Читать книгу Muzungu Facetten zentralafrikanischer Jahre - Peter Kunkel - Страница 7
ОглавлениеDer Schauplatz dieses Buches ist zumeist das ‚Herz‘ Afrikas, von wo man beinah gleich weit laufen müßte, um an die Ost- oder Westküste des Kontinents zu gelangen. Es ist jene Region, in der Gebirge und ausgedehnte Wasserflächen die Savannen Ostafrikas vom Regenwald am großen Fluß trennen, der bald Kongo, bald Zaire hieß und heute wieder Kongo heißt, mit anderen Worten, die nähere und weitere Umgebung des Kivusees, in der wir fast zehn Jahre gelebt haben, lange bevor sie mit dem Genozid in Rwanda und den folgenden Ereig-nissen traurige Aktualität erlangte. Und behielt, bis heute. Riesige Flüchtlingslager bei Goma und Bukavu, die Rebellion Kabilas und das anschließende Chaos im Osten des kongolesischen Staates haben dafür gesorgt.
Mit alledem beschäftigt sich dieses Buch nicht, denn ich bin nicht da-bei gewesen, und ich weiß, wie falsch sich solche Ereignisse bereits aus wenigen Kilometern Entfernung darstellen. Ich möchte aus den zehn Jahren berichten, die wir wirklich im Lande waren. Es wird von grundlegenden Dingen die Rede sein, die sich dort bis heute nicht geändert haben, und von anderen, aus denen sich das heutige Unheil in unausweichlicher, damals bereits erkennbarer Folgerichtigkeit ent-wickelt hat. In erster Linie aber will ich hier den Weg schildern, den ich gebraucht habe, um wenigstens in großen Zügen zu begreifen, wo ich war und unter welchen Menschen ich lebte.
Es war ein langer Weg, denn hier schreibt ein muzungu¹. Deshalb heißt das Buch auch so. Muzungu ist ein Kiswaheliwort2 und bedeutet Europäer, richtiger gesagt, Weißer, denn auch ein Bürger der Ver-einigten Staaten oder Australiens ist, sofern er nur ein Weißer ist, selbstverständlich ein muzungu. Kiswaheli aber ist die Sprache, in der man sich fast überall im östlichen Äquatorialafrika über Sprach- und Stammesgrenzen hinweg verständigt, vom mittleren Abschnitt der ostafrikanischen Küste bis zum Oberlauf des Kongo-Zaire-Flusses. Auch die Leute am Kivusee sprechen es untereinander, wenn sie nicht demselben Stamm angehören, und wir haben uns mit vielen von ihnen ebenfalls meistens auf Kiswaheli unterhalten.
Muzungu ist mehr als nur eine Bezeichnung für Nationalität oder ‚Rasse‘. Für den schwarzen Bewohner des weiten Kiswahelisprach-raums kennzeichnet das Wort einen Menschentyp nicht nur von fremdartigem Aussehen, sondern von mindestens ebenso fremd-artigem Charakter und einer Geisteshaltung ganz besonderer Art. Das Fremdartige überwiegt so sehr das Menschliche, daß sie uns oft mit „Muzungu“ anreden, wenn sie uns nicht näher kennen. Solcher Gebrauch von Volks- und ‚Rasse‘bezeichnungen verrät in der Regel nichts Gutes. Man denke an Nigger und Gringo – hier machen sich im Wesentlichen nur Haß und Verachtung Luft. Diese Komponente fehlt auch dem Wort muzungu nicht ganz. Erstaunlicherweise hält ihr aber fast immer ein gewisser Respekt und sogar Zuneigung die Waage. So ist es mir wenigstens immer vorgekommen, auch in kritischen Situationen, in denen undifferenzierter Weißenhaß nicht nur ver-ständlich, sondern auch entschuldbar gewesen wäre.
