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3.

Hans sass bisher einigermassen geschützt auf dem Sonnendeck unmittelbar hinter den Aufbauten der Kommandobrücke. Feucht war es hier zwar auch, aber nicht nass. Er sah in den überdachten Mittelaufbau hinter den Brücke hinein. Dort stapelten sich die Fahrgäste fast aus Angst vor der nach jedem Eintauchen des Schiffes überkommenden Nässe. Nur wenige blieben auf dem Sonnendeck. Darunter eine junge Frau, oder ein Mädchen, ganz genau war es nicht erkennbar, weil sie sich ganz in Windschutzkleidung eingehüllt hatte. Sie hatte ganz hinten auf einer Kiste mit Rettungsmitteln Platz genommen und die Beine fast hoch gelegt. Hans hatte sie schon gesehen, als sie vom Vorschiff nach oben gekommen war, allein, ohne Begleiter, und so sass sie noch immer da. Und sie scherte sich nicht darum, ob sie nass wurde oder nicht. Sie blickte interessiert auf die Nordsee, auf die inzwischen respektablen Wellen, in denen die Rüm Hart ihren schwankenden Kurs hielt, auf den Horizont, der absolut leer war, und schien sich an ihrem Platz ausgesprochen wohl zu fühlen. Von Seekrankheit bei ihr keine Spur!

Hans überwand aus einem Impuls heraus seine Hemmungen weiblichem Geschlechts gegenüber, gab seinen ziemlich gut geschützten Platz hinter der Kommandobrücke auf, der sofort von einem anderen Fahrgast wieder besetzt wurde, und ging zu ihr und der Rettungsmittelkiste, auf der sie allein sass. Von dem Spritzwasser, das die Rüm Hart mit jedem Eintauchen hoch schaufelte, war hier nichts mehr zu spüren. Die Tropfen flogen an diesem Platz vorbei.

„Ist hier noch der Platz frei?“ fragte er, seine Schüchternheit überwindend. Er war es einfach nicht gewohnt, er konnte nicht anders!

„Freili!“ kam als Antwort, und das weibliche Wesen rückte sogar ein wenig zur Seite, obwohl auch ohne dem genug Platz gewesen wäre auf der etwa 2,5 m langen Kiste für Rettungsmittel. Wollte Sie damit vermeiden, dass er sich zu nahe an sie heran setzte? Möglicherweise, denn sie kannte den jungen Mann ja nicht, der sie höflich gefragt hatte, statt sich einfach neben sie zu setzen. Deshalb konnte sie auch nicht wissen, dass er sich auch mit einem Platz an einer Seite der Kiste begnügt hätte, um ihr nicht zu nahe zu kommen.

Aus Norddeutschland kam sie schon einmal nicht! Dort wurde dass Wort „freilich“ im Sprachgebrauch nicht benutzt. Also Süddeutschland! Bayern? Hans hatte Zweifel. Aber so gut kannte er sich nicht aus, vor allem nicht mit Sprachgewohnheiten in den unterschiedlichen Regionen Deutschlands. Um mehr heraus zu finden, musste er sie in ein Gespräch verwickeln. Aber wie? Er wusste es nicht!

Sie hatte die Mitte eingenommen, und davon gab sie nun ein Stück frei. Sie blickte ihn an und fand wohl, dass er sie nicht mit Anzüglichkeiten belästigen würde. Eher sah der junge Mann, der sich neben sie setzen wollte, ein wenig schüchtern aus. Sie wusste noch nichts mit ihm anzufangen. Aber das musste ja nichts bedeuten. Er hatte sie höflich gefragt, ob er sich neben sie setzen dürfe, und sie hatte das nicht abgelehnt. Obwohl reichlich Platz auf der Kiste war, fragte sie sich, was er wohl gemacht hätte, wenn sie nein gesagt hätte. Hätte er sich wieder zurück gezogen? Oder hätte er nachgefragt, warum der freie Platz vielleicht nicht frei sein sollte? Claudia ahnte es nicht!

