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2. Kapitel WIE KOMMT MAN ZU EINEM GARTEN?

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Am Montagmorgen war die Stimmung im Kombinat nicht gerade auf dem Siedepunkt. Lang gezogene Wochenanfangsgesichter streckten sich Axel entgegen, marschierten wie eine Trauergesellschaft im Gänsemarsch in die Umkleidekabinen und zeigten deutlich an, dass sie überall lieber wären als hier bei der Arbeit. Aus den großen und schlecht belüfteten Werkshallen schwamm der Geruch nach Maschinenöl bis in die Pausenräume. Bis dann die einzelnen Produktionsabschnitte als ein Ensemble zusammenspielten, dauerte es noch eine ganze Weile und so erzeugten erst einzelne Sägen und Bohrer ein paar falsche Töne. Dieses morgendliche Durcheinander nutzte Axel noch schnell aus, um im Büro des Kombinatsleiters vorzusprechen. Er huschte die Treppen hinauf. Ein paar Arbeiter in sauber gewaschenen blauen Anzügen taumelten ihm gemütlich in Richtung Arbeitsplatz entgegen und werteten das Heimspiel von Lok Leipzig aus. Dann stand er vor dem Büro von Herrn Liedke. Durchatmen. Einmal Anklopfen. Auf ›Herein!‹ warten.

»Herein!«, klang es militärisch durch das Schlüsselloch und unter dem Türspalt hindurch. Axel drückte auf die Klinke und trat ein. »Guten Morgen!« Der Kombinatsleiter entgegnete ein kameradschaftliches Kopfnicken. Er klemmte zwischen den Armlehnen seines Stuhls fest wie eine Glühbirne in ihrer Fassung und schien sich in dieser Position recht wohlzufühlen. »Nehmen Sie Platz, Genosse Weber. Wo drückt denn der Schuh?« Sein Gesichtsausdruck blieb so unverändert, als würde er eine Maske tragen. »Herr Kombinatsleiter Liedke, Sie haben mir zu meiner Einstellung gesagt, dass ich mit Problemen jederzeit zu Ihnen kommen kann.«

»Jederzeit, außer freitags.« Das sagte er so dahin. Es sollte sicherlich kein Versuch sein, sich für die Begegnung am Freitagnachmittag zu rechtfertigen. Das hatte er nicht nötig. »Deshalb komme ich ja auch jetzt zu Ihnen«, lenkte er ein. »Wie kann ich behilflich sein, Genosse Weber?« Er lehnte sich zurück und sah ihn interessiert an. »Nun, meine Frau kommt aus einer Bauernfamilie. Ihre Vorfahren haben seit Menschengedenken den Erdboden durchpflügt und sich mit allem versorgt, was sie zum Überleben benötigten. Und jetzt ist uns die Idee gekommen, dass wir uns selber einen kleinen Garten anschaffen sollten. Nur haben wir beide keine Ahnung, wo wir hier eine Parzelle bekommen könnten.« Der Kombinatsleiter wirkte angestrengt. Es entstand eine Denkpause, in der Axel das Büro begutachtete. Blick aus dem Fenster auf die Flusswiesen. Dunkelrote Stoffvorhänge. Ein Schraubenbaum neben dem Schreibtisch. Ein Bild von Erich Honecker an der Wand. »Fragen Sie beim Genossen Krugmann nach. Jürgen Krugmann. Er ist Montageleiter in der Halle fünf. Der hat einen Garten und muss ja demzufolge da irgendwie rangekommen sein. Also sonst fällt mir niemand anders ein.«

»Montageleiter Jürgen Krugmann, Halle fünf«, wiederholte er halblaut um zu zeigen, dass er alles richtig verstanden hatte. »Danke!«

»Keine Ursache, ich fühle mich auch für das allgemeine Wohlbefinden meiner Mitarbeiter verantwortlich.« ›Außer freitags‹ dachte er. »Apropos, wie kommen Sie denn eigentlich in ihrer neuen Heimat zurecht?«

»Nun«, er war sich nicht sicher, wie weit er das Heimweh von Gerda ausschmücken sollte. »es geht schon. Am Anfang dauert es seine Zeit, bis alles rund läuft, aber wir sind tapfer.«

