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Mein Hang zum weiblichen Geschlecht bewegte sich also durchaus in harmlosen Bahnen.

Wer hätte von einem so simplen Tatbestand das Ende einer Schriftstellerkarriere erwarten können? Kein Lektor, geschweige denn Verleger las mehr meine Manuskripte …

Es war, als trügen sie alle das Kainszeichen des „Schenkelgreifers“.

Schon das Wort, hochverehrte Frau Doktor, jagt mir einen Schauder über den Rücken!

Ein Autor, der mit „Gelber Flachs“ Anlass zu der Hoffnung gegeben hatte, er leite eine neue Ära des realistischen Kriminalromans ein – weit weg vom detektivischen Kreuzworträtsel und Welten entfernt von jenen Gärtnern, die zum fünfunddreißigsten Mal mit einem Messer im Rücken zwischen ihren Blumenbeeten gefunden werden –, hatte sich im Gedränge der Münchener Stadtbusse oder in der U-Bahn seinem lüsternen Hang überlassen.

Ein solcher Mensch konnte kein seriöser Autor sein.

Aber was war eigentlich passiert? Eine flüchtige Berührung, ein zögerndes Tasten. Sehen Sie, Frau Doktor: jede Stuhllehne, jede Haltestange in der Tram hätte der reinen Empfindung nach den gleichen Effekt haben können. Die Finger eines senilen alten Bocks dagegen …?

Nicht das Ergebnis, sondern die Gedanken waren es, die man mir zur Last legte.

Aber sind nicht die Gedanken bei uns angeblich so frei, dass niemand ihretwegen Repressalien befürchten müsste?

Als ich mich nach Kanada absetzte, um in der Abgeschiedenheit am großen Fluss meinen inneren Frieden wieder zu finden, ahnte ich noch nicht, dass die Verlegersippe eine große Familie ist. Fünf- oder zehntausend Meilen hindern sie keineswegs, sofort zum Telefon zu greifen, um Klatsch und Tratsch über den ganzen Erdball zu verbreiten.

Eher im Gegenteil: Die Entfernung scheint sie noch zu stimulieren.

„Linder?“, fragte der bleichgesichtige Vorzimmerlektor, der sich mir an der Korridortür zum Verlegerbüro in den Weg stellte, als ich bei Skripner in Montreal vorsprach. „Kann es sein, dass ich Ihren Namen schon mal gehört habe?“

„Das will ich doch stark hoffen“, erwiderte ich nachsichtig. „Gelber Flachs.“

Er schwieg und starrte mich mit allen Anzeichen des Entsetzens und der Verachtung an. Wahrscheinlich hatte er es im Bett nie weiter als bis zur Missionarsstellung gebracht, aber das stellte ihn haushoch über ein Individuum, das bei der Berührung eines jungen festen Frauenhinterns kosmischen Schauder empfand.

„Wir lesen‘s, glauben Sie mir, wir lesen‘s.“

„Ich habe nicht den Eindruck.“

„Was sollte uns daran hindern?“

„Meine ersten drei Manuskripte kamen ungelesen zurück. ‚Neuer Zorn’ und ‚Die Macht der Gerichte’ waren nicht mal aufgetrennt, als der Postbote sie mir zurückbrachte.“

„So? Na, dann kann‘s nur an unserer Arbeitsüberlastung gelegen haben.“

„Meines Wissens suchen Sie im Montreal Kurier krampfhaft mit ganzseitigen Anzeigen nach neuen Talenten?“

„Machen Sie doch eine Eingabe an das Büro des Verlegers, wenn Ihnen unsere Arbeitsweise nicht gefällt.“

„Ich hab‘s Skripner sogar auf den Frühstückstisch legen lassen.“

„Tatsache? Wie haben Sie das denn geschafft?“

„Persönliche Kontakte.“

„Wir fördern keine Vetternwirtschaft.“

So oder ähnlich verliefen meine Gespräche in den Verlagsbüros.

Mag sich die Gilde der Lektoren und Kritiker auch in Kleinmütigkeit verzehren, weil sie samt und sonders verhinderte Autoren sind: Von den Verlegern selbst erwartete ich doch etwas mehr Verständnis.

Ein Mensch kann sich schließlich ändern.

In meinem Alter – meiner Prostata und der Tatsache eingedenk, dass ich im Exil ziemlich zugenommen hatte und einen Teil meiner dunkelgrauen Anzüge weiter machen lassen musste (ich trage nur noch meine grauen Anzüge, weil ihre Westen wegen des Ausschnitts über dem Bauch nicht so spannen) – sollte man eigentlich keine exzessiven sexuellen Betätigungen mehr erwarten, und in diesem Sinne, so hoffte ich, würde auch meine Glaubwürdigkeit in der internationalen Verlegerwelt zurückkehren.

Aber entweder waren meine neuen Arbeiten wirklich so schlecht, wie meine Reinemachefrau behauptete – oder sie wurden nicht gelesen, weil sich ihr Realismus wenig als Einschlaflektüre eignete. Mit anderen Worten: Weil ich kein Blatt vor den Mund nahm und die Dinge so darstellte, wie sie sich in der Welt zutragen.

