Читать книгу Eifel-Pakt - Peter Splitt - Страница 8
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ОглавлениеDie Person von der Daniela gesprochen hatte, stand vor einem Spiegel im Schlafzimmer und rückte sich die Krawatte zurecht.
Luna, die kleine Mischlingshündin seiner Freundin Edith, zupfte an seinem Hosenbein.
„Lass los, Luna! Ich hab jetzt keine Zeit, um mit dir zu spielen.“
Er drückte und drehte an dem Knoten herum.
„Verdammt, sie sitzt schief. Wie ich diese Dinger hasse! Schluss jetzt, Luna. Hör auf damit!“
Genervt verpasste er dem Tier einen sanften Schubs mit dem Fuß. Reflexartig sprang das kleine Wollknäul zur Seite und gab ein leises Knurren von sich. Roger Peters blickte ihr mit einer Unschuldsmiene nach.
„Wer nicht hören will, muss fühlen. Das gilt auch für dich, Luna.“
Ohne ihr weitere Beachtung zu schenken, widmete er sich wieder ganz dem Managerlätzchen. Als das Ding zu seiner Zufriedenheit saß, ließ er die Arme sinken und musterte prüfend sein Spiegelbild. Was er sah, war ein ordentlich gebügeltes, weißes Hemd, frisch gewaschene Blue-Jeans, ein neues, helles Sakko und ebendiese Krawatte, die Edith für ihn ausgesucht hatte. Er konnte sich sehen lassen, und trotzdem fühlte er sich irgendwie unwohl. Bin ich das noch selbst?, fragte er sich.
Es war ein warmer Sommertag und er würde das Sakko sowieso gleich wieder ausziehen. Er dachte daran, wie er vor vielen Jahren zum ersten Mal Lateinamerika bereist hatte. Zuerst Panama und dann Peru. Dort war es immer so schön warm gewesen, genauso wie heute in Köttelbach. Er lächelte sich zu. Die Haut um sein Kinn herum schien etwas schlaffer geworden zu sein und seine blonde Mähne etwas lichter. Aber ansonsten sah er genauso aus wie früher. Kein Gramm Fett zu viel. Nur die kleinen Fältchen, die sich am Rande seiner Augen gebildet hatten, deuteten auf eine Veränderung hin.
Der Klang einer Gitarre ließ ihn zusammenzucken. Er trat an die Kommode, auf der das Portemonnaie lag, das einmal einem Schamanen in Peru gehört hatte. Sanft streichelte er über das weiche Leder, steckte das feine Etui in seine Sakkotasche und öffnete die Tür. Als er aus dem Schlafzimmer trat und die Treppe hinunterschritt, wurden Ediths Akkorde immer lauter. Sie konzentrierte sich jedoch derart auf ihr Fingerspiel, dass sie seine Schritte überhaupt nicht wahrnahm und einfach weiterspielte, als er bereits das Wohnzimmer betreten hatte. Ein Träger ihres weißen Tops war ihr von der Schulter gerutscht, und mit dem frechen Pferdeschwanz, den pinkfarbenen Shorts und den hohen Korksandalen, sah sie wesentlich jünger aus, als Ende dreißig. Luna lag in ihrem Rattan-Körbchen und rührte sich nicht. Wenn Hunde sprechen könnten …
Als Edith ihn bemerkte, hörte sie auf zu spielen. „Musst du dich immer so anschleichen?“, sagte sie. „Du weißt doch, dass ich das überhaupt nicht leiden kann. Und außerdem hasse ich es, gestört zu werden, wenn ich eine neue Melodie einstudiere.“
Roger Peters versuchte, ihr ein Lächeln zu entlocken, indem er irgendeine alberne Grimasse schnitt, aber Edith hatte ihre Aufmerksamkeit bereits wieder auf die Notenblätter gerichtet, die vor ihr lagen. Dazu schlug sie die ersten Akkorde an. Für ihn klang es irgendwie nach Stairway to Heaven.
Er dachte an das Schild mit der Aufschrift „Please do not play Stairway to Heaven“, dass er einmal in einem Londoner Musikladen gesehen hatte, und musste grinsen, obwohl ihm gar nicht zum Grinsen zumute war. Seit jenem Vorfall in Oberwinter, als Edith entführt und misshandelt worden war, hatte sie sich sehr verändert. Damals war sie nur knapp dem Tod entkommen. Und aus der einst so fröhlichen und lebenslustigen jungen Dame war eine ernste und zurückhaltende Frau geworden. Dazu kamen ihre ständigen Depressionen und momentanen Gefühlswallungen. Wurde sie wieder einmal von einer dieser Stimmungen ereilt, konnte man sie kaum ansprechen.
