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II
ОглавлениеEr hatte auch überhaupt kein schlechtes Gewissen, als er am späten Nachmittag dann endlich zum Postamt ging und die Miete einbezahlte. Obwohl es grundsätzlich schon Schmerzen verursachte. So viel Geld, nur dafür, dass man ein Dach über dem Kopf hatte, Monat für Monat hinlegen zu müssen. Dabei besaß die "Gurke", wie er die Hausbesitzerin insgeheim nannte, außer diesem, noch weitere vierzehn, ja ganz richtig, vierzehn Häuser in dieser Stadt. Natürlich nicht auf ihrem Mist gewachsen, geerbt vom Papa, wohlgemerkt. Naja, diese Welt war und blieb ungerecht von vorne bis hinten, oben bis unten und querverkehrt.
Heute fiel es ihm gerade ein bisschen leichter, sich mit dieser unabänderlichen Tatsache abzufinden. Er musste zwar dieses beschissene Spiel mitspielen, versuchte aber seine innerliche Beteiligung so gering wie möglich zu halten. Und wenn erst einmal sein Roman fertig, die Höhen des literarischen Olymps erklommen waren, dann konnten sie ihn ohnedies alle kreuzweise, voll und ganz, von links nach rechts, oben bis unten und querverkehrt, mit wärmsten Empfehlungen des Eigentümers, in bester Wallenstein'scher Art, am Arsche lecken!
Irgendeine Insel würde sich da schon finden lassen. Schreiben konnte man schließlich überall.
Wieder zu Hause, setzte er sich sofort an den kleinen Computer, den er sich anstatt der alten Schreibmaschine geleistet hatte, begann wie wild auf die Tasten einzuhacken. Er musste einfach weiterkommen mit diesem, seinem Roman.
Er blies gerade eine lang gezogene Variation zu einem bekannten Thema auf seinem Saxophon, als es unvermittelt an der Tür läutete. Ärgerlich brach er den sägenden Ton ab, der da gerade so schön aus dem Rohr zu rinnen schien, ging zur Tür. Was die schon wieder wollten, er hatte doch ohnedies seinen Schalldämpfer eingesetzt.
Sollte da nur niemand kommen und sagen, dass er wieder einmal zu laut war. Diese Banausen, konnten wahre Kunst nicht von Lärm unterscheiden. Er musste doch üben, durfte sich nicht hängen lassen. Obwohl er genug Grund hätte, sich durchhängen zu lassen, nach diesem beschämenden Rausschmiss aus dem Orchester. Ohne erkennbare Perspektive für die nächste Zeit. Eine Mafia war dieser Kunstbetrieb, eine hemmungslose blutsaugende Mafia, ignorant, blind und taub, verantwortungslos und durch und durch ignorant, einzig dem schönen Schein verfallen, dem Attribut, der Geste, dem Schauspiel, nicht aber dem tieferen Geheimnis auf der Spur - diese Ketzer...
Aber als er die Tür öffnete, stand da eine ihm völlig unbekannte Person unübersehbaren weiblichen Geschlechts. Ob er der bekannte Saxophonist Franz Wolff sei und ob sie kurz eintreten dürfe, so lautete ihre etwas nervös gestellte Frage. Ohne wirklich auf eine Antwort seinerseits zu warten, drängte sie sich an ihm vorbei in seine Wohnung.
"Machen sie mir die Freude, spielen sie einfach weiter. Ich habe Sie noch nie gehört, aber man hat Sie mir wärmstens empfohlen... lassen Sie sich durch meine Anwesenheit nur nicht stören."
Franz fühlte sich geschmeichelt, die Frau war auch dazu angetan seine Aufmerksamkeit zu erregen und nicht nur die. Ein Klasseweib, elegant gekleidet, von Kopf bis Fuß, dunkle rauchige Stimme, mit respektablen Dimensionen, mit katzenhaften Bewegungen, nicht gerade schön, aber doch sehr attraktiv. Eine geheimnisvolle Aura schien Sie zu umgeben, Franz hätte noch nicht formulieren können, was ihn sofort zu ihr hinzog, gewissermaßen faszinierte. Er konnte kaum seine Augen von ihr wenden, auch nicht, als er sein "Rohr" wieder an die Lippen setzte und einige transzendente Kaskaden herausperlen ließ.
Sie sah ihm fest in die Augen, ohne jemals ihren Blick abzuwenden, schien ihn geradezu hypnotisieren zu wollen. Er schloss die Augen setzte gerade zu einem neuen Lauf an, als es an seiner Tür läutete. Ihr Gesicht nahm mit einem Mal einen gehetzten Ausdruck an, ihr Lächeln war leicht gezwungen, erreichte ihre Augen nicht, als sie aufstand, ganz nahe an ihn herantrat und ihm in Ohr flüsterte.
"Hören Sie, machen Sie ganz normal auf... Nur um Himmels willen, verraten Sie nicht, dass ich hier bin. Da ist einer hinter mir her, der verfolgt mich schon den ganzen Tag. Ich verstecke mich in Ihrem Schrank!"
