Читать книгу Eifel-Pakt - Peter Splitt - Страница 7

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Daniela erwachte und war weit davon entfernt sich wohl zu fühlen. Sie hatte kaum geschlafen und starrte benommen auf die mit Holzpaneelen verkleidete Zimmerdecke. Ihr Verstand schien ihr einen Streich zu spielen. Nicht wissend, was ihr der Tag bringen würde, schnappte sie sich ihre Jeans, ging ins Badezimmer und dort direkt unter die Dusche. Mit voller Absicht drehte sie nur den Kaltwasserhahn auf. Brr, ist das kalt! Ihr fröstelte. Während das kalte Wasser auf sie niederprasselte, kamen ihr die Gedanken vom Vortag in den Sinn. Habe ich mir die Entscheidung auch gut überlegt? Wolfgang wird nicht gerade begeistert sein. Aber wenn das Vertrauen einmal dahin ist …

Sie nahm die Waschlotion und seifte sich von Kopf bis Fuß ein. Vielleicht gelang es ihr, dieses ungute Gefühl einfach von sich abzuwaschen. Was sie danach brauchte, war ein klarer Kopf, um in Ruhe nachdenken zu können. Selbst ihr Haus, das sie so liebte, kam ihr vor wie ein stickiges Gefängnis. Noch während sie sich abtrocknete, beschloss sie, laufen zu gehen. Damit hatte sie zu ihrer wilden Zeit angefangen, während sie die Kunsthochschule besuchte. Damals war sie fast jeden Tag vor Beginn der Vorlesung um das scheußlich graue Basaltgebäude herumgelaufen, während ihre Kommilitonen noch zu schlafen pflegten oder gerade gähnend aus ihren Betten stiegen.

Anstatt in die Jeans schlüpfte sie in ihren orangefarbenen Jogginganzug und hastete die Treppe hinunter auf den Flur. Sie war gerade bei der Tür angekommen, als das Telefon klingelte. Als sie den Hörer abnahm, vernahm sie Irenes Stimme, die aber irgendwie fremd klang.

„Daniela?“

„Ja.“

„Gut, dass ich dich erreiche. Du musst sofort herkommen! Oh mein Gott …“

Irene schluchzte ins Telefon. Die kleine Uhr auf dem Display zeigte kurz vor halb zehn an.

„Was ist denn los, Irene? Du klingst ja völlig aufgelöst. Hat Wolfgang sich gemeldet?“ Daniela spürte die sich ausbreitende Gänsehaut auf ihren Armen.

Irene stammelte und schluchzte etwas in den Hörer. Doch ihre Antwort war zunächst nicht zu verstehen. „Was meinst du?“

„Er ist tot, Daniela.“

„Wer ist tot?“

„Wolfgang! Jemand hat ihn erstochen.“

„Was sagst du da?“ Daniela sank auf die Treppenstufe.

„Wolfgang ist tot. Er ist erstochen worden. Die Polizei hat seinen Wagen gefunden. Er hing leblos über dem Lenkrad.“

„Großer Gott. Du meinst er ist … nicht mehr da? Einfach so? Bist du … Ist jemand bei dir?“

„Die Polizei ist hier. Bitte komm schnell.“

„Bin schon unterwegs.“

Das kann doch nicht wahr sein. Das glaube ich einfach nicht. Wolfgang ist tot? Er kann doch nicht einfach tot sein.

Daniela versuchte aufzustehen, aber ihre Beine spielten nicht mit. Langsam sank sie wieder auf die Treppenstufe zurück. Sie hielt sich die Hände vors Gesicht und spürte, wie ihre Augen feucht wurden. In sich gekehrt verharrte sie einen Augenblick, fast ratlos, dann griff sie entschlossen nach ihrem Autoschlüssel. Sie wusste, dass sie der Wahrheit ins Auge sehen musste. Zeit zum Trauern würde es noch genug geben.

Sie hatte sich nicht mehr umgezogen und kaum wahrgenommen, wie sie die Strecke nach Monreal hinter sich brachte, aber plötzlich stand sie vor dem historischen Gebäude, indem sich Wolfgangs Büro befand. Ohne auf die Einsatzfahrzeuge der Polizei zu achten, die am Straßenrand parkten, lief sie zur Haustür.

