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ОглавлениеDie Stadt war schon seit langem ein Zwitter, eine seltene Mischung aus Biederkeit und hinterhältiger Grausamkeit. Ich habe zu viele ihrer Hinterhöfe gesehen, zu viele geheime Keller, Bars und Klubs für Mitglieder, Zimmer hinter Tapetentüren in schäbigen kleinen Hotels, Zockerklubs hinter Rezeptionen, wo man eigentlich nur eine Abstellkammer vermuten sollte.
Und nirgendwo findet man öfter jenen Typ von bleichen verwirrten Drogensüchtigen, die so unerwartet nach einem schmalen Flur oder Tordurchgang auftauchen wie ein Rottweiler, der einem ans Hosenbein will.
Aber wenn man seine Koffer packte, kam man damit nicht automatisch schon an einen Ort, der einem das Gefühl verschaffte, zur Ruhe zu kommen.
Solche Orte gibt es überhaupt nicht – vielleicht am Amazonas, in irgendeiner Waldidylle, an einem der kleinen Kahlschläge auf dem Ufer mit einfachen Pfahlbauten und Dächern aus Palmwedeln, wenn die Moskitos noch darüber nachdenken, ob sie lieber nach Süden oder nach Norden ziehen sollen und jedenfalls die Dämmerung oder einen Schweißausbruch für ihre Attacken abwarten, denn was uns die Experten über die grüne Hölle weismachen wollen, ist nichts weiter als ein verzerrtes Bild aus Abenteuerbüchern.
Eine amerikanische Kleinstadt signalisiert einem sofort, jemand könnte einem an der nächsten Straßenecke eine runterhauen, nur weil es ihm gerade so eingefallen ist, selbst wenn sie gepflegte kleine Vorgärten und sauber gestrichene Garagentore besitzt, und das hat etwas von ehrlichem Bekenntnis zur Gewalt. Die Bedrohung hängt wie eine große gut lesbare Ankündigung am klaren blauen Himmel.
In Frankfurt sehen selbst die Drogensüchtigen so aus, als seien sie auf dem Wege zur Gesprächstherapie, und dann rammen sie einem an der nächsten Telefonzelle wegen des Wechselgelds ein Messer in die Nieren.
Linda schien mich bei ihren mysteriösen Streifzügen genau in jene Etablissements zu schleppen, mit denen ich schon einmal auf unsanfte Art und Weise Bekanntschaft gemacht hatte.
Das Eduardo im Bahnhofsviertel war eine jener Bars der Größe und Weitläufigkeit, die an ein mittleres Spielkasino erinnern, obwohl sie von der Straßenseite aus eher bescheidene Maße hatte.
Kein dunkler Schlauch der alten Art mit Séparées und stromlinienförmigen Damen an der Theke, die auf ein Getränk eingeladen werden wollen, das nach Cognac aussieht, aber wie Tee schmeckt, sondern eine neue Erfindung, bei der man nie weiß, ob es sich nicht doch nur um eine Billardhalle oder Peepshow, einen Laden für Ehehygiene oder einen Spezialitätenimbiss handelt. Weil sie nämlich alles zugleich sind und es noch gar keinen Namen dafür gibt. Oder ob es eigentlich nur darum geht, den paar großen dunklen Hinterzimmern zur Hofseite eine undurchsichtige Fassade zu geben.
Meiner Meinung nach war Eduardo gar kein echter Portugiese, sondern stammte aus einem Dorf südlich von Casablanca. Aber ein marokkanischer Pass würde der Freizügigkeit in der europäischen Wirtschaftsgemeinschaft empfindliche Grenzen setzen.
Sein Gesicht war alles andere als afrikanisch, was hätte ihn also daran hindern sollen, dieser Legitimation für den europäischen Markt durch geeignete Papiere nachzuhelfen? Portugiesische Pässe mit Beglaubigung der Behörden in Lissabon und einem amtlichen Auszug aus dem örtlichen Taufregister, der kostenlos beigefügt wird, kann man, wenn man in der Stadt die richtige Adresse kennt, für weniger als tausendfünfhundert bekommen.
Mit einer Einschränkung: Es dürfen keine Hunderter aus dem Farbkopierer sein, weil man die an derselben Stelle für dreißig Mark kaufen könnte. Das Geschäft würde sich sonst nicht rechnen.
Eduardos Geschäftsführer mochte mein Gesicht nicht. Eduardos Geschäftsführer mochte überhaupt keine Gesichter, wenn sie es darauf anlegten, ihre Nasenspitzen in Eduardos Hinterzimmer zu stecken. Aber das war nun einmal meine gottverdammte Aufgabe gewesen, nachdem ich darauf eingegangen war, für einen geschäftlichen Konkurrenten Eduardos nachzuweisen, dass Eduardo lieber schleunigst in sein Heimatdorf an der marokkanischen Atlantikküste zurückkehrte.
Eduardo hatte das gar nicht gefallen, seinem Geschäftsführer nicht und mir auch nicht. Darin waren wir uns alle einig gewesen. Soviel Einigkeit ist selten. Trotzdem hatte sie Eduardos Geschäftsführer Balwin ein paar Tage Bettruhe und Erholung eingetragen.
