Читать книгу Der todgeweihte Prinz - Peter Klein J. - Страница 6
Präludium
ОглавлениеEr stand ruhig dort im beginnenden Tag, an exponierter Stelle, und der Wind blies ihm sanft ins Gesicht. Die Sonne wärmte noch nicht, aber sie tauchte die Welt bereits in Farben. Ein paar Nebelfetzen zogen hoch, wurden vertrieben wie die Nacht selbst, vertrieben von der strahlenden Sonne. Es würde ein guter Tag werden.
Für ihn hingegen war es vorbei. Es war nur ein Husten gewesen, zunehmend, und er hatte es auf das Rauchen zurückgeführt. Dann aber hatte der morgendliche Schleim sich blutig verfärbt. Die Ärzte hatten die Diagnose bestätigt: Lungenkrebs im fortgeschrittenen Stadium, hieß es. Ungewöhnlich früh aufgetreten. «Wir können Ihnen eine Chemotherapie anbieten. Vielleicht auch eine Bestrahlung.»
Er wusste es besser. Es ließ sich ja alles nachlesen, es stand ja alles im Netz. Unheilbar! Vielleicht noch ein Jahr, aber unter ständigen medizinischen Maßnahmen. Sein Wohlstandsbäuchlein würde allmählich ausmergeln, und er würde immer schwächer werden, immer mehr dahinsiechen, bis schließlich ...
Das war nichts für ihn!
Er dachte an sein verkorkstes Leben.
Es fing schon in der Kindheit an. Seine Eltern hatten sich im Streit getrennt, und er hatte dazwischen gestanden. Bei einer Scheidung ging halt immer etwas kaputt. In diesem Fall war er der Puffer gewesen, der langsam zerbrochen war. Beide hatten danach neue Beziehungen gehabt, Beziehungen, in denen kein Platz für ihn war. So war er beim Aufwachsen mal bei dem einen, mal bei dem anderen gewesen, aber nie richtig glücklich. Machte er bei seiner Mutter etwas falsch, so hieß es: «Das hast du alles von deinem Vater.» War er bei seinem Vater, hieß es: «Du kommst viel zu sehr nach deiner Mutter.»
Und es gab keinen Ausgleich, es gab nichts, wo er richtig gut war. Er war stets ein durchschnittlicher Schüler gewesen, und auch im Sport hatte er niemals besondere Leistungen erbringen können. Überall mittelmäßig, nirgendwo besonders gut, und zu Hause immer Stress. Kein Wunder, dass die Versuchung zur Zigarette bei ihm besonders hoch war. Es war anfangs wie ein Geschenk gewesen, man rauchte, und eine Stresssituation wurde weniger schlimm, man konnte sich etwas entspannen. Er hatte immer gewusst, dass es ungesund war, doch was zählte das damals schon.
Außerdem war er überzeugt: Nicht nur das Rauchen war für den Krebs verantwortlich. Wie hieß es so schön: Körper und Seele sind eine Einheit.
Also kein Wunder, dass er Krebs hatte.
Sie hatte ihn verlassen. Seine große Liebe. Oder sollte er besser sagen: seine einzige große Liebe. Denn natürlich hatte er auch Frauen vor ihr gekannt. Doch keine war so wie sie. So spontan, so intuitiv, immer fröhlich und so intelligent. Ein Wunder, dass sie sich überhaupt in ihn verliebt hatte. Und jetzt hatte sie ihn verlassen.
Er hatte gemerkt, wie sie einander immer weniger zu sagen gehabt hatten, wie ihre Fröhlichkeit abnahm, wenn sie in seiner Nähe war. Wie es immer weniger wurde, wie ihre Beziehung zugrunde ging. Und hatte nichts dagegen getan, nichts dagegen tun können. Und dann kamen die Vorwürfe, immer diese Vorwürfe. Was konnte er schon dafür, dass er arbeitslos war. Hatte er sich nicht redlich bemüht? Aber einen Job für einen jungen, gerade erst fertigen Windanlagentechniker zu finden, war in Zeiten einer Wirtschaftskrise nicht so einfach. Er hatte unzählige Bewerbungen geschrieben, aber alle umsonst, er war noch nicht einmal zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen worden. Und in einem anderen Beruf zu arbeiten, konnte er sich schlicht nicht vorstellen. Dafür mochte er seinen Job zu sehr.
Als jetzt auch noch die Sache mit dem Lungenkrebs kam, war sie gegangen. Hatte gestern einfach einen Lieferwagen und mehrere Packer bestellt, hatte ihre Sachen aus der Wohnung räumen lassen und war ohne Abschied verschwunden.
Auf dem Tisch hatte ein Zettel gelegen: «Ich kann mit deiner Krankheit leben, aber nicht mit deiner Depression», hatte darauf gestanden.
Er blickte nach unten. Die wirklich wichtige Frage war, ob er so leben konnte. Ob er so leben wollte. Der Abgrund zu seinen Füßen war ein Ausweg. Ein verlockend leichter Ausweg. Ein kleiner Schritt nur, und er würde fallen, würde mit dem Wind fallen, den er stets gemocht hatte, und das Ende würde schnell sein. Er glaubte nicht, dass etwas danach kam, aber das war egal. Er hatte das Jetzt gründlich über.
Er schloss die Augen, um den Wind besser auf seiner Haut zu spüren.
Seltsam, er war doch noch gar nicht nach vorne geschritten, und hatte trotzdem schon das Gefühl zu fallen, immer weiter, endlos zu fallen ...