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IV
ОглавлениеDie Nacht begann schon ungemütlich mit dem ersten Fahrgast, der den Wagenschlag öffnete. Einer jener Kategorie, die sich aufgrund ihrer gesellschaftlichen Position - was immer das für eine sein mochte - über so niedriges Gesocks - Taxifahrer - meilenweit erhaben fühlte. Rudolf kannte diese Kaste nur zu gut, sie gehörten zu seinen allerliebsten 'Opfern'. Meist spielte er das Spiel mit, wartete auf eine Gelegenheit, den Betreffenden von seinem hohen Roß herunter zu holen.
Auch diesmal - 'durch diese hohle Gasse muss er kommen' - war es schon bald soweit. Der Kerl, fett, schnaufend und stinkend, hatte eine unerträgliche Arroganz am Leibe, sprach überhaupt nur im Befehlston mit ihm, herrschte ihn in lautem Falsett an. Und immer wieder der gleiche Text, den lernten die alle.
"Ja sagen Sie einmal, wie fahren Sie denn ? Wollen Sie mit mir eine Stadtrundfahrt machen ? Sie hätten hier abbiegen müssen !"
"Hätte hier abbiegen 'können', wäre die korrekte Wortwahl gewesen. 'Können' nicht 'müssen', viele, wenn schon nicht alle Wege führen nach Rom !"
"Quatschen Sie keine Opern, Sie sind nicht zum Reden da und außerdem haben Sie meine Anweisungen zu befolgen, ich zahle hier und wer zahlt, sagt an !"
"Solange Sie mir den Weg ansagen wollen, können Sie das auch gerne haben, mir ist es scheißegal, wohin ich fahre, solange Sie bezahlen."
"Das werden wir noch sehen, ob ich Sie überhaupt bezahle, ich lasse mich doch nicht von einem, wie Sie einer sind, über den Tisch ziehen. Da vorne, an der nächsten Ampel fahren Sie gefälligst nach links, sonst werde ich nämlich ungemütlich!"
"Nähren Sie die Illusion, jetzt gemütlich gewesen zu sein?"
Rudolf bog, wie gewünscht, nach links ab, folgte den Angaben des Mannes im Fond. Mit dem Endeffekt, dass sie einige Hundert Meter vor einer die Straße blockierenden Baustelle anhalten mussten.
"Das hätten Sie doch wissen müssen, dass man hier nicht durchkann, wieso fahren Sie denn überhaupt hier, Sie Anfänger ! Sie sind wohl vollkommen bescheuert, was?"
"Erstens einmal hören Sie sofort auf hier in meinem Wagen Ihre Stimme zu erheben, das darf nämlich nur ich, als Zweites wollten Sie ja Anweisungen erteilen, bitte sehr, können Sie haben. Und als Drittes, mag schon sein, dass Sie sonst irgendwo ein großes Tier sind; bei mir sind Sie nur irgendein dahergelaufener Fahrgast. Das hier ist mein Spielplatz. Und als Viertes können Sie sich jetzt entscheiden, ob Sie hier, auf der Stelle aussteigen wollen, was mir, zugegebenermaßen am liebsten wäre, oder noch weiter mit mir fahren wollen. Dann halten Sie gefälligst Ihren Mund. Gespräche mit Ihresgleichen sind genauso unnötig wie ein Kropf!"
"Das ist ja eine bodenlose Unverschämtheit ! Wie sprechen Sie denn mit mir, so was ist mir ja überhaupt noch nie passiert !"
"Dann ist es aber dringendste Zeit geworden, dass es passiert. Ich kenne Ihre Mischpoche zum Erbrechen gut. Und wenn Sie jetzt nicht gleich den Rand halten, schmeiße ich Sie sofort hinaus."
"Ich werde mich bei Ihrem Chef beschweren, Sie können noch was erleben... das wird sie teuer zu stehen bekommen, darauf können Sie Gift nehmen !"
"Auch da leider Fehlanzeige, da müssen Sie sich schon bei mir beschweren. Ich gebe Ihnen auch gerne meine Telefonnummer, dann können Sie mich mal am Abend anrufen, wenn Sie wollen... am Arsch lecken können Sie mich aber auf jeden Fall. Und außerdem... reicht es mir jetzt wirklich !"
Rudolf trat unwirsch auf die Bremse, stieg aus, ging um den Wagen herum, riss die Tür auf.
"So, das macht siebzehn Euro, bis hierher und dann rrraus aus meinem Taxi !"
