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ОглавлениеIch empfand es als Erleichterung, nicht mit Herbert reden zu müssen. Der Gedanke, ihm gegenüber Verpflichtungen zu haben, ihn als "Gestrandeten der Familie" zu betrachten, war immer auf etwas zu nachdrückliche Weise mit der Vorstellung verbunden, dass es an seiner Stelle auch mich hätte treffen können. Wie schmal ist der Grad, der uns vom Wahnsinn trennt? Er kämpfte mit einem unsichtbaren Gott – oder einem ganzen Universum verborgener Dämonen und Götter –, und offensichtlich war es ihm nicht mehr möglich, seine Niederlage einzusehen.
Ich telefonierte den Vormittag über in der Stadt herum, um mit Forum zu sprechen. Seine Sekretärinnen versicherten mir, er sei eben aus dem Haus gegangen; seine Frau behauptete, er befinde sich auf dem Weg ins Büro; der Pförtner im Glaskasten schwor, er habe ihn weder herein- noch herausgehen sehen, obwohl er als so unbestechlich galt wie die Kameraaugen im Foyer. Sie alle mussten es schließlich wissen.
Ich probierte eine der Zigaretten, die Margrit gehörten und nach Stroh schmeckten, das Patentrezept gegen ihre Nervosität. Sie verstreute sie überall im Haus, um immer welche griffbereit zu haben. Man fand sie in Blumenschüsseln, Briefablagen, Bonbonnieren, unter dem Klavierdeckel, den Papieren auf meinem Schreibtisch und zwischen der Wäsche. Einmal hatte eine in der Regenrinne gelegen. Vielleicht war sie dort beim Fensterputzen vergessen worden. Aber da ich Nichtraucher bin, wäre sie für meinen Solarplexus Gift gewesen, sie hätte das Gegenteil von dem bewirkt, was sie bezwecken sollte.
Vor dem Mittagessen entschloss ich mich, Forums Geheimnummer anzurufen, seine Durchwahl für Notfälle. Ich war sicher, dass er mein Anliegen nicht als Notfall betrachten würde, aber was einen in Not bringt, ist schließlich Ermessenssache.
Es gibt Vietnamveteranen, die sich im Regenwald zwischen Schlangen und Fallgruben wie zu Hause gefühlt haben und bei der ungewollten Schwangerschaft ihrer jüngsten Tochter den Verstand verlieren.
Eine Frauenstimme erkundigte sich: "Dringlichkeitsstufe?"
"Keine Ahnung, es ist dringend – aber wenn Sie mich fragen, welche Maßstab ich daran anlege …"
"Identifikationsnummer?"
Ich nannte ihr meine Nummer. Da sie überflüssiger als der Blinddarm war und ich mich nur noch vage daran erinnern konnte, hatte sie genügend Zeit, sich die nächste Schikane auszudenken:
"Bedauere, Ihr Adressat ist nicht im Büro."
"Mein Adressat, aha. Sie meinen, Forum wäre mal eben kurz für kleine Jungen?"
"Bitte keine Namen."
"Ja, natürlich."
"Er wird mit Ihnen Kontakt aufnehmen, sobald es möglich ist."
"Danke, Gnädigste, herzlichen Dank. Ich habe nichts anderes erwartet."
Als ich das Haus verließ, vergrub Herbert im Garten den Blätterabfall. Er würdigte mich keines Blickes. Sein Tornister sah so prall gefüllt aus, als sei er jederzeit abreisebereit, und sein Zimmerschlüssel lag hinter ihm auf der Fensterbank.
Wenn er abgeschlossen hatte und Ruhe vor uns haben wollte, schob er ihn manchmal durch den Türschlitz – um uns Gelegenheit zu geben, seinen Leichnam zu finden, ohne dass wir dafür die Tür eintreten mussten. Ich hielt überrascht inne, denn dass er auch nur den kleinen Finger rührte, war eine neue Entwicklung. So umwälzend wie die Entstehung des Lebens in der Ursuppe.
"Er hat gehört, was wir über ihn gesagt haben", raunte Margrit mir zu. Sie stand mit einem Korb an der Pforte, um den Lieferwagen des Eiermanns abzufangen. "Das Erkerfenster war offen. Er ist zutiefst beleidigt."