„Irene“, rief sie, als sie eintrat.

Irenes Äußeres hatte sich sehr verändert. Sie trug eine dunkle Bluse, einen weiten Rock, flache Schuhe und wirkte um Jahre gealtert.

„Daniela! Gott sei Dank, dass du da bist!“ Irene umarmte sie. Erst jetzt schien sich die Anspannung von ihr zu lösen. Sie heulte, was das Zeug hielt.

„Was soll ich bloß tun? Was soll ich bloß …?“

Daniela versuchte, sie zu trösten, wusste aber nicht, was sie ihr sagen sollte. Automatisch drückte sie Irene an sich. Dann vernahm sie eine andere Stimme.

„Sind Sie seine Geschäftspartnerin?“

Ein auf den ersten Blick ungepflegt wirkender Mann, irgendwo in den Fünfzigern, erhob sich und kam auf sie zu. Er war hochgewachsen, aber hager. Seine Gesichtsfarbe war gelblich, unter den Augen lagen schwere Ringe. Das braune Haar war an den Schläfen bereits weiß und schien oben auf seinem Kopf gänzlich zu verschwinden.

Um die Lippen lag ein angewiderter Zug. Das lag am zu vielen Alkohol, den er täglich literweise in sich hineinkippte, um das auszublenden, was ihn in der letzten Zeit mehr und mehr ankotzte. Besonders das, was seine Arbeit betraf.

Daniela hielt Irene weiterhin fest umschlungen. „Ja, die bin ich. Mein Name ist Daniela Neumann.“

„Können wir einen Moment ungestört miteinander reden, Frau Neumann? Ich bin Kommissar Laubach von der Polizei in Daun.“

„Ja, natürlich.“ Sie nickte. Er kam ihr bekannt vor, obwohl sie noch niemals mit ihm persönlich zu tun gehabt hatte. Aber die Zeitungen in der Eifel waren voll mit Berichten über seine Arbeit. „Können Sie mir sagen, was genau passiert ist?“, fragte sie.

Kommissar Laubach räusperte sich. „Kollegen von mir haben heute früh einen Anruf entgegengenommen. Demnach stand an der L96 ein ungesichertes Fahrzeug mit einem verletzten Insassen. Die Beamten und der Rettungsdienst sind dann auch gleich losgefahren, doch als sie an besagter Stelle eintrafen, war der Mann bereits tot. Zum Glück hatte er seine Papiere bei sich, und die wiesen ihn als Wolfgang Ebersberger aus, wohnhaft in Monreal. Was wir bis jetzt wissen, ist, dass Herr Ebersberger gestern Abend sein Büro verlassen hat und angeblich noch zu Ihnen wollte. Ist das korrekt?“

„Ja, das stimmt.“

Laubach blickte Irene an, doch die schien das alles um sie herum nicht wahrzunehmen.

„Merkwürdige Uhrzeit“, sagte er trocken, als er sich wieder Daniela zuwandte. „Kam es öfters vor, dass er Sie um diese Uhrzeit besuchte, Frau Neumann?“

Daniela schüttelte den Kopf. „Im Allgemeinen nicht. Aber gestern hatten wir noch etwas Dringendes zu besprechen. Geschäftlich, meine ich.“

„Und das hätte nicht bis heute warten können?“

Daniela suchte nach einem Taschentuch, um sich eine Träne aus dem Auge zu wischen. Sie fand es in ihrer Handtasche.

„Die Angelegenheit war wirklich sehr dringend, und so etwas pflege ich am liebsten sofort und auf der Stelle zu besprechen“, sagte sie und schluchzte.

Laubach blickte sie streng an.

„Aber er ist nicht gekommen?“

„Nein, er ist nicht gekommen.“

„Und da haben Sie sich keine Sorgen gemacht?“

„Nein, nicht sofort.“

„So? Passierte ihm das denn öfter?“

„Ist schon vorgekommen. Er war manchmal sehr zerstreut.“

Wieder lief ihr eine Träne über die Wange. Sie blickte zu Irene, aber die zeigte keinerlei Reaktion. Stur vergrub sie den Kopf in ihren Händen.