Manchmal ist aufschlußreich, wovon sich eine Nationalitäten-bezeichnung ableitet. Wir schlagen also im offiziellen englischen Wörterbuch für Standardkiswaheli unter mzungu nach, wie man im feinen, ‚korrekten‘ Kiswaheli der ostafrikanischen Küste sagt, dort, wo die Sprache entstanden ist, und findet neben der Bedeutung ‚Europäer‘ noch: etwas Wunderbares, Erschreckendes, Scharfsinn, Schlauheit, Kunststück, Trick, wunderbarer Plan, Plan, um Schwierig-keiten zu entkommen…
Hand aufs Herz, es ist zu schön, um wahr zu sein. Es schmeichelt uns, solches zu lesen. Es ist gut für unser Selbstbewußtsein. Als moderner Euromasochist möchte man allerdings ein so positives Bild von sich nicht wahrhaben. Man ist geneigt anzunehmen, daß die beiden Bedeutungen des Wortes zufällig gleich lauten, aber etymologisch nichts miteinander zu tun haben, oder man sucht nach einer histo-risch-düsteren Erklärung dieses offensichtlichen Irrtums.
Eine solche bietet sich leider nur zu leicht an. Die ersten Europäer, die an der ostafrikanischen Küste auftauchten, waren Portugiesen. Sie führten sich ein, indem sie eine arabische Stadt nach der andern in Schutt und Asche legten, jene muslimischen Kolonialstädte, die dem schwarzen Hinterland die Segnungen der arabisch-persischen Zivilisation, hauptsächlich aber Sklaverei, Menschenjagd und Entwür-digung gebracht hatten. In der Tat mögen die Neuankömmlinge den Landeskindern im Inneren als Wunder erschienen sein. Nur ist Kiswaheli gar nicht die Sprache der Stämme im Inneren, sondern eben jener Städte, deren Kultur so grausam von den Portugiesen ausgelöscht wurde.
Inzwischen ist das Kiswaheli freilich ins Binnenland eingedrungen. Es hat unterwegs nicht nur seine komplizierte Grammatik mit ihren differenzierten Ausdrucksmöglichkeiten verloren, sondern auch gro-ße Teile des Wortschatzes, und so kennt am Kivusee kein Mensch mehr eine andere Bedeutung von muzungu als eben ‚Weißer‘. Und doch geben die übrigen Sinngehalte des Küstenkiswaheli recht genau wieder, was den Weißen in den Augen der Landeskinder auszeichnet: auf der einen Seite hohes technisches Können, wenigstens nach landesüblichen Maßstäben, nicht zuletzt auch die Fähigkeit, mit unvorhergesehen Situationen fertig zu werden, auf der anderen Seite ein erschreckender Aktivitätsdrang, der die schwarzen Mitmenschen einfach überrollt, auch solche, die intelligenter sind als der Weiße und wissen, daß falsch ist, was sie unter seinem Druck tun.
Verblüffend ist, wie wenige Europäer in Zentralafrika diesem Bild nicht entsprechen. Oder wenigstens zu unserer Zeit nicht ent-sprachen. Ihre Aktivität und Spannkraft mochte zum Teil eine unbe-wußte Antwort auf die Vorstellung sein, die sich die schwarze Umwelt a priori von ihnen machte. Mehr noch schienen sie sich aus der freudigen Erkenntnis zu entwickeln, daß der Tatendrang hier plötzlich nicht mehr an die tausend Schranken stieß, die ihm in Europa gleichgerichtete Dränge der Mitmenschen setzen. Fähigkeiten traten zu Tage, die, wie man schaudernd wahrnahm, ‚zu Hause‘ nicht einmal zu ahnen waren. Sie waren nicht immer nützlich oder auch nur begrüßenswert. Jeder Weiße, der länger in diesen Ländern lebte, verfiel in einen Dauerrausch, mancherorts ‚coup de bambou‘ genannt, der den Blick für sogenannte Realitäten Europas trübte und das Wertesystem verschob, weg vom Perfektionismus, hin zu einer Vorliebe für Improvisationen, von grauer Bescheidenheit zu aus-ladendem Auftreten. Auch Leute, die Land und Leute nicht an sich heranließen, die eine dichte, abgeschlossene Atmosphäre um sich herum aufbauten, verfielen ihm. Auch sie wurden dem Begriff muzungu immer gerechter im Lauf der Jahre.