Franz ging, das Instrument umgehängt zur Tür, blies unterwegs noch ein paar sporadische Töne, öffnete die Tür schwungvoll und sah unverwandt in die Augen eines dunkelhaarigen, etwa dreißigjährigen Mannes, der ihn ebenfalls scharf und abschätzend anblickte.
"Guten Tag, ich habe gehört, dass diese Wohnung mit Monatsende frei wird, darf ich sie mir mal kurz ansehen?"
Der Mann wartete ebenfalls erst gar nicht auf seine Antwort, drängte sich an ihm vorbei, ging einige Schritte weiter, sah sich mit ein paar schnellen Blicken um. Aber dann war Franz schon bei ihm und hielt ihn auf.
"Hier zieht niemand aus, wer erzählt denn solchen Blödsinn. Außerdem bin ich gerade beim Arbeiten. Würden Sie also die Güte haben und die Tür wieder von außen zumachen, hier ist für Sie nichts zu holen. Außer, Sie suchen einen Saxophonisten!"
Er bedeutete dem Mann unmissverständlich, sich wieder zu entfernen, was dieser, nach einem prüfenden Blick in die Runde, dann auch tat.
Als sich die Tür hinter ihm schloss und er die sich entfernenden Schritte auf der Treppe hörte, ging er zielstrebig zu seinem Schrank, ließ die am Boden zusammengekauert sitzende Frau wieder heraus. Sie strich ihre Kleider zurecht und flüsterte ihm neuerlich ins Ohr, er solle doch noch ein wenig weiterspielen, nur um den Mann, falls er noch vor der Tür stand, zu überzeugen. Franz sah Sie etwas misstrauisch an, aber ihr wiedergewonnenes bezauberndes Lächeln ließ ihn das Mundstück wieder an seine Lippen setzen.
Ihre Augen lächelten das schönstes Lächeln, das sie hatte, so dass es Franz ganz heiß wurde, gleichzeitig ein kalter Schauer über seinen Rücken rieselte. Fast nur mechanisch spielte er weiter, konnte seine Augen nicht von ihr wenden. Sie wusste genau um ihre Wirkung, als sie nach knapper Frage nach dem gewissen Örtchen, in ihren Pumps an ihm vorbeistöckelte. Franz wischte sich den imaginären Schweiß von der Stirn, gab einen fauchenden Laut von sich, ohne Saxophon. Das war schon ein Exemplar, da könnte er schon auch schwach werden, wie er sich eingestand. Sehr interessant, auf allen Ebenen.
"Könnten Sie nicht nachsehen, ob der Mann noch da ist, ich meine, wahrscheinlich wartet er vorm Haus. Er hatte mich ja hineingehen sehen. Ich bitte Sie ungern, aber das ist eine außerordentliche Situation!"
"Kennen Sie denn den Mann, ich meine, was will er denn von Ihnen, warum verfolgt er Sie überhaupt, haben Sie denn mit ihm gesprochen?"
"Nein, ich weiß nichts. Nur dass er mir schon den ganzen Tag hinterher ist. Einmal hat er sogar versucht, mich im Auto von der Straße abzudrängen. Pures Glück, dass ich nicht im Straßengraben gelandet bin. Bitte tun Sie mir doch den Gefallen, gehen Sie nachsehen. Er hat einen großen dunkelblauen BMW. Ich muss raus hier... und das bald!"
Nach kurzem Zögern willigte er ein, ging zum Bäcker nebenan, kaufte einige Semmeln und sah sich unauffällig um. Zuerst dachte er schon, dass der Kerl wohl verschwunden sei, aber dann sah er den dunkelblauen BMW, ganz harmlos eingeparkt zwischen anderen Autos. Im Wageninneren konnte er die Silhouette des Mannes von vorhin erkennen. Franz ging zur Sicherheit noch in die Apotheke gegenüber, von dort aus hatte er bessere Sicht auf und in den Wagen. Aber da war kein Zweifel möglich, es war der Verfolger, also hatte sie recht. Er hatte schon zu zweifeln begonnen, ob dies alles nicht doch nur die Ausgeburt einer blühenden weiblichen Phantasie war, aber nun war das keine Frage mehr.
Wieder in seiner Wohnung, bot er ihr an, sie durch eine Verbindungstür ins Nebenhaus zu lotsen, von wo aus sie dann durch eine weitere Hintertür in eine andere Straße verschwinden konnte.
"Meine Freunde nennen mich übrigens 'Frankie'... falls Sie in diese Kategorie aufgenommen werden wollen. Wie heißen Sie eigentlich, ich meine - wo erreiche ich Sie, wenn der Kerl vielleicht doch…"
"Ich heiße Sabrina Hansford, mein Vater war Amerikaner. Aber meine Freunde sagen 'Jeannie' zu mir... so wie die Hexe in der Fernsehserie... Aber es ist momentan besser, wenn Sie nicht wissen, wo Sie mich erreichen. Zu Ihrem eigenen Schutz. Ich melde mich bei Ihnen, sagen wir übermorgen, wenn es Ihnen recht ist?"
