Читать книгу Der todgeweihte Prinz - Peter Klein J. - Страница 10

4

Оглавление

Der nächste Tag brach an, und als Loron und Tanelor in Klavans Turmzimmer kamen, fanden sie Klavan müde im Bett vor. Bald hatten die beiden ihn jedoch davon überzeugt, dass er aufzustehen, sich zu rasieren und anzukleiden habe, denn schließlich würde man ihn bald holen kommen. Erstaunt zog Klavan das prächtige blaue Gewand mit den silbrig glänzenden Mustern an, von dem Tanelor behauptete, es sei das für ihn standesgemäße. Hinzu kamen noch ein silberner Umhang und ein paar kräftige, schwarze Lederstiefel, die ihm nach Lorons Aussagen heute sehr nützlich sein würden. Als er sich danach im Spiegel betrachtete, erkannte er sich kaum wieder. Der frühere Klavan musste diese Art von Kleidung wohl gemocht haben. Ein vornehmer Stutzer schaute ihn da an, an dem sich die komplizierte, silbern gemusterte Bestickung glitzernd von dem feinen, tiefblauen Stoff abhob. Aber daran war erst einmal nichts zu ändern. Schließlich hatte sich auch Tanelor in eine edle weiße Robe gekleidet, und selbst Loron hatte sich gewaschen und eine neue Hose sowie ein frisches, weißes Hemd angezogen, neben dem unvermeidlich über der Schulter hängenden Schwert. Dann widmeten sich die drei einem ausgiebigen Frühstück, wobei Loron derart viel Met zu sich nahm, dass es einen kleineren Mann wahrscheinlich umgehauen hätte. Klavan hingegen nutzte die Gelegenheit, um sich von Tanelor auf dem am Tisch hängenden Gemälde seine sechs Mitprinzen und Mitprinzessinnen zeigen zu lassen. So würde er zumindest die Namen kennen. Mit einem von ihnen, Penewor mit Namen, war er Tanelor zufolge sogar verwandt – ein Onkel von ihm.

Bald darauf wurden Klavan und seine Begleiter von Hochritter Gaster und einigen grimmig aussehenden Gardisten in einem Wagen durch den Palast zu der in einem Park gelegenen Arena gebracht. Nur zu ihrem Schutz natürlich, erklärte Gaster. Da die Wagenfenster durch Vorhänge verschlossen waren, konnte Klavan nur am Gegröle der Menge erkennen, dass sie in die Arena gefahren wurden. Loron war schweigsam, vielleicht auch weil sein Atem genug Alkohol enthielt, um die ganze Kutsche zu benebeln. Tanelor jedoch schien das Bedürfnis zu haben, Klavan noch eine Menge zu erklären. Klavan sorgte jedoch mit einem entschiedenen «Schluss damit!» für Ruhe. Er wollte sich lieber nicht verzetteln, sondern alles konzentriert angehen. Sein Kopf brummte ohnehin schon vor fremden Eindrücken, und wenn er noch eine Mütze Schlaf holen konnte, dann würde er das tun. Trotz ihrer gefährlichen Lage.

Plötzlich wurde durch eine Ritze des rechten Seitenfensters, an dem Klavan saß, ein Briefumschlag in das Innere der Kutsche direkt auf seinen Schoß geworfen. Rasch lugte Klavan unter den Vorhang des Fensters. Ein Überbringer des Briefes war jedoch nicht zu sehen, dafür jede Menge Stadtbewohner, die sich grölend um ihr Gefährt drängelten. Die Gardisten hatten deshalb auch alle Hände voll zu tun, um sich einen Weg durch die Menge zu bahnen. Wer auch immer den Briefumschlag gebracht hatte, er hatte den Zeitpunkt optimal gewählt, wenn er nicht erkannt werden wollte.

Tanelor, der alles mitbekommen hatte, schaute fragend auf. Kurz entschlossen öffnete Klavan den Umschlag, und zog einen kurzen Zettel heraus. Darauf stand zu seiner Verwunderung:

Sehr geehrter Herr Klavan,

die unergründlichen Wege der Allmutter

haben Euch wieder Eurem Zweck zugeführt,

und ich versprach Euch den gewünschten raschen Tod.

Ich pflege meine Versprechungen zu halten.

Haltet Euch einfach in der Arena immer rechts,

und Euer Wunsch wird in Erfüllung gehen.

Der Zettel war nicht unterschrieben, und sobald Klavan ihn gelesen hatte, verblasste die Schrift darauf. Zurück blieb ein leeres Blatt Papier. Klavan reichte den Brief an Tanelor weiter, weil dieser die ganze Zeit schon neugierig darauf schielte, und schloss die Augen.

Der Kapuzenheini aus der Drachenhöhle. Eine andere Erklärung war eigentlich nicht möglich. Dieser miese Magier verfolgte also immer noch seine schmutzigen Pläne. Wut kam in ihm auf. Nein. NEIN!

Er würde sich nicht manipulieren lassen. Er würde dem Kapuzenheini einen Strich durch die Rechnung machen. Er würde kämpfen, nicht aufgeben. Oft genug schon war er in seinem Leben fremdbestimmt worden. Diesmal nicht. Schon aus Prinzip diesmal nicht!

Er sah noch, wie Tanelor den leeren Brief achselzuckend entsorgte, dann überfiel ihn endgültig die Müdigkeit und er fiel in einen erholsamen Schlummer, der erst endete, als Gaster sie aus der Kutsche nach draußen holte.

Dort blendete ihn die helle Sonne und er musste die Augen schließen. Er hörte die Stimme vieler Menschen, und ein freundlicher, lauwarmer Wind streichelte Hals und Haar. Dabei stieg ein bisschen Hoffnung in seiner Brust auf. Ein gutes Gefühl.

Klavan wurde jedoch abrupt aus seinen kurzen Träumereien gerissen, als zwei Wachen ihn zwischen sich nahmen, und öffnete unwillkürlich die Augen.

Sie standen in einer riesigen Arena, die aus großen weißen Quadersteinen gebildet wurde. Sie war über und über mit Menschen gefüllt. Nachdem er aus dem Wagen getreten war, waren die Geräusche der Zuschauer für eine Zeitlang gedämpft gewesen, um jetzt mit vermehrter Lautstärke wieder aufzuleben. Klavan konnte erkennen, dass die Menge auf den Zuschauertribünen sich in sieben verschiedenfarbigen Abschnitten aufhielt. Ein achter Abschnitt, dessen Boden mit einer silbernen Farbe bemalt war, war komplett leer. «Dort hätte normalerweise Euer Volk sein sollen», meinte Loron dazu traurig, der Klavans Blick verfolgt hatte.

