Читать книгу Der todgeweihte Prinz - Peter Klein J. - Страница 9

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Als Klavan wieder Herr seiner Sinne war, blieb ihm keine Möglichkeit mehr, sich bei Nanala zu bedanken. Gaster hatte sich breitbeinig vor ihm aufgebaut und deutete anklagend auf seine linke Hand. Klavan folgte seinem Blick.

Von der ehemaligen Brandwunde des Drachen war nur noch eine Narbe übrig. Eine Narbe? Was Klavan zu seiner Verwunderung auf seinem linken Handrücken sah, war eine kleine, in silberner Farbe tätowierte Krone.

Klavan sah erstaunt auf.

«Damit wäre die Identifizierung wohl einwandfrei», bemerkte der Hochritter grimmig.

Ohne weitere Worte marschierte er aus dem Tempel. Seine beiden Soldaten folgten ihm, Klavan unverändert in ihrer Mitte haltend.

Draußen angekommen, schloss die vor dem Tempel wartende Eskorte auf und es ging weiter durch die Stadt. Auf Klavans Fragen, was das alles zu bedeuten habe, gaben weder Offizier noch Soldaten ihm eine Antwort. Schließlich gelangte die Gruppe in einen von einer Mauer umgebenen Park. Am Eingangstor patrouillierten Soldaten in gleicher Uniform wie diejenigen, die Klavan begleiteten. Nach einer kurzen, landestypischen Begrüßung mit der linken Hand ging es weiter. Diesmal konnte Klavan auch die Grußformel mithören: «Möge dein Innerer Atem tief sein!» Was für ein merkwürdiger Gruß.

Klavan schaute aufmerksam hin, um zu sehen, ob auch der Kommandeur ein Zeichen auf seinem Handrücken hatte, so wie Nanala und er selbst. Zu seiner Enttäuschung war dort aber nichts zu sehen. Jedoch entdeckte Klavan, dass der Hochritter an seinem linken Mittelfinger einen silbernen Ring mit einer breiten Siegelplatte trug, auf der sich vier kleine eingravierte Schwerter befanden, welche beim Grüßen gut sichtbar wurden. Als er sich umschaute, sah Klavan, dass die anderen Soldaten ähnliche Ringe trugen, welche jedoch im Gegensatz zu dem Offiziersring nur mit einem oder zwei Schwertern markiert waren. Interessant, dachte Klavan. Und da er sonst nichts zu tun hatte, beobachtete er auf dem langsam ansteigenden Weg durch den Park die entgegenkommenden Leute. Viele der älteren Leute trugen einen Ring am linken Mittelfinger, einige wenige davon sogar einen ähnlichen zweiten Ring am Ringfinger. Jedoch konnte Klavan die eingravierten Symbole schlecht erkennen. Offensichtlich also Rangzeichen, dachte Klavan. Schwerter für das Militär, die Blume für die Priesterin, die Krone, ja wofür zum Teufel stand eigentlich seine Krone? Für wen hielten ihn die Soldaten?

Während er noch überlegte, näherte sich die Gruppe einem großen, weißen Gebäude mitten im Park. Nach oben hin waren schlanke, ebenfalls weiße Türme zu erkennen, welche spitze, golden glänzende Dächer trugen. Ein Schloss, ein prachtvolles Schloss! Und auf den Türmen wehten bunte Fahnen im Wind. Wind! Er erinnerte sich: etwas Positives, etwas, das er mochte. Tatsächlich spürte er, wie gut es ihm tat, wenn der Wind ihm ins Gesicht wehte, so wie hier, und Klavan vergaß für einen Moment das Gefährliche seiner Situation, genoss den Wind und bewunderte das Schloss, das derart schön und harmonisch aussah, als ob es aus einem Märchenbuch stammte.

Der Anblick der Wachen am Schlosseingang holte Klavan jedoch wieder aus seinen Gedanken zurück. Sie ließen die Gruppe wie zuvor nach kurzem Gruß und Wortwechsel mit dem Hochritter passieren. Es ging weiter durch einen mit Blumen bewachsenen Innenhof und mehrere kleinere Räume, die alle mit kostbarem Stuck schön verziert waren. Kunstvoll verlegte Bodenkacheln und prächtige Wandteppiche ließen auf den Reichtum und Geschmack des Besitzers schließen.

Schließlich betraten sie eine größere Halle, die besonders vielfältig geschmückt war. Von den Wänden hingen zahlreiche Teppiche mit Jagd- und Kampfszenen, in den Nischen standen vergoldete Kerzenhalter und am Boden befand sich ein fein gemustertes buntes Mosaik. Ein Hauch von Herrschaftlichkeit hing in der Luft, und obwohl Klavan nach den vorangegangenen Räumen mit so etwas gerechnet hatte, musste er unwillkürlich den Atem anhalten. Ja, so sah ein Thronsaal aus. Und wirklich, am Ende der Halle saß auf einem über und über mit Schnitzereien verzierten und vergoldeten massiven Stuhl ein älterer, in ein leuchtend weißes Gewand gehüllter Mann, der in ein Gespräch mit mehreren anderen, den Thron umstehenden Personen vertieft war. Das musste der Kaiser sein, ein Mann mit Urteilskraft, den er vielleicht von seiner misslichen Lage überzeugen könnte! Etwas Hoffnung keimte in Klavan auf.

Auf einen Befehl Gasters hin näherte sich die Gruppe langsam dem Thron. Dort verstummte das Gespräch und die Leute machten den Soldaten Platz. In respektvollem Abstand vom Thron fielen der Offizier und seine Soldaten auf die Knie nieder. Klavan hörte ein grobes «Knie nieder vor deinem Kaiser!» und wurde ebenfalls auf die Knie gestoßen.

«Mein gnädiger Kaiser, möge Euer Innerer Atem tief sein. Seht, wen wir euch hier bringen. Wir haben ihn in den Straßen gefunden und mussten ihn gewaltsam zum Mitkommen überreden. Sein linker Handrücken war bis zur Unkenntlichkeit verbrannt, so dass wir ihn von der ehrwürdigen Nanala zur sicheren Identifizierung haben heilen lassen müssen.» Mit diesen Worten zog Gaster brutal Klavans linken Handrücken nach oben.

