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Perfektionismus tötet das Selbstwertgefühl, so wie Falschheit die Liebe tötet

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Wir sind wie unsere Mütter oder Väter geworden oder zu dem Phantasiebild vom guten oder bösen kleinen Kind. Manchmal maskieren wir uns so gut, dass wir unsere eigenen Verkleidungen irgendwann nicht mehr erkennen.

— Susanne Short

Wir können uns die Zustimmung anderer Menschen sichern, wenn wir das Richtige tun und uns bemühen; aber unsere eigene ist hundert Mal wertvoller …

— Mark Twain

Kinder in dysfunktionalen Familien werden häufig in schreckliche Einsamkeit hineingeboren. Kinder, die »gesehen und nicht gehört« werden sollen, können nicht anders, als unter überwältigenden Gefühlen der Entfremdung und Ablehnung zu leiden. Viele Überlebende, die in der Kindheit durch die Regel »keine Diskussion« zum Schweigen gebracht wurden, leiden auch im Erwachsenenalter unter derselben Art stummer Einsamkeit. Sie müssen erst noch lernen, dass echte Verbindung und Zugehörigkeit von Menschen darauf basiert, dass man ungehemmt miteinander redet.

Perfektionismus verstärkt die zum Schweigen bringende, isolierende Wirkung der »keine Diskussion«-Regel. Viele von uns sind nicht in der Lage, etwas über sich selbst zu sagen, das nicht zu 150 Prozent hervorragend ist. Wir haben so viel Angst davor, als nicht perfekt angesehen zu werden, dass es wenig gibt, das wir sicher mitteilen können.

Bis fast zu meinem dreißigsten Lebensjahr bestanden meine Gespräche hauptsächlich aus Witzen und Gesprächen über Sport. Durch diese Oberflächlichkeit fühlte ich mich immer wieder einsam, obwohl man mich mochte, wenn ich irgendwo lange genug blieb und Leute kennenlernte.

Ich war wortkarg, weil meine Familie mich davon überzeugt hatte, dass es unklug sei, über sensible Themen zu sprechen, die eine Intimität zwischen Menschen entstehen lassen könnten. Bei mir zu Hause wurde das Reden über Gefühle, Bedürfnisse, Schwächen oder Enttäuschungen regelmäßig lächerlich gemacht. Ebenso betraf es Gespräche über Hoffnungen, Träume und Erfolge.

Dysfunktionale Eltern vereiteln gewöhnlich die natürliche Neigung ihrer Kinder zu begeisterter Selbstdarstellung und setzen sie gleichzeitig herab. Eine der unausgesprochenen Regeln meiner Eltern war es, dass ich nicht den geringsten Anflug von Stolz auf mich selbst zeigen durfte. Gleichzeitig war eine ihrer bevorzugten Missbilligungen: »Bist du denn gar nicht stolz auf dich?« Diese Art der Doppelbotschaft ist sehr typisch für die dysfunktionale Familie – verflucht, wenn man es tut, verflucht, wenn man es nicht tut.

Wann immer ich die unausgesprochene Regel meiner Eltern vergaß und andeutete, dass ich etwas Erstrebenswertes gesagt oder getan haben könnte, wurde ich herabgesetzt. »Steig von deinem hohen Ross, oder ich hole dich runter« war ein üblicher Refrain meiner Kindheit. Dies galt insbesondere, wenn ich eine persönliche Meinung äußerte. Meine Mutter reagierte auf meine Ansichten gern verächtlich mit Phrasen wie »Pssst! Mr. Neunmalklug hat etwas zu sagen« oder »Du hast ein Recht auf deine eigene Meinung … auch wenn du Mist erzählst« oder »Du hast keinen Stil«.

Nur wenn wir uns authentisch zeigen, können wir erfahren, dass wir von anderen wirklich geschätzt werden. Nur durch vollständige Offenheit können wir entdecken, dass wir in allen Facetten unseres Selbst liebenswert sind. Oft kann Einsamkeit durch eine offene und unzensierte Kommunikation geheilt werden. In dem Maße, in dem ich meine Erfahrungen mit ihnen teilen kann, fühle ich mich von ihnen wahrgenommen und geliebt. Selbstausdruck und Selbstwertgefühl hängen voneinander ab. Die Intimität, die durch aufrichtiges Mitteilen entsteht, gibt uns ein gutes Gefühl für uns selbst und ermutigt uns wiederum, immer offener zu werden. Mit den Worten von Merle Shain:

Freunde sind Menschen, die dir helfen, mehr du selbst zu sein, mehr die Person, die du eigentlich bist.

