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Zwei

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August im Jahre des Herrn 1486.

Ich treffe den Admiral zum ersten Mal.

Manuel, López und ich standen in der Dunkelheit und suchten Schutz vor dem Regen. Über unsere Köpfe schossen Blitze. Es war, als ob der Leibhaftige selbst mit seinem Karren unterwegs sei. Der Wolkenbruch verwandelte den Boden in einen klebrigen Matsch, den wir mit uns herumtrugen, wohin wir auch gingen.

Das Unwetter ließ die Wände des Klosters erzittern. Die Vesper war gerade vorbei. Die Mönche verließen die Klosterkapelle. In ihren Sandalen schritten sie, die Kapuzen über ihren Köpfen, den östlichen Gang entlang in ihre Zellen. Ich sah Bruder Antonio an Prior Juan Pérez Vorbeigehen, der ihn mit gefalteten Händen im Schein der Lampen segnete. Ein Donnerknall ließ lange Schatten über die Steinwände huschen. Windböen zerrten an unseren Kleidern. Ein weiterer Blitz zerriss die Luft. Ein Schatten fiel auf das Steinpflaster.

Aus irgendeinem Grund fand ich, dass der Prior angespannt aussah.

»Jungen«, sagte Juan Pérez mit seiner tiefen Stimme, »hört ihr nicht, dass jemand an der Tür ist?«

Wir bekreuzigten uns rasch, eilten geduckt aus der Kapelle und erreichten den Stall, bevor ein neuer Blitz in der Dunkelheit aufschien. Als ich einen Blick über die Schulter warf, sah ich, dass Bruder Pérez uns mit langen Schritten folgte. Die Mönchskutte flatterte um seine Beine.

Der Fremde, der eingetreten war und nun mit dem Koch Dios sprach, machte keinen besonderen Eindruck auf uns. Die nassen Haare hingen ihm in die Stirn. Als er sich verbeugte, fielen Regentropfen auf den Boden. Die eng anliegende Hose war voller Dreck.

An seiner Seite stand ein Junge, der seiner Größe nach höchstens fünf Jahre alt sein konnte. Trotz der späten Stunde war der Junge noch wach, sah jedoch sehr müde aus.

Der Fremde zog den Hut.

»Guten Abend, Freunde.«

Die Stimme klang weich, seine Sprechweise war von seltsamer Leichtigkeit. »Mein Sohn Diego und ich sind schon lange unterwegs und wurden von dem schlechten Wetter überrascht. Wir müssen uns unbedingt ausruhen. Dürfen wir eine Nacht bleiben und uns aufwärmen?«

Ein leichter Akzent deutete darauf hin, dass der Mann nicht in Spanien geboren war. Er gefiel mir sofort. Der Junge, der Diego hieß, drückte sich unruhig an das Bein seines Vaters.

»Wir sind alle Brüder unter demselben Herrn«, sagte Bruder Pérez. »Seid willkommen, Fremder. Wir nehmen viele Gäste in unserem Kloster auf, manche sind auf Wallfahrt, andere kommen, um das Klosterleben zu studieren. Wo habt Ihr Euer Maultier?«

»Das steht draußen.«

Der Prior zeigte auf mich.

»Pedro geht Euch zur Hand, Fremder. Ihr könnt hier übernachten.« Er wandte sich mir zu und sagte: »Zeig ihnen, wo sie Wasser für ein Bad erwärmen können, Pedro, und gib ihnen trockene Kleider. Es ist nicht gesund, lange in nassen Kleidern herumzulaufen. Der arme Junge sieht völlig erschöpft aus.«

Der Fremde verbeugte sich noch einmal. »Mein Name ist Christoph Kolumbus. Mein Sohn und ich sind von Portugal unterwegs nach Genua. Ich bin Kartograf und Entdeckungsreisender.«

Der Prior zog die Augenbrauen hoch. Ich stutzte ebenfalls. Entdeckungsreisender?

Das war das erste Mal, dass Christoph Kolumbus und ich unter einem Dach schliefen.

