auch geschah. Auf seine Art war er ebenfalls ein Besessener.

„Wir kommen unmöglich an sie ran“, flüsterte er. „Wir müssen warten, bis sie schlafen. Vielleicht ...“ Er brach ab.

Denn Santana erhob sich plötzlich in der Runde und blickte genau in ihre Richtung. Shannon wusste, dass der Mestize sie auf die Entfernung unmöglich hören oder sehen konnte. Zufall? Oder besaß der dunkelhäutige Mann den Instinkt einer Raubkatze, einen sechsten Sinn? Die Schussnarbe an Shannons Schläfe begann plötzlich heftig zu jucken. Einer der Banditen ließ den Weinschlauch sinken, als Santana lautlos um das Feuer herumging. Wie Shannon trug er weichlederne Stiefel ohne die üblichen hohen Absätze und Sporen.

„Was ist los, Jeff?“

Santana antwortete nicht. Es war, als würde er in sich hineinlauschen, auf eine warnende innere Stimme hören. Die beiden langläufigen 45er schaukelten drohend an seinen Seiten. Santanas Hände schwebten griffbereit über ihnen.

Shannon folgte einer momentanen Eingebung. Vielleicht war es verrückt, was er jetzt tat, aber noch verrückter wäre es gewesen, darauf zu warten, bis der „König der Pferdediebe“ seine Colts in den Händen hielt. Shannon federte hoch, sprang über den Baumstamm und richtete den Sixshooter auf Santana.

„Buenos noches, Amigo! Nun sorg mal dafür, dass hier kein Schuss fällt, sonst bist du der erste, den’s erwischt.“

Sein Auftauchen schlug wie eine Bombe ein. Die Banditen sprangen auf, packten ihre Waffen und erstarrten, als Shannon vor Santanas Füßen eine Kugel in die Erde jagte. Hinter ihm richtete sich Baker mit der Winchester auf.

Santana blieb reglos. Seine Hände hingen locker herab. Sein Gesicht glich einer Mahagonimaske. Kein Schimmer von Furcht oder Überraschung in seinen dunklen Augen. Als er sprach, bewegten sich kaum seine schmalen Lippen.

„Ihr seid verrückt! Wofür riskiert ihr euer Leben?“

„Das weißt du verdammt genau, Jeff!“, stieß Baker kehlig hervor. „Ich hab dir versprochen, dass wir uns wiedersehen würden.“

„Ich hab vierzehn Mann bei mir, die darauf warten, euch voll Blei zu pumpen.“

„Und wir haben dich“, lächelte Shannon grimmig.

Santana blickte ihn kalt an. „Es war ein Fehler, dich nicht zu töten. Aber ich werde diesen Fehler ausbügeln.“

„Du kannst es versuchen, mehr nicht. Sag deinen Leuten, sie sollen Miss Loreen freigeben.“

Die junge Frau kauerte noch immer am Boden. Einer ihrer Bewacher hielt sie fest. Schreck und Hoffnung spiegelten sich in ihren großen dunkelblauen Augen. Antonio stand geduckt hinter ihr, lauernd, sprungbereit. Santana schüttelte langsam den Kopf.

„Ich mache euch einen anderen Vorschlag, Hombres. Ihr könnt verschwinden, ohne dass jemand eine Hand gegen euch hebt, wenn ihr nie mehr versucht ...“

„Du solltest mich besser keinen, Jeff!“, unterbrach ihn Wellmans schnurrbärtiger Vormann hart. „Wenn Shannon nicht auf dich schießt, ich tu's bestimmt. Miss Milnors Freiheit gegen dein Leben, Jeff, das ist ein faires Geschäft.“

„Caramba, worauf wartet ihr noch?“, schrie Antonio wild. „Schießt sie nieder!“

Die Banditen zögerten, blickten ratlos auf ihren großen, langhaarigen Anführer. Während Baker Santana in Schach hielt, richtete Shannon die Waffe auf den jungen Lopez. „Willst du den Mann töten, der lange Jahre wie ein älterer Bruder von dir war?“

Wütend öffnete und schloss Antonio seine Fäuste. „Das wirst du noch bereuen, Shannon! Von jetzt an gibt es keine Freundschaft mehr zwischen uns.“

„Hat es die je gegeben?“, fragte Shannon bitter.

„Ich werde dich töten!“, zischte Antonio. „Es wäre besser gewesen, du hättest Wellman nicht daran gehindert, mich aufzuhängen, wenn du zum Dank dafür verlangst, dass ich ihn schone.“

„Ich wollte nur, dass der Sheriff von Del Rio die Sache in die Hand nimmt. Außerdem geht es hier nicht um Wellman. sondern um das Leben einer Unschuldigen. Wenn du nicht willst, dass Santana etwas geschieht, dann bring sie her!“

Antonio atmete schwer. „Ihr werdet nicht lebend von hier wegkommen, ihr verfluchten Gringos!“

„Tu, was ich dir sage! Ich zähle bis zehn. Wenn Miss Loreen dann nicht neben mir steht, wird Baker schießen.“

Es gab kein Zurück mehr. Shannon hatte keine Wahl, als den Bluff auf die Spitze zu treiben.

Bluff?

Das Schlimme war, er traute es Baker tatsächlich zu, dass dieser auf seinen ehemaligen Sattelgefährten feuern würde.

Shannon zählte langsam: „Eins, zwei ...“

Antonio rührte sich nicht. Santanas Mund war ein dunkler Strich im breitknochigen Gesicht. Kein Wort kam über seine Lippen. Er überließ die Entscheidung Antonio. Schweißrinnsale glitzerten auf dessen Wangen.

„Fünf, sechs“, zählte Shannon, aber der junge Mexikaner machte keine Anstalten, Loreen hochzuziehen. Shannons Herz hämmerte. Seine Stimme jedoch klang so kühl und sachlich, als würde nicht auch sein Leben auf dem Spiel stehen.

„Sieben, acht ...“

Der Pferdedieb, der Loreen festhielt, wollte sie hochziehen. Da krachte ein Schuss von der dunklen Schluchtkante. Loreen schrie gellend, als der Mann blutüberströmt neben ihr zusammenbrach. Weitere Schüsse hämmerten in die Schlucht herab, fetzten die Glut des Lagerfeuers auseinander, hieben durch die Zweige der Pinien und warfen zwei weitere Männer aus Santanas Bande zu Boden.

„Brent!“, keuchte Baker erschrocken.

Shannon stieß ihn nieder, warf sich neben ihn, versuchte aus dem Lichtkreis zu entkommen. Ohrenbetäubendes Krachen füllte die Schlucht. Männer schrien, fluchten, brüllten. Pferde wieherten markdurchdringend. Wellman und seine Cowboys schossen wie wahnsinnig auf alles, was sich bewegte.

„Eine Falle! Weg hier, sonst bringen sie uns alle um!“, kreischte jemand in dem Durcheinander von stürzenden, Deckung suchenden Gestalten. Pferde rissen sich los, stürmten aus dem Schatten der Bäume, rannten in wilder Panik durcheinander. Ein paar verdorrte Grasbüschel hatten Feuer gefangen und brannten wie Fackeln, so dass sich der Lichtkreis noch erweiterte.

Loreen fuhr taumelnd hoch, den Mund zu einem Entsetzensschrei geöffnet, der im Donnern der Waffen auf der Schluchtkante unterging. Da erst sah Shannon, dass auch ihre Füße gebunden waren. Sie stürzte neben das auseinandergerissene Feuer. Kugeln schmetterten rings um sie in die Erde. Zweigstücke und Rindensplitter wirbelten durch die Luft. Santanas Raureiter hatten nur noch einen Gedanken: Weg hier! Sie versuchten die Pferde zu erreichen, die losgerissenen Tiere einzufangen, in die Sättel zu kommen. Die verzweifelten Schüsse, die sie zum Schluchtrand hinauf jagten, blieben wirkungslos. Von den Gegnern waren nur die gnadenlos blitzenden Mündungsfeuer zu sehen.

„Hölle, Brent ist verrückt geworden!“, krächzte Baker, der sich neben Shannon auf die Erde presste. Kugeln pfiffen über sie hinweg. Hatten Wellmans Leute sie nicht erkannt oder war es ihnen gleich, ob sie getroffen wurden? Loreen versuchte jenseits des Feuers verzweifelt aus der Helligkeit wegzukriechen.

Baker sprang auf.

„Aufhören, Brent!“, brüllte er. „Um Himmels willen, aufhören, sonst triffst du ja ...“

Er rannte auf das Feuer und die Frau zu. Nach vier Schritten riss ihn eine Kugel herum und schleuderte ihn nieder.

„Wellman, du Hundesohn!“ Shannon jagte einen Schuss zum Schluchtrand hinauf. „Willst du auch noch deine Braut töten, du verfluchter Narr?“

Die ersten flüchtenden Banditen sprengten durch die dunkle Schlucht davon. Staub und Pulverdampf wogten wie rötlicher Nebel im zuckenden Licht. Shannon schnellte hoch. Gleichzeitig mit ihm erreichte Santana den getroffenen Vormann.

„Bringt die Frau weg!“, schrie der Bandenboss. Ungeachtet der schwirrenden Geschosse warf er sich bei Baker auf die Knie. „Santa Madonna! Tom, Amigo, wo hat es dich erwischt?“

Keine Feindschaft mehr. Ein Zittern in seiner sonst so harten, unnachgiebigen Stimme. Zwei von seinen Leuten zerrten die gefesselte Frau zu den stampfenden, schnaubenden Pferden, während ihnen drei, vier andere Feuerschutz zu geben versuchten. Baker bewegte sich stöhnend. Sein Baumwollhemd war blutdurchtränkt.

Shannon starrte Santana in die Augen.

„Schnell, schaff ein Pferd her!“

Er hob den Verwundeten vorsichtig auf. Santana rannte mit Tigersätzen zu den Bäumen. Shannon folgte ihm. Das Schießen auf der Schluchtkante ließ nach. Aber ein Gewehr hämmerte mit unverminderter Gleichmässigkeit weiter.

Ein Bild stand wie eine Vision vor Shannons Augen: Wellmans angespanntes, fanatisches Gesicht am Stahllauf eines feuerspuckenden Karabiners. Hände, die wie von selber repetierten und schossen, repetierten und schossen ...

