Читать книгу Eifel-Pakt - Peter Splitt - Страница 6

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Auf der Straße, die am Gerolsteiner Stausee entlangführte, war es stockdunkel. Die Scheinwerfer ihres Autos reichten nicht weiter als bis zur nächsten Biegung. Daniela hasste dieses düstere Teilstück zwischen ihrem Zuhause in Birresborn-Rom und der Stadtbibliothek von Gerolstein, wo sie am heutigen Abend einen Vortrag gehalten hatte. Das Thema lautete: Präkolumbische Hochkulturen des alten Peru. Ihr spezielles Fachgebiet.

Noch immer konnte sie die Straße nicht entlangfahren, ohne an jenes Ereignis vor über einem Jahr denken zu müssen, als dieser Verrückte sie verfolgt hatte. Regelmäßig, wie aus dem Nichts, war Scheinwerferlicht hinter ihr aufgetaucht und hatte sie so geblendet, dass ihre Heimfahrt zu einem Höllentrip wurde. Und der endete schließlich für sie im Graben und danach im Krankenhaus. Und das war längst noch nicht alles gewesen.

Auch jetzt blickte sie ständig prüfend in den Rückspiegel, obwohl sie wusste, dass der Mann, der sie letztes Jahr bedrängt und belästigt hatte, sicher hinter schwedischen Gardinen saß.

Verkrampft setzte sie ihren Weg fort. Ein Fahrzeug kam ihr mit quietschenden Reifen entgegen. Sie zuckte zusammen und konnte sich gerade noch an ihr Lenkrad klammern. Ihr Wagen schlingerte. Verdammt, das war knapp! Jetzt war das andere Fahrzeug auf gleicher Höhe. Einige junge Typen grölten ihr etwas durch eine geöffnete Fensterscheibe zu. Dann gaben sie Gas und spurteten davon. Daniela war wieder allein. Angstschweiß benetzte ihre Stirn.

Ich muss nur noch die Zufahrt zu den Eishöhlen hinter mir lassen, dann habe ich es fast geschafft. Das Geräusch eines weiteren Wagens ließ sie aufhorchen. Dieser fuhr deutlich langsamer. Im Rückspiegel sah sie zwei Scheinwerferlichter auf sich zukommen. Ich glaube, jetzt spinne ich total. Am besten fahre ich einfach weiter. Auch wenn sie vor Angst zitterte, trat sie fast automatisch aufs Gaspedal. Ihr Wagen machte einen Satz nach vorne. Auch ihr Hintermann beschleunigte. Langsam fuhr eine dunkle Limousine an ihr vorbei. Daniela versuchte, möglichst unauffällig in das andere Fahrzeug hineinzuspähen, aber sie konnte den Fahrer nicht erkennen. Jetzt bremste er an dem Stoppschild weiter vorne, was sie an den aufleuchtenden Bremslichtern erkannte. Daraufhin blieb der Wagen stehen. Verdammt! Warum fährt er denn nicht weiter?

Sie spürte, wie sich ihre Muskeln verkrampften. Nun fahr schon los! Ob der Fahrer sie beobachtete?

Ihr Handy! Natürlich, das hatte sie ganz vergessen. Es befand sich in ihrer Handtasche auf dem Beifahrersitz. Noch während sie den kleinen Apparat hervorzerrte, ertönte lautes Motorengeräusch. Der Wagen vor ihr beschleunigte und verschwand.

Gott sei Dank! Daniela spürte, wie ihre Hände zitterten. Sie blickte hinter ihm her und kam sich selten dämlich vor. „Jetzt leide ich schon unter Paranoia“, sagte sie zu sich selbst, behielt aber das Handy fest in jener Hand, mit der sie eigentlich schalten wollte. Ihr Wagen ruckelte, dann stand er still. Abgesoffen! Auch ihr Handy rührte sich nicht. Ein Funkloch, so ein Mist! Aber wen könnte ich anrufen?

Sie betätigte den Anlasser. Ihr Wagen startete glücklicherweise sofort wieder. Langsam fuhr sie weiter und hielt an dem Stoppschild, wo auch der andere Wagen zuvor angehalten hatte. Alles war still. Ihre Füße brannten, als sie beschleunigte, um die freie Tankstelle zu passieren, die jetzt auf der rechten Seite in ihr Blickfeld kam. Tagsüber tummelte sich hier das wahre Leben. Zu dieser Stunde jedoch war die Tankstelle geschlossen und lag verlassen da. Schnell weiterfahren.

