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DIE EINZIGARTIGE RETTUNG DER IBERISCHEN HALBINSEL

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Es gibt noch zwei Länder, auf deren aktuelles Wachstum die EU hinweist, wenn sie begründen will, wie sehr ihre Politik staatlichen Sparens sich bewährt: Spanien und Portugal. (Irland ist als wichtigste verbliebene EU-Steueroase ein extremer Sonderfall, den man nicht einmal seitens der EU fürs Gegenteil reklamiert, weil klar ist, dass sich jedes Land sanieren kann, indem es andere Volkswirtschaften um Steuereinnahmen bringt.)

Wie Griechenland lag Spanien, das ich auch persönlich recht gut kenne, in seiner wirtschaftlichen Entwicklung deutlich hinter den Staaten Mitteleuropas zurück. Nicht weil seine Bevölkerung faul oder untüchtig wäre, sondern weil es bis 1975 unter Francisco Franco eine ziemlich abgeschottete Diktatur gewesen ist. Als es 1986 der EU beitrat, waren die industriellen Branchen, in denen sich große wirtschaftliche Erfolge erzielen ließen – von der Metall- über die Automobil- bis zur chemischen Industrie –, bereits von deutschen, englischen, französischen, Schweizer oder italienischen Unternehmen besetzt. Und selbst in den „Nischen“ hatten bereits etwa Betriebe aus Österreich die besten Plätze inne.

Spanien musste sich mit dem zufrieden geben, was übrig blieb. Seine wichtigste Industrie besteht aus Automobil-Produktionsanlagen, die ausländischen Konzernen (Volkswagen, Ford usw.) gehören. Dazu gibt es eine höchst erfolgreiche Bekleidungsindustrie (Zara, Mango, Desigual, Massimo Dutti), die freilich fast nur im Ausland produziert. Neben dem Tourismus ist seine Landwirtschaft für einen bis heute viel zu großen Teil des BIP verantwortlich. Das aber ist ein grundsätzliches Problem: In der Landwirtschaft gab es sehr viel geringere Produktivitätsfortschritte als in der Industrie, so dass sie den Wohlstand sehr viel weniger steigern konnte..

Eigenständig hat sich neben der Bekleidungsindustrie aus dem Tourismus heraus nur eine auch im europäischen Vergleich starke Bauindustrie entwickelt, der relativ starke, auch in Lateinamerika erfolgreiche Banken zur Seite standen. Als Spaniens Beitritt zum Euro Kredite für Spanier wesentlich verbilligte, führte das im Verein mit billigem Baugrund zu einem extremen Bauboom. Viele Spanier meinten, voran Andalusien würde zum Florida Europas und seine Küsten wurden aufs Grässlichste verbaut. Jeder zweite Spanier glaubte, reich zu werden, indem er in Ferienwohnungen investierte.

Es entstand – anders als in den USA, aber ähnlich gefährlich – eine Immobilienblase, die dafür sorgte, dass die bis dahin hohe Arbeitslosigkeit massiv zurückging und die Löhne sich über Gebühr erhöhten: Sie stiegen – freilich von einem niedrigen Niveau ausgehend – bis 2007 fünf Mal stärker als die Produktivität.

Das Platzen dieser Immobilienblase, das mit der „Finanzkrise“ eher zufällig einherging, musste daher für Spanien zu einem gewaltigen Problem werden: Allein die Beschäftigung sank um eine Million Arbeitskräfte.

Allerdings – und das ist bei der Beurteilung der Ausgangslage des Landes mit zu bedenken – war es, im Gegensatz zu Nord-, West- und Mitteleuropa, kaum von den direkten Auswirkungen der Finanzkrise betroffen: Seine Banken hatten fast keine der toxischen US-Wertpapiere in ihren Tresoren, die deutsche, englische, französische oder österreichische Banken so sehr in Schwierigkeiten brachten, dass sie „gerettet“ werden mussten.

Die platzende Immobilienblase

Dennoch: Ein sehr großer Teil der spanischen Bankmisere war hausgemacht. Wenn auch einmal mehr mit gewaltiger deutscher Unterstützung: Nicht zuletzt deutsche Banken liehen, ähnlich wie in Griechenland, spanischen Banken Geld für deren viel zu leichtfertig vergebene Kredite. Und die spanische Bevölkerung investierte nicht nur in viel zu viel Beton, sondern sie verschuldete sich auch viel zu hoch, um voran deutsche Autos zu kaufen.