Sie selbst wurden auf eine Art Hochtribüne in der Mitte der Arena gebracht. Der Raum um sie herum wurde von einem kompliziert anmutenden­ Geflecht von Gängen gebildet, die mittels grauer Steinmauern ein Labyrinth bildeten. Als Klavan zur Tribüne stieg, konnte er die einzelnen Gänge besser erkennen. Von den ebenso erhöhten Zuschauertribünen aus musste das Labyrinth ebenfalls gut einsehbar sein, dachte er. Wenn man in das Labyrinth nicht hineinblicken könnte, hätten die Zuschauer schließlich keinen Spaß an der Sache. Mitten auf der Tribüne erkannte Klavan den Kaiser, der in prächtigen weißen Gewändern gekleidet auf einem großen Thron saß und ihn komplett ignorierte. Um diesen Thron waren sieben kleinere Thronsessel in einem Halbkreis angeordnet, einer davon war silbern und leer. Das war dann wohl seiner.

Ohne zu zögern ging Klavan auf den noch leeren Platz zu und setzte sich. Loron und Tanelor folgten ihm und stellten sich rechts und links hinter ihm auf. Klavan bemerkte, dass auch hinter den anderen Thronsesseln jeweils zwei Personen standen. Die Sekundanten, dachte er.

Klavan konnte von seinem Sitz aus sogar noch die wegfahrende Kutsche erkennen, mit der sie in die Arena gebracht worden waren. Etwa zwanzig Soldaten der kaiserlichen Wache blockierten jetzt den Weg zur Tribüne. Aber, dachte Klavan, eine Flucht kam sowieso nicht in Frage. Er musste sich schon mit den anderen Prinzen und Prinzessinnen auseinandersetzen, von denen ihn einige im Moment äußerst erstaunt musterten. Er warf einen raschen Blick in die Runde:

Alle waren in ihren jeweiligen Farben gekleidet, das machte es einfach. Da waren der braune Urbul und die blaue Shinana, die ihn zu ignorieren schienen. Sein Onkel, der goldene Penelor, flüsterte gerade etwas in Richtung des neben ihm sitzenden schwarzen Borgos. Schließlich die beiden Schwestern, die rote Kerena und die grüne Nirgin, die ihn mit Blicken wie Dolchstöße bedachten.

Klavan wurde schlagartig klar: Für die meisten der Anwesenden ging es nur noch darum, wer es vollbrachte. Sei es, um alte Feindschaften zu befriedigen, oder sei es schlicht, um einen Neuanfang des silbernen Prinzenreichs zu ermöglichen. Vielleicht auch nur, um sich beim Kaiser beliebt zu machen. Oder um die privaten Habseligkeiten des silbernen Prinzen oder irgendwelche Belohnungen zu bekommen. Der Grund war letztlich gleichgültig. Und alle waren ausnahmslos hervorragende Kämpfer. Er steckte wahrlich in der Patsche. Er blickte nochmals aufmerksam Richtung Borgos. Ja, er hatte die Ähnlichkeit schon auf dem Bild gesehen, aber jetzt war er sicher: Interessant! Das war tatsächlich derselbe Mann: Grobian, der ihn am Vortag am Markt verfolgt hatte. Gut, dass er dort vor ihm weggelaufen war. Klavan beschloss, kurzzeitig belustigt, ihn ab jetzt zur Vereinfachung Borgos-Grobian zu nennen.

Plötzlich beschlich Klavan ein unangenehmes Gefühl. Es war, als ob jemand «Wer bist du?» sagen würde, ohne dass er dabei selber etwas gehört hätte. Als wenn sich jemand ihm näherte, auf eine schwer beschreibbare, nicht körperliche Art. Ein geistiges Abtasten, verbunden mit einem gewissen Erstaunen, wie wenn nicht zu finden war, was gesucht wurde. Doch genauso plötzlich, wie es gekommen war, verließ ihn dieses merkwürdige Gefühl wieder. Wahrscheinlich war alles doch nur Einbildung gewesen.

Rechts hinter dem Kaiser stand breitbeinig und mit verschränkten Armen dessen Waffenmeister, Hochritter Gaster. Links hinter ihm befand sich die ehrwürdige Nanala, die als Einzige freundlich seinen Blick erwiderte. Klavan meinte sogar, in ihren unergründlichen Augen so etwas wie Mitleid zu erkennen. Im Hintergrund hielten sich mehrere, einheitlich in blau gekleidete Männer und Frauen mit auffallenden weißen Mänteln auf. In der rechten Hand hielten sie jeweils einen hellen langen Holzstab und an der Seite trug jeder von ihnen ein silbernes Horn.

«Die kaiserlichen Herolde», flüsterte Loron, der seinen Blick bemerkt hatte, hinter ihm.

O.K., das war jetzt aber eigentlich die falsche Zeit für Beobachtungen. Klavan versuchte, weniger auf seine Umgebung zu achten und sich zu konzentrieren.

In der Arena wurde es plötzlich so still, dass man ein Blatt hätte fallen hören. Der Kaiser hatte sich erhoben, hielt sein Zepter in die Höhe und begann zu sprechen. Kurz erzählte er über die Verfassung des Landes und das Verhältnis von Prinzen und Kaiser zueinander sowie über die Bedeutung der Spiele. Diese Zusammenhänge waren Klavan inzwischen schon bekannt. Dann hob der Kaiser erneut das Zepter und befahl Prinzessinnen, Prinzen und Sekundanten an ihre Plätze. Klavan hatte schon zuvor verschiedene, schmale, farbige Treppen ins Labyrinth bemerkt, auf die die Prinzen und die Prinzessinnen samt ihren Sekundanten jetzt zusteuerten. Klavan seinerseits folgte Loron und Tanelor und kam zu einer silberfarbigen Treppe, die mitten in das Labyrinth führte. «Euer Startpunkt», meinte Tanelor. «Ach so, vielleicht erinnert Ihr Euch nicht daran: Wir dürfen Euch nur mit den Händen Signale geben. Also achtet darauf, welche Richtung Loron Euch mit seinen Händen zeigt, er hat die größere Figur. Wir werden versuchen, die Kontakte mit anderen Prinzen möglichst lange hinauszuzögern. Bedenkt aber, auch die anderen Prinzen bekommen von ihren Sekundanten Informationen.»

Kurze Zeit darauf ertönte eine Fanfare aus den Hörnern der kaiserlichen Herolde. Klavan sah, dass der Kaiser diesmal vom Thron aufgestanden war und das Zepter in seiner rechten Hand erneut hoch erhoben hatte.

«Das war das Zeichen für den Beginn», meinte Loron, leicht lallend. «Viel Glück, mein Prinz». Mit diesen Worten wandte er sich von Klavan ab. Klavan konnte aber noch erkennen, dass ihm Tränen in den Augen standen.