Trotzdem beschlich sie wieder das Gefühl, beobachtet zu werden. An den Zapfsäulen war niemand, bloß ein dunkler Wagen. Komisch, der ist mir zuvor noch gar nicht aufgefallen. Großer Gott, ist das etwa derselbe Wagen von vorhin?

Daniela gab Gas. Nichts wie weg! Der fremde Wagen fuhr ebenfalls los. Ohne Licht. Verzweifelt wählte sie mit der linken Hand den Notruf und hielt sich das Handy ans Ohr, während sie mit der rechten das Lenkrad dirigierte. Immer noch kein Empfang. Es ertönte kein Freizeichen und das Display zeigte an, dass der kleine Apparat nach einem Netzt suchte. Verfluchte Eifel!

Jetzt war der andere Wagen auf ihrer Höhe und fuhr langsam neben ihr her. Die Scheiben waren abgedunkelt. Ganz offensichtlich spielte der Fahrer mit ihrer Angst.

Sie hielt das Handy vor ihren Mund und tat so, als würde sie telefonieren. Plötzlich beschleunigte der Wagen wieder und verschwand in der Dunkelheit vor ihr.

Nur noch ein kleines Stück weiter.

Rechts flackerte eine Straßenlaterne. Irgendetwas stimmte nicht mit der Birne. Sie ging immer an und aus. Als sie daran vorbei war, piepste das Handy. Endlich! Das kleine Ding hatte ein brauchbares Netz gefunden. Aber jetzt brauchte sie es nicht mehr. Sie war bald zu Hause. Das Örtchen Rom erschien nach einer scharfen Kurve und zählte vielleicht ein Dutzend Häuser. Sie fuhr die Anhöhe hinunter und bog in ihre Einfahrt ein. Dabei schaute sie sich noch ein letztes Mal nach der dunklen Straße um, die jetzt hinter ihr lag. Da war keine Menschenseele zu sehen. Sie wusste, dass niemand hinter ihr her war, aber sie kam einfach nicht dagegen an. Ständig musste sie sich umdrehen.

Nachdem sie vor über einem Jahr von diesem Kerl verfolgt, belästigt und in Angst versetzt worden war, hatte sie sich sehr verändert. Die einst so charakterfeste Frau, die es liebte, sich in der Öffentlichkeit zu präsentieren, vermied jetzt öffentliche Auftritte, wo es nur möglich war. Eine Ausnahme blieben ihre Vorträge in Gerolstein, zu denen sie sich verpflichtet fühlte. Ansonsten beließ sie es beim Schreiben gelegentlicher Kolumnen für das lokale Heimatblatt.

Daniela parkte ihren Wagen auf dem kleinen Vorplatz und eilte die Vordertreppe zu ihrem Fachwerkhaus hinauf, das früher einmal eine Weinkellerei beherbergt hatte. Als sie näher kam, reagierten die Bewegungsmelder sofort und die breite Fensterfront wurde hell erleuchtet. Nun gab es keine Dunkelheit mehr, in der sich jemand verbergen konnte. Mit einem Schritt war sie beim Briefkasten, der neben der Haustür hing, und griff nach der Post. Eilig überflog sie die Briefumschläge. Werbung, was sonst?

Etwas fiel zu Boden. Eine Rose. Jemand musste sie an den Türrahmen gestellt haben. Daniela verzog das Gesicht, bückte sich, hob sie auf und warf sie über das Treppengeländer.

Innen trat sie in eine bereits hell erleuchtete Diele, die Wohnzimmer, Esszimmer und Küche miteinander verband und in einen kleineren Flur mündete. An seinem Ende befand sich eine Treppe, die hinauf in den zweiten Stock führte, wo sich ihr Arbeitszimmer, das Bad und die Schlafzimmer befanden. Fast automatisch schaute sie auf ihr Telefon. Das blinkende Licht des Anrufbeantworters fiel ihr ins Auge. Geistesabwesend drückte sie auf Wiedergabe, während sie nachschaute, ob sich zwischen ihrer Post nicht doch noch etwas Interessantes befand. Klick, aufgelegt.