»Hat Ihre Frau schon eine Arbeit gefunden?«

»Nein, sie hat bisher in Neubrandenburg beim Kreisgutachter im Gesundheitswesen gearbeitet und so etwas gibt es hier nicht.«

»Was hat sie denn gelernt?«

»Kinderkrippenerzieherin und dann ein Fernstudium zur Fürsorgerin.«

»Soll ich mal meine Fühler ausstrecken? Ich habe ein paar Verbindungen.«

»Gern, vielen Dank.« Schon wieder ein Erfolg. Wenn Gerda hier arbeiten kann, dann lernt sie viele neue Leute kennen und das hilft ihr auch ein bisschen über ihr Heimweh hinweg. Der zweite Treffer im Fechtkampf gegen ihre Sehnsucht nach der mecklenburgischen Heimat stand bevor. Er verließ das Büro, pustete die angestaute Luft aus und fühlte sich wie der kleine Sieger einer großen Schlacht.

*

Mittagspause. Axel Weber hatte sich schmutzig gearbeitet und Schmierfette und Öltropfen hatten sich schon größere Gebiete seiner frisch gewaschenen Arbeitskleidung wieder zurückerobert. Er hatte keine Zeit zum Händewachen. Er hielt das Pausenbrot mit dem Butterbrotpapier fest, in das es Gerda heute früh eingewickelt hatte. ›Käse und Salami‹ schmeckte er schon beim ersten Biss. ›Lecker.‹ »Wo ist denn die Werkhalle Nummer fünf?« Die Kollegen zeigten einstimmig in Richtung des Notausgangs und aßen dann selber gemütlich weiter.

Die Halle fünf war nicht viel größer als seine Werkhalle. Es standen fast die gleichen Geräte herum und die Menschen, die hier arbeiteten, waren ihm noch genauso fremd wie die Mitarbeiter seiner Jugendbrigade. »Wo finde ich denn den Genossen Krugmann?« fragte er in den Pausenraum, in der das Heimspiel von Lok immer noch nicht bis zu Ende ausgewertet war. Ein schwarzhaariger kleiner Fast-Rentner fühlte sich zuständig: »Jürgen oder Wolfgang? Wir haben hier zwei Krugmänner.«

»Jürgen Krugmann.«

»Der ist mal an der frischen Luft und kommt so in einer Stunde wieder.«

»Danke. Ich komme dann später noch mal wieder.«

»Schon gut.« Auf dem Rückweg überlegte er, dass die Mittagspause nur eine halbe Stunde betrug. Wo war er denn? Und was bedeutet frische Luft? Man kann sich an diese Arbeitseinstellung gewöhnen und heute störte es ihn schon weniger als am Freitag. ›Immer schön mit dem Strom schwimmen, dann gehst du nicht unter‹ dachte er und musste dabei sogar ein wenig schmunzeln.

Nach einer guten Stunde kam ein unscheinbarer Mann mit Brille auf ihn zu, dessen helles Haar dazu neigte, sich zu locken, wenn es länger wächst. Er strahle eine freundliche Ruhe aus, als er Axel selbstsicher begrüßte: »Guten Tag Axel Weber«

»Ja?«

»Jürgen Krugmann. Kennst du mich noch?« Grübeln. Wann sollten sich ihre Wege denn schon einmal gekreuzt haben? Er wühlte die Schubladen seiner Erinnerung durch und kramte nach einem Gesicht das so aussah wie jenes, das er gerade vor sich hatte. »Fernlehrgang Schweißen. Berlin Grünau 1980.« Jetzt dämmerte es. Er war zum Schweißerlehrgang nach Berlin delegiert worden. Und das war auch 1980. Aber Jürgen Krugmann kannte er nicht mehr. »Ich habe schon gehört, dass jemand aus Neubrandenburg hier angefangen hat. Das passiert eher selten. Warst du denn so gut?«

»Das haben andere entschieden.« sagte er unverfänglich. »Du hast mich gesucht«, lenkte er zum eigentlichen Thema. »Ich war an der frischen Luft aber die Kollegen haben mir Bescheid gesagt, dass der neue Montageleiter nach mir gesucht hat.«

»Ja, das stimmt, der Genosse Liedke hat mich an dich verwiesen.«

»Was wollte er denn?«

»Meine Familie wünscht sich einen Garten. Weißt du, wo man einen beantragen kann?« Er strengte sichtbar seine Gedanken an und was als Ergebnis seiner Anstrengungen herauskam waren zwei Worte: »Wolfgang Blume.« Dann entstand einen Augenblick Stille, der im Hintergrund nur von den Maschinengeräuschen bedrängt wurde.

