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Nun, die Frage nach meiner Kindheit beantwortet sich schnell.

Ich war das, was man ein helles Köpfchen nennt.

Man sagte mir eine große Zukunft voraus.

Ein Onkel, der Bruder meiner Mutter und mehr den kleinen Jungen zugetan als dem weiblichen Geschlecht, zog mich auf. Dieser menschenfreundlichen Ader verdanke ich meine sorglose Kindheit.

Er unterhielt eine Pension für Kriegsveteranen nicht weit von Nürnberg, neben einem grünen Rebenhügel, den niemand mehr bewirtschaftete. Diese unbelehrbaren alten Kriegstreiber genossen es, auf den Bänken unter den beiden großen Bäumen tagaus, tagein ihren Erinnerungen nachzugehen.

Sie trugen nachgeschneiderte, feldgraue Uniformjacken, manche aus dem Ersten Weltkrieg, und zeichneten gern mit ihren Spazierstöcken die Frontlagen diverser Schlachten oder Grenzen großzügiger Okkupationen in den Sand … so erfuhr ich aus ihren Reden schon sehr früh, dass Verbrechen und Gewalt die Welt regieren.

Jemand hob belehrend seinen Spazierstock und warf leichtfertig den Satz hin:

„Darüber sollte man schreiben – und nicht über die Geburtenfolge der Adelshäuser.“

– und diese Bemerkung könnte der Keim gewesen sein, der in meiner jungen Seele Wurzeln fasste und den Wunsch entstehen ließ, mich mit größter Hingabe jener Sparte der Literatur zu widmen, die das Verbrechen und nichts als das Verbrechen behandelt.

Mein Onkel stieg derweil den Knaben nach. Sobald eine Schulklasse im Dorfe eintraf, um aus irgendeinem botanischen Exkursionsdrang die umgebenden Wald- und Wiesenhügel zu erklimmen, geriet er außer Rand und Band. Ihre Ankunft versetzte ihn auf der Stelle in Schlaflosigkeit.

Aber ich habe nie unter seinen Gelüsten zu leiden gehabt, er hielt sich mit großem pädagogischen Durchhaltevermögen zurück. Eine wirkliche Bravurleistung! Vielleicht war ich auch einfach nicht sein Typ.

Meine Eltern hatten sich irgendwann in alle Winde zerstreut, ich glaube, weil etwas Zigeunerhaftes, ein periodisch wiederkehrendes Fernweh, sie antrieb, und da wäre ein Balg wie ich, der sich lieber mit zwei Handbüchern der Kriminalistik in die Stille der Rebhügel verdrückte, nur hinderlich gewesen.

Mein Vater, in jungen Jahren Versicherungskaufmann, litt schon sehr früh an Depressionen. Er behandelte sie, indem er stundenlang in eine helle Lampe starrte, die wie eine Höhensonne vor ihm stand – was seine Seele offenbar aufzuhellen und seinen Hormonstoffwechsel wieder in normale Bahnen zu lenken vermochte. Eine Vorwegnahme jener tropischen Sonne, die er später in fernen Gefilden fand. Sein Fernweh war also therapeutisch gesehen durchaus vertretbar.

Ich sah meine Eltern noch drei- oder viermal wieder in meinem Leben. Sie betrachteten meine Arbeit mit Wohlwollen. „Gelber Flachs“ muss ihnen gut gefallen haben, vor allen Dingen die Stelle, wo der Mörder Spekulationen darüber anstellt, in welchen Teilen der Welt er seine Autorentantiemen durchbringen könnte.

Aber von den perversen Neigungen meines Erziehers oder der fehlenden Fürsorglichkeit meiner Eltern Beziehungen herstellen zu wollen zu meinem eigenen sexuellen Steckenpferd erscheint mir doch etwas gewagt …

Zugegeben, Sie sind die Expertin, gnädige Frau …

Ich will Ihnen in diesem Zusammenhang etwas gestehen, über das ich nur höchst ungern rede. Zumal einer Frau gegenüber, denn es dient sicher nicht dazu, mich in der Rolle des Bewerbers besonders attraktiv erscheinen zu lassen.

Gewöhnlich schreibt man Beschäftigungen wie mein Steckenpferd ja ausnahmslos dem Streben nach Lust zu:

Triebhaft den sexuellen Gefühlen verfallen gleich einer Ratte im Labor, der man Elektroden ins Lustzentrum des Gehirns gepflanzt hat und die nun eine Million mal am Tage den Hebel zieht, um einen stimulierenden Stromstoß auszulösen.

Aber vergessen Sie nicht, was ich über die Größe meiner Prostata gesagt habe. In gesundem Zustand gleicht sie einer Kastanie. Dagegen nimmt sich ein Golfball (ihr gegenwärtiges Format) fast wie ein Kürbiskopf neben einer Erdbeere aus.

Ich übertreibe …? Ja, zugegeben – aber genauso fühlt sie sich an.

Sie drückt auf die Blase, und das führt dazu, dass man tröpfelt, wenn man dicht bleiben will, und keinen einzigen Tropfen Harn lassen kann, wenn man‘s darauf anlegt.

Ahnen Sie, verehrte gnädige Frau, welches Mittel sich als verblüffend wirksam entpuppte, um mich ein paar Stunden von diesem grässlichen Leiden zu befreien?

Ganz recht, es war jene unschuldige Berührung in U-Bahnen und Bussen, in Straßenbahnen und Zügen, auf den Jahrmärkten und in vollen Kaufhäusern.

Irgendein geheimnisvoller psychologischer Mechanismus (womöglich die Allgegenwart der Liebe) bewirkte, dass sich meine Verkrampfungen lösten und ich mich wieder wie ein ganz normaler Mensch erleichtern konnte.

Erst viele Jahre später habe ich ein noch viel wirksameres und vor allen Dingen länger anhaltendes Mittel dagegen entdeckt … aber das tut hier nichts zur Sache.

Es ist wieder einmal meine fast schon zwanghafte Ehrlichkeit, die mich zwingt, so offen zu Ihnen zu sein.

Linders Liste

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