„Und was hat ihn so abgelenkt?“

Laubachs Worte ließen Daniela zusammenzucken. Sie hatte gar nicht bemerkt, dass sie bereits in der Vergangenheitsform von Wolfgang sprach.

„Er besaß eine lebhafte Fantasie, worüber er manchmal Arbeit und Zeit vergaß. Nur die Leute sahen es ihm meistens nach, weil er sehr charmant sein konnte.“

„Also dachten Sie sich nichts dabei, als er gestern Abend nicht bei Ihnen auftauchte?“

„Nun ja. Etwas seltsam war es schon, aber ich bin dann bald zu Bett gegangen.“

„Und wann haben Sie zum ersten Mal erfahren, dass Herr Ebersberger nicht nach Hause gekommen ist?“

„Nach Hause? Gar nicht. Irene hat mich heute Morgen angerufen. Da fällt mir ein … seine Angehörigen … mein Gott, wissen die schon Bescheid?“

„Wir haben sie noch nicht verständigt.“

Laubach blickte aus dem Fenster. Vor dem Haus stand sein Assistent Rainer Sigismund und sprach mit ein paar Journalisten. Er pflegte seinen Assistenten aufgrund dessen Auftretens auch Schwarzenegger zu nennen. Soll er ruhig mit ihnen sprechen und sich wichtigtun, dachte Laubach. Im Grunde genommen war er froh, dass ihm die Fragerei selbst erspart blieb. Er winkte Sigismund zu sich hinauf. Als er vor seinem Chef stand, wirkte Schwarzenegger zum ersten Mal ein wenig ratlos. Nervös spielte er mit seiner Sonnenbrille. Anscheinend schien er zu ahnen, was jetzt auf ihn zukam. Laubach gab ihm den entsprechenden Wink. Im Grunde hassten sie es beide, solche Nachrichten überbringen zu müssen, aber es musste nun einmal sein, und Laubach war der Boss. Wolfgang Ebersberger besaß entfernte Verwandte, die benachrichtigt werden mussten.

Während Sigismund seine Sonnenbrille aufsetzte und sich anschickte die Räumlichkeiten zu verlassen, wandte sich Laubach wieder den beiden Frauen zu.

„Wissen Sie, ob Herr Ebersberger manchmal Anhalter mitgenommen hat?“

„Wolfgang?“

„Ja.“

Daniela schüttelte den Kopf. „Das kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen. Er hätte niemals einen Fremden mitgenommen, es sei denn, es handelte sich dabei um eine junge, hübsche Frau. Warum fragen Sie?“

„Weil er von hinten erstochen worden ist. Wer immer es auch getan hat, muss auf dem Rücksitz gesessen haben.“

Irene brach weinend zusammen.

„Das wäre zunächst alles, meine Damen. Aber ehe ich es vergesse, ich würde mir sehr gern einmal Ihren Laden anschauen, Frau Neumann. Gehe ich richtig in der Annahme, dass Sie ihn erst einmal geschlossen halten werden?“

„Natürlich bleibt er vorerst geschlossen“, antwortete Daniela barsch. „Aber ich werde nachmittags da sein, um etwas aufzuräumen. Ich muss einfach etwas zu tun haben. Das verstehen Sie doch sicher?“

„Ich verstehe. Ich verstehe alles. Wenn ich Sie jetzt noch bitten dürfte, sich ein wenig um Frau Baumgartner zu kümmern. Der Tod von Herrn Ebersberger scheint sie doch sehr mitgenommen zu haben.“

Dem konnte sie nicht widersprechen. Nachdem der Kommissar gegangen war, blieb sie noch eine Zeit lang bei Irene. Der Versuch, sie einigermaßen zu beruhigen, gelang ihr nur mäßig. Schließlich sorgte sie dafür, dass Irene eine Schlaftablette nahm und sich hinlegte. Gegebenenfalls würde sie am Abend noch einmal nach ihr sehen oder sie zumindest anrufen.

