Читать книгу Liebesbeben - Peter Relling - Страница 6
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Schon bevor er los gefahren war, hatte Hans sich überlegt, dass ein Zollvergehen nicht nur Strafe kosten würde, sondern möglicherweise sogar Einfluss auf seinen Studienplatz haben könnte, wenn er nämlich nach einem entsprechenden Verfahren wegen Zollvergehen und Steuerhinterziehung als vorbestraft galt. Vorbestraften wurde der Studienplatz an der Bauschule in Hamburg verwehrt, und er war nicht sicher, ob das auch für Straftaten während des Studiums galt. Aber er nahm es an!
In der Beziehung wollte er kein Risiko eingehen! Zwei Semester hatte er hinter sich, das dritte stand nach der Sommerpause bevor. Jedes Semester kostete ihn neben seinem Verdienstausfall noch 150,- DM an Studiengebühren, und 120,- DM für eine Krankenversicherung. Beides war Pflicht! Wer ihr nicht nachkam, wurde für das nächste Semester nicht zugelassen! Hinzu kamen Ausgaben für Fachliteratur und Material zum Notieren und Aufarbeiten des Gehörten, für Zeichenmaterial, Bleistifte und Tintenstifte: für alles, was man brauchte, um bei dieser Ausbildung über die Runden zu kommen. Niemand erhielt etwas geschenkt, alles musste bezahlt werden, alles, auch die Monatskarte für die Bahnfahrt von seinem Wohnort nach Hamburg Hauptbahnhof, die 22,- DM kostete.
Ein gelernter Mauerer erhielt damals einen Stundenlohn von 2,89 DM brutto! Nach den üblichen Abzügen für Steuern, Sozial- und Rentenversicherung blieben davon für einen alleinstehenden Gesellen knapp 1,70 DM übrig: Also kostete eine Monatskarte zum Studienplatz Hans soviel wie 14 Arbeitsstunden auf einer Baustelle. Schichten im Hafen beim Aufbau eines neuen Gaswerkes besserten sein Budget auf: Eine Doppelschicht brachte 47,09 DM netto! Und davon waren bereits alle Steuern und Sozialabgaben abgezogen.
Musste er dazu verdienen?
Seine Eltern hatten ein Baugeschäft seit der Währungsreform, und sie verdienten auch damit. Aber sie hatten 1952 ein Haus gebaut, unten Lager, oben Wohnung, an dem sie noch abbezahlen mussten. Der Betrieb wuchs und wuchs und mit ihm natürlich auch die Kosten für eine Erweiterung, für neue Lastwagen, für Personal, und was am Ende übrig blieb, war ein arbeitsreiches Leben ohne finanzielle Sorgen, allerdings auch ohne grosse Sprünge: Wenn man an einem Sonntag einmal weg wollte, an die Küste, um dort ein wenig Sonne zu tanken, nahm man den kleinsten der Lastkraftwagen, einen Lieferwagen, mit dem man bei einem Kunden einmal aushelfen konnte, wenn er vergessen hatte, eine bestimmte Ware zu bestellen. Einen PKW gab es lange nicht in dem Betrieb.
Der Vater fuhr mit einem Kleintransporter die bestellten Waren aus, und die Mutter sass derweilen im Betrieb. Sie gab Waren aus, nahm Waren ein, und mitunter musste sie mit dem Fahrer des Lieferanten auch einmal 10 t Zement ausladen und mit einer Sackkarre ins Lager transportieren. Hans half immer, wenn er konnte und wenn er Zeit dazu hatte. Aber es wurde immer mehr Arbeit, je mehr das Geschäft wuchs! Obwohl er lang wurde wie eine Bohnenstange, legte er zuerst in der Breite kaum zu. Er war kräftig, aber schmal! Am Ende seines Wachstums ging er dann auch in die Breite, aber das war eher unauffällig, und es geschah während seiner Lehrzeit zum Maurer. Plötzlich passte ihm kein Anzug mehr, plötzlich war er um mehr als 15 kg schwerer geworden, nahm, wenn es sein musste, auch einmal zwei Zementsäcke je 50 kg auf den Nacken und ging damit ganz locker davon, und als er dann einen Führerschein hatte, durfte er an den Wochenenden Material für Vaters Betrieb zu dem Kunden bringen. Auch nach Beginn des Studiums. Von da an bezahlte der Vater ihm seine Arbeit. Nur, wenn er mehr verdienen wollte, oder wenn er mit seinen Kommilitonen etwas gemeinsam machen wollte, was Geld kostete, ging er für eine Doppelschicht mit ihnen in den Hafen.
