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Himmlers okkultes Weltbild

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Zwei weitere esoterische Einflüsse auf das Himmler’sche Tibet/Asien-Konstrukt müssen abschließend noch erwähnt werden, da sie sowohl die konkrete Politik Himmlers beeinflussten wie auch erklären helfen, warum er sich so nachhaltig zum Mentor des jungen Zoologen Ernst Schäfer und dessen Plänen für eine Tibet-Expedition machte.

Dabei handelt es sich zum einen um die sogenannte „Welteislehre“ (auch kurz WEL oder „Glacial-Kosmogonie“), eine im Vergleich zu Blavatskys Theosophie nicht minder phantastische und völlig unwissenschaftliche Kosmologie, die heute zwar fast völlig vergessen ist, aber in der NS-Zeit in der deutschen Bevölkerung wie unter den Eliten des Staates eine große Anhängerschaft besaß.9 Heinrich Himmler war bekannt als ausgewiesener Anhänger der Welteislehre.

Begründer der WEL war der Wiener Ingenieur Hanns Hörbiger (1860–1931). Der auf Kälte- und Wärmetechnik spezialisierte Hörbiger formulierte 1913 erstmals in Buchform seine umfangreiche „Glacial-Kosmogonie“. Im Kern geht es dabei um die Weltentstehung aus dem ewigen Kampf zwischen Eis und Feuer. In diesem dualistischen Weltbild spiegeln sich noch die naturphilosophischen Debatten des Abendlandes über Feuer oder Wasser als Ursprung aller Dinge wider. Die WEL war laut Hörbiger das Ergebnis einer Eingebung, einer Intuition. Versuch einer Kurzfassung: Das All besteht aus Eis- oder Heißgestirnen. Vor mehreren Millionen Jahren existierte im Sternbild Taube eine Riesensonne mit der dreißigmillionenfachen Masse unseres Zentralgestirns. Ein kleinerer, aber ebenfalls noch riesiger Eiskörper kollidiert mit der Megasonne und wird verschlungen. Nach einigen Tausend Jahren kommt es zu einer gewaltigen Explosion, bei der enorme Mengen an Eis, Glut und umgeformter Schlackenmaterie weit in den Weltraum geschleudert werden. Aus „Eislingen“ und „Glutlingen“ und umgebender Wasserdampfhülle formen sich alsbald unser Sonnensystem und die umkreisenden Planeten. Kleinere Körper stürzen in die Sonne oder werden von den größeren Planeten angezogen und verschmelzen mit ihnen. Auch die Erde hat in der Vergangenheit bereits drei kleine Planeten als Monde eingefangen, die letztlich dann auf die Erde stürzten. So wird es irgendwann auch mit dem Mars geschehen. Die Milchstraße wird in der WEL als eine Ansammlung von Eiskörpern betrachtet, die im Sonnenlicht reflektieren, und daneben existiert auch eine „Glutmilchstraße“, die durch den Eisring rötlich hindurchschimmert. Beide Objekte sind Bestandteile des Sonnensystems.

Diese Kosmogonie negierte komplett jeden gesicherten Wissensstand von Astronomie und Physik. Die WEL war keine Frage von Beobachtung oder Überprüfung, sie war vor allem eine Glaubensfrage. Und obwohl es sogar eine Reihe NS-freundlicher Naturwissenschaftler gab, die gegen diese „Volksverdummung“ opponierte, setzte sich Hörbigers bizarre Welteislehre bis zu einem gewissen Grad in NS-Deutschland durch.

Es gab eine schnell wachsende Schar begeisterter WEL-Anhänger in Deutschland, Vereine zur Förderung der WEL wurden gegründet, populärwissenschaftliche Bücher rund um Hörbigers Kosmogonie wurden publiziert und blendend verkauft, und es entstand eine enorme publizistische Tätigkeit pro Welteislehre. Im Kern ging es darum, im vorherrschenden Zeitgeist der Germanenverehrung und des Antisemitismus eine „deutsche Physik“ der als „jüdischen Physik“ empfundenen universitären Naturwissenschaft entgegenzusetzen. Der pathetische Appell eines Hörbiger-Jüngers macht das sehr deutlich:

„… denn diese Lehre [gemeint ist die ‚jüdische Physik‘ eines Albert Einstein, d. V.] ist nichts anderes als der in die Form von Berechnungen eingekleidete, unüberbietbare Höhepunkt der geistigen Verirrung und wahnwitzigen Verneinung alles über dem Stoffe Stehenden, Geistigen und letzten Endes Göttlichen in der Welt.“10