Den Schönheiten des Ortes mit seinen historischen Fachwerkhäusern sowie den Ruinen der Löwen- und Philippsburg schenkte sie keinen Blick, als sie in ihren dunkelgrünen Mini Cooper stieg und losbrauste. Auf der L98 fuhr sie nach Kaisersesch, nahm hier die Autobahn A48 und nach 22 weiteren Kilometern die A1 in Richtung Daun. Dann ging es weiter auf den Bundestraßen B421 und B410 über Gerolstein, immer geradeaus bis nach Birresborn-Rom, wo sie wohnte. Ihr Haus wirkte seltsam verlassen und leer. Komisch! So war es ihr noch nie vorgekommen.

Sie tauschte den Jogginganzug gegen ihre Jeans und wählte eine dazu passende schwarze Bluse. Irgendwie war ihr hundeelend zumute. Die geballte Ladung Ärger und Wut über Wolfgangs Fehlkauf hatte sich in Trauer und Verzweiflung verwandelt.

Sie fuhr zurück nach Gerolstein und parkte den Mini Cooper auf der Parkfläche hinter dem Rondell. Von dort aus ging sie in ihren Laden und überlegte, was sie tun konnte, um den fürchterlichen Gedanken, die sich ihr aufdrängen wollten, zu entfliehen. Aus Gewohnheit ging sie wieder nach draußen und öffnete die Rollläden, obwohl sie ihr Geschäft geschlossen halten wollte.

Als sie wieder reinging, atmete sie tief durch. Das hier war ihre Welt, ihr eigenes Refugium. Der Laden bedeutete viel mehr für sie, als nur ein Ort, an dem sie Geschäfte tätigte. In ihm sah sie so etwas wie ihre eigene Selbstverwirklichung. Und er war das Ergebnis ihrer langjährigen, freundschaftlichen Beziehung zu Wolfgang Ebersberger. Wolfgang, der jetzt einfach nicht mehr da war. Grausam, dachte sie und nagte an ihrer Unterlippe. Das tat sie immer, wenn sie besonders angespannt war. So wie jetzt. Fast hätte sie das Läuten der Türglocke überhört. Als sie das sich wiederholende Klingeln auf einmal bemerkte, erschrak sie, drehte sich um und schob ihre sonderbaren Gedanken beiseite. Auf der Türschwelle stand Kommissar Laubach.

„Frau Neumann?“

„Ach ja, Herr Kommissar. Bitte treten Sie doch ein. Gibt es schon etwas Neues?“

„Hallo, Frau Neumann. Ich komme gerade aus dem Präsidium. Nein, es gibt noch nichts Neues. Und deshalb bin ich auch hergekommen.“ Prüfend blickte er sich im Laden um. „Ich hoffe, Sie haben einen Moment Zeit für mich? Ich hab da noch ein paar Fragen.“

„Aber sicher. Ich weiß sowieso nicht recht, was ich hier tun soll. Wolfgangs Tod geht mir ziemlich nahe.“ Wie zur Bestätigung ihrer Worte nickte sie mit dem Kopf. „Also, womit kann ich Ihnen dienen?“

„Hatte ihr Kompagnon Feinde?“

„Feinde? Wolfgang? Das kann ich mir nicht vorstellen. Er war bei allen sehr beliebt.“

Laubach fischte ein schwarzes Notizbuch aus seiner Jackentasche und machte einen Schritt auf sie zu.

„Er lag also mit niemandem im Streit?“

Daniela versuchte, den vorherigen Abstand zwischen ihr und dem Kommissar wiederherzustellen. Die sich hinter ihr befindliche Verkaufstheke hinderte sie allerdings daran.

„Nein, auch davon ist mir nichts bekannt. Warum fragen Sie?“

Er schrieb etwas in das Notizbuch, dann blickte er zu ihr auf.

„Mir ist da etwas zu Ohren gekommen. Haben Sie sich nicht selbst mit ihm gestritten?“

„Ach so, das meinen Sie. Wir sind Geschäftspartner, Herr Kommissar, keine Gegner. Und da gibt es dann und wann auch schon einmal Meinungsverschiedenheiten.“

Zuerst nickte Laubach verständnisvoll. Dann ließ er den Kracher los. „Aber gestern hatten Sie einen heftigen Streit mit ihm, nicht wahr?“

Daniela riss die Augen auf, zuckte aber dann mit den Achseln. „Es ging um eine geschäftliche Angelegenheit, nichts Privates. Es war nicht das erste Mal und wäre sicher auch nicht das letzte Mal gewesen.“

Laubach schenkte ihr einen scharfen Blick.