Er war sonst ein eher lockerer Typ, dem es auf die eine oder andere Unregelmässigkeit nicht ankam, wenn sie nicht den gesetzten und vor allem den gesetzlichen Rahmen sprengte, und die Grenze zur Legalität gar nicht oder nicht allzu weit überschritt. Ein eher langweiliger Typ? So konnte man es sehen. Und seine Schulkameraden und vor allem die Mädchen unter ihnen hatten es wohl so gesehen. Er war ein Einzelgänger geblieben, dessen Freundschaften eng begrenzt waren, was auch an seinen Eltern lag.
Vorsichtig war er, das traf es besser! Eine Überschreitung der legalen Grenzen hatte er schon immer zu vermeiden versucht, und bisher war es ihm auch in der Weise gelungen, dass ihm bisher noch kein strafbares Verhalten angelastet werden konnte. Wozu auch?, hatte er sich stets gefragt! Er fand es absurd, eine Bank zu überfallen, um zu Geld zu kommen. Für wenige tausend DM, die einem in die Hände fallen mochten, eine jahrelange Haft zu riskieren und danach als Vorbestrafter weder über Geld noch über eine geregelte Arbeit zu verfügen, das war ihm keine Überlegung wert. Er würde es nicht einmal für eine Million Mark tun! Und das nicht etwa aus Feigheit, sondern aus nacktem Kalkül. Er wusste, dass eine Million nur nach viel klang, dass sie aber nicht ausreichen würde, ihn ein Leben lang zu ernähren, ohne dass es aufgefallen wäre. Hans war keineswegs feige! Er war vorsichtig.
Nur in einer Beziehung verliess ihn stets sein Mut: bei Frauen. Er hatte sich ein paar Mal eine Abfuhr geholt, weil die jeweils Angesprochene nichts mit ihm zu tun haben wollte. Vielleicht war sie schon vergeben, oder er war nicht ihr Typ gewesen. Dass seine Mutter zu allem Überfluss auch noch eine ausgesprochen herrische Person war, die stets die gesamte Familie zu dominieren versuchte, was sich auch auf Hans Erziehung ausgewirkt hatte, trug zu seinen Hemmungen bei. Er schloss von ihrem Verhalten auf das anderer Frauen und fragte sich, was er in einem solchen Fall tun würde. Es ergab sich dabei fast von allein, dass er Frauen und auch gleichaltrigen Mädchen stets mit einem Übermass an Respekt begegnete.
Dabei war Hans nicht unattraktiv, aber sicher kein Frauenschwarm. Aber immerhin ein junger Mann, der sich sehen lassen konnte: mehr als 190 cm gross, schlank und deshalb eher schmal wirkend, was aber deutlich täuschte, denn in seiner Jacke konnte ein breitschultriger Kleinerer verschwinden wie ein Baby. Nur Hans sah man es nicht an, dass er kräftiger und breiter gebaut war als viele seiner Altersgenossen. Er hatte es schwer, Konfektionskleidung zu kaufen. Das meiste war ihm zu klein, zu schmal oder zu eng. Und bei Schuhen erging es ihm ähnlich! Er wollte auf Helgoland probieren, etwas Passendes für sich zu finden, wenn ihm die Zeit dazu blieb.
Hans hatte vor seinem Studium seinen Gesellenbrief als Maurer erworben, und das mit der Gesamtnote zwei, ohne die er nicht einmal zur Aufnahmeprüfung zum Ingenieurstudium an der Bauschule Hamburg zugelassen worden wäre. Seine Schwächen in Mathematik und Physik hatten ihn ein Semester Studienzeit gekostet: Schon in der Berufsschule hatte er ein Defizit bei seinen Mathematikkenntnissen festgestellt, und im zweiten Semester seines Studium war es offenbar geworden: In manchen Dingen hatte er, wie es ein Dozent unter einer von ihm abgegeben Arbeit formulierte, nicht einmal den Schimmer einer Ahnung!