Als die Finanzkrise die Zinsen steigen ließ, vermochten die privat viel zu hoch verschuldeten Spanier ihre Hypothekarkredite nicht mehr zu bedienen; die Immobilienblase platzte und viele Banken gerieten nun wie in den USA massiv ins Wanken, so dass sie trotz des Fehlens toxischer Wertpapiere gerettet werden mussten.

Wie sieht es nun mit der Erholung Spaniens durch „Sparen“ und „Strukturreformen“ aus?

Spaniens Entwicklung als grafisches Schaubild


Quelle: The World Bank

Spaniens reales BIP pro Kopf, das 2007 dank des unnatürlichen Baubooms bei 34.329 US-Dollar lag, stürzte trotz des sparenden Staates (in Wirklichkeit wegen des sparenden Staates) bis 2013 ungebremst auf 30.679 US-Dollar ab, ehe es sich bis 2017 mit 34.272 US-Dollar wieder auf sein Ausgangsniveau erhöhte.

• Am stärksten hat sich, wie überall in den sparenden Staaten, die Arbeitslosigkeit erhöht: Lag sie 2006 aufgrund des Baubooms bei bis dahin rekordniedrigen 8,4 Prozent, so schnellte sie 2013 auf rekordhohe 26 Prozent hoch – lag aber 2017 bei immer noch dramatischen 17,2 Prozent. Die Jugendarbeitslosigkeit erreichte gespenstische 38 Prozent. Die Zahl der Erwerbstätigen, die aussagekräftiger als die der Arbeitslosen ist, sank von 20,58 Millionen im Jahr 2007 auf 18,86 im Jahr 2017.

• Am Rande stieg, wie in allen sparenden Ländern mit Ausnahme Deutschlands, die Staatsschuldenquote von 69,5 Prozent noch im Jahr 2011 auf 100,37 Prozent im Jahr 2014 und liegt auch heute noch bei 98,4 Prozent, obwohl Spanien unverändert viel zu wenig für Forschung und Entwicklung ausgibt und kaum in die Zukunft investiert.

Der wahre Grund der Erholung

Der ab 2014 einsetzende eindrucksvolle Wiederanstieg des BIP hat leider fast ausschließlich eine Ursache: Spaniens Tourismus erlebte einen einzigartigen Boom. Weil alle Sonne-Meer-Destinationen Afrikas, aber auch jene der Türkei von Terror heimgesucht wurden, erreichte die Iberische Halbinsel nie dagewesene Nächtigungszahlen. Und weil der Tourismus in Spanien (anders als in Italien) nicht weniger als 14,9 Prozent des BIP bedingt, konnte es entsprechend zulegen. Ähnliches gilt für die Arbeitslosigkeit: Weil Tourismus die mit Abstand beschäftigungsintensivste aller Branchen ist, schnellte die Zahl der dort Beschäftigen in den letzten drei Jahren von 1,9 auf 2,2 Millionen hoch. Dennoch sind immer noch 17 Prozent aller Spanier und ist ein Drittel der 15- bis 24-Jährigen arbeitslos. Und wie in Griechenland sind selbst diese Horrorzahlen noch geschönt, da sie die Auswanderung viel zu wenig berücksichtigen: Während die Regierung 2015 offiziell z. B. die Auswanderung von 9792 Personen nach Großbritannien bekanntgab, meldeten sich dort 50.260 Spanier zur Arbeit bereit.

Die Industrieproduktion, die alleine echte Erholung und vielleicht einen positiven Strukturwandel signalisiert hätte, lag 2017 hingegen um ein Viertel unter dem Wert von 2008.

Dennoch hat Spanien aus der Krise gelernt: Die zu allen Zeiten habsburgisch ausufernde Bürokratie wurde ein wenig abgebaut. Der extrem unflexible Arbeitsmarkt, der Abfertigungen von bis zu zwei Jahresgehältern vorsah, wurde schon unter dem Sozialdemokraten José Luis Zapatero so weit reformiert, dass Unternehmen es wieder riskierten, jemanden anzustellen; die Löhne sanken um 15 Prozent und liegen der Produktivität wieder etwas näher, vermindern freilich die Kaufkraft. Aber das alles ist schon vor dem Beschluss des Sparpaktes passiert – er selbst hat auch Spaniens Erholung einmal mehr nur gebremst.