Santana preschte auf seinem Rappen heran.

„Ich nehm ihn zu mir rauf. Ich werde mich um ihn kümmern.“

„Jeff!“, stöhnte Baker. „Jeff, ich ...“

„Schon gut, Amigo. Keine Sorge. Ich bring dich hier schon raus“, murmelte Santana. Er hatte ein zweites gesatteltes Pferd für Shannon mitgebracht. Alle anderen Desperados waren mit der Gefangenen schon voraus. Schlaffe Gestalten lagen als dunkle Bündel über den Lagerplatz verstreut.

Santana hielt den zusammengesunkenen Verletzten im Arm, zog den Gaul herum und jagte davon. Der heiße Luftzug einer Kugel streifte Shannons Wange. Er schwang sich in den Sattel und galoppierte hinter dem „König der Pferdediebe“ her.

*

Ben Sheppard fuhr entsetzt von der Schluchtkante zurück und ließ das Gewehr fallen. Links und rechts von ihm dröhnten die Karabiner der Wellman-Cowboys. Mündungsblitze beleuchteten gespenstisch ihre harten, verkniffenen Gesichter. Ihre Hände mit den Repetierbügeln fuhren auf und nieder.

„Aufhören!“, schrie der bullige junge Ranchersohn heiser. „Mein Gott, seht ihr denn nicht, dass Baker, Shannon und die Frau dort unten sind? Ihr werdet sie treffen. Hört auf, hört endlich auf!“

Keuchend stolperte er zu Wellman, der mit aufgestütztem Gewehr hinter einem Felsblock kniete und mit mechanischer Gleichmäßigkeit wie auf einem Schießstand in die Schlucht hinabfeuerte. Er war taub für die Schreie, die durch das Krachen heraufgellten. Sheppard war entsetzt über den wilden, verbissenen Ausdruck auf dem Gesicht des Ranchers. So hatte er Wellman noch nie gesehen. Er streckte eine Hand nach ihm aus.

„Um Himmels willen, Mr. Wellman, sagen Sie den Leuten, sie sollen Schluss machen! Es ist Wahnsinn! Wir ...“

„Geh weg!“, fuhr der Rancher ihn spröde an, ohne den Blick von dem qualmvernebelten Durcheinander in der Schlucht zu wenden. In fliegender Eile, so, als könnte er es kaum erwarten weiterzumachen, schob er neue Patronen in das Magazin seines Remington-Vorderladers.

„Das ist die Chance, auf die ich gewartet habe. Die Chance, Santana fertigzumachen. Hast du vergessen, was mit deinem Vater geschah, Ben?“

Er hebelte hastig eine Patrone in den Lauf, zielte und schoss. Fassungslos schüttelte der junge Sheppard den Kopf. Schweißbäche liefen über sein Gesicht. Er zuckte zusammen, als Wellman wieder feuerte. Plötzlich stürzte er sich auf ihn und versuchte, ihm das Gewehr zu entreißen.

Wellman fluchte.

„Bist du verrückt geworden?“

„Ihre Braut!“, keuchte Sheppard, während sie am Felsblock lehnend um die Waffe rangen. „Sehen Sie sie denn nicht? Sie ist ...“

Er rutschte aus, und Wellman schlug wuchtig mit dem Karabinerlauf zu. Sheppard taumelte zurück und brach zusammen. Im nächsten Moment kniete Wellman schon wieder an seinem Platz und jagte Kugel auf Kugel in die Tiefe.

Das wütende Gewehrfeuer neben ihm versickerte allmählich, als die fliehenden Banditen durch die Schlucht davongaloppierten. Nur Wellman schoss wie im Vernichtungswahn weiter, bis sich unten zwischen den kugelzerfetzten Pinien nichts mehr rührte. Der Mond stieg als Silberscheibe über die strauchbewachsenen Hügel. Wellman setzte langsam das heißgeschossene Gewehr ab. Dunkle Linien furchten sein Gesicht. Er drehte den Kopf. Er spürte die Blicke aller Männer auf sich gerichtet.

Eine scharfe Falte stand zwischen seinen Brauen.

„Zum Teufel, was ...“ Sein Blick fiel auf Sheppard. Der ledergesichtige, grauhaarige Oldtimer kniete bei ihm.

Er hob langsam den Kopf und starrte Wellman an, als würde er plötzlich etwas Fremdes an ihm sehen.

„Er ist tot, Brent.“

Wellman packte die Remington fester. Für ein paar Sekunden war seine Miene bleich und erschöpft. Oder war nur das Mondlicht daran schuld? Er bewegte sich nicht. Tobe, der Oldtimer, erhob sich schwerfällig.

„Es wird Zeit, dass wir zurückreiten, Brent“, sagte er mit müder, heiserer Stimme.

Jäh spannte die alte Härte wieder Wellmans Gesicht.

„Den Teufel werden wir! Ich schieße auf jeden, der jetzt noch auszusteigen versucht!“

Das war nicht mehr der kalte, befehlsgewohnte Boss. Das war ein Besessener, der dabei war, alle Brücken hinter sich abzubrechen. Ein paar von den Cowboys zogen unwillkürlich die Köpfe ein, als Wellman drohend das Gewehr hob. Tobe schaute mit hängenden Schultern auf die reglose Gestalt zu seinen Füßen. In seiner Raserei hatte Wellman viel zu hart zugeschlagen. Tobe schüttelte bitter den Kopf.

„Es ist genug Unheil geschehen, ohne dass wir etwas erreicht hätten, Brent ...“

„Ben hat mich angegriffen. Ich wollte ihn nicht so hart treffen, aber es ist seine eigene Schuld.“ Als Tobe und die anderen schwiegen und ihn nur unverwandt anstarrten, stampfte der Rancher wütend auf. „Glaubt ihr mir etwa nicht? Verdammt, seit wann schulde ich euch Rechenschaft?“

„Nicht uns, deinem Vater!“, murmelte der alte Weidereiter.

Wellman atmete tief durch. „Es war ein Unfall! Wenn wir zurückkehren, werdet ihr alle bezeugen, dass es ein Unfall war!“ Seine Stimme wurde herrisch. „Aber dann werden Lopez und Santana nicht mehr leben.“

„Und du glaubst, Brent, damit ist alles gerechtfertigt?“, fragte Tobe leise.

„Ja, zum Teufel!“, schrie Wellman ihn an. „Um diese Schweinehunde, die mich ruinieren wollen, zu erwischen, bin ich bereit, jeden Preis zu zahlen!“ Sein glühender Blick jagte über die Gesichter der übrigen Cowboys. „Wir werden sie hetzen, bis keiner von ihnen mehr am Leben ist! Wir haben die Hälfte von ihnen bereits erwischt. Jetzt sind sie nicht mehr stark genug, es mit uns aufzunehmen. Jetzt bleibt ihnen nichts anderes übrig, als wie die Hasen vor uns herzurennen. Aber wir holen sie ein. Und dann sei der Himmel diesen Halunken gnädig!“

„Sie haben Ihre Braut, Boss.“

„Und wir haben genug Gewehre und Revolver, um zu verhindern, dass Loreen etwas geschieht! Sie werden sie laufenlassen, wenn sie erst merken, dass sie mich mit ihr nicht unter Druck setzen können.“ Und um kein weiteres Argument aufkommen zu lassen, redete Wellman scharf und anfeuernd weiter. „Wir dürfen sie nicht mehr zur Ruhe kommen lassen! Wir müssen verhindern, dass sie ihr Versteck in den Sümpfen erreichen. Will, Ned, Harry, bringt die Pferde her! Solange es mondhell ist, haben wir eine Chance, ihrer Spur zu folgen. Wir rasten erst im Morgengrauen. Keiner von euch wird es bereuen, mir auf diesem Ritt zu folgen. Wenn wir zurückkehren, zahle ich jedem von euch eine Prämie von dreihundert Dollar!“

Tobe drehte den Kopf zur Seite und spuckte aus. Wenn er etwas sagen wollte, so ließen ihm die anderen keine Gelegenheit dazu. Ein Durcheinander begeisterter Zurufe. Ein gegenseitiges Schulterklopfen. Wellman stiefelte sporenklirrend zu dem alten hageren Cowboy.

„Du bleibst hier, Tobe. Du wirst Ben begraben. Es steht dir dann frei, uns zu folgen. Wenn nicht, dann will ich dich in diesem Land nie mehr sehen. Hast du verstanden?“

*

Im Schein der aufgehenden Sonne war Tom Bakers Gesicht grau und eingefallen, seine Augen dunkel vor Schmerz und Erschöpfung. Er lag im Schatten eines Weidengebüschs am Rand eines ausgetrockneten, kiesigen Flussbetts. Ringsum stampften die Hufe der Banditenpferde. Staubbedeckt und zusammengesunken hockten die Reiter in den Sätteln und warteten darauf, dass es weitergehen würde. Nur Shannon und Santana waren abgestiegen. Sie knieten bei Baker. Shannon bereitete einen frischen Verband vor. Der Mischling hielt dem Vormann eine lederüberzogene Wasserflasche an den Mund. Nach ein paar Schlucken drehte Baker den Kopf weg.