„Leider war es das letzte Mal, Frau Neumann. Sein letztes Mal.“ Er hielt inne, um sie weiter zu beobachten. Als sie nicht sofort antwortete, meinte er: „Es soll dabei ziemlich hitzig zur Sache gegangen sein. Angeblich haben Sie ihm sogar mit dem Tod gedroht.“

Daniela verschränkte die Arme vor ihrer Brust. Allein die Vorstellung war einfach viel zu absurd.

„Wenn Sie das sagen, dann wird es wohl so gewesen sein“, entgegnete sie. „Ich habe ihn ziemlich zusammengestaucht, falls Sie das verstehen? Was man eben so sagt, wenn man verärgert ist.“

Kommissar Laubach lächelte. Offensichtlich war ihm das bewusst. Daniela begriff nicht ganz, worauf er hinauswollte.

„Sehen Sie, Herr Kommissar. Wolfgang hatte die schlechte Angewohnheit, manchmal etwas zu kaufen, wovon er lieber die Finger hätte lassen sollen. Und genau das ist diesmal wieder passiert, aber ich werde die Misere schon wieder irgendwie ausbügeln.“

„Scheint ja etwas besonders Wertvolles gewesen zu sein.“

Verdammt! Muss er ausgerechnet jetzt dieses Thema anschneiden?

„Es ging um eine antike Maske, die auf dem Index steht. Aber wie gesagt, ich habe bereits den rechtmäßigen Eigentümer kontaktiert.“

„So, haben Sie das? Könnte noch jemand davon gewusst haben?“

„Nein, wieso fragen Sie?“

Auf einmal wusste sie die Antwort. „Ach so, Sie meinen, dass jemand ihn verfolgt haben könnte, um ihn zu berauben?“

„Ganz genau, das war mein Gedanke. Wenn es sich doch um ein so wertvolles Stück handelt, wie Sie sagen?“

„Aber er hatte die Maske doch gar nicht bei sich. Sie ist mir mit einem Kurier zugestellt worden.“

Laubach ging ein paar Schritte zur Seite und lehnte sich mit der Hüfte gegen die Verkaufstheke. Es schien, als würde er nachdenken. Sein Atem roch leicht nach Alkohol.

„Hm … eine Maske, sagen Sie. Und wo befindet sie sich jetzt?“

„Hinten im Safe. Sie ist bereits verpackt.“

„Ich würde ganz gerne einmal einen Blick darauf werfen, wenn Sie so gut wären …“

Daniela sah ihn verärgert an. „Die Maske ist bereits verpackt, Herr Kommissar.“

„Nun, wenn Sie so freundlich wären und sie vorsichtig auspacken würden. Sicher macht es Ihnen keine Umstände …“

Sie seufzte. „Na schön, wenn es sein muss. Einen Moment bitte. Ich bin gleich wieder da.“

Sie ging in das hintere Zimmer, schloss den Safe auf und holte das Päckchen heraus. Dann schnappte sie sich ein Messer und ging zurück in den Verkaufsraum. Laubach bestaunte gerade eine uralte Keramik-Figur aus Südamerika, die in einer Vitrine stand.

„Niedlich“, sagte er. „Ist die echt?“ Dabei nickte er mit dem Kopf in Richtung der Keramik.

„Ja, das ist sie! Nazca, Alt-Peru, circa 500 vor Christus.“ Sie stellte das Päckchen auf die Theke.

„Was, so alt? Nun gut. Dann wollen wir uns mal die Maske ansehen, die so wertvoll sein soll.“

Er half ihr, das Päckchen auszupacken. Darin befanden sich eine weitere Verpackung sowie Styropor und Folie. Als sie schließlich die Maske freigelegt hatten, trat er einen Schritt zurück, um sie besser betrachten zu können.