Und was hat das mit unserem Thema Tibet zu tun? In Himmlers Weltverständnis eine Menge. Dreimal war bereits nach Hörbigers System ein Mond von der Erde eingefangen worden und auf sie niedergestürzt. Mit diesen Phasen der Annäherung und Zerstörung erklärte Hörbiger elegant auch das menschliche Mythenrepertoire von weltweit verbreiteten Geschichten über Sintfluten oder Riesen. Diese „Mondeinbrüche“ verursachten größte Naturkatastrophen, Erdbeben, Fluten, Vulkanausbrüche usw. Und natürlich konnten – wenn überhaupt – nur Lebewesen diese Apokalypsen überstehen, die in den höchstgelegenen Erdregionen lebten, etwa den Anden oder Tibet. Hierhin hatten sich die letzten Atlantis-Bewohner gerettet, hier müsste man ihre Spuren finden – wenn man denn danach suchte. Dieses Szenario verträgt sich wiederum ausgezeichnet mit Blavatskys Wurzelrassen-Evolution.

Deshalb gründete Himmlers Wissenschafts-Organisation „Ahnenerbe“ eine eigene Abteilung zur Erforschung der Glacial-Kosmogonie, deshalb plante das „Ahnenerbe“ Expeditionen zum rund 4000 Meter hoch gelegenen Titicacasee und den dortigen Ruinen von Tiahuanaco und deswegen wollte Himmler Ernst Schäfer einen Welteislehre-Experten wie Edmund Kiss mit auf den Weg nach Tibet geben, der bereits in den Anden geforscht hatte.

Und zu guter Letzt hatte Universalgenie Hörbiger durch seine Glacial-Kosmogonie auch noch den Ursprung des Menschen erklärt. Denn der stamme natürlich nicht, wie Darwin meinte, vom Affen ab wie andere niedere Rassen, sondern sei eine Himmelsgeburt, als Protoplasma in Eisstücken auf die Erde hinabgestürzt, „göttliches Sperma, welches Allvater Kosmos in den Schoß unserer Allmutter gesenkt hat, um jene Erstgeburt des irdischen Lebens zu zeugen, aus welchem später zielstrebig der Mensch entwickelt wurde“. Die Forschung zur Welteislehre im „Ahnenerbe“ wurde unter dem Etikett der Wetterkunde versteckt. In einem Papier dieser Abteilung von 1936 heißt es

„… daß Hanns Hörbigers Welteislehre in ihrer grundsätzlichen Gestaltung das geistige Geschenk eines Genies ist, das von hohem Wert für die ganze Menschheit in praktischer und weltanschaulicher Hinsicht ist, für uns Deutsche als ein echt arisches Gedankengut aber von ganz besonderer Bedeutung ist.“11

Alles den Deutschen Fremdartige, fälschlich Übergestülpte wollte Himmler eliminieren, vom fremdrassigen Blut bis hin zur falschen, weil jüdisch-materialistischen (Natur)Wissenschaft, und ersetzen durch „arteigenes“, (indo)germanisches. Das ist der rote Faden in Himmlers ideologischem Bestreben und Kern seines magischen Weltbildes.

Und so erfuhr ebenfalls 1936 der ehrgeizige Forscher Ernst Schäfer bei seinem ersten Privatissimum mit dem SS-Chef von dessen tiefem Glauben an eine mythische Wahrheit über den Ursprung der Welt, der himmlischen Abkunft der Arier und ihrer Auserwähltheit und der Minderwertigkeit aller anderen Lebewesen – und war nachhaltig verstört angesichts dieser bizarr-magischen Glaubenswelt.

Aber der mit Sicherheit einflussreichste Berater Himmlers in Sachen arischer Esoterik war ohne Zweifel Karl Maria Wiligut (1866–1946). Der ehemalige Oberst der österreichisch-ungarischen Armee war aber gleichzeitig in der Runde völkischer Esoteriker der größte Scharlatan, „dessen Tätigkeit ans Betrügerische grenzte“ (Michael Kater).12 Nach seiner Pensionierung bewegte sich der gebürtige Wiener in den 1920er-Jahren in antisemitischen und ariosophischen Kreisen Österreichs, so im Ordo Novi Templi des Lanz von Liebenfels. Wiligut behauptete, er besäße hellseherische Fähigkeiten, eine sogenannte „Erberinnerung“, die ihn in die Lage versetze, in die früheste Ära der Ur-Germanen zu blicken. Weiterhin behauptete er, letzter Abkömmling eines uralten Königsgeschlechts zu sein, der Uiligotis der Asa-Uana-Sippe.