Die umliegenden Gespräche verstummten unheilvoll, und Klavan nutzte die Ruhe, um sich den Mann auf dem Thron genauer anzusehen. Der Kaiser hatte breite Schultern und war von etwa mittlerer Größe. Die Jahre hatten ihre Spuren auf seiner Haut und in seinen dunklen Augen hinterlassen, wie der Wind an einem Berg. Dennoch drückte sein Gesicht unverkennbar Kraft und Güte aus. Der zuvor sanfte Ausdruck hatte sich jetzt jedoch zu einem mehrdeutigen Lächeln verändert. «So eine Überraschung! Du wolltest wohl rechtzeitig zu den Spielen morgen da sein? Welch ein Glück, dass wir dir dabei behilflich sein können.»

«Da liegt eine Verwechslung vor, edler Kaiser», unterbrach Klavan. «Ich bin in diesem Land noch nie zuvor gewesen und ...»

«Gib Ruhe!», fiel ihm der Kaiser gefährlich sanft ins Wort. «Andere in deiner Situation haben wahrlich schon klügere Ausreden gehabt. Wir werden uns morgen früh zu den Spielen wiedersehen. Und um dir auch diese falsche Hoffnung zu nehmen, wir haben selbstverständlich auch die beiden erforderlichen Sekundanten für dich hier.» Und zu Gaster gewandt befahl der Kaiser: «Bringt ihn in den Turm und lasst ihn nicht wieder fort!»

Der Hochritter nickte stumm, und auf ein leises Kommando von ihm wurde Klavan weggebracht, seinen Protesten zum Trotz.

Aber Klavans Neugierde war geweckt. Während er so fortgeführt wurde, analysierte er schnell seine merkwürdige Situation. Der Hochritter war ganz offensichtlich ein Mann, der einen Befehl wörtlich nahm. Sein unterwürfiges Verhalten beim Kaiser war der beste Beweis. Ein getreuer Diener seines Herrn, der sein eigenes Gehirn nur in dessen Sinne benutzte. Klavan brauchte erst gar nicht zu versuchen, zu fliehen. Solange Gaster in der Nähe war, war die Sache aussichtslos. Daher konnte er die Wanderung an die Schlucht auch erst einmal vergessen. Unglaublich, wie sein Pech ihn immer wieder einholte. Er war – wahrscheinlich – in einer fremden Welt und wurde hier offensichtlich für jemand anderen gehalten. Und dieser andere schien irgendein Verbrecher zu sein, wahrscheinlich kam er jetzt in den Kerker. Wenn er nur jemanden von seiner wahren Identität überzeugen könnte, vielleicht gelänge ihm dann ja die Flucht. Das musste er unbedingt versuchen. Trotz des komischen Symbols auf seiner Hand. Diese «Spiele» am morgigen Tag, von denen der Kaiser gesprochen hatte, die wollte er wirklich nicht mitmachen, die erzeugten jetzt schon ein mulmiges Gefühl in seinem Bauch.

In der Zwischenzeit hatten sie sich einem der schlanken weißen Türme genähert. Auf dem goldenen Dach wehte eine blaue Fahne, auf der Klavan bei näherem Hinsehen eine silberne Krone ausmachen konnte. Vor der Turmtür waren sechs der üblichen Wachposten platziert, die jedoch deutlich aufmerksamer wirkten als die anderen Wachen und den Hochritter respektvoll grüßten. Der voraneilende Gaster hielt vor der verschlossenen Tür an und schlug so lange energisch dagegen, bis sich zögerlich eine Sichtluke an der Tür öffnete.

Wenngleich er selbst nicht beachtet wurde, da er im Hintergrund stand, konnte Klavan das Gesicht hinter der Sichtluke gut erkennen. Es war länglichschmal, fein geschnitten und wurde von dunklen, nahezu schwarzen Haaren umrahmt. Die etwas eingefallenen Wangen, der müde Blick und die dunklen Ringe um die braunen Habichtsaugen ließen auf einen erheblichen Schlafmangel schließen. Trotzdem waren die Haare sorgsam über die Ohren gekämmt, und der Mann war offensichtlich so gut rasiert, dass Klavan noch nicht einmal die Spuren von Barthaaren entdecken konnte.

Der Fremde musterte Gaster ängstlich und fragte mit unsicherer Stimme: «Was kann ich diesmal für Euch tun?»

«Macht schon auf, Tanelor», erwiderte Gaster unwillig. «Ihr wisst, ich will weder Euch noch dem armen Loron etwas Übles. Ich tue nur meine Pflicht. Ich habe sogar eine freudige Überraschung für euch dabei.»

Der mit «Tanelor» Angesprochene blinzelte nervös mit seinem rechten Auge. Während er sichtlich überlegte, verlagerte sich das Augenblinzen mehr und mehr nach unten und wurde zu Klavans Erstaunen ein richtiges Zucken an der rechten Oberlippe, ein mehr als deutliches Zeichen seiner Unsicherheit. Dann schloss Tanelor die Sichtklappe der Tür. Klavan hörte es mehrfach metallisch klacken, als wenn einige Schlösser und Riegel geöffnet würden. Die Tür schwang auf und Klavan wurde von dem Gardisten in einen schlichten Raum mit Steinboden, kleinen Fenstern und einigen Kisten am Rand geschoben, der offensichtlich als Lagerraum diente. Er war allein mit dem in den hinteren Bereich zurückgewichenen Tanelor, der in einer ersten Reaktion mit ängstlich geweiteten Augen die Hände abwehrend emporgehoben hielt. Der Gardist zog hinter Klavan die Tür wieder zu und ein metallisches Geräusch erklang, als von außen ein Riegel vorgelegt wurde. Also gefangen, dachte Klavan. War ja klar. Am besten, er nutzte die Situation, um die Musterung seines Mithäftlings zu vervollständigen. Vielleicht konnte dieser ihm ja irgendwie helfen?

