Читать книгу Muzungu Facetten zentralafrikanischer Jahre - Peter Kunkel - Страница 10
ОглавлениеFarben und Fetzen
Ein ganzes Volk in Lumpen ist ein erschreckender Anblick. Es genügt auch schon, wenn nur die Hälfte, nämlich die Männer, abgerissen herumläuft. Als ich 1963 in den Kongo kam, war das der erste, niederschmetternde Eindruck. Als ich 1973 das Land verließ, gab es zwar viele, die einigermaßen manierlich gekleidet waren, aber vor allem auf dem Land hatte mehr als die Hälfte der Männer immer noch unwahrscheinliche Fetzen um sich herumhängen.
Dabei waren die Frauen ausgesprochen hübsch angezogen. Für sie gab es überall auf dem Markt und in den indischen und griechischen Läden sogenannte wax zu kaufen, etwa vier Meter lange Streifen billiger, bunt bedruckter Stoffe, die in England, Holland und Indien hergestellt wurden, später auch in anderen Ländern der Dritten Welt und im Lande selbst. Die Frauen ließen sich daraus auf dem Markt Blüschen einfachsten Zuschnitts zurechtschneidern. Was übrig blieb, wurde zum größeren Teil um die Hüften geschlagen und hing bis auf die Füße herunter, zum kleineren kam es in einem hohen, möglichst kunstvollen Aufbau auf den Kopf. So war es wenigstens im Kongo-Zaire. Andere Völker hatten andere Frauentrachten entwickelt, die Gandafrauen in Uganda zum Beispiel ein langes Kleid mit kurzen, gerade den Ansatz des Oberarms deckenden Puffärmelchen, die den stämmigen Figuren ein noch matronenhafteres Aussehen gaben, als sie ohnehin schon hatten. In Rwanda trugen die Frauen ein toga-artiges langes Gewand, dessen durchhängende Falten die schlanken Figuren namentlich der Tutsifrauen voll zur Geltung brachten. Die langen Röcke all dieser Trachten gaben den Frauen Ansehen und Würde. Es war eine Freude, sie anzusehen, vor allem, wenn man sie mit der Kleidung in Gebieten verglich, in denen sich keine Tracht entwickelt hatte, wie etwa in Kenya, wo die Mehrzahl der Frauen schlecht geschnittene, in keiner Weise an die afrikanische Frauenfigur angepaßte Kleider europäischen Zuschnitts wie Säcke um sich herum-hängen hatte.
Alle diese Trachten waren jungen Ursprungs. Noch um die Jahr-hundertwende gab es in östlichen Zentralafrika kaum andere Stoffe als Felle und Rindenbast, aus denen zum Teil kunstvolle, aber nur geringe Teile des Körpers bedeckende Kleidungsstücke hergestellt wurden: um die Hüften geschlungene Stoffbahnen, vielfach nur einfache Durchziehschurze, schmälere und breitere Gürtel, bei man-chen Stämmen auch einfache Schultercapes. Die Kolonialzeit hat mit dieser Mode aufgeräumt, vor allem aber die ersten Jahre der Unabhängigkeit. 1963 sah ich im Kivuhochland noch Frauen in Fell-kleidung herumlaufen, im Waldgebiet des nahen Tieflands einmal sogar noch eine alte Frau im Lendenschurz, später (außer bei Pygmäen) nicht mehr. Auch damals schon trug man dergleichen nur noch zu Hause oder bei der Arbeit auf dem Feld.
Was aus der alten Zeit geblieben war, war die Vorliebe für bestimmte Farbtöne. Sie wechselte von einem Volk zum andern und spiegelte neben der Stammestradition die Atmosphäre der jeweiligen Land-schaft wieder. Die Frauen suchten sich ihren wax in ähnlichen, manchmal sogar den gleichen Farbschattierungen aus, in denen ihre Mütter Glasperlen für Halsketten, Hüftschnüre und Stirnbänder gewählt hatten.
Auffallend war in dieser Hinsicht damals noch der Unterschied zwi-schen Rwanda und dem Kivuhochland. In Rwanda trug man mit Vorliebe einfarbige oder klein und unauffällig gemusterte Stoffe in klaren Farben, im Einklang mit der hellen, klaren und trockenen Luft der Savanne, in der die leuchtenden Flecken der Frauenkleider weit-hin sichtbar waren. Im westlichen Kivuhochland ist die Luft feuchter, oft diesiger, und das Grün der üppigen Vegetation spielt unter der Wolkendecke nicht selten ins Blaue. Hier bevorzugen die Frauen gebrochenere Farben mit einem Hang besonders zu Ockergelb und violetten Tönen, und die Muster können ihnen nicht groß und kontrastreich genug sein. Inzwischen haben sich die Rwandesinnen, soweit sie nicht europäische Kleidung tragen, der zairischen Mode angepaßt. Haben sie sich dem Diktat der Mode des größeren Nachbarn unterworfen, oder liegt es wenigstens zum Teil auch daran, daß die Savanne in diesem übervölkerten Land verschwunden und überall nur noch das dunklere, bläulichere Grün der Kulturen zu finden ist?
