Читать книгу Querverkehrt - Peter J. Gnad - Страница 8
III
ОглавлениеEs waren äußerst wirre Träume, er erinnerte sich auch beim Aufwachen nur mehr an den tiefen Fall, als ihn die Türglocke aus dem Schlaf riss. Seine Stirn war schweißbedeckt, als er vorsichtig durch den Türspion spähte, aber da war nur Anna, die mit einer Banane im Mund vor seiner Tür stand und zusätzlich noch gar lieblich zu lächeln versuchte.
"Frau Nachbarin, was für eine Überraschung. Wenn ich den Hinweis richtig verstehe, haben Sie die feste Absicht, ein Frühstück zu sich zu nehmen… Habe ich recht, oder habe ich recht?"
"Herr Nachbar, ich brauche dringend Ihre technische Hilfe. Ich habe da ein kleines Problem... ich habe alle Zutaten gekauft, aber – es tut mir nicht leid - ich kann das nicht ganz allein machen..."
"Und da soll ich es für Sie machen. Da habe ich also doch recht gehabt, ja?"
"Jaaa, machen Sie das, bitte, bitte, ich will auch ganz brav und folgsam sein, von nun an!"
Sie holte eine kleine Papiertüte aus ihrer Handtasche, begann auszupacken. Und ganz unschuldig lag dann da eine Packung mit Einmal-Rasierern, Rasierwasser und eine Sprühflasche Schlagsahne auf dem Tisch. Rudolf starrte eine Sekunde lang in Verständnislosigkeit darauf, bis ihm in sichtbarer Form ein Licht aufging. Anna lächelte das verschmitzteste Lächeln, das sie aus den untiefen ihrer Lust hervorzauberte.
"Ah, Madame suchen den Barbier in mir. Es geht um Damenbart zweifellos. Und Madame wissen, dass Rudolphe ein ganz herausragender Barbier ist, nicht wahr ? Schneiden, färben, ondulieren, legen, frisieren, bürsten usw.?"
"Rudolphe kann das ganz bestimmt ganz gut, wie Rudolphe überhaupt alles sehr, sehr gut macht, und sehr eifrig und begierig ist, was er noch nicht kann, auch gut zu lernen... Hast Du das schon mal gemacht, mein Rudolphe ?"
"Nein, um ganz ehrlich zu sein, eigentlich nicht. Aber da ich meine Kehle rasieren kann, denke ich, dass ich es schaffe auch alles andere, wo auch immer, rasieren zu können... Zu mir sind schon immer alle zum Rasieren gekommen... Also, dann frisch ans Werk. Wozu hast Du eigentlich diese... Sprüh-Sahne ?"
"Ach weißt Du, ich habe mir gedacht es ist für Dich sicher angenehmer, süße Sahne, als Rasierschaum im Mund zu haben, oder...?"
Seelenruhig begann sie sich zu entkleiden. Rudolf dachte, dass sie irgendwann einhalten würde, aber weit gefehlt. Splitternackt setzte sie sich auf seinen Tisch, lehnte sich zurück und bedeutete ihm näher zu kommen, worum er sich auch nicht lange bitten ließ. Mit fahrigen Händen öffnete er das Päckchen mit den Einmalrasierern, holte einen heraus, fuhr mit der Klinge prüfend über seinen Handrücken. Anna zog ihn zu sich heran, küsste ihn verlangend.
"Du, äh, ich meine, Du solltest eigentlich nicht an einer 'Ejaculatio praecox' interessiert sein. Wir, der Rasierer und ich, wir sind bereits messerscharf, mach Dich also fertig für die Rasur!"
Sie lehnte sich auf ihre Ellenbogen zurück, lächelte genüsslich, nahm das Glas Wein, dass ihr Rudolf reichte, trank einen kleinen Schluck, zog ihre Beine an, auf den Tisch und machte mit ihrer Hand eine Geste, um ihn endlich beginnen zu lassen. Rudolf leckte sich übertrieben die Lippen, nahm die Sahnedose, sprühte eine kleine Menge in seine Handfläche und kostete. Zufrieden nickend, widmete er sich der sprichwörtlich ausgebreitet vor ihm liegenden Aufgabe. Am Ende hatten sie beide sahneverschmierte Gesichter und Körper. Ermattet lagen sie da, klebrig von oben bis unten.
Rudolf schaltete den Fernsehapparat an, suchte nach den lokalen Nachrichten im Kabelkanal, aber es war noch immer zu früh.
Eine halbe Stunde später war die Sahnedose endgültig leer, dafür aber gab es in den Nachrichten endlich den ersten Hinweis auf die Geschichte von letzter Nacht. Der Sprecher verkündete in lakonischem Ton, dass es in der vergangenen Nacht, im Süden der Stadt, vor einem italienischen Lokal zu einer Schießerei gekommen sei. Ein dreißigjähriger Tourist, namens Luigi B., sei erschossen worden, zwei Verletzte, einer der beiden Kellner im Lokal, der zweite Mann sei flüchtig, es handle sich ebenfalls um einen Italiener, aber unbekannter Identität und Herkunft, Hinweise nähme jede Polizeidienststelle entgegen. Die ermittelnde Polizeiabteilung meinte, es handle sich bei dem Vorfall um eine Art mafia-interne Auseinandersetzung, um einen kleinen Bandenkrieg, Chicago in der Vorstadt.
Anna fragte sofort, ob er denn von dieser Sache etwas bemerkt hätte, aber Rudolf winkte nur ab. Solcherlei Dinge passierten halt nun mal in einer großen Stadt, nein, er habe nichts davon mitbekommen, um diese Uhrzeit sei er auch schon zu Hause gewesen, er habe im Frust seine Schicht gestern schon relativ früh abgebrochen.