Passend zum Gesicht handelte es sich um einen großgewachsenen, schlanken Mann mit langen, mageren Armen und Beinen. An den Füßen trug er bequem ausschauende, praktische Pantoffeln. Darüber fiel eine weit geschnittene Hose aus einem einfarbigen, dunkelblauen und seidenartigen Stoff, die von einem schmalen, dunkelroten Gürtel gehalten wurde. Das locker sitzende Hemd war aus dem gleichen seidigen Stoff und verdeckte ein kleines Bäuchlein, das nicht so recht zu der ansonsten eher hageren Figur zu passen schien und auf einige vorangegangene gute Mahlzeiten deutete. Obwohl fehlende Muskeln und Speck gut übertüncht waren, konnte Klavan sich nicht des Eindrucks erwehren, dass diesem Mann etwas Sport gut tun würde. Eher der Typ des Denkers und Grüblers also, dachte Klavan. Nichtsdestotrotz war der erste Gesamteindruck der eines edlen Mannes mit sicherlich ungewöhnlich gutem Geschmack hinsichtlich seiner Kleidung, eines Mannes, der nicht nur während des Gesprächs mit dem Gardisten, sondern auch jetzt noch ausgesprochen ängstlich und unsicher wirkte.

Klavan kam unwillkürlich ins Sinnieren. Er war Menschen wie Tanelor schon früher begegnet, und sie erzeugten bei ihm zwiespältige Gefühle. Nicht nur, dass er selbst sich niemals so schick gekleidet hatte. Vielmehr vermögen nur sehr sorgfältige und sehr disziplinierte Menschen, trotz offensichtlicher Übermüdung ein solch geordnetes und intaktes Äußeres aufrechtzuerhalten. Ein alter Schulfreund hatte zu dieser Sorte Mensch gehört, und es war die Sorte von Menschen, die sich oft betont sachlich gaben, stets um eine sorgfältige Maske bemüht waren, aber in ihrem Inneren doch etwas Zerbrechliches hüteten. Ihre Gespräche handelten meist von Wirtschaft oder Politik, berührten fast nie persönliche Dinge. Wahrscheinlich versuchte Tanelor über das wohl angezogene Äußere nur seine eigene Ängstlichkeit zu kaschieren.

Klavans Gedanken wurden durch einen überraschten Ausruf Tanelors unterbrochen: «Herr, Ihr seid es, ein Wunder, Ihr habt doch überlebt. Möge Euer Innerer Atem tief sein!»

Rasch fiel Tanelor auf die Knie, was aufgrund seiner bis auf das kleine Bäuchlein schlanken Figur recht schlaksig aussah, und sah Klavan müde und froh in die Augen.

«Steht bitte auf, mein Herr», entgegnete Klavan, den eine solche Aufmerksamkeit sichtlich verlegen machte. «Hier muss ein Missverständnis vorliegen.»

Tanelor blickte ihn verwirrt an und erhob sich umständlich.

Da brach es aus Klavan heraus. Das alles war zu viel für ihn gewesen. Und alles an einem Tag. Er fiel seinerseits auf die Knie und flehte den überraschten Fremden an: «Bitte helft mir, Tanelor, oder wie auch immer Ihr heißen möget! Bitte, bitte helft mir!» Und dann sprudelte die ganze Geschichte aus ihm heraus: die Schlucht, die Versetzung in eine fremde Welt, die Drachenhöhle mit dem garstigen Kapuzenmann, seine Flucht, die fremde Stadt, der herrliche Gesang der bedauernswerten Laleia, Gaster, die Priesterin, der Kaiser, und jetzt das hier. Nur die Sache mit dem unverschämten Ring ließ er aus, biss sich noch rechtzeitig auf die Lippen. Tanelor hörte ihm mit wachsendem Entsetzen, das sich in seinem Gesicht malte, zu, unterbrach ihn aber nicht, ließ ihn einfach ausreden. Und Klavan machte reichlich davon Gebrauch. Das tat richtig gut. Nach und nach wurde er wieder ruhiger, fühlte sich zwar erschöpft, aber innerlich ausgeglichener.

«Um der Allmutter willen!», meinte Tanelor dann. «Es tut mir so leid, mein Prinz.»

«Ich bin doch nicht Euer Prinz. Habt Ihr mir denn gar nicht zugehört?»

«Doch, natürlich. Das habe ich», entgegnete Tanelor, und eine Woge von Bedauern schwang in seiner Stimme mit. Sein Mundwinkel fing wieder an zu zucken. «Ich habe verstanden, was Ihr denkt, was Ihr wärt. Kein Prinz, sondern aus einer anderen Welt. Durch ein Missgeschick hierher versetzt.»

«Genau», meinte Klavan und schöpfte etwas Hoffnung.

«Ich nehme an, Ihr könnt Euch auch nicht an Eure Zeit als Prinz erinnern?»

«Natürlich nicht! Ich war doch nie Prinz!»

«Doch, das wart und das seid Ihr!» Unendliches Mitgefühl lag diesmal in seiner Stimme. «Ihr seid Klavan, der silberne Prinz. Einer der sieben. Etwas hat Eure Erinnerungen verfälscht. Das Einzige, was wahrscheinlich stimmt, ist, dass Gaster Euch gefunden und hierher gebracht hat. Mir und Loron ist es ebenso ergangen.»

«Der Hochritter hat auch Euch hierhin gebracht?»

«Ja. Wenn der Kaiser etwas Besonderes will, dann schickt er meistens Gaster aus. Der verbohrte Kerl ist derart gut mit dem Schwert, dass Widerstand zwecklos ist. Auch Loron hatte keine Chance gegen ihn, obwohl er bei seiner Festnahme», Tanelor rümpfte die Nase, «wie ein Berserker um sich geschlagen haben soll und Gaster sogar ein blaues Auge verpasst hat.»

Bei dem Gedanken an Gasters geschwollenes Auge musste Klavan unwillkürlich lächeln. Diesen Loron wollte er mal kennenlernen, der war ihm jetzt schon sympathisch.

Doch Tanelor fuhr fort: «Mein Prinz, bevor wir getrennt wurden, kämpften wir in einer Schlacht, gegen eine große Übermacht von Feinden. Bei unseren Feinden war auch ein sehr mächtiger Magier, viel mächtiger als ich selbst. Ich habe seinen Namen nicht herausbekommen, er wurde lediglich ‹Der Dunkle› genannt. Dieser Dunkle kämpfte auf eine unfaire Art, er griff die geistige Integrität, die Persönlichkeit eines Menschen selber an. Wahrscheinlich hat er Euch geschadet, hat Euch den Zugang zu Euch selbst versperrt. Dazu kommt, dass Ihr mehrere Schläge auf den Kopf erhalten habt. Glaubt mir, Ihr seid nicht mehr Ihr selbst, Ihr seid verwirrt.»