Sie küsste ihn im Hausflur fest und lange auf den Mund, presste ihren Körper, wie ein Versprechen, fest an den seinen und schlüpfte vorsichtig aus dem Haus, in das nun schon dämmrige Licht des schwindenden Tages.
Frankie atmete scharf aus, schüttelte seine rechte Hand, als ob er sie verbrannt hätte, sah kurz auf die Straße hinaus, aber die Frau war schon nicht mehr zu sehen. Das konnte ja noch heiter werden. Was wenn der Mann nochmals kam und nun auch irgendetwas Unangenehmes von ihm wollte. Er musste aufpassen, sich wappnen.
Einige Stunden und eine halbe Flasche Chivas später hätte er den Vorfall schon fast vergessen, wenn... ja, wenn da nicht noch immer der BMW geparkt gewesen wäre. Er sah ihn erst auf dem Rückweg von dem Automaten, bei dem er sich eine Schachtel Zigaretten herausgerückt hatte. Nervös zündete er sich einen Glimmstängel an, rauchte gleich drei hintereinander, kam aber zu keiner vernünftigen Lösung, was er denn nun tun sollte.
Zwei Stunden später, die Flasche Chivas ging langsam zur Neige, hatte er wieder alles fast vergessen, wäre da nicht ein gewisses Schaben und Knacken vor seiner Wohnungstür gewesen. Schnell löschte er das Licht in der Wohnung und sah durch den Türspion hinaus. Und da war er wieder, der Mann aus dem BMW. Frankie schwankte und fiel fast hin, als er die Tür aufriss und den Mann zur Rede stellen wollte.
Aber mit einem Blitz in seinem Gehirn - er hatte gerade noch einen zischenden Laut gehört, so wie wenn jemand einen Schlagstock oder etwas Ähnliches geschwungen hätte - verzog sich sein Bewusstseinnun in irgendeine ferne, nebelschwangere, Dimension. Als er wieder erwachte, was äußerst schmerzhaft war, wurde er sich darüber im Klaren, dass man ihn offensichtlich niedergeschlagen haben musste. Seine Wohnung sah aus, als wäre da ein kleiner Hurricane auf Besuch gekommen.
Wie auch immer, man hatte nichts gefunden, konnte gar nichts gefunden haben, die Frau war ja nicht mehr da, denn selbstverständlich nahm er an, dass diese Männer nach ihr gesucht hatten.
Vier Seiten geschrieben an diesem Tag, Rudolf war mit sich und der Welt ausnahmsweise zufrieden. Aber das Gefühl dauerte nur kurze Zeit an. Draußen war es nun auch schon finster geworden und das hieß, dass er sich sputen musste.
Die Karre wartete schon in diesem Hinterhof auf ihn, wartete, dass er wieder auf den Bock stieg, um sich neuerlich auf diesem Wege, eine Nacht um die Ohren zu schlagen. Wenigstens der Druck der Mietzahlung war nun gewichen, grinsend erinnerte er sich an die Vorfälle der vergangenen Nacht.
Ja, morgen Nacht wollte er sie von ihrer Arbeit abholen, von der "Mademoiselle-Bar". Hoffentlich war nicht wieder der Kerl im dunkelblauen BMW da und verfolgte sie. Er wusste nicht, ob er ihn noch einmal so billig abschütteln konnte.
Auf jeden Fall war da wenigstens eine Perspektive. Genüsslich rieb er sich zwischen seinen Beinen, stöhnte in wohliger Vorfreude. Er würde sein Bestes geben; und das mit dem größten Vergnügen. Da ließ sich gleich auch diese noch vor ihm liegende Nacht leichter ertragen. Wenngleich auch sein Rücken von der Schreibarbeit am Nachmittag, mehr als gewöhnlich schmerzte. Aber ein echter Indianer kannte keinen Schmerz und durchhalten war die Mutter jeglichen Erfolges. Da musste er einfach durch. Arschbacken zusammen und ab durch die Mitte, war einer der Standardsätze seines Vaters gewesen. Und ausnahmsweise hatte er damit recht gehabt, sein Vater. Nur keine Schwächen aufkommen lassen, den Letzten beißen die Hunde.
Aber diese Nacht sollte noch eine grundlegende Änderung seiner Sicht der Dinge gebären.
Dabei hatte alles so schön harmlos begonnen. Eine eher durchschnittliche Schicht. Anfangs recht zügig im Geschäft, schon um Mitternacht hatte er die sich selbst gesetzte Mindestumsatzgrenze erreicht, mehr konnte man von einem gewöhnlichen Montag nicht erwarten.
Einige kleine Episoden würzten die zwischenzeitliche Langeweile. Nämlich, als eine etwas überkandidelte Frau einstieg, eine Diplomatin, wie sie gleich zu erkennen geben wollte. Amerikanische Botschaft, leitende Position - wahrscheinlich war sie Sekretärin, oder Telefonistin. Sie gebärdete sich, als ob nicht nur Rudolf, sein Taxi, sondern auch das Land, alle Politik und die ganze Welt von ihrem Gutdünken abhinge.