„Gebt euch keine Mühe mehr mit mir. Reitet, damit Brent euch nicht erwischt. Mit mir ist es aus.“

„Sag das nicht, Amigo“, lächelte Santana gezwungen. „Ich weiß, du bist zäh wie Büffelleder. Ich kenne dich besser als du dich selber. Weißt du noch, Amigo, als Yellow John mit seiner Bande damals hinter uns her war? Da waren wir auch fix und fertig. Da hätte auch keiner mehr einen Cent für dein und mein Leben gegeben. Und doch haben wir es geschafft. Weißt du noch?“

„Das ist lange her“, seufzte Baker. „Zu lange, Jeff. Ich bin inzwischen fast ein alter Mann geworden. Es hat mich zu schlimm erwischt. Du brauchst mir nichts vorzumachen. Wir halten hier nur, damit ich in Ruhe sterben kann. Aber es ist ein Fehler, wenn ihr hier wartet. Reitet nur. Lasst mich allein.“

Santana blickte zur Seite. Nur Shannon sah das Zucken in seinem dunkelbraunen Gesicht, den feuchten Glanz in seinen Indianeraugen. „Wir rasten hier, weil sonst die Pferde nicht mehr durchhalten, Tom. Zerbrich dir darüber nicht den Kopf. Du weißt doch, Pferde waren von jeher meine große Leidenschaft. Ich glaube fast, ich bin nicht nur des Profits wegen zum ,König der Pferdediebe' geworden. Verrückt, was?“

„Du warst schon immer ein verrückter Kerl, Jeff“, murmelte Baker schwach. „Wild, verwegen, voller Abenteuerlust. Aber du warst nie ein Lump, nie ein Killer. Du bist es auch jetzt nicht. Jeff, hör zu ...“ Zittrig griff er nach Santanas Arm. „Lass die Frau reiten, Jeff! Gib sie frei! Menschenraub ist eine böse Sache. Das passt nicht zu dir. Außerdem, Wellman ist nicht bereit, Lösegeld zu zahlen. Er ist versessen darauf, euch zu erledigen. Das hat er in der vergangenen Nacht bewiesen ...“

„Lieg ruhig, Tom! Denk jetzt nicht an diese Dinge. Ruh dich aus.“

„Ich hab nicht mehr viel Zeit!“, keuchte Baker, und Shannons Magen zog sich zusammen, als er das verzweifelte Flackern in seinen Augen sah, die Anstrengung, die ihm das Sprechen bereitete. „Ich bin froh, dass ich nicht auf dich schießen musste, Jeff. Wer weiß, ob ich es gekonnt hätte. Jetzt werden wir als Freunde auseinandergehen. Aber tu, was ich dir sage, sonst war alles umsonst ...“

„Ja, Tom, schon gut.“

Baker ließ ihn nicht los. Mit letzter Kraft versuchte er den Kopf zu heben und in Santanas Gesicht zu sehen. „Versprich es mir, Jeff!“

Santana jagte einen Blick zu der Frau hinüber, die die Szene bleich und mit schreckverdunkelten Augen vom Sattel aus beboachtete. Dann nahm er Bakers Rechte in beide Hände und nickte. „Ich sage ja, es ist gut, Tom. Ich verspreche es dir.“

Baker entspannte sich. Der Anflug eines erleichterten Lächelns löste seine Mundwinkel.

„Danke, Jeff.“

Sein Atem ging ruhig, und als er die Augen schloss, sah er aus, als hätte er sich zum Schlafen niedergelegt. Shannon erhob sich und ging zu seinem Pferd. Es war Santanas Recht, in diesen letzten Minuten mit seinem Freund allein zu sein. Die anderen Reiter bewegten sich nicht. Mit Antonio waren es nur mehr acht Mann. Vier waren verwundet, einer so schwer, dass ihn seine Gefährten auf dem Pferd stützen mussten.

Nach etwa fünf Minuten stand Santana auf und kam schwerfällig zu ihnen herüber. Er blickte keinen der Männer an. „Cole, Diego, begrabt ihn“, befahl er leise.

Er ging zu Loreen, die ihm starr entgegenblickte. Schweigend zog er das Messer aus der buntbestickten Lederscheide am Gurt und zerschnitt ihre Fesseln.

„Sie finden den Weg zurück zu Wellmans Ranch bestimmt allein, Ma'am.“

Loreen schluckte, schaute abwechselnd auf Santana und die lose baumelnden Riemen an ihren Gelenken. Santana drehte sich Shannon zu. Sein indianisch geschnittenes Gesicht war ausdruckslos.

„Wenn du willst, kannst du mit ihr reiten.“

Antonio trieb sein Pferd aus dem Halbkreis der Wartenden.

„Jeff, das ist nicht dein Ernst! Du wirst Wellmans Verlobte doch nicht wirklich freigeben!“

„Ich habe es Tom versprochen.“

Ein zorniges Funkeln war in Antonios Augen. Er schlug die Faust auf das Sattelhorn.

„Auch ich habe dein Wort!“

„Ich werde es einlösen. Ich werde dir helfen, den Tod deines Vaters zu rächen. Aber von jetzt an bestimme ich die Regeln. Es hat mir nie gefallen, dass wir Wellmans Braut in diesen Kampf hineinzogen.“

„Sie ist unser wirksamster Trumpf.“

„Davon habe ich letzte Nacht nicht viel gemerkt“, erwiderte Santana mit bitterem Achselzucken. „Wellman. dieser Schuft, ist nicht bereit, Rücksicht auf sie zu nehmen. Erst recht wird er kein Lösegeld zahlen.“

„Das muss sich erst zeigen.“ Antonio beugte sich im Sattel vor. Seine Mundwinkel waren wie eingeritzt. Seine Rechte näherte sich wie zufällig dem Kolben des tiefgehalfterten Colts. Santana rührte sich nicht.

„Wellman hat Tom auf dem Gewissen. Schon allein das ist ein Grund für mich, ihn nicht ungeschoren davonkommen zu lassen, ihn ebenso zu hassen, wie du es tust, Antonio. Aber Wellmans Geld? Nein, ich will es nicht! Und ich will erst recht nicht, dass wir eine Frau deswegen unnötig in Gefahr bringen. Das hat mit unserem Kampf gegen Wellman nichts mehr zu tun.“

„Willst du hunderttausend Dollar Lösegeld so einfach abschreiben?“

„Was willst du eigentlich? Geld oder Rache?“

Antonio lächelte verkniffen. „Vielleicht beides.“

„Dann vergiss nicht, wer hier der Boss ist!“, stieß Santana kehlig hervor.

„Ich denke“, antwortete der junge Lopez schleppend, „das hängt davon ab, wer diesen Männern zur größten Beute ihres Lebens verhelfen wird.“

Seine Rechte war zum Zuschnappen bereit. Sein drahtiger Körper gespannt wie eine Stahlfeder.

Shannon lenkte sein Pferd neben Santana. Die Pferdediebe hatten ihm seinen Colt gelassen. Shannons rechte Hand senkte sich auf den Hickorykolben der Waffe.

„Sei nicht verrückt, Antonio. Hör auf ihn! Ich weiß, dass ihr von Wellman kein Geld bekommen werdet. Er wird höchstens versuchen, Miss Loreen gewaltsam zu befreien.“

„Wir werden sehen. Halt du dich da heraus, Shannon. Ich habe nicht vergessen, dass du dich gegen mich gestellt hast.“

„Weil du genauso blind und besessen wie Wellman bist! Ich werde ...“

Einer der Banditen richtete das Gewehr auf ihn. Der Repetierbügel knackte drohend.

„Sei still! Antonio hat recht, du hast hier nichts zu melden. Noch ein Wort, und ich schieß dich vom Pferd!“

Der junge Mexikaner lächelte zufrieden. Santanas Kopf flog herum. Seine Kohleaugen funkelten.

„Bist du verrückt geworden, Jube? Tu das Gewehr weg!“

„Erst, wenn Antonio es sagt“, knurrte der finstere, hagere Bursche, dessen linkes Auge von einer schwarzen Lederklappe verdeckt wurde. Santana packte die Kolben seiner beiden Colts. Im selben Moment hoben auch die anderen Reiter ihre Colts und Karabiner.

Santana erstarrte. Ein bitterer Zug spannte seinen harten Mund. „Ihr wisst nicht, worauf ihr euch da einlasst, Amigos“, sagte er leise und gepresst.

„Sie wollen das Geld“, lachte Antonio spöttisch. „Und ich werde ihnen dazu verhelfen. Das kannst du ihnen nicht vorwerfen. Ich hätte nicht gedacht, Jeff, dass du, der ,König der Pferdediebe', so zimperlich sein könntest.“

„Amigo, du bist blind vor Hass und Rachsucht“, murmelte Santana. „Aber so verblendet kannst du nicht sein, dass du auf mich schießen wirst.“

„Nur, wenn du mich nicht dazu zwingst! Schnall ab, Jeff! Und du auch, Shannon! Von jetzt an führe ich die Mannschaft.“

Santanas Wangenmuskeln verkrampften sich. Das einzige Zeichen, wie aufgewühlt er war. Shannon erinnerte sich daran, wie Antonio zu dem Mestizen gekommen war und ihn um Unterstützung geradezu angefleht hatte. Er schüttelte den Kopf.

„Damit stellst du dich auf eine Stufe mit Wellman, Antonio.“

Lopez zog seinen Revolver. Loreens entsetzter Aufschrei vermischte sich mit dem Knall der Waffe. Die Kugel pfiff haarscharf an Shannons kantigem Gesicht vorbei.

„Das war die letzte Warnung, Hombre!“

Shannon zweifelte nicht daran. Jetzt ging es nicht um falsches Heldentum, sondern darum, am Leben zu bleiben. Vielleicht bot sich dann doch noch irgendwann die Chance, Loreen Milnor zu helfen. Einer der Pferdediebe hatte seinen Gaul neben die junge Frau getrieben, um zu verhindern, dass sie floh. Shannon schnallte ruhig seinen Coltgurt ab, ritt zu Antonio und reichte ihn ihm.

Triumph glühte in Antonios Augen. „Keine Sorge, Muchachos, Wellman wird zahlen, wenn er niemand mehr hat, der ihm hilft, der für ihn reitet. Dafür werden wir sorgen. Er denkt, er hat uns bereits vernichtend geschlagen. Er ist überzeugt, wir rennen wie Hasen vor ihm davon. Aber wir werden den Spieß umdrehen, Companeros. Morgen suchen wir eine geeignete Stelle für einen Hinterhalt. Dann werden wir auf ihn warten. Und dann werden wir ja sehen, wieviel Wellman das Leben seiner hübschen Muchacha wert ist.“

Er lachte wild. Santanas Blick wan derte über die Gesichter der Männer, die vor kurzem noch bereit gewesen waren, ihm in die Hölle zu folgen.

„Wir sollten von Anfang an bei dem Geschäft mit den Pferden geblieben sein, Amigos. Lasst euch nicht von dem Gedanken an das viele Geld täuschen, das ihr ja doch nicht bekommen werdet. Noch ist es Zeit, die Fehler gutzumachen. Ich verspreche euch ...“

„Nehmt ihm die Waffen weg! Fesselt ihn!“, befahl Antonio wütend.