»Wolfgang Blume ist der Vorsitzende unserer Gartensparte Karl Liebknecht und verwaltet auch die Gartengesuche. Am besten ist es, wenn du mal heute nach der Arbeit bei ihm im Garten vorbeifährst und dich persönlich vorstellst.«

*

Im Garten Nummer 31 goss ein kleinwüchsiger Mann, der in einem gelben Sporthemd steckte, mit der Gießkanne das Zwiebelbeet. »Herr Blume?« die Frage kroch zögernd aus ihm heraus und übertönte nur minimal das Regengeräusch. »Ja.« Der Mann stoppte den Niederschlag, stellte die Gießkanne auf den Plattenweg und kam zum Gartenzaun. »Was gibt’s?« versuchte er neugierig aber freundlich zu erkunden. Seine scharfen Blicke tasteten ihn von oben nach unten ab. »Ich soll Ihnen einen schönen Gruß von Jürgen Krugmann bestellen. Er hat gesagt, dass ich bei Ihnen einen Garten beantragen kann.«

»Hat er das gesagt?« Er schmunzelte dabei zu sich selbst und hob die Augenbrauen. Auf seiner Stirn zogen drei Etagen Falten in parallelen Linien auf. »Dann kommen Sie doch bitte mal mit.« Als er zu seiner Laube ging, pfiff er ein Lied, das er sich aller Wahrscheinlichkeit nach gerade selber ausgedacht hatte. Es gab weder eine klare Klangfolge noch so etwas wie einen Refrain. ›Ein fröhlicher und zufriedener Mensch hat den ganzen Tag ein Lied auf den Lippen‹, dachte Axel Weber zuversichtlich und folgte dem Spartenvorsitzenden auf die Terrasse. »Nehmen Sie bitte Platz.« Herr Blume trug einen Hut, der sein Gesicht beschattete. Seine Oberlippe glich einem abgemähten Getreidefeld. Und jene blonden Stoppelhaare wippten beim Reden immer auf und nieder. »Woher kennen Sie denn den Genossen Krugmann.«

»Mein neuer Kollege.«, rechtfertigte er sich »Wir sind von Neubrandenburg hergezogen wegen der Arbeit. Die haben hier einen Montageleiter gesucht und ich bin dafür ausgesucht worden.« Er nickte interessiert und wurde dann förmlich: »Also aktuell haben wir keinen freien Garten und auch noch ein paar offene Anträge, die vorrangig bedient werden müssen, aber ich nehme ihre Daten natürlich gern auf und sobald sich etwas ergeben sollte, dann werde ich mich bei Ihnen melden.« Er beschrieb mit seinem Kugelschreiber einen ausgerissenen Zettel kariertes Blockpapier und legte es gewissenhaft unter den Berg von anderen Anträgen. ›Wie kommen wir nur ganz nach oben?‹ fragte er sich und dann fragte er den Spartenvorsitzenden »Wann können wir dann in etwa mit einer Zusage rechnen?« Dieser überschlug im Kopf seine Rechnung und veröffentlichte dann seine Mutmaßungen: »Sie sind jetzt auf Platz dreizehn. Erfahrungsgemäß springen immer ein paar Leute ab, wenn wir uns melden. Aber ich denke, wenn der sechste oder siebente Garten frei wird, dann könnte es was werden.«

»Wie lange wird das dauern?«

»Na so Pi mal Daumen etwa zwei bis drei Jahre. Wenn nicht gerade ein Wunder geschieht, brauchen Sie vorher nicht mit einer Zusage rechnen.« Er wirkt mitfühlend »Ich habe fünf Jahre gewartet.«

»Vielen Dank.« Die Enttäuschung war ihm anzumerken. Was sagte er jetzt zu Hause? Er wollte das zarte Gewächs der Euphorie doch nicht mit den realen Tatsachen wieder vernichten. Er lief mit summenden Gedanken aus dem Garten Nummer 31 und der Vorsitzende spielte wieder Regenwolke auf dem Zwiebelbeet und für die Blumen war es wohl so, als ob zwischen zwei Schauern kurzzeitig die Sonne durchgeblickt hatte.