Er sah sie auch kurz an. Ein Mädchen war sie nicht mehr, eine reife Frau aber auch nicht. Sie musste etwa so alt sein wie er, vielleicht auch noch in der Ausbildung? Für einen weiblichen Lehrling war sie zu alt! Frau hatte ausgelernt mit 18 oder 19 Jahren. Die neben ihm sah aber aus, als sei sie 20 Jahre oder älter, nicht viel, aber immerhin. Sein kurzer schüchterner Blick hatte ihm aber für die Feststellung gereicht, sie schön zu finden - was ihn noch schüchterner machte. Sie hatte ein schmales Gesicht, was durch eine relativ hohe Stirn betont wurde, eine gerade Nase, einen sinnlich scheinenden Mund. Ihre Haare waren von der hochgeschlagenen Kapuze ihres Anoraks bedeckt, aber der Haaransatz schien blond zu sein. Ihre Augen waren blau, soweit er es auf den ersten Blick erkennen konnte.

Hans setzte sich neben sie, ohne allerdings auf Tuchfühlung zu gehen. Sie nahm es zur Kenntnis, rückte aber auch nicht weiter von ihm ab. Ihre Füsse stützten sich nach wie vor auf der zweiten Relingssprosse ab. Sie hatte die Beine leicht angewinkelt, und als Hans auch seine Füsse auf die gleiche Relingssprosse stellte, sah er, dass auch er die Beine anwinkelte, aber nicht viel weiter als die Frau neben ihm. Klein war sie also nicht! Er sah sie noch einmal an, und bemerkte, dass ihr Gesicht leicht oval war, was aber auch nicht stimmte, die Kiefer waren ausgeprägt und die Wangenknochen darüber auch. Das machte ihr Gesicht eher kantig, aber auch nur angedeutet, interessant und sportlich.

Er blickte in ein freundliches offenes Gesicht. Das weibliche Wesen lächelte ihn an, aber das wirkte nicht auffordernd auf ihn sondern nur freundlich. Ihr Gesicht war hell und offen. In diese Frau könnte ich mich verlieben! dachte er sofort. Schon ihr Gesicht gefiel ihm. Sonst war alles sehr wohl verpackt, sie trug eine blaue Windjacke, die sie bis oben hin zugezogen hatte und Bluejeans, die so grosszügig geschnitten waren, dass sie nicht eng anlagen. Schade!

„Sie haben gar keine Probleme mit Seekrankheit?“ fragte er, um dann doch zu einem Gespräch mit ihr zu kommen.

„Nein, ich find´s grossartig, dass es hier so waggelt,“ war die Antwort. Schwäbisch?

„Und wenn es mehr würde?“ fragte Hans nach.

„Des könnt´ mich scho intressiere, aber heut ischt es halt äbbe so!“ bekam er zur Antwort. Schwäbisch, was sonst? Obwohl er sich nicht auskannte mit den Dialekten der deutschen Sprache.

Er kannte von seinen Eltern und Grosseltern nur Plattdeutsch, ein Niederdeutsch in einem Dialekt, wie es im Raum nordwestlich von Hamburg gesprochen wurde, wo er ja auch aufgewachsen war. Und wenn er redete, kam es so norddeutsch, dass man seine Herkunft sofort erkannte: Hamburg, oder Hamburger Umfeld.

Die Rüm Hart hatte bald das Helgoländer Loch erreicht, einen Seebereich in der Nähe von Helgoland, in dem sich immer ein hoher Wellengang bildete, der selbst bei diesem guten Wetter auch die grossen Schiffe wie die Wappen von Hamburg oder die Roland von Bremen deutlich zum Schaukeln brachte.

Die Rüm Hart erkletterte die Wogen in diesem Seebereich nahezu, um anschliessend in ein tiefes Tal zu fallen, so dass die nächste Woge das Vorschiff vollkommen überflutete. Dann hob es sich wieder ruckartig durch den hohen Auftrieb des Vorschiffs, liess Salzwasser quasi in der Luft stehen, senkte die Nase wieder in das nächste Wellental, und das hochgepeitschte Wasser trieb in einer einzigen grossen Wolke über das Schiff hinweg. Die Bewegungen waren alles andere als regelmässig, sie waren mal sanft und weich, dann wieder, als führe das Schiff gegen ein nachgebende Wand, und mit jedem Senken des Bugs in die nächste Welle flog die Gischt über das Schiff hinweg.

Hans blickte zu seiner Nachbarin, ob sich bei der vielleicht doch langsam Seekrankheit einstellte, aber die schien es zu geniessen wie er selbst auch! Bis dahin hatte er nicht gewusst, ob er seefest war, denn so oft war noch nicht mit einem Schiff gefahren, und nach Helgoland noch nie! Das war etwas ganz anderes als auf der Unterelbe, auch anders als auf der Ostsee, wo er schon einmal eine Segelfahrt mitgemacht hatte.

