Читать книгу Eifel-Pakt - Peter Splitt - Страница 9
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ОглавлениеDaniela Neumann fuhr mit ihrem grünen Mini Cooper auf den Kundenparkplatz von Röber und Entenpfuhl in Kaisersesch und wunderte sich, dass noch nicht alle Plätze belegt waren. Sie war noch auf dem Polizeirevier in Daun gewesen und hatte sich daher etwas verspätet. Was hat dieser Laubach noch zu mir gesagt, als ich ihm von den Rosen erzählte? Doof gegrinst hat er und dann gemeint: „Liebe Frau Neumann, die meisten Frauen würden sicher etwas darum geben, wenn sie von einem heimlichen Verehrer Blumen geschickt bekämen. Da können Sie sich doch direkt glücklich schätzen.“ Daraufhin war sie gegangen, ohne einen Kommentar abzugeben.
„Wird auch langsam Zeit, dass du kommst, Daniela.“ Jemand stupste sie von hinten an, gerade als sie den Saal betreten wollte.
„Aber, hey!“ Daniela Neumann drehte sich um. Hinter ihr stand ihr Bruder Helmut. In den Händen hielt er einen Auktionskatalog.
„Sehr viele antike Möbel“, sagte er. „Wenn du Glück hast, bekommst du bei den anderen Sachen kaum Konkurrenz. Allerdings war ich kaum fünf Minuten hier, da bin ich schon den einschlägigen Schmuckhändlern begegnet. Deine Freundin Rita war auch dabei.“
„Rita ist hier?“ Überrascht blickte sich Daniela in dem großen Raum um. Überall standen Möbelstücke und Vitrinen herum. Letztere waren mit altertümlichen Gegenständen gefüllt. Wollte sich jemand die wertvollen Stücke näher anschauen, so musste er sich den entsprechenden Glaskasten von einem der Assistenten aufschließen lassen. Ihr Lieblingsassistent hieß Jochen – Jochen Wiegand. Er war 42, groß und schlank, äußerst gepflegt, mit schwarzem Haar und Koteletten, einem kaukasisch geschnittenen Gesicht, schmalen Lippen und hochgezogenen Augenbrauen.
„Jip! Hab sie vorhin am Eingang getroffen. Sie wusste übrigens schon Bescheid über Wolfgang.“
„Natürlich! Wer nicht? Wir sind hier in der Eifel und da funktioniert die Gerüchteküche wie eine stille Post. Hast du schon etwas Interessantes gefunden?“
Helmut blätterte in seinem Katalog. „Nun, ein paar ansprechende Stücke sind schon dabei. Vieles wird leider nur in einem gesamten Konvolut abgegeben. Ich habe feinen Art déco-Schmuck gesehen sowie Jugendstil-Porzellan, aber keinerlei Ausgrabungsgegenstände.“
„Das macht gar nichts. Davon hab ich ja selbst genug, und nach Wolfgangs Tod werde ich wohl auch noch einiges aus seiner Sammlung dazubekommen. Am besten schaue ich mich jetzt erst einmal selbst um. Wir sehen uns nachher.“
Sie schlenderte hinüber auf die andere Seite des Saales, wo auf samtbezogenen Holztischen eine ansehnliche Menge an handbemaltem Porzellan stand. Dresden, entschied sie sofort und bestaunte mehrere hervorragend erhaltene Kaffeeservice.
Zu teuer! Sie dachte daran, dass ihr Arbeitskapital dank Wolfgangs eifriger Mitwirkung ziemlich zusammengeschmolzen war. Überhaupt hatte sie es sich angewöhnt, bei Auktionen möglichst für ganz bestimmte Kunden einzukaufen. Somit war der Cashflow gesichert und sie saß nicht lange auf der Ware herum.