«Aber ich kann mich doch noch sehr gut an meine Vergangenheit erinnern», unterbrach ihn Klavan.

«Ja, eine Vergangenheit aus einer anderen Welt», meinte Tanelor traurig. «Glaubt mir. Ich bin ein Magier, zumindest ein Magier gewesen. Ich sollte es wirklich wissen. Es gibt keine anderen Welten, das ist Unfug. Aber es gibt Träume. Seht es einfach als einen Traum an. Jetzt seid Ihr wieder wach. Diese dumme Phantasie mit dem Drachen ist nur ein Erklärungsversuch Eures Ver­standes. Ich habe schon von solchen Fällen gehört. Seht, Ihr tragt auch das Zeichen des silbernen Prinzen auf der Hand. Das magische Bestimmungsmal lässt sich nicht so einfach kopieren, das kann nur der Kaiser selbst!»

Tanelor deutete auf die silberne Krone auf Klavans linkem Handrücken, diese merkwürdige Tätowierung, die sich nach der Heilung durch die Priesterin Nanala gezeigt hatte.

Klar, da war eine silberne Krone. Aber ein Traum? Sollte er seine ganze Vergangenheit als Traum ansehen? Einen Moment lang zweifelte Klavan. War das wahr? Aber dann kam ihm ein Gedanke. Er griff mit der rechten Hand in seine Hosentasche. Ja, da fühlte er den Gegenbeweis!

«Unglaublich, werter Herr, einfach unglaublich. Wie konntet Ihr mich nur ausziehen? Mich, den wertvollsten Ring, der je geschaffen wurde. Mich, den Einen Ring. Unerhört!», hörte Klavan sofort die Stimme des unverschämten Rings in seinem Kopf schimpfen. «Bestimmt habt Ihr uns bis über beide Ohren in Schwierigkeiten gebracht, Ihr kennt diese Welt doch gar nicht. Aber großzügig, wie ich bin, werde ich ...»

Rasch zog Klavan die Hand wieder aus der Tasche, ließ den Ring aber dort, wo er war. Diesmal hatte er darauf geachtet und hatte es deutlich gemerkt: Sofort, als er den Ring angezogen hatte, hatte er einen geringen Druck im Kopf gespürt, der jetzt wieder weg war. Mit dem Ring würde er sich später beschäftigen.

Also doch kein Traum. Seine Erinnerung war wahr. Wenn es den unverschämten Ring gab, dann auch die Drachenhöhle und den ganzen Rest. Wenn also etwas ein Traum war, dann höchstens diese ganze Welt. Aber einen so langen und zusammenhängenden Traum hatte Klavan noch nie erlebt. Es blieb dabei: Am wahrscheinlichsten war, dass er wohl wirklich in eine andere Welt versetzt worden war.

Aber er hatte nicht den Eindruck, dass selbst der Ring Tanelor von seiner Meinung abbringen könnte. Zu überzeugt hatte Tanelor gesprochen. Vielleicht war es besser, wenn er erst einmal so tat, als ob er zustimmte.

«Nur mal angenommen, ich würde Euch glauben», begann Klavan vorsichtig. «In was für einer Situation befinde ich mich dann im Augenblick? Bitte helft mir. Tut einfach so, als wüsste ich nichts, als ob diese ganze Welt komplett fremd für mich wäre.»

«Das wird schwierig, aber ich werde es versuchen», antwortete Tanelor verzagt und wandte sich zur Treppe. «Lasst uns aber erst nach oben gehen, hier wird es mir langsam ungemütlich.»

Im ersten Stockwerk gab es mehrere Türen. Aus einer davon kam ein lautes Schnarrchen, und Tanelor warf einen kurzen, strafenden Blick auf die Tür, um Klavan dann weiter nach oben zu führen. Klavan schwieg und folgte ihm in das zweite Stockwerk des Turms, in dem sich der Magier offensichtlich eingerichtet hatte. Es sah aus wie in einer Schreibstube. Regale mit Büchern bedeckten die Wände, und es gab ein schlichtes Bett und einen Schreibtisch. Tanelor ging zu einer Truhe und nahm von dort mehrere Getränke sowie Brot und ein Stück Käse mit. Das nächste Stockwerk entpuppte sich als leer und offensichtlich unbewohnt. Das vierte und oberste Stockwerk schließlich war vornehm eingerichtet. Neben einer Sitzecke mit Tisch und Stühlen befanden sich hier noch ein Himmelbett sowie einige mit Schnitzereien versehene Schränke und Truhen. Von den Fenstern hatte man nach allen Seiten einen guten Ausblick auf das Schloss und den umliegenden Park, und an den Wänden hingen einige Bilder in schwungvollen Rahmen.

«Hier lässt sich bestimmt gut speisen», meinte Klavan unwillkürlich.

«Ihr hattet schließlich schon immer einen guten Geschmack, mein Prinz», erwiderte Tanelor.

«Jetzt setzt Euch erst einmal hin und esst. Ihr seht ja richtig ausgehungert aus», meinte Tanelor. Das ließ sich Klavan nicht zweimal sagen, denn er hatte nach dem anstrengenden Tag mächtigen Hunger. Auch Tanelor schien noch nicht gespeist zu haben und leistete ihm Gesellschaft.

Plötzlich hörte Klavan ein lautes Fluchen und jemand polterte die Treppe hinauf:

«Tanelor, du mieser Spielverderber, du alte Magierkröte, wo hast du mein Bier versteckt? Soll ich denn verdursten? Außerdem ist es gut gegen die Kopfschmerzen von der Prügelei mit dem eingebildeten Gaster. Du gönnst einem ja gar nichts. Wenn ich dich in die Finger kriege, werde ich ...»