"Müssen wir wirklich ins Eduardo?“, fragte ich. "Sind Sie da sicher, Linda?"
Wir standen auf der Straße neben dem Eingang, und Linda trat ans Schaufenster und versuchte zwischen den grünen Vorhängen aus Plastikfolie einen Blick ins Innere des Lokals zu werfen.
"Sie war hier", sagte sie und wiegte nachdenklich den Kopf. "Das ist das letzte, was ich über sie herausbekommen habe."
"Wer war hier?"
"Das Mädchen vom Phantombild."
"Herzlichen Dank, dass Sie sich jede Silbe über den Fall einzeln entreißen lassen wollen, Linda. Das macht die Sache etwas spannender für mich. Mein Leben ist eine einzige Kette langweiliger Alltäglichkeiten, und da freut man sich doch über jeden kleinen Nervenkitzel, selbst wenn er aus nichts weiter als den Wortkrumen besteht, die beim Nachdenken aus Ihrem hübschen Mund fallen."
"Was haben Sie gerade gesagt?“, fragte Linda und sah mich entgeistert an.
"Schon gut. Versuchen Sie gar nicht erst, das in einfaches Alltagsdeutsch zu übersetzen."
"Sie mich auch ..." sagte sie erbost und stellte sich mit in die Hüfte gestemmten Armen vor mich hin. "Nun hören Sie mir mal gut zu, Winger. Ich zahle Ihnen hundertfünfzig am Tag, damit sie mich unterstützen und nicht weil ich scharf drauf wäre, dass Sie mir mit Ihren Kommentaren auf den Wecker gehen. Wenn Sie der Fall langweilt oder wenn Sie meine Methode in Zweifel ziehen, dann ..."
In diesem Augenblick flog die Schwingtür auf, und Balwin kam in seinem albern wippenden Gang heraus – albern wippend, weil er größer wirken wollte und hochhackige Schuhe mit schweren Absätzen trug, die mich immer an spanische Toreros erinnerten. Obwohl ich gar nicht sicher war, ob ein Torero damit in der Arena überhaupt eine Chance gehabt hätte. Er hielt zwei Aktenmappen unter dem Arm und in der rechten Hand eine schwere Ledertasche, als sei er Vertreter.
"Winger?" flüsterte er fast lautlos und sah mich ungläubig an. "Welcher Teufel reitet Sie denn, dass Sie sich immer noch in der Stadt aufhalten?"
"Hundertfünfundsiebzig", sagte ich an Linda gewandt. "Oder ist mein Kurs wegen meines kleinen Schwächeanfalls gestern Abend um fünfundzwanzig gefallen?"
Linda steuerte wortlos auf den Eingang zu und drückte mit den Fingerspitzen die rechte Hälfte der Schwingtür nach innen.
"Tut mir leid, das Lokal ist momentan geschlossen", sagte Balwin.
"Aber die Tür steht doch offen, oder?"
"Die Tür steht offen", bestätigte er. "Aber das Lokal ist geschlossen."
"Na schön, so was soll's geben", sagte Linda. "Was halten Sie davon, Winger?"
"Soll das heißen, ich bin wieder eingestellt?"
"Ich kann mich nicht erinnern, Sie rausgeworfen zu haben."
"Und was da eben wie 'hundertfünfzig' klang, gehört auch nur in den Bereich der akustischen Halluzinationen? Also unter diesen Umständen", sagte ich und schob die andere Hälfte der gläsernen Schwingtür nach innen, "würde ich meinen, dass Eduardos Betrieb nicht geschlossen sein kann, weil sich darin eine Menge Kunden aufhalten."
"Es ist geschlossen, weil ich es sage", erklärte Balwin.
"Jetzt, in diesem Augenblick?“, fragte Linda und sah auf ihre Armbanduhr. "Um zwanzig vor zwölf?"
"Meinetwegen auch um zwanzig nach zwölf. Wollen Sie mir deswegen Vorschriften machen?"
"Lieber Himmel, Balwin, hat Ihnen denn Eduardo immer noch nicht gesagt, dass ich jetzt sein bester Freund bin?" Mit diesen Worten ging ich einfach hinein, und Linda kam mir nach und ließ die Glastür genau in dem Augenblick vor Balwins Nasenspitze zufallen, als er mit seinen Mappen und der Ledertasche eine Kehrtwendung gemacht hatte, um uns zu folgen.
Ich steuerte schnell auf eine schmale Tür hinter der Theke zu, die wegen ihrer Scheibe aus Spiegelglas leicht als Eingang von Eduardos Büro zu erkennen war. Im Regal an der Rückwand stand ein auf Hochglanz poliertes Messingschild mit der Aufschrift: LIGA GEGEN AUSLÄNDERHASS – Sektion Frankfurt.
Als ich hinter der Theke stand, fragte mich ein dünnes Mädchen in rosa Leinenkleid mit Samtträgern, wohin ich wolle. Sie sah mich so aufmerksam an und klimperte so nervös mit ihren schwarz bewimperten Augenlidern, den schwach geschminkten Mund leicht geöffnet, als erwarte sie irgendeinen Zauberspruch von mir, der sie von der Pflicht erlöste, sich einem Kerl wie mir in den Weg zu werfen.