"Ich bezahle Ihnen keinen Cent, Sie... Sie Subjekt, Sie..."
"Das würde ich mir an Ihrer Stelle ganz schnell nochmal überlegen, und immer nur ganz schön sprechen, sonst lernen Sie's noch heute, hier an diesem Punkt... Sie können sich höchstens noch ein paar heilende Ohrfeigen einhandeln, Sie Pflaume !"
"Ich werde Sie anzeigen, wegen Ehrenbeleidigung, das wird noch ein Nachspiel haben... Hier ist Ihr Geld !"
"Und hier sind drei Euro zurück... Wünsche noch weiterhin einen vergnüglichen Abend und jetzt rrraus, bevor ich nachhelfe..."
Rudolf ließ die drei Euro Wechselgeld auf den Boden fallen. Mühsam keuchend quälte sich der Mann aus dem Sitz, machte Anstalten Rudolf ins Gesicht schlagen zu wollen.
"Vorsicht... Ich würde das nicht versuchen, sonst sagen Sie das Nächste was Sie sagen, im Liegen... Ich reiße Ihnen einfach die Schulter aus, Sie Arschloch !"
"Das werden Sie noch büßen, das schwöre ich Ihnen !"
"Ich weiß, ich weiß! Es ist mein Fehler. Ich hätte bedenken sollen, dass es wohl von einem simplen Körperorgan, wie einem Arschloch, etwas zuviel verlangt ist, auch noch Charakter zu haben'. Also dann, ein bisschen Bewegung wird Ihnen gut tun, Ciao, Schlammsack!"
Rudolf stieg in seinen Wagen, wendete und fuhr ohne sich umzusehen davon. Nicht dass er gedacht hätte, grundsätzlich etwas zu bewirken, aber der Mann schrie ja förmlich nach einem Denkzettel. Nun, den hatte er jetzt. Da wo er ihn aussteigen hatte lassen, fände der, um diese Uhrzeit, so schnell kein anderes Taxi, zu abgelegen war die Gegend und es war Hochbetrieb in der Innenstadt. Und von einer Anzeige hatte Rudolf schon lange keine Angst mehr, ohne einen Zeugen eröffnete man das Verfahren erst gar nicht, soviel Erkenntnis hatte seine Erfahrung schon mit sich gebracht.
Zufrieden kaufte er sich an der nächsten Tankstelle eine große Dose Bier, leerte sie während des Fahrens fast in einem Zug, sodass ihm das Wasser in die Augen stieg. Genüsslich rülpste er, gab wieder Gas. Die Nacht war noch jung, da harrten noch viele auf eine Fahrt nach Hause.
"Wie gut, dass niemand weiß... dass ich Stumpelrilzchen heiß'..." er sang es fröhlich und unbeschwert vor sich hin. Vielleicht konnte er ja heute das Mädel von der 'Mademoiselle-Bar" abholen, wäre nicht schlecht, oder...
Aber manche Tage schienen wie verhext. Er konnte tun, was er wollte, hinfahren, wo er wollte, heute bekam gerade er alle Arschlöcher ab, da war kein Kräutlein dagegen gewachsen.
Ein anderer Kunde, stieg ein - ein Bär von Gestalt, stinkbesoffen, wollte sich sofort mit ihm anzulegen, hatte offensichtlich die Aggressionen mit dem Alkohol runtergeschluckt und gut aufgestaut. Und nun sollte Rudolf als Blitzableiter herhalten. Diesmal stieg Rudolf auf gerader Strecke plötzlich und unangekündigt hart auf die Bremse, sodass er mit quietschenden Reifen zum Stehen kam, der Fahrgast neben ihm fast mit der Nase auf der Windschutzscheibe landete. Er zog den Zündschlüssel ab und sprang, bevor sich der Mann fassen konnte, schnell aus dem Wagen. Es war schon verwunderlich, wieviele Fahrgäste er in letzter Zeit einfach aus dem Wagen warf. Lags an den Fahrgästen, oder war seine Toleranzgrenze allzu tief abgesunken.