Tanelor, der dazugetreten war, fügte sachlich-bitter hinzu: «Ihr werdet es brauchen, heute so sehr wie wahrscheinlich noch nie zuvor. Falls Glück da überhaupt helfen kann ...»

Klavan warf Tanelor noch einen Blick zu. Doch dieser schien ihn jetzt gar nicht mehr wahrzunehmen, sondern starrte kummervoll in die Ferne. «Bis bald», lächelte Klavan seinen Sekundanten zu, um sie etwas aufzubauen. Dann drehte er sich um und schritt langsam die Treppe hinab, wobei er versuchte, sich möglichst viel von dem Labyrinth unter sich einzuprägen. Zu beiden Seiten konnte er erkennen, dass auch die anderen Prinzen ihre Treppen hinuntereilten, jedoch schienen sie sich erstaunlicherweise keine Mühe zu geben, sich Teile des Labyrinths zu merken. Vielmehr schauten sie einfach geradeaus.

Am Ende von Klavans Treppe befand sich ein kleiner Sockel, auf dem ein schlichter, langer Stab sowie ein einfaches Messer lagen. Klavan nahm beide Waffen an sich und führte probeweise mit dem Stab ein bis zwei Lufthiebe durch. Soweit er es beurteilen konnte, war der Stab gut ausgewogen. Er behielt ihn in der rechten Hand und steckte mit der linken das Messer in seinen Gürtel. Dann schritt er entschlossen vorwärts.

Plötzlich ertönten merkwürdige, teils knirschende und teils knackende Geräusche. Klavan drehte sich um. Hinter ihm wuchs eine Mauer empor und versperrte ihm den Rückweg. Auch von weiter vorne kamen Geräusche. Klavan konnte erkennen, dass Teile des vor ihm liegenden Ganges in der Erde verschwanden, an anderen Stellen kamen dafür neue Mauern empor. Dann verstummten die Laute und Klavan wurde klar, dass sich das Labyrinth jetzt komplett verändert hatte. Erstaunt blickte er nach oben auf das Podest, von wo er herkam. Der Kaiser hatte sich von seinem Thron erhoben und beide Hände in die Luft gereckt. Wahrscheinlich war er für diese Veränderung irgendwie verantwortlich. Das hätte ihm ja doch einer von seinen sauberen Beratern vorher sagen können! Aber möglicherweise hatte Tanelor das sogar in der Kutsche versucht.

Nach kurzem Nachdenken besah sich Klavan die Mauern zu beiden Seiten etwas genauer. Sie waren aus grauen, relativ locker aufeinanderliegenden Quadersteinen gefertigt und circa zwei Meter hoch. An der oberen Kante liefen die Steine spitz zu. Es musste zwar mit viel Mühe möglich sein, über eine solche Mauer zu klettern. Oben auf der Mauer entlangzulaufen war aber bestimmt unmöglich. Gut, dass er das wusste, dann brauchte er nicht auf einen Angriff von oben zu achten.

Entschlossen bewegte sich Klavan zunächst von der Tribüne weg, tiefer in das Labyrinth hinein. Er bog zufällig mal links ab, dann wieder rechts, oder er hielt sich geradeaus. Auf keinen Fall nur nach rechts, das hatte er wirklich nicht vor. Nach einigen Kurven, Abzweigungen und Kreuzungen fand er dann schließlich, was er suchte: einen schmalen Weg, der in eine Sackgasse mündete. Die Stelle war von den Zuschauertribünen und der Hochtribüne des Kaisers etwa gleich weit entfernt. Gut. Er warf noch einen Blick zurück. Loron war dabei, ihm mit Händen und Armen zu verdeutlichen, er solle rasch wieder aus der Sackgasse verschwinden. Einige fremde Sekundanten standen in seiner Nähe, beobachteten Klavans Tun und gaben ihren Herren gelegentlich ebenfalls Zeichen.

Klavan war klar, was das zu bedeuten hatte. Tanelor und Loron waren ja der Ansicht, dass es Klavans einzige Überlebenschance sei, ständig vor den anderen Prinzen wegzulaufen. Also viele, möglichst unvorhersehbare Ortswechsel. Solange er nur jeden Kampf vermeiden konnte, würde er auf jeden Fall überleben. Insgeheim war Klavan da jedoch anderer Ansicht.

Eine Weile könnte er wahrscheinlich durch Positionswechsel einem Kontakt mit seinen Mitstreitern aus dem Weg gehen. Es war jedoch sehr unwahrscheinlich, dass ihm das über die gesamte Spielzeit hinweg gelingen würde. Schließlich bekamen seine Gegner ja stets Informationen über seinen Aufenthaltsort. Früher oder später würden sie ihn schon stellen. Zu viele Hunde sind schließlich des Hasen Tod.

Also hatte er sich eine andere Strategie ausgedacht. Wenn er schon kämpfen musste, dann wollte er sich den Platz selber aussuchen. Und so eine enge Sackgasse schien ihm dazu ideal. Von hinten konnte er nicht angegriffen werden, und vor ihm konnte maximal eine Person stehen. Zudem war auf dem engen Raum viel zu wenig Platz für einen normalen Schwertkampf mit einem Langschwert, in dem viele seiner Gegner Meister sein mussten. Das sollte die Chancen etwas zu seinen Gunsten verändern. Außerdem hatte Klavan noch ein paar besondere Verteidigungsideen. Vielleicht entsprachen diese nicht dem hier üblichen Fair Play, aber schließlich ging es um sein Leben.

Nach etwa fünf Minuten hatte Klavan eine der Außenmauern mit seinem Messer nach seinen Vorstellungen vorbereitet, wobei er seine Tätigkeiten mit dem eigenen Körper so abgedeckt hatte, dass die fremden Sekundanten auf der Zentraltribüne davon so wenig wie möglich mitbekamen. Dann setzte er sich in einiger Entfernung vom Eingang auf die Erde und versuchte, sich auf den bevorstehenden Kampf vorzubereiten. Bald würden sie kommen, dachte er, und das war jetzt die Ruhe vor dem Sturm. Er blickte nochmals zu seinen Sekundanten. Loron hatte die Sinnlosigkeit seines Gestikulierens bemerkt und sich zu Tanelor auf die Erde gesetzt. Er und Tanelor schauten traurig und stumm auf Klavan hinab. Als Tanelor erkannte, dass Klavan sie ansah, sagte er etwas zu Loron. Loron stand daraufhin auf und zeigte auf einen Punkt in Klavans Nähe, wahrscheinlich wenige Gänge von Klavan entfernt. Dann zeigte er noch auf fünf weitere Punkte, die aber noch weiter von Klavan entfernt schienen. Dann deutete er wieder auf den Punkt in seiner unmittelbaren Nähe, der sich etwas bewegt hatte, und machte eine Geste, als wenn er ein imaginäres Schwert ziehen wollte. Gut, dachte Klavan, sein erster Gegner war also gleich da.

