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Seine Finger öffneten sich, ohne dass er es wollte, und der Werkzeugkasten krachte auf die Stegplanken. Schraubenschlüssel sprangen heraus wie kleine silbrige Fische, hüpften über seine Schuhe, prallten vom Holz ab, klingelten aneinander, schlidderten, fielen über die Kante, plumpsten aufs Eis. Eilert Iwwerks bemerkte es nicht. Er blickte starr geradeaus, auf sein Schiff. Auf sein schönes, sein altes, sei frisch erworbenes Schiff. »Gottverdammich«, sagte er leise.

Vrouwe Alberta hieß das Schiff, das er bei sich nur »die Tjalk« nannte, weil ihm der Name nicht zusagte und weil er noch nicht wusste, ob er sich trauen sollte, ihn zu ändern. Das brachte ja Unglück, hieß es, und wenn er selbst auch nicht daran glaubte, andere taten es.

Dabei war »Tjalk« noch nicht einmal die korrekte Bezeichnung. Diese Plattbodenschiffe holländischer Herkunft waren eine Sache für sich, ein richtiger maritimer Mikrokosmos, in dem es neben verschiedenen Grundtypen auch alle möglichen Abweichungen und Abwandlungen gab, je nachdem, welchen Anforderungen das jeweilige Schiff und seine Erbauer gerade zu genügen hatten. Quasi die ganze Weltgeschichte des Schiffbaus noch einmal, nur eben in den engen Grenzen, die das eigenwillige Küsten- und Binnenrevier steckte.

»Seine Tjalk« hatte den vorspringenden Steven und das rechts und links davon eingezogene Schanzkleid, wie es typisch war für einen Kanalfrachter. Der ganze Bug aber war viel zu schlank, die Bordwände waren nicht gerade, sondern nach allen Richtungen gewölbt, und das Heck war vergleichsweise hoch – wie bei einer »Hoogars«, was nichts anderes als »hoher Arsch« bedeutete und ein besonders seetüchtiges Fischereifahrzeug war. »Seine Tjalk« aber war auf gar keinen Fall ein Fischerboot, auch kein ehemaliges. Er würde schon noch dahinterkommen, was für ein Schiff das war. Aber diese Nachforschungen mussten jetzt wohl noch etwas warten. Iwwerks machte einen kleinen Bogen um seinen Werkzeugkasten herum und ging langsam weiter auf sein Schiff zu.

Das Eis rund um den schwarzen Rumpf war aufgehackt, dicke Schollen bildeten einen massiven, grünlichweißen Wall. Vrouwe Alberta lag in schwarzgrauem, offenem Wasser. Draußen die Ems und auch der größte Teil des Emder Hafens waren inzwischen eisfrei, aber in den Einschnitten, wie hier im Jarssumer Hafen, war die weiße Decke noch fest geschlossen. Und das am 21. Februar! Aschermittwoch, dachte Iwwerks. Seine leichtfertige Frühlings-Prognose war schon länger als die vorausgesagten vierzehn Tage her. Ich sollte wirklich vorsichtiger sein, dachte er. Dann schossen ihm Tränen in die Augen.

Das Schiff, sein Schiff war über und über mit Farbe besudelt. Dicke rote und silberne Placken klebten auf dem Kajütdach wie verwesende Quallen, geronnene Ströme griffen über die Bullaugen hinweg nach den Teakplanken der Seitendecks. Die Verzierungen am Bug waren mit Zickzacklinien übermalt, die Ankerwinde sah aus, als hätte sich jemand darauf übergeben. Überall an Deck, an der Schanz und an den Aufbauten waren Spritzer und Farbfäden. Die Seitenschwerter, in deren schmale obere Enden aufgehende Sonnen geschnitzt waren, hatte man regelrecht übergossen. Iwwerks’ Blick folgte dem Farbstrom, dessen Oberfläche seltsam porös war und an einigen Stellen erstarrte Tropfen ausgebildet hatte. Tränen, dachte er und heulte, während er vorsichtig über die verschmierten Decksplanken tappte.

Von der Ruderpinne hatten sie den goldenen Löwen heruntergeschlagen, die bleiverglasten Fenster der Kajüttüren waren eingedrückt. Farbe auch hier, rot und silbern.

Eine kurze, harte Böe fiel über die Boote her und griff zwischen die winterkahlen Masten wie in die Saiten einer Harfe. Der ganze Yachthafen jaulte auf, vielstimmig an- und abschwellend wie ein gut gedrilltes Katzenorchester.

Iwwerks wandte sich ab, schaute über den Hafen, sah die anderen Boote am Steg, die hölzernen Dalben, die in den Tagen zuvor schon genug Wärme gespeichert hatten, um das Eis ein paar Spannen weit zurückzudrängen. Da lag das verrostete Passagierschiff auf der anderen Seite des Hafens, weiter rechts das blaue Stahlboot, aus dessen Schornstein sich Rauch kräuselte. Dort hinten waren die Sommertonnen vertäut, die großen roten und grünen Seezeichen, die wieder ausgebracht werden würden, wenn es ganz sicher keinen Eisgang mehr gab. Fast alle waren mit Sonnenkollektoren ausgerüstet und blinkten hilflos und wie anklagend vor sich hin.

»Wer kann mich nur so hassen«, sagte Iwwerks und klang genau so.

Sein Blick fiel auf das Ufer, den Stegkopf, sein eigenes Auto; er hatte sich beinahe einmal um die eigene Achse gedreht. Jetzt vollendete er die Drehung, ganz der alte Dickkopf, zog sein Taschentuch, schnäuzte sich. Das wollen wir doch mal sehen, dachte er. Natürlich die Guntsieter Fischer. Die stecken mir nicht das Haus an, die kommen mir auf mein Schiff. Aber denen werd ich helfen.

Steifbeinig stakste er zum Bug, der zum toten Ende des Hafeneinschnitts wies. Hinter dem schmalen Straßenband gab es dort große überwucherte Brachflächen. Vor gar nicht so langer Zeit hatten dort noch die Ungetüme gestanden, diese Riesen-Monstren, die auch nach Jahren im Regen kaum hatten rosten wollen. Die hatten diesem Phantasten gehört, dem sie dann gründlich …

Iwwerks blieb stehen, eine Hand auf die Schanz gestützt. Der alte Kapitän? Jetzt noch, nach all den Jahren? Er schüttelte den Kopf, setzte den rechten Fuß aufs Bergeholz und sprang zurück auf den Steg. Unsinn.

Er kramte nach den Autoschlüsseln. Die Wasserschutzpolizei war ganz auf der anderen Seite des Hafenbeckens. Da musste er hin, Anzeige erstatten. Was sollte er denen sagen, wenn sie fragten: gegen wen?

»Vandalen«, murmelte Iwwerks und fletschte die Zähne.

Ebbe und Blut

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