Es muß für die Designer ein Vergnügen gewesen sein, den verrück-testen Einfällen auf den wax Gestalt zu geben. Ihren Kundinnen im kongolesisch-zairischen Kivu konnte es jedenfalls nicht wild genug zugehen. Die Rwandesen machten da zusammen mit einigen ver-wandten Nachbarvölkern eine Ausnahme. Wahrscheinlich hatte ihnen die aristokratische Hirtenkaste der Tutsi diese Zurückhaltung aufgeprägt. Weiter im Westen konnte man auf den wax eigentlich abbilden, was man wollte, ohne den Absatz zu gefährden. Aber politische Themen haben sich seit der Unabhängigkeit als besonders attraktiv erwiesen. Das gab den wax oft eine komische Note, vielfach aber auch etwas Bedrohliches, bis hin zum Alptraum. Die Trägerin ahnte freilich in den meisten Fällen weder das eine noch das andere. Oft konnte sie kein Französisch, und meistens waren die Schlagworte in dieser Sprache auf ihr Kleid gedruckt.
Natürlich stand 1963 ‚Indépendence‘ auf vielen Frauenleibern geschrieben, manchmal in so riesigen Lettern, daß man es nur lesen konnte, wenn die Frau ihr Umschlagtuch bis zum Hals hinaufzog. Das war tragikomisch, wenn man an die Stellung der Frau in der kongo-lesischen Gesellschaft dachte, bedrückend war es noch nicht. Das kam erst mit Mobutus Flut politischer slogans (welches Wort man französisch aussprechen möge). Parolen wie ‚Retroussons les manches! – Krempeln wir die Ärmel hoch!‘ oder ‚Servir: oui – se servir: non! – Dienen: ja – sich bedienen: nein!‘ entströmten nicht nur täglich und stündlich dem Radio und waren überall dort ange-schlagen, wo auch andere Gleichrichterstaaten ihre Devisen zur Schau stellen, sie verdarben uns auch den Anblick zairischer Frauen.
Beliebt waren auf den wax natürlich Bildnisse führender Persönlich-keiten. 1963 war Kasavubu noch weit verbreitet. Etwas später tauch-ten zahlreiche Tshombes auf, und kurze Zeit danach war der indische Händler gut beraten seinen Restbestand an Tshombes verschwinden zu lassen und durch das Konterfei Mobutus zu ersetzen. Auch Baudouin, König der Belgier, sah man anläßlich seines Besuchs im Zaire nicht nur auf vielen Rücken und Brüsten abgebildet, sondern auch auf vielen ausladend hin- und hergeworfenen Hinterteilen, bald allein, bald mit Mobutu zusammen in einem ovalen, altmodischen Goldrahmen.
Die politische Szene wechselte damals rasch, und es war nur gut, daß die waxstoffe von so schlechter Qualität waren und sich rasch verschlissen, sie würden sonst wohl manche gute Frau in Schwierig-keiten gebracht haben, wenn sie auf ihrem wax ein nicht mehr opportunes Gesicht zur Schau gestellt hätte. Die schlechte Qualität war paradoxerweise auch der Grund, warum die Frauen immer verhältnismäßig gut angezogen waren: Die wax lösten sich nach einer Weile einfach auf und konnten als Lumpen nicht mehr angezogen werden.
Nicht so die Männerkleidung. Sie ist von Haus aus wesentlich stabiler, leider aber auch viel teurer. Andererseits war es 1963 bereits unumgänglich, ein Minimum an Kleidungsstücken europäischen Stils am Leibe zu tragen. Ohne sie würde sich auch der letzte Pygmäe im Kivu nicht mehr als Mensch gefühlt haben. Leider hieß das nicht, daß jeder wußte, wie man damit umzugehen hat. Das hatte zwar jeder rasch gelernt, der stärker unter westlichen Einfluß geraten war, sei es als Schüler, sei es als Arbeiter oder Boy in einer europäischen oder bereits stärker verwestlichten Familie. Aber noch in den ersten Jahren der Unabhängigkeit soll ein Teil der Provinzminister in Bukavu seine Anzüge vierzehn Tage und Nächte hindurch angehabt und dann durch neue ersetzt haben.