Ein wahrer Hüne von einem Mann stürmte in den Raum. Er war etwa ein bis zwei Köpfe größer als Klavan und musste sich bücken, um überhaupt durch die Tür zu kommen. Seine Kleidung wirkte schlicht und einfach. Die Füße steckten in breiten Lederstiefeln, die vom langen Laufen schon ziemlich abgewetzt waren, aber offensichtlich von ihrem Besitzer so geschätzt wurden, dass er sie selbst im Haus trug. Eine dunkle Hose, gehalten von einem breiten, ledernen Gürtel, wurde nach oben hin ergänzt von einem etwas helleren, unordentlich in die Hose gestopften Hemd, das seinerseits sicherlich schon einmal sauberere Zeiten gesehen hatte, wenn Klavan die sich schwach abzeichnenden Flecken richtig deutete. Die halblangen Ärmel des Hemds ließen den Blick frei auf mächtige, behaarte Unterarme und erlaubten dem Betrachter eine Ahnung von den immensen Oberarmmuskeln, die sich durch den groben Stoff unscharf abzeichneten.

Über einen dicken, kurzen Hals ließ Klavan seine musternden Augen nach oben schweifen und erblickte als Erstes einen dichten, blonden Bart, der wohl dringend eine Rasur nötig gehabt hätte. Der breite Mund war kaum zu erkennen, aber über den Bart ragte eine freundliche, rötlich-runde Nase. Blaue Augen, dicke Wimpern und eine breite Stirn, an der sich neben einer ordentlichen Beule auch schon einige Falten abzeichneten, vervollständigten das Gesicht. Rechts neben dem Kopf ragte der lederumwickelte, lange Griff eines großen Schwerts empor, das ansonsten weitgehend unsichtbar quer auf dem Rücken des Hünen hing. Ein Kämpfer also, der sich selbst im sicheren Turm nicht von seiner Waffe trennen konnte. Als Klavan ihm jedoch in die Augen blickte, war der Hauch von Gefährlichkeit, der von dem Schwertgriff ausging, wie weggeblasen. Die großen blauen Augen blickten stumpf und abgeschlagen. Es war ein Blick, den Klavan kannte. Augen, die zu viel gesehen hatten. Die Augen eines Mannes, der einmal jemand gewesen, aber gescheitert war. Die Augen eines Mannes, der nicht mehr kämpfte, der aufgegeben hatte. Ein Mann, der wusste, dass er geschlagen war.

Doch als der Mann Klavan sah, kam ein Hauch von Leben in die müden Augen, und auch seine schlaffe Haltung schien sich etwas anzuspannen. Für einen kurzen Moment konnte Klavan einen anderen Mann unter der Oberfläche erahnen, einen selbstbewussten, starken Mann, der um seine Fähigkeiten und seinen Platz im Leben wusste.

Doch dieser Moment verging so schnell, dass Klavan sich im Nachhinein gar nicht sicher war, ob er das wirklich wahrgenommen hatte. Dem Mann entfuhr nämlich ein tiefer, kehliger Seufzer, und kurze Zeit später fand sich Klavan in einer heftig-drückenden Umarmung wieder.

An sich war Klavan ja froh über jede freundliche Begrüßung auf dieser Welt. Er konnte es aber nicht verhindern, dass ihm jetzt der intensive Geruch, der von dem Kämpfer ausging, in die Nase stieg. Eine Mischung aus altem und neuem Schweiß, Bier oder Schnaps und vielleicht auch etwas Zwiebel oder gar Knoblauch. Die Mischung von Gerüchen, die jede Frau vertreibt. Die Mischung, von der einem so übel wird, dass man sich übergeben muss, wenn man ihr näher kommt. Die Mischung, von der einem eigentlich sogar selbst übel wird, wenn man sie verbreitet. Es sei denn, man hätte seine Sinne vorher mit ausreichend viel Alkohol betäubt, so dass einem alles egal wird. Und das war hier anscheinend der Fall.

Daher rettete sich Klavan rasch aus der Umarmung, bevor er sich übergeben musste, und wich einige Schritte nach hinten aus.

«Ihr seid es wirklich, Herr. Möge Euer Innerer Atem tief sein!», meinte der Hüne mit einer zittrigen Stimme, die tief und voll geklungen hätte, wäre sie nicht durch die Heiserkeit des Alkohols und eine gewisse Zaghaftigkeit überlagert worden. «Ihr lebt! Was für ein Glück! Jetzt wird alles gut!»

«Ja, Loron, aber er ist krank!» Tanelor war aufgestanden und schaute dem Kämpfer tief in die Augen, um seine Aufmerksamkeit voll auf sich zu lenken. «Schwer krank. Er hat einen Schlag auf den Kopf bekommen und kann sich an nichts mehr erinnern. Noch nicht einmal daran, dass er unser Prinz ist. Er ist wie ein kleines Kind.»

«Um der Allmutter willen», entfuhr es Loron und er sah Klavan zweifelnd an. «Das kann nicht stimmen.»

«Doch», bestätigte Klavan. Er wollte eine erneute Diskussion zu diesem Thema vermeiden. «Für mich ist es so, als sei ich erst heute auf diese Welt gekommen.»

«Ach, das ist einfach», meinte Loron optimistisch. «Dann brauchen wir also nur eine der Priesterinnen der Allmutter.» Und zu Klavan gewandt fügte er hinzu: «Ach Herr, egal, was Ihr erlebt habt, wir kriegen Euch wieder hin.»

«Es ist ja beruhigend, dass Ihr mir helfen wollt», knurrte Klavan, der sich bestätigt fühlte, dass weitere Erklärungen zu seiner Herkunft sinnlos waren. «Aber eine von Euren Heilerinnen lasse ich nicht in meinem Verstand herumpfuschen, definitiv nicht. Nicht auszudenken, was da alles bei mir zerstört werden könnte!»

Loron trat besorgt auf Klavan zu und packte ihn fest an beiden Handgelenken. «Wir werden Euch schon wieder hinkriegen, mit oder ohne Euren Willen», meinte er fast liebevoll.

«Falsch, völlig falsch, Loron», mäkelte Tanelor. «Es wäre schon schwierig genug, einen Heiler zu finden, der so ein Problem lösen könnte. Wahrscheinlich wäre das selbst für die ehrwürdige Nanala schwierig. Aber das ist nur mit Unterstützung des Kranken möglich, gegen seinen Willen ist dies unmöglich.»

«Also, ich muss mich jetzt erst mal hinsetzen und etwas trinken – äh, essen», meinte Loron verwirrt und setzte sich. Er brach sich ein großes Stück Brot ab und fing an, stumpfsinnig zu kauen. Auch Klavan und Tanelor nahmen wieder Platz. Eine Zeit lang herrschte gefräßiges Schweigen.