"Fahren sie gefälligst schneller, ich habe keine Zeit, das ist eine offizielle diplomatische Mission, also keine dummen Spielchen, okay ?"
Das konnte ja heiter werden, wenn das "Verhältnis" zum Fahrgast gleich mal so begann, das konnte nur in einem Fiasko enden.
"Was meinen Sie mit dummen Spielchen ?"
Rudolf überlegte, ob er die Person ernst nehmen sollte, oder besser nur seinen Sarkasmus auspackte. Zynismus, Sarkasmus, Ironie, die besten Waffen gegen übergriffige Fahrgäste, die glaubten, einen Leibeigenen vor sich zu haben.
"Ich meine, fahren Sie keine Umwege, ich bin keine Melkkuh !"
"Naja, sicher, der erste Teil, das mit dem Melken ist schon etwas übertrieben. Ich mag außerdem gar keine Milch, nicht einmal im Kaffee !"
"Was wollen sie mir damit sagen… Passen Sie auf was sie sagen, sonst…"
"Sonst was… schicken sie mir die CIA ? Oder irgendwelche anderen Verbrecher, die sie so im amerikanischen Militär, im Geheimdienst haben. Wir alle kennen die Geschichten aus Irak und Afghanistan. Wollen sie mir mit Guantanamo drohen ?"
Die Frau zog ihre Oberlippe hoch, wenn sie sprach. Es sah aus, als wolle sie gleichzeitig die Zähne fletschen. Dass sie auch noch affektiert mit ihren Augendeckeln klimperte, machte das Bild vollständig. Eine zu Fleisch gewordene Gurke, obwohl das eigentlich eine Beleidigung für Gurken darstellte.
"Wenn sie frech werden wollen, sind sie morgen ihren Job los, also halten sie ihren Mund und tun sie, was ich ihnen befehle."
"Oooch, wissen sie, ich hab' da gar keine Angst, meinen Job kann ich nur selbst kündigen, ich bin mein eigener Boss. Und ihr Boss ist kein Boss mehr, der alte Gauner, jetzt weht ein anderer Wind !"
"Was meinen sie mit dem Wort 'Gauner', sind sie vollkommen verrückt ?"
"Man kann auch 'Betrüger' sagen, auch 'Lügner' wäre angebracht, aber das Wort "Gauner" fasst das alles so schön zusammen... am liebsten würde ich manche eurer Leute vor dem Internationalen Gerichtshof sehen !"
"Das ist eine Beleidigung des Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika, und wenn sie… "
"Und wenn sie nicht gleich die Klappe halten, dann gehen sie jetzt zu Fuß weiter…"
"Unverschämtheit, ich werde mich beschweren…"
"Ja, können sie gern machen, rufen sie mich morgen an, da ist mein Anrufbeantworter dran, dem können sie alles erzählen !"
"Ich werde sie anzeigen… bei der Polizei, wegen Beleidigung !"
"Das kommt mir entgegen, dann können wir auch, ganz öffentlich ein paar Fragen klären… nämlich in wie viele Schweinereien die Amerikaner verwickelt sind, für ausreichend anwesende Presse wird gesorgt."
"Was meinen sie damit – wenn wir nicht Weltpolizei spielen, wer dann… und wo gehobelt wird, fallen eben Späne."
"Ihr seid aber nicht Weltpolizei, ihr wollt nur neue Spielfelder, für euren wunderbaren Turbo-Kapitalismus, der alles zerstört… zum Glück, auch euch selbst!"
"Aber, aber… das ist… Wir haben ehrliche Absichten… wir sind Helden !"
"Märchen und Lügen – es gibt eine lange Liste all der Schweinereien, in die Amerika, nach dem Zweiten Weltkrieg, verwickelt war, die Liste trieft vor Blut, mit Zahlen, die für sich sprechen und ihr wollt andere Mores lehren, das ist ja geradezu aberwitzig, absurd… Amerika, das Land der verlorenen Träume ?"
"Aaah, sie sind Kommunist, das habe ich mir gedacht !"
Die Frau rutschte auf ihrem Sitz hin und her, sah ihn fast panisch von der Seite her an. An der nächsten roten Ampel öffnete sie ihre Tür, stellte schon mal einen Fuß hinaus.
"Sie wollen aussteigen aus meinem Kommunisten-Mercedes… warten sie, gerne, aber erst wenn sie bezahlt haben… das macht 14 Euro dreißig…"
Rudolf lächelt die Frau breit an, zwinkerte ihr zu. Die würde noch lange von dieser Fahrt erzählen. Sie gab ihm zwanzig Euro, sprang ohne ein weiteres Wort aus dem Wagen, sah sich an der Ampel stehend nochmals nach ihm um. Rudolf fletschte die Zähne, tippte sich an die Stirn, fuhr los.