Eltern, die die Redseligkeit ihrer Kinder fördern, nähren ihr Selbstwertgefühl. Eltern, die ihre Kinder bis zur Schweigsamkeit herabsetzen, ersetzen ihr Selbstwertgefühl durch Perfektionismus.

Das Selbstwertgefühl kann nicht zurückgewonnen werden, solange der Perfektionismus vorherrscht. Selbstachtung ist in vielerlei Hinsicht das Gegenteil von Perfektionismus. Echte Selbstachtung löst sich nicht einfach wegen eines Schönheitsfehlers, eines heruntergefallenen Tellers oder eines Samstagabends ohne Verabredung auf. Echte Selbstachtung verflüchtigt sich nicht sofort, wenn wir uns traurig, wütend, schlecht oder einsam fühlen.

Unser Selbstwertgefühl ist so stabil wie unsere Fähigkeit, uns unter allen Umständen zu akzeptieren und zu respektieren, seien sie geprägt von Gesundheit oder Krankheit, Erfolg oder Misserfolg, Gemeinschaft oder Einsamkeit, Glück oder Trauer, Begeisterung oder Depression. Oscar Wilde sagte:

Nicht das Vollkommene, sondern das Unvollkommene bedarf unserer Liebe.

Wenn der Perfektionismus uns davon abhält, über unsere Schwierigkeiten zu reden, lernen wir nie das befreiende Geheimnis, dass jeder seinen gerechten oder ungerechten Anteil am Schmerz hat. Wir werden nie durch das heilende Mitgefühl getröstet, das spontan zwischen Menschen entsteht, die Anteil nehmen. Mitgefühl ist der uralte menschliche, in unserer Kultur kaum noch vorhandene Prozess, unsere Verletzungen und Frustrationen durch Gespräche zu lösen. Mitgefühl verleiht der Intimität in einer Weise Tiefe und Lebendigkeit wie nichts anderes.

Unser Bedürfnis nach Liebe und Unterstützung durch uns selbst und andere ist am größten, wenn wir mit unseren Schmerzen und Einschränkungen kämpfen. Wie traurig und unnötig, dass sich viele von uns immer noch in der Isolation ihrer Zimmer verstecken, wenn sie verletzt sind – so ohne Liebe und unbeachtet wie in unserer Ursprungsfamilie. Wenn wir das tun, ist es, als ob unsere Eltern wieder einmal unser Selbstwertgefühl zerfetzen, indem sie uns aus ihrer Gegenwart verbannen, bis wir »diesen Ausdruck aus unserem Gesicht entfernt haben«.

Alle Babys werden mit der Fähigkeit zum Selbstvertrauen geboren. Das Selbstvertrauen wächst und entfaltet sich im Laufe ihres Lebens, sofern ihre Ausdrucksfähigkeit willkommen ist. Ich habe das immer wieder in nichtindus-trialisierten Ländern beobachtet. Das Reden der Kinder wird in diesen Kulturen in der Regel begrüßt, und sie reifen normalerweise zu Erwachsenen heran, die selbstbewusst, warmherzig, emotional ganzheitlich sind – und in der Lage, ihre Persönlichkeit auszudrücken. Das Selbstwertgefühl der durchschnittlichen Mitglieder dieser Kulturen ist erheblich größer als das in unserer Kultur.

Solange wir nicht lernen, uns in weniger perfekten Zeiten selbst zu lieben, ist unsere Liebe zu anderen oberflächlich und sehr bedingt. Umstände, die wir bei uns selbst hassen, sind bei anderen schwer zu akzeptieren.

Der Perfektionismus entfremdet uns weiter von anderen, indem er uns entweder offen selbstkritisch oder auffallend wortkarg in Bezug auf unsere Probleme werden lässt. Beide Verhaltensweisen signalisieren eine implizite Warnung an andere, dass sie mit dem, was sie uns offenbaren, vorsichtig sein sollten.