Dann unterbrach Klavan die Völlerei: «Also, wenn ich das richtig sehe, bin ich für Euch und leider auch für alle anderen hier einschließlich Eures Kaisers der Prinz Klavan. Nun, dann erzählt mir doch erst einmal, wer dieser Prinz Klavan ist und was für eine Rolle er spielt hier im Lande, damit ich meine Situation endlich besser begreife.»

«Tja, dafür braucht es ein bisschen Zeit», antwortete Tanelor und fuhr dann sarkastisch fort: «Aber wir haben schließlich reichlich Zeit, bis morgen früh nämlich, bis zu Eurem Tod.»

«Meinem Tod?», fragte Klavan ungläubig. «Das meint Ihr nicht im Ernst!»

«Jawohl, Eurem Tod in den jährlichen Spielen. Selbst mit Eurem alten Wissen hättet Ihr kaum eine Chance gehabt, aber so wird es eine Sache von wenigen Minuten. Eurer Schilderung entnehme ich, dass Ihr auch Euer Wissen über die Schule des Holzes und den Stabkampf vergessen habt?»

«Von derartigen Dingen weiß ich nichts. Da, wo ich herkomme, haben wir effektivere Waffen», meinte Klavan.

«Hoffnungslos», murmelte Tanelor. «Wisst Ihr, die Spiele sind die jährlichen Wettkämpfe zwischen den sieben Prinzen und Prinzessinnen in der kaiserlichen Arena.»

«Welche sieben Prinzen und Prinzessinnen?», fragte Klavan interessiert.

«Nun», fuhr Tanelor fort, «Ihr wisst bereits, dass wir uns hier im Kaiserreich befinden. Das Reich ist in acht Herrschaftsgebiete aufgeteilt. Der zentrale Bereich mit der Hauptstadt Weißengrund wird vom Kaiser direkt verwaltet. Über die anderen sieben Provinzen hat er zwar nominell die Oberhoheit, eigentlich regieren dort aber die Prinzen und Prinzessinnen des Reiches fast uneingeschränkt.»

«Ihr wollt mir doch nicht etwa weismachen, dass Ihr mich für einen von diesen Prinzen haltet?», warf Klavan ein.

«Zu meinem Bedauern, doch. Ihr seid Klavan, der silberne Prinz», erwiderte Tanelor. «Seht, dort hängt sogar ein Bild von Euch und den anderen!»

Klavan folgte seinem Blick hin zu einem der Gemälde. Tatsächlich, dort waren mehrere Gestalten abgebildet, die um einen Thron standen. Auf dem Thron war die majestätische Gestalt des Kaisers zu erkennen, der ein Zepter hielt. Einer der daneben Stehenden hatte tatsächlich eine ausgesprochene Ähnlichkeit mit ihm selbst.

«Angenommen, ich bin ein Prinz, wieso bedauert Ihr mich dann? Dann bin ich doch nach Euren Worten der Herrscher über einen Teil dieses Landes und somit ziemlich mächtig?», fragte Klavan verwundert, während er erneut die silberne Krone auf seinem linken Handrücken betrachtete.

«Da wären nur ein paar kleinere Probleme», fügte Loron optimistisch ein.

«Kleinere Probleme? Naiver Dummkopf!», empörte sich Tanelor. «Ihr müsst wissen, eigentlich seid Ihr der Herrscher über gar nichts.»

«Das verstehe ich jetzt aber nicht», wunderte sich Klavan. Offensichtlich gab es da ein paar Haken an der Sache.

«Er meint die Zerstörung von Silberglanz, unserer Heimatstadt», ergänzte Loron deprimiert.

«Seht Ihr, mein Prinz, Euer Herrschaftsgebiet ist ein größeres Waldgebiet im Südosten des Reichs mitsamt den angrenzenden Bergen und Tälern», begann Tanelor. «Ihr habt es von Eurer Burg nahe Silberglanz beherrscht. Leider hattet Ihr jedoch einen Konflikt mit einigen der Nachbarn, nämlich Zwergen und Halbriesen, und vermutlich haben auch einige der anderen Prinzen des Reichs mitgemischt. Meinen Recherchen nach hat eine entscheidende Rolle auch dieser gefährliche, missgeleitetete Magier gespielt, dieser ‹Dunkle›. Wer auch immer der Geistmörder ist, der sich hinter diesem Namen verbirgt ...» Tanelor zögerte merklich, und Klavan sah zu seinem Erstaunen einen Ausdruck tiefer Furcht über sein Gesicht ziehen.

«Und nach einer großen Schlacht vor gut einem halben Jahr wurden Silberburg und Silberglanz zerstört», überbrückte Loron die entstehende Pause.

«Tatsache ist», fuhr Tanelor mit tiefer Trauer in der Stimme fort, «dass der Großteil Eurer Bevölkerung niedergemetzelt, Eure kleine Armee völlig aufgerieben, Silberglanz abgefackelt und Eure Burg bis auf die Grundmauern zerstört wurde. Es haben nur wenige fliehen können. Die wenigen Überlebenden wurden in fremde Prinzenreiche integriert oder gingen zu den Wanderern, zum fahrenden Volk. Damals habt Ihr auch den Hieb gegen Euren Kopf bekommen. In der Zwischenzeit wurdet Ihr nicht mehr gesehen.»

«Ihr wollt mir also sagen, dass ich außer euch beiden über niemanden mehr regiere?», begann Klavan zu begreifen. «Aber wie habt ihr denn dann das Massaker überlebt?»

Loron nahm einen Schluck aus einer Flasche. «Es war ein schreckliches Gemetzel. Ich bin förmlich durch Blut gewatet. Leider wurden wir getrennt und ...»

«Dummkopf», fiel ihm Tanelor halb mitleidig, halb ängstlich ins Wort. «man hat uns nur aus einem Grund überleben lassen, das ist doch jetzt klar. Damit die kaiserliche Wache uns schnappt, was sie ja schließlich auch geschafft hat. Und damit wir», er wandte sich erklärend an Klavan, «hier ins kaiserliche Schloss gebracht werden können, um Euch als Sekundanten in den Spielen dienen zu können.»