"Immer noch besser als Selbstmord." Ich stellte das Garagentor hoch, um ins Zentrum zu fahren. Aber der Teufel der Zündkerzen und Verteiler, der verstopften Düsen und lahmen Batterien wollte an diesem Mittag, dass ich zu Fuß ging – also tat ich ihm den Gefallen.
Als Zugereister fällt es mir immer schwer, dem bayerischen Leben, der Weißwürstel-Mentalität, den Krautorgien, den griffigen Riesenbiertöpfen, mit jener beiläufigen Lässigkeit zu begegnen, die dem Einheimischen in die Wiege gelegt ist. Meine Miene verklärt sich dabei, als versuchte ich mich auf peinlichste Weise anzubiedern.
Deshalb nahm ich mein Mittagessen in einem gut abgedunkelten Stehimbiss ein, einer Turnhalle mit Säulen, altdeutschen Kronleuchtern und dem Ambiente süddeutscher Parteitage. Man aß im Stehen an kleinen runden Tischen. Die Portionen langten fürs Frühstück, Mittag- und Abendessen. Allerdings galt das Mitbringen von Abfüllbehältern als verpönt.
Vielleicht war es das gute Essen, das meinen Entschluss bestärkte. Vielleicht hatte Sehlen recht mit seiner Meinung, dass alles Chemie sei. Die Gedanken als chemische Anhängsel. Kein Geheimdienst der Welt kann einen verpflichten, seine Seele zu verkaufen. Schon möglich, dass es von übergeordneter Stelle versucht wird. Mag sein, dass Hunderte, ja Tausende sich im Laufe ihres schäbigen Lebens verraten haben, ohne es selber zu bemerken. Die Sache hat viel mit den Verführungskünsten in rotbeleuchteten Bars und schummrigen Bordellen gemein.
Ich zog es vor, mir mein Stück private Freiheit zu bewahren. Dieser Widerstand oder Entzug schloss Forum, Sehlen und selbst Margrit ein, von jener abstrakten Größe, die meine Arbeit war, ganz zu schweigen. Für Slava allerdings war ich bereit, auf der Stelle meinen Hals zu riskieren.
Ich glaube, wir empfanden es beide als eine jener engen Vater-Tochter-Beziehungen, die dauerhafter als manche Ehen sind. Da ihr die Kerle nachliefen, als sei ein amerikanischer Filmstar eingeflogen, fühlte ich mich durchaus wohl in der großen Gemeinschaft ihrer Bewunderer.
Man hat den Eindruck, etwas Bleibendes geleistet zu haben, und der Stolz wächst mit jeder Minute und Stunde ihrer stürmischen Blüte. Ich war bereit, mich für sie zu verleugnen, aber ich lehnte es ab, von Sehlen wie einer seiner unwissenden Zuarbeiter behandelt zu werden.
Es war, als verkaufte ich dabei einen Teil von mir selbst – und meinethalben konnte man das auch Seele nennen – zu einem Preis, der in kümmerlichem Verhältnis zu dem stand, was ich aufgab.
Um diese Zeit stand die Sonne wie eine stumpf glänzende Apfelsine über dem Isarufer. Vom Wasser wehten Fetzen kalten Dunstes herauf, in dem einzelne gelbe Blätter trieben. Die Silhouette der Häuser am gegenüberliegenden Ufer sah aus wie die steinerne Kulisse eines Kulttempels. Fragte sich nur, für welche Götzen.
Ich versuchte die Tram zu besteigen, als neben mir ein Wagen hielt, eine jener gepanzerten Limousinen, die immer wirken, als zögen sie das Unheil an, den Schuss aus einem Granatwerfer oder den Kugelhagel einer Maschinenpistole.
Forum sah aus dem Seitenfenster und winkte mir mit halb erhobener Hand zu, ganz Kardinal, der einem Priester Audienz gewährt. Sein sorgfältig onduliertes Haar kollidierte dabei mit dem Fensterrahmen; er schob es mit jener charakteristischen Geste zurecht, die ihm den respektlosen Kommentar eingetragen hatte, sein "Make-up" sei ihm wichtiger als jeder arme Agent, der für unsere Sache in den sibirischen Wäldern erfror.