Auf einem anderen Tisch stand eine einzelne, weiße Keramik. Daniela wusste sofort, worum es sich handelte, und dass sie sie unbedingt haben wollte. Die beiden Schwerter auf der Unterseite sagten ihr alles: Altes Meißener Porzellan. Und niemand schien sich besonders dafür zu interessieren. Das war vielleicht der Schnapper auf den sie gewartet hatte. Ein Blick auf die Uhr sagte ihr, dass die Auktion in gut zwanzig Minuten beginnen würde. Hoffentlich fangen sie diesmal pünktlich an, dachte sie und fühlte auf einmal eine tiefe Trauer in sich aufsteigen. Irgendwie begann sie bereits ihren Geschäftspartner zu vermissen. Wolfgang war ein Ass gewesen, wenn es darum ging, auf Auktionen günstig einzukaufen.
Als sie genug gesehen hatte, drehte sie sich um und beobachtete, wie sich die einzelnen Stuhlreihen langsam füllten. Ihre Freundin Rita saß in der vordersten Reihe und tuschelte mit Jochen Wiegand. Zur Feier des Tages trug der einen dunkelblauen Anzug, ein weißes Hemd und eine passende Krawatte. Rita hatte ihre Jacke über einen weiteren Stuhl gelegt. Alle anderen Plätze schienen reserviert zu sein. Als sich Daniela auf den freien Platz setzte, rückten die beiden voneinander ab. Jetzt waren es noch 15 Minuten bis zum Beginn der Auktion. Erst jetzt bemerkte Rita ihre Freundin.
„Mensch, Daniela, da bist du ja doch noch. Ich habe vorsichtshalber den Stuhl hier für dich freigehalten.“ Mit fragendem Blick sah sie Daniela an.
„Wo soll ich denn sonst sein? Du weißt doch, wie sehr ich Auktionen liebe. Allerdings …“
„Eben. Ich dachte, dass du gerade heute vielleicht nicht herkommen würdest. Nachdem, was mit Wolfgang passiert ist. Schreckliche Sache. Erzähl mal. Weiß man schon, wer es getan hat?“
„Leider nicht. Aber der Kommissar hält mich allen Ernstes für die Mörderin.“
„Dich? Der hat sie wohl nicht mehr alle.“
„Sag ihm das mal! Aber wenn …? Weißt du, was mir gerade eingefallen ist?“ Danielas Stimme war nur noch ein Flüstern.
„Wie ‚wenn‘? Was willst du mir eigentlich sagen?“ Rita konnte ihr nicht ganz folgen.
„Ich hab dir doch von der verdammten Maske erzählt. Was, wenn Kommissar Laubach doch recht hat und es eine Verbindung zwischen ebendieser Maske und Wolfgangs Tod gibt?“
„Könntest du dir das vorstellen?“ Rita fasste sie am Arm.
„Am Anfang nicht. Aber jetzt bin ich mir da nicht mehr so sicher. Ehrlich gesagt, ich weiß überhaupt nicht mehr, was ich noch denken soll. Mir fällt einfach kein Grund ein, warum jemand ausgerechnet Wolfgang würde umbringen wollen.“
Jetzt drückte Rita ein wenig fester zu.
„Und doch hat es jemand getan. Du bist wirklich nicht zu beneiden, meine Liebe. Aber wenigstens bist du das Ding wieder losgeworden. Ich meine, du hast die Maske doch zurückgegeben, nicht wahr?“
Daniela bestätigte die Tatsache mit einem kurzen Schluchzen.
„Na dann ist doch alles bestens und der Täter hat keinen Grund, um noch bei dir danach zu suchen.“ Rita war nun einmal sehr praktisch veranlagt.
Die Auktion verlief recht schleppend. Zuerst waren die Möbel an der Reihe. Das war nichts für Daniela. So hing sie weiter ihren düsteren Gedanken nach. Gegen Ende der Veranstaltung kamen die Varia an die Reihe. Darunter befanden sich Antiquitäten aller Art. Diesmal hatte sie Glück. Ihre ganze Aufmerksamkeit galt der antiken Meißen-Figur. Und sie bekam den Zuschlag. Jetzt war sie erleichtert, dass sie doch noch etwas bekommen hatte. Und auch wenn sie nicht das Einzige blieb, was sie an diesem Nachmittag ersteigerte, so würde gerade die Meißen-Figur einen hübschen Gewinn abwerfen. Und den hatte sie dringend nötig.