Mehrere Banditen ritten zu Santana, sprangen ab und packten ihn. Er hob keine Hand gegen sie.

*

Fahles Mondlicht sickerte in das Wäldchen, in dem die Banditen ihr Nachtlager aufgeschlagen hatten. Shannon schlief trotz der Fesseln an Händen und Füßen, trotz der Ungewissheit, was der nächste Tag bringen würde. Er war kein Mann, der sich in das scheinbar Unvermeidliche ergab. Aber in einem gefahrvollen Leben hatte er gelernt, abzuschalten und neue Kräfte zu sammeln, wann immer sich dazu Gelegenheit bot. Als ein Geräusch ihn weckte, war er sofort hellwach wie ein Tier in der Wildnis.

Ein Schatten glitt unter den Bäumen hervor. Für den Bruchteil einer Sekunde fiel ein Strahl Mondlicht auf den blanken Stahl eines Messers. Dann ein Flüstern. Santanas Stimme. „Bist du es, Diego?“

„Si, Amigo, und der Teufel soll mich holen, wenn ich dich im Stich lasse, nachdem du lange Jahre der Mann warst, dem wir ohne Zögern gefolgt sind. Ich habe Pferde bereitgestellt. Wirst du mich mitnehmen?“

„Gewiss, Diego. Aber sei vorsichtig. Antonio hat einen Wachtposten aufgestellt.“

„Ich habe ihn vor einer halben Stunde abgelöst. Er schläft bereits.“

Santanas Fesseln fielen. Der große, dunkelhäutige Mann setzte sich auf und rieb seine Handgelenke. Shannon raunte: „He, Muchacho, ich hoffe, du vergisst Miss Loreen und mich nicht.“

Diego, ein untersetzter, sichelbärtiger Mexikaner, war mit einem lautlosen Satz bei ihm und hielt ihm die Klinge ah die Kehle. „Wetten, dass du nicht mehr dazu kommst, die anderen zu wecken, Hombre? Was machen wir mit ihm, Jeff?“

„Schneid ihn los, Amigo. Er steht auf unserer Seite. Wir nehmen auch die Frau mit.“

„Ich hab nur zwei Pferde besorgt, Jeff.“

„Wartet bei ihnen. Ich hole die anderen.“

Wie eine große Raubkatze verschwand Santana lautlos unter den Bäumen. Stille ringsum, bis auf die gleichmäßigen Atemzüge der Schläfer, die wie dunkle Bündel um das längst herabgebrannte Feuer lagen.

Shannon fühlte sich wie neugeboren, als die Riemen von seinen Hand- und Fußgelenken fielen. Gleich darauf war auch Loreen frei. Shannon half ihr hoch. Ihr weißes Kleid leuchtete verräterisch in der Dunkelheit. Aber nach dem anstrengenden heißen Tag schliefen Antonio und seine Kumpane wie Murmeltiere. Shannon und Loreen folgten Diego zu den Pferden, die am Rand des Wäldchens standen. Ihre Hufe waren mit Tüchern umwickelt.

Nach einigen Minuten kam Santana mit den übrigen Pferden. Aber es waren nicht zwei, sondern drei Tiere, die er an den Zügeln hinter sich herführte. Quer über dem Sattel des einen Gauls lag eine reglose, gefesselte Gestalt.

„Dios mio!“ Diego bekreuzigte sich fahrig, als er Antonio erkannte. „Was hast du mit ihm vor?“

„Mein Versprechen, das ich ihm gegeben habe, gilt immer noch. Er soll dabei sein, wenn Brent Wellman seine Schuld bezahlt.“

Loreen zuckte zusammen, sagte aber nichts. Ihr Gesicht schimmerte kreidig im Schein des Mondes, der die wellige, von Buschinseln durchsetzte Prärie überflutete.

„Du solltest besser nach Mexiko verschwinden, solange noch Zeit dazu ist“, sagte Shannon heiser.

Santana blickte ihn kalt an. „Ich bin ein Pferdedieb, aber ich habe mein Wort noch nie gebrochen. Außerdem war Tom Baker der einzige wahre Freund, deh ich je besaß. Ich bringe Wellman die Frau zurück, die er heiraten wollte und auf deren Leben er doch keine Rücksicht nahm. Und dann werde ich ihn töten.“

*

Wellman sprang auf und ließ den dampfenden Kaffeebecher fallen, als der Reiter auf dem buschbewachsenen Hügelkamm über dem Lagerplatz auftauchte. Im nächsten Augenblick hielt er bereits sein Remingtongewehr in der Hand. Die Cowboys packten ebenfalls ihre Waffen. Der Mann auf dem Hügel winkte.

„Nicht schießen! Wellman, ich muss mit Ihnen reden! Ich hab ’ne wichtige Nachricht für Sie!“ Er jagte den lang abfallenden Hang herab. Eine Staubfahne hing hinter ihm zwischen den in der glühenden Sonne halbverdorrten Sträuchern.

„Verdammt! Das ist doch der Kerl, den Baker und Shannon aus Mexiko geholt hatten!“, rief ein Mann neben dem Rancher. „Einer von den Hundesöhnen, die damals Ihre Pferde stahlen, Boss! Ich fress’ meine Sporen, Boss, wenn der was Gutes im Sinn hat!“

Das metallische Klicken von Karabinerschlössern lief durch die staubige Senke. Wellman schob das eckige Kinn vor.

„Wartet, Jungs! Ich will hören, was er will!“

Wade Nesbit, den Santana aus dem Schlupfwinken in den Nuecessümpfen verjagt hatte, zügelte in einer Staubwolke vor ihm das abgetriebene Pferd. Er sprang ab und blickte mit einem schiefen Grinsen auf die Waffe in Wellmans Fäusten.

„Das ist nicht gerade der Empfang, den ich erwartet habe.“

„Wenn du mehr für einen Strick um deinen Hals bist, den kannst du haben!“, knurrte der breitschultrige Rancher. Ein paar von seinen Cowboys lachten.

Nesbit kratzte sich am stoppeligen Kinn und legte lauernd den Kopf schief. „Ich denke, es ist Zeit, Dinge ruhen zu lassen, über die ja doch längst Gras gewachsen ist.“

„Was du denkst, interessiert mich nicht, Bandit!“

„Aber vielleicht interessiert es Sie zu erfahren, dass Santana, Loreen und Shannon auf dem Weg hierher sind.“

„Was sagst du da? Zum Teufel, rede weiter!“

Nesbit grinste, fuhr sich mit der Zunge über die ausgetrockneten Lippen. „Ich bin verdammt hart geritten, Rancher. Ich bin durstig und ...“

„Lass die Faxen! Sprich!“

Wellman drückte ihm die Gewehrmündung gegen den Bauch. Der untersetzte, staubbedeckte Bandit drehte das. gedunsene Gesicht zur Seite und spuckte aus.

„Ich bin nicht hergekommen, um mich von ihnen über den Haufen knallen zu lassen, Wellman! Was ich Ihnen biete, ist ein Geschäft, ein Tipp, wie Sie Ihre Feinde ohne Risiko auf einen Schlag erwischen. Übrigens, diese Kerle haben Ihre Braut dabei. Ich weiß den Weg, den sie kommen werden. Und ich kenne einen Platz, wo Sie mit Ihren Leuten auf sie warten können. Schätze, das ist einen guten Preis wert.“

„Und wer sagt, dass ich dir trauen kann? Gehörst du nicht selber zu Santanas Leuten?“

„Das war einmal. Seitdem hab ich eine Rechnung mit Santana abzumachen. Dann werde ich nach Mexiko verschwinden. Aber nicht mit leeren Taschen.“

„Santana und Lopez auf dem Weg hierher? Ohne ihre Mannschaft? Ich trau dir nicht, Freundchen.“

„Veilangt auch niemand!“, grinste Nesbit. „Sie sollen mich erst bezahlen, wenn alles vorbei ist. Bekomm ich jetzt was zu trinken?“

Widerstrebend ließ Wellman die Remington sinken. „Gebt ihm, was er will.“

Ein Cowboy warf Nesbit eine bastumwickelte Flasche zu. Nesbit trank so gierig, dass ihm die rötliche Flüssigkeit über das unrasierte Kinn perlte. Dann wischte er sich mit dem Handrücken über den Mund, gab die Flasche aber nicht zurück. Er blickte Wellman lauernd an.

„Wieviel?“

„Hundert Dollar.“

Nesbit lachte schallend.

„Guter Witz! Hundert Bucks für die Skalpe von Santana, Lopez und Shannon! Verrückt! Ich will tausend für jeden, Wellman!“

„Wir werden diese Kerle auch ohne dich finden“, sagte der Rancher.

„Aber mit Sicherheit zu spät! Weiß der Teufel, was die vorhaben. Die kommen bestimmt nicht, um Ihnen freundlich guten Tag zu sagen. Wetten?“

„Und ich wette, du wirst uns auch hinführen, ohne einen lausigen Cent dafür zu bekommen, wenn meine Leute dich vorher richtig in die Mangel nehmen.“ Wellman hob wieder das Gewehr.

Nesbit erbleichte, trat einen Schritt zurück. „Machen Sie keinen Quatsch, Mann! Das ist nicht meine Art, Geschäfte zu machen!“

„Es geht nicht um deinen Geschäftsstil, Freundchen, sondern um meinen“, lächelte Wellman kalt. Sporenrasselnde Tritte näherten sich Nesbit von allen Seiten. Mit seiner Sicherheit war es aus. Ein gehetztes Flackern erschien in seinen Augen.

„Na schön, Wellman, keine tausend, sondern fünfhundert für jeden! Bedenken Sie, die Kerle sind schon ziemlich nahe. Ich beobachte sie seit Tagesanbruch. Sie verlieren kostbare Zeit, Wellman, wenn Sie ...“

„Du bekommst hundert Dollar für jeden dieser Halunken, keinen Cent mehr.“

Nesbit keuchte, kaute auf seiner dicken Unterlippe. Das Klirren der vielen Sporen war nur mehr wenige Schritte entfernt. Nesbits Grinsen war eine klägliche Grimasse.