Nachdem er den Fernseher abgeschaltet hatte, konzentrierte man sich dann auch wieder auf Wichtigeres, auf vordringlichere Dinge.
Kurz vor elf Uhr erwachte Rudolf, fand sich allein im Bett, suchte nochmals kurz nach irgendwelchen neuen Nachrichten, aber nun war es schon zu spät, es kam nur mehr Internationales zur Sprache. Rudolf gähnte, die Ereignisse hatten doch an seinem Nervenkostüm gezerrt. Es gehörte nicht viel Anstrengung dazu, sich nochmals umzudrehen und wieder durch das Tor zum Traumland zu fliegen.
Er erwachte ganz früh am Morgen, in einer Art Anfall von leichter Paranoia, stellte sofort den Fernseher an, schaltete sich durch alle Stationen, drehte auch das Lokal-Radio an, wartete auf Neues in seiner Angelegenheit. Aber noch immer gab es nur dieselbe allgemeine Nachricht, ohne weitere Details.
Erst um neun Uhr kam dann im Radio, dass der eine Verletzte außer Lebensgefahr sei, vom Zweiten noch immer keine Spur, und... dass man im Zusammenhang mit der Aufklärung der Vorgänge, nun auch nach einem Taxifahrer suchte, der zumindest als Zeuge, einiges zu sagen haben könnte.
Rudolf sah auch in den Zeitungen nach, aber die Meldungen waren allesamt ziemlich gleichlautend und für ihn in diesem Stadium nicht weiter von Interesse.
In den Abendnachrichten kam dann die Meldung, dass man nun auch noch einen weiteren Toten gefunden habe, der Mann sei in einem Wäldchen, in einem Gebüsch versteckt gelegen. Man zeigte man dann auch ein Foto des Tatortes und auch ein Foto des ersten Toten. Wieder hieß es, es habe sich um eine Auseinandersetzung zweier rivalisierender Mafiagruppen gehandelt. Das Polizeipräsidium ersuche den Taxifahrer, der die beiden Fahrgäste an den Ort des Geschehens gebracht hatte, dringend, sich bei ihnen zu melden. Man erhoffe sich umfassende Aufklärung über den Tathergang.
Rudolf kicherte in sich hinein, schüttelte seinen Kopf. Als ob er sich nun, mitsamt Koffer umgehend auf den Weg machte, nur um die Herren über den Tathergang aufzuklären. Diese Dumpfsäcke. Sollten sie doch auch was tun für ihr Geld. "Wer suchet, der auch findet... nun, dann sucht mal schön weiter !"
Ihm war klar, dass man nun an von allen Seiten auf ihn Jagd machte. Die Polizei von aufklärerischer Seite und die beiden rivalisierenden Flügel von der Täterseite. Die einen wussten noch nichts vom Geldkoffer, dafür wussten dies die anderen umso besser. Er musste höllisch aufpassen, zwei Millionen waren kein Schmutz und nicht so einfach nur unter den Teppich des Verlustes zu kehren. Dafür mussten sich, auch innerhalb der betroffenen Kreise, einige Leute verantworten. Und dass die nicht zimperlich waren, gehörte spätestens seit einigen Filmen und Büchern bereits zum Allgemeinwissen. Das konnte auch innerhalb dieser "Organisation" zu Colateralschäden führen. Er hatte sich schon überlegt, ob er nicht klügererweise für einige Zeit von der Bildfläche verschwinden solle. Aber auf der anderen Seite konnte dies, wenn man ihm auf die Spur war, quasi schon als Schuldgeständnis gewertet werden. Daraus ergab sich natürlich auch zwingend, dass er einfach sein Leben im gewohnten Gang weiterführen musste, so als ob nichts geschehen wäre. Das Geld anzugreifen, vielleicht nun damit gar herumzuprassen, hieße leichtsinnig an dem Ast zu sägen, auf dem er saß. Also, ganz ruhig, nur nicht auffallen, nur keine Wellen schlagen, wie im Schach, abwarten, welchen Zug der Gegner als nächsten machte.
Er konnte zwar nicht verhindern davon zu träumen, was man mit dieser Summe alles anstellen könnte, zwang sich aber die Träume so kurz wie möglich zu halten, zu abstrahieren, als ob es sich nicht um eine reale Möglichkeit handelte, sondern eben nur so eine allgemeine Träumerei. Er wusste um seine eigene Verführbarkeit! Und wenn es irgendwie möglich war, so wollte er auch versuchen, ob er es nicht vielleicht doch schaffte, den ganzen Batzen irgendwie zu behalten. Nun man würde sehen, was die nächsten Tage für ihn bereithielten. Er musste auf jeden Fall tierisch auf der Hut sein. Der Gegner hatte Augen und Ohren auf allen Ebenen, in unzähliger Form. Ein kleiner Fehler und er wäre weg vom Fenster, seinen Körper fischte man dann irgendwann aus irgendeinem See oder Fluss, die Beispiele kannte man ja hinreichend, nicht nur aus Kriminalromanen und Filmen.