"Steigen Sie ein …"
Die Wagentür wurde aufgeschoben, und ich kam zum ersten Mal in den Genuss, eine seiner rollenden Gefechtsstationen von innen zu besichtigen. Palisanderholz, Messinggriffe, ein kleiner Farbfernseher, zwei Funktelefone, davon eines rot, die übliche Bar, um zwischen zwei Straßenecken nicht verdursten zu müssen, und Polstersessel im Farbton des Teppichbodens.
"Zahlt alles der Steuerzahler", murmelte ich, während ich mich neben ihn in den weichgepolsterten Sitz sinken ließ.
"Was sagten Sie?"
"Donnerwetter, ich wusste gar nicht, dass wir solche Schlachtschiffe unterhalten?"
"Die zusätzlichen Einrichtungen stammen von mir, Adrian. Der Steuerzahler hat keinen Pfennig dazugetan." Er ließ das Barfach auf einer Schiene aus der Konsole fahren. Seine Hand glitt über die Flaschenhälse. "Likör?"
Ich schüttelte den Kopf.
"Mein Mittagessen, wegen der Diät." Er goss sich einen ein, sparsam, als sei jeder Tropfen Gift für seine schlanke Linie. Es war einer jener übersüßten "Damenliköre", die er aus einem Dorf in den Abruzzen bezog. "Wie war Ihre Kontaktaufnahme?"
"Sehlen scheint das Ganze als Ein-Mann-Unternehmen anzusehen. Er weigert sich, mich einzuweihen."
"Er ist nur vorsichtig, Adrian."
"Ich bin schließlich nicht erst seit gestern im Geschäft. Ich war schon in München Experte auf meinem Gebiet, als Sie aus Köln herüberkamen, wenn ich Sie daran erinnern darf? Ich führte Sie in die Geheimnisse der Abteilung ein. Und nun behandelt man mich wie einen blutigen Anfänger."
"Geben Sie ihm noch ein paar Tage Zeit. Er muss erst Vertrauen schöpfen. Die Sache ist heikel."
"Wie kann ich Ihnen von Nutzen sein, wenn ich nicht einmal weiß, worum es geht?"
"Aber sagte ich das denn nicht, Adrian?"
"Nein."
"Oh." Er strich sich betroffen mit dem Zeigefinger über die Stirn. "Dann allerdings."
"Sie erwähnten den Codenamen 'Schafspelz`, nicht viel mehr. Sie sagten, es sei eine gemeinschaftliche Operation. Langley, London, Paris, wenn ich das richtig verstanden habe?"
"Gemeinschaftlich, ja."
"Aber nicht so gemeinschaftlich, dass man mich ausreichend darüber informieren würde, oder?"
"Jeder arbeitet an seinem Platz. Jeder ist Experte, Spezialist für einen bestimmten Arbeitsbereich. Sie sind für Ostpolitik zuständig. Andere befördern die Post oder bringen Politiker um – falls Sie mir diese sarkastische Übertreibung verzeihen wollen?" Er lächelte. "Keiner sollte zuviel vom anderen wissen. Es könnte die ganze Operation in Gefahr bringen. Eherne Regel, oder? Das müssten Sie doch selbst am besten wissen, Adrian?"
"Die Post, ja." Ich zog den Umschlag mit dem leeren Blatt Papier aus der Innentasche meines Jacketts. "Gehört das hier dazu?"
Forum nahm beides, den Umschlag und das Blatt, drehte und wendete sie auf dem Schoß und befühlte die Struktur des Papiers mit den Fingerspitzen.
"Woher haben Sie das?"
"Aus Sehlens Briefkasten."
"In Zandvoort, ah, ja. Es ist das Briefpapier unseres Mannes im Kreml, Adrian. Ich vertraue Ihnen ein großes Geheimnis an – dieser Umschlag", sagte er theatralisch, "ist eine Botschaft, auch wenn keine einzige Zeile darin zu finden ist. Er bedeutet nichts Geringeres, als dass wir erfolgreich sind."
"Erfolgreich worin?"
"Unser Mann im Kreml arbeitet bereits."
"Er arbeitet, aha."
"Seien Sie doch nicht so entsetzlich bockbeinig, Adrian. Ich überschreite meine Kompetenzen, indem ich Ihnen Einzelheiten der höchsten Geheimhaltungsstufe anvertraue, und Sie behandeln mich, als beginge ich den schlimmsten Vertrauensbruch."
"Ehrlich gesagt, habe ich immer geglaubt, unser Verhältnis sei etwas persönlicherer Art?"
