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Ihrer freundlichen Anregung, hochverehrte Frau Doktor, während meiner Untersuchungshaft einmal alles niederzuschreiben, was mir auf der Seele liegt, komme ich, wie Sie sehen, mit großer Bereitwilligkeit nach. Ich, ein Mann der Feder, tue mich natürlich viel weniger schwer, wenn ich mein Anliegen zu Papier bringen kann.

Im Vertrauen gesagt: Ihre Besuche in meiner Zelle bringen mich immer etwas aus dem Gleichgewicht.

Woran das liegt? Nun, nicht nur an dem, was – bitte verzeihen Sie – meine Wächter manchmal hinter vorgehaltener Hand und zweifellos ein wenig gewagt als Ihre „wohlgefüllte Bluse“ bezeichnen …

Obwohl ich mich diesem Eindruck, zugegeben, nur schwer entziehen kann. Aber eine ledige Mittvierzigerin, die so attraktiv ist wie Sie, so sehr ausgestattet mit allen weiblichen Attributen, wie sie sich ein Kerl nur wünschen kann (ich denke da an Erfahrung, Wärme und Toleranz), und die es trotzdem in unserer Männergesellschaft so weit gebracht hat, muss zwangsläufig das Herz eines Mannes, der sich dem Geiste verschrieben hat, höher schlagen lassen … und es schlägt, hochverehrte Frau Doktor … es schlägt Tag und Nacht.

Wenn ich sage, meine subtile Romankunst bereitete den Verlegern einige Schwierigkeiten, so bedeutet das keineswegs, sie hätten auch nur die Spitze des Eisbergs davon wahrgenommen.

Es bereitete vor allen Dingen ihren Vorzimmersekretärinnen Schwierigkeiten.

Ein Wort dazu, denn ich kann nicht davon ausgehen, dass Sie sich in den Gepflogenheiten dieser Kreise auskennen:

Dringt ein Manuskript, auf welchem Wege auch immer, einmal bis zum Verlegerbüro vor, bleibt es unweigerlich in den Fängen eines Papierfressers hängen, der Chefsekretärin heißt. Kompetent oder nicht:

Sie liest die erste Seite und wirft das Ding seufzend weg.

Das ist der ungefähre Ablauf. Deshalb sann ich schon damals darauf, womit diese gefährlichen Vorzimmerschleusen zu umgehen waren. Keine Aussicht, dass irgendein Verleger wie Moses auf dem Berge Sinai beim Einbrennen der Zehn Gebote doch noch irgendwo zwischen Taxi und Hauseingang von meinem Manuskript in Bann geschlagen werden würde.

Also verfiel ich auf den Gedanken, sie da aufzusuchen, wo ihre Sekretärinnen mit „anderen Aufgaben“ betraut sind. Und das ist das alljährliche Buchspektakel in Frankfurt, wenn sich Verleger aus aller Welt zur Messe einfinden.

Ich mietete sechs Monate vorher ein Zimmer in jener Nobelherberge Hessischer Hof gegenüber den Messetoren, in der sie schon wegen der gehobenen Preisklasse unter sich bleiben – wohl wissend, dass es zu drei viertel vorausgebucht und bald restlos belegt sein würde.

Was blieb mir anderes übrig? Mit den vorgedruckten Absagekärtchen – „Visitenkarten der geistig Minderbemittelten“, wie Slauters sie immer respektlos nannte, denn er steckte in einer ähnlich aussichtslosen Lage wie ich – hätte ich leicht mein Badezimmer tapezieren können.

Es war nur ein geringer Trost, dass ich mich dabei in der Gesellschaft eines Gleichgesinnten befand.

Slauters beschäftigte sich vergeblich damit, jene erfolgreiche Tradition des Degenromans wiederauferstehen zu lassen, die in „Drei Musketiere fliehen nach Andalusien“ ihren so glorreichen Höhepunkt gefunden hatte.

Als ich ihn eines Morgens – die letzten blassen Sterne standen noch am Firmament – von der Veranda aus hinunter zum Wasser stiefeln sah, ahnte ich natürlich nicht, dass sein Besuch diesmal weniger den Stockenten und ihrem so menschenähnlichen Hader galt als dem Grund des Flusses.

Zwei Tage später fand man seine Leiche, grässlich aufgequollen und über und über graublau – sie hatte sich in den Zweigen einer Weide verfangen.

Dieses Bild meines verschrumpelten Kollegen und Freundes vor Augen, lag es natürlich nahe, alles nur Erdenkliche zu tun, um dem gleichen Schicksal zu entgehen.

Wenn Sie verstehen, was ich meine?

Voller Grauen erinnere ich mich jener Anfälle von Melancholie, mit denen ich auf das trübe Wasser des Ottawa River hinunterstarrte und dabei jene Anziehungskraft verspürte, die auch Slauters in seinen letzten Stunden empfunden haben mochte. Das Verlangen nach Ruhe, nach einem Platz unter den Kieseln des Flusses, über die in nie enden wollendem Zug das Wasser hinwegströmt …

Ein Zustand ohne das entwürdigende Schauspiel, irgendwelchen Dilettanten die Kulturwerte erklären zu müssen.

Aber reicht das – ich frage Sie mit aller Eindringlichkeit – reicht das wirklich, hochverehrte Frau Doktor, mich, wie es der Staatsanwalt will, des siebenfachen Verlegermordes zu bezichtigen?

Weil man meine Manuskripte nicht lesen wollte?

Reicht es als Motiv?

Ihrem klugen Verstand dürfte nicht entgangen sein, dass ich noch alle Sinne beieinander habe. Ich bin weder ein Fall für die Heilanstalt noch fürs Gefängnis. Ich bin ein Mann der Freiheit und des Geistes.

Nach der Verhandlung sollten wir uns – das ist mein Vorschlag – unten an der Ecke in dem hübschen Café mit den Gobelins und Blumentapeten ein oder zwei Tassen Kaffee und einen kleinen Cognac genehmigen. Wir werden uns durch die verblichenen Wandspiegel anlächeln, und in unseren Blicken wird jenes geheime Einverständnis liegen, dessen Botschaft nur ein liebendes Paar versteht …

Noch lange hin? Ja, sicher. Ich lade Sie trotzdem dazu ein. Ich finde, das sind Sie mir und – mit Verlaub gesagt: meiner Unschuld – schuldig.

Übrigens sollten Sie in Ihrem Gutachten meine klaren Gedankengänge erwähnen, meine Ehrlichkeit. Obwohl ich doch hier allen Grund hätte, meine bedrängte Situation weniger dramatisch zu schildern – dem Staatsanwalt nicht noch zusätzliche Munition für seine Schießübungen zu liefern.

Ich denke, das spricht für mich. Finden Sie nicht?

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