Klavan erhob sich und nahm seinen Stab in beide Hände. Erwartungsvoll sah er Richtung Eingang, während das Geschrei von den Volkstribünen zunahm. Dort tauchte plötzlich eine braun gekleidete Gestalt auf. Das musste also Urbul sein.

Der andere näherte sich vorsichtig mit gezücktem Langschwert. «Welch ein Vergnügen, ich bin als Erster hier», meinte er und griff direkt mit einem mächtigen, von oben geführten Schlag an.

Klavan wich einen Schritt zurück und ließ den Schlag ins Leere sausen. «Vielleicht können wir uns ja irgendwie arrangieren?», fragte er zaghaft.

«Aber, aber», lachte Urbul, indem er erneut angriff, so dass Klavan weiter zurückweichen musste, «von deinem Tod habe ich im Moment eindeutig das Meiste, das weißt du doch.» Und bei einem weiteren Hieb fügte er hinzu: «Nette Verteidigungsposition hier, wird dir aber gegen mich auch nichts nützen.»

Der Kampf gestaltete sich im weiteren Verlauf recht einseitig. Urbul war ihm eindeutig überlegen, war in seinen Bewegungen deutlich schneller als Klavan. Dieser versuchte, die rasch aufeinanderfolgenden Hiebe von Urbuls Schwert mit dem eigenen Stab zu blocken, so gut er es vermochte, und verzichtete völlig auf eigene Attacken. Dabei ließ er sich mit langsamen Schritten immer tiefer in die Sackgasse zurückfallen. Urbul bedachte ihn derweil mit höhnischen Bemerkungen wie «Wohl etwas eingerostet, wie?» oder «Bei den Frauen warst du aber besser».

Plötzlich und unerwartet sprang Klavan nach einem der wiederholten Angriffe Urbuls vor und führte mit seinem Stab einen Hieb von unten nach oben auf Urbuls Bauch zu. Urbul versuchte überrascht mit seinem Schwert zu blocken. Klavan änderte jedoch während der Bewegung die Richtung seines Hiebes und schlug scheinbar ungewollt gegen die linksseitige Mauer, genau gegen sein dort zuvor hineingestecktes Messer. Urbul erkannte, dass Klavan im Moment ohne Verteidigung war, und stach zu. Schmerzerfüllt schrie Klavan auf und an seinem linken Oberarm begann Blut aus einer tiefen Stichwunde hinabzulaufen. Seine Aktion hatte dennoch ihren Zweck erfüllt. Der zuvor präparierte oberste Mauerstein wurde durch die Hebelwirkung des Messers wie vorhergesehen aus der Mauer gelöst und fiel Urbul auf die rechte vorgestreckte Seite, so dass dieser mit schmerzverzerrtem Gesicht sein Schwert sinken ließ. Schnell schlug Klavan dem momentan Wehrlosen seinen noch erhobenen Stab gegen die Schläfe, bevor dieser reagieren konnte. Betäubt sank Urbul nieder.

Klavan warf sich ebenfalls schnell auf den Boden. Er war fürs Erste einigermaßen zufrieden. Er hatte die Stelle gut gewählt. Aus seiner jetzigen tiefen Position konnte er die Leute auf der Mitteltribüne nicht mehr sehen, zu hoch war die benachbarte Mauer. Dass er dafür von den Volkstribünen aus immer noch sichtbar war, war nicht vorteilhaft. Aber daran konnte er nichts ändern.

Jetzt ging es exakt nach seinem Plan: Rasch tauschte er mit dem bewusstlosen Urbul Kleider und Waffen. Ein bisschen bedauerte er, dass er seinen Stab zurücklassen musste. Aber das ging nicht anders. Dafür nahm er Urbuls Schwert und dessen schwarzen Tragebeutel an sich, den er mit etwas Sand vom Boden der Arena füllte. Eine Zeitlang zögerte Klavan, ob er den bewusstlosen Urbul töten sollte. Er war sich ziemlich sicher, dass Urbul ihn bei umgekehrter Situation nicht verschont hätte. Andererseits ging es gegen seine Grundsätze, andere Menschen, und schon gar wehrlose, zu töten. Also ließ er Urbul einfach liegen. Was für ein Glücksfall, dass gerade Urbul, der wie Klavan dunkle Haare hatte, in seine Falle getappt war. So war nun Teil zwei des gewagten Planes durchführbar geworden.

Die Sekundanten sowie die übrigen Leute auf der Mitteltribüne hatten gesehen, wie Urbul und Klavan fast gleichzeitig verwundet wurden und niedergingen. Jetzt sahen sie, wie der braune Prinz wieder aufstand, mit beiden Händen sein Schwert sowie einen schwarzen, gefüllten Beutel gut sichtbar in die Luft reckte und ein Triumphgeheul ausstieß. Klavan, dem Urbuls Kleider etwas zu groß waren, lachte innerlich auf. Alle auf der Mitteltribüne mussten denken, dass Klavan tot sei und seine linke Hand und sein Kopf jetzt in Urbuls zuvor leerem schwarzen Sack steckten. Jetzt, erst jetzt hatte er wirklich eine Chance. Verlegen schielte er zur Mitteltribüne. Er konnte sehen, wie Loron förmlich an seinem Platz zusammenbrach. Tanelor wandte sich entsetzt von der Arena ab und versuchte krampfhaft, eine Meditationshaltung einzunehmen. Die beiden taten ihm leid, aber er hatte es für zu riskant gehalten, sie in seinen Plan einzuweihen. Fast alle anderen Sekundanten hingegen waren sehr aktiv, rannten hin und her und gaben eifrig Zeichen an ihre Kämpfer weiter, von denen einige wohl schon ganz in seiner Nähe waren.

Klavan musste nicht lange überlegen: Jetzt war es an der Zeit, den eigentlichen Plan von Tanelor und Loron umzusetzen. Er musste unbedingt vermeiden, einem der anderen Kämpfer zu begegnen. Einige von ihnen waren bestimmt in nächster Nähe. Und auch wenn sie ihn jetzt für Urbul hielten, so wusste er doch nicht, ob vielleicht jemand mit dem massigen Urbul noch ein Hühnchen zu rupfen hatte. Außerdem musste er von diesem Ort und dem noch bewusstlosen «echten» Urbul ablenken. Das Klügste war, rasch zu verschwinden, und zwar auf einem möglichst unvorhersehbaren Weg.