„Okay, okay! Jeder versucht seine Trümpfe auszuspielen so gut er kann. Der Preis gilt, Rancher.“

Wellman nahm nicht den Finger vom Abzug. „Dann los! In die Sättel, Männer! Hank, bring sein Pferd her!“

*

Seit Tagesanbruch saß Antonio wieder im Sattel. Seitdem hatte er kein Wort gesprochen. Jetzt, nach vier Stunden unter der sengenden Sonne, trieb er wütend sein Tier auf gleiche Höhe mit Santana, der schweigend, mit starrer Miene vorausritt.

„Deine eigenen Leute werden dich jagen, Jeff, wenn du sie auf diese Weise um die erhoffte Beute bringst! Es ist verrückt, was du vorhast! Du bist schon jetzt ein toter Mann.“

Seine Worte schienen an Santana wie an einem Fels abzuprallen. Kein Muskel bewegte sich im Gesicht des großen Mestizen. Keuchend streckte Antonio ihm die vorn zusammengeschnürten Hände hin.

„Bind mich los, Jeff! Lass mich mit der Frau umkehren! Dann will ich alles andere vergessen, auch, dass du mir versprochen hast, mit Wellman abzurechnen.“

Während die Pferde im Schritt durch das kniehohe dürre Gras dahintrotteten, wandte Santana langsam den Kopf.

„Das hab ich nicht nur dir versprochen, sondern mir selbst! Hör auf, von dem Geld zu reden und davon, dass du Wellman erst völlig ruinieren und zerbrechen willst, ehe du deine Waffe auf ihn richtest! So würde Wellman selber an einem Feind handeln, aber kein richtiger Mann. Es ist genug Blut von Männern geflossen, die mit dieser Sache gar nichts zu tun haben. Deshalb werden Wellman und ich es allein austragen. Ohne Geisel, ohne Lösegeld, ohne dabei eine blutige, sinnlose Schlacht zu entfesseln.“

„Und du denkst, er wird darauf eingehen?“, lachte Antonio schrill. „Da kennst du Wellman schlecht.“

„Ich werde die Frau zurückbringen und ihn vor der versammelten Mannschaft herausfordern. Wenn er dann kneift, ist er nicht nur bei seinen eigenen Leuten erledigt. Dann wird es in ganz Texas keinen Mann mehr geben, der ihm die Hand reicht.“

„Rache zahlt sich nicht aus“, warf Shannon mürrisch ein. „Wellmans Tod ändert nichts mehr daran, was passiert ist.“

„Soll ich versuchen, ihn zum Sheriff nach Del Rio zu bringen, wo eine Menge Leute alles tun werden, um ihn frei und mich an den Galgen zu bekommen?“

„Ich könnte es für dich erledigen.“

„Okay!“, lachte Santana hart. „Wenn Wellman bereit ist, sich zu ergeben, werde ich darauf zurückkommen. Aber ich bin sicher, das wird nie der ...“

„Wartet!“, raunte Shannon, zügelte jäh sein Pferd und bückte sich, als müsste er etwas am Steigbügel in Ordnung bringen. Sie waren in eine hohlwegartige, mit Sträuchern gesäumte Hügelkerbe geritten. Seidig blauer Himmel wölbte sich über deren Rändern.

„Was ist los?“, fragte Antonio nervös.

„Wir sind nicht mehr allein“, murmelte Shannon in seiner gebeugten Haltung. „Die Büsche da oben haben sich bewegt. Reitet zurück.“

„Das bildest du dir doch nur ein“, brummte der sichelbärtige Diego, der als Bewacher neben der jungen Frau ritt. „Ich kann nichts sehen. Du willst nur nicht, dass wir zu Wellman kommen. Wartet, Amigos, ich werde euch beweisen, dass ich recht habe.“

„Diego!“, rief Santana noch, da spornte der gedrungene Mexikaner bereits seinen Gaul weiter. Erdbrocken und Grasbüschel flogen unter den scharfkantigen Hufen auf. Diego preschte in einen wahren Feuerhagel hinein.

Es blitzte und krachte, als sei eine ganze Kompanie Blauröcke zwischen den Cottonwoods und Kreosots über dem Hohlweg in Stellung gegangen. Mann und Pferd wurden wie von einer Riesenfaust niedergeschmettert. Diegos letzter Schrei wurde von den ohrenbetäubenden Detonationen erstickt.

„Weg hier!“, brüllte Shannon und riss seinen Gaul herum. Santana war schräg vor ihm. Er hatte die Zügel von Loreens Pferd gepackt. Loreens langes dunkelblondes Haar flatterte.

Es waren Sekunden eisigen Entsetzens. Sekunden der Verzweiflung, der Hilflosigkeit, der ohnmächtigen Wut über die Brutalität dieses Hinterhalts. Ein Dutzend Yard weiter, und sie hätten keine Chance mehr besessen, aus der tödlichen Zange herauszukommen!

Eine Kugel streifte Shannons linken Steigbügel. Geschosse fauchten nicht nur haarscharf an Santana, sondern auch an Loreen vorbei. Antonios Brauner brach von mehreren Kugeln getroffen zusammen. Der junge schwarzhaarige Mann brachte gerade noch die Füße aus den Steigbügeln. Im nächsten Moment rollte er durch das sonnenverbrannte Gras. Kugeln schlugen neben ihm ein.

„Wellman, du Mörder!“, schrie er. „Lernst du es nie, wie ein Mann zu kämpfen?“

Santana riss sofort seinen Rappen herum und sprengte im Kugelhagel der Texaner zurück. Shannon brachte es nicht über sich, nur seine eigene Haut in Sicherheit zu bringen. Er zog die Winchester 66 aus dem Scabbard, sprang ab, wickelte die Zügel ums linke Handgelenk und feuerte auf die Mündungsblitze, die zwischen den pulverdampfumnebelten Büschen hervorzuckten. Jetzt gab es kein Zögern, kein Bedauern mehr. Kalte Wut erfüllte ihn. Die Winchester hämmerte wie eine Gatlingkanone.

Seine Schüsse lenkten Wellmans Cowboys ab. Santana federte neben dem jungen Lopez aus dem Sattel. Er riss ihn hoch. Es war keine Zeit, seine Fesseln zu lösen. Alles ging blitzschnell. Das Dröhnen der Gewehre füllte den Hohlweg. Santana schob Antonio neben den Rappen. „Hinauf mit dir!“

Wie der Blitz war der Mexikaner im Sattel. Santana wollte sich hinter ihm hinaufschwingen. Da erwischte es ihn.

Er prallte gegen das zur Seite ausbrechende Pferd und fiel auf die Knie. Antonio, der mit gefesselten Händen die Zügel hielt, starrte erschrocken auf ihn hinab.

„Reite!“, keuchte Santana. „Bring dich in Sicherheit!“

Wieder pfiffen Kugeln heran. Das Pferd machte einen erschreckten Satz und stob los, so dass Antonio nichts anderes übrig blieb, als sich am Sattelhorn festzuklammern. „Ich hole die Mannschaft!“, schrie er verzweifelt. „Ich komme zurück und werde Wellman zur Hölle befördern!“

Shannon feuerte auf einen Mann, der zwischen den Sträuchern hervorsprang, um besser auf Lopez zielen zu können. Ein Treffer in die Schulter stieß den Wellman-Reiter ins schwankende Gebüsch zurück. Aber damit war das Röhrenmagazin der Winchester leer. In fliegender Hast schob der Satteltramp neue Patronen in den Ladeschlitz.

Inzwischen versuchte Santana sich aufzurichten. Sein tiefbraunes, breitknochiges Gesicht war vor Anstrengung verzerrt. Blut sickerte über seinen Oberkörper. Das wütende Gewehrfeuer der Wellman-Crew ließ nach, als Loreen durch den heißen Hohlweg lief. Ihr langes, weißes Kleid leuchtete wie eine riesige Blüte.

„Aufhören, Brent! Um Himmels willen, aufhören!“

Und dann Wellmans harte Stimme: „Loreen, wohin willst du? Geh aus der Schusslinie! Hier herauf! Dann bist du in Sicherheit.“

Aber sie rannte zu Santana, schlang ihre Arme um ihn, half ihm auf die Füße. Sie keuchte. Grellrote Flecken brannten auf ihren bleichen Wangen.

„Loreen!“, brüllte der Rancher. „Bist du verrückt geworden? Weg von ihm, Loreen! Er ist ein Verbrecher. Er hat nichts anderes als den Tod verdient.“

„Tun Sie, was er sagt, Ma’am“, keuchte der Mestize. „Retten Sie sich! Sie sind frei!“

„Still! Stützen Sie sich auf mich! Ich bring Sie zu meinem Pferd.“

Sie zog ihn einfach mit. Sein Blut war an ihren Händen, auf ihrem weißen Kleid. Aber in ihren Augen war keine Furcht mehr, nur noch unbeirrbare Entschlossenheit.

„Loreen!“, schrie Wellman in fassungsloser Wut. „Du weißt nicht, was du tust! Du hilfst dem berüchtigsten Pferdedieb von Texas!“

Shannon hatte die Winchester nachgeladen. Er schickte eine Kugel in die Richtung, aus der Wellmans Stimme kam. Dann schnellte er in den Sattel, jagte ein Stück weiter zu Loreens Pferd, ergriff die Zügel und sprengte zu der Frau und dem Verwundeten zurück.

„Er ist mein Todfeind!“, brüllte der Rancher. „Ich werde nicht zulassen, dass er entkommt! Geh weg von ihm, Loreen! Wir werden schießen!“

„Ma’am, er ist zu allem fähig!“, ächzte Santana. „Laufen Sie!“

Ihre sonst weichgeschwungenen Lippen waren fest zusammengepresst. Sie sah Shannon mit dem zweiten Pferd heranstürmen und versuchte, schneller zu werden.

„Sie ist verrückt!“, gellte Wellmans Stimme durch das dumpfe Trommeln der Hufe. „Zum Teufel, schießt endlich! Aber versucht nur den Mann zu treffen!“

Die Cowboys zögerten. Die Frau war wie ein Schutzschild für den verwundeten schwarzhaarigen Mann.

Wellman fluchte. Dann peitschte seine Remington. Im selben Augenblick feuerte auch Shannon, der mit der Linken sein Pferd neben Loreen zügelte.