„Ich muss los, es sei denn, du brauchst noch etwas“, sagte er, aber sie hielt ihren Blick nur stur auf die Gitarre gerichtet. Er gab Luna einen sanften Klaps und verließ das Wohnzimmer. Als er über den Flur hinüber zur Küche ging, erklang erneut die ihm bekannte Melodie. Es war eindeutig der Anfang von Stairway to Heaven. Schnell goss er sich einen Espresso ein, den er noch im Stehen trank, ehe er zur Haustür hinaustrat und sich einredete, dass es ihr bald besser gehen würde. Irgendwie war es eine Erleichterung, sich vorzumachen, dass doch noch alles gut werden könnte.
Seine Schuhe verursachten ein knirschendes Geräusch auf dem Kiesweg, der hinunter zur Einfahrt führte, wo er seinen MG geparkt hatte. Er rüttelte an der Fahrertür. Sie klemmte ein wenig. Beim zweiten Mal hob er sie leicht an. Jetzt ließ sie sich öffnen. Er setzte sich hinter das Steuerrad und betätigte den Anlasser. Der Motor des Klassikers stotterte zunächst, bevor er mit einem Getöse ansprang. Bei dem Wagen handelte es sich um eines der letzten Chrommodelle, die in den 70er Jahren gebaut worden waren. Dementsprechend hatte er seine Launen. Als er aus der Einfahrt zurücksetzte, kam gerade ein roter Traktor die Landstraße hinauf getuckert. Schon von weitem winkte ihm Herbert, einer der hiesigen Bauern, mit seiner grünen Kappe zu.
Nichts wie weg!, dachte Roger Peters und betätigte kurz die Wagenhupe zum Gruß. Wenn man sich einmal auf den alten Schlawiner einließ, kam man so schnell nicht wieder von ihm los. Herbert war alles andere als menschenscheu und versuchte, einem bei jeder sich bietenden Gelegenheit ein Geschwätz aufzudrängen. Zugegeben, manchmal konnte er sogar richtig witzig sein, aber heute hatte Roger Peters kein Interesse daran, zu erfahren, wer die nächste Weinkönigin werden würde, oder dass Bauer Lohmann wieder einmal sein Viehzeug gedopt hatte. Heute hatte er etwas ganz anderes vor. Mit einem Gefühl von Stolz und Zufriedenheit bewegte er sein Vehikel durch Köttelbach und hielt an der Kreuzung vor der Abbiegung zur B410 an.
Für einen Augenblick dachte er daran, wie Edith und er sich kennengelernt hatten. Es war bei einem Vortrag in Wuppertal gewesen, und sie hatte hinreißend ausgesehen in ihrem enganliegenden Hosenanzug. Später waren sie in einer kleinen Bar in der Innenstadt von Elberfeld gelandet, und die Sache hatte ihren Lauf genommen. Ja, so war es gewesen – damals. Und dann war er hier in der Eifel gelandet, wo sie wohnte und ein umgebautes Bauernhaus besaß.
Ein lautes Hupen riss ihn aus seinen Gedanken. Fast automatisch trat er aufs Gaspedal, und der kleine Sportwagen machte einen Satz vorwärts. Der Fahrer eines schnittigen Toyotas, der ihn sofort überholte, grinste ihn an und machte seinem Unmut Luft, indem er irgendetwas zu ihm herüberbrüllte, das sich nach „Zigarrenschachtel“ anhörte.
Wütend über so viel Respektlosigkeit gegenüber einem echten Klassiker, konzentrierte Roger Peters sich nunmehr ganz auf das Fahren, überquerte die Autobahnbrücke der A1, bog links auf die L46 ab, passierte zwei Kreisverkehre, dann die Gartenstraße, die Leopoldstraße und wieder einen Kreisverkehr, wo er die dritte Ausfahrt nahm und auf der L29 beziehungsweise der Birresbornerstraße direkt nach Rom gelangte. Nach kaum mehr als 30 gefahrenen Kilometern, parkte er den grünen Roadster vor einer breiten Steintreppe, die zum ersten Stockwerk einer ehemaligen Weinkellerei hinaufführte. Er überlegte noch kurz, ob er das Verdeck schließen sollte, aber es sah nicht nach Regen aus. Also ließ er es offen, hüpfte über die geschlossene Fahrertür und stiefelte die steinernen Stufen hinauf. Die blitzblank geputzte Fensterfront mit den Butzenscheiben gab mächtig etwas her. Die Restaurierung des alten Gemäuers musste Unsummen verschlungen haben. Durch die geschlossenen Vorhänge drang gedämpftes Licht nach draußen.