„Das ist sie also“, sagte er. „Wegen ihr haben Sie sich also mit ihrem Geschäftspartner gestritten?“

„Moche, frühe Periode, wahrscheinlich das Abbild eines Fürsten oder Gottes“, sagte Daniela, anstatt auf seine Frage einzugehen. „Sehen Sie die langgezogenen Augenbrauen? Die sind typisch für …“

„Entschuldigung, aber davon verstehe ich rein gar nichts.“

„Okay. Dann stellen Sie sich einfach vor, dass die Maske sehr alt und sehr, sehr selten ist …“ Dieser Kulturbanause hat wirklich keine Ahnung von dem, was er da vor sich hat. „… und aus einer Kultur stammt, die es schon längst nicht mehr gibt.“

„Ach so, jetzt verstehe ich. Und was hat sie für einen Wert?“

„Das hängt immer davon ab, was jemand bereit ist, dafür zu bezahlen.“

„Wie viel hat denn Herr Ebersberger dafür bezahlt?“

„50.000 Euro.“

Laubach pfiff durch die Zähne. „Ein nettes Sümmchen. Und da wollte er noch Gewinn machen?“

„Aber sicher. Er hat sogar davon gesprochen, dass er bereits einen Käufer habe.“

„Und wer soll das sein?

„Ich habe ihn nicht danach gefragt.“

„Ach, haben Sie nicht?“

„Nein. Aber das ist doch auch ganz egal. Die Maske muss so oder so zurückgegeben werden.“

„Und darüber haben Sie mit ihrem Partner gestritten?“

Daniela zögerte noch. Sie hatte gehofft, sich die Einzelheiten ersparen zu können. Muss der Kerl wirklich so neugierig sein?

„Es ist so … ihre Herkunft ist … äh, sagen wir, ein wenig fragwürdig.“

„Aha. Sie meinen, es könnte eine Kopie sein? Nachgemacht vom Original?“

„Oh nein. Bezüglich der Authentizität gibt es keine Zweifel.“

„Nicht? Wo liegt dann das Problem?“

Langsam geht er mir mit seiner Fragerei auf die Nerven.

„Sie ist aus einem Museum gestohlen worden.“

Laubach sah sie an. Sie fühlte, wie sein Blick sie durchbohrte.

„Ich verstehe. Ist schlecht für den Ruf, was?“

„Sehr schlecht.“ Daniela stieß einen Seufzer aus.

„Also gut. Und warum wollen Sie die Maske nun zurückschicken?“

Sie sah ihn mit großen Augen an. „W…wie meinen Sie das?“

„Ich meine: Warum verkaufen Sie sie nicht einfach?“

Daniela war baff. „Ich verkaufe keine gestohlene Ware!“

„Aber Herr Ebersberger wäre da sicher nicht so zimperlich gewesen?“

„Wollen Sie mir etwa unterstellen, dass …“

„Ich will gar nichts. Ich muss nur alle Möglichkeiten in Betracht ziehen.“

„Hören Sie. Wolfgang war genauso wenig kriminell wie ich! Er hat nur manchmal etwas gekauft ohne nachzudenken. Ich habe ihn dafür zurechtgestutzt, und nun geht die Maske wieder an ihren rechtmäßigen Besitzer zurück.“

„Aha, jetzt verstehe ich. Das ist äußerst korrekt von Ihnen. Aber gab es da vor einem halben Jahr nicht so eine Sache mit einer Jadefigur?“

Daniela verdrehte die Augen. Verdammt! Der Kommissar weiß aber auch wirklich alles.

„Wir sind hier in der Eifel, Frau Neumann! Neuigkeiten verbreiten sich hier schnell.“

Dem gab es nichts hinzuzufügen.

„Es war aber gar nicht so, wie es die Zeitungen dargestellt haben. Wolfgang hatte einen Kunden …“

„Ah, schon wieder Herr Ebersberger?“

„Das ist nicht fair, Herr Kommissar. Wolfgang war ein seriöser Geschäftspartner. Nur war er manchmal leider etwas zu vertrauensselig.“

„Inwiefern?“

„Er nimmt alles für bare Münze, was man ihm erzählt.“ Sie bemerkte ihren Fehler sofort. „Ich meine, er nahm …“

„Was hätten Sie denn an seiner Stelle getan?“

„Na. Ich hätte wenigstens nach der Dokumentation gefragt. Die Herkunft, verstehen Sie? Bei wertvollen Stücken sollte man immer angeben können, woher sie stammen.“

„Hm.“ Laubach fuhr sich mit dem Finger über die Lippen. „Es ist wirklich seltsam, weswegen manche Menschen ermordet werden, nicht wahr?“

Es dauerte eine Weile, bis Daniela so richtig begriff, was er da gerade gesagt hatte.