Portugal spart etwas weniger – und fährt etwas besser

Recht ähnlich wie Spaniens Wirtschaftsgeschichte verlief auch die Portugals. Auch dieser Teil der Iberischen Halbinsel war bis 1975 eine Diktatur und industriell entsprechend zurückgeblieben. Auch dort bedingen Landwirtschaft und Tourismus einen viel zu großen Teil des BIP. Auch dort gab es kaum toxische Wertpapiere bei den Banken und einen etwas zu heftigen Bau- und Autokaufboom angesichts der Euro-Einführung, auch wenn die Fehlinvestitionen in Beton nie spanisches Niveau erreichten.

Dementsprechend fiel auch die Krise etwas sanfter aus. Von 27.575 US-Dollar im Jahr 2007 ging das reale BIP pro Kopf „nur“ auf 26.743 US-Dollar im Jahr 2009 zurück, erholte sich bis 2011 auf 27.238 US-Dollar, um dann wegen des Sparpaktes bis 2013 auf 25.654 US-Dollar abzusacken, ehe auch dort die Erholung dank Tourismus einsetzte und es 2017 mit 27.936 US-Dollar sogar über die Ausgangshöhe steigen ließ.

Denn anders als die spanische Rechtsregierung Mariano Rajoys hat Portugals Linksregierung ab 2015 den Sparpakt gegen alle Warnungen der EU-Kommission und Deutschlands in aller Stille missachtet, indem sie die Lohnsteuern gesenkt und ihre Beamten höher entlohnt hat – was auch den privaten Betrieben Anstoß zu Lohnerhöhungen gewesen ist. Prompt beendete nicht nur das BIP seinen Sinkflug deutlicher als in Spanien, sondern halbierte sich die Arbeitslosigkeit sogar von 16 auf acht Prozent. Dennoch sagt einmal mehr die Zahl der Beschäftigten mehr über den wirtschaftlichen Zustand des Landes aus: von 5,1 Millionen sank sie auf 4,8 Millionen.

Der Sparpakt hat somit in Spanien und Portugal nicht zu einer raschen Erholung, sondern, im Gegenteil, zu einer besonders langsamen Erholung geführt. Nur das Tourismus-Wunder hat beide Länder gerettet.

Nun werden Sie vielleicht dennoch einwenden, dass es unfair ist, den Extremfall Griechenlands, Italiens oder selbst Frankreichs als beispielhaft für die Wirtschaftspolitik der Eurozone anzuführen, obwohl es – siehe Experimentum Crucis – in der Wissenschaft die Norm ist, eine These unter den extremsten Voraussetzungen zu überprüfen. Aber der Einwand hat in jedem Fall keine ziffernmäßige Basis. Die zentrale Erfahrung aus Griechenland trifft nämlich auf die gesamte Eurozone zu – bei allen Mitgliedern, selbst in Deutschland und sehr wohl auch in Österreich, hat das intensivierte Sparen des Staates, welches im Jänner 2012 auf Initiative Angela Merkels mit dem Sparpakt zementiert wurde, das bereits wieder kräftige Wachstum des BIP massiv eingebremst. Die Staatsschuldenquoten stiegen ab 2014 aufgrund der Wachstumsschwäche fast durchwegs – mit Ausnahme Deutschlands, worauf ich später ausführlich eingehe – um ein paar Prozentpunkte an. Ich greife die Niederlande als eines von vielen Beispielen heraus; 2011, vor dem Sparpakt, hatte seine Staatsschuldenquote 61,6 Prozent betragen, 2014, nach zwei Jahren Sparens, betrug sie 68 Prozent. In Österreich stieg sie im gleichen Zeitraum von 82,4 auf 84 Prozent. Selbst in Deutschland war sie 2012 höher als 2011.

Christian Ortner (siehe www.ortneronline.at, „Das Zentralorgan des Neoliberalismus“) meint, der dürftige Erfolg des Sparens beruhe darauf, dass die genannten südlichen Staaten gar nicht wirklich – ihre Budgets zeigten es – gespart hätten. In Wirklichkeit bestätigte sich, was der österreichische Nationalökonom Erich W. Streissler behauptet hatte: „In der Krise kann der Staat nicht sparen.“ Die Budgetansätze, die jeweils sehr wohl Einsparungen vorsahen, konnten nie eingehalten werden, weil die wegen Sparens schlechter funktionierende Wirtschaft relativ geringere Steuereinnahmen bedingte und die steigende Arbeitslosigkeit gleichzeitig zu höheren Ausgaben für Arbeitslosengeld bzw. Sozialhilfe führte. Ich werde später ausführen, warum das mathematisch zwingend so sein muss und denkunmöglich anders sein kann.

Die Zerstörung der EU

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