Daniela Neumann kannte er nur flüchtig. Sie waren einander im Verlagsgebäude des Eifel Journals begegnet und hatten hier und da ein paar Worte gewechselt. Dabei war auch Südamerika zur Sprache gekommen. Gut möglich, dass sie sogar eine seiner Publikationen gelesen hatte. Immerhin überschnitt sich ihr Interessengebiet bei dem Thema „Präkolumbische Hochkulturen“. Aber das war auch schon alles gewesen und umso mehr hatte ihn dann ihr gestriger Anruf überrascht. Am Telefon war sie verhältnismäßig kurz angebunden gewesen. Sie hatte nur von einem Gefallen und einer interessanten Aufgabe gesprochen, aber das allein hatte schon ausgereicht, um seine Neugierde zu wecken. Alles war besser, als diese langweiligen Kolumnen zu schreiben und über Feuerwehrfeste, Weinköniginnen, Küheschubser und Naturkostläden zu berichten. Er sehnte sich nach einer richtigen Aufgabe. Nach etwas, das ihn forderte.
Also drückte er sich die Nase am Fenster platt und versuchte, in das zweistöckige Gebäude hineinzusehen. Bereits zum dritten Mal hatte er den Messingklopfer gegen das schwere Holzportal fallen lassen, und das Echo des letzten Schlages hallte noch gespenstisch durch die Morgenstille. Drinnen rührte sich immer noch nichts.
Sie scheint nicht da zu sein. Seltsam, wo sie mich doch extra herbestellt hat? Vielleicht sollte ich die Gelegenheit nutzen und mich einmal auf dem Grundstück umschauen? Man kann ja nie wissen.
Vor dem Haus standen Blumenkästen mit bunten Geranien, und eine kleine Holztür führte nach hinten in den Garten. Hier ragten alte Obstbäume in die Höhe und ein Rasenmäher stand einsam und verlassen auf einem nur zur Hälfte gemähten Rasen. Jemand musste abrupt von der Gartenarbeit weggerufen worden sein. Roger Peters schaute sich um. Durch die Glasscheiben der Hintertür konnte er in die Küche sehen. Es war ein fast quadratischer Raum mit Einbauschränken an der gegenüberliegenden Seite. Herd und Kühlschrank befanden sich an einer anderen Wand, die Spüle saß direkt unter dem Fenster. Auch hier war niemand zu sehen.
Der Garten selbst war schmal und lang. Hinter den Obstbäumen befand sich ein kleiner Teich, aus dem eine Wasserfontäne sprudelte. Links daneben, nahe der Grundstücksgrenze, stand eine Steinbank. Die sah irgendwie einladend aus. Er beschloss, noch kurz ins Verlagsgebäude zu fahren, dann wollte er wiederkommen und genau hier auf der Bank auf Daniela Neumann warten. Irgendwann musste sie ja kommen.
„… ich halt es einfach nicht mehr aus, Daniela. Ich weiß, es klingt vielleicht albern, aber ich kann jetzt nicht mehr in diesem Haus bleiben. Jetzt, wo Wolfgang nicht mehr da ist.“
„Das finde ich überhaupt nicht albern, Irene.“ Daniela tätschelte ihr den Arm.
„Du hast einen sehr wichtigen Menschen in deinem Leben verloren. Es ist nur natürlich, dass du einen gewissen Abstand brauchst. Vielleicht kommst du woanders besser mit dem Schmerz und der Trauer zurecht. Mir musst du wirklich nichts erklären.“
Eigentlich hatte sie schon längst in Rom sein wollen, aber dann war plötzlich Irene bei ihr aufgetaucht, gerade als ihr Bruder den Laden verlassen hatte und sie zuschließen wollte.
Schlaftabletten sind auch nicht mehr das, was sie mal waren, dachte Daniela.
Und wie sie sich bei ihr ausgeheult hatte. Die Arme war völlig fertig gewesen. Dazu war noch die Fragerei des Kommissars gekommen. Nun, davon konnte Daniela ein eigenes Lied singen. Anscheinend hat der alle in Verdacht, die irgendwie mit Wolfgang Ebersberger zu tun hatten. Na ja, das ist ja auch kein Wunder. Irgendwo muss er ja anfangen.