Wieder ging er um den Wagen herum, riss die Tür auf und brüllte den Mann an. Er solle nur herauskommen, wenn er was von ihm wolle. Was dieser, schnaubend vor Wut, in Zeitlupe, dann auch tat. Rudolf hatte gerade noch Zeit die Tür zuzuschlagen, dann musste er sich auch schon ducken, um dem ersten weit hergeholten Schwinger auszuweichen. Schnell brachte er sich auf der anderen Seite seines Wagens in Sicherheit, sperrte mit der Zentralverriegelung erst einmal ab, sodass der Besoffene nicht wieder einsteigen konnte. Danach lockte er ihn auf den Grünstreifen neben der Fahrbahn, versetzte ihm nach einem neuerlichen Fehlschlag einen Stoß, der Mann fiel ins Gras. Rudolf lief schnell zum Wagen zurück, stieg ein, versperrte die Türen von innen, startete und fuhr einfach davon. Es hätte auch keinen Sinn gehabt, sich wegen dieser lumpigen paar Kröte noch länger aufzuhalten, womöglich gar die Polizei bemühen zu wollen. Das hätte dann, mit allen Diskussionen und Klärungsversuchen, mindestens noch eine Stunde Aufenthalt gekostet. Er kannte den Vorgang hinlänglich, manchmal blieb einem Nichts anderes übrig. Aber solange es sich so regeln ließ, verzichtete er lieber auf das Geld, es stand in keinem Verhältnis zu Aufwand und Ärger. Und prügeln wollte er sich wegen dieser Lappalie schon gar nicht, dazu war ihm seine gerade Nase denn doch zu schade. Er warnte die Kollegen noch über Funk, den Mann nicht aufzunehmen, der solle nur zu Fuß nach Hause gehen, vielleicht tat es ihm ja sogar gut. Zum Glück war es schon fast vier Uhr Früh. Einen weiteren streitsüchtigen Fahrgast später hatte er genug.
Die heutige Schicht schien offenbar unter einem schlechten Stern zu stehen, er schaltete er seine Dachreklame ab, steuerte die 'Mademoiselle-Bar' an.
"Da weißt Du genau... der Mensch ist 'ne Sau !"
Rudolf grinste ein schiefes Grinsen, als ihm die Refrainzeile dieses alten Wiener Liedes einfiel. Wie zu-zu-zutreffend ! Er musste schauen diesen verblödeten Job wieder loszuwerden. Im Grunde genommen war er auch nicht viel besser, als die kleine Nutte auf die er nun wartete. Überhaupt, nach einiger Zeit in diesem Beruf, erschien einem bald schon die ganze Welt als Hurenhaus. Nicht dass er speziell etwas gegen Hurenhäuser hatte, die operierten wenigstens klar und unmissverständlich, ohne Tarnkappe und Moralanspruch. Die kannten ihre Kunden, wussten, was sie wollten. Mit klaren Geschäftsbedingungen, das eine kostete soundsoviel, das andere soviel, ein bisschen mehr kostete dann eben auch ein bisschen mehr und volles Programm kostete eben auch volle Löhnung, da gab es regelrechte Preislisten. Wenn irgendjemand das nicht passte, so konnte er jederzeit wieder gehen.
Unmissverständliche Richtlinien, nicht so wie im zivilen privaten Bereich; jeder kannte die Ehenutten, die sich ein weiches wohlversorgtes Bettchen ervögelten und dann die 'Grand Dame' spielten, das war Falsch-Spiel, Betrug, Lüge und doch waren es gerade diese "Ehenutten", die sich am meisten aufbliesen. Mit normalen Gefühlen zwischenmenschlicher Natur hatte das jedenfalls nur sehr wenig zu tun, allenfalls mit maßlosem Egoismus, Gleichgültigkeit gegen alle anderen, außer sich selbst, mit Schamlosigkeit, hemmungsloser Kaltblütigkeit und gleichzeitiger Arroganz. Aber was sie alle nicht kapierten war, dass sie nämlich alle für das was sie taten oder auch nicht taten ihren Preis bezahlen mussten. Er selbst war da nicht ausgeschlossen, alle, jeder Einzelne und jede Einzelne, reich oder arm, bezahlten ihren Preis. Es hing nur davon ab, wie man das tat; Selbstmitleid war der eindeutig schlechteste Weg. Dann schon lieber dem Untier ins Gesicht schauen und mit gefletschten Zähnen zurück lachen.
Endlich öffnete sich die Tür der Bar, die Frau, auf die er gewartet hatte, kam heraus, blieb einen Moment lang stehen, sah um sich, bemerkte Rudolf in seinem Wagen, steuerte geradewegs auf ihn zu und stieg ein.
"Hey, sag mal... wo warst Du denn gestern, ich habe sogar zwanzig Minuten auf Dich gewartet... aber dann... habe ich Angst bekommen... der BMW-Fahrer, Du weißt schon..."