Schwein gehabt, um Haaresbreite, einfach Schwein gehabt. Es hätte auch durchaus anders ausgehen können. Dann hätte man wieder - es war nicht das erste Mal - einen erschossenen Taxifahrer am Stadtrand gefunden, so wie jetzt vor einigen Monaten. Damals war es ein Pole gewesen und alle hatten sogleich vermutet, dass dieser wohl etwas mit der Polen-Mafia zu tun gehabt haben musste. Alle Umstände deuteten darauf hin. Davor war es ein Araber gewesen, davor ein italienischer Staatsbürger, zur Auflockerung dazwischen, eine junge Frau - ein eindeutiger Sexualdelikt. Und da waren die vielen kleinen Händel, Prügeleien, Messerstechereien oder sonstige Gewaltformen noch gar nicht mit in der Liste der Unwägbarkeiten, mit denen man in diesem Geschäft und ganz besonders wenn man nachts unterwegs war, rechnen musste.
Auch Rudolf war schon einmal zum 'Handkuss' gekommen, ohne Provokation seinerseits, ungefragt, solche Dinge passierten eben.
Er hatte sich, in guter Absicht, in einen Raufhandel eingemischt, hatte vermitteln wollen, beide Kontrahenten zu beruhigen versucht, zu schlichten, das Aggressionspotenzial zu senken. Später dann, als alles schon geschehen war, hatte er sich, ob seiner Dummheit, gescholten. Das wusste doch wirklich jeder Mensch auf der Welt, dass man sich in fremder Leute Streit nicht einmischte, man sonst eben zwischen die Fronten geriet und in der Regel von beiden Seiten Haue bezog. Aber er hatte es ja wieder mal besser wissen müssen, war mit ausgebreiteten Armen, lächelnd auf die beiden Streithähne zugegangen, hatte sich zwischen sie gestellt und mit betont ruhigem Tonfall versucht eine Atmosphäre der Argumente zu schaffen.
Als Erstes hatte er von der rechten Seite einen Faustschlag, der ihn irgendwo hinter dem Ohr traf, bekommen und fast in unmittelbarer Folge einen Tritt in die Magengrube von der anderen Seite.
Als er dann wieder zu sich gekommen war, hatte er sich am Boden liegend gefunden, allein - die Straße leer und verlassen. Mühsam hatte er sich zurück zu seinem Wagen geschleppt, war nach Hause gefahren, mit brennenden Schmerzen in seinem Inneren. Es waren nur einige Kilometer gewesen und doch war er noch zweimal ohnmächtig geworden, hatte das Flimmern vor seinen Augen richtig gedeutet, war jeweils gerade noch rechtzeitig zum Stehen gekommen, bevor die Dunkelheit ihn umfing. Im Bett dann waren die Schmerzen unerträglich geworden, er war wieder aufgestanden, war noch selbst mit dem Wagen zum Krankenhaus gefahren, wo man ihn sofort und ohne Wartezeit in ein Bett verfrachtete, nachdem klar geworden war, was geschehen war. Einriss der Magenwand, Einriss im rechten Leberlappen und ein Treffer an der rechten unteren Spitze seiner Lunge - stumpfes Bauchtrauma, die Gesamtdiagnose. Man hatte ihn sofort auf die Wachstation, gewissermaßen das Vorzimmer zur Intensivstation verfrachtet, hatte abwarten wollen, wie sich die Dinge entwickelten, um ihn bei drohender Eskalation sofort operieren zu können. Schläuche waren an seinen Venen fest installiert, künstliche Ernährung hieß das Zauberwort auf der Speisekarte, an seiner Brust Kontakte festgeklebt zur Überwachung der Herztätigkeit. Schlaf und Schmerzmittel hatten ihn in dumpfem Bewusstsein tagelang nur dahindämmern lassen. Zum Glück aber waren die Dinge dann doch in eine positive Richtung gegangen. Nach zehn Tagen hatte man ihn wieder entlassen können, das war gut. Dass er nichts verdient hatte, inzwischen war schlecht, wer zahlte jetzt die Miete. Aber wenigstens, die Knopflochleiste auf seinem Bauch, die Nahtstelle nach der Operation, die Narbe, war ihm als dauerhafte Erinnerung erspart geblieben. Weitere drei Wochen war der Schmerz in seinem Oberbauch, zu allen Zeiten, ein ständiger Begleiter gewesen. Selbst in liegendem Zustand war da ständig dieses Ziehen und Kneifen, das ihn über Gebühr wach gehalten, ihn höchstens Dösen hatte lassen. Und es hatte eine größere Portion Überwindung gekostet, sich dann wieder auf den Kutschbock zu schwingen, um neuerlich den Unbilden der nächtlichen Stadt zu trotzen. Aber letztlich hatte sich die unumstößliche Erkenntnis in ihm breitgemacht, dass er wirklich selbst schuld gewesen, ja, diesen "Unfall" geradezu mit heraufbeschworen hatte. Das befreite die Täter zwar nicht von ihrer Schuld - Rudolf hätte sie ohne Zögern angezeigt, wenn er ihrer hätte habhaft werden können, aber es war sein eigener Leichtsinn gewesen, diese Erkenntnis blieb.
Ein klassisches Eigentor, da konnte man sich ja nur selbst bei der Nase nehmen.
Diesmal aber würde es sich nicht um einen "Unfall" handeln. Diesmal träfe es ihn ganz gezielt und ohne Zufall. Und es wäre äußerst zweifelhaft, ob er danach überhaupt eine Intensivstation noch in Anspruch nehmen konnte. Viel wahrscheinlicher war da schon der Weg zur Aussegnungshalle, ins Krematorium.
Nein, es durfte kein Fehler gemacht werden, jeder Schritt bedurfte sorgfältigster Überlegung. Es ging schließlich um die Wurst, um eine äußerst fette Wurst, wie er grinsend konstatierte. Und es waren schon weitaus geringere Summen geeignet, um Menschen in Mords-Stimmung zu versetzen.