„Darf ich Sie schützen?“ fragte Hans.

„Nicht erforderlich!“ bekam er als Antwort, „Isch habe misch vor der Fahrt ausreichend informiert und gut vorgesorgt. Isch bin geschützt genug.“

Damit war sein erster Annäherungsversuch gescheitert! Doch Hans spürte es kaum, denn so etwas war er seit einigen Jahren gewohnt. Und er wusste, dass er wohl etwas massiver vorgehen musste, wenn das mit seiner Annäherung etwas werden sollte.

„Waren Sie schon einmal auf Helgoland?“ versuchte er es erneut nach kurzer Zeit.

Sie schüttelte den Kopf: „Isch war noch nie auf der Nordsee! Ich bin dodaal begeischtert! Isch bin rischtig geschpannd auf die Insel! Un Sie?“

„Mir geht es wie Ihnen!“ sagte Hans, „Der Seegang macht mir Spass, und auf Helgoland werde ich schön zollfrei einkaufen!“

„Des möcht´ ich aach! Ich habe schon Aufträge von Arbeitskolleginnen, was ich ihnen alles mitbringe soll! Aber zuerscht mache ich einen Inselrundgang mit!“

„Und wenn die Zeit dann nicht mehr zum Einkaufen reicht?“

„Dann habbe die Kollegen ebbe Pech gehabt!“ lachte sie, „isch fahre doch net ihretwege nach Helgoland. Isch fahre doch meinetwege! Un isch finds herrlich!““

Das hatte etwas für sich, fand Hans. Er fuhr ja auch nicht nach Helgoland, um seinem Vetter einen bestimmten Whisky zu besorgen. Das konnte doch nur eine für sein Quartier angenehme Massnahme sein! Wenn Werner den besonderen Whisky haben wollte, den er in Wyk auf Föhr nicht kaufen konnte, musste er schon selbst eine Fahrt nach Helgoland machen! Aber das war ihm nicht möglich: Zum einen musste arbeiten, wenn von Wyk aus die Tagesfahrten nach Helgoland angeboten wurden, und zum anderen wog der Fahrpreis von Wyk aus den Vorteil beim zollfreien Einkauf auf Helgoland nicht auf: Er liess sich aber gern etwas mitbringen und empfahl schon deshalb auch seinen Gästen die Fahrt nach Helgoland.

Und dann setzte die Rüm Hart zum ersten Mal richtig hart ein: Sie musste im Helgoländer Loch drehen, um die Reede von Helgoland zu erreichen. Und in der Folge gab es wuchtiges Aufstampfen des Schiffes in den Wogen mit Übernahme von Spritzwasser in grossen Mengen, nur sie am Heck bekamen kaum etwas davon ab. Die Frau hatte ebenso wie er die Windjacke anbehalten, die sie auch vor der Gischt schützte. Und deshalb sassen sie nun vielleicht als einzige noch frei auf dem Sonnendeck.

Hans hätte auch nichts gegen eine rassige Schwarzhaarige gehabt, aber die gab es mit Sicherheit nicht an Bord des Schiffes. Er fand die Frau vor sich sehr sympathisch und auch attraktiv, mindestens, was das Gesicht betraf, das auf ihn eine ansprechende Offenheit ausstrahlte. Von allem anderen hatte er bisher ja nur die eingemummte Masse gesehen. Sie konnte dick und fett sein, sie konnte dürr sein wie eine Bohnenstange, sie konnte weich gerundet sein oder breit und knochig, es war ihr nichts anzusehen, was Rückschlüsse auf ihre Figur zugelassen hätte. Nach ihrem Gesicht zu urteilen war sie ein eher sportlicher Typ - aber auch das konnte täuschen!

Wie sollte er sie überhaupt anreden? Sie hatten einander noch nicht vorgestellt. Hans begann damit.

„Ich heisse Hans mit Vornamen, studiere im Moment Hochbau in Hamburg mit dem Ziel, die Bauschule als Ingenieur für Bauwesen abzuschliessen,“ sagte er.

„Un wie lang hascht du noch nach?“ kam ihre Frage sofort nach seiner Vorstellung. Hans registrierte erfreut, dass das Mädchen vor ihm ihn sofort mit Du ansprach, weil er ja auch nur seinen Vornamen genannt hatte.

