Читать книгу Yeshu und seine Geschichte - Peter Klapprot - Страница 6
Kapitel 4
ОглавлениеDie letzten Tage waren verwirrend gewesen. Sein erstes Kind, die Flucht, der Traum. Es tat gut, ein wenig zu ruhen und über alles nachzudenken. So konnte die Seele sich neu sammeln. Neben ihm schliefen seine Frau und das Neugeborene. Notdürftig hatten sie aus Heu und welken Blätter ein Lager gebaut. Eine Bettstatt war das nicht, eingerollt auf der Erde lagen sie, zugedeckt mit den Tüchern und Decken, die sie bei sich trugen. Später würde er sich dazu legen, die beiden wärmen und selbst etwas Wärme finden.
Mit dem Stock stocherte er in dem kleinen Feuer. Es war nicht gut, mit dem Kleinen unterwegs zu sein, kein Zuhause zu haben. Der Frühling war noch nicht da. Wilde Tiere gab es hier, selbst das schaurige Lachen von Hyänen hatte er schon gehört. Wir leben selbst wie Tiere, dachte er, unter dem freien Himmel, auf der Erde schlafen, nicht wissen was morgen bringt. Das Kind brauchte nicht viel, nur die Liebe und die Milch seiner Mutter. Die Mutter war jung und stark. Trotzdem brauchten sie und er zu essen. Die Münzen wurden schnell weniger. Manchmal konnten sie ein paar Tage bleiben und er konnte den Bauern zur Hand gehen. Es war die Zeit für Reparaturen an Haus und Hof. Gab es nichts zu tun, mussten sie betteln.
Die Flammen loderten sacht, die Glut kohlte dahin. Manchmal knisterte es, dann legte sich ein Zweig zur Asche nieder. Ein paar neue Reiser und die Flammen reckten ihre Arme wieder in die Nacht, tanzende kleine Teufel. In der Glut glommen Augen auf, der Schatten eines Gesichts zerfiel, entstand neu, sah ihn an, erinnerte ihn an Vergessenes, an Geträumtes. Da war es wieder, das Antlitz aus seinem Traum.
Kein Zweifel, es hatte ihn gemeint, Jausef. Diese Augen waren so ruhig und klar wie von einem Reh. Voller Liebe, stiller Liebe. Die Haare wie Lohe. Jetzt hatte er eine Stimme gehört, sie redete ihn an. Er hörte seine eigene Stimme, als spräche er mit sich selbst, aber die Stimme kam von diesem Angesicht. Er war es und er er war es nicht, der da zu ihm sprach:
„Geh' fort!“, murmelte es, „geh' fort! fliehe mit Frau und Kind.“
Am nächsten Morgen hatte er mit Maryam darüber gesprochen. Sie hatte nichts gesagt, sie würde folgen. Er war weggegangen, lange Zeit. Er ging über die kargen Winterweiden, roch die schlafende Erde, sah hinauf zum weiten Himmel und fühlte seinen festen Schritt. In der Ferne sah er die Hirten mit ihren Tieren. Er mied sie. Er wollte alleine sein. Die nächtliche Stimme hallte in ihm nach. Mit jedem Schritt geh-fort, mit jedem Atemzug flie-he, flie-he.
Er drehte sich um und sah den Stall nicht mehr. Er setzte sich und blieb, bis die Stimme nicht mehr zu hören war. Sie war nicht aus ihm gewichen, sie war in jedes seiner Glieder gekrochen.
Als er in der Dämmerung zurückkam, sagte er, dass sie gehen.
Betteln war gegen seinen Stolz, aber es war sein Los. Dass es für die Frau und das Kind war, half ihm. Überhaupt, das Kind. Irgendwas war mit diesem Kind. Seit das Kind unterwegs war, hatte sich eine große Ruhe über ihn gelegt. Er war nicht unglücklich gewesen, hatte getan, was sein Vater und seine Brüder, seine Onkel und Freunde getan hatten. Er war zufrieden, sehr zufrieden mit dem Leben im Stamm.
Selbst die Gerüchte hatten ihn kalt gelassen. Nicht sein Kind!
Er liebte diese Frau. Er brauchte nur an sie zu denken und sein Herz wallte auf. Ihre schwarzen Augen, ihre Gestalt, wie sie ging und sprach, oft nachsann, bevor sie sprach, wie sie lachte, wie sie eine Schale hielt. Überhaupt ihre Hände. Wenn sie ihn berührte, fühlte er das Leben in sich. Wenn er sie umfing, verlor er sich und war doch gehalten.
Der Widerschein des Feuers huschte über sein Gesicht.
Er versuchte das zu verstehen. Wenn er sich verlor, war er nicht mehr er selbst. Er wurde etwas Größeres. Etwas von ihm ging zu Maryam und etwas von ihr kam zu ihm, so wie der Regen vom Himmel auf die Erde und der Duft der Erde zum Himmel. Still lachte er in sich hinein. Es war nicht zu verstehen das Wunder. Man zerbrach sich den Kopf und fuhr doch genau daran vorbei.
Langsam kroch die Kälte seinen Rücken hinauf, aber es gab noch etwas, was er verstehen wollte.
Wenn es nicht sein Kind war, änderte das etwas?
Er stand zu seinem Wort, deshalb nahm er Maryam zur Frau und würde sie auch behalten. Er schüttelte den Kopf. Das war nicht die Frage. Ist mein Sohn mein Sohn?, lautete die Frage. Etwas schwindelte ihn, aber es gab kein zurück. Die Kinder stammen von ihren Eltern. Meistens sieht man es ihnen an, sie ähneln ihnen in Aussehen, Eigenschaften und Verhalten. Kinder stammen und kommen von ihren Eltern, aber sind es ihre Kinder?
Keine Pflanze, kein Tier würde Anspruch erheben und sagen, das ist mein Spross oder das ist mein Wurf. Vögel und Säuger kümmern sich um ihren Nachwuchs, doch dann lassen sie ihn ziehen. Menschen bleiben beim Stamm. Sie gehören zum Stamm wie die Finger zur Hand, ohne ihn sind sie verloren. So kam er nicht weiter. Er musste neu denken.
Was wenn man nicht die Kinder sieht, sondern das Leben in ihnen? Sie haben das Leben von ihren Eltern und die haben es von ihren Eltern und so fort. Immer wurde das Leben weitergegeben, so wie man Wasser von einem Eimer in den nächsten schüttet. Kommt dann das Wasser von dem Eimer? Es kommt aus dem Eimer, aber es gehört ihm nicht. Es stammt auch nicht aus ihm, es stammt aus der Quelle.
Aufgeregt stocherte Jausef in der Glut. Funken stoben auf. Ja, so stimmte es. Kinder kommen durch ihre Eltern, aber sie gehören ihnen nicht. Sie stammen aus der großen Quelle. Er selbst kam durch Eli, der durch Mattat, der durch Levi. So ging es weiter, tausend und tausend Jahre, bis zu Enosch, der durch Set kam und dieser von Adam und der kam von YHWH. Aus der großen Quelle.
Jausefs Augen folgten dem Flug der Funken. Sie tanzten in der schwarzen Luft und suchten ihre Brüder am Himmel.