Klavan nahm Anlauf und sprang genau an der Stelle der seitlichen Mauer hoch, an der jetzt, nach dem Kampf mit Urbul, der oberste Stein fehlte. Zu seinem eigenen Erstaunen kam er mit seinem Sprung relativ hoch und schaffte es trotz seiner Verwundung, sich an der jetzt flachen und niedrigeren Mauerbrüstung weiter hochzustemmen. Anschließend schwang er seine Beine über die Mauer und ließ sich auf der anderen Seite wieder hinunter. Geschafft, dachte er, jetzt nichts wie weg! Mit schnellen Schritten entfernte er sich nun von seiner Sackgasse, bei Wegkreuzungen immer darauf bedacht, einen ausreichenden Abstand von der Mitteltribüne einzuhalten. Wenn er sich der Mitteltribüne zu weit näherte, bestand schließlich die große Gefahr, dass man ihn an den Gesichtszügen erkennen würde. Dabei schwenkte er den Beutel, der angeblich Klavans Kopf und linke Hand enthielt, deutlich sichtbar mit der Rechten. Er musste schließlich keine Angst haben, dass man ihn wegen dieses Beutels jagen würde. Für die anderen war lediglich Klavans Tod wichtig.

So blieb Klavan nun dauernd in Bewegung und wechselte auch des Öfteren willkürlich seine Richtung. Die Anweisungen von Urbuls Beratern, die wild mit ihren Händen gestikulierten, konnte er schließlich getrost vergessen. Einmal kam er dabei auf einem Weg nahe den Zuschauertribünen vorbei. Das war ungünstig, denn das Publikum hatte nun sehr wohl Möglichkeiten, in das Spielgeschehen einzugreifen. Die empörten Leute, die teils Klavans Kleidertausch mitverfolgt hatten, deuteten auf ihn und schimpften, was das Zeug hielt. Er sah sogar den klassischen Stinkefinger, der wohl überall im Universum gültig war, quasi universal. Wahrscheinlich hatten viele auf seinen Tod gewettet und sahen jetzt ihren Einsatz sausen. Schnell änderte Klavan seine Richtung. Obwohl die erzürnten Gaffer aus dem Publikum ihm nicht ernsthaft schaden konnten, konnten sie ihn dennoch verraten. Und einige der fremden Sekundanten auf der Mitteltribüne schauten schon herüber. Wer weiß, vielleicht kam ja einer auf die richtige Idee?

Also bemühte sich Klavan ab jetzt stets, nicht nur von der Mitteltribüne, sondern auch von den Zuschauern ausreichenden Abstand zu halten. Während er weiterging und aufmerksam in alle Richtungen spähte, ging ihm erneut der Wissenstausch durch den Kopf, zu dem er den Ring in der Nacht zuvor mit Mühe überredet hatte. Zum Glück hatte der Ring nichts von seiner Notsituation gewusst, weil Klavan ihn bis dahin in die Tasche gesteckt hatte. Klavan hatte dem Ring von seinem Wissen den Teil zum Tausch angeboten, von dem er wusste, dass dieses Teilwissen hier auf dieser Welt nicht zu wissenschaftlichen Neuerungen führen konnte. Es handelte sich hauptsächlich um die Sprachen seiner Welt, die er beherrschte. Der Ring hatte sich zusätzlich sehr interessiert an kulturellen Informationen und Philosophie gezeigt. Insbesondere über Letztere wusste Klavan nicht viel, und er wollte sein geringes Wissen auch nicht preisgeben. Nicht auszudenken, wie etwa marxistische Gedanken diese Welt verändern könnten. Kultur hingegen erachtete Klavan für unschädlich. Dafür hatte er nach langer Diskussion dem Ring unter Schwur auf die Allmutter abgetrotzt, Klavan im Stabkampf so viel wie möglich beizubringen und ihn sogar mit magischer Macht auszustatten. Klavan hatte einfach gedacht, dass er mit geballter weltlicher und magischer Macht hier fast alle seine Probleme lösen könnte.

Falsch gedacht! Der Ring hatte sein Wort gehalten und dennoch Klavan betrogen. Die Macht der Magie, hatte der Ring erklärt, sei zwar für jeden erlernbar, aber ausschließlich im Selbststudium. Es gebe wirklich niemanden, der sie einem beibringen könne. Noch nicht einmal ein solch phantastischer Ring wie er selbst beherrsche die Magie, um wie viel hoffnungsloser sei es dann für so einen Anfänger wie Klavan. Auf Klavans empörte Nachfrage hin hatte der Ring erläutert, dass die Möglichkeit zur Ausübung von Magie in dieser Welt mit dem Grad der Selbsterkenntnis einer Person ursächlich zusammenhänge. «Erkenne dich selbst», hatte der Ring hinzugefügt, «dann bist du im Kern der Dinge, dann ist dir die Magie offen. Finde deinen Wahren Namen.» Mehr könne er dazu nicht sagen.

Klavan hatte die Antwort merkwürdig gefunden, wollte schon anfangen zu diskutieren, doch dann entschloss er sich, darauf später noch einmal zurückzukommen. Danach hatten sich die Dinge etwas positiver entwickelt. Klavan hatte Wissen über den Stabkampf verlangt, denn nach Auskunft seiner Berater war ja der Stab die bevorzugte Waffe des vorherigen Prinzen Klavan gewesen. Der Ring hatte Klavan dann die Kenntnisse von drei Großmeistern des Stabkampfs zur Auswahl angeboten, die schon verstorben waren und, wie er meinte, bei ihren Völkern über einen exzellenten Ruf verfügt hatten. Bei den drei Großmeistern hatte es sich um einen Menschen, eine Elbin und einen Zwerg gehandelt. Der Ring empfahl das Menschenwissen und hatte gleichzeitig direkt gewarnt, dass er das Wissen eines solchen Stabkämpfers nicht vollständig übertragen könne, Verluste gebe es wegen der unterschiedlichen Denkstrukturen immer. Außerdem werde es immer eine längere Zeit dauern, bis das fremde Wissen derart in das eigene Wissen integriert sei, dass man es auch vernünftig anwenden könne. Klavan hatte daraufhin das Wissen aller drei genannten Stabkämpfer verlangt, quasi zur Entschädigung für die nicht übermittelten magischen Kenntnisse. Der Ring hatte ihn als einen «ignoranten Idioten» beschimpft und nachdrücklich davor gewarnt. Die Interferenzen, die auftreten könnten, waren seiner Meinung nach katastrophal. Außerdem glaubte er, eine derartig starke Anwendung von Magie würde bei einem Ungeübten wie Klavan nach einiger Zeit wie ein Bumerang zu einem extremen Erschöpfungszustand führen, ein Desaster in seiner eh schon schwierigen Situation. Die Phase der Verhandlungen hatte sich deshalb ganz schön hingezogen. Klavan hatte auf ihr Abkommen verwiesen und der Ring hatte letztlich notgedrungen zuge-stimmt. Der eigentliche Wissensaustausch war dann relativ rasch gegangen.

