Читать книгу 30 dreiste Lügen über Geld - Peter Koenig - Страница 10
ОглавлениеLüge Nr. 4
Zum Glücklichsein braucht man eine gewisse Menge Geld
Geld führt nicht zwangsläufig dazu, daß man glücklich ist. Dies scheint allgemein akzeptiert zu sein. Eine bestimmte Mindestmenge an Geld ist jedoch notwendig, wenn man glücklich und zufrieden leben will. Wenn Sie so sind wie die meisten Menschen, dann stimmen Sie dem vermutlich auch zu.
Dieser so weitverbreitete Gedanke ist jedoch gefährlich … er sollte wie Zigarettenschachteln einen Warnhinweis enthalten.
Zum Glücklichsein braucht man eine gewisse Menge Geld
Die »gewisse Menge Geld« ist der Anfang vom Ende, ein Betrag, der unaufhaltsam steigt, ohne das darin enthaltene Glücksversprechen jemals ganz einzulösen. Dies ist auch gar nicht möglich. Auf das »Peter-Prinzip«, demzufolge man in der Hierarchie eines Unternehmens so lange aufsteigt, bis man die Grenzen seiner Fähigkeiten überschritten hat, folgt das »Barrs-Gesetz«: Ein bestimmter Geldbetrag, den man für die Verwirklichung eines qualitativen Ziels (wie Glück oder Sorgenfreiheit) für nötig hält, verdoppelt sich in dem Moment, wo man diesen Betrag endlich besitzt! Dafür gibt es gute Gründe. Der Mindestbetrag leitet sich ab aus der Furcht vor künftigem Mangel. Diese Furcht wird durch Erreichen des Ziels (also des entsprechenden Geldbetrags) jedoch nicht gelindert, so daß man das Ziel heraufsetzt, in der Hoffnung, irgendwann schließlich frei zu sein von dieser Furcht.
Die gleiche Einstellung liegt auch vielen wohlgemeinten, aber letztlich nicht funktionierenden Programmen zugrunde, wie sie oft von Institutionen wie dem Internationalen Währungsfonds IWF und der Weltbank entworfen werden. Die Absicht dabei ist, die Armut in der dritten Welt durch Erhöhung der Mindesteinkommen zu »beseitigen«. Das häufig zu beobachtende Ergebnis: höhere Einkommen, aber weniger Stabilität, Unabhängigkeit und Selbstbestimmung in der einheimischen Kultur und größere Abhängigkeit von äußeren Faktoren, was schließlich zu zunehmender Verarmung führt.
Gegen diese kranken Strukturen hilft nur eines: Man muß sich in das ganze Gedankengebäude der Lüge hineinversetzen, um den Konstruktionsfehler zu entlarven und weiteren Schäden vorzubeugen.
Zur Verdeutlichung erzähle ich Ihnen die folgende Anekdote aus Indien, die ich von einem Vorstandsmitglied der Reserve Bank of India, der indischen Zentralbank, gehört habe, Herrn Y. S. P. Thorat.
Wie viele andere »Entwicklungsländer« durchläuft auch Indien beträchtliche strukturelle Veränderungen. Die Dorfbewohner, vor allem die jüngeren, wandern nach und nach in die Städte ab, in der Hoffnung, die Familie mit einem höheren Einkommen besser ernähren zu können. Nachdem er sein Leben lang für die Reserve Bank tätig gewesen war, ließ Herr Thorat sich vom Dienst freistellen, um sich der Frage zu widmen, warum sich die Armut in Indien so hartnäckig hält und wie der Finanzsektor zur besseren Unterstützung der armen Landbevölkerung umstrukturiert werden könnte.
Er beschloß, auf dem Motorrad durch Indien zu reisen, einen Fragebogen im Gepäck, und dabei die am wenigsten entwickelten Landstriche zu besuchen und mit den ärmsten Leuten zu reden. (So ganz anonym war er allerdings doch nicht, denn man ließ ihn von vier Autos eskortieren, zwei voran, zwei hinterher.) Eines Tages hielt er am Fuß eines Hügels an und stieg zu dem Dorf auf dem Gipfel hinauf.
Oben angekommen, fand er eine trostlose heruntergekommene Hüttenansammlung mit genau 18 verbliebenen Bewohnern. Eine Frau lud ihn ein, sich zu ihr in ihrer baufälligen Behausung auf den Fußboden zu setzen. Im Haus war nichts, berichtete er, die Frau besaß auch nichts, und ihm wurde klar, daß sein Fragebogen völlig irrelevant war. Nachdem sie eine Weile geplaudert hatten, geschah es. »Möchten Sie etwas essen?« fragte sie ihn. Sie verschwand für einen Moment und kehrte zurück mit einem kleinen Stück Fladenbrot und etwas gesalzenem Fisch, wovon sie ihm mit der Anmut dessen, der viel besitzt, anbot. Er wußte, daß er nicht ablehnen konnte, und nahm das Angebot beschämt an.
Tief gerührt von soviel Großzügigkeit, fragte er die Frau zum Abschied, ob er irgend etwas für sie tun könne. »Was könnten Sie schon tun?« entgegnete die Frau. »Mein Dasein im Exil ist entsetzlich …«
Herr Thorat bezeichnete diesen Moment als die bewegendste und wichtigste Erfahrung seiner gesamten Banklaufbahn! Er setzte seinen Bericht fort mit einer anschaulichen Aufzählung all der Initiativen und Programme, die seit der indischen Unabhängigkeit 1947 im Finanzsektor zur Armutsbekämpfung ergriffen worden waren. Er bezeichnete dies als ein Vermächtnis des Scheiterns und schloß mit den Worten: »Solange man sich nicht um die zugrundeliegenden Ursachen kümmert, werden sich die Strukturen nicht zum besseren wenden.«
»Wenn es möglich wäre«, fragte ich Herrn Thorat, »Zufriedenheit an einer Skala zu messen, wie würden Sie dann die Zufriedenheit der Frau aus dem Dorf im Vergleich zu jener der Landflüchtlinge in den Städten bewerten?« Ohne einen Moment zu zögern, antwortete er: »Die Lage der Frau ist zwar entsetzlich, aber sie ist tausendmal glücklicher!«
* * *
Nachschrift aus Italien: Eine von italienischen Psychologen kürzlich durchgeführte Studie (Gazzetta del Mezzogiorno, 26.11.2001) kam zu dem Schluß, Italiens Kinder hätten die schlechteste Schulbildung von ganz Europa, seien aber am glücklichsten. Was das Geheimnis ihres Reichtums sei, wurde gefragt? Antwort: Nonni coccolati, verschmuste Großeltern.