„Wellman, du Schuft, schreckst du denn vor gar nichts mehr zurück? Vertrittst du so Recht und Gesetz in diesem Land?“

„Zur Hölle mit dir, Shannon! Zum letztenmal, Loreen, komm zu mir zurück!“

„Niemals, Brent!“

Sie half Santana in den Sattel. Seine Wunde blutete heftig. Sein Gesicht war grau vor Schmerz und Anstrengung. Aber er war zäh und hart. Kein Stöhnen, keine Klage. Er klammerte sich am Sattelhorn fest. Loreen schwang sich hinter ihm hinauf, und wieder war ihr schlanker, hellgekleideter Körper ein Schutzschild für Santana, das Wellmans Cowboys am schießen hinderte.

„Wir werden euch jagen, bis ihr aus den Sätteln kippt!“, drohte der Rancher hasserfüllt. „Von jetzt an nehme ich keine Rücksicht mehr auf dich, Loreen!“

Sie warf furchtlos den Kopf zurück. „Hast du das jemals getan, Brent? Schieß doch! Es ist deine einzige Möglichkeit, auch Santana zu erwischen!“

*

Zwei Stunden später lag Jeff Santana bewusstlos im Schatten eines Steinblocks auf einem felsigen Höhenrücken. Shannon hatte sein Hemd aufgeknöpft. Er presste die Lippen zusammen, als er auf Santanas Brustverletzung schaute. Dann hob er den Kopf und sah die verzweifelte, stumme Frage in Loreens Augen.

„Kein Zweifel, er wird durchkommen“, murmelte Shannon gepresst. „Aber nur, wenn wir die Kugel an Ort und Stelle herausholen, damit er keine Blutvergiftung bekommt. Ein Glück, dass das Geschoss nicht zu tief sitzt. Ich denke, ich schaff s mit dem Messer.“

Loreens Augen weiteten sich entsetzt. Shannon versuchte ein beschwichtigendes Lächeln, das jedoch ziemlich verunglückte. „Keine Sorge, ich mache so was nicht zum erstenmal. Ich hab es bereits an mir selbst ausprobiert.“

Santana schlug die Augen auf. Sein Blick war klar. Seine Worte verrieten, dass er alles mit angehört hatte.

„Gib dir keine Mühe, Hombre. Ihr verliert nur kostbare Zeit. Wellman wird bald hier sein.“

Das war auch Shannons Sorge, aber er ließ sich nichts davon anmerken. Er zuckte die Achseln.

„Dann müssen wir uns eben beeilen. Wir schaffen das schon.“

Santana drehte sein schweißbedecktes, erschöpftes Gesicht der Frau zu. „Versuchen Sie ihn doch zur Vernunft zu bringen, Maa’m.“

„Shannon hat recht, wir werden Sie nicht im Stich lassen.“

Der Mestize grinste mühsam.

„Ihr seid ja beide verrückt, wenn ihr für einen berüchtigten Pferdedieb eure Sicherheit aufs Spiel setzt.“

„Nicht verrückter, als du es an unserer Stelle sein würdest.“ Shannon erhob sich lächelnd. „Passen Sie auf, dass er keine Dummheiten macht, Miss Loreen. Ich suche inzwischen Holz für ein Feuer.“

Er sammelte eilig trockenes Gestrüpp. Gleich darauf prasselte eine niedrige Flamme, in der Shannon die Klinge seines Bowiemessers drehte. Indessen säuberte Loreen mit einem von ihrem Kleid gerissenen Fetzen vorsichtig Santanas Wunde. Ihre Hände waren sanft und geschickt.

Shannon spähte immer wieder über das buschbedeckte Hügelland. Als er die Staubwolke im Süden entdeckte, sagte er kein Wort. Nur sein Mund wurde schmal und hart. Er kniete wieder bei Santana nieder. Das Messer in seiner Hand funkelte. Loreen schluckte. Ihre schmalen Schultern verkrampften sich. Aber der „König der Pferdediebe“ war ganz ruhig.

„Es ist besser, Sie sehen nicht zu, Ma’am. — Keine Angst, Shannon, du brauchst niemand, der mich festhält. Ich werde mich nicht rühren.“

Shannon nickte lächelnd, obwohl er seinen Magen wie einen Bleibatzen spürte. „Schrei nur, wenn es weh tut. Bist du bereit?“

Santana hob eine Hand. „Warte!“ Er lauschte angespannt, und nun hörten sie alle das Hufgetrommel, das wie ein heraufziehendes Gewitter von Süden heranrückte.

„Wellman!“, stieß Santana hervor. „Ich wusste es. Zeit, dass ihr endlich reitet."

Shannons schmales Gesicht war ausdruckslos, als er die junge Frau anblickte. „Reiten Sie nach Norden voraus, Loreen. Ich werde versuchen, mit Santana nachzukommen.“

Loreen ging sofort zu den Pferden, die müde von der Hitze und dem harten Ritt die Köpfe hängen ließen. Aber anstatt sich in den Sattel zu schwingen, zog sie die Winchester aus Shannons Scabbard. Die Art, wie sie die Waffe durchlud, verriet, dass sie damit umgehen konnte.

„Tun Sie Ihre Arbeit, Shannon. Ich werde versuchen, Brent und seine Leute inzwischen aufzuhalten.“

„Nein!“, keuchte Santana. „Shannon, lass es nicht zu! Sag ihr, sie soll ..."

„Ich glaube nicht, dass er mich davon abhalten kann, zu tun, was ich für richtig finde.“ Loreen lächelte seltsam. Ihre Ruhe und Gefasstheit wirkten faszinierend. Ein fremder Glanz schimmerte in ihren blauen Augen. Ohne eine Erwiderung abzuwarten, ging sie an den Männern vorbei zum Rand der Felsblöcke. Dort kauerte sie nieder und schob den Gewehrlauf entschlossen über eine Kante.

Ein Zucken in Santanas bislang unbewegtem Gesicht.

„Dios mios! Warum tut sie das für mich?“

„Das musst du sie hinterher schon selber fragen.“ Shannon lächelte in sich hinein. „Kann ich jetzt anfangen?“

„Nur zu!“ Santana ballte die Fäuste. Shannon konzentrierte sich. Seine Hände, die so geschickt mit den Karten und Waffen sein konnten, waren ganz ruhig. Auch dann noch, als das Peitschen von Loreens Gewehr über das hitzeflimmernde Land hallte.

Santanas Zähne knirschten aufeinander. Seine Kinnladen malmten. Aber er schrie nicht. Und er verlor auch nicht die Besinnung. Shannon holte die Kugel heraus, während die Winchester in regelmäßigen Abständen krachte. Wutschreie antworteten. Kugeln pfiffen zurück.

Shannon hatte keine Zeit, sich um die Frau und Wellmans Reiter zu kümmern. Loreen hatte Streifen von ihrem Unterrock als Verbandszeug zurechtgelegt. Shannon stoppte den heftigen Blutstrom aus Santanas Wunde und verband ihn eilig. Jeder Griff saß. Ein Doc hätte es nicht besser gekommt.

*

„Warum greift ihr nicht an, ihr feigen Hunde?“, brüllte Wellman mit zornrotem Gesicht. Er jagte wieder einen Schuss zu der mit Felstrümmern bedeckten Höhe hinüber, die ihnen wie eine steinerne Barriere den Weg versperrte.

„Hölle und Verdammnis! Ich zahle euch keinen Dollar mehr, wenn ihr nicht endlich ...“

„Behalten Sie Ihr Geld, Rancher“, sagte eine raue Stimme hinter ihm. „Wir sind harte Burschen, die für gute Bezahlung eine Menge Dinge tun, die nicht zum üblichen Cowboyjob gehören. Aber nicht so hart, dass wir für Geld gegen eine Frau kämpfen, noch dazu gegen eine Frau, die Sie als Ihre Braut auf die Ranch brachten.“

Wellman war geduckt herumgewirbelt. Sein Remington-Karabiner deutete auf die finster blickenden Männer, die zu den Pferden getreten waren und Anstalten machten, davonzureiten. Eme dichte Buschmauer schützte sie gegen die Sicht von dem feleigen Hügelkamm.

„Seid ihr übergesohnappt?“, keuchte Wellman halb fassungslos, halb wütend. „Ich schieße jeden nieder, der versucht, mich jetzt, so dicht vorm Ziel, im Stich zu lassen.“

„Da haben Sie ja ’ne Menge zu tun!“, knurrte einer der hartgesichtigen Burschen. „Mehr, als Sie schaffen werden, wette ich.“

So außer sich Wellman auch war, es entging ihm nicht, dass ihre Hände an den Revolvern lagen. Er würde nicht mehr als eine Kugel aus dem Lauf bringen. Es war eine bittere Erfahrung für ihn. dass auch seiner Macht Grenzen gesetzt waren, dass es nicht damit abgetan war, Befehle herauszuschreien. Aber es war eine Erfahrung, die ihn nicht zur Besinnung brachte, sondern seine Besessenheit noch mehr anstachelte. Er lachte wild.

„Verschwindet nur! Ich gebe trotzdem nicht auf. Ich werde nicht ruhen, bis ich Santana, Lopez und Shannon zum Teufel geschickt habe. Niemand wird mich daran hindern! Reitet nur, aber wehe, wenn ich einen von euch je wieder auf meinem Land sehe! Wer bleibt, wird es nicht bereuen! Wer mir hilft, diese Schurken zur Strecke zu bringen, bekommt von mir tausend Dollar har auf die Hand, sobald wir auf der Ranch zurück sind!“

„Nicht für den Mord an einer Frau“, murmelte der Wortführer der Cowboys. „Ich bin froh, dass wir noch rechtzeitig zur Vernunft gekommen sind.“

Sie saßen auf. wendeten und ritten zwischen den raschelnden Sträuchern nach Süden davon. Fünf Mann blieben. Es waren die Härtesten aus Wellmans Crew. Kerle, die nicht nur zufällig besser mit ihren Colts umgehen konnten als ihre Kameraden. Einer von ihnen war Wade Nesbit. Ein tückisches, gieriges Funkeln war in seinen eng beieinanderstehenden Augen.

„Wie ist das mit den tausend Dollar? Bekomme ich sie ebenfalls, wenn ich bleibe?“

„Jeder!“, nickte Wellman knapp.