„Was ist, gehen wir? Am besten kommst du mit zu mir. Irgendwie habe ich das Gefühl, wir sehen Laubach sowieso bald wieder.“
Irene wischte sich mit einem Taschentuch über die Augen und bemühte sich, zu lächeln. „Ja, lass uns gehen. Ich bin okay.“
Als sie Rom erreichten, stand die Sonne bereits hoch am Himmel. Irene wollte sich hinlegen und ausruhen und so beschloss Daniela, dass körperliche Bewegung ihr jetzt vielleicht ganz gut tun würde. Sie hatte vor zwei Tagen den Rasenmäher einfach auf dem halb gemähten Rasen stehen lassen, als sie sich im Haus etwas zu trinken holen wollte, und bei dieser Gelegenheit rasch den Anrufbeantworter abgehört. Dass schon wieder mehrfach aufgelegt worden war, hatte sie erschreckt und irgendwie aus der Fassung gebracht. Danach hatte sie ganz einfach den Rasen Rasen sein lassen und war in ihr Geschäft gefahren, was aber auch nicht besonders viel gebracht hatte. Aber jetzt krempelte sie die Ärmel ihrer Bluse nach oben und schmiss den Rasenmäher an. Als sie an jenem Streifen angelangt war, an dem sie vorgestern aufgehört hatte, beschlich sie auf einmal das unangenehme Gefühl, beobachtet zu werden. Sie schaltete den Rasenmäher wieder aus und ging um das Haus herum. Genau vor der Eingangstür stand Kommissar Laubach, stützte sich an ihrem Briefkasten ab und beobachtete das Haus.
Daniela spürte, wie sie wütend wurde. Diesmal wartete sie erst gar nicht darauf, dass er etwas sagte, sondern ging direkt auf ihn zu.
„Sie schon wieder, Herr Kommissar? Ich kenne meine Rechte. Ich weiß, dass ich nicht mit Ihnen sprechen muss.“ Sie baute sich vor ihm auf und verschränkte die Arme.
„So, und wer hat Ihnen das geraten? Ihr Anwalt oder Ihr Bruder?“
Dieser Laubach war wirklich unausstehlich, aber sie hatte noch keinen Anwalt. Nur das brauchte er natürlich nicht zu wissen. Für einen Moment schien sie irgendwie die Oberhand zu gewinnen.
Laubach wirkte einen Moment lang irritiert. Dann sagte er fast übertrieben vorsichtig: „Ich hab vorhin noch etwas vergessen: Sie besitzen doch sicher ein Messer, nicht wahr, Frau Neumann?“
Was für ein Trottel. Jeder besitzt doch ein Messer.
„Selbstverständlich! Ich besitze sogar mehrere.“ Ihre Antwort kam prompt.
„Wann haben Sie zuletzt eins benutzt?“
Sie schwieg, und auf einmal fiel es ihr ein. Sie überlegte noch, die Frage besser nicht zu beantworten, als er sagte: „Ich habe den Bericht der Spurensicherung bekommen. Die konnten mir ganz genau sagen, um welches Fabrikat es sich bei der Tatwaffe handelt, die am Tatort sichergestellt werden konnte.“
„Und?“
Daniela fröstelte. Sie wusste genau, worauf er hinauswollte.
„Wollen Sie mir bitte sagen, ob Sie ein Messer-Set der Marke Steigenberger besitzen?“
Daniela seufzte. Verdammt, das Messer, das ich mit in den Laden genommen hatte, um das Verpackungsmaterial für die Maske zurechtzuschneiden. Natürlich hat er sich gemerkt, um welches Modell es sich dabei handelt. Sie hatte es völlig vergessen. Es stammte aus ihrer Küche, denn dort bewahrte sie für gewöhnlich diverse Messer dieser Marke auf.
„Wo befinden sich die Messer jetzt?“
„In meiner Küche.“
„Ich muss sie leider mitnehmen. Alle!“
Ein letzter Hoffnungsschimmer glomm in ihren Augen auf.
„Benötigen Sie dafür nicht einen Durchsuchungsbefehl oder so etwas?“
Laubach lächelte kalt. „Sie kennen sich aus, was? Eigentlich bräuchte ich tatsächlich so ’nen Wisch, aber das verzögert das Ganze nur unnötig. Und morgen komme ich dann wieder und wir spielen das gleiche Spielchen von vorn. Die vom Labor wollen die Klingen miteinander vergleichen. Vielleicht wird sich dann schon bald herausstellen, ob Sie wirklich unschuldig sind … oder schuldig.“
Für einen Augenblick sprach keiner ein Wort. Beide maßen sich mit Blicken. Daniela fragte sich, ob sie nicht doch einen Anwalt konsultieren sollte. Und wenn es nur dazu gut wäre, um Laubach in seine Schranken zu weisen.
„Na gut, nehmen Sie doch mit, was Sie wollen“, sagte sie trotzig. „Aber nur, damit Sie mich endlich in Ruhe lassen.“
Sie wollte noch etwas hinzufügen, als hinter ihr eine Autotür zuschlug. Roger Peters näherte sich der Fensterfront, blieb kurz davor stehen, griff nach etwas Länglichem und näherte sich den beiden. In den Händen hielt er eine langstielige rote Rose.
