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Touching Tamera
ОглавлениеFür die Frauen dieser Welt
Peter Klapprot
Touching Tamera
Sommer im Heilungsbiotop
„Ihr sucht die neue Welt?
Sucht sie nicht endlos, seht sie.
Nehmt sie wahr, schwört sie herbei.
Setzt überall ihre Zeichen!“
Dieter Duhm
Zum zweiten Mal habe ich von diesem nackten Rücken geträumt. Mein Traumlexikon warnt mich vor Gefahren, die sich „hinter dem Rücken“ abspielen, warnt vor Hinterlist, spricht von Angst. Aber dieser Rücken macht mir keine Angst, es ist ein weiblicher Rücken mit Sommersprossen im ersten Traum. Ich liebe Sommersprossen. Als ich vier Jahre alt war, traf ich ein Mädchen mit einem hübschen Gesicht voller Sommersprossen. Ich stand nur da und staunte. Vor einiger Zeit hatte ich eine Tanzpartnerin mit Sommersprossen. Voller Staunen bekam ich Probleme mit meinen Schritten.
Im zweiten Traum waren die Sommersprossen auf dem Rücken ausgewachsen wie Flecken auf einem Wachtelei. Ein gefleckter Rücken, er war schön!
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Wie viele Jahrzehnte bin ich aufgewacht mit einem mulmigen Gefühl! Obwohl ich eigentlich gut schlief, befiel mich beim Aufwachen oder kurz danach ein Gefühl der Bedrückung. Ich kann mich noch gut an einen Morgen erinnern, als ich nach dem Aufstehen noch etwas meditierte. Ich spürte diese aufsteigenden Beklommenheit und wehrte mich vergeblich gegen sie. Lange Jahre dachte ich, dass etwas mit mir nicht stimmen könnte, dass ich etwas falsch machen würde, dass es noch ungelöste Themen in mir geben müsste. Heute weiß ich, dass ich nicht der Einzige bin mit diesem morgendlichen Elendgefühl.
Viele Menschen haben morgens keine Lust auf den Tag. Viele würden gerne weiterschlafen und sich in ihre Träume flüchten, statt in trostlosen Fabriken Rohstoffe in den Müll von morgen zu verwandeln. Das Unbehagen ist groß, in seelenlosen Büros Dinge zu organisieren, deren Hauptzweck darin besteht, die Shareholder zu bereichern. Im Morgentief meldet sich die innere Stimme mit einem stummen Schrei, die Wüste im Innern wird fühlbar und der Druck, das alles zu schaffen. Dennoch und weil man die Miete bezahlen muss, schluckt man und quält sich hoch, um weiterzubauen am Alptraum des neoliberalen Individualismus', deren Freiheit darin besteht, zwischen Pepsi und Cola wählen zu können.
Immerhin leben wir in Europa seit mehr als 70 Jahren im Frieden. Wie mussten die die innere Stimme überhören, die in den Krieg gezogen sind. Geblendet von Lügen von Ehre und Vaterland, brachten sie unsägliches Leid über sich selbst und andere; Leid dessen Folgen nicht selten drei Generationen und mehr überschattete. Der Liedermacher Hannes Wader hat eine Idee davon in seinem Lied Es ist an der Zeit, welches einem unbekannten Soldaten gewidmet ist, der neunzehnjährig im Ersten Weltkrieg gefallen ist, sehr einfühlsam zum Ausdruck gebracht.
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Mittlerweile sehe ich diese Zusammenhänge um die Melancholie am Morgen deutlich, doch vor meine Reise nach Tamera lief ich auf einer langen staubigen Straße. Wo die hinführte, wusste ich nicht. Wie sollte es weitergehen mit meiner Arbeit als Lehrer und Psychotherapeut? Wie konnte ich Erfüllung finden in meiner Beziehung? Was sollte ich machen mit meinem wunderschönen Pachtgarten, in dem ich nur noch griesgrämig den Rasen mähte? Ich suchte eine Ausfahrt von dieser Autobahn, die mein Leben war. Ich wollte nicht so weiter funktionieren und später im Altersheim sitzen mit einem leeren Gesicht und einem stillen Vorwurf über das Versäumte. Was tun?