«Ich fürchte, die Sache mit den Spielen habe ich noch nicht kapiert», meinte Klavan.

«Die jährlich stattfindenden Spiele sind das zentrale Konstrukt in der Innenpolitik dieses Landes», erklärte Tanelor. «Grundidee ist, dass Konflikte zwischen den einzelnen Prinzen nicht vom Volk ausgetragen werden sollen, sondern zwischen den Herrschern in der kaiserlichen Arena ausgefochten werden. Die ganze Sache dient dabei zusätzlich der Belustigung des Volkes, was zur Folge hat, dass an dem Kampftag Menschen aus dem ganzen Land massenweise hierhinströmen. Außerdem können die Leute auch auf die einzelnen Prinzen und Prinzessinnen wetten, was für Stimmung sorgt.»

«Aber wenn die Prinzen ihre Konflikte doch in der Arena lösen, wie konnte es dann dazu kommen, dass das gesamte Volk von Klavan ausgelöscht wurde?», wunderte sich Klavan.

«Wisst Ihr, es war ja offiziell kein Krieg gegen andere Prinzen. Das Ganze geschah anders: Ihr hattet ein paar Häuser an einer Silbermine als Nachtschutz für die Arbeiter bauen lassen. Der Kaiser hatte aber vor langer Zeit angeblich den Zwergen und auch allen anderen umliegenden Fremdvölkern versprochen, dass es keine neuen Siedlungen von Menschenhand mehr geben werde. Daher sind die einzigen nennenswerten Siedlungen im ganzen Land ja auch die Kaiserstadt Weißengrund und die sieben Städte der Prinzen. Die Zwerge haben daraufhin mit einigen Verbündeten die wenigen Häuser an den Silberminen gestürmt und bei der Gelegenheit direkt die Minen gesprengt. Irgendwie ging der Kampf dann unkontrolliert weiter bis hin nach Silberglanz. Dabei fielen auch Stadt und Burg», ergänzte Tanelor, «und das hätte eigentlich nicht passieren dürfen. Daher vermute ich, dass einige der Prinzen auf Euch eifersüchtig waren und gegen Euch intrigiert haben.»

«Was wird denn jetzt aus dem verwaisten Prinzenreich von Klavan?», fragte Klavan neugierig.

«Was aus Eurem Reich wird?», wiederholte Tanelor. «Dafür gibt es klare Regeln. Derjenige, der Euch morgen besiegen wird, wird Euch die linke Hand abschlagen. Dafür bekommt er dann Euren persönlichen Besitz.» Tanelor hüstelte kurz. «Also immerhin das, was davon übrig ist, nämlich das Zeug hier im Turm, sowie natürlich den Preis, den der Kaiser auf Euren Kopf ausgesetzt hat.»

«Ist ja klasse!», warf Klavan sarkastisch ein.

«Das ist an sich nichts Besonderes, sondern in jeder Spielzeit möglich. Der Kaiser wird dann einen Nachfolger für den Besiegten, also für Euch, bestimmen. Diesem wird er mit seinem magischen Zepter das silberne Regentenmal auf die linke Hand übertragen», fuhr Tanelor unbeeindruckt fort. «Ich schätze, er wird ihn in diesem Fall persönlich mit den nötigen finanziellen und personellen Mitteln ausstatten, um Euer Reich und speziell Eure Burg wieder aufzubauen. »

«Euer Nachfolger wird es aber schwierig haben», meinte Loron nachdenklich. «Er wird zunächst Zugeständnisse an die anderen Prinzen machen müssen, um ihre Unterstützung zu bekommen. Und alle Prinzen haben Interesse am Wiederaufbau von Silberglanz, weil das Gesamtreich zurzeit geschwächt ist», ergänzte Loron. «Daher werden alle Prinzen einschließlich der Prinzessinnen morgen Euren Tod wollen. Sie können dabei ja nur gewinnen. Obendrein gibt’s noch die üppige Belohnung vom Kaiser, der wegen des Untergangs des silbernen Prinzenreichs auch Euren Kopf will. Kompliziert, nicht?»

«Also, ich fasse das mal zusammen.» Klavan begann das System zu verstehen. «Ich bin also der silberne Prinz, mein Reich ist zerstört. In den morgigen Spielen werden sechs Prinzen und Prinzessinnen hinter mir her sein, um mich zu töten und mir die linke Hand mit dem dämlichen Symbol abzunehmen. Und wenn ich die morgigen Spiele wie durch ein Wunder überlebe, was passiert dann?»

«Dann habt Ihr eine Schonfrist von drei Tagen. Anschließend wird das ganze Reich hinter Euch her sein, mein Prinz. Es bleibt ja der hohe Preis auf Euren Kopf», meinte Tanelor. «Ihr habt also überhaupt keine Chance, und schon gar nicht in Eurem jetzigen Zustand.»

Tanelor machte eine Pause und tiefe Angst zeigte sich auf seinem Gesicht. Klavan verstand das nicht. Wovor hatte sein Gegenüber denn solche Angst? Schließlich war es doch Klavan, um dessen Kopf es ging!

«Aber, bei einigem Nachdenken», begann Tanelor zögerlich, «könntet Ihr wenigstens verhindern, dass wir da mit hineingezogen werden. Ich könnte eine Entlassungsurkunde für uns aufsetzen, die Ihr nur zu unterschreiben braucht. So kommen wir nicht mehr als Eure Sekundanten in Frage.»

«Elender Feigling, Gesocks von einem Magier», grölte Loron. «Als es meinem Herrn gut ging, hast du dich auf Lebzeiten in seine Dienste verpflichtet, wie das üblich ist in eurem Orden. Und jetzt willst du den Schwanz einkneifen und davonlaufen? Schon bei dem Gedanken daran, was bei Klavans Tod mit dir passieren würde, bebst du ja vor Angst.» Und an Klavan gewandt, sagte er mit Inbrunst: «Ganz egal wie, ob mit oder ohne Reich, ob mit oder ohne Gedächtnis, ich werde Euch begleiten. Und wenn es für mich den Tod bedeutet.»

Unschlüssig sah Klavan den etwas verschämt aussehenden Tanelor an, an dem die vorangegangene Beschimpfung durch Loron ohne großen Effekt abgeprallt zu sein schien. «Nun, was würde denn passieren, wenn ich keine Sekundanten für die Spiele hätte?»