„Hallo, da bin ich wieder“, grüßte er freundlich. „Ich war vorhin schon einmal kurz hier, aber da war niemand zu Hause. Zwischenzeitlich muss jemand das hier hinterlassen haben.“ Er winkte mit der Rose. „Die hat auf dem Fenstersims gelegen.“
Erst jetzt wandte er sich an Kommissar Laubach. Den kannte er aus ihren gemeinsamen Schultagen, wobei er ihn seitdem nur mit seinem Spitznamen ansprach.
„Hallo, Kloppe, wie geht’s? Bist du mal wieder in einen neuen Fall verstrickt?“
„Hi, Roger, hör bloß auf. Du weißt doch ganz bestimmt, um was es geht. Aber ich bin sofort wieder weg, versprochen! Ich wollte nur etwas abholen.“
Daniela drehte sich um und öffnete die Haustür. Keiner der beiden anwesenden Herren bemerkte den besorgten Ausdruck auf ihrem Gesicht.
Roger Peters blickte auf die Rose. „Ist gar keine Karte dabei“, sagte er verwundert.
Laubach stimmte ihm gedankenversunken zu. „Stammt sicher von einem heimlichen Verehrer. Hübsches Haus, Roger, nicht wahr? Bist du schon einmal hier gewesen?“
„Nein, bisher noch nicht. Ich kenne die Lady nur flüchtig.“ Mit der Rose zeigte er in die Richtung, in die Daniela Neumann verschwunden war.
„Na ja, vielleicht gefällt’s dir ja. Aber nimm dich in Acht. Die Dame ist ganz schön biestig heute.“
Kurz darauf kehrte Daniela zurück und streckte Laubach eine Plastiktüte entgegen. „Hier drin sind die Messer, Herr Kommissar, auch jenes, das ich heute Morgen zum Aufschneiden des Verpackungsmaterials verwendet habe. Ich habe in der Eile nichts Besseres gefunden, aber wenigstens hinterlassen Sie so keine Fingerabdrücke von sich selber darauf.“
„Ist schon recht, Frau Neumann. Ich melde mich dann wieder bei Ihnen.“ Er wandte sich zum Gehen.
„Wenn es sein muss, Herr Kommissar.“ Schon der Gedanke allein schien ihr zu missfallen.
„War nett dich zu treffen“, sagte er zu Roger Peters. „Ich muss jetzt zurück nach Daun. Die Arbeit wartet. Man sieht sich.“
Daniela und Roger blieben auf der obersten Stufe stehen und sahen Laubach nach, wie er zu seinem Wagen ging. Auf halbem Weg blieb er stehen, drehte sich um und rief: „Ach, das hätte ich beinahe vergessen. Was ist denn mit der Rose, Frau Neumann? Bekommen Sie öfters derartige Geschenke?“
Dann ging er weiter zu seinem Auto, ohne auf eine Antwort zu warten. Daniela und Roger blickten sich fragend an. Kommissar Laubach war schon ein komischer Kauz. Eine Weile standen sie noch vor der Haustür, dann bat Daniela ihren Besucher endlich hinein.
„Treten Sie doch ein, Herr Peters. Ich freue mich, dass Sie kommen konnten.“
„Vielen Dank, sehr freundlich von Ihnen“, erwiderte er und streckte ihr die Rose entgegen. Zu seiner Überraschung schüttelte Daniela den Kopf, trat an ihm vorbei und schloss die Tür von innen ab. Dazu benutzte sie einen Schlüssel, den sie aus der Tasche ihrer Jeans holte. Für einen Moment vergaß Roger Peters die Blume in seiner Hand. Etwas anderes hatte seine Aufmerksamkeit erregt. An der Wand im Flur stand eine Glasvitrine, die mit alten Keramiken bestückt war. Vorsichtig studierte er das erste Gefäß und wandte sich dann dem nächsten zu.
„Ein zoomorphisches Bügelgefäß in Gestalt eines Jaguars“, sagte er anerkennend, ehe er durch das Foyer schlenderte wie durch eine Galerie.
Überall standen Vitrinen mit ethnologischen Objekten herum. Er machte Halt vor etwas, das wie ein beheiztes Aquarium aussah und bei näherem Betrachten auch gar nichts anderes war. Nur dass dieses Aquarium eine Sammlung von äußerst wertvollen Grabtüchern enthielt, die in der Tat beheizt und vor Luftfeuchtigkeit geschützt werden mussten.
Hier sieht es aus wie in einem Museum, dachte er, während er die kostbaren Paracas-Tücher näher betrachtete. Vorsichtig ließ er seine Finger über die geschliffene Oberfläche des Glaskastens wandern. Etwas störte ihn. Natürlich: die Rose. Noch immer hielt er den langen Stiel in seinen Händen.