Rudolf lag lange dösend auf seinem Bett, seine Gedanken kreisten unaufhörlich um sein "Problem". Erst gegen Mitternacht gelang es ihm, sich wieder zu sammeln, sich aus der lähmenden Lethargie zu befreien. Eine Tasse Kaffee später, setzte er sich an seinen Computer, zwang sich an seinem Buch weiterzuschreiben. Obwohl es ihm anfangs schwerfiel, an seiner Geschichte weiter zu spinnen. Einige Schlucke aus der Whiskyflasche erleichterten dann den Einstieg.
Die Rauchschwaden zogen wie dichter Nebel über die Theke und die kleine Bühne in der Ecke der schummrigen Vorstadtkaschemme, als sich die Schwingtür öffnete und Frankie mit Instrumentenkoffer unter dem Arm, mit Sonnenbrille, eine Zigarette lässig im Mundwinkel hängend, in den Raum trat. Er blickte suchend in die Runde, ging dann zielstrebig auf einen Tisch neben der Bühne zu.
"Ah hier kommt ja unser Reserve-Coltrane... haben schon gedacht, dass Du eine Erbschaft gemacht hast und es vielleicht nicht mehr nötig hast hier anzutanzen."
"Sag jemand dem Taktschläger hier, dass er den Rand halten soll, sonst nehm' ich fürs nächste Mal einen Drum-Computer, der tut's nämlich auch... und der spielt dann auch wenigsten IM Takt und nicht sonst wo in irgendeinem Sandkasten der Dreschflegel!"
Er blickte vermeintlich grimmig auf den ihm gegenübersitzenden Schlagzeuger der Drei-Mann-Combo, die sich regelmäßig hier zum Spielen traf. Aber niemand nahm solche Sprüche ernst. Das gehörte zum ganz normalen Umgangston unter ihnen. Frankie setzte sich auch ohne weiteres Lamento neben den eben Angesprochenen, packte sein "Rohr" aus, wischte mit einem Taschentuch über einige matte Stellen auf dem Messing, setzte ein Holzblättchen in das Mundstück ein und begann leise sein Instrument warm zu blasen. Wie auf ein geheimes Kommando erhoben sich die drei Musiker, stiegen auf die Bühne, fingen nach dem Takteinzählen des Schlagzeugers mit einer wirren Nummer ihr Programm an, wollten gleich von Beginn an die Aufmerksamkeit der Gäste auf sich ziehen. Man hatte dieses Stück ausgewählt, um sich in den langen Improvisationsteilen, in denen jeder mit seinem Solo drankam, erst einmal freispielen zu können. Dann folgten einige Klassiker aus den vergangenen Jahren, bis man endlich zu eigenen Kompositionen überging.
Frankie stand mit geschlossenen Augen am Rand der Bühne, der Schweiß lief ihm in Strömen über das Gesicht, seine Finger flogen förmlich über die Tasten, er blies, was das Zeug hergab.
Nach fast einer Stunde waren dann alle, Publikum als auch Musiker, reif für eine Pause.
Frankie trocknete gerade seine Haare mit einem Handtuch, als er die Frau neben dem Eingang stehen sah. Sie winkte ihm zu, gestikulierte, dass er zu ihr hinkommen solle.
"Sie sind besser als ich dachte, Ihre Technik ist wirklich beeindruckend, steckt viel "Feeling" drin, alle Achtung !"
"Dabei war das noch gar nichts, warten Sie auf den dritten Set, da blase ich das Dach weg!"
"Ich kann es kaum erwarten. Wieso spielt Ihr nicht gleich den dritten Set... Dann könnten wir schneller gehen !"
"Vielleicht sollten wir gar keinen Set mehr spielen, dann könnten wir nämlich quasi sofort verschwinden?"
Sie lächelte ihn geradeheraus an, lächelt ihn an, küsste ihn flüchtig auf die Wange.
"Vorfreude ist die schönste Freude... Du kannst mir dann schon noch beweisen, wie gut Deine Technik wirklich ist. Wir werden das gemeinsam aufs Genaueste überprüfen müssen."
"Wenn Du mich weiter so anmachst, kann ich mich nicht mehr wieder auf die Bühne stellen. Die Leute würden denken, ich hätte da vielleicht noch ein zweites Saxophon in meiner Hose !"
"Könnt Ihr auch 'As time goes by' aus dem Film 'Casablanca' spielen ? Tu's für mich ja, ich fahr' da drauf total ab."
"Wenn's nicht mehr ist... das spielen wir mit links. Die Frage ist nur, ob Du es auch wieder erkennst. Bei uns klingt das schon etwas anders..."
Die ersten Töne aus dem Klavier riefen ihn zurück auf die Bühne, man legte los. Die Gesichter der Musiker waren schweißnass, die rauchschwangere Luft näherte sich dem Stadium, wo man sie nur mehr als dichten Nebel bezeichnen konnte. Frankies seltsame Besucherin hatte sich inzwischen an den Tisch neben der Bühne herangearbeitet, saß mit gekreuzten Beinen da, was den Schlitz an der Seite ihres engen Rockes sich weit öffnen und wohl auch beabsichtigte Einsichten zuließ. Sie lächelte Frankie ungeniert an, warf ihm sogar Kusshändchen zu. Er trat nervös von einem Fuß auf den anderen, konnte seine Augen kaum mehr von ihr wenden. Der Pianist fragte ihn während des Schlagzeugsolos, wer sie denn sei.
"Hey sag mal, was haste denn du da für ein Exemplar an Land gezogen, da könnte ich auch schwach werden… Dieses Fahrgestell, dieses Chassis, die Kurvenlage ist ja wirklich schlüpfrig, geradezu windschlüpfrig..."
