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Fünf

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Im Jahre des Herrn 1490.

Begegnung mit den Wegelagerern.

Kolumbus kommt von seiner Audienz bei dem König

und der Königin von Spanien zurück.

Drei Jahre nachdem Kolumbus uns verlassen hatte, um an den spanischen Hof zu fahren, fiel ich unter die Wegelagerer. Da ich beschlossen hatte, alles über Astrologie zu erfahren, durfte ich zu Don Emilio in die Lehre gehen, einem gelehrten Mann, der etwas weiter oben in den Bergen wohnte. Bei ihm studierte ich gemeinsam mit ein paar anderen Schülern den Sternenhimmel. Nach dem Unterricht wartete stets ein beschwerlicher Ritt zurück zum Kloster auf mich. Mein Maultier fand den Weg allein, obwohl es dunkel wie im Grab war.

Eines Abends spürte ich eine innere Unruhe und versuchte, mein Reittier anzutreiben.

Es war den ganzen Tag warm gewesen. Jetzt kam Wind auf, und man spürte, dass das Wetter umschlagen würde. Die Zikaden zirpten leiser, ein sicheres Zeichen für ein herannahendes Unwetter.

Als ich um eine Wegbiegung kam, passierte das, wovor ich mich am meisten gefürchtet hatte.

Vor mir stand eine Bande von Wegelagerern.

Sie hatten ihre Waffen auf mich gerichtet. Voller Schreck trat ich das Maultier in die Seite, damit es kehrtmachte, doch merkte ich rasch, dass der Rückweg von zwei kräftigen Kerlen versperrt war.

Ein Hinterhalt!

Genau davor hatten mich die Mönche gewarnt!

Mein Herz schlug so stark, dass ich das Gefühl hatte, es würde bersten.

Der Mond erschien zwischen den Wolken. Im plötzlichen Licht suchte ich nach einem Fluchtweg. Nein, es gab keine Möglichkeit vorbeizukommen.

Die Räuber standen wie schwarze Schatten da und betrachteten mich schweigend.

Einer der Männer ließ seine Muskete sinken. Jemand spuckte auf den Boden.

»Wer bist du?«, rief ein breitschultriger Mann.

»Ich bin ein einfacher Franziskanermönch auf dem Weg ins Kloster La Ribida.«

Jemand lachte derb.

»Ha, ein Mönch!«

Ein Pferd löste sich aus der Dunkelheit und kam auf mich zu. In der Hand des Reiters glänzte ein Schwert. Langsam richtete er die Spitze gegen meine Stirn. Mit einer schnellen Bewegung schlug er meine Kapuze zurück. Ich zuckte zusammen. Als der Mann das Schwert an meine Brust drückte, dachte ich, meine letzte Stunde hätte geschlagen.

»Ein einfacher Franziskanermönch?«, wiederholte er höhnisch. Sein Gesicht war größtenteils von einem Tuch verdeckt, seihe Augen funkelten bedrohlich.

»Lass ihn«, sagte jemand.

Die Schwertspitze drückte stärker gegen meine Brust.

»Lassen Sie mich gehen, Señor«, stammelte ich. »Ich bin arm, ein Diener des Herrn ohne… Besitz…«

Die kräftige Gestalt regte sich nicht.

Saß er da und überlegte, ob mein Leben es wert war, verschont zu werden?

In der Ferne hörte man Donnergrollen.

Der Donner rollte über die Berge, um dann langsam auszuklingen.

Im nächsten Augenblick nahm der Mann das Schwert wieder an sich. Er steckte es in die Scheide.

»Lasst ihn weiterreiten!«, rief er.

Mit großer Erleichterung trieb ich mein Reittier an. Das sonst so störrische Maultier gehorchte sofort, sicherlich empfand es dasselbe befriedigende Gefühl wie ich.

Doch ich kam nicht weit. Ein gellender Schrei erfüllte die Luft. Im nächsten Augenblick packten mich grobe Hände, zerrten mich vom Eselsrücken und pressten mich zu Boden. Schwere Schläge prasselten auf meinen Rücken und meinen Kopf. Ich versuchte, meinen Kopf so gut es ging mit den Händen zu schützen, doch so bekamen die Finger die Schläge ab. Zunächst spürte ich keinen Schmerz; stattdessen bemerkte ich eine warme Flüssigkeit, die mir übers Gesicht und zwischen meine Lippen rann.

Sie schmeckte nach Salz. Ich begriff, dass es mein eigenes Blut war.

Ich betete zum heiligen Franziskus, während mir die Mönchskutte vom Leib gerissen wurde.

Sie fluchten, als sie meine Kleider durchsuchten.