Und selbst wenn wir (uns selbst oder anderen gegenüber) vorgeben, dass wir nicht bewertend sind, fühlen wir uns in Gesellschaft mit anderen aufgrund unserer unverändert perfektionistischen Maßstäbe in der Regel distanziert, zurückhaltend und unsicher. Der Perfektionismus verursacht bei uns endlose schmerzhafte Hirngespinste, dass andere uns ebenso unzulänglich finden wie wir uns selbst, und beraubt uns des unersetzlichen Vergnügens, in Gesellschaft ganz wir selbst zu sein.

Der Perfektionismus hindert uns auch daran, die Liebe von anderen zuzulassen, unabhängig davon, wie groß und authentisch sie ist. Wenn wir mit unseren Mängeln beschäftigt sind, nehmen wir die Zuwendung oft nicht wahr, die uns andere anbieten. Wie tragisch, dass so viele von uns davon überzeugt sind, dass uns nur dann Liebe zusteht, wenn wir glücklich sind oder überragende Leistungen erbringen. Vielleicht kann uns dieser Vers der Dichterin Mary Oliver ermutigen, unserem Perfektionismus abzuschwören.

Du musst nicht gut sein.

Du musst nicht auf den Knien

hundert Meilen durch die Wüste rutschen und Buße tun.

Du musst nur das zarte Lebewesen deines Körpers

lieben lassen, was es liebt …

Lassen Sie diese Liebe Ihr Selbst erfüllen. Selbstliebe ist ein natürlicher, gesunder menschlicher Zustand, der nicht zur Überkompensation des Egoismus verkommen muss.

Lassen Sie uns die Selbstablehnung gegen die Ablehnung des Perfektionismus austauschen, der uns aufgezwungen wurde, als wir zu jung waren, um ihn abzuwehren. Niemand kann die ganze Zeit glücklich und auf seinem Höhepunkt sein. Alle guten Dinge kommen und gehen. Veränderung ist das einzig Absolute im Leben, wie der mystische Dichter Ghalib wusste:

Der Weg der Veränderung liegt immer vor dir:

die einzige Spur, die die verstreuten Teile dieser Welt zusammenhält.

So verlockend und unwiderlegbar die Philosophie »Sei alles, was du sein kannst« beim ersten Hören auch klingen mag, sie ist doch lästig, wenn »alles« nur das Beste und das meiste bedeutet. »Sei alles, was du sein kannst« ist eine heimtückische Falle, die uns im Workaholismus und gnadenlosen Perfektionismus gefangen hält. Der Psychoanalytiker Theodore Rubin führt dies näher aus:

Wir müssen uns mit aller Kraft vor der Notwendigkeit von »Höchstleistungen« hüten und vorsichtig sein mit Erfolg, der nur um seiner selbst willen geschieht. Die Sucht nach Erfolg führt unweigerlich zu tiefem Selbsthass und zu Depressionen. Wie jede Sucht wird der Erfolg allzu oft zu einer inneren Forderung an das Selbst und stellt die Frage, »was man in letzter Zeit dafür getan hat«, da jeder Erfolg zum Zwang zu noch mehr Erfolgen wird.

Mann und Frau wurden nicht geschaffen, um die ultimative Maschine zu werden. Wir sind es uns selbst schuldig, dem Druck zu widerstehen, superproduktive, wartungsfreie Androide zu werden. Es gibt viele lohnende Leistungsebenen, die weniger sind als »sei alles, was du sein kannst«. Eine der erhabensten ist der herrliche, unauffällige, entspannte Zustand des einfachen Seins. Vielleicht hilft uns die folgende Textstelle, »einfach Nein zu sagen« zur Droge der unnötigen Hektik:

Jeder Tag ist voll von Gelegenheiten, mir selbst etwas zu geben. Jedes bisschen Zeit, das »verschwendet« wird, ist eine Chance, die Hegemonie der Produktivität, das Kernstück der Moderne, abzuschütteln. Jedes Projekt, das zu lange dauert, jede Aufgabe, die mehr Aufwand erfordert als geplant, jede Arbeit, die durch Fehler verlangsamt wird, ist eine wundersame Gelegenheit, Geduld und Selbstvergebung zu üben.

Das Tao der Gefühle

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