Als wir 1972 den Zaire verließen, herrschen vielerorts noch solche Bräuche, namentlich auf dem Land, nur daß die Mittel fehlten, die Kleidung entsprechend häufig zu ersetzen. Sie wurde Tag und Nacht getragen, verdreckte in kurzer Zeit unbeschreiblich, zerriß allent-halben und strömte, namentlich in bescheideneren Kreisen, einen Geruch von Schlaf, Rauch, Urin und Darmgasspuren aus, der uns die Nähe auch des freundlichsten und interessantesten Menschen nur schwer erträglich machte. Wenn jemand vom unangenehmen ‚Ge-ruch der Neger‘ sprach, hatte ich ihn immer im Verdacht, daß er diese Duftkomposition meinte. Der eigentliche Körpergeruch der Schwarzafrikaner, deutlich anders als der europäische, ist dezent und keineswegs unangenehm. Hier aber war er so gut wie ganz in kräftigeren Duftkomponenten untergegangen.
Pittoresk wurde diese Kleidung, wenn der Träger die schnell aufreißenden Nähte und Löcher auf dem Markt flicken ließ. Der Marktschneider setzte in der Regel einen Flicken ein oder auf. Auf die Farbe kam es ihm dabei nicht an. Der erste große Schrecken, den meine Frau im Kongo erlebte, war ein Boy, der eine derart reparierte Hose anhatte. Sie war ihm in der Mittelnaht zwischen den Beinen auseinandergegangen, und der Schneider hatte dort einen feuer-roten Streifen eingesetzt. Meine arme Frau hielt das für Absicht. Sie war nur mit Mühe davon zu überzeugen, daß der Boy sich seiner skandalös-erotischen Wirkung keineswegs bewußt war.
Nicht jeder konnte sich eine solche Reparatur leisten. Die Nachtwächter zum Beispiel nicht, die auch in unserem Institut die unterste Verdienstsparte vertraten. Sie trugen meistens Hosen, die schon weit bis auf die Oberschenkel hinauf verkürzt und auch da noch ausgefranst waren, dazu ein Jackett, ohne Hemd darunter, an dem auch nicht ein Quadratdezimeter ohne Löcher war, durch die die Haut schaute. Ist der Mann nun noch eine Hungergestalt, wie sie im Kivuhochland häufig waren und wohl noch sind, mit übergroßem Kopf, schmächtigem Rumpf und spindeldürren, wenn auch muskel-harten Armen und Beinen, und fröhlich dazu, so schlägt das soziale Gewissen des Europäers übermächtig. Er geniert sich, daß er über-haupt ein sauberes Hemd anhat.
Damit lag er, wenigstens damals, nicht ganz richtig. Er übersah, daß sein Gegenüber zwar auch lieber heile Kleidungsstücke besessen hätte, daß es ihm aber gar nicht soviel ausmachte, daß sie zerrissen waren. Wichtig war ihm, überhaupt Kleidung in europäischem Schnitt zu besitzen und damit zur fortschrittlichen Menschheit zu gehören. Für ihn lag zwischen einem Smoking und seinen Lumpen ein gerin-gerer Abstand als zwischen diesem und dem Lendenschurz von gestern. Die Kleidung war für ihn kein Wärmeschutz; dafür hatte er seine Decken und seinen Militärmantel. Bevor Mitte der sechziger Jahre ein großer Kleidersegen aus amerikanischen Missionsspenden über ‚unsere‘ Pygmäen kam, zogen sie sich bis auf eine kurze Hose – oder eben den traditionellen Lendenschurz - aus, wenn sie morgens und abends im kalten Bergwald auf die Jagd gingen. Was sie sie sonst an Kleidung besaßen, hatten sie abends um das Feuer herum an. Ein Jackett anhaben hieß, der neuen Zeit gefolgt zu sein. Ob es sich um ein ganzes Jackett oder nur noch eine flüchtige Andeutung eines solchen handelte, war zweitrangig. Gegenüber ihrem Symbolgehalt war die Sache fast gleichgültig. Deshalb blieben solche Fetzen im Verkehr, bis sie unwiderruflich auseinanderbrachen. Wer sich auf dem Markt bessere Kleidungsstücke kaufen konnte, verkaufte oder verschenkte die alten. Sie wanderten von Hand zu Hand allmählich der Peripherie zu, sozial und von den Marktzentren aus gesehen auch geographisch.