Er hatte aber keine Zeit noch länger über die Frau nachzudenken. Ein bulliger Mann stieg ein. Er trug einen Parka und einen Dreitage-Bart, von der ungepflegten, unmodischen Art, lümmelte sich in den Sitz. Rudolf vermeinte, den Ärger schon riechen zu können. Aber es war eine weite Fahrt und Rudolf war scharf auf das zu erwartende Geld... so der Typ überhaupt zahlen konnte, oder wollte.
Als sie das Ortsschild des Dorfes, etwa dreißig Kilometer außerhalb der Stadt passierten, fing der Mann auf einmal lauthals zu schluchzen an.
Er sei Soldat, Söldner eigentlich, bei der 'Legion'... Seit vierzehn Jahren das erste Mal zu Hause, seine Mutter... sein Dorf, die Leute, und er habe Angst, jetzt auf einmal, sonst habe er nie Angst, vor nichts.
Alles sei ganz anders geworden... ob Rudolf wisse, wie es sei... ob er schon einmal einen Menschen umgebracht habe... Er selbst habe schon so viele getötet, dass er es schon aufgegeben habe zu zählen... Und nein, er träume nicht von ihnen, nie... nur jetzt, jetzt könne er nicht mehr... Er habe nicht gewusst, dass das nach Hause kommen, so schwer sei.
Er bezahlte anstandslos, lies Rudolf ein stattliches Trinkgeld, stieg heulend aus, ging auf ein kleines Haus zu. Verrückte gab es in rauhen Mengen. Auch wie treffend die Bezeichnung "verrückt" war, deplatziert, geistig ausgehoben.
Rudolf fuhr sehr nachdenklich zurück in die Stadt. Was wusste man denn schon von den Leuten, die da neben einem saßen.
Eine Stunde später kam dann der Schwule. Der Mann versuchte während der Fahrt ständig seine Hand auf den ihm näheren Schenkel von Rudolf zu legen, fragte unverblümt, ob er sich nicht von ihm 'liebkosen' lassen wolle, es sollte auch nicht zu seinem finanziellen Schaden sein.
Rudolf schlug ihm spielerisch auf die Finger, als er in einer lang gezogenen Kurve seinem Hosenschlitz verdächtig nahe kam. Aber er regte sich nicht sonderlich auf darüber. Dies gehörte zu den fast 'normalen' Vorkommnissen, wenn man in der Nacht Taxi fuhr. Er lächelte ihn sogar an, als die Fahrt zu Ende war, bekam dafür auch zwanzig Euro Trinkgeld.
Er gähnte gelangweilt, als er sich wieder in Richtung Innenstadt bewegte, um sich eine neue Fuhre zu suchen. Was um diese Uhrzeit - es war mittlerweile ein Uhr vorbei - keine Schwierigkeit war. Viele Lokale machten Sperrstunde und man brauchte die wartenden Gäste einfach nur abzuholen, einzusammeln und möglichst schnell an das gewünschte Ziel bringen, um dann eiligst die nächsten Fahrgäste einzuladen. Sie liefen einem förmlich zu, um diese Uhrzeit, keilten sich manchmal sogar darum, wer als erster Anspruch hatte einzusteigen. Es war zum Kichern, hier und da gab es richtige Raufereien, zum Beispiel wenn die Wetterverhältnisse so, wie eben gerade in dieser Nacht waren. Was den Vorteil hatte, dass die Zeit wenigstens schneller verging, man ausreichend beschäftigt war. Das ging dann noch so ungefähr bis Halbdrei, dann wurde es wieder kurzzeitig ruhig, bis um vier, wenn dann die Diskotheken schlossen und das große Aufräumen begann, "Lumpen sammeln" wie es so liebevoll im Metier hieß. Wobei um diese frühe Stunde natürlich auch die Gefahr irgendwelcher Unannehmlichkeiten proportional mitwuchs, wie zum Beispiel, dass einem irgendeine Alkoholleiche auch noch den Wagen vollkotzte. Jeder Taxifahrer, in allen Städten der Welt, hatte dies mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht nur einmal erlebt. Das gehörte eben zum sogenannten Berufsrisiko. Wenn man nicht bereit war, sich mit solchen Ereignissen abzufinden, war man auf jeden Fall fehl am Platze. Auch Rudolf waren solche Geschehnisse nicht erspart geblieben, aber es gab Schlimmeres.
Wie zum Beispiel das, was nun auf den Fuß folgen sollte und was nicht einfach nur mit Wasser zu bereinigen war.
Die beiden Männer überquerten ruhigen gemessenen Schrittes, fast schon würdig, langsam die Straße, kamen direkt auf ihn zu, stiegen wortlos in den Fond seines Wagens.
Rudolf bot ihnen an, den kleinen Koffer im Kofferraum unterzubringen, sodass sie bequemer sitzen könnten, was sie mit gnädigem Nicken annahmen.