*

»Macht ihr Überstunden?«, fragte Gerda, als er die Wohnungstür aufschloss und war sichtlich erleichtert. »Nein, ich war in der Gartensparte und habe eine Parzelle beantragt.«

»Das ging ja schnell. Wann bekommen wir denn den Zuschlag?«

»Wir sind auf Platz Nummer dreizehn. Also im schlechtesten Fall müssen noch dreizehn Gärten frei werden und dann haben wir sicher einen. Wenn jemand abspringt, sind wir schon eher dran.« Gerda nahm ihm seinen gespielten Optimismus nicht ab. »Zumindest haben wir jetzt einen Antrag laufen.« Sie nickte gedankenverloren. »Gab es sonst noch was Besonderes?«

»Der Kombinatsleiter kümmert sich um eine Arbeit für Dich. Er hat gute Kontakte.«

»Kontakte, die er freitags immer pflegt?« Ihre Laune hob sich etwas und das erleichterte ihn ungemein. »Wo sind die Kinder?«

»Auf dem Spielplatz. Heiko hat seine Klassenkameraden und Jana spielt mit ihren Freundinnen aus dem Kindergarten. Ich habe heute frisches Brot in der Kaufhalle bekommen.«

»Warst du um 13 Uhr da?«

»Nein, schon eher. Ich habe Frau Heinrich von ganz unten im Hausflur getroffen und die hat mir den Tipp gegeben, schon zwanzig Minuten eher hinzugehen. Denn wenn es um 13 Uhr frisches Brot gibt, dann sind vorher die Körbe alle weg. Und ohne Korb darf man nicht in die Kaufhalle.« Er freute sich und strich ihr über ihr müdes Gesicht. »Rundgang nur mit Korb!« sagte er spöttisch und drückte sie schmunzelnd an sich.

*

Die Sonne beschien den Parkplatz vor dem Kombinat, der sich nach und nach mit Autos und Mopeds füllte. Eine Amsel sang aus dem Pappelwald. Axel Weber stellte seine Simson neben dem Fahrradständer ab. Lautes Motorengeheul überschwemmte den Parkplatz und kam direkt auf ihn zu. Eine große silberne ETZ ließ sich ausrollen und steuerte den Stellplatz neben ihm an. Der Fahrer winkte ihm zu, war aber durch das abgedunkelte Visier seines Integralhelms nicht zu erkennen. ›Er sieht die Welt, aber die Welt sieht ihn nicht‹, dachte Axel und war gespannt wer unter dem Helm hervorkriechen würde. Als sich der Motor des Motorrades beruhigt hatte, sprang sein Fahrer ab und lüftete das Geheimnis um seine Person. Aus einem anonymen Verkehrsteilnehmer wurde eine ihm vertraute Person: Jürgen Krugmann. »Na warst du gestern beim Genossen Blume?« Er tarnte seine Neugier durch Hilfsbereitschaft. »Ja, aber so erfolgreich war ich nicht.« Krugmann verzog sein Gesicht, sodass er keine weitere Frage zu stellen brauchte. »Wir sind auf Platz dreizehn gelandet. Wenn wir Glück haben, springt noch jemand ab und wir kommen eher dran.«

»Soll ich mal mit ihm sprechen?« Er wirkte fürsorglich und war scheinbar wirklich daran interessiert, ihm weiterzuhelfen.« Das machte Eindruck. ›Irgendwie kommt man hier leichter mit den Leuten in Kontakt als in Mecklenburg.‹ Er wertete das als einen neuen kleinen Fortschritt. »Glaubst du, dass man da noch an der einen oder anderen Schraube drehen kann, um die Zuteilung zu beschleunigen?«

»Was du machen kannst, ist noch mal hingehen und ihm Folgendes sagen: du hast zwei Kinder, würdest auch einen verwilderten Garten nehmen und bist bereit, die allgemeinen Anlagen mit zu pflegen.«

