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Kapitel 6
ОглавлениеAls Blau und Grau ununterscheidbar geworden waren, schallten die Trompeten über das ganze Land. In jedem Haus, in jeder Hütte, in jedem Zelt sprachen die Ältesten den Segen. Die Frauen hatten ein Festmahl vorbereitet, so gut es eben ging. Es war die Zeit, sich YHWH nah zu fühlen und den ewigen Bund zu erneuern.
Die Priester hatten sich längst gereinigt, ein Lamm geopfert und die Lampen entzündet, als sich die Menschen in den Tempeln versammelten. Die Frauen blieben mit den kleinen Kindern im Vorhof zurück, die Männer scharten sich um den Altar. Es wurde geräuchert, man betete zusammen. Dann lasen die Gelehrten aus den heiligen Schriften. Die Sprache, in der sie redeten, war die Sprache der Erzväter. Die kehligen Laute lullten die Männer ein und ließ sie träumen vom gelobten Land, dem Land, das Gott ihnen zugewiesen von der Wüste und dem Libanon bis an den großen Fluss Euphrat bis hinauf zum Meer. Das Land, das Jehoshua und sein Volk in Beitz nahmen, damit dort Milch und Honig flossen. Es tat gut, dieses Erbe im Blut rauschen zu hören. Es tat gut, den Bund zu erneuern.
Nachdem ein Mann die heiligen Worte in aramäisch ausgelegt hatte, war noch Zeit bis zum Nachmittagsgebet. Wie an jedem Schabat würde man Freunde treffen, ein paar Schritte gehen, gerne zum Fluss. Vielleicht war wieder dieser Prediger da. Ja, er hatte das Zeug zu einem Propheten. Wie er redete, mit den Augen rollte, was er sagte, das fesselte einen.
Aber ihm zuzuhören, das konnte Sünde sein. Der Gott, von dem er predigte, war das der Gott, dessen Name man nicht nennen durfte? Was wenn er einen anderen Gott meinte? Dann war es Lästerung. Ein Gott neben dem Einen? Steinigung war die einzige gerechte Strafe.
Schon tauchte das grüne Ufer auf. Schilf wog leicht im Wind, Spatzen tschilpten darin. Es war Frühling, sie bauten ihre Nester. Silbern glitzerte das Band des Flusses. Drüben lag die Fremde. Niemand wollte über den ha-Jarden gehen, trotzdem gab es eine Furt. Dort wartete der Prediger. Er saß auf einem Baumstamm und wog einen Palmwedel in der Hand. Lächelnd sah er die Menschen kommen. Als die Menge angeschwollen war, stand er auf und stieg auf den Stamm.
„Ihr seid gekommen, in unfassbarer Zahl“, begann er und ließ seinen Blick über die Männer und Frauen gleiten.
„Ich sehe eure Augen. Ich sehe eure Seelen. Ich sehe eure Wunden und ich höre eure ungeschrienen Schreie. Schwarz ist eure Sonne, rot euer Mond. Eure Sterne werden fallen und der Boden unter euren Füßen wird beben. Ihr steht hier in euren hellen Gewändern und wartet. Warum wartet ihr? Niemand hat gesagt, dass ihr warten sollt. Wie lange noch wollt ihr warten?“
Schwarze Sonne, roter Mond? Warten, dass die Sterne fallen und die Erde bebt? Niemand antwortete ihm. Man sagte, dass er meschugge sei, irgendwo da draußen lebte, ohne Frau und Kind und dass er Heuschrecken aß.
„Worauf wartet ihr? Ich werde euch sagen, worauf ihr wartet.“
In der Mittagshitze hatten die Vögel zu zwitschern aufgehört.
„Ihr wartet auf das Himmelreich.“, fuhr er fort. „Deshalb seid ihr gekommen und ihr hofft, dass ich euch das Himmelreich bringe.“
Der Mann stieg von seinem Stamm und ging auf und ab. Bei jedem Schritt wedelte er mit dem Palmzweig, bis er plötzlich stehen blieb und rief:
„Das Himmelreich wartet auf euch. Es ist längst da. Also hört auf zu warten, geht endlich los. Aber sucht es nicht da, wo es hell ist. Es liegt nicht vor euch auf eurem Weg.“
Das war schwer zu verstehen. Warten und nicht warten; gehen, aber nicht auf einem Weg.
„Der Weg zum Himmelreich führt durch eine Tür und diese Tür ist in euch. Ja. Findet sie, stoßt sie auf, geht hindurch. Sie wartet nur darauf. Der Himmel wartet.“
Vielleicht brannte die Sonne einfach zu heiß. Etwas trinken wäre gut.
„Warum findet ihr diese Tür nicht? Weil ihr nicht wisst, dass diese Tür mitten in euch ist. Ihr sucht sie auf eurem Weg vor euch, wo es hell ist und nicht in eurem Innern, wo es dunkel ist.