Ich murmelte etwas Unverständliches und deutete auf Balwin im Eingang. Dann schob ich Linda in Eduardos Büro und drehte hinter mir den Schlüssel im Schloss um.
Eduardo kam wie eine mächtige, erschreckende Masse Mensch hinter seinem Palisanderholzschreibtisch hoch. Ich hatte ihn nicht so groß und voluminös in Erinnerung, aber er war schon immer ein guter Esser gewesen. Er hielt etwas in der Hand, das wie dünnes, zerbrechliches Glas aussah – drei Ampullen, die eine hellbraune Flüssigkeit enthielten. Als er mich und Linda entdeckte, nahm er sie, eilig wieder von der Schreibtischplatte und legte sie ins Fach zurück.
"Immer noch in denselben Nebengeschäften tätig, Eduardo?“, fragte ich. "Bisschen das Taschengeld aufbessern? Hat die Polizei denn gar keinen Ehrgeiz, dieses schöne Viertel von bösen Drogen zu säubern? Und das Schild da?“, erkundigte ich mich und deutete auf das gleiche polierte Messingschild mit der Aufschrift: LIGA GEGEN AUSLÄNDERHASS auf seinem Schreibtisch wie im Lokal. "Ist das etwa eine neue Methode der armen verfolgten Mitbrüder draußen vor unseren Grenzen, um mit all den himmelschreienden Ungerechtigkeiten wegen der Verteilung unserer Sozialhilfe fertig zu werden?"
"Reden Sie doch keinen Blödsinn", sagte er böse. "Sie hören sich ja schon an wie einer dieser verdammten Rechtsextremen. Wie kommen Sie überhaupt hier herein?"
"Ihr Wachhund Balwin war so entgegenkommend, bei der Türdame ein gutes Wort für uns einzulegen."
"Tja", murmelte er, dabei strich er sich unschlüssig mit der Daumenspitze übers Brustbein und zupfte am wuchernden schwarzen Haar, das aus seinem Hemdausschnitt lugte. Schließlich verklärte ein breites Lächeln sein Gesicht – und dieses Gesicht war ungefähr so groß und oval wie ein Tennisschläger, nur nicht so sauber verspannt. "Das muss ich dann ja wohl glauben, Winger. Was führt Sie zu mir?"
"Linda", sagte ich. "Jetzt sind Sie an der Reihe."
"Hübscher Name", nickte Eduardo. "Passt zum angenehmen Rest. Linda – und wie weiter?"
Jemand hämmerte draußen laut gegen Eduardos Bürotür. Dann fragte Balwins besorgte Stimme: "Alles in Ordnung, Chef? Macht er wieder Schwierigkeiten? Soll ich ein paar Leute besorgen?"
"Nein, nicht nötig", sagte Eduardo über die Sprechanlage. Und, nachdem er sich wieder mir zugewandt hatte: "Wir sind doch nicht nachtragend, Winger? Sie sind doch ein Mensch, der eigentlich ein Herz für Ausländer hat? Als Sie mich damals nach Portugal zurückschicken wollten, geschah das doch nur, weil Ihnen einer meiner liebenswerten Konkurrenten im Viertel Flausen in den Kopf gesetzt hatte ..."
"Marokko", verbesserte ich.
"Mein Gott, ist das lange her", sagte er und hob ergebungsvoll seine großen weißen Hände, deren Finger so aussahen, als habe man ihre Kuppen mit Bimsstein und die Nägel mit einer groben Pfeile bearbeitet. "Ich erinnere mich schon gar nicht mehr an meine Heimat. Ich bin jetzt portugiesischer Staatsbürger mit allen Rechten und Pflichten der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft."
Linda setzte sich in einen der Sessel vor dem Schreibtisch und schlug die Beine übereinander.
Eduardo musterte sie so interessiert, als seien Lindas Beine plötzlich der einzige interessante Gegenstand auf der Welt – als entdecke er außer Drogen und seinem Laden noch etwas anderes, das die Beschäftigung lohnte. Und er hatte natürlich recht, Lindas Beine lohnten mehr als eine Beschäftigung. Wenn Gott die Frauenbeine geschaffen hat, um bei uns Männern den Verstand außer Kraft zu setzen, damit wir auf das immer gleiche Bisschen Fassade hereinfallen, dann war es ihm bei Linda besonders gut gelungen.
"Ich sehe Ihnen ja an, dass Sie so was wie ein Fachmann in Sachen Beinen sind, Eduardo. Das bringt Ihr Beruf in diesem Gewerbe nun mal so mit sich. Aber sollten unsere Augen jetzt nicht wieder nach oben rutschen?"
"Ist das Eifersucht oder einfach nur Anstand bei Ihnen, Winger?“, fragte er, ohne den Blick von Lindas übereinandergeschlagenen Beinen abzuwenden.