Sie unterhielten sich angeregt auf Italienisch, sprachen von irgendwelchen Problemen geschäftlicher Natur, soweit er das mitbekam. Der Eine, hager und groß mit kurzem wohlgestutztem Bart, offensichtlich der Untergebene, schien den Älteren etwas zu bedrängen, insistierte mit scharfer Stimme, während dieser in tiefem ruhigem Tonfall den Jüngeren eher zu beruhigen trachtete. Da war nichts Außergewöhnliches zu bemerken, ganz normale, angenehme Fahrgäste, sie ließen ihn wenigstens in Ruhe seine Arbeit verrichten. Man wies ihn unterwegs an, vor einem Lokal anzuhalten, der jüngere Mann stieg aus, ging hinein, kam aber schon nach wenigen Minuten wieder zurück, man fuhr weiter. Noch zweimal musste er anhalten, jedes Mal vor Lokalen, in die der Jüngere immer nur kurz hineinging und schon bald wieder herauskam. Der andere Mann war nicht unfreundlich, ganz im Gegenteil, machte inzwischen zaghafte Versuche von "Small Talk", fragte nach Details von Rudolfs Job. Aber Rudolf war gerade überhaupt nicht zum Plaudern zumute, seine Antworten fielen dementsprechend kurz und lakonisch aus, was dann auch bald alle Kommunikationsversuche des Mannes hinter ihm, im Sande versickern ließ.
Als letztes Fahrtziel, wie man ihm ankündigte, sollte er weit hinunter in den Süden der Stadt fahren, ins Nobelviertel, hin zu einem Restaurant namens "Il Cacciatore", wo sie dann auch aussteigen wollten. Rudolf konnte das nur recht sein, es war eine lange Fuhre geworden, die Schaltuhr auf seinem Armaturenbrett zeigte bereits über dreißig Euro an, und bis man am angegebenen Zielpunkt angekommen wäre, stünden da bestimmt bis fast an die Fünfzig auf dem Zähler. Das kam ihm gerade recht. Nach dieser Fahrt wollte er Schluss machen, für heute, es war genug, für diese Nacht reichte es.
Er fuhr den Wagen in eine Einfahrt neben dem Lokal, stellte den Motor ab, wollte schon seine Geldtasche zücken, als der Ältere ihm bedeutete, noch einige Minuten zu warten. Möglicherweise fuhr man doch wieder mit ihm zurück in die Innenstadt. Auch das konnte Rudolf nur recht sein, da musste er auf seinem Heimweg ohnedies vorbei. Ein Kellner kam aus dem Lokal, kam zum Wagen, fragte den Mann im Fond etwas auf Italienisch. Rudolf verstand nur Bahnhof. Der Kellner ging wieder ins Lokal. Der Mann hinter im Fond seines Wagens trommelte nervös mit seinen Fingerspitzen auf den Handgriff an der Tür.
Dann ging es ganz plötzlich Schlag auf Schlag, im wahrsten Sinne des Wortes.
Der jüngere Mann kam etwas taumelnd aus dem Haus, hatte eine Pistole in der Hand und schoss zweimal in die offen stehende Eingangstür des Lokals.
Dann traf ihn ein von innen abgegebener Schuss, er stürzte zu Boden, kroch in Deckung eines anderen, vor dem Lokal geparkten Wagens.
Rudolf saß da, mit nach unten gesunkener Kinnlade, weit vorgebeugt, die Augen weit aufgerissen. Es ging alles sehr, sehr schnell und hatte doch auch gleichzeitig eine Komponente von Zeitlupe.
Zwei Männer, ebenfalls mit Waffen in der Hand, kamen herausgelaufen, duckten sich hinter einem anderen Auto, feuerten weiter auf den bereits verletzten Mann, bis dieser endlich zusammensackte und sich nicht mehr regte.
Der zweite Fahrgast war inzwischen leise aus dem Wagen geglitten, schoss nun von der anderen Straßenseite auf die beiden noch immer geduckt verharrenden Männer, die sofort zurückfeuerten und sich wieder in Deckung brachten. Rudolf konnte die vorbeisirrenden Kugeln selbst bei geschlossenen Fenstern hören. Er sollte zusehen hier wegzukommen, nur momentan war an keinerlei Bewegung auch nur zu denken.