"Nein, ich konnte leider nicht, beim besten Willen, ich war verhindert, hatte einen Stich ins Umland, irgend so ein Kaff, da draußen, ich musste fahren. Und dann war's leider schon zu spät!"
"Gib's zu... hast schon wieder irgendeine Tussi abgeschleppt und dann vernascht..."
"Ach, wenn Du wüsstest. Wenn das alle Sorgen wären, die ich habe, dann hätte ich keine Sorgen..."
"Als wir uns das erste Mal trafen, klang das aber noch ganz anders, da dachte ich, ich müsste ganz schnell eine Spendenaktion für Dich einleiten. Also, was ist es diesmal und wieviel brauchst du ?"
"Frag' lieber nicht, sonst hebst du Dir 'nen Bruch. Auf jeden Fall ist meine Lage alles andere als rosig... Komm lass uns, über was anderes reden. Apropos, ich weiß noch immer nicht, wie Du überhaupt heißt... Ich heiße übrigens Prinz Rudolf, ich meine Rudolf Prinz, und Du ?"
"Oh meine Verehrung, euer Hoheit... Meinst Du meinen 'Künstlernamen' oder meinen echten? Da unten im Club heiß' ich 'Nadine', aber meine Mutter hat immer Sascha, also Alexandra, zu mir gesagt... Kannst sagen, was dir lieber ist."
"Ich nehme 'Sascha'. Das klingt richtig nett... was Du ja auch bist. Bist 'ne tolle Frau. Schade dass Du..."
"Eine Hure bist wolltest du sagen, gell? Macht nichts, ich bin's schon gewöhnt. Tu' mir bitte nur einen Gefallen und frag nicht, wie denn ein Mädchen wie ich, zu diesem... Beruf gekommen ist. Das fragen nämlich fast alle Freier. Sonst erzähl' ich Dir auch irgendeine Geschichte, was mir gerade einfällt. Mal bin ich ein Waisenkind, beim Nächsten hab' ich 'ne kranke Mutter zu Hause, oder die Mafia zwingt mich, oder irgend sonst einen Scheiß. In Wahrheit wollte ich einfach schnell Geld machen. Und gegen Sex hab' ich noch nie irgendwelche Aversionen gehabt, tja und so kam halt eins zum anderen..."
"Siehst Du, jetzt hast Du ganz freiwillig, ohne meine Frage, alles erzählt. Ich wollte eigentlich fragen, ob Du was zum Kiffen dabei hast, heute könnt' ich echt was brauchen davon."
"Alles, was Du willst. Rauchzeug, oder vielleicht was 'Weißes' für die Nase, dann gäb's da noch 'Poppers' oder auch 'Rohies'... brauchst nur sagen."
"Viellicht gleich alles auf einmal. Ich glaub' ich muss mich heute betäuben, um nicht zum Massenmörder zu mutieren... Heute ist so ein Tag."
"Ich seh' schon, Dir geht’s richtig gut heute... Weißt Du was, fahren wir zu Dir, da können wir uns ja weiter unterhalten, in Ruhe volldröhnen, oder sonst was machen. Fahr' erst mal los. Ich muss weg hier, weg aus dieser Gegend."
"Ach ja, ich bin Dir ja auch noch was schuldig... dreihundert waren es, ein Hunni kommt gleich, und der Rest zu Hause, okay?"
"Ach, weißt du, du hast mir gestern soo geholfen… ich bin dir da schon noch was schuldig, das Geld will ich nicht, nicht von Dir !"
Er startete den Wagen, fuhr gemächlich los, Sascha legte ihre Hand auf seinen Schenkel streichelte ihn leicht.
"Du bist mein Retter. Ich bin die gute Fee, die Dir dafür dann ein paar Wünsche erfüllt, hab' ich doch versprochen, oder?"
Rudolf grinste leicht schief in ihre Richtung, gab Gas, brauste durch die frühmorgendlich leeren Straßen.
Sie waren wieder über den Hintereingang ins Haus gegangen. Die Uhr schlug sechs, als sich Rudolf endlich, mit geröteten, leicht glasigen Augen neben Sascha auf seinem Bett ausstreckte. Die Musik spielte dezent im Hintergrund, er hatte eine alte Langspielplatte von Gerry Mulligan aufgelegt, extra den Plattenspieler reaktiviert. "Night Lights", Saxophon mit samtenen Tönen. Frankie, sein Romanheld konnte das auch. Morgen wollte er weiterschreiben, an seinem Ding.