Die Folgen seiner Gier hatte Klavan in seinem Stabkampf mit Urbul am eigenen Leib erfahren. Er, der eigentlich jetzt doch ein exzellenter Stabkämpfer sein sollte, hatte nur mit Mühe und unter ständigem Zurückweichen Urbuls Attacken standhalten können. Ständig hatte er in seinen Armen und in seinen Beinen einander widerstrebende Impulse verspürt. Wäre er doch nur nicht so gierig gewesen! Und Urbul hatte ihm schließlich eine tiefe Wunde am linken Oberarm zugefügt, die immer noch sehr schmerzte. Wenn er nicht den Trick mit dem losen Quaderstein angewendet hätte, wäre er nach kurzer Zeit von Urbul besiegt worden. Allerdings hatte die Sache mit dem dreifachen Wissen einen Vorteil gehabt, über den der Ring sich vorher ausgeschwiegen hatte. Magie nutzte in dieser komischen Welt offensichtlich Körperspeck als Energiequelle. Und so hatte sich der Ring an Klavans Bäuchlein gütlich getan, um den Wissenstransfer durchzuführen. Natürlich hatte der arrogante Ring es ihm erst hinterher erklärt, aber jetzt war er schlank. Sogar etwas hager. Das zumindest war ihm im letzten Kampf deutlich zugute gekommen, und so hatte er auch einigermaßen flink über die Mauer klettern können. Erstaunlich eigentlich, dass seine Berater ihn am Morgen nicht auf seinen Gewichtsverlust angesprochen hatten. Aber vielleicht waren sie zu sehr mit eigenen Gedanken beschäftigt gewesen, oder sie hatten ihm am Vortag im Schummerlicht des Turms nicht ausreichend gesehen. Wie auch immer, jetzt galt es, sich zu konzentrieren, und Klavan löste sich von seinen abdriftenden Gedanken.

Während er so weiterging, wurde sich Klavan zunehmend seiner Müdigkeit bewusst. Er hatte schließlich in der letzten Nacht wegen der langen Verhandlungen mit dem Ring und des anschließenden Wissenstausches nur wenig schlafen können. Trotzdem musste er jetzt sehr aufmerksam sein, denn jederzeit konnte er einem der anderen Prinzen begegnen und das wäre wahrscheinlich das Aus für ihn. Er warf noch einmal einen Blick zur Mitteltribüne. Loron und Tanelor konnte er nach etwas Suchen unter den Soldaten ausmachen. Loron schien zu weinen und trank aus einer Flasche, die Klavan zuvor nicht bemerkt hatte. Tanelor hielt ihn tröstend fest. Dafür schauten zwei fremde Sekundanten in seine Richtung, beide wild gestikulierend. Das mussten Urbuls Sekundanten sein. Er lächelte säuerlich. Dann schaute er wieder geradeaus. Zu seinem Erschrecken sah er am gegenüberliegenden Ende des Ganges eine in feuriges Rot gekleidete Figur auftauchen.

«Wie wäre es mit einem kleinem Schwertkampf, Bräunling?», erklang eine helle Frauenstimme. «Zieh deine Waffe und wehr dich!»

Genau das hatte Klavan jedoch nicht vor. Noch hielt man ihn schließlich für Urbul, und er hatte nicht vor, das zu ändern. Außerdem hatte er wirklich keine Lust auf einen erneuten Kampf mit einem überlegenen Gegner, auch wenn es sich dabei um eine Frau handelte. Sein schmerzender linker Oberarm reichte ihm bei weitem. Also drehte sich Klavan um und rannte von der roten Prinzessin weg, und zwar mit maximaler Geschwindigkeit. Doch die Dame hinter ihm war mindestens genauso schnell wie er. Indem er mehrfach hintereinander rasch die Richtung wechselte, konnte er jedoch Zeit gewinnen. Kerena – das war, wie Klavan sich erinnerte, der Name der roten Prinzessin – musste schließlich immer erst zu ihren gestikulierenden Sekundanten schauen, bevor sie wusste, in welche Richtung Klavan gelaufen war. Er konnte aber an ihren lauter werdenden Rufen hören, dass sie trotzdem näherkam. «Urbul, elender Feigling, bleib endlich stehen! Sei mannhaft, du Kröte!» Die Dame war nicht nur feuerrot gekleidet, sie schien auch ein heißes Temperament zu besitzen.

Als Klavan mit zunehmender Erschöpfung erneut um eine Kurve bog, sah er in einiger Entfernung im gleichen Gang einen älteren, in strahlendes Gelb gehüllten Mann. Sein Onkel, Prinz Penewor, der Älteste der Prinzenriege, beobachtete ihn mit einem langen Stab in der rechten Hand, als hätte er auf ihn gewartet.

So ein Mist, dachte Klavan, jetzt hatten sie ihn! Halt, es gab vielleicht noch eine Chance! Langsam ging er, sein Gesicht im Schatten haltend, auf Penewor zu. Dieser beobachtete ihn still. Nach kurzer Zeit hörte Klavan Prinzessin Kerena hinter sich keuchend um die Ecke laufen. Aha, die Verfolgungsjagd war für die Dame also auch anstrengend gewesen. Rasch warf er einen Blick nach hinten. Kerena war jetzt etwa genauso weit von ihm entfernt wie Penewor. Schnell rannte Klavan in den schmalen Seitengang, den er gerade noch rechtzeitig entdeckt hatte. Hierbei hoffte er inbrünstig, dass die beiden hinter ihm sich nicht leiden konnten. Einige Gänge weiter hielt er an, um erschöpft nach Luft zu schnappen.

Seine Hoffnung hatte ihn nicht betrogen. Hinter ihm war ein wütender Wortaustausch zu hören, hingegen deutete nichts auf eine weitere Verfolgung. Gut. Im schnellen Schritttempo eilte Klavan vom Ort der vermuteten Auseinandersetzung zwischen Penewor und Kerena fort. Schließlich hatte er keine Lust auf eine Begegnung mit dem Sieger.

Nachdem Klavan nach einigen Irrwegen ordentlich Abstand gewonnen hatte, hörte er unvermutet ein Geräusch von hinten. Rasch blickte er sich um. In etwa zehn Meter Entfernung sah er Nirgin stehen, die grüne Prinzessin, auf einen dunklen langen Stab gestützt, der am oberen Ende spitz zulief.