„Ermordet? Großer Gott. Sie glauben wirklich, jemand hat Wolfgang wegen der Maske umgebracht?“

„Könnte doch sein, oder nicht?“ Er blickte sie scharf an. „Sogar Sie kämen als Tatverdächtige in Betracht.“

„Aber … das ist doch absurd.“

„So? Und was halten Sie hiervon?“

Er musste gar nichts mehr sagen. Sie wusste sofort, was es war. Wolfgangs Handy!

Laubach drückte auf die Taste.

„Wolfgang, du bist tot, du Idiot! Wenn du auch nur einen Funken Verstand besitzt, dann bleibst du in Monreal, denn wenn ich dich zu fassen kriege …“ Er schaltete das Handy wieder aus.

„Wollen Sie es nochmal hören?“

Sie schüttelte den Kopf und schluchzte. „Nein, bloß das nicht.“

„Aber es ist doch Ihre Stimme?“

„Ja, das ist sie. Ich hab doch bereits gesagt, dass ich mich über ihn geärgert habe.“

„Geärgert ist gut. Das, was auf dem Handy zu hören ist, kommt eindeutig einer Morddrohung gleich.“

„A…aber ich hab doch nicht … ich hab doch nur …“

Sie wusste nicht mehr, was sie sagen sollte. Der verdammte Kommissar hatte sie ausgetrickst. Damit hatte sie ganz und gar nicht gerechnet. Erst ganz langsam bekam sie sich wieder unter Kontrolle. Trotzig sagte sie: „Na bitte schön. Dann suchen Sie doch hier nach der Tatwaffe. Sicher haben Sie entsprechende Fingerabdrücke gefunden, die sie vergleichen können.“

Wieder lächelte Laubach, was er ansonsten nicht sehr häufig tat.

„Also, dann klären Sie mich bitte auf. Wer außer Ihnen würde noch von seinem Tod profitieren?“

Der Schlag saß. Daniela war sprachlos, schob ihn leise beiseite und begann, die Maske wieder zu verpacken. Sie war so was von durcheinander.

„Hallo“, ertönte eine andere Stimme von der Tür her. „Daniela?“

Ihr Bruder Helmut steckte den Kopf herein. „Oh, ich wusste nicht, dass du Besuch hast?“ Es war kurz vor drei Uhr nachmittags. Bevor sie in den Laden gefahren war, hatte sie ihn angerufen und ihm alles berichtet. Er war gekommen, um ihr beizustehen, auch wenn sie mit ihrer Trauer lieber alleine gewesen wäre. Aber jetzt musste sie da durch.

„Hallo, Helmut“, sagte sie. „Das ist Kommissar Laubach von der Kriminalpolizei Daun.“

Beim Anblick des Polizeibeamten wich er zurück. „Ist wegen Wolfgang, stimmt’s? Mein Gott, ich kann es noch gar nicht fassen. Wer tut denn so etwas? Haben Sie schon etwas herausgefunden, Herr Kommissar?“

„Dazu kann ich noch nichts sagen“, erwiderte Laubach barsch. „Frau Neumann, ich muss Sie bitten, später zu mir auf die Wache zu kommen. Ich möchte Ihre Aussage zu Protokoll nehmen. Und Sie sind sich ganz sicher, dass niemand von der Maske wusste?“

Fängt der schon wieder damit an!

„Das habe ich Ihnen doch bereits erklärt.“ Daniela war der Verzweiflung nah. Man musste kein Hellseher sein, um zu verstehen, wer seine Hauptverdächtige war.