»Die allgemeinen Anlagen pflegen?«

»Ja, dazu werden sowieso alle verpflichtet. Du musst 40 Stunden im Jahr allgemeine Arbeiten rund um das Pumpenhaus arbeiten. Umgraben oder harken. Möglicherweise kannst du auch zum Rasenmähen auf den gemeinschaftlichen Flächen herangezogen werden.«

»Und warum soll ich ihm das dann extra sagen?«

»Dann sieht er, dass du dich auskennst. Das kommt gut an. Ein Mann, der die Arbeit liegen sieht und nicht wartet, bis sie die anderen machen.« Das war wieder Auftrieb. Er fühlte sich wie die Kohlensäure in einer Limonadenflasche. »Ach ja, und wenn du auf Nummer sicher gehen willst, dann habe ich noch einen Tipp für dich: Er trinkt gern Rosenthaler Kadarka.«

»Danke. Solche Leute wie du sind rar gesät.« Er winkte ab. »Schon gut, für einen alten Schweißerkollegen …« Könnte der Morgen besser beginnen als mit dem Blick über eine Wand, die bis vorhin noch ein unüberwindbares Hindernis war? ›Beziehungen schaden nur dem, der keine hat.‹ dachte er und lachte zufrieden in sich hinein.

*

»Haben wir noch eine Flasche Rosenthaler Kadarka?« Gerda war überfragt. »Ich glaube nicht. Warum?«

»Wir könnten sonst eher an einen Garten kommen. Der Spartenvorsitzende trinkt gern Rotwein und das soll wohl so etwas wie Schmierseife sein, damit er sich eher für uns entscheidet.« Sie wurde enthusiastisch und überlegte. »Hier in der Kaufhalle brauchen wir wohl erst gar nicht nachfragen. Die haben bestimmt ein paar Flaschen hinten stehen, aber wieso sollte sie die gerade an uns verkaufen, wenn sie von anderen Leuten irgendwelche Vorteile erlangen können.«

»Wir brauchen etwas zum Anbieten, zum Beispiel frisches Gemüse aus dem Garten oder Erdbeeren. Dann läuft es bestimmt besser.«

»Das ist ein klassisches Paradoxon: Wir benötigen eine Flasche Rotwein, um möglicherweise einen Garten zu bekommen. Und die Flasche könnten wir wohl eher bekommen, wenn wir etwas aus dem Garten zum Tausch hätten.« Beide schüttelten den Kopf. Dann hatte er eine Idee. »Kann nicht deine Mutter in Neubrandenburg mal losziehen und bei Bärbel in der Kaufhalle in Monckeshof nachfragen?«

»Wir können Bärbel auch direkt schreiben, denn sie wollte sowieso mal gern wissen, wie es uns hier gefällt.«

Eine Stunde später warfen sie einen Brief an Bärbel Kolley in Neubrandenburg in den gelben Briefkasten an der Schmiedeberger Straße ein, der im Nachmittagsschatten vor sich hindöste und geduldig auf eingehende Postsendungen wartete.

*

Nach einer Woche hatten sie einen Paketzettel in der Post. »Abholung ab morgen. Nicht jedoch vor 14 Uhr.« befahl eine strenge Handschrift. Am darauffolgenden Tag betrat Axel Weber um 16 Uhr und 10 Minuten das Postamt in der Torgauer Straße. Die Postangestellte bemühte sich erst gar nicht, zu lächeln. Dafür wurde sie nicht bezahlt. Er tauschte einen Paketzettel gegen ein Paket und erkannte sofort die Handschrift ihrer alten Freundin Bärbel aus der Kaufhalle in Monckeshof. ›Die alten Seilschaften funktionieren auch über die Entfernung.‹ Behutsam lud er das Paket auf seine Simson und fuhr so vorsichtig wie bei Glatteis nach Hause. Gerda wartete und beide öffneten sie zusammen den Pappkarton. Ein Brief, zerknüllte Zeitungen als Dämmmaterial und zwei Flaschen Rotwein. Gerda öffnete das Briefkuvert und ließ einen schweren Seufzer. Unter Tränen begann sie zu lesen. »Ihr geht es gut und die zweite Flasche sollen wir auf unseren Garten trinken. Wenn wir wieder in Neubrandenburg sind, dann müssen wir bei ihr vorbeikommen. Viele Grüße an die Kinder.«