"Beides. Ihr verdammten Muslime seid doch nur so außer Rand und Band, weil ein paar prüde Geistliche mit Potenzproblemen euch gesagt haben, man müsse alles, was schön an den Frauen ist, verhüllen. Und nun glaubt ihr hier bei den Ungläubigen wildern zu können, weil sie nach euerer Lehre gar keine richtigen Menschen sind."
"Quatsch", sagte er. "Hab' nie was mit dem Koran am Hut gehabt."
"Sind Sie eigentlich wirklich der Besitzer dieses schönen Etablissements, Eduardo?“, erkundigte sich Linda.
"Sicher, warum fragen Sie?"
"Oder gibt es Teilhaber?"
Eduardo ließ sich nicht anmerken, dass ihn die Frage ärgerte. Zumindest war das für einen weniger geübten Beobachter kaum zu erkennen. Aber ich kannte ihn inzwischen gut genug, um am unmerklichen Zittern seines weißen Wabberkinns und seinen in den Jackentaschen geballten Fäusten zu sehen, dass ihn das in diesem Viertel besser keiner fragte – und schon gar keine Frau. Es ging gegen seine Ehre als Nordafrikaner. Ein Geschäftsmann wie er war von niemandem abhängig, nicht mal von einem Teilhaber.
"Wie kommen Sie bloß auf diesen Quatsch?“, fragte er. Quatsch schien sein neues Lieblingswort zu sein.
"Es heißt, der ganz Block gehöre ein paar Anlegern, die lieber nicht bekannt werden wollten."
"So? Nie was von gehört."
"Der Block – und wahrscheinlich noch ein ganzer Teil des Bahnhofsviertels."
"Die Besitzer sind alle fein säuberlich im städtischen Grundbuch aufgelistet", sagte er. "Wenn es Sie interessiert, gebe ich Ihnen gern die Adresse vom Amt?"
"Nein, das wird nicht nötig sein."
Eduardo nickte, als habe er nichts anderes erwartet, und setzte sich achselzuckend hinter seinen Schreibtisch. "Darf ich fragen, was Sie beide zu mir führt? Doch wohl nicht die Frage, wie viele Hausbesitzer das Viertel hat?"
"Nein, allerdings nicht", bestätigte Linda. Sie zog ein Blatt Papier aus ihrer Tasche. "Man sagt, das Mädchen auf dem Phantombild habe mit dem Besitzer dieses Etablissements ein Verhältnis gehabt."
Eduardo nahm das Blatt und schüttelte mürrisch den Kopf. "Der Besitzer bin ich, wie gesagt ..."
"Es geht das Gerücht um, viele Besitzer hier in der Gegend seien nur Strohmänner für reiche Anleger, die selbst nicht in Verruf kommen möchten, sich mit solchen Geschäften ein Zubrot zu verdienen."
"Gerüchte, Gerüchte ... haben Sie da jemand Bestimmten im Auge?"
"Sagt Ihnen der Name Elmond etwas?"
"Elmond, Elmond? Ist das nicht ein Bonner Politiker? Ich glaube, ich hab' kürzlich mal was in der Zeitung über ihn gelesen. Einer von diesen Burschen, die uns Ausländern nicht so grün sind, wie sie's eigentlich nach der Verfassung sein sollten."
"Ich meine nicht Peter Elmond, den Vorsitzenden des Wehrausschusses im Bundestag, sondern seinen Vater."
"Ja richtig, Elmonds Vater." Eduardo lehnte sich in seinem Sessel zurück und musterte mich voller Unbehagen. "Haben Sie mir die Kleine auf den Hals gehetzt, Winger? Ist das wieder mal auf Ihrem Mist gewachsen? Etwa eine neue Attacke, um ehrbare Kaufleute zu diskreditieren?"
"Nein, ich bin nur Lindas Begleiter. Ich passe auf, dass ihr bei der Suche niemand zu nahe kommt."
"Suche wonach?“, fragte er.
"Nach dem Mädchen auf dem Phantombild, nehme ich an – oder, Linda?"
"Wie man's nimmt, ja."
"Was denn nun – wie man's nimmt? Oder ja?“, fragte ich.
Linda warf mir einen bösen Blick zu und steckte das Blatt mit dem Phantombild wieder in ihre lederne Umhängetasche. "Ich sagte Ihnen doch schon, Winger, dass ich Sie nur bezahle, damit sie mich unterstützen und nicht weil ich scharf drauf wäre, dass Sie mir mit Ihren Kommentaren auf den Wecker gehen. Wenn Sie die Arbeit langweilt oder wenn Sie meine Methode in Zweifel ziehen ..."
"Ihr beide seid mir ja ein hübsches Pärchen", meinte Eduardo und rekelte sich amüsiert in seinem schwarzen Drehsessel, die Arme über den Lehnen baumelnd.
"Es wäre natürlich schön, wenn Sie sich noch an den Namen Ihres Teilhabers erinnern könnten", sagte Linda.
"Und weshalb sind Sie so verlegen darum? Warum wollen Sie das Mädchen finden? Hat es irgend etwas ausgefressen – natürlich, sonst würd's ja nicht mit einem Phantombild gesucht", fügte er nachdenklich hinzu.