«Mein verehrter Prinz», schmeichelte Tanelor, «Ihr seid sicherlich auch schon selber darauf gekommen. Wenn Ihr keine Sekundanten für die Spiele stellen könnt, könnt Ihr nicht daran teilnehmen. Und uns kann Euer Nachfolger im Falle Eures Todes nicht unseres Kopfes berauben, wie das so Sitte ist bei Ministern, die versagt haben. Das bedeutet dann für Euch, dass man Euch wahrscheinlich öffentlich hinrichten würde. Das gilt zwar als unedel, ist in jedem Fall aber ein besserer Tod, als von überlegenen Kämpfern zu Tode gehetzt und langsam in Stücke zerschnitten zu werden. Insofern ist mein Angebot auch für Euch von Nutzen. Ein schneller Tod.»

«Welch vorteilhafte Alternative», gluckste Klavan mit einem sarkastischen Unterton. Tanelor brauchte nicht zu wissen, dass ein schneller Tod eigentlich nichts war, vor dem er sich fürchtete. Ganz im Gegenteil. Aber irgendetwas in seinem Inneren rebellierte, weckte seinen Widerspruchsgeist. Diese ganze Situation ging ihm unglaublich auf den Keks. Er hatte einen Feind, wahrscheinlich den Kapuzenheini aus der Drachenhöhle. Der war für alles verantwortlich. Und er wollte nicht nach dessen Regeln spielen.

«Ich denke, ich werde Eure Dienste doch noch etwas länger in Anspruch nehmen. Ich gedenke nämlich eindeutig, noch etwas länger zu leben. Vielleicht ergibt sich ja für uns hier eine Möglichkeit zur Flucht.»

«Keine Chance», brummte Loron, weil Tanelor sich in ein verdrießliches Schweigen hüllte. «Wir haben selbst schon alles Mögliche versucht. Aber der Turm wird hervorragend bewacht, und selbst wenn wir hier herauskämen, aus dem Schloss kämen wir nie, dafür passt Gaster zu scharf auf. Sie sind sich unserer so sicher, dass sie mir sogar mein Schwert gelassen haben.»

Tanelor erhob sich und meinte mit neutraler Stimme: «Mit Eurer Erlaubnis werde ich mich jetzt zurückziehen. Vor meinem morgigen Ableben möchte ich noch einmal meinen Geist in der Meditation reinigen.» Er sah Klavan fragend an. Dieser nickte stumm, und Tanelor verließ den Raum.

«Die Magier und ihre blöde Meditation», nörgelte Loron. «Aber etwas Schlaf wäre tatsächlich von Vorteil. Habt Ihr denn noch Fragen, mein Prinz? Morgen wird ein anstrengender Tag, und ich werde alle meine Kräfte brauchen, um Euch zu beschützen!»

«Erzählt mir noch etwas über den Ablauf der Spiele, dann könnt Ihr gerne zu Bette gehen», erwiderte Klavan.

«Das ist relativ einfach. Da ist diese große Arena, und in ihrer Mitte befindet sich ein Labyrinth, das vom Kaiser jedes Jahr etwas geändert wird. Mit der ersten Fanfare aus den Hörnern der kaiserlichen Herolde gehen die Prinzen und Prinzessinnen in das Labyrinth, jeder an einer anderen Stelle, und hinter ihnen werden die Türen verschlossen. Dann wird drinnen gekämpft, je nachdem wer wem über den Weg läuft. Bemüht Euch, Euch in dieser Phase versteckt zu halten, denn wahrscheinlich wird jeder der anderen Euch jagen. Nach etwa zwei Stunden blasen die Herolde zum zweiten Mal in ihre Hörner. Dann ist der Kampf zu Ende und Ihr werdet aus dem Labyrinth geholt. Aber ich werde langsam wieder müde, und ich werde wie gesagt morgen meine Kräfte brauchen.»

Mit diesen Worten verabschiedete Loron sich von Klavan. An der Treppe drehte er sich noch einmal kurz um und meinte tröstend: «Wisst Ihr, in einer echten Gefahrensituation wie morgen werdet Ihr Euch wahrscheinlich auch an Euer Wissen über den Kampf mit dem Stab erinnern. Schließlich habt Ihr seit Eurer Kindheit trainiert und wart einmal sehr gut darin.»

Klavan blieb nachdenklich und allein zurück. Die Situation sah alles andere als rosig aus. Er war in dieser fremden Welt gefangen und es gab keinen erkennbaren Weg zurück. Schlimmer noch, er wurde gezwungen, die Rolle dieses gleichnamigen Prinzen Klavan zu spielen, der wahrscheinlich vor einem halben Jahr bei der Verteidigung seines Prinzenreichs getötet worden war. Und dieser Prinz Klavan steckte offensichtlich bis zum Hals in der Tinte. Selbst wenn er die Spiele überleben sollte, würde man ihn überall im Reich verfolgen. Alles war wie vorherbestimmt und wirkte aussichtslos. Aber irgendetwas in Klavan war geweckt worden, irgendein Schimmer von Widerspruchsgeist, den er lange schon verloren geglaubt hatte. Er ballte die Faust. Er wollte seine Rolle hier einfach nicht mehr akzeptieren. Zumindest würde er sein Bestes geben, um zu überleben. Immerhin schien auch das Leben von Tanelor und Loron daran zu hängen, und beide waren zwar sehr unterschiedlich, aber jeder auf seine eigene Weise wirklich nett. Obwohl sie auch gewaltige persönliche Probleme zu haben schienen. Aber zumindest Loron vertraute ihm, und es wäre doch eine Schande, den einzigen Menschen, der an ihn glaubte, im Stich zu lassen. Auch wenn Loron es aus den falschen Gründen tat, schließlich war er nicht dieser Klavan, dieser silberne Prinz. Er brauchte dringend eine Idee, einen Plan, der ausnahmsweise einmal funktionieren sollte. Klavan lächelte schmerzlich.

Doch schließlich gewann ein Gedanke Form, nahm zunehmend Gestalt an. Verwegen, passte überhaupt nicht zu ihm, aber vielleicht ...?

Der todgeweihte Prinz

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