»Jetzt kann ich zum Genossen Blume gehen. Krugmann hat bestimmt schon mit ihm gesprochen. Ich nehme Heiko mit. Mal sehen, was jetzt rauskommt.«

*

Die Abendsonne senkte sich und die Schatten der Häuser und Bäume zogen sich in die Länge. Der Gartenspartenvorsitzende im Garten Nummer 31 zupfte am Unkraut auf dem Kohlrabibeet. Das Fehlen eines Hutes legte den Blick auf seine Glatze frei. Kein einziges Haar sollte darüber hinwegtäuschen, dass seine Kopfhaut ebenso glatt war wie seine Beete. »Guten Abend Herr Blume.« sagte er aufgemuntert. »Guten Abend Herr Blume.« schallte die Stimme von Heiko wie ein Echo hinterher. »Genosse Weber.« er tat verwundert. »Und dann auch noch mit Verstärkung.«

»Ja, das ist mein Sohn Heiko und seine Schwester Jana ist bei der Mutter zu Hause.« Heiko hatte die Flasche Rosenthaler Kadarka in der Hand und streckte die über das Gartentor. »Einen schönen Gruß von der Mutti soll ich ausrichten und das ist für Sie.« Diesen Satz hatten sie auf der Fahrt einstudiert. Das Gesicht des Spartenvorsitzenden leuchtete als wenn es von einem Scheinwerfer bestrahlt wurde »Kommt rein. Dein Kollege Krugmann hat mir schon alles berichtet.« Jetzt wechselte er vom distanzierten Sie zum du, wie das unter Gartenkollegen so üblich war. Ein gutes Zeichen. »Ich habe noch ein Stückchen wilden Garten. Den wollte bisher keiner haben. Alle haben abgelehnt. Deswegen biete ich ihn niemandem mehr an. Aber wenn du willst, dann zeige ich ihn dir.« ›Ein Stückchen wilder Garten.‹ dachte er. ›Egal, Garten ist Garten. Welches Fleckchen Erde ist von sich aus schon kultiviert? Überall bedarf es der Intelligenz und Kraft des Menschen, den Boden fruchtbar zu machen.‹ Die Spannung knisterte wie in einem Kriminalfilm.

Genosse Blume schaukelte so gemütlich über die Spartenwege aus Schottersteinen wie ein Kamel über den Wüstensand. »Da hinten, das Stückchen könnt ihr haben.« Er zeigte mit dem Finger auf ein Stückchen unberührte Natur. Garten Nummer 14 lag im Licht der untergehenden Sonne und träumte vor sich hin. Verwildert standen ein paar nutzlose Sträucher. Keine Beete. Kieshaufen vom Vorgänger. Ungezähmte Erde wartete darauf, urbar gemacht zu werden. ›Ein gewaltiges Stückchen Arbeit‹ dachte Axel Weber und atmete tief ein. ›Aber ein guter Start wäre es allemal. Und man kann den Garten nach seinen Vorstellungen entwerfen und formen. Schlimmer wäre ein fertiges Stückchen Land, was uns nicht gefallen würde. Man muss die Vorteile erkennen‹. Dann stellte er so etwas wie eine Bilanz auf. Verwachsene Kirschenbäume. Ausgeruhter Boden. Ein Brunnen. Zwei schiefe Rosenstöcke. Er nickte genügsam. Seine Zweifel ertranken in der Vorfreude. Eine schön gewachsene Hecke. Ein Plattenweg spaliert von Rosen. Eine Terrasse. Ein Stückchen Wiese für die Kinder zum Spielen. Erbsen, Blumenkohl, Bohnen, Spinat aus eigener Produktion. Und vielleicht, vielleicht sogar ein kleines Gartenhäuschen. »Wann können wir anfangen?« befragte er den Spartenvorsitzenden. »Heute, wenn ihr wollt.« Zwei Hände fielen ineinander, zwei Gesichter grinsten sich freundlich an. Über ihnen flogen ein paar kreischende Schwalben durcheinander und flochten einen unsichtbaren Knoten in den dämmernden Abendhimmel. Kurz darauf fuhr eine blaue Simson durch die leeren Straßen der Stadt, die zwei Fahrer und eine frohe Nachricht beförderte.

Rundgang nur mit Korb

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