„Vier Semester, wenn alles gut geht,“ antwortete Hans.

„Zwei Jahre also ... isch bin Claudia, schtudiere Medizin in Heidlbersch, werde wohl in drei Jahren fertig sein und hänge dann noch eine Spezialausbildung an.“

„Mit welchem Ziel?“

„Isch möcht Kinderärtschtin werden.“

„Alle Achtung!“ sagte Hans staunend, „Und was machst du nun auf Föhr?“

„Praktikum!“

„In einem der Heime?“

„Im Krankenhaus!“

„Und das stellt dich zufrieden?“

„Dazu bin ich nicht hier her gekommen. Mir ging es ausschliesslich um den Platz für das Praktikum. Und mit dem, was hier so abgeht, kann ich wirklich zufrieden sein. Auch, wenn mir das eine oder andere so nicht gefällt.“ Hans hörte kaum noch ihren Dialekt. Oder hatte die Frau oder das Mädchen Claudia sich ein wenig umgestellt?

Die Bewegungen des Schiffes wurden wieder ruhiger. Die Rüm Hart lief die Reede vor Helgoland an und warf rasselnd Anker. Hans hätte die neue Gesprächspartnerin zu gern einmal in die Arme genommen, aber das verbot sich ja wohl von selbst. Zumindest zu diesem Zeitpunkt. Sie redeten ja erst eine Stunde miteinander.

Aber sie waren einander ein wenig näher gekommen. Nahe genug, um zu vereinbaren, dass sie von allem die höchst zulässige Menge einkauften, die zwei Personen auf dem Rückweg durch den Zoll bringen durften. Und zwar wechselseitig. Sie mussten dann ihre Waren noch auf Helgoland austauschen, so dass keiner von ihnen mehr als die zulässige Menge in seiner Tasche hatte, wenn sie durch die Zollkontrolle gingen, und auf dem Schiff mussten sie dann wieder zurück tauschen, wodurch jeder das erhielt, was er für sich eingekauft hatte.

Claudia war an Zigaretten und Alkoholika nicht interessiert, Hans konnte sich für Parfüm und Kosmetika nicht begeistern, auch Schokolade wollte er nur für die Kinder seines Vetters mitbringen.

Es war nun etwa 12:30h.

Bevor sie auf die Insel kamen, mussten sie in ein Börteboot umsteigen, mit dem sie an Land gebracht wurden. Dazu mussten sie die Rüm Hart verlassen und wurden von zwei kräftigen Helgoländern fast in das kleinere offene Boot getragen. Es hatte Platz für mehr als 40 Personen.

Per Lautsprecher war noch auf der Rüm Hart durchgesagt worden, wann das Schiff wieder zurückfahren würde und dass das letzte Börteboot um 16 Uhr von der Mole ablegen würde. Hans und Claudia verabredeten, einander eine Viertelstunde früher noch im Lung Wai zu treffen, der Hauptstrasse von der Mole bis zum Aufzug zum Oberland, und zwar am Ausgang zum Hafen, wo der Abstand zum Zollhaus noch mehr als 200 m entfernt war. So konnten sie sicher sein, dass die Zollbeamten sie nicht dabei beobachteten, ob und wie sie die eingekauften Waren austauschten.

Ein Mann, der es auf dem Sonnendeck mit ihnen knapp ausgehalten hatte, ohne richtig seekrank zu werden - wenn auch nur mit Mühe - gab auf, als er festen Boden unter die Füsse bekam. Nun bewegte sich nichts mehr unter ihm. Und das war zuviel! Er schaffte es gerade noch bis zu einem Pfahl an der Molenkante, hielt sich daran fest und spuckte sein Frühstück ins Hafenbecken.

Claudia und Hans sahen das und lachten froh darüber, dass ihnen so etwas nicht passiert war. Sie gingen gemeinsam in Stück des Lung Wai entlang, bis sie ein Lokal fanden, vor dem sie sich zum Treffen verabredeten.

Dann trennten sie sich.

Claudia wollte als erstes den geführten Inselrundgang machen, und sagte, danach könne sie immer noch einkaufen, und Hans wollte sich erst einmal umsehen und vergleichen, wo er was am günstigsten kaufen könne.

Claudia wunderte sich über den jungen Mann, den sie gerade kennen gelernt hatte. Hans hiess er! Wie ihr ältester Bruder.

Liebesbeben

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