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3.

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»Guck mal hier! Voll trendy, was?« Sabrina hielt sich ein winziges, spitzenartig durchbrochenes Etwas, dessen fransige Ausläufer knapp bis zur Nabelgegend baumelten, vor den Busen und schaute ihre Mitbewohnerinnen erwartungsvoll an.

»Lass mal sehen. Ach du Schande, wo willste das denn tragen? Bei Rotlicht?« Wiebke Meyers Reaktion lag irgendwo zwischen Anerkennung und Neid, ungeachtet der Empörung und Ablehnung signalisierenden Wortwahl, und wurde auch so aufgefasst. Auf den Klang kam es an in der Kommunikation unter Teenagern, das benutzte Vokabular war zweitrangig. Bis zur Nonverbalität war es nur noch ein kleiner Schritt.

»Oder wenn du zu Hause für deinen Liebsten mal wieder Lapdance machst.« Theda Schoons schneidender Kommentar war von ganz anderer Qualität, das war unüberhörbar. Ihre Ablehnung war scharf und auch so gemeint, was ihr Gesichtsausdruck deutlich widerspiegelte. Gerade deshalb ging Sabrina nicht darauf ein.

»Aber da ziehst du doch etwas drunter, oder?« Stephanie Venema war, ungeachtet ihrer fast 180 Zentimeter Körperlänge, die Kindlichste des Quartetts, das in der kleinen Ferienwohnung untergebracht worden war. Ihr Gesicht mit den leicht schräg stehenden Augen und der kräftigen Kieferpartie war nicht gerade klassisch schön, aber doch sehr apart, und ihre hellblond leuchtende Mähne sicherte ihr jederzeit Aufmerksamkeit. Noch wirkte sie mit ihren dünnen, schlaksigen Armen und Beinen und den großen Händen und Füßen wie ein Fohlen bei den ersten Gehversuchen. Dass sich dieser Eindruck jedoch bald ändern würde, war absehbar.

»Na logo, was denkst du denn!« Sabrina Tinnekens lachte, teils erheitert, teils abfällig. Obwohl sie mit ihren sechzehneinhalb Jahren nur ein knappes Jahr älter war als Stephanie, hatte ihre Ausstrahlung nichts Kindliches mehr. Selbst in ihrem züchtig geschlossenen, wadenlangen und geblümten Nachthemd, eigens für die Insel-Tour aus Altbeständen hervorgekramt, waren ihre fraulichen Formen unverkennbar. Das Spitzentop ließ ahnen, wie sie die zur Geltung bringen konnte. »Natürlich trage ich was drunter. Ein schwarzes Top. Oder ein Bustier, je nachdem.«

»Na, dann wird’s aber very sexy, heieiei!« Wiebke Meyer drehte sich um ihre eigene Achse, als trage sie selbst das so verrucht wirkende Kleidungsstück, passend zu dem verklärten Lächeln auf ihrem Gesicht. Ihr drahtiger, fast knabenhafter Körper wirbelte nur so herum, und man konnte sich gut vorstellen, wie sie vergangenen Monat ihre Voltigiergruppe zum Bezirkstitel geführt hatte. »Wo hast du das denn gekauft, etwa hier auf der Insel? So etwas muss ich auch haben, unbedingt.«

»Wozu? Da rutscht du doch glatt durch mit deinen spitzen Gräten.« Theda wickelte sich energisch in ihren Bademantel und raffte Wäsche, Socken und Jeans zusammen. »Wenn von euch keiner ins Bad will, dann geh ich eben. Keine Lust, wieder zu spät zur Probe zu kommen.« Eine Spur lauter als nötig fiel die Badezimmertür hinter ihr ins Schloss.

»Was die nur wieder hat!« Wiebke rümpfte die Nase. »Total spießig, die dumme Kuh. Nichts als Schule und Chor im Kopf. Mit der kannste überhaupt keinen Spaß haben.« Barfüßig huschte sie in den Flur und musterte sich im Garderobenspiegel: »Spitze Gräten, pah.«

»Ach, die ist im Stress, da musst du dir nichts bei denken.« Stephanie war wie immer auf Versöhnung aus, das war so etwas wie Prinzip bei ihr, aber ihre Miene signalisierte deutlich, dass auch sie Theda für reichlich zickig hielt. »Sie will eben unbedingt mit nach Amiland.«

»Ameland? Wieso will die denn auf noch ’ne Insel? Reicht ihr Langeoog etwa noch nicht?« Wiebke hatte ihr Pyjama-Oberteil bis über den Rippenbogen angehoben und war ganz mit der Inspektion ihres hageren Körpers beschäftigt.