Das Verbrechen, sehr verehrte Frau Doktor, wenn Sie mir diesen kleinen Exkurs gestatten, ist die Säule der Kriminalliteratur.

In „Gelber Flachs“ (Sie erinnern sich vermutlich dieses berühmten Werkes, ohne nachzuschlagen) war es bekanntlich ein Lektor, der den Mord beging. Er erstickte seinen Autor, indem er ihm, während er auf seiner Wohnzimmercouch übernachtete, ein Tuch aus grobem Flachs in den geöffneten Mund steckte, um selbst den Ruhm der Autorenschaft zu ernten.

Und ich habe mir diese geniale Geschichte keineswegs aus den Fingern gesogen. Sie ist von der ersten bis zur letzten Zeile wahr!

Zwei oder drei Wochenzeitungen veröffentlichten damals sogar Fotos des nachgestellten Anschlags (statt des Flachstuchs allerdings nur ein chinesischer Seidenschal). Die Polizei war wie üblich ratlos.

Mein Freund, der jüdische Amateurdetektiv Balthasar Prom, suchte mich eines Tages auf und schilderte mir den Stand seiner Ermittlungen in allen Einzelheiten. Er sagte:

„Samuel, der Bursche ist nicht zu fassen. Er wird Justitia entkommen, wenn wir nicht ganz ungewöhnliche Mittel anwenden, um ihn zu entlarven.“

„Und was habe ich damit zu schaffen?“

„Streng deinen Grips an. Du bist schließlich Autor …“

„Meinen Grips?“

„Deine Phantasie. Lass dir etwas einfallen.“

Ich stellte also damals das Verbrechen genau jenes Lektors dar, dem ich das Manuskript anbot. Er musste nicht schlecht gestaunt haben, als er seinen eigenen Fall plötzlich als Roman vor sich sah. Zu einem Zeitpunkt, als er sich längst außer Gefahr glaubte.

Und was tat dieser Schwerenöter?

Er beseitigte flugs alle Hinweise, die ihn persönlich hätten belasten und identifizieren können, aus meinem Manuskript (natürlich hatte ich damit gerechnet). Dieser plumpe Schachzug konnte ihn endlich entlarven und als wirklichen Täter identifizieren. Im Anhang sind sie in alphabetischer Folge – wie auch der Hergang seiner schließlichen Festnahme – vollständig abgedruckt, und Sie können dort die Details nachlesen, wenn Sie der Fall näher interessiert.

Ein unvergleichliches Werk realistischer Kriminalliteratur.

In ähnlichem, wenn auch etwas abgewandeltem Sinne fuhr ich damals am Ottawa River mit meiner Arbeit fort. Ich schrieb mich morgens auf der noch kühlen Veranda warm, arbeitete bis zum Frühstück – lauschte dem Klappern von Slauters‘ Schreibmaschine ein Haus weiter – und war guter Dinge, dass ich mich auf dem richtigen Wege befand.

Nach dem Mittagessen, das ich meist in Konder‘s Motelrestaurant einnahm, sah ich das Geschriebene durch, überarbeitete es mit ein paar Strichen und nahm mir dann die Fortsetzung bis zum frühen Nachmittag vor.

Dem gewöhnlichen Leser fällt es wahrscheinlich schwer, den Zusammenhang von Fiktion und Realität zu begreifen. Er glaubt, dass eine Geschichte entweder erfunden oder wahr ist. Zwischentöne existieren für ihn nicht (denken Sie an die Amöbe in der Wasserpfütze).

Dass es nun darin gewisse Gleichartigkeiten, typische Abläufe und Reaktionen geben könnte, die zur Realität in Beziehung stehen, sie sozusagen nachbilden, und dass sich gerade die Fiktion, weil sie überhöhen und komprimieren kann, besonders dazu eignet, diese Realität deutlich und nacherlebbar zu machen – das ist eine Wahrheit, die dem gewöhnlichen Häkelkrimileser so fern liegt wie der Eiffelturm dem Tadsch Mahal …

Ich kämpfte also nicht gerade auf verlorenem Posten, aber meine späteren Arbeiten waren, anders als „Gelber Flachs“, nach dem eben beschriebenen Muster gestrickt. Wann läuft einem schon einmal ein jüdischer Amateurdetektiv namens Balthasar Prom über den Weg und bietet einem die komplette Genesis eines Verbrechens an?

Anscheinend überforderte diese – zugegeben subtile – Technik den gewöhnlichen Leser. Und offenbar auch manchen Lektor und Verleger.

Anders kann ich es mir nicht erklären, dass meine Manuskripte mit der schönen Regelmäßigkeit eines Tennisballs, der eben auf die gegnerische Seite geschlagen wurde, in meine eigene Hälfte zurückgeflogen kamen …

Denn natürlich war ich inzwischen gewitzt genug und bot das Manuskript auch unter Pseudonym an. Allein an meiner angeblichen Vergangenheit als Triebverbrecher oder Sexualpsychopath konnte es also nicht liegen.

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