Würzige Rauchschwaden schwebten wie Wolken im Raum, unbewegt im Licht der zwei Kerzen neben dem Bett. Es hätte fast romantisch sein können, wenn dem nicht ihrer beider Bewusstsein im Wege gestanden hätte. Als er sich dann auf den Bauch drehte, massierte sie sanft seinen Rücken, glitt dann mit ihren Händen weiter nach unten.
"Schon mal 'ne Arschmassage bekommen - nein? - also dann, leg dich schon mal hin - get ready, here it comes."
Ihre Finger gruben sich in sein weiches Fleisch, zuerst nur leicht, gewannen dann an Kraft, walkten sein Hinterteil durch, bezogen seine Schenkel und Lenden mit ein, endeten in einem fast schon unfühlbarem Streicheln. Rudolf hob sein vor Hitze gerötetes Gesicht, stöhnte genussvoll, fragte ob er ihr umgekehrt auch eine derartige Behandlung zukommen lassen solle, aber sie winkte ab, meinte, dass erst einmal er dran sei, dann könne man immer noch weitersehen.
"Dann komm her, leg Dich einfach neben mich, lass uns einfach ein bisschen schmusen und streicheln. Nach mehr ist mir momentan ohnedies gar nicht zumute, ich bin ein bisschen daneben. Komm 'Löffelchen-Liegen'!"
Sie küssten einander eine Weile, als Sascha sagte, dass er Glück habe. Normalerweise wäre Küssen in ihrem Metier ein absolutes Tabu, alles andere ja, nur Küssen wäre total verpönt.
"Ich mag Dich... ich könnt' mich glatt verlieben in Dich, weißt Du das?"
"Mmmh, jaa, das wäre gar nicht so übel... kannst es Dir ja noch überlegen, ob Du's nicht vielleicht doch noch tun willst..."
Es war schon Mittag, als sie wieder erwachten, Sie lachten einander an, gingen gemeinsam unter die Dusche, wo alles gleich noch einmal von vorne begann. Nach einer Tasse Kaffe sah die Welt dann noch viel freundlicher aus, sie grinsten beide übers ganze Gesicht. Rudolf dachte an nichts Böses, als die Mittagsnachrichten im Radio eine Meldung brachten.
"Der bei der Schießerei am Montag verletzte Kellner des Lokals 'Il Cacciatore' erlag heute Morgen im städtischen Krankenhaus seinen schweren Verletzungen. Wie schon berichtet war bei dem Vorfall bereits zwei der Beteiligten ums Leben gekommen. Die Polizei vermutet, dass es sich bei der Auseinandersetzung um zwei rivalisierende Mafiagruppierungen handle. Der vierte Beteiligte, der verletzt ins Krankenhaus eingeliefert worden war, hatte sich seiner Aussagepflicht durch Flucht entzogen. Die Fahndung nach dem als Zeugen gesuchten Taxifahrer verlief bisher ergebnislos. Hinweise bitte entweder an die Mordkommission oder an jede Polizeidienststelle zu richten."
Rudolf drehte unwirsch das Radio ab. Sascha fragte, ob er von der Sache etwas mitbekommen habe, was Rudolf aber sofort eilig abwiegelte. Er sei zu dieser Zeit mit einem Jungbauern irgendwo im Umland "herumgegurkt", habe auch erst in den Nachrichten davon gehört. Er versuchte sein Gesicht so harmlos wie möglich aussehen zu lassen.
"Deshalb hatte ich ja auch am Dienstag nicht kommen können, obwohl wir's doch so ausgemacht hatten."
Sascha sah ihn lange und durchdringend an. Rudolf musste sich zusammennehmen, um nicht doch irgendeine verdächtige Reaktion zu zeigen, hatte sich dann aber relativ gut unter Kontrolle, als die nächste Frage kam.
"Es soll ein bärtiger Typ gewesen sein, mit etwas längeren Haaren... hab ich aus'm Fernsehen... Außerdem munkelt man, dass derjenige wohl auch irgendwie in die Sache verwickelt sein soll... wieso hast du dir übrigens auf einmal den Bart abrasiert, ich hätte dich ja fast nicht erkannt, bist ja fast nackt, ohne deinen Pelz."