«Ich habe dich gesucht, Urbul», ertönte ihre Stimme, dunkel und dennoch attraktiv. «Ich denke, wir haben noch eine Rechnung zu begleichen.»

Schnell drehte sich Klavan um, um zu fliehen, doch nach wenigen Metern sowie einer weiteren Kurve konnte er erkennen, dass er sich erneut in einer Sackgasse befand. Abschätzend blickte er zur Mauer hinter sich. Keine Chance! Bevor er auch nur halb die Mauer hinaufgeklettert wäre, hätte Nirgin ihn schon erwischt. Innerlich verfluchte Klavan sein Pech. Das war jetzt schon die dritte Person, die ihm nach seiner Verkleidung als Urbul in der Arena begegnete. Aber möglicherweise war das gar kein Zufall, vielleicht war Urbul unbeliebt. Wie auch immer, Klavan konnte nicht mehr tun, als Urbuls Schwert in die rechte Hand zu nehmen und abzuwarten.

Während Nirgin näher kam, wirbelte sie spielerisch den Stab um ihre Hände. Wenn die Situation nicht so brenzlig gewesen wäre, hätte Klavan den Anblick der dunkelhaarigen zierlichen Frau genossen, die sich da so tänzerisch auf ihn zu bewegte. Sie sah selbst stabschwingend bezaubernd aus. Plötzlich verzerrten sich jedoch Nirgins Züge.

«Klavan!», grollte sie, und nach einem weiteren Augenblick des Begreifens spuckte sie aus. «Rache!»

Auf einmal wirkte die graziöse Tänzerin, die jetzt mit wutentbranntem Gesicht auf ihn zuspurtete, wie ein aus den Legenden entsprungener Racheengel. Kaum hatte sie ihn erreicht, hagelten in schnellem Rhythmus wilde Schläge auf ihn ein, so dass er langsam zurückweichen musste. Nirgin ließ nicht nach in ihren Angriffen und konnte in regelmäßigen Abständen seine mühsam aufrechterhaltene Deckung durchbrechen, ihm schmerzhafte Prellungen an Armen und Beinen zufügen. Klavan verfluchte nochmals innerlich seine Habgier gegenüber dem Ring. Nicht nur, dass er jetzt mit dem Schwert kämpfen musste. Ein Schwert hatte grundsätzlich ja eine gewisse Ähnlichkeit mit einem Stab, das hätte eigentlich einigermaßen klappen müssen. Seine Arme und sein ganzer Körper schienen jedoch unter einem förmlichen Dauerfeuer von gegensätzlichen Befehlen zu stehen. In seinem Kopf konnte Klavan eine fremdartige Stimme hören, die seinen Beinen befahl sich schneller zu bewegen und um den Gegner herumzutänzeln. Das musste das Wissen der Elbin sein. Eine andere Stimme schien seinen Beinen zu befehlen, eher ruhig stehen zu bleiben, kompetent zu blocken und auf eine Gelegenheit zum Gegenangriff zu warten. Das war wohl die Stimme des Menschen. Zu allem Unglück schien die Elbin Linkshänderin gewesen zu sein, während der Mensch den Stab eher rechts gehalten hatte. Die etwas heisere Stimme, die dann wohl dem Zwerg zuzuordnen war, empfahl wiederum alle möglichen hinterhältigen Manöver, die meist von den beiden anderen empört abgelehnt wurden. Das reinste Chaos. Die eine Stimme befahl einen Vorwärtsstoß, die andere einen beidhändigen Hieb, und die Stimme der Elbin, die Klavan noch am sympathischsten war, wollte eine komplizierte Parade durchsetzen. Was schließlich dabei herauskam, war ein Mischmasch aus allen dreien, wobei weder das eine noch das andere richtig ausgeführt wurde. So war er kein Gegner für Nirgin. Immer und immer wieder durchbrach der erstaunlich schnelle Stab der Grünen die Deckung seines Schwerts und fügte ihm unbarmherzig Prellung um Prellung zu. Lediglich den gefährlicheren Hieben konnte er mit Müh und Not ausweichen.

Es kam schließlich, wie es kommen musste: Mit zunehmender Erschöpfung verlor Klavan mehr und mehr die Kontrolle über seine Aktionen. Schließlich stolperte er und fiel hin, in einem unbedachten Augenblick, als sein rechtes und sein linkes Bein einmal mehr widersprüchliche Befehle befolgten. Nirgin setzte zu einem senkrechten Hieb von oben an und Klavan riss in seiner liegenden Position entsetzt das Schwert hoch, um sich zu verteidigen. In einem s-förmig geführten Schlag, den ein Teil von ihm zu erkennen schien, wechselte Nirgin geschickt Schlagrichtung und -ziel, und schlug dem ungläubig zuschauenden Klavan seine Waffe in hohem Bogen aus der Hand. Graziös hob sie ihren Stab dann in einer fließenden Bewegung wie einen Speer zum Stoß hoch über ihren Kopf, mit dem spitzen Ende auf den liegenden Klavan zielend.

In diesem Augenblick schienen ausnahmsweise einen Moment lang Klavans Hände nach einer gemeinsamen Regel zu funktionieren. Während die Rechte an den Gürtel griff, um sein Messer, was er immer noch mit sich trug, so schnell als möglich zu ziehen, griff die linke Hand in den schwarzen Beutel und schleuderte der Gegnerin ins Gesicht, was sie zu fassen bekam. Nirgin ließ sich jedoch nicht ablenken. Eisern nahm sie es hin, dass sie von dem blendenden Sand aus dem Beutel getroffen wurde, und wich keinen Deut zur Seite. Nirgin ließ ihren Speer-Stab auf Klavans Brust zuschnellen. Noch einmal konnte Klavan parieren. Sein Messer, gerade erst gezogen und der Wucht des hölzernen Speeres nicht gewachsen, wurde ihm bei dieser Attacke jedoch aus der schmerzenden Hand geprellt. Mit verbissenem Ausdruck hob Nirgin erneut ihren Speer, um Klavan endlich zu töten. Da ertönte plötzlich, über den empörten Aufschrei aus unzähligen Zuschauerkehlen hinweg, der Klang einer Hornfanfare.

Nirgin hielt mühsam im Stoß inne und zischte: «Du hast noch einmal Glück gehabt, Mörder. Aber du wirst mir nicht entkommen.» Dann spuckte sie ihn an, wandte sich mit einer verächtlichen Bewegung ab und entfernte sich rasch.