Plötzlich schrie einer der Männer hinter den Autos auf, taumelte ins Licht, wurde noch einmal getroffen, brach zusammen. Aber auch der zweite seiner beiden Fahrgäste hatte wohl etwas abbekommen, er lag blutend auf dem Boden, hielt aber noch immer seine Waffe fest in der Hand, schoss hinüber auf die andere Straßenseite. Der Mann in der Mitte der Straße rührte sich nicht mehr, lag eigenartig verdreht da. Der würde wohl auch nie mehr "Piccata Milanese" essen können. Wie auch immer, er musste weg hier und das auch schnellstens, sonst käme er am Ende auch noch dran. Zu seinem Glück dachte man offensichtlich noch nicht an ihn, beziehungsweise hatte ihn noch gar nicht zur Kenntnis genommen. Er benützte einen Schusswechsel, um geduckt den Wagen zu starten und so schnell er konnte im Rückwärtsgang hinter das Haus zu kommen. Das Glück blieb ihm hold, da gab noch eine Ausfahrt zu einer Seitenstraße. Rudolf trat in das Gaspedal, der Wagen schoss davon, gegen die Einbahn. Einige Hundert Meter weiter, er war schon fast um die nächste Ecke gebogen, sah er im Rückspiegel einen weiteren Wagen aus der Ausfahrt preschen. Keine Frage, dass es sich um Verfolger handeln musste. Rudolf hatte das Gefühl das Gaspedal bereits durch das Blech in den Motorraum zu drücken, trieb seine Gänge bis in brüllende Drehzahlen, bog schnell in eine nächste enge Seitenstraße, bog gleich noch einmal ab und dann nochmals, schlug Haken, um in der Kreisfahrt wieder auf die breite Hauptstraße zu gelangen. Er sah gerade noch, wie der Wagen, der hinter ihm her war - ein dunkelroter Sportwagen - um die Ecke kam, dann presste sein Fuß wieder das Pedal durch. Er hatte keine Chance, gegen das spritzige kleine Ding. Und was konnte er tun - so einfach wie den dunkelblauen BMW, konnte er diese Leute nicht irreführen. Schon war der Sportwagen ebenfalls wieder auf die Hauptstraße herausgeschossen gekommen, beschleunigte, um zu ihm aufzuschließen.
Rudolf sah verzweifelt um sich, suchte nach der rettenden Idee, als ihm der Zufall zu Hilfe kam.
Ein Bahnübergang. Er schrie auf vor Freude und Überraschung, bremste scharf, bog leicht schleudernd auf den Schienenweg ein. Das Gleis führte über eine Brücke in einen Tunnel. Rudolf drückte wieder auf das Gas. Ratternd, holpernd, ein gleichzeitiger extremer Bewährungstest für die Stoßdämpfer. Er würde einen Dankesbrief an die Erzeugerfirma schreiben, wenn er hier herauskam, ohne hängen zu bleiben, ohne Achsenbruch und nicht zu Letzt, ohne einen Zug, der aus der Gegenrichtung kam.
Der Wagen hinter ihm war nun ebenfalls auf den Schienenstrang eingebogen, wollte die Verfolgung nach kurzem Zögern wieder aufnehmen. Aber Rudolfs Kalkulation ging auf. Schon nach wenigen Metern sah er wie die Funken unter dem Sportwagen hervorstoben, der Wagen schräg zu den Geleisen kurz zum Stehen kam, dann ganz langsam die Böschung hinunterrodelte.
Soweit so gut, Rudolf lachte ein schmutzig-befriedigtes Lachen, aus rauer Kehle, ging vom Gas, fuhr nun fast schon gemächlich weiter, aus dem Tunnel heraus. Bei der zur nächsten Bahnkreuzung, bog er wieder auf die Straße, gab dem Motor einen vollen Fuß Stoff und fuhr zügig weiter, in Richtung Innenstadt.
Seine akute Paranoia legte sich nur langsam, als er, etwas planlos, nur um nicht an einem Stand anhalten zu müssen, in der Innenstadt herumkurvte. Die konnten nicht wissen, wer er war, hatten weder eine Taxiquittung, noch seine Nummer, hatten ihn selbst nicht gesehen und um die Nummerntafel erkennen zu können, waren die Verfolger nie nahe genug an ihn herangekommen.
Er fuhr zu einer Tankstelle, kaufte eine Flasche Bourbon, setzte sich wieder in seinen Wagen und nahm gleich einen tiefen Schluck, ließ die Ereignisse nochmals Revue passieren. Das war ja gerade noch mal gut gegangen. Die Wärme, mit der sich der Alkohol in seinem Magen ausbreitete, ließ ihn langsam ruhiger werden. Hoffentlich hatten die nicht doch sein Kennzeichen gesehen, er musste auf der Hut sein, diesen Kerlen war, nachdem was er da gesehen hatte, alles zuzutrauen. Das hatte er gerade noch nötig gehabt, sich zwischen den Fronten eines ausgewachsenen Bandenkrieges wieder zu finden.
Rudolf fuhr noch einige Zeit lang mehr oder minder planlos durch die Straßen, nahm eher zufällig noch zwei Fahrgäste auf, fuhr fast wie ferngesteuert, wusste nicht, was er nun, bei diesem Stand der Dinge, akut tun sollte.
Das Einfachste wäre natürlich, sich geradewegs zur Polizei zu begeben und sich zu offenbaren. Aber andererseits, die "Bullen"... man weckte keine schlafenden Hunde... und den Zeugen und Mitwisser zu spielen konnte, von der einen, als auch von der anderen Seite her, sehr unangenehm werden.
Verdammte Kacke! Warum passierte alles Unangenehme immer nur ihm. Es war wie eine Kette in seiner Laufbahn. Er schien das Unglück magisch anzuziehen. Und was harrte da noch alles auf ihn, wenn er denn nur diese Angelegenheit überhaupt erst mal überstanden, das Unwetter sich endlich auch wieder verzogen hatte.