"Ist es ja auch, Adrian, ist es."
"Mit anderen Worten: Sie können oder wollen mir jetzt noch nicht mehr sagen?"
"Von wollen kann gar keine Rede sein. Warten wir ab, bis Washington grünes Licht gegeben hat. Sehlen wird Sie rechtzeitig über alle Einzelheiten informieren. Sie sind für die höchsten Weihen vorgesehen – Sie sind absolut unentbehrlich bei dem Projekt. Ohne Sie wäre Sehlen blind, er würde mit seinem Stock die Black box zertrümmern, weil es drinnen keine Orientierungsmöglichkeiten gäbe." Forum lachte überdreht, offenbar versuchte er, die Angelegenheit ins Lächerliche zu ziehen. Aber mein Humor in solchen Fällen schrumpft mit jedem falschen Ton.
"Nun machen Sie nicht so ein trauriges Gesicht."
"Eigentlich habe ich Sie angerufen, weil ich Ihnen sagen wollte, dass ich unter diesen Umständen …"
"Ja?"
"Dass ich nicht bereit bin, weiterzuarbeiten."
"Sie wollen den Dienst quittieren?"
"Ich werde mich nach einer Arbeit umsehen, bei der man mir mehr Vertrauen entgegenbringt."
"In unserem Gewerbe? Das dürfte nicht ganz einfach sein. Jetzt, wo es uns allen an den Kragen geht, meine ich. Wir kämpfen um unser Überleben. Der eiserne Besen der Rationalisierung fegt durch die Abteilungen.
Anscheinend glaubt man im Kabinett, unser Apparat habe sich während des kalten Krieges zu stark aufgebläht. Drüben hinter dem großen Teich ist es nicht viel anders. Wasserköpfe vor dem Platzen. Nun sei es an der Zeit, sie auf ein bekömmlicheres Maß zurückzuschrauben. Und bekömmlich heißt: auf die Hutgröße derer da oben. Kindergrößen, Mützengrößen unter uns gesagt. Wie denken Sie darüber?"
"Ich finde den Gedanken gar nicht so abwegig."
"Die politische Situation ist deutlich entspannt", bestätigte er.
"Was sich überlebt hat, sollte niemals mit Gewalt festgehalten werden."
Forum blinzelte amüsiert. "Damit wollen Sie doch wohl sagen: Sie machen sich keine Sorgen? Fähige Leute wie Sie finden immer einen Job?"
Wir hielten vor einem weißen Villenbau. Die Innenstadt mit ihrem Getrampel und Einkaufsgedränge war nur ein oder zwei Steinwurfweiten entfernt, aber hier herrschte beinahe gespenstische Ruhe. Forum gab dem Fahrer ein Zeichen, unter der überhängenden Trauerweide zu parken.
Als Privatbesitz war das Gelände bemerkenswert gut ausgestattet, fast wie eine öffentliche Anlage: Ententeich, Kinderschaukeln, zwei von steinernen Löwen bewachte Springbrunnen.
Fehlte nur noch der Sandkasten, in dem ein kratzbürstiger kleiner Villenerbe mit Sand um sich warf. Zwischen den Pappeln verlief ein öffentlicher Weg, und jenseits des zerrissenen Drahtzauns, von gelbbelaubten Baumkronen eingerahmt, sah man die schäbige braungraue Backsteinfront eines einstöckigen Wohnhauses aus der Vorkriegszeit. Seine Fenster waren hell erleuchtet.
"Kommen Sie, Adrian." Forum stieg aus, den etwas zu langen Mantel gerafft. "Sie wollen doch nicht die Abschiedsfeier unseres verdienstvollsten Mitarbeiters versäumen?"
"Abschiedsfeier?"
"Der gute alte Quand, er wird vorzeitig pensioniert."
"Und warum, wenn ich fragen darf?"
"Vorzeitiger Ruhestand", sagte er missbilligend, als sei das eine angemessene Antwort auf meine Frage. Er lief ein paar Schritte voraus, offenbar steuerte er nicht auf die Villa, sondern auf das Backsteinhaus zu.
"Ich habe zu diesem Verrückten nie ein sonderlich gutes Verhältnis gehabt", sagte ich und blieb stehen. "Wenn Sie mich fragen, hat er genauso wenig alle Tassen im Schrank wie Sehlen."