"Ich möchte es finden, aber nicht, weil es irgend etwas ausgefressen hätte. Phantombilder werden von der Polizei auch eingesetzt, wenn man nur jemanden in einem Mordfall sucht, der den Behörden weiterhelfen könnte. Weshalb ich sie suche, steht auf einem anderen Blatt. Das ist meine Privatsache."
"Ein Mordfall, sieh mal einer an. Wer ist denn ermordet worden, wenn ich fragen darf?"
"Ihr Kompagnon Robert Elmond, nehme ich an."
Wenn Eduardo diese Antwort überraschte, dann spielte er seine Überraschung wirklich gut. Er schwang seinen Drehsessel herum, und einen Moment lang sah es ganz so aus, als verlöre die mächtige, erschreckende Masse Mensch von hundertdreißig Kilo Lebendgewicht dabei das Gleichgewicht. Doch er fing sich noch rechtzeitig mit beiden Händen an der Tischplatte ab und kam vorgebeugt, die Ellenbogen aufgestützt, zum Halten.
"Davon weiß ich nichts? Das ist ..."
"Die Polizei hält den Namen des Ermordeten noch geheim. Sie spricht nur vage von einem Frankfurter Kommunalpolitiker. Elmond war doch Politiker, oder?"
"Rechtsanwalt, er war vor allem Rechtsanwalt."
"Schließlich hat er sogar irgendwann für den Posten des Oberbürgermeisters kandidiert", sagte Linda.
"Das ist lange her. Danach ging er wieder in seinen alten Job zurück."
"Aber vor einiger Zeit plante er plötzlich sein Comeback. Woher dieser Sinneswandel? Man munkelte sogar, er sei scharf darauf, in die Landespolitik zu gehen. Man munkelte, er rechne sich Chancen für die höchsten Posten aus. Das Amt des Wirtschaftsministers oder sogar des Ministerpräsidenten."
"Da verwechseln Sie ihn vermutlich mit seinem Sohn Peter Elmond. Der steckt bis zum Hals in der Bundespolitik und gibt dort gar keine schlechte Figur ab, wie ich gehört habe."
"Nein, ich meine seinen Vater. Ist es richtig, dass sich die beiden entzweit hatten?"
"Ziemlich, ja."
Linda nickte und schwieg. Sie nahm das rechte Bein herunter und legte das linke über das rechte, und Eduardo sah ihr wieder dabei zu. Aber seine Gedanken weilten ganz woanders, vielleicht bei den Elmonds und ihren politischen Plänen und jedenfalls nicht bei einem Sonnenschein wie Linda, denn sein Gesicht sah so finster umwölkt aus, als ziehe gleich eine Schlechtwetterfront herauf.
Dann sagte er: "Dass der alte Elmond plötzlich tot sein soll, will mir nicht in den Kopf.
"So alt war er ja noch gar nicht mal", widersprach Linda. "Sechsundfünfzig, das ist bestes Mannesalter. Er hatte noch alles vor sich. Außerdem soll er sehr attraktiv gewesen sein. Sein Sohn ist jetzt neununddreißig. Das macht – ja, er muss ihn schon mit siebzehn ...."
"Wie ist Elmond denn ums Leben gekommen?"
"Wäre ich hier, wenn ich das wüsste?“, fragte Linda.
"Und warum glauben Sie, dass er ermordet wurde?"
"Ich sah das Phantombild des Mädchens in der Zeitung. Ich fand es merkwürdig, dass die Polizei keine weiteren Angaben zu dem Fall machte. Das ist doch ungewöhnlich, finden Sie nicht? Dafür musste es irgendeinen Grund geben. Die Polizei sprach nur von einem Gewaltverbrechen und dass das Mädchen vielleicht so etwas wie ein Callgirl oder eine Prostituierte sei. Also machte ich mich daran, der Sache nachzugehen. Ich hörte mich in den Kreisen um, die dafür in Frage kommen. Bordelle, Peepshows, Bars, Privatklubs. Leider sind das nicht gerade wenige", seufzte sie.
"Was bringt Sie denn dazu, der Polizei ins Handwerk zu pfuschen?“, erkundigte sich Eduardo. Für wen arbeiten Sie eigentlich?"
"Ich bin Journalistin."
"Und da kommen Sie ausgerechnet zu mir? Wenn man wie ich aus einem Land der Dritten Welt stammt, kann man keine Öffentlichkeit brauchen."
"Ich mache auch nur meinen Job, Eduardo – wie jeder andere. Wir müssen alle sehen, wo wir bleiben, und mein Job ist es nun mal, gute Storys aufzureißen."
"Na, Sie sind mir ja ein Früchtchen", sagte Eduardo und ließ sich wieder in seinen Drehsessel zurücksinken. "Sie kommen mit einem meiner ältesten Feinde in der Stadt hereinspaziert und stellen mir Fragen. Wissen Sie, dass Winger den armen Balwin ganz schön vermacht hat? Ich habe ihn in einer norddeutschen Spezialklinik wieder zusammenflicken lassen müssen. Das hat mich ein paar Riesen und ziemlich viel Nerven gekostet, weil Balwin zwar ein guter Buchhalter ist, aber wenig einstecken kann. Und jetzt sitzt dieser Stinker in seinen schmierigen Klamotten da, grinst mich unverschämt an und versaut mir meine guten Ledersessel."