Der nach eigenem Bekenntnis in der Runenmagie und Heraldik kundige Ex-Oberst datierte die Ursprünge seiner Erberinnerung auf eine Zeit um 280.000 v. Chr. zurück, eine Zeit, in der die Erde von Riesen, Zwergen und anderen mythischen Wesen bevölkert wurde. Seine Mission war die Wiederbelebung der alten „irministischen Religion“. Himmler, der Wiligut 1933 auf einer Tagung der Nordischen Gesellschaft kennengelernt hatte, glaubt an Wiligut und seine seherischen Fähigkeiten und will ihn in Zukunft als Quelle für das Wissen über die Vergangenheit der Arier nutzen.

Der SS-Chef beförderte Wiligut sofort zum SS-Hauptsturmführer, gab ihm den Ordensnamen Weisthor (also „weiser Thor“) und machte ihn zum Leiter des Archivs im Rasse- und Siedlungshauptamt – später war er dort für „Sonderaufgaben“ zuständig. Wiligut/Weisthor stieg noch bis zum SS-Brigadeführer auf (quasi unterster Generalsrang) und bekam ein Büro beim Persönlichen Stab Reichsführer SS in unmittelbarer Nähe Himmlers. Privat residierte er in einer Dahlemer Villa und wurde von einem Chauffeur täglich in die SS-Zentrale in der Prinz-Albrecht-Straße gefahren – alles klare Indizien, welche besondere Vertrauensstellung Wiligut/Weisthor bei Heinrich Himmler genoss. Wiligut/Weisthor hinterließ einige sichtbare Spuren in der SS-Historie. Einmal entwickelt er für Himmler SS-eigene Rituale, etwa Heiratszeremonien oder heidnische Jahresfeste. Er gestaltet auch den berühmten Totenkopfring der SS, das symbolisch-sichtbare Zeichen der Ordenszugehörigkeit und unverbrüchlicher Treue zur SS.

Und schließlich inspirierte Weisthor Himmler bei seiner Suche nach einer passenden Ordensburg für die SS und deren Ausgestaltung. In Himmlers geliebtem Landstrich Ost-Westfalen, der Region von Arminius und Widukind und nicht weit vom angenommenen Standort der Irminsul an den Externsteinen, wurde man fündig: die Wewelsburg. Die aus dem 12. Jahrhundert stammende Dreiecksburg über dem Tal der Alme wollte Himmler zu einer SS-Ordensburg ausbauen, in der die Spitzen seines Adels-/Krieger-Ordens sich geistig rüsten und schulen sollten. Es ist hier nicht der Ort, die komplexe Geschichte der Wewelsburg als SS-Standort nachzuzeichnen, nur wichtig ist, dass Wiligut/Weisthor an der Gestaltung und Planung der Burg als SS-Kultstätte beteiligt war – zur Mystifizierung der Wewelsburg im Rahmen der Nazi-Tibet-Connection in der Nachkriegszeit s. Kapitel 9.

Wiligut/Weisthor produzierte in den sechs Jahren seiner SS-Zugehörigkeit einige Papiere für den Reichsführer SS über religiöse Fragen, den „Irminismus“ oder Erkenntnisse aus seiner „Erberinnerung“. Vieles davon klingt wirr – ein Text über den „Herrn der Welt“ beginnt mit dem verballhornten tibetischen Mantra „O mani batme hum“! – und ist es wohl auch, anderes ist dafür erhellend: So listet Weisthor programmatisch Schritte zur „Herstellung des Urglaubens“ auf, die „seitens des Staates nötig sind“, als da u.a. wären: „Auflösung aller männlichen und weiblichen Klöster … Beschlagnahme aller Kirchenvermögen ohne Unterschied … Unschädlichmachung von Geistlichen aller Grade mit der dem Staat zur Verfügung stehenden Mittel …“ Also nicht weniger als ein Kreuzzug gegen die etablierten christlichen Kirchen.