"Ach lass Du mich doch in Ruhe. Seit Du wieder solo bist, hast Du wohl dauernden Notstand. Frag sie doch, vielleicht darfst Du ja auch mal, wenn Du brav bist... Als Nächstes spielen wir übrigens 'As time goes by', klar? Und reiß Dich zusammen... ist nämlich für SIE !"
"Ouh, jaaa ! Ich schau Dir in die Augen, Kleines... wie ramontisch, mir kommen gleich die Dröhnen vor lauter Röhrung."
Als sie das Lied dann spielten, kam es wie ein gemeinsamer Erguss. Es lechzte förmlich durch den Raum, hing über der Menge vor der Bühne, legte sich wie ein zartseidenes Tuch über sie, lullte sie ein. Verschiedentliches Schmusen in den dunklen Ecken des Lokals. Die Augen der Frau direkt vor Frankie verschmolzen sichtbar mit den seinen, als er das Thema auf dem Saxophon blies, dann Freilauf lassend, mit der Musik regelrecht abhob.
Seine Augen waren leicht verdreht und verschleiert, als er wieder zu sich kam und ihren Blick suchte.
Zum Glück konnten sie nun wieder Pause machen, endlich. Er stieg sofort von der Bühne, nahm erst als er schon neben ihr saß sein Instrument ab, um es nur notdürftig zu reinigen. Seine Augen schienen sich auf geheimnisvolle Art in den ihren verhakt zu haben, er nahm nicht einmal zur Kenntnis, dass ihm andere Gäste anerkennend auf die Schulter klopften, einer sogar ein Glas Bier vor ihn hinstellte.
"Es war... es war fulminant, grandios, einfach traumhaft schön, Du bist wirklich ein sehr guter Musiker, ein kleines Genie in meinen Augen... hast hier eigentlich nichts verloren, in diesem Loch... Perlen vor die Säue geworfen !"
"Komm lass' uns über was anderes reden, das ist mir peinlich, sonst werd' ich womöglich noch größenwahnsinnig. Ich denke lieber darüber nach, was ich mit Dir dann später alles anstellen werde."
"Oder ich mit Dir, warte nur ab, was Dir da noch alles blüht. Du nimmst Dir besser für morgen gleich gar nichts mehr vor... Du wirst nämlich zu müde sein..."
Knapp eine Stunde später war es dann soweit, Frankie verließ das Lokal mit seiner Schönen, eng umschlungen. Sie fuhren auf direktem Wege nach Hause, er hätte es kaum mehr ausgehalten auch nur noch eine Minute länger dort zu bleiben, zu stark war sein Verlangen nach dieser Frau angewachsen. Da musste man noch sehen, wer sich am Besten für den nächsten Tag freinahm.
Er fing schon auf der Treppe an sich zu entkleiden, sperrte seine Tür nur mehr - die Frau neben ihm lachte aus vollstem Busen - in Unterhosen auf, ging sofort unter die Dusche. Einige Minuten später, nur mit Handtuch um seine Hüften geschlungen, kam er, noch nass, auf sie zu. Zwei rosige Backen lachten ihm entgegen, sie lag bereits nackt auf seinem Bett, rekelte sich wohlig, als er näher kam.
"Hören Sie Herr Wolff, Sie hätten aber Ihr Saxophon nicht unbedingt ins Bett mitbringen müssen..."
"Das ist kein Saxophon, das ist eine Tuba... kann's zumindest noch werden, mit ein bisschen gutem Willen, kommen da auch ganz erstaunliche Sachen dabei heraus."
Rudolf hatte gerade zwei Stunden geschlafen, als seine Türglocke anschlug. Irgendetwas daran erschien ihm seltsam. Manchmal erkannte man schon an der Art zu läuten, dass der Besucher eher unangenehmerer Natur war. Er taumelte schlaftrunken zur Tür, machte ohne zu überlegen auf. Und da stand es nun das Unheil, Rudolf riss die Augen weit auf, trat instinktiv einen Schritt zurück. Der Polizeibeamte machte genauso instinktiv einen Schritt nach vor, stand schon in der Tür. Rudolf begann klarer zu sehen, blieb stocksteif stehen, sodass der Beamte ihm dicht auf den Pelz rückte.
"Was wollen Sie eigentlich... ich meine, Sie kommen hier einfach mirnichts-dir-nichts herein, ohne Aufforderung, wie ich betone, und sagen kein Wort..."
"Ääh, Herr Prinz, Sie sind doch Rudolf Prinz, geboren am, am..."
"Ja, ja, bin ich! Was wollen Sie denn von mir ? Sie haben mich aus dem Schlaf gerissen, wissen Sie das ? Ich meine es ist ja nicht jeder ein Beamter !"
"Sie haben eine Polizeistrafe nicht bezahlt... vom... warten Sie... 23. 11. des Vorjahres, wegen überhöhter Geschwindigkeit... Sie haben jetzt zwei Möglichkeiten. Entweder Sie bezahlen sofort... oder ich muss Sie leider bitten sich anzukleiden und mit mir auf die Wache zu kommen..."
Rudolf suchte schweigend nach seiner Geldtasche, zog die verlangte Summe hervor, übergab die Scheine dem Beamten, der nun umständlich eine Quittung ausstellte.
"Und das nächste Mal zahlen Sie halt pünktlich... Wird sonst eh nur teurer für Sie..."
"Vielen Dank Herr Oberst, meine Empfehlung an die Frau Gemahlin, aber ich wäre Ihnen sehr verbunden, wenn Sie mich jetzt weiter schlafen lassen könnten, ich habe nämlich die ganze Nacht gearbeitet, vielen Dank für Ihr allerwertestes Verständnis und Adieu..."