Kleider machen Leute. Nichts ist irreführender als die Signale, die uns Europäern unsere Kleidung gibt. Sie sind so fest in unserm Unter-bewußtsein verankert, daß sie unmittelbar und affektgeladen wirken wie angeborene Auslöser bei Tieren. Ein Nachtwächter, der uns gestern noch das reine Elend und unendlich fern schien, ist heute ein Mensch und Gesprächspartner, weil er ein abgelegtes Hemd vom Nachbarn anhat. Ein gutgekleideter Afrikaner hat immer ein Guthaben bei uns: Man traut ihm mehr Verständnis und westlichere Gedankengänge zu als seinen verlumpten Genossen, und diese naive Einstellung bleibt bei vielen Europäern über Jahre erhalten. Mit einem gewissen Vergnügen habe ich feststellen können, daß ein deutscher Journalist, dessen Bücher über die Dritte Welt, auch über den Kongo-Zaire, in Deutschland große Furore gemacht haben, in besonders unschuldiger Weise diesen andressierten Auslösern aufgesessen ist: Bastrock ist Barbarei, eine schimmernde Fantasie-uniform Zeichen des Fortschritts…
Die Signale der Kleidung verführen uns, ein ganzes Volk miß-zuverstehen. Die niederschmetternden Lumpen vieler kongolesisch-zairischer Männer in den sechziger Jahren waren keine Manifestation der Verelendung. Sie waren kein Anzeichen dafür, daß diese Leute ihr Selbstbewußtsein soweit verloren gehabt hätten, daß sie auf ihre äußere Erscheinung keinen Wert mehr gelegt hätten. Im Gegenteil, sie brachten zum Ausdruck, daß auch der kleine Mann an der neuen Zeit teilzunehmen wünschte, an der Verwestlichung Schwarzafrikas. Aber auch, weiß Gott, wie fern ihm westliche Maßstäbe noch lagen.
Kaum erwähnenswert ist eigentlich, daß er häufig nicht wußte, wie diese fremde Mode zu tragen war. In der Nähe des Instituts gab es einen Hügelchef, der in einem kostbaren Damenpelzmantel herum-lief. Auch wenn die Sonne stach und ihm der Schweiß übers Gesicht lief. Und als einmal Tirolerhüte made in Austria auf dem Markt zu haben waren, kaufte sich ein Protz gleich drei und flanierte mit diesem Stapel auf dem Kopf durch die Felder. Aber werten wir afrika-nische Dinge nicht genauso um? Mehr als Pelzmantel und Hutstapel hat mich erheitert, daß eine junge, sehr hübsche Belgierin am Institut eines Abends im Abendkleid zu einer Einladung erschien, um den Hals eine mit blauen Glasringen besetzte Schnur – es war eine Hüftschnur, die vordem den Lendenschurz eines alten Mannes an seinem Platz gehalten hatte. Was mochte sie da alles erlebt haben!
Derartige Mißverständnisse sind unvermeidlich bei der Begegnung zweier Kulturen. Es ist nicht allzu schwer, sich in den andern hinein-zuversetzen und seine Fehlleistung zu verstehen. Fremd bleibt uns jedoch die Achtlosigkeit, mit der die begehrten Kleider behandelt werden, die Gleichgültigkeit gegen Zerlumptheit, Schmutz und Ge-stank. Sie ruinieren ja nicht nur das Kleidungsstück, sondern ziehen auch den Träger unmittelbar in Mitleidenschaft, sein körperliches Wohlbefinden und seine Beziehungen zu Mitmenschen, nicht zuletzt, möchte man meinen, die erotischen.
Dafür kann man nicht die Armut und die einfachen Behausungen verantwortlich machen. Ich habe Elendsgebiete ins Zentralamerika gesehen, wo windschiefe Hütten auf sumpfigem Grund ein Niveau anzeigten, das unter dem Lebensstandard des Kivuhochlands lag. Man konnte aus diesen Hütten nicht gerade elegante, aber immer sauber und ordentlich angezogene Leute treten sehen – wer einmal unter ähnlichen Umständen versucht hat, einigermaßen manierlich gekleidet zu bleiben, fragt sich bewundernd, wie sie das eigentlich machen. Lumpen, die denen der meisten Bauern des Kivuhochlands in den sechziger Jahren vergleichbar gewesen wären, habe ich im spanisch-indianischen Milieu nur bei Straßenkindern unter dem Pubertätsalter gesehen, die wirklich niemand mehr hatten in der Welt.
Gleichgültigkeit gegen Schmutz und Gammel und die Achtlosigkeit, mit der Dinge, also auch Kleider, behandelt werden, sind wieder Facetten des geringen Interesses an der materiellen Umwelt, wie es auch in der einfachen Anlage der Gehöfte zum Ausdruck kommt. Man kann darin durchaus eine Tugend im Sinne des Diogenes sehen. Manchmal wünscht man sich sogar, daß die Europäer auch etwas von diesem Desinteresse hätten, wenigstens zeitweise.
Ach, sie haben es gar nicht. Sie sind empfindlich gegen Schmutz und üble Gerüche und leiden mit den Sachen, die die Afrikaner achtlos einem raschen Untergang entgegenführen. Und die wieder verstehen nicht, daß man ihnen darüber Vorhaltungen machen kann.
„Es war eben ein miserables Fabrikat, Madame. Es ist gleich kaputt-gegangen.“
Und dazu ziehen sie eine Schippe äußerster Verachtung für den Hersteller und den Dreck, den man ihnen geschenkt hat.