Читать книгу Der Fluch der goldenen Möwe - Peter Gerdes - Страница 12
7.
ОглавлениеDie Kälte, denkt er, die Kälte ist im Augenblick das Schlimmste. Durch den steinernen Boden dringt sie ihm bis ins Mark, von seiner viel zu dünnen, teilweise zerrissenen Kleidung kaum gehindert, macht seine Haut taub und lässt seine Muskulatur unkontrolliert schlackern. Seine Nase läuft, seine Oberlippe ist von Rotz verklebt, den er nicht einmal wegwischen kann, weil seine Hände gefesselt sind, fachkundig gefesselt, so dass seine gelegentlichen wütenden Befreiungsversuche rein gar nichts gefruchtet haben, und seine Nasenflügel fühlen sich schon dick und entzündet an. Auch sein Hals tut weh. Wenn er noch lange hier liegen muss, holt er sich womöglich eine Bronchitis. Und mehr. Im Augenblick ist die Kälte wirklich das Schlimmste.
Und er wünscht sich, wünscht sich sehnlichst, dass das noch möglichst lange so bleibt.
Aber das wird nicht passieren. So viel hat er schon begriffen.
Sind da schon wieder Schritte? Wenn ja, dann sind es die seines Entführers. Sonst scheint hier niemand vorbeizukommen.
Nein, wohl doch nicht. Niemand in der Nähe. Schreien hat hier gar keinen Zweck. Klar hat er es versucht, als er es gerade einmal gekonnt hat und Schritte zu hören waren, aber dann sind es wieder seine gewesen, und er hat nichts unternommen, um die Schreie zu unterbinden. Er unternimmt nie etwas dagegen, sagt nicht einmal, dass Schreien sinnlos sei. Deutlicher kann er das gar nicht ausdrücken.
Dann, nachdem er das Schreien aufgegeben hat, hat der andere ihm wieder Wasser eingeflößt, sonst nichts, nur Wasser. Und dann hat er ihm wieder Spritzen verabreicht.
Oh Gott, diese Spritzen! Diese unglaublichen Qualen. Unvorstellbar schlimm, schlimmer als der Tod.
Der Tod wäre besser. Er wünscht ihn sich herbei. Nicht immer, aber immer dann, wenn der andere mit der Spritze kommt.
Und der andere weiß das. »Irgendwann ist es vorbei«, raunt sein Peiniger immer wieder mit diesem samtenen Tigergrollen in der Stimme, »irgendwann hast du es überstanden. Aber noch nicht. Jetzt noch nicht.« Dann die kleinen Stiche, dann wieder zurück in die Hölle.
Und jetzt? Irgendwas ist da, irgendein Geräusch. Manchmal hört man hier den Wind, dann zieht es auch etwas stärker als gewohnt, auch besonders starken Regen hat er schon hören können, und einmal auch etwas, das er für Meeresrauschen gehalten hat. Was für ein Raum ist das wohl, in den der andere ihn gesteckt hat? Ein Keller vermutlich oder ein Lagerraum. Sehen kann er jedenfalls überhaupt nichts. Die Dunkelheit hier drinnen ist absolut. Außer, wenn der andere kurz seine Lampe aufleuchten lässt, um sich zu überzeugen, dass sein Opfer noch lebt.
Oder um sich an seinen Qualen zu weiden. Oder beides.
Die Tür. Da draußen ist eine Tür laut ins Schloss gefallen, eine eiserne Tür, die Tür. Vielleicht ist es wieder windiger geworden. Da, die Schritte. Nicht so energisch wie sonst, eher etwas schleppend, aber eindeutig die seines Entführers. Und damit nicht weniger bedrohlich als sonst. Er kommt, er kommt! Alles wie immer, alles wieder von vorn.
Jetzt, denkt er, wäre ein guter Augenblick zum Sterben.