Er fluchte vor sich hin, war ärgerlich, dass er überhaupt aufgestanden und aufgemacht hatte. Das hätte er sich schlechten Gewissens getrost ersparen können.
Noch dazu wo ihm schon beim Anblick des Polizisten das Herz geradezu in die Hosen gerutscht war, er vermutet hatte, dass der Uniformierte dann vielleicht etwas ganz anderes von ihm wollte...
Er träumte dann auch noch prompt davon, wie er versuchte sich gegen eine Übermacht von fragenden Uniformträgern zu verteidigen, aber kein Wort hervorbrachte, als wenn seine Zunge gelähmt wäre. Er geriet gerade in Wut, schlug um sich... als das Telefon läutete und ihn auf den Boden der Realität zurückholte, aber diesmal hob er einfach nicht ab.
An diesem Abend war ihm - wie gewöhnlich - wieder nicht nach Arbeit zumute, aber er zwang sich dazu trotzdem das Haus zu verlassen, den Weg zu diesem verfluchten Hinterhof, zu seinem Fahrzeug anzutreten. Es konnte wenigstens seine Gedanken vom Kreisen um den Brennpunkt abhalten, was er dringendst nötig hatte. Er fuhr dann auch etwas planlos in der Gegend herum, konnte sich nur schwer auf seine Tätigkeit konzentrieren. Manche Fahrgäste nahm er erst gar nicht an, fuhr an den winkenden Gestalten vorüber. Seine Gedanken drifteten immer wieder in dieselbe Richtung und er war froh, an einem Stand, einen befreundeten Kollegen zu treffen, der ihn einlud mit ins "Roma" zu gehen. Er habe sich mit noch ein paar anderen Kollegen dort verabredet. Rudolf zögerte nicht lange, schaltete sein gelbes Schild am Dach mit einem schnellen Griff ab, folgte seinem Freund unmittelbar, als dieser seinen Wagen aus der Reihe lenkte und Gas gab.
Man konnte sagen, er nutzte die Gelegenheit, um der Arbeit zu entkommen.
Die Kollegen saßen auch schon alle an einem Tisch, als sie eintrudelten. Rudolf hätte beim Einparken, vor dem Lokal, fast noch einen seinen Weg kreuzenden roten Sportwagen gerammt.
Er war zuerst richtiggehend geschockt gewesen, bis er sich klar machte, dass der bewusste rote Sportwagen, der ihn so hartnäckig verfolgt hatte, mit großer Wahrscheinlichkeit auf irgendeinem Schrottplatz, zumindest aber in einer der vielen Reparaturwerkstätten gelandet sein musste.
"Kennt Ihr eigentlich schon die Geschichte mit dem Notarzt, nein…?"
Axel, ein wahrer Bär von einem Mann, grinste breit.
"Also... Kollege wird zum Notarzt gerufen, um ihn so schnell wie möglich zu seinem Patienten zu bringen. Vor dem Haus schneidet ein Radfahrer ihm quer über die Straße den Weg ab, sodass der Kollege im Ausweichmanöver fast gegen einen Baum gefahren ist. Kollege steigt aus, schreit den Radfahrer an, der aber ganz ruhig, ohne zu antworten, einfach wieder weiterfahren will. Kollege nimmt seinen Geldbeutel - voll mit Münzen und sonstigem Kram - wirft ihn dem Radfahrer nach, trifft ihn am Kopf. Radfahrer erschrickt, fährt gegen ein geparktes Auto und stürzt. Der Radfahrer kommt zum Taxi zurückgelaufen, verprügelt den Taxifahrer derartig, dass der Notarzt gleich dableiben kann, um sich um ihn zu kümmern, muss über Funk einen zweiten Notarzt rufen, dass dieser dann endlich seinen ersten Patienten behandeln kann ! Geile Geschichte nicht ? Die Geldtasche hat dann auch noch der Radfahrer mitgenommen, der Arzt konnte ihn schließlich nicht gut verfolgen!"
Allgemeines Gelächter. Rudolf kannte solche Abende schon zur Genüge. Man versuchte einander mit den jeweiligen Geschichten zu übertrumpfen. So manches gehörte eindeutig in den Bereich 'Jägerlatein', aber viele Geschichten waren auch so absurd, dass sie gut und gern die Wahrheit sein konnten. Victor meldete sich mit der nächsten Story.
"Elf Uhr Vormittag, der Kollege fährt das 'Kempinski' an, der Taxistand davor ist vollkommen verwaist, der Portier steht da, fuchtelt wild mit den Armen. Er habe einen Gast, der müsse überdringendst zum Flugplatz, seit einer Viertelstunde sei kein Taxi mehr zu sehen gewesen, die Maschine fliege in genau einer halben Stunde ab, er solle auf die Tube drücken, was das Zeug hergibt, da schaue sicher ein dickes Trinkgeld heraus, wenn er es noch schaffe. Der Portier hebt das Gepäck in den Kofferraum, der Fahrer startet mit quietschenden Reifen. Er überfährt zwei rote Ampeln, der Drehzahlmesser ständig im Gefahrenbereich, die Kiste pfeift aus dem letzten Loch.
Er erreicht den Flughafen zwei Minuten vor der Zeit, hält mit kreischenden Bremsen direkt vor der Eingangstür zu Check-in, zückt sein Portemonnaie, sagt im Umdrehen. 'Das macht dreiundzwanzig genau'" - aber da war leider kein Fahrgast im Wagen..."
Anhaltendes Gelächter in der Runde, eine neue runde Bier kam.