Leider ist das nur die eine Seite des Muzungutums. Die andere ist ein abgrundtiefes Unvermögen, schwarzafrikanische Denkwege, Motiva-tionen und Empfindungen zu erfassen oder gar daran teilzuhaben, ein Mangel an Sensibilität für Schattierungen zwischenmenschlicher Beziehungen, die den sozusagen ausschließlichen Inhalt schwarz-afrikanischen Lebens ausmachen. Der Europäer ist in schwarzafrika-nischen Augen einsam, wenn auch meistens nicht alleine. Er lebt in einer sozial und psychisch eiskalten Wolke. Sein Interesse für Dinge, die oft weitab der menschlichen Sphäre in schwarzafrikanischem Sinn liegen, ist absurd. Leute vom Land, die nicht eine Schule besucht und dort einen verständnisfernen Respekt vor europäischem Wissen aufgeklebt bekommen haben, mußten über den muzungu, wenn ihm nicht gerade, wie leider nicht ganz selten, die Galle überlief, eigentlich immer lachen. Was er auch tat, sagte oder fragte, war umwerfend komisch und der Drang unwiderstehlich, den Reichtum und die gewiß anerkennungswerten Fähigkeiten dieses freundlichen Narren für eigene Zwecke in Gang zu bringen. Er selbst wußte ja offenbar nichts Rechtes damit anzufangen.
So etwa stellt sich in großen Zügen der muzungu für die Landeskinder dar, ein, milde gesagt, etwas einseitiges Bild. Aber kann das ein Trost sein, wenn wir unsererseits diese Leute so wenig verstehen? Unter all den Menschentypen, die in größerer Anzahl den Erdball bevölkern, setzt vielleicht kein anderer unserem Einfühlungsvermögen soviel Widerstand entgegen wie die schwarzen Afrikaner. Nach jahrelangem Zusammenleben kann man ihre Reaktionen zwar in etwa voraus-sehen, die Empfindungen und Motivationen, die zu ihnen führen, nachzuerleben bleibt unendlich schwer.
Natürlich wird man sich trotzdem bemühen, seine schwarz-afrikanische Umgebung zu begreifen, und ab und zu geht uns auch ein kleines Licht auf. Aber man braucht Jahre und Jahre dazu, und ein muzungu bleibt man doch. Man bleibt eingeschlossen in sein europäisches Denken und Fühlen, und was Afrika uns bietet, zu-nächst werden wir es immer mit den Augen des Weißen sehen. Manchmal kann man dafür auch dankbar sein: Man sieht Vieles, und vieles Schöne, für das die schwarzen Landeskinder offenbar voll-kommen blind sind.
Dieses Buch schildert den Weg eines muzungu zu einem Verständnis Schwarzafrikas, bescheidener und richtiger gesagt, der schwarzen Zentralafrikaner, unter denen wir gelebt haben. Ich will nicht sagen, daß ich wirklich angekommen bin auf diesem Weg, Eben weil ich ein muzungu bin, ist das Verständnis fragmentarisch geblieben, und der Pfad war voller Umwege und Irrgänge. Ich werde Facetten des Lebens in den Ländern um den Kivusee beschreiben, die mein Bild von dem, was uns umgab, verschoben und korrigiert haben, bis es schließlich kaum noch etwas mit den Vorstellungen gemein hatte, mit denen ich nach Afrika gekommen war. Es ist mein persönlicher Weg, und auf ihn möchte ich mich hier beschränken. Ich möchte meine Beschreibung nicht damit belasten, daß ich die zahllosen Afrikabilder anderer diskutiere und mit dem meinen vergleiche. Ich glaube, das kann ich getrost dem Leser überlassen. Nur was an Schriften und Arbeiten anderer zu meinem Verständnis beigetragen hat, soll in meine Schilderung eingehen.