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NACH DEN SCHWANGERSCHAFTEN UND GEBURTEN WAREN ADAS ARME UND BEINE ZWEIMAL SO DICK GEWORDEN. Der Bauch auch, die Brüste quollen fast aus dem BH. Wenn sie nackt war und sich weit vornüberbeugte, zum Beispiel um sich die Zehen abzutrocknen, sah sie von der Seite manchmal aus wie ein Wesen mit sechs Gliedmaßen.

«Früher brauchte ich mich mit nichts vorzusehen», sagte sie. «Aber jetzt?» Sie machte eine hilflose Geste. «Ich brauche ein Mars nur anzuschauen und nehme schon zu.»

«Dann schau halt nicht hin», sagte Mutter.

Die Kinder wurden größer, Ada wurde größer, ich blieb gleich – ich habe immer ein stabiles Gewicht gehalten – und Mutter wurde kleiner. Kompakter. Als ob ihr spezifisches Gewicht zugenommen hätte.

«Beließe sie es nur beim Hinschauen», sagte Vater. Dabei machte er ein Gesicht, als hätte er es schon sehr oft gesagt und als hätte sie nicht auf ihn hören wollen.

Ada setzte sich, behäbiger als zuvor, aber das gehörte dazu.

«Nach zwei solchen Schwangerschaften ist man wirklich nicht mehr dieselbe. Hattest du geglaubt, in einem Frauenkörper würde sich dadurch nichts verändern? Das weißt du doch auch, Tille. Ich konnte doch immer essen, was ich wollte! Gut, das habe ich nicht, natürlich nicht, nein, aber das hatte andere Gründe, darum geht es jetzt nicht. Das weißt du doch auch.»

Ich antwortete ihr nicht, ich fand es nicht schlimm, dass sie gewachsen war, nicht unangenehm. Im Bett konnte ich die Wölbungen riechen, scharf und süß, ich spürte die gestiegene Temperatur des ehelichen Fleisches. «Ada», flüsterte ich, denn alle schliefen schon.

Manchmal stieß ich sie an. «Ada, bist du noch wach?»

Sie ächzte leise.

Ich drehte mich auf die Seite und atmete ihr ins Ohr. Es hatte eine Zeit gegeben, da hatte es Ada Spaß gemacht, wenn wir uns auf dem Bett gegenübersaßen, nackt und mit nur einer schwachen Lampe an, und spielten, wer am längsten die Finger vom anderen lassen konnte. Ich verlor immer, außer wenn ich mich über das Bett zu ihr beugte und ihr sanft ins Ohr atmete. Das hatte ihr immer gefallen, es schien schon wieder eine geraume Zeit her zu sein.

«Du», flüsterte ich, «bist du wach?»

Sie wälzte sich hin und her. «Tille», sagte sie, «ach.»

Ich legte meine Hand auf ihren Bauch, sie war ein Wasserbett aus weißem Fleisch. Die Masse bewegte sich unter meiner Hand, weich und massiv. Einen Nabel konnte ich nicht mehr fühlen, ich fühlte nichts als Fett und Wärme, von einer Form war kaum mehr die Rede.

Langsam glitt meine Hand tiefer. Zu schnell ist nicht gut, außer es ist ein Teil des Spiels. Ich fühlte das Bündchen der Unterhose, den Beginn der scharfen Stoppeln darunter.

«Du», flüsterte ich.

Ich verlangte nicht viel, meine Forderungen waren zu vernachlässigen. Nie schlug ich mit der Faust auf den Tisch, um eine Entscheidung zu forcieren.

Sie zog einen Arm unter der Bettdecke hervor und strich mir über den Kopf. «Tille», sagte sie. «Entschuldige, aber ich bin echt ein bisschen zu müde jetzt.» Es folgte ein Lächeln, leise und beruhigend. «Komm», sagte sie. «Wollen wir nicht einfach schlafen?»

Manchmal stand ich auf, um zugunsten der Nachtruhe im Badezimmer zu onanieren. Den Umständen entsprechend hielt sich meine Haut noch ordentlich. Das Gesicht hing auch noch ganz normal an Ort und Stelle, an seinem ursprünglichen Platz, in der richtigen Höhe, es war noch nicht abgesackt, wie es mit allen Gesichtern geschah, die Jahre zogen sie langsam nach unten – eines Tages sah man keine oberen Zähne mehr, wenn man jemanden anschaute, sondern nur noch untere.

Ich trank ein Glas, ich wollte rauchen.