Nachdem sie bezahlt hatte, brachte ihr Jochen Wiegand die Ware ans Auto. Das gehörte bei Röber und Entenpfuhl zum Service. Daniela hätte gerne noch ein paar private Worte mit ihm gewechselt, aber Rita war ihnen gefolgt und brachte nun ebenfalls ihre ersteigerten Schmuckstücke zu ihrem Fahrzeug. Wahrscheinlich würde auch sie noch ins Rondell fahren. Jochen Wiegand legte ihr die Kartons in den Mini und ging hinüber zu Ritas Golf. Daniela hörte sie kichern und lachen, versuchte die beiden jedoch zu ignorieren, während sie zurück in den Saal ging und nach Helmut suchte, um sich von ihm zu verabschieden. Was für ein beschissener Tag! Seit der Nachricht von Wolfgangs Tod war sie beinahe wie betäubt gewesen. Erst jetzt spürte sie, dass sie langsam auftaute, auch wenn sie wusste, dass der Schmerz noch lange anhalten würde.
Sie fand ihren Bruder bei der Warenausgabe. Er wedelte mit irgendwelchen Papieren herum und wirkte sehr beschäftigt.
„Ich muss los“, rief sie ihm zu.
„Ist gut, Kleines. Pass auf dich auf. Ich melde mich später bei dir.“
Vor der Warenausgabe hatte sich eine lange Schlange gebildet. Daniela verzichtete auf weitere Worte und ging zurück zum Parkplatz. Ritas Golf war verschwunden und auch von Jochen Wiegand war keine Spur mehr zu sehen. Sei’s drum. Sie stieg in ihren Mini und fuhr Richtung Gerolstein.
Es war bereits gegen Abend, als sie die Tür zu ihrem Laden aufschloss und einen der Kartons mit dem sorgfältig verpackten Porzellan ins Hinterzimmer schleppte. Sie war wirklich froh darüber, noch so viel Porzellan bekommen zu haben.
Ihr Blick fiel ins Leere, als sie hörte, wie vor ihrer Ladentür etwas zu Boden fiel. Erschrocken blickte sie auf und sah ihre Freundin, die sich vergeblich bemühte einen Karton hochzuheben. Offensichtlich war er viel zu schwer für sie. Daniela öffnete die Ladentür und wäre beinahe direkt über eine Tasche gestolpert, die Rita auf dem Gehweg abgelegt hatte.
„Warte, Rita, ich helfe dir! Musst du den Karton denn alleine schleppen?“
„Danke, Daniela. Ich dachte … aber so schwer ist er ja gar nicht, nur übermäßig groß.“
Gemeinsam hievten die beiden Frauen den Karton in Danielas Laden. Rita hob ihre Tasche auf.
„Bist du erst jetzt aus Kaisersesch zurückgekehrt?“ fragte sie.
„Ich war noch mit Helmut einen Kaffee trinken“, log Daniela. „Hat übrigens mächtig zugeschlagen, der Gute. Du weißt ja, wie gut er sich auf anstehende Auktionen vorbereitet. Hättest mal seinen Katalog sehen sollen. Alles hat er farbig angestrichen.“
„Und du? Bist du mit deinem eigenen Kauf zufrieden?“
„Aber sicher. Sieh dir nur mal diese Keramik-Figur an. Ist sie nicht wunderschön?“
Rita beugte sich vor, um die Meißen-Figur besser in Augenschein zu nehmen. „Ja, sehr hübsch. Feinste Handarbeit, nehme ich an.“
„Genau so ist es“, erwiderte Daniela strahlend. „Aber hier, ich habe noch mehr ersteigern können.“ Sie wollte zu dem Messer greifen, welches sie vor Tagen mit in den Laden genommen hatte und hielt inne. Richtig, das hatte ich ja wieder mit nach Hause genommen und zusammen mit allen anderen Messern Kommissar Laubach übergeben. Also griff sie nach einem der Schraubenzieher, die zusammen mit anderem Werkzeug immer in der obersten Schublade ihrer Verkaufstheke lagen, und ritzte das Paketband ein. Dann griff sie in den Karton und holte ein zart-gelbes Milchkännchen heraus.