"Super-Klasse, was hat er dann noch mit dem Koffer gemacht?"
"Zurückgebracht natürlich. Hat sich dann klarerweise auch noch eine Schimpfkanonade anhören müssen, der Arme. Und die Fahrt wurde selbstverständlich auch nicht bezahlt. Hätte ich aber auch gar nicht erwartet!"
Man wandte sich kurzzeitig den aufgetragenen Pizzas zu, eine weitere Runde Bier kam auf den Tisch, wie überhaupt Bier das Schmiermittel für die zu erzählenden Geschichten schien. Die Augen aller glänzten schon unmissverständlich, als Markus, noch halb kauend und schluckend, die nächsten Lacher herausforderte.
"Ihr kennt doch den Hans, der aus Schlesien, der 'Riebergemachte', unseren ewigen Architekturstudenten... Es war im Frühsommer, später Nachmittag, die Sonne brennt unbarmherzig, Hans wird per Funk zum 'Club l'Amour' geschickt. Er fährt vor, die Mädels sitzen in der Sonne, halten ihre Nachtschattengesichter ins Licht, der Obermacker kommt heraus, bestellt fünf Eisbecher. Hans soll zum nächsten Eissalon fahren, um sie abzuholen. So weit, so gut, Hans fährt hin, holt die Eisbecher und stellt sie fein säuberlich, samt Löffelchen und Waffeln, nebeneinander - er fährt einen Kombi - hinten auf seine Ladefläche, braust los, um nicht nur Zerronnenes anzuliefern. Und Hans ist wirklich kein Trödler, gibt seinem Gefährt ordentlich Stoff, schon in der ersten Kurve, wie er erzählt hat, hört er das eindeutige Klirren der Eisbecher. Und da waren noch einige Kurven auf seinem Weg. Er fährt vor das Puff, springt heraus, öffnet den Laderaum - vor versammelter Mannschaft - deutet mit eleganter Handbewegung in den Laderaum und sagt 'Bitte sehr meine Damen, Ihre Eisbecher ! Das macht dann zusammen dreiundzwanzig-achtzig !' Der Obermacker kommt näher, sieht die im Laderaum verteilte Bescherung, das Eis ist über den gesamten Filzboden verschmiert, die Damen kommen ebenfalls näher, starren auch schweigend auf die bunte Schweinerei. Der Obermacker holt zwei Zwanziger aus der Tasche, gibt sie Hans und sagt seelenruhig zu seinen Mädels "Macht das sauber", was sie dann auch eiligst tun. Hans wartet geduldig, bis sie fertig sind, und fährt dann ebenfalls seelenruhig wieder ab!"
Die Runde am Tisch bog sich vor Lachen, die Gesichter röteten sich zusehends, als zu guter Letzt auch noch Hans das Lokal betrat und sich zu ihnen setzte. Das Gelächter flammte neuerlich auf. Hans grinste übers ganze Gesicht, bestätigte die Geschichte im Detail. Er bestellte sich etwas zu trinken und fragte dann in die Runde, ob sie denn von der Geschichte mit der Schießerei gehört hätten, was natürlich von allen bejaht wurde. So ein Ereignis blieb nicht unregistriert, jeder Einzelne von ihnen hätte schließlich der Fahrer sein können.
"Bei uns waren heute Abend übrigens zwei Bullen in der Firma... wegen dieser Sache. Haben wissen wollen, ob wir einen Wagen mit der Endzahl '37' im Kennzeichen haben. Den haben wir zwar, aber der stand am Montag bei uns im Hof. Außerdem suchten die nach einem Benz... und wir haben doch nur Kombis... Die haben dann auch noch den Fahrer, der diesen Wagen fährt, befragt. Aber der war an diesem Abend, unzweifelhaft, beim Kartenspielen. Sechs Zeugen. Außerdem ist er schon über fünfzig und die suchten nach einem jüngeren Fahrer... mit Bart!"
Rudolf spürte plötzlich ein siedend heißes Gefühl in sich aufsteigen. Man war also schon hinter ihm her, hatte zumindest gesehen, dass er einen Bart trug. Zum Glück hatten die Leute aber in der Dunkelheit die Endzahl seines Kennzeichens doch nicht so genau gesehen. Seine Endzahl war nicht '37', sondern vielmehr '97! Eine kleine Verwechslung, ein kleiner Hoffnungsschimmer.
Er musste sich morgen sofort seinen Bart abrasieren, soviel war klar. Oder war dies etwa zu verdächtig, schließlich kannten ihn alle mit Bart.
Schell wechselte er das Thema, brachte die Sprache auf einige Erlebnisse aus seinem Erfahrungsschatz. Und die Kollegen kannten ihn gut, wussten, dass er als künftiger Literatur-Nobelpreiträger immer für einige absonderliche Geschichten gut war. Die Ablenkung funktionierte perfekt, man hing wie gebannt an seinen Lippen.
"Kennt ihr schon die Geschichte von meinem letzten Urlaub, vergangenen Sommer? Nein? Also, da war dieser Mann. Er sagte, er wolle zu der Villensiedlung im Süden der Stadt. Dann sagte er, er wolle in den Norden der Stadt und dann doch wieder zur Villensiedlung. Unterwegs fragte er, ob ich Zeit hätte nach Paris zu fahren, jetzt gleich. Ich sagte natürlich 'ja', verlangte aber nach einer Anzahlung, wie das eben so üblich ist. Er gab mir einen Tausender. Dann vor der Haustür überlegte er sich alles noch einmal und sagte, er wolle jetzt doch zu Hause bleiben. Er zog dann einen Fünfhunderter aus der Tasche, sah gar nicht hin, gab ihn mir und meinte, der Rest sei für mich... Ich hab' dann nur mehr schnell Gas gegeben und bin abgezischt. Ja, und eine Woche später bin ich dann nach Griechenland geflogen..."