"Verrückt oder nicht, was bedeutet das in unseren Kreisen, Adrian? Verrücktheit ist wie ein Werkzeug, eine Begabung, ein Uhrmacher muss gute Augen und ruhige Hände haben. Ein Pianist Gespür für Akkorde. Etwas überdreht zu sein wie Quand ist in unseren Reihen schon der halbe Sieg, das liegt in der Natur der Sache."
"Sonderlich erfolgreich scheint Quand ja nicht zu sein?"
"Nun kommen Sie schon, wir sind eingeladen."
"So? Hab nie besonders gut mit ihm gekonnt."
"Adrian … verdammt noch mal."
Es mochte übertrieben klingen, Sehlen als Monstrum zu bezeichnen, er hatte sicher seine Bewunderer, aber die Meinung, Quand sei übergeschnappt, konnte man nur als grandiose Untertreibung ansehen.
Für mich verkörperte er den dunklen Bereich, die Schatten des Gewerbes. Spionage, das Geheimdienstgeschäft überhaupt, so, wie es von Staaten überall in der Welt betrieben wird, ist nun einmal institutionalisierte Unmoral – und kann auch gar nichts anderes sein.
Es hat wenig Sinn, sich darüber zu beklagen, wenn man nicht gewillt ist, das Übel mit der Wurzel auszureißen. Ich finde, man sollte ruhig zur Diskussion stellen können, dass sich Regierungen gegenseitig ihre Geheimnisse entreißen. Dass sie Desinformationen ausstreuen, Politiker zu Fall bringen und den Parlamentarismus hintergehen.
Aber dann muss man auch bereit sein, die Konsequenzen zu tragen und die Begehrlichkeiten hintanzustellen. Gegenwärtig sind Recht und Moral nur für die eigene Seite definiert, mit der anderen kann man umspringen, wie es einem beliebt. Was wir das Ende des kalten Krieges nennen, ist lediglich eine etwas verstecktere Form des Totschlags. Und diese Politik braucht nun einmal ihre Protagonisten.
Quand gehörte zu jenen, die das Ansinnen, legale Mittel anzuwenden, so lange ablehnten, wie Geheimdienste selber existierten – so lange, wie die Lüge, die sie ermöglichte, nicht aus der Welt geschafft war. Er nahm sie als bequeme Rechtfertigung seiner eigenen überdrehten Manöver, und ich hatte immer danach getrachtet, ihm dabei nicht in die Quere zu kommen.
Er würde ohne weiteres zugeben wollen, dass unser Verwaltungsapparat oder die Bürokratie genauso korrekt arbeitete wie alle übrigen Beamten. Aber an der Front galten andere Regeln. Die Front war eine Grauzone, die es offiziell gar nicht gab. Wenn sie ins Rampenlicht der Öffentlichkeit geriet, dann nur durch einen Betriebsunfall. Es gab Aktionen draußen, nicht mehr.
Ich folgte Forum ins Haus.
Drinnen schob ich mich grüßend durch Gruppen blass aussehender Jüngelchen mit Sektgläsern in der Hand, die eben vor dem Toilettenspiegel ihre Mitesser ausgedrückt haben mussten, so fleckig waren ihre Gesichter. Kaum zu überhören, dass sie Quands Rausschmiss als großes Geheimnis betrachteten, als eine Art Welträtsel, das über sie und ihren Herrn und Meister gekommen war wie der Urknall über den leeren Raum.
Dann sah ich ihn am Ende des Zimmers stehen, seine bleiche, hohe Gestalt mit der Mathematikerstirn – trotz des konzilianten Lächelns immer noch der unnachgiebige Agentenhäuptling einer Schar devoter, um Aufmerksamkeiten und Zuneigung bemühter Krieger, und selbst Forum nahm sich gegen ihn merkwürdig blass und nichtssagend aus.
Quand gab mir die Hand und sagte: "Schön, dass wenigstens Sie aus dem Sperrbezirk zu uns herübergekommen sind, Adrian. Das Beerdigungskomitee lässt grüßen, oder?"
Er nickte dankbar, als man ihm ein Glas Sekt reichte, und stieß mit mir an. Er hatte sechs Kisten vom teuersten Morfoll aus den Pyrenäen kommen lassen, angeblich, weil er im Aroma gleichwertig sei und weniger nach faulen Eiern roch als Chardonnay.