Zitternd und leicht schwankend stand Klavan auf. Er war sich darüber im Klaren, dass er gerade noch mit dem Leben davon gekommen war. Sein gesamter Körper schmerzte. Unzählige Prellungen verzierten Arme und Beine, und auch seine Armwunde aus dem Gefecht mit Urbul war erneut aufgebrochen. Zudem war er total übermüdet von den nächtlichen Verhandlungen mit dem nervigen Ring. Aber er lebte, und das war vorerst alles, was zählte. Ein triumphales Gefühl durchfloss ihn plötzlich, und er streckte die rechte Faust nach oben und schrie gellend auf. Es war ein richtig befreiender Schrei, der weit durch die Arena gellte. Er hatte es allen gezeigt, allen vorweg dem eingebildeten Kapuzenheini. Und auch Loron und Tanelor würden überleben. Schon alleine das war es wert gewesen.

Plötzlich senkten sich, begleitet wiederum von knirschenden Geräuschen, einige Wände des Labyrinths. Kurze Zeit danach stand einer der blau-weiß gekleideten kaiserlichen Herolde vor ihm und meinte schlicht: «Folgt mir».

Klavan folgte dem Herold, so gut er konnte, zur silbernen Treppe und schleppte sich auf seinen Stuhl. Jetzt war seine hastige Verkleidung als brauner Prinz hinfällig und er hatte die volle Aufmerksamkeit seiner Mitprinzen, fühlte nachdenkliche, teils besorgte Blicke auf sich ruhen. Recht so! Er schaute zu Nirgin, doch diese blickte lediglich düster zu Boden. Ein seltsamer, nicht einfach zu deutender Blick kam von Urbul, der sich in Klavans blau-silbrigen Klamotten sichtlich unwohl fühlte. Fast alle seine Mitspieler hatten deutlich erkennbare Prellungen und Wunden vom Aufenthalt in der Arena davongetragen. Kerenas Gesicht zierte ein dickes blaues Auge. Offensichtlich war es heftig zur Sache gegangen. Nur Penewor schien einigermaßen unversehrt.

Dann sah er auf den Kaiser. Dieser war in ein Gespräch mit der ehrwürdigen Nanala verstrickt, die dabei in den Himmel deutete. Klavan blickte nach oben. War das möglich? Er meinte, hoch am Himmel die schwarzen Umrisse eines Vogels zu erkennen. Eines Vogels?

«Ein Drache, mein Prinz. Man sieht sie hier selten.»

Tanelor. Klavan drehte sich um und blickte auf seine Sekundanten.

Stumm hatten sie sich beide hinter ihm aufgestellt, er hatte es gar nicht bemerkt. Doch er konnte eine Menge aus ihrer Haltung und ihren Gesichtern herauslesen. Etwas Unglaube, ja. Aber auch Freude. Einen gewissen Stolz. Und noch etwas Neues. Es war – ja, es war tatsächlich ein Funken Hoffnung.

«Was macht der Drache hier?», wollte er ängstlich wissen und dachte an den gestohlenen Ring, der sicher in seiner Tasche steckte.

«Wahrscheinlich will er nur beobachten, er kreist schon eine ganze Zeit über uns. Drachen haben sehr gute Augen», erwiderte Tanelor und ergänzte: «Keine Angst, er kann uns nichts tun. Hier sind zu viele Kämpfer und Magier versammelt.»

Vorerst beruhigt, wandte Klavan sich zurück, um sich nochmals die Gesichter seiner ehemaligen Gegner einzuprägen. Stolz stellte er rückblickend fest, dass er, bis auf die blaue Prinzessin Shinana und den stämmigen schwarzen Prinzen, Borgos-Grobian, jedem der anderen Mitkämpfer begegnet war und trotzdem überlebt hatte. Und das, obwohl er den anderen vom Kämpferischen her klar unterlegen war. Unglaublich, wie schnell seine Gegner gewesen waren.

Aber viel Zeit zum Nachdenken blieb ihm nicht. Ein kaiserlicher Herold stand vor ihm und befahl ihn zum Kaiser. Mühsam stand Klavan auf und folgte dem Herold.

Hinter sich hörte er Loron rufen: «Bleibt stark, mein Prinz!»

Dann stand er vor dem kaiserlichen Thron. Der Herold bedeutete ihm, auf die Knie zu fallen, und Klavan folgte langsam seiner Aufforderung, während er seine schmerzenden Glieder innerlich verfluchte. Diese Nirgin hatte ihn ganz schön zugerichtet.

Der Kaiser musterte ihn eine Zeit lang nachdenklich und missmutig. In der Arena verstummten die Geräusche. Klavan begann zu ahnen, was jetzt kommen würde. Dann hob der Kaiser sein Zepter und verkündete mit lauter Stimme: «Kraft meines Amtes als Kaiser und der von der Allmutter gesegneten Verfassung erkläre ich Klavan, den silbernen Prinzen, für vogelfrei. Wer immer dich tötet und mir deine Hand bringt, wird 1000 Goldstücke aus der kaiserlichen Schatzkammer erhalten, zusätzlich zu deinem persönlichen Hab und Gut.» Er machte eine kurze Pause, als überlege er etwas, und fuhr dann fort: «Aber ich will Gnade walten lassen, weil du rücksichtsvoll zu Urbul warst. Daher soll für dich dasselbe wie für jeden neuen Prinzen gelten. Erneuere dein Reich und richte deine Burg wieder auf. Ich gebe dir hierfür einen Monat Zeit. Schaffst du das, so werde ich dich zu mir rufen, um den Bann von dir zu nehmen. So wahr mir die Allmutter helfe.»

Mit diesen letzten Worten führte der Kaiser sein Zepter nach unten und berührte Klavans linken Handrücken. Klavan spürte einen starken brennenden Schmerz und schaute erschrocken auf seine Hand. Die Krone auf seinem linken Handrücken hatte sich schwarz verfärbt. Na klar! Das benötigte keine weiteren Erklärungen.

Der Kaiser hatte sich inzwischen wieder gesetzt und sprach in leisem Ton zu Klavan: «Ich gewähre dir zudem die üblichen drei Tage Schutz in dem Turm des silbernen Prinzen in meinem Schloss. Hast du bis dahin mein Schloss nicht verlassen, so werde ich mit Freuden Gaster anweisen, dich zu töten und dadurch die Ruhe in meinem Königreich endlich wiederherzustellen.»

Klavan nickte mit dem Kopf und erhob sich. Unsicher ging er auf seinen Stuhl zurück. Seine Wunden schmerzten stark, insbesondere im Bereich des linken Oberarms, und dazu kam jetzt auch ein schon fast vertrauter Schmerz auf dem linken Handrücken. Dann wurde ihm plötzlich schwarz vor Augen und er verlor die Besinnung.

Der todgeweihte Prinz

Подняться наверх