„Und zusätzlich die bereits versprochenen hundert pro Kopf?‘(

Wellman packte sein Gewehr fester. „Ja,, zum Teufel! Von mir aus! Aber jetzt redet nicht lange, sondern nehmt eure Schießeisen und macht endlich dieser verdammten Sache ein Ende!“

Er wollte sich in Bewegung setzen. Nesbit schüttelte den Kopf.

„Wird schwer sein, da hinüberzukommen, ohne dass es ein paar von uns erwischt. Kein Baum kein Strauch als Deckung bis zu dem verdammten Hügel. Das ist nicht nach meinem Geschmack.“

Er grinste sauer. Er grinste auch dann noch, als Wellmans Augen ihn zornig anfunkelten.

„Wofür, denkst du, leg ich soviel Geld hin? Wenn du dich drücken willst, dann scher dich zum Teufel!“

„Ich hab ’nen besseren Vorschlag. Ich weiß, wie wir Shannon und Santana ohne Risiko erwischen.“

„Sie sind uns schon mal durch die Lappen gegangen, verdammt noch mal! Überleg dir gut, was du redest!“

Nesbit spuckte ihm gezielt vor die Füße. Vor zwölf Stunden noch hätte Wellman mit einer Kugel geantwortet. Jetzt wich zwar die Farbe aus seinem Gesicht und sein Kinn sah aus wie aus Fels gemeißelt, aber er beherrschte sich. Nesbit hob grinsend die Schultern.

„Santana ist verwundet. Es gibt nur einen Platz, wo er, Shannon und gewiss auch Lopez sich in Sicherheit zu bringen versuchen werden. Und das auch nur, weil sie nicht ahnen, dass ich als Scout für Sie reite. Wellman.“

Ein Aufglimmen war in den Augen des Ranchers. Gespannt beugte er sich vor. Seine Wut war vergessen.

„Santanas Schlupfwinkel in den Sümpfen?“

„Richtig!“, lachte Nesbit heiser.

*

Von Süden zog eine drohende schwarze Wolkenfront über den Sümpfen herauf. Es war so schwül, dass jeder Atemzug Mühe machte. Kein Lufthauch. Totenstille.

Shannon zügelte sein Pferd auf dem schmalen Pfad, der sich durch das von morastigen Tümpeln durchsetzte Dickicht schlängelte.

„Ich reite voraus. Es könnte sein, dass Antonio mit dem Rest der Bande schon vor uns da ist und wieder versucht, Miss Loreen als Geisel zu erwischen.“

Er blickte auf Santana hinab, der auf einer aus Stangen und Decken gebauten Schleppbahre ruhte, die Loreens Pferd hinter sich herzog. Ein straffer Verband schlang sich um Santanas Oberkörper. Sein Gesicht war noch ein wenig fahl. Schatten lagen unter seinen Augen. Aber er brachte, wenn auch mühsam, ein Lächeln zustande.

„Pass auf dich auf, Amigo.“

Shannon nickte, hob eine Hand und trieb sein Pferd weiter. Der Boden unter den Hufen war weich und nachgiebig. Manche Trittsiegel füllten sich sofort mit dunklem Sumpfwasser. Aber bei seiner Flucht aus Santanas Camp hatte sich Shannon den Weg genau eingeprägt. Er hatte keine Angst, vom Pfad abzukommen. Locker und entspannt saß er im Sattel, und nur seine Hand am Colt verriet, dass er jeden Moment zur blitzschnellen Reaktion bereit war.

Die schwarzen Wolkenmassen türmten sich immer höher über das Meer von grau-grünen Büschen. Fahle Helligkeit senkte sich über das einsame, stille Land. Nach einer halben Stunde sah Shannon die Zweighütten, Zelte, Korrals und den großen Platz vor sich, der von der knorrigen alten Lebenseiche beherrscht wurde. Kein Mensch war zu sehen. Die beiden Kerle, die damals zu Shannons Bewachung zurückgeblieben waren, hatten sicher längst das Weite gesucht.

Shannon hielt am Rand der großen Lichtung, die wie eine Insel inmitten der Sümpfe und Wasserläufe lag. Sein Blick schweifte über das verlassene Lager. Die heiße Stille war trügerisch. Schnaubte da nicht ein Pferd? Stampften da nicht Hufe?

Aus einer der Hütten trat ein gedrungener, stoppelbärtiger Mann mit einer Zigarette im Mundwinkel.

„Hallo, Shannon! Wo kommst du denn her, Hombre, he?“

Es war Wade Nesbit. Er stand breitbeinig da und musterte den schlanken, dunkelhaarigen Reiter mit einem Grinsen auf den wulstigen Lippen. Seine Daumen waren lässig hinter den Waffengurt gehakt.

Shannon ließ sich seine Überraschung nicht anmerken.

„Schätze, ich komme aus derselben Richtung wie du“, antwortete er schleppend. während er fieberhaft überlegte, was Nesbits Auftauchen hier wohl bedeutete. „Wenn ich mich recht erinnere, hat Santana dir verboten dich hier jemals wieder blicken zu lassen.“

Nesbit zuckte die Achseln.

„Santana ist ja nicht hier. Weißt du, wo er steckt?“

Er schlenderte lässig über den Lagerplatz auf den Reiter zu. Zu lässig, fand Shannon. Das hinterhältige Glitzern in Nesbits Augen gefiel ihm nicht. Seine Rechte schloss sich um den Hickorykolben des 44er Army Colts.

..Bleib, wo du bist.“

Nesbit blieb sofort stehen. Er lachte spöttisch.

„Sieh mal an! Hast du etwa Angst vor mir?“

„Ich trau dir nicht. Ich möchte wissen, was du hier willst.“

„Ich warte auf Santana. Ich will wieder zur Bande zurück.“

Shannon hörte die Falschheit aus seiner Stimme. Und wieder ein Schnauben. Mindestens zwei Pferde. Nesbit war nicht allein. Wollte er ihn nur ablenken, damit …?

Shannon verlor keine Sekunde. Sein 44er flog aus dem Leder.

Nesbits Miene verzerrte sich.

„Was, zum Teufel ...“

„Wenn deine Freunde bereits mit ihren Schießeisen auf mich zielen, dann bist du der erste, den es trifft!“, drohte Shannon.

Ein höhnisches Lachen schallte von den Hütten herüber.

„Leg ihn ruhig um, Shannon! Er hat uns hergeführt, jetzt brauch ich ihn nicht mehr. Du kommst jedenfalls nicht mehr mit heiler Haut von hier weg!“

Wellman!

Der momentane Schock war wie ein Fausthieb. Shannon erinnerte sich an das Krachen der Schüsse im Hohlweg. Er wusste, sein Leben war von jetzt an keinen Cent mehr wert. Sein Colt, der auf Nesbit zielte, war ungefähr so nutzlos wie ein Stück Holz. Wellman bluffte nicht. Er würde den gedrungenen Banditen bedenkenlos opfern.

Da traten sie auch schon aus dem Schatten: Wellman und noch vier Kerle. Hartgesichtige, kaltäugige Typen. Jeder mit einem Gewehr in den Fäusten. Fünf mattglänzende Stahlläufe zielten auf Shannon.

Nesbit schwitzte. Er war aschfahl.

„Wellman, du verdammter Lump, bezahlst du so deine Schulden?“

Der Rancher lachte.

„Hast du gedacht, ich geb auch nur einen Dollar für dich aus, du Narr? Weg mit der Waffe, Shannon! Du hast keine Chance mehr!“

Sie kamen sporenrasselnd über den Lagerplatz. Shannons drahtiger Körper spannte sich. Ein kaltes, furchtloses Lächeln verzog seine Lippen.

„Schon möglich, Wellman. Aber ein Schuss genügt, um Santana zu warnen.

Wieder mal Pech für dich! Ihr werdet zwar mich, aber nicht ihn erwischen!“

Sie starrten ihn wütend und ungläubig an.

Wie konnte ein Mann lächeln, wenn ihm der Tod aus fünf Gewehren sicher war?

Shannons Lächeln verdeckte seine Verzweiflung, aber auch seine wilde Entschlossenheit, dem Rancher doch noch einen Strich durch die Rechnung zu machen.

Shannon ließ Wellman und seinen Revolvercowboys keine Gelegenheit mehr zum Verhandeln.

Er riss seinen Braunen vorn hoch und feuerte. Der Kerl links von Wellman sank mit durchschossener Schulter zu Boden. Eine Wolke von Pulverrauch hüllte die anderen ein. Mündungsfeuer blitzten. Das hochsteilende Pferd fing die Kugeln ab, die seinem Reiter galten.

Shannon stürzte von dem zusammenbrechenden Tier. Der harte Aufschlag prellte ihm den Sechsschüsser aus der Faust. Einen Moment war er halbbetäubt, dann rollte er sich herum und versuchte die Waffe zu erwischen. Kugeln hieben neben ihm in die Erde.

„Wartet! Ich will ihn lebend!“, schrie Wellman.

Shannon fand den Colt, aber als er ihn hochschwingen wollte, war Wellman schon heran. Ein wuchtiger Tritt wirbelte den 44er davon. Da bekam Shannon von einer Seite Hilfe, von der er sie am wenigsten erwartet hatte. Nesbit richtete seinen Revolver auf den breitschultrigen Rancher.

„Du Bastard legst mich nicht mehr rein!“, brüllte er.

Wellman war den entscheidenden Bruchteil einer Sekunde schneller. Seine Kugel stieß Nesbit zurück. Der Schuss des Banditen peitschte an ihm vorbei. Wellman feuerte mit kantiger Miene nochmals auf den Zusammenbrechenden.

Da federte Shannon hoch und stürzte sich auf ihn. Wellman krachte auf den Rücken. Shannon versuchte ihm den Karabiner zu entwinden. Es war ein verzweifelter, hoffnungsloser Kampf. Die restlichen drei Wellman-Cowboys trafen Shannon mit wütenden Tritten und Schlägen. Er fiel ins Gras. Eine Gewehrmündung tauchte über seinem Gesicht auf.

„Worauf warten wir eigentlich noch, Boss? Seine Schuld, wenn Santana uns abermals durch die Lappen geht!“

Keuchend richtete sich der Rancher auf. Er blickte hasserfüllt auf Shannon.

