Читать книгу Der Fluch der goldenen Möwe - Peter Gerdes - Страница 6

1.

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Wie das Rollen eines Schiffes in bewegter See. Wie das Schwingen einer Schiffschaukel, so einer ganz großen, mit diesem Schwung und diesem Fallen und diesem Rauschen des Fahrtwinds in den Ohren. Dieser Druck und die Schwere am tiefsten Punkt, und dann wieder empor, mit Macht, dieses unwiderstehliche Steigen, diese erwartungsvolle Anspannung, und dann dieser unbeschreibliche Moment der Schwerelosigkeit am höchsten Punkt, diese Lust …

Und dann das.

Schmerzen, rasend und reißend wie tausend stumpfe Sägen … solche Schmerzen kann es nicht geben. Darf es nicht geben. Hat er das nicht immer geglaubt? Und gesagt? Dass er dieser Schmerzen Herr werden kann, dass er der Herr dieser Schmerzen ist? Und doch, und trotzdem … unmenschlich … unerträglich … unvorstellbar grausam.

Sind sie weg? Nein, die Schmerzen sind nicht weg, nur er war weg, war abgetaucht, weit unten drunter, unterm Schmerz. Aber da ist er noch, der Schmerz, und kaum dass er wieder denkt, wieder daran denkt, ist er auch schon wieder mitten drin. Diesmal hört er sich stöhnen, hört er sich gurgelnd brüllen wie ein Tier. Und dann wieder … aus.

Auf und ab. Er steckt im Fahrstuhl zwischen samtiger Ohnmacht und wahnsinniger Tortur. Irgendwer drückt immer wieder die Knöpfe, reißt ihn stets aufs Neue heraus aus der gnädigen Besinnungslosigkeit. Jedesmal kommt er dem Schmerz ein Stückchen näher. Jetzt kann er schon ans Wachwerden denken, sich davor fürchten, er malt sich aus, was ihn erwartet. Aber er will nicht, er will doch nicht!

Nur: Was will er dann? Gibt es eine Alternative?

Die nächste Ohnmacht ist nur noch eine halbe, ist nur ein schadhafter Filter aus Rauschen und Sirren, durch den sich die Realität schubweise Bahn bricht. Beim nächsten Auftauchen wird er endgültig die Oberfläche durchstoßen, das weiß er. Und er hat eine Höllenangst davor.

Mit der Angst aber kommt die Wut. Verdammt, wer hat da so gepfuscht? Wer hat ihm das angetan, ausgerechnet ihm? Ihm tut man so was nicht an. Jedenfalls nicht ungestraft. Er ist es doch, der alles im Griff hat, der am längeren Hebel sitzt. Immer. Na warte, denkt er. Das wirst du büßen. Lass mich nur erst …

Jetzt ist er wach, endgültig, die Augen noch geschlossen, aber doch wach. Jetzt brüllt ihm der Schmerz direkt ins Gesicht. Aber jetzt kämpft er, jetzt will er es wissen, und er kann kämpfen, oh ja, er weiß, wie das geht. Er schreit und stöhnt und windet sich, aber er hält stand. Bleibt oben, bleibt bei Bewusstsein. Röchelt und keucht, bezwingt auch seinen Atem, holt tiefer und gleichmäßiger Luft. Gleich, gleich ist er so weit. Und dann sollen sich die, die das hier verbockt haben, bloß warm anziehen.

Er schlägt die Augen auf. Es ist dunkel, und es bleibt dunkel. Außerdem ist es kalt. Er liegt, mehr auf der Seite als auf dem Rücken, und zwar hart. Bewegen kann er sich nicht.

Er schließt seine Augen wieder, reißt sie erneut auf, vergewissert sich, dass er wirklich wach ist. Der Schmerz hilft ihm dabei. Also war das hier keine OP, denkt er, kein mühsames Erwachen danach. Das hätte doch gepasst. Bloß, welche denn auch?

Es sei denn … ist da etwas gründlich schiefgegangen? Haben sie ihn womöglich … in den Keller geschoben, dahin, wo die Kunstfehler zwischengelagert werden?

Dunkel, kalt und hart. Das würde passen.

Wieder keucht er, sein Herz rast, er bäumt sich auf. Zerrt und reißt und wundert sich. Und lässt sich wieder zurücksinken. Nein, denkt er, das passt doch nicht. Tote werden nicht gefesselt.

In seinen Adern pocht es, sein Schädel dröhnt, Adrenalin, denkt er automatisch. Innere Hitze presst ihm den Schweiß aus den Poren. Ein leichter Luftzug kühlt seine nasse Stirn.

Luftzug? Wieso Luftzug?

Eine Tür muss geöffnet worden sein.

Eine Ahnung. Eine Erinnerung. Und dann weiß er es plötzlich wieder. Was, und wann.

Bloß nicht: wer … und warum.

Etwas knirscht. Schritte, die sich nähern. Jemand geht neben ihm in die Hocke. Beugt sich weit herunter. Warmer Atem auf seiner feuchten Wange, an seinem Ohr. Das Kitzeln der Härchen darin dringt sogar durch den Schmerz. Der plötzlich gar nicht mehr das Schlimmste ist.

»Na, mein Lieber, sind wir wieder bei uns?« Eine leise Stimme, sanft wie das Schnurren eines Tigers. »Alles gut, alles klar? Wir wollen ja nichts verpassen, oder.« Eine Hand tätschelt seine Wange, Finger fahren leicht über seinen Hals, seine Kehle, seinen freiliegenden Brustkorb. »Dann können wir ja jetzt zur Sache kommen.«

Gänsehaut. Und ein Stich. Eine Injektion. Noch eine. Und wieder.

Er schnappt nach Luft, gierig, als gäbe es gleich keine mehr. Er tötet mich, denkt er, er bringt mich um. Dass einer so vorgeht, hätte er nicht gedacht. Das ist für ihn das eigentlich Überraschende.

Lichtflecken huschen über sein Gesicht. Aha, denkt er, irgendwo in einer kleinen Blase seines Verstandes, der ansonsten von heulender Panik geschüttelt wird, aha, er will es sehen, er will sich das nicht entgehen lassen. Das Licht blendet, aber er kann seine Augen nicht mehr schließen. Auch das Luftholen wird immer schwerer. So ist das also. Nein, ein schöner Tod wird das nicht.

Das Licht erlischt. Hat er genug gesehen? Wieder der Atem, das Kitzeln am Ohr.

»Du glaubst, dass du stirbst?«, raunt die Tigerstimme. »Nein, mein Lieber, Sterben ist noch nicht dran. So einfach geht das nicht.«

Der Fluch der goldenen Möwe

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