Antworten auf essentielle Fragen in unserer Gesellschaft zu finden ist schwer. Meist lautet die Standardantwort, dass man sich nur noch ein bisschen mehr anstrengen muss oder dieses Shampoo oder jenes Auto kaufen muss. Eine Antwort zum Thema Morgendepression, die ich im Netz gefunden habe, lautete:
„Aufraffen und zum Arzt gehen“.
Die häufigste Antwort der Ärzte kenne ich schon von meinen Patienten: Tavor, Cipralex, Seroquil, Mirtazapin und andere Psychopharmaka. Schon 1966 haben die Stones ein Lied über Mothers little Helpers gemacht, Doctor please, some more of these.
Wirkliche Antworten habe ich meistens gefunden in Büchern, in den Schriften von Indianernführern wie Dhyani Ywahoo und Tahca Ushte, in Fachbüchern von Dahlke und Hellinger und in seltenen esoterischen Büchern wie zum Beipiel The peaceful warrior von Dan Millman. Im Winter 2015/ 16 las ich endlich Die heilige Matrix von Dieter Duhm und die Bücher von Sabine Lichtenfels Traumsteine und Tempel der Liebe. In seltener Klarheit fand ich dort die Vision einer anderen Welt, einer Terra Nova, ebenso die Vision von einer quasi-paradiesischen Welt, die es auf der Erde in vorgeschichtlicher Zeit gegeben haben muss. Ich fand auch die Kulturgeschichte der Gewalt und Zerstörung mit wissenschaftlicher Logik beschrieben. Das Bild von den zwei Welten bot mir eine überzeugende Erklärung an: Es gibt – so Dieter Duhm – eine Welt, die uns geschaffen hat und es gibt eine Welt, die wir geschaffen haben. Konnte es sein, dass ich nachts im Schlaf eintauchte in die Welt, die uns geschaffen hat?
Schläft ein Lied in allen Dingen,
Die da träumen fort und fort,
Und die Welt hebt an zu singen,
Triffst du nur das Zauberwort.
In seinem Gedicht Wünschelrute beschwört der deutsche Romantiker Joseph von Eichendorff den Schöpfungstraum dieser Welt. Beim Aufwachen wechseln wir dann von dieser geheimnisvollen Welt in die Welt, die wir geschaffen haben. Angesichts dieser Welt der Effizienz und des Bruttosozialproduktes, der Ausbeutung und Zerstörung, der Verachtung und des Zynismus' überfällt mich und viele andere ein Grauen.
Im Frühling 2016 landete ich auf der Homepage von Tamera (www.tamera.org). In wenigen Augenblicken war klar, dass ich im Sommer das Heilungsbiotop im Süden Portugals besuchen würde, ohne dass ich jetzt sagen könnte, was speziell mich angezogen hatte. Etwas in meinem Innern hatte klick gemacht. Zunächst meldete sich mein Familienvater-Gewissen und ich versuchte meine Frau und Tochter zum Mitkommen zu bewegen. Besonders meine damals 11-jährige Tochter stellte sich quer, so dass schnell klar war, dass ich alleine fahren würde. Mein erste größere Reise alleine seit 14 Jahren!