Sie blickte auf das Display. Unbekannte Nummer. Sicher hatte sich jemand verwählt. Der zweite Anruf kam von einer dieser lästigen Telemarketing-Firmen. Die nerven einen also schon, obwohl man gar nicht zu Hause ist. Der dritte Anrufer hatte nicht sofort aufgelegt. Ganz deutlich konnte sie sein schweres Atmen hören. Wieder begannen ihre Hände zu zittern. Sie legte langsam die Post auf das Tischchen neben dem Telefon und setzte sich auf eine der unteren Treppenstufen. Hier atmete sie tief durch. Nichts, sagte sie sich. Es ist absolut nichts. Sicher nur wieder so ein Werbe-Fuzzie oder irgendein Witzbold. Genauso gut konnte es ein Irrtum sein. Jemand hatte sich verwählt. Das kam vor. Daniela stand auf und wollte gerade in die Küche gehen, als das Telefon erneut klingelte. Sie erschrak und lehnte sich gegen die Wand. Jeden Moment musste der Anrufbeantworter anspringen.

„Daniela? Ich bin es, Wolfgang.“ Sie griff zum Hörer.

„Wo bist du?“, herrschte sie ihn an.

„Ich bin noch im Büro. Ich hab dir doch gesagt, dass …“

„Hör zu, Wolfgang! Wir müssen reden!“

„Ist ja schon gut, ich weiß Bescheid. Wie wär’s denn morgen in der Eifelstube? Wir könnten …“

„Nein, jetzt, Wolfgang!“

„Daniela, es ist schon nach zehn. Ich habe einen anstrengenden Tag hinter mir. Können wir nicht …“

„Das ist mir egal. Hör zu! Wir haben ein ernsthaftes Problem. Ich habe genug von deinen Alleingängen. So geht das einfach nicht mehr weiter. Ich meine, wir beide sind Partner. Da kannst du doch nicht einfach …“

Seufzend gab er nach. „Okay, okay. Du hast ja recht. Immerhin hat Helmut gesagt, es sei eine Belohnung ausgeschrieben worden.“

„Wie bitte? Jetzt willst du auch noch eine Belohnung kassieren?“

„Und wenn schon?“

„Na, die wird wohl kaum ausreichen, um allein die Versandkosten für die verdammte Maske zu bezahlen. Immerhin weiß ich nun wenigstens, was ich mit ihr tun muss. So ein verdammter Leichtsinn!“

„Warte, Daniela. Lass uns später darüber sprechen. Ich sehe ja ein, dass ich einen Fehler gemacht habe. Am besten komme ich doch noch raus zu dir.“

„In Ordnung, ich werde auf dich warten.“

Sie musste sich sehr zusammenreißen, um nicht den Hörer auf die Gabel zu knallen. Sie trat in die Küche und schaltete das Licht ein. Rasch blickte sie sich um. Es war alles in Ordnung.

„Ein Tee wird mir jetzt gut tun“, sagte sie sich. Sie setzte Wasser auf und griff nach der Schachtel mit dem Earl Grey, den sie immer im Haus hatte.

Ob Wolfgang auch einen mag? Eigentlich hat er überhaupt nicht verdient, dass ich mich auch noch um ihn kümmere. Egal, ich stelle ihm einfach eine Tasse hin. Verdammt, irgendwo müssen doch auch noch Kekse sein …

Daniela versuchte sich abzulenken. Die Hauptsache war, dass sie etwas zu tun hatte und nicht darüber nachdenken musste, was sie ihrem Partner sagen wollte, und vor allem, wie sie es ihm sagen würde. Und wenn ich ihm die Partnerschaft aufkündige? Vielleicht wäre das sogar das Beste für uns. Nur blöd, dass ich damit bereits beim letzten Mal gedroht habe, als er wieder einmal eine seiner dummen Entscheidungen getroffen hatte. Während sie noch überlegte, pfiff der Wasserkessel und wollte vom Herd genommen werden.

Sie blickte auf die Uhr. Es war zwanzig nach zehn. Allzu lange wird es nicht mehr dauern. Während sie den Teebeutel im Wasser ziehen ließ, sortierte sie nochmals die Post. Es war wirklich nur Werbung. Sie trank einen Schluck und blickte erneut auf die Uhr. Jetzt war es halb elf. Er wird sicher gleich kommen. Sie setzte sich aufs Sofa und blätterte in der Fernsehzeitung. Da läuft auch immer das gleiche. Langsam spürte sie, wie sie müde wurde.