Und Himmler vermerkt handschriftlich am 17. Juni 1936 „gelesen“ auf einem Weisthor-Exzerpt über die Menschheitsentwicklung. Da heißt es eingangs: „Die irdische Menschheit … zerfällt in sieben Epochen, von welchen vier als vollendet, die fünfte die gegenwärtige Menschheit und die sechste und siebente die noch kommenden Menschenalter bilden.“ Das ist die theosophische Anthropogenesis der fünf Wurzelrassen in Reinform! Und weiter: „Jeder dieser bisher abgelaufenen vier Entwicklungsepochen wurde nach der mündlichen Geheimlehre durch eine ungeheure Erdkatastrophe herbeigeführt, durch die die Vereinigung unserer Erde mit einem von dieser angezogenen Gestirne beendet wurde.“ Und das wiederum ist original Hörbigers Glacial-Kosmogonie. Weisthor verquickt Theosophie, WEL mit seinem „Erberinnern“ über die germanische Urzeit: „… und die Erde pendelte aus und die Asa-Uana-Kinder wanderten aus auf Atta-lant (!) und schrieben ihre Geschichte und gaben selbe den Wissenden in Wahrung, auf dass es nicht vergessen werde …“13 Und Tibet bzw. Lhasa adelte der „Rasputin Himmlers“, wie manche Zeitgenossen ihn nannten, mit einer geomantischen Berechnung, die den Nordpol, Wien und die tibetische Hauptstadt in eine besondere spirituelle Beziehung zueinander setzte. Außerdem hatte der Oberst früher schon mehrmals davon fabuliert, einst in einem Lama-Kloster eine Initiation erlebt zu haben und sozusagen mit dem Dach der Welt geistig in Verbindung zu stehen.

Himmler war beglückt. Im gleichen Sommer 1936 bestand er darauf, dass sein Schützling Ernst Schäfer bei Wiligut/Weisthor vorsprechen sollte, für die geistige Vorbereitung auf seine Expedition nach Tibet. Wiligut fiel dann 1939 bei Himmler in Ungnade, da er ihm einen Aufenthalt in einer Salzburger Nervenheilanstalt von 1924 bis 1927 verschwiegen hatte, wegen „paraphrener Psychose“. Es ging um Größenwahnsinn, Gewalttätigkeiten und exzentrisches Verhalten, wobei seine Ex-Ehefrau wohl stark an der Einweisung und seiner Entmündigung beteiligt war. Außerdem wuchs die Kritik anderer SS-Führer an Wiliguts Wissen und seinem zunehmenden Alkoholismus. Wiligut trat im August 1939 aus der SS aus, Himmler soll Weisthors SS-Insignien Ring, Dolch und Schwert noch in seinem Safe verwahrt haben.

In all diesen Erklärungsmodellen über Ursprung von Erde und Mensch, von Blavatskys „Wurzelrassen“ bis zu Wiliguts „Erberinnern“ spielt Tibet eine durchgehende Rolle als fiktiver Hort und Heimat von Atlantis-Überlebenden und Ur-Ariern. Allerdings ein Tibet als pure Fiktion abendländischer Krypto-Geschichte und Esoterik. All diese Ingredienzen werden wir in der Wirkungsgeschichte der NS-Ära und der Schäfer-Expedition nach 1945 wiederfinden.

Himmlers (okkultes) Weltbild speiste sich hauptsächlich aus drei Quellen: dem Arier-Mythos der deutschen Romantik, der theosophischen Rassenlehre und der Welteislehre, das Ganze angereichert mit dem zeittypischen Antisemitismus und ausgeprägter Christenfeindlichkeit.

Der Holocaust-Architekt, der penible Buchhalter des Grauens, es ist die gleiche Person, die die Welteislehre propagierte, die sich als Reinkarnation Heinrich I. betrachtete, der Gralssucher und Ordensgründer, der Kräutergärten in KZs und biologisch-dynamische Landwirtschaft förderte, astrologischen Konstellationen Glauben schenkte und okkulten Theorien anhing. Irrationalität, Banalität und Grausamkeit mischen sich in dieser Figur auf eine bis heute verstörende Weise. Oder wie es Himmler-Biograph Peter Longerich zusammenfasste:

„Zentral für Himmlers Weltbild war die Wiederherstellung einer entchristlichten, germanischen Lebenswelt, die mit Hilfe des Atlantis- und des Tibet-Mythos mit längst versunkenen Hochkulturen und via Welteislehre/Astrologie mit der Geschichte des Kosmos verbunden werden sollte. So wie Himmler vermeinte, mit Hilfe seines Beraters Weisthor unmittelbar in die Welt der germanischen Vorfahren eindringen zu können, so glaubte er, sich im eigenen Blutstrom ‚wiederverkörpern‘ zu können – sein Weltbild hatte also durchaus eine Ewigkeitsperspektive.“14


Ernst Schäfer auf seiner ersten Expedition mit Brooke Dolan in Westchina

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