„Eine Karte habe ich nicht gefunden“, wiederholte er sich.
Diesmal antwortete sie sofort. „Wie auch? Es ist nie eine Karte dabei.“ Sie war vor dem Wohnzimmer stehen geblieben. Roger Peters bekam große Augen.
„Nie?“, fragte er. „Bekommen Sie denn öfters solche Blumen?“
Sie nickte.
„Und Sie haben keine Ahnung, von wem sie kommen?“
„Nun, ich glaube …“
Plötzlich klingelte das Telefon. Daniela Neumann zuckte zusammen und blickte hinüber zu dem kleinen Tischchen im Flur, wo das Telefon stand. Sie zögerte abzunehmen, da sprang der Anrufbeantworter an. Roger Peters konnte ganz deutlich ein schweres Atmen hören und beobachtete seine Auftraggeberin. Alle Farbe war aus ihrem Gesicht gewichen. Sie ging auf den kleinen Apparat zu und lauschte. Dann hob sie den Hörer ab.
„Hallo? Wer ist denn da?“
Nichts. Die Leitung war tot. Auf dem Display stand „Rufnummer unbekannt“.
Daniela schien der Verzweiflung nahe zu sein.
„Schon wieder so ein ver…dammter Anruf“, stammelte sie. „Seit ein paar Tagen geht das nun schon so.“
Roger Peters zuckte hilflos mit den Achseln. „Das nervt bestimmt. Warum haben Sie denn nicht mit der Polizei gesprochen? Ich meine, Kommissar Laubach war doch gerade erst hier.“
„Ach der! Der hat mir deutlich zu verstehen gegeben, dass ich für ihn die Hauptverdächtige bin. Was interessieren ihn da wohl meine anonymen Anrufe? Auch wenn beim letzten Mal …“ Mitten im Satz brach sie ab.
Mit einem Mal war Roger Peters hellwach. „Was war denn beim letzten Mal?“, fragte er.
Sie drehte sich auf dem Absatz um und ging in die Küche. Dabei murmelte sie leise: „Ach, das ist schon lange her. Ich bin einmal verfolgt und angegriffen worden, aber die Polizei hat den Kerl geschnappt. War irgend so ein durchgeknallter Stalker.“
Roger Peters folgte ihr und sah, wie sie an der Kaffeemaschine herumhantierte. Ihre Hände zitterten leicht.
„Hat es damals auch Anrufe gegeben?“
Sie nickte. „Und ob! Ohne Ende. Mist, da ist ja gar kein Filter drin.“ Entschlossen griff sie in die kleine Schublade über dem Auszugsschrank. Roger Peters sah zu, wie sie ein Filterblatt aus einer hellen Verpackung zog, die Ränder faltete und das Ganze in den Einsatz der Kaffeemaschine steckte.
„Und der Mann ist ins Gefängnis gekommen?“
„Sagte ich doch. Und dort ist er wohl immer noch. Wo hab ich jetzt den gemahlenen Kaffee?“
„Na, dann wollen wir mal das Beste hoffen.“
„Er ist es ganz sicher nicht. Man hat ihm jeglichen Kontakt zu mir untersagt. Ach ja, hier oben in der bunten Dose ist er!“
„Ich habe gehört, was Ihrem Partner widerfahren ist, Frau Neumann. Scheußliche Geschichte. Und jetzt belästigt Sie jemand mit anonymen Anrufen und schenkt Ihnen rote Rosen. Glauben Sie da noch an einen Zufall?“
Daniela runzelte die Stirn. Endlich schnurrte die kleine Maschine.
„Ach was! Das macht doch keinen Sinn. Es gibt doch gar keinen Grund.“
„Nun, für Sie vielleicht nicht, aber vielleicht gibt es da jemanden, der das ganz anders sieht? Oder aber es hat doch etwas mit der goldenen Maske zu tun?“
„Sie wissen davon?“
„Nun ja, ich habe da etwas läuten hören. Antiquitäten sind halt auch mein Steckenpferd.“
Ohne näher darauf einzugehen, ließ sich Daniela auf einem der Barhocker nieder, die vor dem Küchentresen standen, zündete sich eine Zigarette an und fixierte ihren Besucher aus tiefgrünen Augen. Dann deutete sie an, er möge ebenfalls irgendwo Platz nehmen, erhob sich selbst aber wieder, um nach dem Kaffee zu sehen. Während er sich auf einen anderen Hocker setzte, konnte er durch die geöffnete Tür hinüber in das anliegende Wohnzimmer schauen. Was er sah, waren elegante Holzvertäfelungen an Decke und Wand, ein Kamin aus geschmiedetem Eisen, darüber ein großer, antiker Spiegel mit der Aufschrift einer schottischen Whiskeybrauerei und ein blank gebohnertes Holzparkett, geschmückt mit dicken Perserteppichen. Irgendwie wirkte die Aufmachung auf ihn wie die eines alten, englischen Pubs.