In dieser Nacht flüsterten wir Laufburschen, die wir das Nachtlager teilten, viel. Wir waren neugierig. Wer war dieser Kolumbus?

Ich fühlte mich von dem Neuankömmling seltsam angezogen. Vielleicht hatte dieses Gefühl mit meiner ständigen Sehnsucht nach meinen Eltern zu tun.

An dieser Stelle muss es gesagt werden: Ich bin elternlos.

Nicht wurzellos, da der Herr mein Leitstern und Beschützer ist, aber ich habe weder Mutter noch Vater. Dadurch ist mein Leben anders als das der anderen. Lasst mich von mir selbst erzählen, nicht weil es für das große Ganze wichtig wäre, sondern weil es demjenigen, der eines Tages diese Zeilen lesen wird, weiterhelfen könnte.

Bruder Jaito ist sehr alt. Er erzählt immer, dass er eines Nachts laute Schreie vor dem Kloster gehört habe. Im Glauben, es handele sich um ein Tier, öffnete er die Tür und entdeckte auf den großen Steinplatten einen Korb. Darin lag ein neugeborenes Kind, bloß in einen Schmutzigen Stofflappen gewickelt.

»Dein Gesicht war ganz blau, mein Junge, und du hättest sicher nicht mehr lange gelebt, hätte ich dich nicht zufällig gehört«, sagte der freundliche alte Mönch immer.

Niemand weiß, wie ich dorthin gekommen bin. Niemand weiß, wer meine Eltern sind.

Ich bin ein Findelkind.

Ein niño espósito.

»Unser kleiner Moses im Schilf«, sagten die Mönche.

Denn sie betrachteten mich als Geschenk des Allmächtigen selbst. Die Mönche nahmen sich liebevoll meiner an.

Die ersten Jahre gaben sie mich in die Obhut eines Schafzüchters und seiner Frau, die ohne eigene Kinder in den Bergen lebten. Mehrmals im Jahr besuchte mich Bruder Juan Pérez, der bald wie ein richtiger Vater für mich wurde. Als ich sechs Jahre alt war, durfte ich als Knecht im Kloster anfangen, außerdem kam ich in die Klosterschule, damit ich lesen und schreiben lernte.

Die Mönche waren immer gut zu mir.

Ich weiß nicht genau, wie alt ich war, als ich beschloss, Mönch zu werden. Vielleicht nicht älter als sieben oder acht. Als ich es dem Prior erzählte, nickte er. »Das steht in den Sternen, mein Freund«, sagte er. »Der Allmächtige hat eine Aufgabe für dich, wie für alle.«

Die Mönche haben mir mehr über das Leben beigebracht, als meine richtigen Eltern es je gekonnt hätten. Aber fast jeden Abend seit meinem zehnten Lebensjahr zünde ich zwei Kerzen an und spreche ein einfaches Gebet.

Die Kerzen sind für meine Eltern.

Obwohl ich sie nie gesehen habe, fühle ich in meinem Herzen, dass sie leben. Ich weiß - tief in meinem Herzen weiß ich! -, dass ich sie eines Tages treffen werde. Seit meiner frühesten Kindheit habe ich davon geträumt, wie es sein wird, wenn wir uns begegnen, was meine Mutter sagen wird, wenn sie mich sieht, und was mein Vater sagen wird.

Wenn ich die Augen schließe, kommt es mir manchmal so vor, als könnte ich sie vor mir sehen.

Wie unscharfe Schatten.

Die langen Haare meiner Mutter, wenn sie sich über mich beugt. Das ernste Gesicht meines Vaters.

Deswegen erinnere ich mich auch so genau an mein erstes Treffen mit Christoph Kolumbus. Ich hatte das Gefühl, dass er meinem Vater ähnlich sieht.

Ich war dreizehn Jahre alt im Jahre des Herrn und der Jungfrau Maria 1486.

Es dauerte nicht mehr lange, bis ich Novize werden durfte.

1492 - das geheime Manuskript

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