Als er anschließend noch die Geschichte mit der Prostituierten, die er vor dem Verfolger im blauen BMW errettet hatte, erzählte, herrschte wieder ungebrochene Heiterkeit in der Runde.
Wobei ihm in den Lenden schmerzhaft bewusst wurde, dass er die Verabredung mit der Frau, Dienstagnacht, nicht hatte einhalten können. Sein Nervenkostüm war, nach den Ereignissen der Montagnacht, zu angeschlagen gewesen, hatte dringend der Ruhe bedurft, ja, er hatte die Verabredung sogar glatt vergessen. Was ihm unter normalen Umständen unter Garantie nicht passiert wäre. Aber das erzählte er seinen Kollegen selbstverständlich nicht. Man gab sich mit der Geschichte auch so zufrieden, er konnte es an ihren leuchtenden Augen sehen. Nur Thomas, der Politikwissenschaftler, versetzte ihm im Gehen noch einen kleinen Stich, indem er neckend anmerkte, dass er - Rudolf - doch ohne Weiteres der gesuchte Taxifahrer vom Montagnacht sein könne. Rudolf lachte laut, meinte, dass er ihnen allen dann schon eine Postkarte schicken würde, von Sansibar, wo er eine Bar aufmachen wollte, dann, nur so aus Spaß, weil eigentlich brauchte er dann auch nicht mehr zu arbeiten. Aber dann relativierte er doch im Ernst.
"Ach geh, ihr wissts doch, dass ich an Montags nie fahre !"
Diesen Montag habe er mit eben jener 'Dame', von der Geschichte vorhin, verbracht. Wobei er in sich bedauerte, es nicht auch tatsächlich getan zu haben. Nun, es war noch nicht aller Tage Abend, sie bekäme schon noch die nötige Aufmerksamkeit. Vielleicht schaffte er es ja irgendwann in den kommenden Nächten. Er wollte entschieden nicht auf das Angebot verzichten. So oft passierte etwas Derartiges ja nun auch wieder nicht.
Wieder zu Hause, suchte er gleich nach der schärfsten seiner stumpfen Rasierklingen, machte sich sofort ans Werk. Was dann zwar zwei leicht blutende Schnitte an seinem Hals erbrachte, aber eben auch die Beseitigung des Waldes in seinem Gesicht. Ein eigenartiger Anblick, sich nach so vielen Jahren wieder einmal 'entlaubt' zu sehen. Wahrscheinlich musste er, zur Sicherheit, auch noch seine Haare abschneiden. Aber damit wollte er sich noch etwas Zeit lassen, erst weiter abwarten, wie sich die Angelegenheit weiter entwickelte...
Es war dann zusätzlich ausgerechnet eine Wiederholung von Coppolas 'Paten' im Fernsehen, zu der er sich, mit leichtem Drehwurm im Kopf - sieben halbe Liter Bier - endlich in sein Bett legte und einzuschlafen versuchte. Aber der Schlaf wollte nicht kommen, er lag noch mehr als eine Stunde mit geschlossenen Augen da, seine Gedanken umkreisten weiter unaufhörlich sein müdes Gehirn.
Der Morgen dämmerte schon langsam herauf, als Rudolf wieder aufstand, sich eine Zigarette anzündete und auf den Balkon hinaustrat, um das am Himmel stehende zarte Rosa einzusaugen.
Gerade rechtzeitig, um die alte Frau, die in der Wohnung unter seiner lebte, ihr Fenster öffnen zu sehen. Sie beugte sich kurz heraus, sah vorsichtig um sich, bemerkte aber Rudolf, der instinktiv einen Schritt zurückgetreten war, nicht und warf in hohem Bogen, eine geleerte Fleischsalatschale und sonstigen Kleinabfall in den Hof hinunter. Rudolf kicherte leise in sich hinein. So war das also, nun wusste er wenigstens, wer für die wiederkehrende Sauerei, die man immer ihm anhängen wollte, tatsächlich verantwortlich war. Die sollte noch einmal kommen und sich über Lärm oder sonstwas beschweren wollen. Der musste man gehörig heimleuchten, diesem alten Schrapnell. Er war überzeugt, dass sie das alles in voller Absicht und mit zielstrebiger Planung machte. Sie hatte ihm ja auch einmal klipp und klar angekündigt, dass sie 'Schritte' unternehmen wolle, dass sie sein ungebührliches Verhalten nicht länger bereit wäre hinzunehmen, zusätzlich zu allem Lärm und sonstigen Belästigungen, die sie durch ihn erdulden müsse. Rudolf hatte sie eine 'blöde alte Urschl' genannt und ihr die Tür vor der Nase zugeschlagen. Sicher, sie war alt, über achtzig Jahre, brauchte dementsprechend mehr Ruhe, aber es war bekannt, dass sie sich sogar schon über Lärmentwicklung beschwert hatte, als seine Wohnung noch leer gestanden, er noch gar nicht eingezogen gewesen war. Später hatte sie begonnen, sich sogar schon tagsüber zu beschweren, wenn er auch nur durch die Wohnung ging. Aber damit war es nun endgültig vorbei.
Er kicherte noch immer, malte sich Frau Adlers erstauntes Gesicht aus, wenn er sie aufklärte, von wem denn der Müll in ihrem geheiligten Hof stammte, als der Schlaf ihn endlich - tief und traumlos - gnädig übermannte.