Um elf Uhr gab das Schlagwerk der alten Standuhr einen dumpfen Ton von sich. Daniela sprang erschrocken auf. Was? Es ist ja schon elf. Verdammter Wolfgang! Kann er denn niemals pünktlich sein?

Sie rieb sich den Schlaf aus den Augen und wählte verärgert seine Nummer. Am anderen Ende meldete sich eine Frauenstimme.

Nanu, Irene?, wunderte sie sich und hätte Wolfgangs Sekretärin fast gefragt, was sie zu solch später Stunde noch in dessen Büro tat. Allerdings schluckte sie eine entsprechende Bemerkung hinunter und sagte stattdessen: „Hier ist Daniela. Gibst du mir mal bitte Wolfgang.“

Irene schwieg zunächst. Dann fragte sie vorsichtig: „Ist er denn nicht bei dir?“

„Nein, deshalb rufe ich ja an. Und mittlerweile ist es mir auch egal. Richte ihm aus, wir treffen uns morgen in der Eifelstube, so wie er es ursprünglich vorgeschlagen hat.“

„Aber, Daniela. Er ist gleich, nachdem er mit dir telefoniert hat, aus dem Büro gegangen. Er müsste längst bei dir sein.“ Irenes Stimme klang besorgt.

„Müsste, müsste … ist er aber nicht. Hatte er noch vor, woanders hinzufahren?“

„Um diese Uhrzeit? Sicher nicht. Übrigens, er ist wirklich angepisst wegen dieser Geschichte mit der Maske.“

Daniela zog eine Grimasse. „So angepisst wie letztes Jahr, als er die angeblich echte Jadefigur gekauft hat?“

„Aber nein. Viel schlimmer. Er ist richtig schlecht drauf und weiß, dass er es vermasselt hat.“

„Das hat er auch, ganz genau! Fast hätte er uns in den Ruin getrieben.“

„Ist es wirklich so schlimm, Daniela? Das Geld lässt sich doch sicher wieder reinholen?“

„Und wenn schon. Aber was ist mit unserem guten Ruf? Unsere Klienten achten sehr auf Seriosität. Und letztendlich kann ihm die Sache eine Menge Ärger einbringen. Der Handel mit gestohlenen Antiquitäten ist eine Straftat.“

„Oh Gott, bloß das nicht. Wolfgang ist doch nicht kriminell.“

„Hör zu, Irene. Ich weiß, dass du Wolfgang sehr schätzt, aber manchmal ist er einfach viel zu oberflächlich. Und er hat sich wirklich nicht gemeldet?“

„Nein. Da war zwar ein Anruf von seinem Handy, etwa vor fünfzehn Minuten, aber er hat nichts gesagt. Ich habe nur so ein seltsames Geräusch gehört.“

„Was denn für ein Geräusch?“ Daniela spürte wie ihr kalt wurde. Doch nicht etwa ein anonymer Anrufer?

Irene fuhr fort: „Ich habe ein paarmal seinen Namen gesagt, aber es hat niemand geantwortet.“

„Hm … seltsam. Vielleicht hat er das Handy irgendwo liegen gelassen?“

„Das wäre allerdings möglich. Warte mal, Daniela, da kommt gerade ein Anruf auf der anderen Leitung. Vielleicht ist es Wolfgang.“

Daniela legte den Hörer auf das Beistelltischchen und lief in die Küche. Der Tee war fast schon kalt. Als sie wieder am Telefon war, fragte sie: „Bist du noch dran, Irene?“

„Natürlich.“

„Und, war es Wolfgang?“

Irene schluckte. „Nein, jemand hat sich verwählt.“

„Schade, aber weißt du was? Lass uns lieber Schluss machen. Es ist schon spät genug. Bitte sag Wolfgang, dass ich auf ihn gewartet habe.“

„In Ordnung, Daniela. Wenn ich ihn sehe, sag ich ihm, dass er dich anrufen soll. Bleib nicht mehr so lange auf, hörst du!“

„Mach ich, Irene. Schlaf gut, wir sprechen uns morgen.“ Daniela legte den Hörer auf die Gabel. Sofort beschlich sie ein unbehagliches Gefühl. Sie ging zur Haustür und vergewisserte sich, dass diese verschlossen war. Alles war still. Es gab nichts Ungewöhnliches. Bis auf Wolfgangs Ausbleiben natürlich. Während sie hinauf in ihr Schlafzimmer ging, überlegte sie nochmals, was sie ihm am nächsten Morgen sagen würde.

Eifel-Pakt

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