Zu muffig, beurteilte er spontan die steife Eleganz, die aber wiederum ausgezeichnet zu den ausgestellten antiken Objekten passte.
„Bitte bedienen Sie sich, Herr Peters.“
Daniela Neumann lenkte seine Aufmerksamkeit wieder auf sich, indem sie ihm eine dampfende Tasse mit fast schwarzem Inhalt vor die Nase stellte. Dabei traf ihr Blick den seinigen, ruhte einen Augenblick zu lang in seinen Augen, ehe er sich abwandte und fast schon aus Verlegenheit auf den verzierten Silberlöffel starrte, der in seiner Kaffeetasse steckte. Ohne darauf zu achten, hatte er sich bereits die dritte Fuhre Zucker in den Kaffee gegeben.
„Vielleicht sollten wir kurz das Geschäftliche besprechen“, sagte sie.
„Selbstverständlich.“ Roger Peters stimmte ihr zu, nippte an seinem Kaffee und stellte die Tasse vor sich auf den Tresen.
„Bevorzugen Sie eine strikte Arbeitsregelung oder wäre es Ihnen individuell lieber?“
Er verstand nicht sofort, was sie meinte.
„Individuell?“
„Ja, ich meine keine festgelegte Stundenzahl.“
Jetzt nickte er amüsiert. „Ach so, ich verstehe. Mir ist alles recht. Im Moment habe ich nicht übermäßig viel zu tun. Wenn Sie also meine Hilfe gebrauchen können …“
„Hilfe?“ Daniela rollte mit den Augen und räusperte sich. Dann schenkte sie ihm ein strahlendes Lächeln. „So kann man das auch nennen. Das Arbeitszimmer, die Bibliothek und der Dachboden sind vollgepackt mit Kisten und Kartons. Das meiste ist mit der letzten Sendung aus Übersee gekommen. Eine komplette Sammlung, die Wolfgang irgendwo aufgetan hat. Und die wollte er vorab sichten und katalogisieren, bevor er sie dem allgemeinen Bestand zufügt. Also habe ich mich breitschlagen lassen und alles bei mir untergestellt; und das habe ich nun davon. Wenn Sie mir nur helfen würden, ein wenig Ordnung in das Chaos zu bringen, das mir Wolfgang hinterlassen hat?“
„Sie meinen Herrn Ebersberger?“
„Natürlich. Am besten verschaffen Sie sich erst einmal einen allgemeinen Überblick, denn ehrlich gesagt, ich blicke da überhaupt nicht mehr durch. Ich bräuchte schleunigst eine genaue Aufstellung der vorhandenen Ware. Ich meine Charakter, Herkunft und Einkaufspreise. Trauen Sie sich das zu, Herr Peters?“
Roger tat so, als würde er überlegen.
„Aber sicher, warum denn nicht?“ sagte er dann. „Das hört sich doch ganz interessant an. Und vielleicht stoße ich ja dabei sogar noch auf eine wertvolle Reliquie?“
„Bloß das nicht! Und wenn, dann bitte nur mit den dazugehörigen Zollpapieren. Seit der Sache mit der Maske haben die Behörden ein besonderes Auge auf mich und den Laden geworfen, und zu allem Übel ist auch noch dieser Kommissar der Meinung, ich hätte meinen Partner umgebracht.“
„Aber der Anruf und die Rose …? Ich meine, die meisten Frauen lieben es doch, wenn sie Blumen bekommen. Aber Sie … Sie sind ganz blass geworden. Gibt es dafür einen bestimmten Grund?“
Jetzt war jegliches Lächeln aus ihrem Gesicht verschwunden.
„Erwin Schürmann, so hieß der Mann, der mich damals verfolgt hat. Er hat mir auch immer Rosen geschenkt.“
Roger Peters machte ein besorgtes Gesicht. „Ich bin wirklich der Meinung, Sie sollten Kommissar Laubach davon erzählen.“
Daniela überlegte. „Versuchen kann ich’s ja mal. Ich muss sowieso noch rüber nach Daun. Da fällt mir ein, am späten Nachmittag wollte ich auch noch zu dieser Kunstauktion in Kaisersesch. Macht es Ihnen etwas aus, wenn ich Sie jetzt allein lasse?“
„Nein, durchaus nicht. Ich fange dann gleich …“
„Halt! Fast hätte ich vergessen, es zu erwähnen. Oben im Gästeschlafzimmer ist noch jemand. Irene, eine Bekannte von mir. Hat viel durchgemacht, die Arme. Sie war Wolfgangs Freundin. Hat eine Vivinox genommen und schläft sich oben aus. Seien Sie einfach freundlich zu ihr, wenn sie wach werden sollte. Wir sehen uns dann am Abend …, oder wenn Sie schon fort sein sollten, erst morgen früh.“
„Geht klar, Frau Neumann! Machen Sie sich bloß keine Sorgen um mich“, erwiderte Roger Peters und entschied sogleich, dass er froh war, den Nachmittag für sich alleine zu haben. So würde er sich in aller Ruhe mit seiner neuen Aufgabe vertraut machen können.