In den Lichtpfützen der Straßenlaternen tauchten Fahrräder auf, Jugendliche, Jungen und Mädchen, am Wochenende oft noch spät unterwegs, die sofort wieder im Dunkeln verschwanden – später schwebten ihre Lichter langsam an Derksens Haus vorbei.

Ada hatte sich selbst in De Tangelier neben mich gestellt, nicht umgekehrt. In den ersten Jahren hatte sie einen guten Eindruck gemacht, mehr als gut genug, um eine Familie zu gründen, ein Leben, aber jetzt hatte sich ihr Animo verflüchtigt.

Einmal bin ich nach dem Rauchen zurück nach oben gegangen, aber das war auch aus Frustration. «Ada», sagte ich in einem Ton, als ob es mir jetzt langte. «Los, aufwachen. Hierüber haben wir geredet. Das genau ist jetzt das, worüber wir immer reden.»

Es hatte keinen Sinn, sie reagierte nicht.

Eine Ehefrau gibt Sex wie eine Kuh Milch – ein paar Jahre lang, fünf, sechs, und dann ist die beste Zeit vorbei.

Diese Nacht – so habe ich es auch in den Verhören gesagt – bin ich aufs Fahrrad gesprungen. Ich zog mich an, während ich in die Scheune ging, wo es steht, ein schwarzes Modell mit Sattel, Handgriffen und Reifen in Beige. In der Frauenvariante nennt man es auch Omarad; der Name Oparad hat meines Wissens nie Anklang gefunden.

Ich bog sofort in die Dorfstraße ein und fuhr über das Klinkerpflaster ins nächste Dorf.

Ich fuhr in die Felder, kam ins Naturschutzgebiet, das Überlaufgebiet.

Bei klarem Wetter konnte man schon die Stadt sehen, eine große Halbkugel aus orangefarbenem Licht am Horizont, wie eine untergehende Sonne; das Versprechen von Freiwilligkeit.

«Dreißig Kilometer hin und dreißig zurück», sagte der Ermittlungsbeamte. Es war der Anfang eines neuen Verhörs, der Morgen war noch frisch. «Mitten in der Nacht, dazu immer dieser Wind.» Er schaute schnell nach links und nach rechts, als würde er etwas suchen. «Warum haben Sie nicht einfach das Auto genommen?»

«Weil ich Fahrrad gefahren bin», sagte ich. «Ja, tut mir leid, aber das ist einfach die beste Antwort. Ich bin mit dem Rad gefahren. Ich bin ein Radfahrer, ich fahre gern Rad.»

«Hatten Sie Angst, man könnte ihr Nummernschild erkennen?»

«Nein», sagte ich. «Wieso? Warum sollte jemand mein Nummernschild erkennen? Warum sollte ich das nicht dürfen? Zu den Huren zu gehen, ist doch nicht verboten!»

«Wenn man etwas vorhat», sagte er, «das das Tageslicht scheut, kann es manchmal praktisch sein, wenn nicht jeder das Nummernschild sieht.»

«Ich hatte nichts vor», sagte ich. «Nichts anderes als ich schon gesagt habe. Nichts, was nicht erlaubt wäre jedenfalls. Ich fahre gern Fahrrad. Es macht mich ruhig, dann kann ich meine Gedanken ordnen. Echt, eine halbe Stunde tüchtig in die Pedale getreten und man fühlt schon, wie sich das ganze Herz-Lungensystem entspannt. Wenn ich zurückkomme, sieht die Welt schon wieder ganz anders aus.»

Sie tauschten einen Blick.

«Radfahren», sagte ich. «Das kennen Sie doch?» Ich lachte. «Schwerer Tag, der Kopf ist voll, Ärger, Lärm, nirgends Ruhe im Haus. Dass man mal kurz raus muss, an die frische Luft?»

Ich fuhr überall hin.

Ich radelte über alle Dörfer in der Umgebung.

Zum Asylbewerberheim, und weiter noch an der Dorfkneipe De Dorelaer vorbei – manchmal bin ich dem Wasser gefolgt, bis ich das Watt riechen konnte.

Die Ermittler begriffen nicht, dass es mir um das Radfahren zu tun war. Sie haben darüber gelacht. Der Spott ist mir nicht entgangen, der Sarkasmus, der harte, ausgehärtete Unglaube. Aber sie lachten mit langen Gesichtern, flach und tonlos, als hätte jemand einen Witz gemacht, der bei näherem Hinsehen doch nicht so witzig war.

Du gehörst mir

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