»Amerika meine ich natürlich. U-S-A! Die Reise mit dem JBG-Chor über Weihnachten nach Illinois und Oregon, auf Einladung der Nachkommen ausgewanderter Ostfriesen. Schon vergessen?«

»Ach die!« Die Schlafanzugjacke fiel wieder herunter, und es überraschte, dass sie Wiebkes Rippen dabei nicht wie ein Xylophon zum Klingen brachte. »Die hab ich doch längst abgehakt. Da gibt’s überhaupt nur vierzig Plätze insgesamt, davon ganze fünfzehn für Sopran. Und wir sind über dreißig Sopranistinnen, wenn du alle mitrechnest, auch die Oberstufe. Wie sollen wir denn da eine Chance haben? So gut sind wir schließlich auch nicht.«

»Theda scheint davon nicht so überzeugt zu sein«, wandte Stephanie ein. »Jedenfalls entwickelt die voll den Ehrgeiz. Letzten Sommer hatte sie doch zu rauchen angefangen, weißt du nicht mehr? Und kaum kam die Nachricht von der Amerika-Fahrt, schon war wieder Schluss damit, von heute auf morgen. Die will mit, das hat die sich echt in den Kopf gesetzt.«

»Wenn das mal kein Hirngespinst ist!« Wiebkes grelle Stimme ging durch Mark und Bein. Inzwischen hatte sie ihre Aufmerksamkeit ihren mausbraunen, strähnigen Haaren zugewandt, raffte sie über dem Schädel zu einer Palme zusammen, um größer zu wirken. »Es gibt doch bestimmt mehr als fünfzehn Soprane in unserem Chor, die besser sind als sie. Das holt Theda in der kurzen Zeit niemals auf. Und erinnerst du dich, was sie sich vorgestern geleistet hat? Diesen fetten Patzer bei unserem Geburtstagsauftritt? Seitdem ist die Kleine bei Heiden doch sowieso unten durch.«

»Aber bei diesem Auftritt waren wir doch alle nicht besonders«, beschwichtigte Stephanie. »Nicht nur Theda. War ja auch eine Schnapsidee vom Heiden, dem Pastor die Zusage zu geben, ohne richtige Probe vorher und alles! Ganz egal, wie bedeutend diese Tante ist, die da achtzig wurde.«

»Bedeutend war«, schrillte Wiebke dazwischen. »Kurz nach unserem Auftritt ist sie gestorben. Heute früh beim Brötchenholen hab ich’s gehört. Ist das angesagte Gesprächsthema im Dorf.« Sie grinste breit: »Da siehst du mal, wie schlecht wir waren!«

Theda platzte mitten in ihr Gelächter hinein, einen Handtuchturban auf dem Kopf und eine Dampfwolke im Schlepptau. Mit einem mürrischen Seitenblick verschwand sie in ihrem Schlafzimmer und warf die Tür hinter sich zu.

»Hat die das schon wieder auf sich bezogen?« Stephanie sah besorgt aus. »Die ist aber auch empfindlich!«

»Ist doch scheißegal«, sagte Wiebke und wandte sich dem frei gewordenen Badezimmer zu. Sabrina aber war schneller gewesen und schloss lachend hinter sich ab.

»Blöde Gans«, maulte Wiebke. »Die hält sich auch wohl für was Besseres.«

»Jedenfalls glaubt sie auch, dass sie mitfährt nach Amerika«, sagte Stephanie. »Dabei singt sie auch nicht besser als Theda. Oder als du und ich.«

»Na ja, hör mal.« Wiebke setzte eine überlegene Miene auf. »Bei Sabrina liegen die Dinge doch ein bisschen anders. Wenn die mitfährt, dann hat das ja wohl nichts mit Singen zu tun.«

»Womit denn dann?« Stephanies Augen rundeten sich.

Wiebke schnaubte verächtlich: »Na womit wohl, du Baby.«

Solo für Sopran

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