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Anmeldung und Flugbuchung waren kein Problem, aber warum gerade Ryanair? Zunächst funktionierte ich weiter und Tamera verschwand hinter Frühstück, Arbeit, Fernsehen, Bett. Dann meldete sich ein mulmiges Gefühl. Worauf hatte ich mich da eingelassen? Sicher, ich war schon im ZEGG gewesen und hatte dort meine Frau kennen gelernt. Vor zwanzig Jahren hatte ich ein paar Monate in der Nähe des Ökodorf-Projektzentrums gelebt und war gescheitert. Gemeinschaft war mehrere Nummern zu groß für mich. Jetzt war die Kleinfamilie zu klein geworden. Dann kamen die großen Ferien und ich war dabei, einen Waschzwang zu entwickeln. Alle Körper-, alle Atemübungen, nichts half. Meine linke Körperhälfte fühlte sich angespannt und taub an, ich schlief sogar schlecht. Durch die freie Zeit besserte sich allmählich mein Zustand, geheilt fühlte ich mich nicht.
Der Abflugtermin näherte sich und eine stille Vorfreude meldete sich. Ich packte meine Tasche mit dem Zelt, dem Schlafsack und der Luftmatratze. Fünfzehn Kilo höchstens, die Bücher mussten ins Handgepäck. An einem Sonntag um sieben fuhr ich los, parkte unseren Kleinwagen am Bahnhof, versteckte den Schlüssel im Auto und schlug die Tür zu. Auf dem Bahnsteig stand ein schwarzes Liebespaar und eine einsame Frau in meinem Alter, in deren Nähe ich mich stellte. Dann saß ich im ICE und reckte vorsichtig meinen Nacken. Es knackte leise. Ein gutes Zeichen. Diese eingefahrene Sichtweise, die Hartnäckigkeit, mein Denken musste die Richtung ändern. Ich hatte mich eingelassen auf etwas hinter dem Horizont.
Im Bahnhof unter dem Flughafen Köln/ Bonn sprach mich eine Frau an, die den Aufgang zu ihrem Terminal suchte. Ich half ihr, so gut ich konnte. Das war es, was mir fehlte, Kontakt. Nicht dieser Jaja-genau-sowieso-Kontakt, sondern ehrlicher Kontakt.
Einchecken war kein Problem, dreizehn Kilo nur und hinter dem Schalter endlich eine Toilette. Dann hatte ich Zeit und ich hatte keine Lust auf diese McDonalds, diese Lavazzas, diese Douglas-Parfümerien. Ich schlendert herum und übte, kein Ziel zu haben. Am schönsten war es draußen in der Kiss-and-Fly-Zone. Leute kamen und gingen, manche glücklich. Ich rief noch meine Frau an und verabschiedete mich ein allerletztes Mal. Ich war glücklich, dass sie mich einfach gehen ließ nach Tamera mit den vielen Frauen. Natürlich hatte sie gemerkt, dass es mir nicht gut ging und dass etwas passieren musste.
Obwohl ich ahnte, was passiert, rief ich noch meine Mutter an. Mein Name, meine Stimme am Telefon war das Signal für sie, los zu reden. Geschichten, die sie schon x-mal erzählt hat, Geschichten von Menschen, die ich gar nicht kenne, ein Schwall von Worten, zu denen ich nur ja oder mhmh sagen kann. Wenn ich sie frage, wie es ihr geht, sagt sie knapp gut! und ich weiß, dass sie lügt. Auf die Frage, wie es mir geht, warte ich schon seit Jahren nicht mehr. Ich lüge auch und sage:
„Mama, mein Flug wird gerade aufgerufen.“
„Ja“, sagt sie und erzählt noch schnell von ihrem ersten Besuch bei ihrer Urenkelin und wie schön alles war. Ich lüge weiter:
„Mama, ich muss jetzt da rein.“
„Ja“, sagte sie und redete weiter. Wahrscheinlich ist es die Einsamkeit und die Verzweiflung, dass, wenn jemand zum Reden da war, doch kein echter Kontakt zustande kommt. So bleibt jedes Gespräch unbefriedigend und ist nur ein weiterer Stein auf der trockenen Straße.
Nicht so kompliziert ist es mit meinem Vater. Seit dem Autounfall vor vielen Jahren wohnt er im Himmel und kommt einfach mit. Er liebt den Süden wie ich und das Meer.