Andererseits hatte er eine gute Chance, dass da gar nichts passierte. Man würde ihn nie finden, wusste ja nicht, nach wem man suchen sollte und vor allem wo. Die konnten ja nicht gut alle Taxifahrer befragen und selbst wenn, fragen durften sie viel, die Bullen. Bei der anderen Seite war das anders, die ließen sich schon etwas einfallen, um ihn zum Sprechen zu bringen.
Er stellte den Wagen, wie immer, im Hinterhof ab, machte seine Abrechnung, ging gerade seinen Kontrollgang um das Auto herum, als es ihm wie ein Blitz durch den Kopf schoss.
Der Koffer! Er hatte ja den Aktenkoffer des einen Fahrgastes, des Erschossenen, im Kofferraum. Wie konnte er das nur vergessen.
Schnell stieg er wieder ein, startete und fuhr zu seiner Wohnung. Alles war ruhig, kein Anzeichen irgendwelcher Abnormitäten, die Häuserzeile lag im Dunkel vor ihm, als er vorsichtig, um sich blickend, ausstieg, hinter zum Kofferraum ging, hineingriff und sich schnell daran machte, im Hauseingang zu verschwinden.
Der Koffer wog schwer in seiner Hand, als er die Stufen eilig hinaufging. Rudolf zögerte einen Moment, als das schwarze Lederding vor ihm auf dem Sofa lag. Aber der Koffer war nicht versperrt, ließ sich ganz normal öffnen. Rudolf zögerte, wie in einer Vorahnung nochmals, bevor er den Deckel in einem Schwung hob... und dann wie in Eis erstarrt, in der Bewegung verharrte.
Kein Zweifel möglich, seine Augen täuschten ihn nicht. Der Koffer war randvoll mit... GELD !!
Und das es sich um keine kleine Summe handeln konnte war ebenfalls klar. Er zählte ein Bündel, zählte die Bündel, zählte zusammen und schluckte schwer. Nach Adam Riese, hatte er hier die erkleckliche Summe, von sage und schreibe, über zwei Millionen Euro vor sich liegen. Kalter Schweiß stand auf seiner Stirn. Was sollte er denn nun tun ? Rudolf geriet geradezu in eine Art Panik, schloss den Koffer und seine Augen, versuchte sich zu beruhigen, nahm noch einen Schluck aus der Pulle.
Es war klar, dass er das "Zeug" nicht hier in seiner Wohnung behalten konnte, so oder so. Morgen musste er unbedingt ein Versteck finden, ein sicheres Versteck.
Verstört und mit dumpfem Kopf fuhr er schnell den Wagen zurück in den Hinterhof und beeilte sich wieder nach Hause zu kommen. So ein Problem sollte man möglichst nicht allein und unbeaufsichtigt lassen.
Ja, er könnte es in seinem ehemaligen Kellerabteil unterbringen, dort wo er noch vor einem Jahr gewohnt hatte, wo er auch noch einige Dinge untergestellt hatte, bei seiner ehemaligen Freundin, das war die Lösung.
Er schlief schlecht, trotz einiger weiterer Schlucke aus der Bourbon-Flasche, war schon um acht Uhr, nach zwei Stunden in der Horizontale bereits wieder auf den Beinen, suchte seinen alten Hausschlüssel heraus, machte sich unverzüglich auf den Weg. Den Koffer unverfänglich in der Hand, wie ein stinknormaler Versicherungsvertreter in der U-Bahn - in die aktuelle Zeitung vertieft. Rudolf suchte etwas ganz Bestimmtes, aber es war natürlich nicht möglich, dass da schon etwas über die Sache letzte Nacht zu finden gewesen wäre. Drei Stationen weiter stieg er aus, ging geradewegs auf das bewusste Haustor zu, sperrte, als ob es gestern gewesen wäre, wie in Gewohnheit, auf und ging schnurstracks in den Keller.
Als der Koffer dann unter einigen alten Kleidern in seinem alten Schrank im Kellerabteil gut verstaut war, Rudolf wieder auf der Straße stand, atmete er erst einmal tief durch. Er hatte keine Ahnung, was er nun mit dieser ganzen Situation anfangen sollte. Man musste auf jeden Fall erst einmal abwarten, was da auf ihn zukam. Die morgige Zeitung konnte da möglicherweise Klärung bringen.
Wieder zu Hause beschloss er sich an diesem Tag eine Ruhepause zu gönnen, seine Wohnung nicht mehr zu verlassen, sich erst einmal vom Schock der vergangenen Nacht zu beruhigen. Geld hatte er ja nun genug, er lachte auf. Zu essen und zu trinken hatte er auch genug, Zigaretten auch, einige Video-Filme lagen ebenfalls herum, das reichte aus. Er goss sich ein halbes Wasserglas voll mit dem Whisky, der da neben seinem Bett stand, legte sich hin, machte den Fernseher an und war kurz darauf eingeschlafen.