„Du denkst, du hast Santana gerettet! Du wolltest dich für ihn opfern, du verrückter Hund!“

„Du hättest mich so oder so nicht am Leben gelassen!“, antwortete der Gefangene gepresst.

Wellman lachte wütend.

„Santana ist verwundet. Er wird nicht mehr aus diesen verfluchten Sümpfen rauskommen. Aber bevor wir ihn jagen, werden wir dich wie einen ganz gewöhnlichen Pferdedieb hängen! Los, schafft ihn zum Baum! Setzt ihn auf einen Gaul und legt ihm einen Strick um den Hals!“

„Wir verlieren nur Zeit, Boss, wenn wir ...“

„Tut was, ich euch sage!“, schrie Wellman wie ein Verrückter. „Ich will ihn hängen sehen, so wie er es verdient! Ich werde ihm beweisen, dass mein Wort in diesem Land immer noch als Gesetz gilt und dies so bleiben wird, wenn er schon lange tot ist. Los, fesselt ihn! Santana wird uns nicht entkommen.“

Sie beeilten sich. Sie banden Shannon die Hände zusammen, schleppten ihn unter die mächtige alte Lebenseiche und setzten ihn auf ein Pferd. Gleich darauf lag die Schlinge um Shannons Hals. Das Pferd unter ihm bewegte sich unruhig. Es war lange her, dass Shannon sich so elend gefühlt hatte. Nur noch ein Wunder konnte ihn jetzt retten.

Wellman brach einen Zweig von einem herabhängenden Ast und streifte die Blätter ab. Ein grausames, fanatisches Leuchten war in seinen Augen.

„Du wolltest durch eine Kugel sterben, Shannon, aber jetzt wirst du hängen wie ein lausiger Pferdedieb!“, höhnte er.

„Und du wirst eines Tages an deiner eigenen Erbärmlichkeit ersticken!“, keuchte der Gefangene. „Du wirst schon krank davon werden, wenn du dich selber im Spiegel ansiehst.“

Wütend holte der Rancher mit der Gerte aus.

„Brent!“, peitschte ein heller Ruf über die Lichtung. „Ich werde schießen, wenn du ihn tötest, Brent!“

War dies das ersehnte Wunder? An der Mündung des Pfades stand Loreen mit einem Gewehr in den schmalen Händen. Shannon spürte plötzlich seinen Herzschlag bis in die Kehle.

Wellman und seine Cowboys fuhren herum.

Der Rancher duckte sich.

„Loreen!“, keuchte er. „Ich hab dich gewarnt. Wenn du dich gegen mich stellst ...“

„Ich weiß, Brent, dass du keine Rücksicht auf mich nehmen wirst!“, rief die junge Frau kühl. „Deshalb bitte ich dich auch nicht, Shannon freizulassen. Ich befehle es dir! Ich werde auf dich schießen, Brent, wenn du nicht tust, was ich sage!“

„Wo ist Santana? Abgehauen? Oder geht es ihm so schlecht, dass er irgendwo hilflos auf dem Pfad liegt?“

„Versuch mich nicht abzulenken, Brent! Sag deinen Männern, sie sollen Shannon die Schlinge abnehmen!“

Wellman lachte rau.

„Ich weiß, du kannst mit einem Gewehr umgehen, Loreen. Aber ich weiß auch, dass du mich auf diese Entfernung niemals treffen wirst. Was denkst du, was geschieht, wenn du einen Schuss abfeuerst? Dann wird das Pferd, auf dem Shannon sitzt, davonstürmen! Dann bist du Shannons Henkerin!“

Loreens bleiches Gesicht verriet nur zu deutlich, wie ihr das Entsetzen in alle Glieder fuhr. Der Lauf ihres Gewehrs wackelte. Wellman lachte mit zurückgeworfenem Kopf wie ein Irrer. Plötzlich brach er ab.

„Los, schnappt sie euch!“, herrschte er die Männer neben sich an.

Das Pferd unter Shannon tänzelte unruhig. Das Hanfseil zog sich um Shannons Hals zusammen.

„Schießen Sie, Loreen!“, rief er heiser.

Die Frau zögerte. Geduckt, mit den Revolvern in den Fäusten, bewegten sich Wellmans Cowboys auf sie zu.

„Schießen Sie!“, wiederholte Shannon verzweifelt. „Tun Sie’s für Santana!“

„Ich bin hier, Amigo!“, sagte eine kehlige Stimme hinter Wellman und seinen Schießern.

Shannon hatte keinen Laut gehört. Wie aus dem Boden gewachsen stand der große, geschmeidige Mestize neben ihm. Ein Netz glitzernder Schweißperlen bedeckte sein Gesicht. Aber die Linien der mühsamen Anspannung waren nur aus nächster Nähe zu erkennen. Santana stand da, als hätte ihn nie eine Kugel getroffen, aufrecht, furchtlos, voller Entschlossenheit. Ein Colt lag in seiner Rechten.

Eine blitzende Klinge durchtrennte Shannons Fessel. Seinen Hände jagten hoch, streiften die Todesschlinge ab. Im nächsten Moment versank alles im Donnern der Schüsse.

Shannon warf sich aus dem Sattel. Kugeln klatschten in den dicken Baumstamm. Zerfetzte Blätter und Zweige wirbelten herum. Shannon erwartete, Santanas hochgewachsene Gestalt im brodelnden Pulverdampf zusammenbrechen zu sehen. Aber der einstige „König der Pferdediebe“ stand da wie festgenagelt. Blitze ragten mit unheimlicher Geschwindigkeit aus seinem Colt.

In einer Sekunde war der Kampf vorbei. Keine Kugel hatte Santana gestreift. Wellmans Cowboys lagen verwundet auf dem Lagerplatz. Der Rancher brachte seinen Sixshooter noch aus der Halfter, da zeigte Santanas Waffe schon auf ihn.

Es war ein Moment, in dem jede Bewegung erstarrte, in dem alles andere für diese beiden Männer ausgelöscht war. Sie starrten sich an. Dann veränderte sich Wellmans Miene. Es war, als würde er den Tod in Santanas dunklen Indianeraugen erkennen. Fahle Blässe überzog sein eckiges Gesicht. Er ließ den Revolver ins Leder zurückgleiten und hob langsam die Hände.

Jetzt erst sprang Shannon auf und packte das Gewehr, das Wellman an den Baum gelehnt hatte. Immer noch fiel kein Wort.

Loreens Stimme zitterte über die schwüle, seltsam dämmrige Lichtung.

„Töte ihn nicht, Jeff! Es wäre Mord. Denk daran, dass du ein neues Leben beginnen willst!“

Langsam sank Santanas Waffe herab, tauchte in die Halfter.

„Ich habe einen Schwur zu erfüllen. Aber nun gut, du sollst deine Chance haben, Wellman. Wir werden es fair austragen.“

Schritt für Schritt wich Wellman vor ihm zurück. Seine Brust hob und senkte sich heftig. Zum erstenmal stand blanke Furcht in seinen Augen. Sie waren vier Mann gegen Santana gewesen, und trotzdem war nur noch er übrig.

„Ich kämpfe nicht mehr! Du bringst mich nicht dazu, gegen dich zu ziehen!“

„Lass ihn gehen“, murmelte Shannon. „Er wird nie mehr als Mächtiger dieses Land beherrschen. Mehr hat auch Tom Baker nicht gewollt.“

Santana kämpfte mit sich. Loreen lief zu ihm, griff nach seinem Arm.

„Tu es für mich, Jeff!“

„Es ist gut“, sagte der Mestize rau. „Niemand hält dich, Wellman. Verschwinde!“

Hass und Furcht vermischten sich in Wellmans Augen. Er schwang sich auf das Pferd, auf dem Shannon zuvor mit der Schlinge um den Hals gesessen hatte. Ein letztes Zögern, ein letztes Ringen mit sich selber, ob er nicht doch die Waffe ziehen und auf Santana feuern sollte.

Da hob Shannon das Gewehr ein wenig an. Mit zusammengebissenen Zähnen riss der Rancher den Gaul herum und galoppierte los. Shannon behielt den Finger am Abzug, bis er hinter einer Biegung des Sumpfpfades verschwand.

Loreen legte ihr Gesicht an Santanas Schulter.

„Ich danke dir, Jeff. Ich werde es nie vergessen.“

„Wellman!“, gellte ein wilder Schrei aus dem Dickicht. Im nächsten Augenblick fielen zwei Schüsse dicht hintereinander.

„Antonio!“, keuchte Santana erschrocken. Er wollte los, aber die Füße trugen ihn kaum mehr. Loreen musste ihn stützen.

Shannon rannte zu seinem Pferd, Wellmans Remington in den Fäusten. Er sprang auf. ohne die Bügel zu benutzen. Stille lag über der verfilzten Buschmauer, die die Lichtung umschloss.

Als Shannon losjagte, wusste er, dass bereits alles entschieden war.

Er fand Wellmans reiterloses Pferd dreihundert Yard vom Camp entfernt auf dem Pfad. Ein Stück weiter stand das Tier, auf dem der junge Lopez gekommen war. Der Scabbard an seinem Sattel war leer, von beiden Männern nichts zu sehen. Aber in dem dichten Gestrüpp am Rand des Pfades wiesen abgebrochene Zweige eine Bresche. Stiefeltritte waren in dem sumpfigen Erdreich eingegraben. Shannon glitt aus dem Sattel und folgte ihnen vorsichtig.

Der Boden unter seinen Füßen schien sich bei jedem Tritt zu bewegen. Shannon erreichte den Rand eines von Schilf und Gebüsch umschlossenen Sumpfes. Die Oberfläche war trügerisch glatt. Hier endeten die Spuren, von denen Shannon nicht wusste, ob sie von einem oder von zwei Männern stammten. Ein frisch abgebrochener trockener Ast ragte über den Rand des Sumpfes. Waren da nicht auch ein paar losgerissene Grasbüschel?

Shannon fröstelte.

Das Schweigen dieses Ortes, der sein Geheimnis für immer behalten würde, war unheimlich.

Die ersten schweren Regentropfen fielen. Eilig kehrte der große Mann zu den Hütten und Zelten des Camps zurück.


ENDE

Im Schatten der Colthelden: Western Roman Sammelband 10 Romane

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