„Frühes Dresdener Porzellan, 18. Jahrhundert.“ Vorsichtig reichte sie Rita das kleine Gefäß. „Siehst du die Signatur auf der Unterseite?“
Rita stieß einen Pfiff aus. „Wow! Porzellan des Königshofes. Du bist ein wahrer Glückspilz.“
„Zumindest was meine heutigen Errungenschaften angeht. Und ich habe einen Kunden, der genau danach sucht. Am besten rufe ich ihn gleich noch an.“
Wie aufs Stichwort klingelte in diesem Moment etwas in Ritas Handtasche: ihr Handy. Sie öffnete den Reißverschluss und hielt kurz darauf ihr Smartphone in der rechten Hand. Noch während sie den Touchscreen bediente, trat sie an das Schaufenster heran und besah sich die Auslagen. Jemand sagte etwas zu ihr.
„Ja?… Jetzt noch?… Ist gut, bin schon unterwegs …“ Sie sprach extrem leise. Hastig steckte sie den kleinen Apparat wieder ein. Dann drehte sie sich um und wandte sich an ihre Freundin. „Okay, Daniela. War ein langer Tag heute. Ich muss dann jetzt auch los. Ich schau morgen wieder bei dir rein.“
Daniela nickte. Sie ging nach hinten, wo ihr Büro lag und auch das Telefon stand, mit dem sie ihren Kunden anrufen wollte.
„Okay, Rita, bis dann“, rief sie ihr in Gedanken versunken hinterher.
Nachdem sie das Gespräch geführt hatte, wollte sie auch nach Hause fahren. Sie sortierte noch ein paar Sachen ein, schloss dann den Laden hinter sich zu und ging über den gepflasterten Weg hinüber zum Parkplatz. Als sie vor ihrem Wagen stand, sah sie die Bescherung. Der Mini hatte einen Platten.
„Verdammt!“ sagte sie laut. „Das hat mir gerade noch gefehlt! Aber selbst ist die Frau.“ Wütend öffnete sie die Klappe des Kofferraumes und starrte auf das Reserverad. „Na schön, und wo ist das Werkzeug?“
Sie durchwühlte den kleinen Kofferraum, bis sie den Wagenheber fand. „Na dann mal los.“
„Kann ich Ihnen behilflich sein?“ Die Stimme schien aus dem Nichts zu kommen.
Daniela zuckte zusammen und schaute sich erschrocken um. Ein Mann trat aus dem Schatten eines Lieferwagens, der in der Nähe ihres Wagens parkte.
„Nein danke“, sagte sie schnell. „Das bekomme ich schon irgendwie selbst wieder hin.“
Der Mann beobachtete sie. „Ach, das macht mir aber gar keine Umstände. So eine hübsche Dame wie Sie sollte sich wirklich nicht die Hände schmutzig machen.“
„Vielen Dank, aber das schaffe ich wirklich allein!“ Daniela wandte sich ab und werkelte am Wagenheber rum. Hoffentlich lässt er mich jetzt in Ruhe.
„Ist ja schon gut. Ich wollte nur behilflich sein.“
Sie drehte sich nicht mehr um. „Dann vielen Dank für ihr Angebot. Es wird schon gehen. Aber nett gemeint von Ihnen.“
„Jederzeit wieder.“ Kaum eine Minute später fuhr der Lieferwagen aus der Parklücke. Daniela setzte den Wagenheber an und kurbelte los. Sie hatte ihren Helfer bereits vergessen.