Ein harter Tritt in den Bauch nahm mir die Luft. Nackt wie ein Neugeborenes lag ich da und weinte. Der furchtbare Sehrei erfüllte die Luft und hallte mir im Schädel wider.

Der furchtbare Schrei.

An mehr erinnere ich mich nicht.

Ich weiß nicht, wie lange ich bewusstlos war.

Ich wachte auf, weil meine Glieder zitterten. Die Kälte vermischte sich mit starken Schmerzen, besonders auf der einen Körperseite. Ich hörte ein Stöhnen und rollte mich instinktiv zusammen.

Es dauerte etwas, bis ich verstand, dass der Ton aus meinem eigenen Mund gekommen war.

Vorsichtig sah ich mich um.

Der Himmel war immer noch dunkel.

Abgesehen von meinem einfältigen Maultier, das ein paar Schritte entfernt an einem Busch knabberte, war kein Lebewesen zu sehen.

Keine Räuber.

Regentropfen begannen, auf meinen nackten Körper zu fallen, und Windböen raschelten in Blättern und Büschen, der Wind war unangenehm kalt. Ich versuchte, mich aufzusetzen. Es ging, trotz starker Schmerzen, die in meine Beine ausstrahlten. Die Mönchskutte war weg.

Wie ich es schaffte, das Maultier zu mir zu locken und mich auf seinen Rücken zu hieven, weiß ich nicht.

Es war eine traurige Heimreise.

Mehrmals fiel ich fast zu Boden, aber es gelang mir irgendwie, mich festzuklammern. Der Regen peitschte immer härter und einmal suchte das Maultier selbstständig Schutz unter ein paar großen Bäumen.

Ich hatte anscheinend wieder das Bewusstsein verloren.

Von dem Augenblick, als mich meine Freunde aus dem Mönchskloster fanden, erinnere ich mich vor allem an ihre weichen Hände, die mich unendlich behutsam hochhoben, und ich erinnere mich daran, meinen Tränen freien Lauf gelassen zu haben. Estat so weh, so sehr weh.

»So, mein Junge«, sagte eine Stimme nah an meinem Ohr.

»Ganz ruhig. Wir bringen dich nach Hause. Es ist jetzt überstanden.«

Ich hörte meinen Freund López sagen: »Pedro! Erzähl uns, wer es war!«

»Das nützt nichts«, murmelte jemand, »die Banditen sind bestimmt schon über alle Berge. Lass ihn sich ausruhen. Siehst du nicht, wie schwer er verletzt ist?«

Es dauerte einige Wochen, bis ich einigermaßen wiederhergestellt war. Während der ganzen Zeit wurde ich von Albträumen heimgesucht. Ich wachte oft schweißgebadet und angsterfüllt auf.

Die Mönche beteten für mich und stellten Kerzen für den heiligen Franziskus auf. Bruder Juan Perez saß oft an meiner Seite, streichelte meine nasse Stirn oder hielt beruhigend meine Hand.

»Mein armer Junge«, murmelte er. »Mein armer Junge.«

Das Dröhnen in meinem Kopf ließ nicht nach.

Der sinnlose Überfall überraschte niemanden. Die Wege wurden von umherziehenden Räuberbanden und Kriegsinvaliden heimgesucht, die ihr Unwesen trieben, wohin sie auch kamen.

Erst nach mehreren Tagen vermisste ich das Buch, das ich von Don Emilio bekommen hatte. Es war ein Buch voller Karten, in das ich Anmerkungen an den Rand geschrieben hatte. Das kleine Buch konnte eigentlich niemanden interessieren. Warum hatten die Räuber es mitgenommen? Es war ein Rätsel.

»Sie haben es irgendwo weggeworfen, wo wir es nicht finden können«, sagte López.

Ich nickte bedrückt und machte mir Sorgen, was Don Emilio wohl sagen würde. Aber der gelehrte Jude machte nur eine beschwichtigende Handbewegung, als ich von dem Buch erzählte. »Kümmere dich nicht darum, Pedro. Das Wichtigste ist, dass du gesund wirst.«

Ein paar Mal besuchte er mich im Kloster. Dann saßen er und der Prior an meinem Krankenbett und sprachen mit gedämpften Stimmen miteinander. Einmal hörte ich, dass sie Kolumbus erwähnten. Es waren keine guten Neuigkeiten: Kolumbus befand sich immer noch am spanischen Hof und wartete auf eine Entscheidung von Königin Isabella und König Ferdinand.

Ich feuchtete meine Lippen an. »Wie steht es?«, fragte ich den Mönch.

Der schüttelte den Kopf.

