Читать книгу Der EMP-Effekt - Peter Schmidt - Страница 8
2
ОглавлениеEr betrat das Polizeirevier und wartete ab, bis eine dickliche Marktfrau mit ihrer Beschwerde zu Rande kam. Jemand hatte ihren Stand umgestoßen. «... der ganze schöne Kohl auf dem nassen Pflaster – und die Trauben zertreten!»
Karga blickte sich ungeduldig um. In der Halle standen drei Reihen Schreibtische, seine Vernehmung zur Demonstration damals fiel ihm ein, und ein Pulk von Bildern – Verhöre, denen er an den Nachbartischen hatte zuhören können – stieg augenblicklich vor seinem inneren Auge auf, als er die Schreibmaschinen und Besucherstühle sah.
«Die Gewalt nimmt zu», erklärte der Polizeibeamte. Er hatte rötliche Koteletten und einen müden Zug um den Mund. «Gegen Menschen und Sachen, wir sind machtlos.»
«Ein Zeichen zunehmenden Wohlstands», mischte Karga sich ein. Er war selbst überrascht darüber: gewöhnlich gab er sich eher zurückhaltend, aber das Thema interessierte ihn. «Zuviel Wohlstand oder zu wenig – es hat immer die gleiche Wirkung. Die Veränderung muss von innen kommen. Wenn man etwas verändern sollte, dann nicht die gesellschaftlichen Verhältnisse, sondern den einzelnen Menschen.
Gandhi hat dafür den Weg gewiesen. Massen von gewaltlosen Einzelnen sind der Schlüssel zur Zukunft.»
Die Alte wandte sich um und sah ihn missmutig an. «Ihr Gerede macht meinen Kohl nicht heil.»
«Es wäre nie so weit gekommen.»
«Bitte warten Sie, bis Sie an der Reihe sind», sagte der Beamte verdrießlich.
Karga wandte sich achselzuckend ab. So war es immer: Sobald er sich engagierte, gab es Ärger. Dabei war alles ganz einfach: nicht die Eier mußte man verändern, wenn man besseres Rührei wollte, sondern die Henne, die sie legte. Es waren Gedanken, mit denen er wie mit einer Gleichung spielte. Bloß, dass er sie nicht in die Tat umsetzen konnte. Sie waren nichts als ein theoretisches Spiel.
Es dauerte mehr als zehn Minuten, bis er an die Reihe kam.
«Ich habe einen Einbruch zu melden. Genaugenommen sogar einen Überfall.»
«Bitte nehmen Sie Platz.»
Er wurde an einen der Tische gebeten, auf dem eine Schreibmaschine stand.
«Ihren Personalausweis bitte.»
«Meinen Ausweis, wozu?»
«Es erleichtert die Aufnahme, wenn ich Ihre Daten abschreibe.»
«Tja, tut mir leid. Er wurde gestohlen. Ich nehme an, dass er mir gestohlen wurde», berichtigte Karga.
«Haben Sie seinen Verlust gemeldet?»
«Beim Einwohnermeldeamt, ja. Ich beantragte gerade einen Pass, um nach Rumänien zu reisen. Deshalb konnte ich ihn nicht abholen, man verlangte dafür den Ausweis.»
«Sie sind also ohne Papiere?»
«Es … es gibt noch diesen Werksausweis», sagte Karga und zog eine graue Plastikkarte mit seinem Foto und einem an der rechten Seite durchlaufenden Magnetstreifen aus der Brieftasche.
«VVG … ist das nicht die Firma, die Stereorecorder und Taschenradios herstellt?»
«Unter anderem, ja.»
«Mein Sohn geht mit so einem Ding ins Bett, das man in die Hemdentasche stecken kann.»
«Von der Größe einer Scheckkarte», bestätigte Karga. «Unsere Entwicklung.»
«Meiner Meinung nach rauschen diese kleinen Dinger viel zu stark.
Für den Klang der größeren Anlagen fehlt ihnen einfach die Antennenleistung.»
«Das wird jetzt anders», erklärte Karga mit geheimnisvoller Miene. «Wir haben einen wirksameren Rauschfilter entwickelt.»
«Einen …? Aha.»
«Atmosphärische Störungen und so weiter.»
«So was sollten Sie in unsere Funksprechgeräte einbauen lassen.»
«Gar nicht so übel, der Gedanke. Leider produzieren wir nur Geräte der Unterhaltungselektronik.»