"Seien Sie doch mal nett zu einem armen Mädchen wie mir", sagte Linda. "Säße ich denn ohne Winger hier in Ihrem Büro, Eduardo?"
"Ich könnte sogar sehr nett zu Ihnen sein – wie ein guter Afrikaner. Aber was springt schon dabei für mich heraus, wenn ich mich in einen Mordfall einmische? Nur Ärger."
"Nein, mehr", widersprach Linda.
"Mehr? Wie soll ich das verstehen?" Eduardo zauberte eine kleine Silberpfeife aus der Schublade, zündete sie seelenruhig an, nahm zwei, drei tiefe Züge, sah versonnen dem bläulichen Cannabinoldunst nach und legte sie wieder zurück. Sein großes ovales Tennisschlägergesicht wurde für einen Moment so entspannt, als sei er jetzt bereit, jeden Wortball der Welt in die gegnerische Hälfte zurückzuschmettern.
"Wir verstehen uns schon, Eduardo", sagte Linda.
"Verstehen, nein."
"Elmonds Witwe oder sein Sohn könnten schließlich eines Tages auf die Idee kommen, sich zu erkundigen, ob irgendwo noch ein Wechsel herumliegt, von dem sie nichts wissen."
Eduardos Augen verengten sich zu Schlitzen. Der Spuk von plötzlichem Wohlbefinden endete so schnell, wie er gekommen war – oder sein Misstrauen war erwacht, und er hatte plötzlich den richtigen Geistesblitz.
"Ein Wechsel, wofür?"
"Denken Sie mal an die andere Hälfte des Besitzes."
"Welche andere Hälfte? Was ist damit?"
"Sie könnten sie behalten. Als kleine Gegenleistung für Ihr Entgegenkommen."
"Ich könnte sie ..." Er warf Linda einen entgeisterten Blick zu. "Etwa, weil Sie es sagen?"
"Weil niemand einen Anspruch darauf anmeldet, Eduardo."
"Wie kommen Sie nur auf diesen gottverdammten Blödsinn", sagte er wütend. "Nehmen wir einmal an, an Ihrer Geschichte mit dem verstorbenen Teilhaber, den ich auf die kalte Tour beerben sollte, sei etwas dran – dann haben Sie die Sache doch von jemand anders erfahren. Also könnten Sie mir auch gar nicht garantieren, dass sie nicht doch eines Tages publik würde."
"Ich könnte Ihnen garantieren, dass ich sie nicht publik mache, Eduardo. Und ich kann Ihnen garantieren, dass derjenige, der mich darauf gebracht hat, von den Besitzverhältnissen selbst gar nichts weiß."
"Wie das?“, fragte Eduardo ungläubig.
"Jemand sagte mir, das Mädchen habe für kurze Zeit in diesem Etablissement gearbeitet. Nicht aus Überzeugung übrigens, sie benutzte ihren schönen Körper nur als Sprungbrett. Dabei muss sie sehr schnell herausbekommen haben, wer der wirkliche Herr im Hause war, und machte sich an Elmond heran."
"Na und?“, sagte Eduardo. "Das beweist noch gar nichts."
"Dieser Jemand erkannte sie auf dem Phantombild. Er ahnte nichts von Elmonds Strohmann-Geschäften, er kannte nur seinen Namen und wusste, dass er Rechtsanwalt war. Aber er hatte das Mädchen damit prahlen hören, es werde schon bald die heimliche Besitzerin des Eduardo sein. Und dann werde sie diesen nachgemachten Portugiesen wieder dahin zurückjagen, wo er hingehöre, nämlich in die marokkanische Wüste."
"So ein Miststück", seufzte Eduardo.
"Ich fragte mich natürlich, wie sie hier Chefin werden könnte. Und, ehrlich gesagt, fand ich lange Zeit auch keine befriedigende Antwort darauf. Sie war mit Elmond zusammen, dafür gibt es Zeugen, das glaubt auch die Polizei. Aber dann stieß ich auf ein winziges verräterisches Detail. Es war der Grund, weswegen Robert Elmond damals bei seiner Wahl zum Bürgermeister gescheitert war. Nämlich, weil er seine Finger in den schmutzigen Geschäften des Viertels hatte. Über Strohmänner wie Sie, Eduardo."
Eduardo schwieg und dachte nach. Ich konnte seine Gehirnwindungen förmlich krachen hören. Ich nahm mir ein paar von den Pistazien in der Schale auf seinem Schreibtisch und setzte mich damit in den Sessel zurück.
"Und den Rest haben Sie sich bloß zusammengereimt? Sie haben nur geblufft?"
"Bisschen Poker ist im Zeitungsgewerbe nun mal das Salz in der Suppe."
"Ganz schön durchtrieben, alle Achtung. Was ist mit Winger? Wer garantiert mir, dass er den Mund hält? Der haut doch jemanden schon für einen fleckigen alten Anzug zusammen oder weil ihm seine Krawatte nicht gefällt. Was, wenn ihm plötzlich einfiele, aus der Geschichte Kapital zu schlagen? Oder wenn Ihnen dasselbe einfallen würde, Gnädigste?"