»Du meinst, ob Kolumbus reisen darf? Es sieht nicht gut aus, mein Junge. Kolumbus’ Bruder Bartholomäus soll auf dem Weg nach England sein, um den englischen König für eine Reise westwärts nach Indien zu gewinnen. Weißt du, dass Kolumbus früher auch schon bei König Johann von Portugal vorgesprochen hat?«

Das wusste ich nicht. »Ist Kolumbus in Portugal gewesen?«.

»Er hat während seiner Ausbildung zum Kartografen dort gewohnt. Dort hatte er zum ersten Mal die Idee gehabt, westwärts über das Weltmeer zu segeln. Er wäre vielleicht nie nach Spanien gekommen, wenn Diegos Mama nicht gestorben wäre. Aber jetzt ruh dich aus, mein Junge, du wirst sehen, dass bald bessere Neuigkeiten kommen.« Juan Pérez klopfte mir auf die Schulter.

Don Emilio sah ernst aus. Er sagte: »Erst wenn die Soldaten den Krieg gegen die Mauren gewonnen haben, werden Isabella und Ferdinand Zeit für Kolumbus finden.«

»Ich werde darum beten, dass der Krieg zu Ende geht, Bruder.«

»Und dafür, dass die Mauren nicht die spanische Armee besiegen, Pedro.«

Im Jahr 1490 kam der Frühling früher als jemals zuvor und er war trockener als gewöhnlich.

Die Brunnen versiegten fast, da wir gezwungen waren, die Weinreben und Orangenbäume so stark zu gießen. Obwohl ich immer noch unter den schmerzhaften Nachwirkungen des Überfalls litt, arbeitete ich mit.

Jeden Morgen suchten wir den Horizont nach Regenwolken ab, doch die Sonne schien stets an einem klarblauen Himmel. Wir hatten viel zu tun im Kloster und ich dachte nicht mehr an Christoph Kolumbus.

Dann passierte eines Nachmittags etwas, das mit einem Schlag alles veränderte.

Bruder Dios kam gerade mit einem Sack auf dem Rücken aus dem Stall. Er stellte den Sack ab und winkte mich zu sich. Ich zog die Kapuze über den Kopf und eilte hinüber. Die Mönchskutte war nicht nur warm, sondern bot auch einen Schutz vor der unbarmherzigen Sonne. Dios spähte mit halb geschlossenen Augen in Richtung des Horizonts. Ich folgte seinem Blick. In der Ferne glaubte ich, Staubwolken aufwirbeln zu sehen.

»Sieht so aus, als bekämen wir Besuch, Pedro!«

Diego kam trotz der Hitze zu mir gelaufen, und da ahnte ich instinktiv: Kolumbus!

»Ist das Papa?«, fragte Diego und fasste meine Hand. Ich antwortete nicht sofort, sondern beobachtete den schwarzen Fleck in der Ferne, der langsam größer wurde. Dann erkannte ich die Gestalt auf dem Pferderücken.

»Ja, mein Freund, das ist dein Papa.«

»Hallo!«, hörten wir ihn rufen.

Hinter mir kam Bruder Orio hinkend näher.

»Aha, der Träumer kommt doch wieder«, sagte er.

Etwas später stand Kolumbus mitten unter uns. Der große Abenteurer war nicht wiederzuerkennen. Sein Gesicht, das früher solche Entschlossenheit ausgestrahlt hatte, war voller Falten und wirkte erschöpft. Seine Kleider und Stiefel waren staubig und voller Sand, sodass sie raschelten, wenn er sich bewegte. Wir sahen alle, dass er sehr müde war. Diego und ich liefen auf ihn zu und nahmen ihm den Kleidersack ab, der ihm fast aus der Hand glitt. Er strahlte, als er seinen Sohn wiedererkannte, und umarmte Diego gerührt. »Papa«, sagte Diego und sah verlegen aus.

Es gab mir einen Stich ins Herz. Ich dachte an meinen eigenen Vater und dass ich eines Tages seine Arme um mich spüren würde und dass es dann genauso wäre.

Kolumbus drehte sich zu mir um. »Es wird keine Reise geben, Pedro. Der König und die Königin haben Nein gesagt.« Seine Stimme war heiser und gebrochen.

Ich fühlte, wie etwas in meiner Brust zerbrach.

Ist der Traum vorbei?, fragte ich mich.

Einen Monat lang hing die Enttäuschung wie ein schweres Joch über uns.

Einen Monat lang.

Dann verwandelte sich alles in Freude, als wir völlig unerwartet eine Nachricht vom spanischen König und der Königin bekamen. Sie hatten ihre Meinung geändert. Kolumbus wollte alle umarmen.

Und sagte zu mir den Satz, nach dem ich mich mehr als nach allem anderen gesehnt hatte: »Die Reise ist also bewilligt. Du kommst doch mit, Pedro?«

1492 - das geheime Manuskript

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