"Ja, ich hab das auch so gehört, allerdings nur, dass man ihn eben als Zeugen sucht... der wird halt die Leute zu dem Lokal gefahren haben, was weiß ich. Außerdem rasiere ich mir meinen Bart zwischendurch immer wieder mal ab. Diesmal hab' ich es schon am Montag vormittags gemacht. Ich wollte ein glattes Gesicht haben... wenn ich Dich abholen komme... Kannst ja meinen Unternehmer fragen, der hat mich gesehen, Montagabend!"
Er bluffte einfach so ins Blaue. Es war doch sehr unwahrscheinlich, dass sie tatsächlich in seiner Firma nachfragte. Und wenn sie es tat, dann war es ein untrügliches Zeichen dafür, dass sie etwas ahnte und auf den Busch klopfen wollte. Aber er war sich bewusst, dass nun wieder ein Anflug von Paranoia aufgerissen hatte. Sascha machte keinerlei Anstalten das Thema weiter zu verfolgen, zog sich ohne Hast an, schminkte sich oberflächlich, betrachtete sich kritisch im Spiegel, verzog ihren Mund zu einem etwas schiefen Grinsen.
"Ich schau' aus wie eine Hur'... was ja auch kein Wunder ist. Ich bin ja eine!"
"Also für mich bist Du keine Hure, Du arbeitest höchstens in diesem Metier. Schau ich bin ja auch kein Taxifahrer, obwohl ich fast jede Nacht in so einer Scheißkiste sitze. Eine Bank zu überfallen wäre sicher irgendwie einfacher, aber ich glaube, ich hätte zu so was keine Nerven... Und von irgendwoher muss die Kohle ja kommen... Sonst könnte ich gleich unter die Hauptbrücke ziehen... oder vom Hochhaus springen, aber das bringt's ja wohl auch nicht, oder?"
Sascha küsste ihn flüchtig auf die Nasenspitze, zog ihre rotes Lederjäckchen an, zwinkerte ihm zu.
"Nein, das bringt's wirklich nicht. Bist schon in Ordnung, so wie Du bist. Nur das nächste Mal, wenn wir uns wiedertreffen, bist Du hoffentlich ein bisschen mehr ausgeschlafen... Ich könnt' nämlich ohne Weiteres 'ne ganze Menge mehr von Dir vertragen, o.k. ? Vierundzwanzig Stunden Marathon, oder noch besser, so was wie ein Sechstagerennen, hm?"
"Und was würde Dein Macker sagen wenn Du erst nach 'ner Woche wieder auftauchst... und die in der "Mademoiselle-Bar?"
"Ach weißt Du, Loddels gibt's wie Sand am Meer, ich schaff' im Allgemeinen eigentlich ganz gut an. Ich habe keinen "Macker" mehr, habe ich abgeschafft. Was glaubst du, wer der Mann im blauen BMW war. Im Ernst, du könntest mein neuer Beschützer werden... wie wär's ?"
"Nnöö... ich glaube dazu tauge ich nicht. Ich mag mich nicht ständig mit irgendwelchen Wichsern herumschlagen müssen. Außerdem würde ich dann wahrscheinlich auch noch eifersüchtig auf jeden mit dem Du in die Kiste springen musst."
"Du bist richtig süß, weißt Du das? Das hat mir noch keiner gesagt. Das wär' ja was, 'n Macker, der auf meine Freier eifersüchtig ist. Ganz was Neues. Sonst sagen die nur immer, ich soll gefälligst noch'n paar Überstunden machen !"
Als sie dann an der Tür standen, presste sie sich nochmals kurz an ihn, riss sich dann aber schnell von ihm los, ging, ihr Hinterteil lasziv schwingend, die Treppe hinunter. Rudolf trat auf seinen Balkon hinaus, pfiff leise durch die Zähne, als sie den Hof durchquerte, winkte ihr noch zum Abschied, bevor sich die Haustür hinter ihr schloss.
Nach einer Tasse Kaffee, einem inspirierenden Schluck der goldgelben Flüssigkeit, setzte er sich wieder an seine "Maschine", um an seinem Buch weiterzuschreiben. Aber es wollte nichts Brauchbares zustande kommen, nur zwei mickrige Zeilen, die er frustriert gleich wieder löschte.
Es hatte wohl keinen Sinn, sich in diesem Zustand mit der Bildung von literarisch wertvollen Sätzen zu beschäftigen, mit Worten jonglieren zu wollen. Ein Roman brauchte Zeit und eben die nötige Inspiration, mit Gewalt ging da gar nichts. Der Schlaf kam dann auch nicht überraschend, als er sich auf sein zerwühltes, noch immer nach Sascha riechendes Bett legte und den Fernseher einschaltete.