"Das Risiko müssen Sie einfach eingehen."
"Hm", sagte er nachdenklich und stand steif und ungelenkig auf, um aus dem Fenster zu blicken. Ich war überzeugt, dass es da draußen nichts weiter als ein paar Garagen und kahle Backsteinwände zu entdecken gab, aber er sah so lange und angestrengt hinaus, als sei es mindestens die Bundesgartenschau oder der Stadtpark.
"Aber Ihr Schweigen ist nicht ganz uneigennützig. So habe ich Sie eben doch verstanden?“, sagte er unerwartet heiter, als er sich wieder an den Schreibtisch setzte. Anscheinend war er zu dem Ergebnis gekommen, dass die Sache ganz gut für ihn lief, solange er sich Linda und mir gegenüber als Strahlemann zeigte.
"Ich habe Ihnen schon gesagt, dass ich an einer Story arbeite", bestätigte Linda. "Und ich garantiere Ihnen, dass Sie bei der geringsten verwertbaren Information vollkommen von mir aus der Sache herausgehalten werden – unter Zeugen, nicht wahr, Winger?"
"Wer würde einem Mädchen mit solchen Augen falsche Versprechungen unterstellen wollen", sagte ich.
"Verwertbare Informationen ... aha", murmelte Eduardo. "Und woran hatten Sie dabei gedacht?"
"Wenn ich sie schon hätte, müsste ich nicht danach fragen."
"Ja, das ist richtig", bestätigte er und grinste so unergründlich zuvorkommend, wie es nur ein waschechter Orientale fertigbringt. "Wollen wir nicht hinüber in die Bar gehen und zusammen einen pechschwarzen kleinen Mokka trinken?"
"Wenn Sie glauben, dass das Ihrem Gedächtnis auf die Sprünge helfen könnte?"
Eduardos Bar war ein Spezialding hinter einer verspiegelten Wand am Ende einer Theke, die arglose Zeitgenossen für die eigentliche Bar halten. Er öffnete die Tür mit einem fünfeckigen Spezialschlüssel, und wir setzten uns in eine mattschwarz lackierte Nische mit wenig Licht halbschräg links von der Bühne, unter deren grellen Deckenscheinwerfern abends wahrscheinlich so ziemlich alles an kleinen Perversionen geboten wurde, was das abgestumpfte Herz eines männlichen Fußgängers in der Stadt wieder zu schnellerem Schlagen brachte.
"Also gut", sagte er aufgekratzt, als der Mokka in kleinen nordafrikanischen Gläsern mit Goldrand serviert worden war. "Schließen wir so etwas wie einen ungeschriebenen Vertrag. Sie mischen sich nicht in meine Geschäfte ein und ich mich nicht in Ihre. Dafür sage ich Ihnen, was ich per Zufall über die Sache erfahren habe."
"Einverstanden." Linda verschränkte die Arme und schlug ihre Beine übereinander. Doch in der dunklen Ecke kamen sie nicht so recht zur Geltung.
Ich versuchte herauszufinden, was jetzt in ihrem Kopf vorging. Aber zwischen Innenleben des Kopfes und Gesichtsausdruck besteht manchmal bekanntlich eine nicht ganz unbeabsichtigte Diskrepanz. Wahrscheinlich war Linda stolz auf ihren Erfolg. Vermutlich war sie mit dem bisschen Grips, das wir gemeinhin der Durchschnittsfrau zubilligen, schon viel weiter gekommen als jeder Kerl in ihrer Situation. Aber Linda war nun mal keine Durchschnittsfrau. Jedenfalls nicht für mich – und wohl auch für keinen anderen Kerl, der Augen im Kopf hatte. Vielleicht brachte mich das an diesem blauen Vormittag zu der wehmütigen Erkenntnis, dass ich mir kaum Chancen bei ihr ausrechnen konnte. Und plötzlich fühlte ich mich alt und grau.
"Rosa Vanessa", sagte Eduardo.
"Das ist ihr Name?“, fragte Linda.
"Haben Sie einen anderen erwartet?"
"Nein, sollte ich ...?"
"Rosa hat nur wenige Tage bei mir gearbeitet. Sie verstand sich nicht mit den anderen Mädchen. Sie sah sich als was Besonderes. War wohl aus dem Osten herübergekommen, um hier im goldenen Westen Karriere zu machen – Karriere mit ihrem schönen Körper, wie das Millionen Mädchen überall auf der Welt versuchen. Na, Rosa war schon ein besonderes Früchtchen, ein durchtriebenes Luder. Konnte sich aber genauso gut als große Dame oder als kleine Naive verkaufen."
"Eine Freundin von ihr, ein Mädchen namens Tanja, sagte mir, Rosa sei Prostituierte?"
"Was man so Freundin nennt. Eher Kollegin, würde ich sagen. Nein, ich glaube nicht, dass Rosa auf den Strich ging, nicht mal ausnahmsweise. Dafür war sie sich zu schade. Sie versuchte ihren Körper auf andere Weise an den Mann zu bringen, wie viele sogenannte ehrbare Frauen."