„Fein.“ Daniela Neumann nahm ihre Strickjacke von der Sessellehne und stöckelte auf die schwere Holztür zu, nur um dann abrupt stehen zu bleiben, sich umzudrehen und etwas von ihren Autoschlüsseln zu faseln.
„Wo bin ich nur mit meinen Gedanken“, murmelte sie und ließ einen Seufzer hören, als sie den Schlüsselbund auf dem Beistelltischchen neben dem Telefon entdeckte.
Sie schüttelte ihre Mähne und meinte: „Wenn ich einmal in Eile bin, kann ich mich kaum konzentrieren. Am besten meiden Sie das Dachgeschoss für heute, Herr Peters. Das Durcheinander dort oben könnte Sie so verschrecken, dass Sie mir davonlaufen, noch bevor Sie so richtig mit der Arbeit angefangen haben.“
Als die Haustür mit einem lauten Knall ins Schloss fiel, schnalzte Roger Peters mit der Zunge. Man würde nie erwarten, was für eine Energie sie besitzt.
Knapp zehn Minuten später inspizierte er bereits die verschiedenen Räumlichkeiten des Hauses und registrierte Lage und Fläche der einzelnen Zimmer. Umgeben vom Geruch nach Altertum und Staub betrachtete er die nennenswerte Sammlung ethnischer Kulturobjekte. Eine Vitrine nach der anderen nahm er in Augenschein und musste immer wieder gegen eine leise Verbitterung ankämpfen, die unwillkürlich in ihm aufstieg, während er die ausgestellten Objekte betrachtete. Sie besaßen eine Qualität, die ihm in seinen Jahren als Abenteurer in Südamerika nur sehr selten untergekommen war. Ganz gewiss, es waren lohnende und herausforderungsreiche Jahre gewesen. Er hatte in der Welt herumreisen und sich mit faszinierenden Kulturen beschäftigen können. Einige seiner Fundstücke waren jetzt in Museen rund um den Globus zu sehen, doch keines davon war mit den hier ausgestellten Objekten auch nur im Geringsten vergleichbar.
Und wenn ich nur ein wenig mehr Ausdauer gehabt hätte?
Sei’s drum. Mit dieser Art zu leben war es nun endgültig vorbei. Jetzt lebte er in der Eifel, zusammen mit Edith und ihren Depressionen. Er würde sich damit begnügen müssen, diese großartigen Zeugnisse der Vergangenheit mit dem unbeteiligten Blick eines dankbaren Besuchers zu bewundern.
Auf seinem Erkundungsgang durch das untere Stockwerk stieß er auf ein uraltes Steinway Klavier. Sofort blieb er stehen, um über das glänzende Holzfurnier zu streichen. Die Dame des Hauses hat in der Tat einen exklusiven Geschmack. Mit Achtung wandte er sich ab, um sich den nächsten Raum anzusehen. Es war das Arbeitszimmer.
Angelockt von einem Duftgemisch aus vermodertem Papier und abgestandenem Leder, betrachtete er die willkürliche Anhäufung von vergilbten Papieren, Dokumenten und verstaubten Ordnern. Das Ganze schien völlig konzeptlos und irgendwie abgelegt worden zu sein. Er setzte sich auf einen verstaubten Bürostuhl und versuchte sich an einer ersten Bestandsaufnahme.
Konzeptlos ist wirklich noch untertrieben. Völliges Durcheinander trifft den Nagel genau auf den Kopf. Worauf habe ich mich da nur eingelassen? Da kommt eine verdammte Menge Arbeit auf mich zu. Ich glaube ich wäre besser Buchhalter oder so etwas geworden. Dann würde mir das hier sicher Spaß bereiten.
Er ließ seinen Blick über eine lange Regalwand gleiten, ehe er geistesabwesend nach irgendeinem Ordner griff und ihn herausnahm.
Mehr kann ich im Moment nicht tun, überlegte er, und warf sich mit der geöffneten Mappe in einen schweren Ledersessel, der hinter dem wuchtigen Eichenschreibtisch steckte.