«Glauben Sie mir – die besten Radios waren die alten Volksempfänger. Ich erinnere mich noch gut an das Radio meiner Großmutter, eine hochglanzpolierte Holzkiste, so groß wie ein kleiner Farbfernseher. Sein Klang war unvergleichlich …»
Nach einer längeren Abschweifung, bei der Karga unbehaglich auf dem Stuhl hin und her zu rutschen begann, kamen sie endlich auf seinen Fall zu sprechen.
«Wurde etwas gestohlen?»
«Soviel ich weiß, nicht.»
«Und die Täter, sind sie Ihnen bekannt?»
«Ich sah sie zum ersten Mal.»
«Aber man drohte Ihnen Gewalt an?»
«Man hinderte mich, die Polizei zu benachrichtigen.»
«Auf welche Weise?»
«Indem man sich mir in den Weg stellte. Später riss man das Telefonkabel aus der Wand.»
Er klapperte Kargas Angaben mit zwei Fingern auf der Schreibmaschine herunter und ließ sich die Personenbeschreibungen geben. «Groß, klein, dick, dünn?»
«Einer der beiden scheint krank zu sein. Er schluckt Pillen, vielleicht ein Herzmittel.»
«Wenn Sie nichts vermissen, handelt es sich nur um Hausfriedensbruch. Und Sachbeschädigung.»
«Diese Kerle waren schon öfter da. Sie ziehen nie die Toilettenspülung, lassen den Wasserhahn tropfen und verschmutzen meine Gardine – ich nehme an, weil einer von ihnen am Fenster Schmiere steht.»
«Also wiederholter Hausfriedensbruch», berichtigte er. «Meiner Meinung nach suchten sie nach etwas und wurden dabei überrascht.»
«Haben Sie eine Vorstellung, wonach?»
«Keine. Das ist mir absolut schleierhaft.»
«Könnte es mit Ihrer Arbeit zusammenhängen? Werkspionage zum Beispiel?»
«Nein. Ich arbeite nicht in der Wohnung.»
«Sie nehmen auch keine Unterlagen mit?»
«Das ist untersagt. Ich beschäftige mich zwar manchmal nebenberuflich in meinem Bastelkeller mit ähnlichen Problemen wie in der Firma. Wenn man es als Hobby betrachtet, steht man einfach weniger unter Druck und kommt zu besseren Ergebnissen.
Man kann experimentieren, auch auf die Gefahr hin, dass es zu nichts führt. Der Entstörfilter ist übrigens ein Ergebnis meiner Freizeitbeschäftigung, wenigstens zum Teil. Aber für Werkspionage wäre unsere Arbeit nicht bedeutend genug. Was wir erfinden, unterscheidet sich kaum von den Produkten der Konkurrenz – und den Rest kann man später als Lizenzen kaufen.»
«Also keine Hinweise.»
Karga zögerte einen Moment, dann erzählte er ihm auch von den übrigen Vorfällen.
Der Beamte hörte schweigend zu; sein Blick wurde deutlich abweisender; er betrachtete ihn plötzlich wie eine hypochondrische alte Frau, die ihm von ihren zahllosen Zipperlein berichtete.
«Sie verbinden da eine Menge Dinge, die nichts miteinander zu tun haben müssen: das Fernsehauge, die Fahrradtasche, Ihren verlorenen Ausweis … Die Befreiung von der Stempeluhr würde ich eher als Vertrauensbeweis ansehen.»
«Ehrlich gesagt, ich bin fest davon überzeugt, dass der Verfassungsschutz hinter mir her ist.»
«Dann hätte man sich zu erkennen gegeben.»
«Auch bei einem Wohnungseinbruch? Verstehen Sie mich richtig, ich kam etwas früher nach Hause als sonst. Sie hatten nicht damit gerechnet, erwischt zu werden. Als es zu spät war, wollte keiner dazu stehen. Vertuschung illegaler Praktiken. So was steht doch täglich in den Zeitungen.»
«In diesem Falle kann ich nur eines für Sie tun.» Er riss ein Blatt vom Block und schrieb Karga eine Adresse auf. «Dies ist die zuständige Stelle beim Verfassungsschutz – ich werde Sie telefonisch ankündigen, damit man Sie vorlässt. Schildern Sie dort Ihren Fall. Dann wird man weitersehen.»