"Und es dauerte nicht lange, bis sie damit Erfolg hatte?"
"Irgendwann kam Robert Elmond hier hereingeschneit. Ich glaube, er wollte nichts weiter als einen Tomatensaft trinken. Rosa spielte sofort die große Dame für ihn. Das musste ihm mächtig imponiert haben. Ein paar Tage später warf sie ihren Job hin."
"Sie selbst hatten oft Ärger mit Rosa?"
"Na, sagen wir – sie duldete keinen anderen Herrn neben sich", sagte Eduardo nachdenklich. "Aber ich bin nun mal der Besitzer des Klubs."
"Und Elmonds Frau?"
"Ich nehme an, sie weiß nichts von Rosas Existenz."
"Rosas Arbeitskollegin sagte mir, sie sei mit Elmond in ein Jagdhaus irgendwo in der Nähe von Frankfurt gezogen?"
"Ja, mag schon sein. Elmond hatte seit langem ein ziemlich distanziertes Verhältnis zu seiner Frau. Frau Elmond handelt mit Kunst und Antiquitäten. Sie gingen sich aus dem Weg, wo immer es möglich war. Elmond war oft auf Reisen, das brachte seine Arbeit als Rechtsanwalt so mit sich."
"Und was ist an dem Gerücht dran, er wolle sich noch ein zweites Mal für eine Kandidatur als Oberbürgermeister bewerben?
"Ein paar Tage, nachdem er Rosa kennengelernt hatte, war er plötzlich wie verwandelt – ein anderer Mensch. Er sagte, es hätten sich ganz neue Perspektiven für ihn ergeben. Seine Chancen in der Politik seinen beträchtlich gestiegen."
"Und worauf führten Sie diesen Sinneswandel zurück?“, fragte Linda.
"Keine Ahnung – ich habe keinen Schimmer. Das müssen Sie mir einfach glauben. Elmond war nicht der Typ, der einem über ein paar beiläufige Bemerkungen hinaus viel anvertraute."
"Ziemlich wenig für ein so schönes Haus, finden Sie nicht?"
"Was kann ich Ihnen anderes sagen?" Eduardo hob bedauernd die Hände. "Oder warten Sie, da ist noch ein Punkt, der vielleicht von Interesse sein könnte ... Rosa war manchmal für ein paar Tage verschwunden."
"Verreist, meinen Sie?"
"Niemand wusste, wo sie sich aufhielt."
"Und was steckt Ihrer Meinung nach dahinter?"
"Keine Ahnung."
"Verschwand Rosa auch, als sie mit Elmond zusammen war?"
"Da auch, ja, für zwei bis drei Tage."
"Fuhr Sie mit dem Zug oder mit dem eigenen Wagen?"
"Sie sagte immer nur, sie müsse jetzt wieder für kurze Zeit verreisen. Aber sie käme bestimmt zurück."
"Und Sie haben nie den kleinsten Hinweis darauf gefunden, wo sie stecken könnte?“, fragte Linda.
"Irgendwann nahm ich den Anruf eines Reisebüros entgegen. Das Mädchen sagte, Rosas Verbindung sei wegen eines Fahrplanwechsels geändert worden. Aber ich erinnere mich nicht mehr genau, worum es dabei ging."
"Sie erinnern sich nicht – wie bedauerlich für Sie, Eduardo."
"Nun machen Sie aber mal einen Punkt", sagte Eduardo sichtlich beleidigt. "Wir haben einen klaren Vertrag miteinander geschlossen. Vertrauen gegen Vertrauen. Vielleicht war es München, irgendein kleiner Ort bei München, ja. Aber ich erinnere mich nicht mehr genau. Und einmal sagte Rosa, sie müsse noch ein paar warme Anziehsachen besorgen. Alte Leute seien immer schrecklich schwierig. Aber das war ihr wohl nur so herausgerutscht, denn als ich fragte, um wen es sich handele, wurde sie plötzlich ganz ernst und behauptete, ich müsse mich verhört haben."
"Ein kleiner Ort bei München – alte Leute", wiederholte Linda. "Ein Ort mit Bahnanschluss?"
"Woher soll ich das wissen?"
"Hm, natürlich." Sie stand auf und reichte ihm die Hand. "Ich denke, Sie haben mir sehr geholfen, Eduardo. Es bleibt bei unserer Vereinbarung."
"Na fein. Warten Sie, ich begleite Sie zum Ausgang."
"Kann allerdings sein, dass ich Sie später noch mal in Anspruch nehmen muss."
Als wir die Halle passierten, stand Balwin neben einem der Spielautomaten und blickte uns sichtlich neugierig nach. Seine Handbewegung über dem Geldschlitz wirkte wie eingefroren, und wenn er dort stehen geblieben wäre, hätte er eine gute Reklamefigur für genau die Art von Spielern abgegeben, die in diesem Viertel ihr Taschengeld verhökern.
"Und Sie wissen nicht zufällig, wo ich das Mädchen vom Phantombild finde, Eduardo?“, fragte Linda, schon in der offenen Schwingtür stehend.
"Nein, sollte ich?"