Warum stoßt ihr sie nicht auf, diese Tür? Weil ihr glaubt, ihr wäret nicht würdig und ihr glaubt, ihr hättet ihr kein Recht, diese Tür auch nur anzufassen.
Warum geht ihr nicht durch diese Tür? Ihr fühlt euch befleckt, weil ihr gesündigt habt.
Oh, was seid ihr für Kinder! Ihr glaubt, YHWH wäre ein Vater, der euch auf ewig zürnt. Ja, YHWH ist ein zorniger Gott, aber er ist auch voller Gnade, ein Vater, der die Erde und seine Kinder liebt und ihnen verzeiht, alles verzeiht. Verzeiht euch selbst!
Ihr leidet unter Durst, aber es nicht der Durst nach Wasser; ihr hungert, aber es ist nicht der Hunger nach Brot. Euer Hunger, euer Durst, sie suchen sein Reich. Nur sein Himmelreich kann euren Hunger und Durst stillen. Und dieser Himmel ist in euch. Die Sünden sind flüchtig, der Himmel aber ist ewig.“
Der Asket legte seinen Palmwedel ab und ging ins Wasser und winkte.
„Kommt zu mir ins Wasser! Dieses Wasser ist ein heiliges Wasser. Es hat die Macht, eure Sünden abzuwaschen wie den Staub von euren Füßen. Macht euch frei von euren Sünden, es öffnet die Tür, dann ist der Weg frei für den neuen Himmel in euch.
Kommt! Kommt! Kommt!
Nie wieder werdet ihr Hunger leiden, nie wieder werdet ihr Durst leiden. Kommt herbei!“
Konnte man diesem Prediger trauen? Immerhin, der Fluss war lebendiges Wasser, also gut für eine Reinigung. Aber eine Reinigung von den Sünden? Man konnte sich reinigen, wenn man Totes berührt hatte oder schreiben wollte. Frauen mussten sich reinigen, wenn sie ihre Zeit hatten oder entbunden hatten. Aber wenn man gegen die Gebote verstoßen hatte, würde YHWH einen strafen. Da half kein Wasser.
Ein großgewachsener Mann mit Locken und tiefschwarzen Augen trat aus der Menge. Ruhig stieg er in das kalte Wasser und watete zu dem Mann. Der Täufer nahm ihn bei den Schultern und schaute ihn an. Lange standen die beiden gegenüber, eine Armeslänge getrennt. Das Wasser umfloss ihre Beine und zog an ihren Gewändern, die wie Tang in den Fluten drifteten. Dann schüttelte der Täufer langsam den Kopf.
„Du willst von mir getauft werden, aber du bist mir voraus. Du hast diese Tür längst aufgestoßen, weiter als ich. Du kannst zu denen sprechen, die in der Finsternis sitzen, im Schatten des Todes. Sie werden dich besser verstehen als mich. Ich bin nur ein Rufer in der Wüste. Du wirst zu ihnen sprechen durch deine Taten und so ihre Schritte lenken. Ich müsste von dir getauft werden, Mann Gottes.“
„Warum stehe ich bei dir im Wasser? Weil ich deine Taufe will. Kein Herz ist vollkommen rein von Schatten.“
Yeshus Augen füllten sich mit Tränen.
„Die Tür, von der du sprichst, manchmal habe ich sie vergessen. Dann wieder finde ich sie verschlossen. Du siehst in mir, was ich noch werde. Darum bitte ich dich um deinen Segen. Ebne mir den Weg und taufe mich.“
Noch einmal prüfte der Täufer sein Herz. Er sah das strömende Wasser und verstand, dass es das Meer suchte. Er nickte.
„So sei es.“
Er drückte den Mann unter Wasser, sah dessen Haare noch schwimmen, dann sich vollsaugen, sah wie sie im Wasser schlängelten, sah den Fluss vorbeifließen, den sandigen Grund, Steine darin, Fische glitten vorüber, sah das Gesicht mit den geschlossenen Augen, seine eigenen Hände auf den breiten Schultern, die gebeugten Beine.
„Ich taufe dich mit Wasser, aber du wirst uns mit Feuer taufen. Du wirst wachsen, ich werde schrumpfen.“
Mit einem Prusten tauchte Yeshu wieder auf und schüttelte sich. Das Wasser lief aus seinen Haaren, die schwarz auf seinem Gewand klebten. Geblendet öffnete er die Augen. Etwas kam auf ihn zu. Es kam aus der Sonne, schwer zu erkennen. Eine Taube flog auf ihn zu. Ein Feuerschein umgab sie. Er atmete tief. Ihre Schwingen schlugen hart. Sie stürzte auf ihn ein. Ein Flügel streifte seinen hocherhobenen Kopf.