Laubach winkte ab. „Also gut, dann lasse ich Sie beide jetzt allein. Nur vergessen Sie bitte nicht, für eine Aussage nach Daun auf die Wache zu kommen.“

Er trat aus dem Laden und blieb noch einmal vor dem Schaufenster stehen. Jetzt brannte Licht in der Auslage. Vermutlich ein Zeitschalter, nahm er an. Schöne exotische Dinge lagen und standen darin. Ganz oben auf der großen Scheibe stand „N&E Antiquitäten“ in Goldschrift geschrieben. Im Nachbarhaus gab es eine Boutique, aber deren Auslage war dunkel. Die dazugehörigen Fenster waren hoch und mit viel Stuck umgeben. Nichts für mich, dachte Laubach und machte sich von dannen.

Als der Kommissar endlich gegangen war, fiel Daniela ihrem Bruder in die Arme.

„Wie gut, dass du hier bist, Helmut! Es ist … es ist alles so schrecklich, und dieser Kommissar Laubach glaubt allen Ernstes, ich sei es gewesen.“

Ihr Bruder nickte, wenn auch zögerlich. Das, was er soeben gehört hatte, stimmte ihn absolut nicht fröhlich. Trotzdem versuchte er, sich nichts anmerken zu lassen. Das Wichtigste war jetzt, dass sie einen klaren Kopf behielt.

„In Wirklichkeit ist es nun einmal so, Kleines: Je näher du dem Opfer standest, desto eher kommst du als Täter in Frage. Mit Sicherheit wird sich schon bald herausstellen, dass du mit dem Verbrechen aber auch rein gar nichts zu tun hast.“

„Dein Wort in Gottes Ohr, Helmut. Immerhin hat er Wolfgangs Handy mit meiner Nachricht auf der Mailbox. Da muss er mich wohl für verdächtig halten, oder?“

Helmut sah seine Schwester an und fragte sich, ob sie wirklich wusste, wie ernst die Lage für sie war. Er stieß einen tiefen Seufzer aus. Daniela und einen Mord begehen? Das war einfach absurd. Er wusste, dass sie niemals dazu fähig wäre.

Sie selbst war jetzt den Tränen nah und fühlte sich innerlich völlig aufgelöst. Ganz langsam wurde ihr bewusst, dass von nun an nichts mehr so sein würde wie früher.

„Oh Helmut, was soll ich bloß tun? Das Geschäft, Wolfgangs Sammlung, der ganze Papierkram? Darum hat er sich doch immer selbst gekümmert und ich habe ihn gelassen. Ich bin schließlich Verkäuferin und keine Buchhalterin.“

„Und Irene? Meinst du nicht, sie könnte …“

„Das glaube ich kaum. Von Antiquitäten hat die keinen blassen Schimmer. Mit Sicherheit hat Wolfgang sie nicht wegen ihres Fachwissens eingestellt.“

Daniela lächelte müde. Es war ein eher verzweifeltes Lächeln. Ihr Bruder schaute sie an. Besorgnis lag auf seinem Gesicht.

„Hast du denn sonst niemanden, der dir in solch einer Situation helfen könnte? Ich möchte dich nur ungern alleine wissen.“

Daniela bewegte ihren Kopf. Langsam, ganz langsam.

„Nein, hab ich nicht. Präkolumbische Kulturen aus Südamerika sind nun einmal ein sehr spezielles Fachgebiet“, begann sie gerade zu erklären, als ihr doch noch jemand einfiel.

„Nein, halt! Da gibt es doch jemanden in der Vulkaneifel, der gelegentlich als freier Journalist für das Eifel Journal schreibt. Eigentlich ist er Reiseschriftsteller oder so etwas Ähnliches. Warte mal, wie heißt er denn noch gleich?“

Sie bemerkte die Blicke ihres Bruders, die sich jetzt verändert hatten. Er wirkte sichtlich überrascht.

„Joachim? Nein, falsch. Peter? Nein, auch nicht. Moment mal, Peters. Ich glaube jetzt hab ich’s. Roger Peters. Ja, ganz genau, so heißt er. Hat lange Zeit in Südamerika gelebt. Ein, zwei Mal habe ich mit ihm gesprochen, aber nur kurz.“

„Und du glaubst, der würde dir helfen?“

„Warum denn nicht? Ich werde ihn gleich mal anrufen. Immerhin geht es hier um antike Kulturgegenstände, und die dürften ihn sehr wohl interessieren.“

„Hoffen wir das Beste“, sagte Helmut. „Hoffen wir’s einfach.“

Eifel-Pakt

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