Ich sagte: "Ihre Tochter soll mit Slava einen Boxkurs belegt haben? Die Mädchen jagen ihre Sparringspartner durch den Ring, dass es eine wahre Freude ist."
"Ein Schlag aufs Nasenbein hat noch keinem geschadet", erklärte er mit undurchsichtiger Miene.
Er blickte an Forum vorbei zum Fenster. Irgend etwas am Fensterrahmen oder hinter der Scheibe schien seine Aufmerksamkeit zu erregen.
Forum war Luft für ihn. Er würdigte ihn keines Blickes und wandte ihm immer die Seite zu, bei der er nicht Gefahr lief, ihm zur Begrüßung die Hand geben zu müssen. Er trug eine Armprothese, aber gewöhnlich verstand er es meisterhaft, einen seine Behinderung vergessen zu lassen. Diesmal, im Kreise seiner engsten Getreuen, hatte er den matt glänzenden schwarzen Bakelitarm neben sich auf dem Tisch abgelegt und seine Ärmel hochgekrempelt, wie um allen zu signalisieren, nun würden nicht einmal mehr die Krüppel verschont.
Ich ging hinüber und konzentrierte mich auf das Büfett. Es gab Lachs, mit Käse überbackene Riesengarnelen in Sahne und zum Nachtisch kleine adlerähnliche Marzipanvögel mit purpur- und goldfarbenem Gefieder, die – ihre Schwingen ausbreitend – auf Aschehaufen standen. Eine Brüsseler Spezialität mit Krokant- und Mandelfüllung. Ich verbiss mir jeden Kommentar zur Symbolik des Bildes.
Forum schob einen nach dem anderen in den Mund, vielleicht, weil sie ihn an seine süßen Damenliköre erinnerten, und seine Kiefer mahlten gedankenverloren.
Er hatte Quand in einem unbeobachteten Moment beiseite genommen, aber seine Reaktion auf das, was er ihm mit beschwörenden Gebärden zuflüsterte, schien so untauglich zu sein wie das Gestammel des Mörders nach der Tat. Quand hatte nur undurchsichtig lächelnd die Achseln gezuckt und auf den Teller mit den Marzipanvögeln gedeutet. Danach waren sie sich aus dem Weg gegangen.
Irgendwann, ich erinnere mich nicht mehr an den genauen Zeitpunkt – der Sektkonsum hatte das Stadium erreicht, bei dem nur noch aus der Flasche getrunken wird –, hörte man den Aufschrei seiner Jünger, und Quand schleuderte seinen Bakelitarm klirrend durch die große Fensterscheibe …
Die Blicke seiner Getreuen wanderten ratlos zwischen den Splittern der zerschmetterten Scheibe und der Stelle auf dem Tisch hin und her, wo seine Prothese gelegen hatte. Quands Miene war völlig unbewegt – das Gesicht eines Künstlers in der Arena, der den Applaus des Publikums erwartete. Dann klatschte jemand in der hintersten Reihe wie ein Claqueur Beifall, und der Rest der Indianertruppe brach in Hochrufe aus.
"Auf Rausschmiss reagiert man nicht, Adrian", murmelte Forum, als wir mit den anderen auf den brüchigen Balkon an der Rückseite des Hauses hinaustraten und unsere Blicke über die Höfe und Ziegelmauern streifen ließen, um das Corpus delicti von oben im hohen Gras auszumachen. "Schon gar nicht wie eine beleidigte Jungfer. Den steckt man weg wie Clay seine Kopftreffer, als er noch der Größte war."
Als wir gingen, hatte ich den schalen Geschmack im Mund, den eine Niederlage hinterlässt, die nachträglich zum Sieg umgemünzt werden soll.
Quands missglückter Versuch, als Phönix aus der Asche aufzusteigen, ließ vor mir das Bild jener Einarmigen mit Fliegen in den Augenhöhlen wiedererstehen, die ich in den Elendsquartieren am Stadtrand von Mombasa gesehen hatte.
Wenn man sich ihnen näherte, winkten sie einem voller Heiterkeit mit ihren Armstümpfen zu, als sei ihre Verkrüppelung nur vorübergehend, und der nächste Regenguss werde das Bild des Elends wegwischen wie Kreide vom Asphalt.