Er wiederholte das Semester und kam nun ins dritte. Er hatte zuvor Erfahrungen gesammelt als Maurerlehrling an verschiedenen Baustellen, hatte die Aufnahmeprüfung zur Bauschule bestanden, aber er hatte noch keinerlei erotische Erfahrungen sammeln können. Er war der Meinung, das müsse sich wohl ergeben. Seine Eltern offenbar auch! Was er über Sex wusste, hatte er aufgeschnappt. In der Schule war im Biologieunterricht ausführlich von Bienen die Rede gewesen, aber nicht gerade von denen, die man gelegentlich in speziellen Vierteln Hamburgs auf der Strasse traf - nur da nannte man sie anders - und die einen pubertierenden Jungen in seinem Alter wirklich zu interessieren begannen!
Er wusste inzwischen sehr wohl, welchen Zweck der kleine Fortsatz bei ihm zwischen den Beinen zu erfüllen hatte, wenn er nicht gerade pinkeln musste, sondern sich beim Anblick einer weiblichen Schönheit versteifte. Und das geschah ihm nun immer häufiger! Mitunter war das schon bei einem Foto der Fall, und er konnte diese Forderung nur dadurch besänftigen, dass er selbst Hand anlegte. Und deshalb wusste er auch, dass es Sperma war, was er dann abspritzte, wozu er eine Toilette aufsuchte. Hatte er sich erst einmal erleichtert, dann sah er die Welt schon viel nüchterner an und die Reize attraktiver Frauen deutlich gelassener!
Die Fahrt nach Helgoland von Wyk auf Föhr aus hatte er auf Anregung seines 15 Jahre älteren Vetters angetreten, der mit seiner Familie auf Föhr wohnte und ihn gebeten hatte, ihm einen besonderen Whisky mit zu bringen, den man zu einem vernünftigen Preis nur auf Helgoland erwerben könne. Hans hatte keine Verwendung für Schnäpse irgendwelcher Art, und deshalb konnte er seinem Vetter diesen Gefallen gern tun - wenn der ihn auch bezahlte! Das war nicht selbstverständlich, denn Hans war Gast in der Wohnung seines Vetters. Um diese Jahreszeit war normalerweise jedes Bett an einen Kurgast vermietet, aber in diesem Monat waren zwei Wochen nicht belegt, so dass Hans bei seinen Verwandten auf Föhr Urlaub machen konnte. Hans genoss es! Und er freute sich auf die Fahrt nach Helgoland!
Plötzlich neigte sich die Rüm Hart zuerst deutlich und relativ lange nach Steuerbord. Dann folgte ein Anheben und Überholen des gesamten Schiffs zur Backbordseite.
Die Rüm Hart setzte nun deutlich härter ein in die Wellen, und Spritzwasser kam über das ganze Schiff. Der Kapitän hatte schon einige Minuten vorher das Vorschiff sperren sperren lassen, auf dem einige junge Leute zu heissen Rhythmen zu tanzen versucht hatten, weil es dort nun einfach zu nass wurde. Also verteilten sich die Gäste vom Vorschiff auf der gesamten Rüm Hart, wobei viele versuchten, auf dem Sonnendeck hinter der Kommandobrücke einen Platz zu finden. Einigen gelang es, andere kehrten aufs Restaurantdeck zurück, andere versuchten, noch einen der Liegestühle zu ergattern, die im Freibereich im Heck unter dem Sonnendeck des Schiffes zur Verfügung gestellt worden waren. Hier sassen sie dann auch einigermassen trocken: Das Spritzwasser von vorn schoss an ihnen vorbei. Nur, dass einige Seekranke den gleichen Platz aufgesucht hatten, um wenigstens an der frischen Luft zu sein, störte anfangs ein wenig. Aber nur vorübergehend: Sie kotzten still und ergeben vor sich hin, aber sie belästigten keine anderen Passagiere damit, wenn die sich ihnen nicht in den Weg stellten. Gelegentlich stieg auch eine Welle hoch genug ein, dass sie flach über das Achterdeck wusch und das Erbrochene mitnahm. Die nicht Seekranken nahmen dann die Füsse hoch, damit das Wasser unter ihnen hindurch laufen konnte, den Seekranken war es egal. Sie reagierten nicht!
Auf dem Sonnendeck oben war es nicht wesentlich anders, nur die Nordsee wusch das Erbrochene nicht fort. Es blieb liegen und stank - was durch den immer noch deutlichen Wind rasch davon getragen wurde. Die Besatzung würde es wohl während der Liegezeit vor Helgoland wegspülen.