Читать книгу Einführung in die Musikpädagogik - Peter W. Schatt - Страница 10

1.3 Interdisziplinarität der Musikpädagogik – Musikpädagogik als wissenschaftliche Disziplin

Оглавление

Aussagen über Bedingungen und Voraussetzungen von Musik-Lernen, Musik-Lehren, musikalischer Bildung und Erziehung gewinnt man durch Befragung der zuständigen Wissenschaften. Mit der Frage nach den mit Musikpädagogik verknüpften Disziplinen stellt sich zugleich auch die Frage nach der Eigenständigkeit von Musikpädagogik: Ist sie vielleicht doch nichts Anderes als ein Konglomerat aus anderen Disziplinen?

Bevor wir uns der Art und Weise der Verknüpfung mit anderen Wissenschaften zuwenden, betrachten wir die Gegenstände, durch die Musikpädagogik mit ihnen verbunden ist. Sie sollen durch einen Blick auf die Themen der einschlägigen Literatur, der zugleich die wichtigsten Veröffentlichungen berücksichtigt, dargestellt werden.

1985 erschien mit dem „Grundriß der Musikpädagogik“ von Sigrid Abel-Struth gleichsam die Inkunabel moderner wissenschaftlicher Musikpädagogik. Das Werk ist zum einen ein groß angelegter Forschungsbericht, in dem die Ergebnisse des pädagogisch motivierten Nachdenkens über Zusammenhänge zwischen Mensch und Musik zusammengefasst sind; zum anderen entfaltet Abel-Struth in ihrer Zusammenfassung eine Systematik, die als Ergebnis ihres Nachdenkens über die Gegenstände musikpädagogischen Denkens erscheint: Musik-Lernen, Musik-Lehren und Musikunterricht.

Einsichten und Forschungsperspektiven zum Musik-Lernen werden unter drei Aspekten dargestellt: Bedingungen des Musik-Lernens, musikbezogene Lernvorgänge und Ergebnisse des Musik-Lernens.

Bezugswissenschaften

Ein Kapitel befasst sich mit den Bedingungen des Musik-Lernens und berührt mehrere Nachbarwissenschaften:

1 Unter „Bedingungen musikalischen Lernens aus Grundtendenzen menschlichen Umganges mit Musik“ wird auf Einsichten aus der Musik-Ethnologie (heute sprechen wir von Ethnomusikologie) sowie der Musik-Anthropologie verwiesen. Im Kontext der Erkenntnisse dieser Wissenschaften erscheint die menschliche Existenz selbst – die Tatsache des Inder-Welt-Seins – schon als Grundlage dafür auszureichen, dass der Mensch sich mit Musik befasst. Diese bei jedem Menschen zu beobachtende – wenn auch unterschiedlich ausgeprägte – Grundtendenz korrespondiert offenbar dergestalt mit musikalischem Lernen, dass sie zu dessen Bedingungen gehört: Menschsein selbst erscheint als Bedingung dafür, dass der Mensch Musik lernen kann und lernen will. In der Tat wird dies von neueren Forschungen zum menschlichen Denken bestätigt (Konstruktivismus, Kognitionspsychologie), indem sie Gemeinsamkeiten von allen den Denkprozessen zugrunde liegenden Mechanismen aufzeigen.

2 Die menschliche Fähigkeit, Musik zu lernen, ist unterschiedlich ausgeprägt. Die Unterschiede der Ausprägung werden mit dem Begriff Begabung erfasst. Die Erforschung dieses Phänomens ist Anliegen psychologischer Forschung, und in diesem Fall – da es um musikbezogene Begabung geht – der Musikpsychologie. Nicht nur die Fähigkeit, sondern auch die Bereitschaft des Menschen, Musik zu lernen, ist unterschiedlich ausgeprägt. Dieser Frage widmet sich die Musikpsychologie, indem sie die Motivation untersucht. Ferner hat sich die Musikpsychologie durch empirische Forschung damit beschäftigt, inwiefern die Fähigkeit musikalischen Lernens vom Alter abhängt. Dazu gehört insbesondere die Frage, der sich auch die Entwicklungspsychologie zuwendet, welche musikalischen Inhalte in welchem Alter erschlossen werden können: Wann können Töne voneinander unterschieden werden, wann werden Zusammenklänge unterschieden und wieder erkannt und wann ist das Gedächtnis in der Lage, über längere Zeit musikalische Gestalten bzw. längere musikalische Gestalten zu erinnern, so dass größere Formverläufe überblickt werden können?

3 Mit der Überlegung nach dem Zusammenhang zwischen Sozialschicht und Intelligenz als Bedingung für musikalisches Lernen kommt neben der Psychologie auch die Soziologie ins Spiel.

4 In einem weiteren Kapitel wird nach Lernbedingungen im musikalischen Material gefragt und hier ergeben sich Berührungspunkte zumindest mit der Musiktheorie, der ja auferlegt ist, musikalisches Material zu bestimmen und zu ordnen. In dem Maße, wie die Beschreibung dieser Ordnungen – z. B. als Form, Struktur oder Gattung – Anliegen der Musikwissenschaft ist, hat das musikpädagogische Denken sich zumindest der Ergebnisse dieser Disziplinen zu vergewissern, um ein eigenes Forschungsanliegen formulieren und strukturieren zu können.

Bezugsweisen

An dieser Stelle wird schon ersichtlich, in welcher Weise sich musikpädagogisches Denken auf die genannten Disziplinen beziehen kann – dabei handelt es sich immer um eine Bezugnahme, nicht um eine Identität.

1 kann Musikpädagogik Ergebnisse anderer grundlegender Wissenschaften – Anthropologie, Ethnologie, Psychologie, Soziologie – rezipieren und unter musikpädagogischen Fragestellungen aufbereiten. Dazu gehört zunächst eine musikbezogene Ausrichtung der Bezugsdisziplin – also eine Ausrichtung als Musik-Anthropologie, Musik-Ethnologie, Musik-Psychologie, Musik-Soziologie –, die dann pädagogisch spezifiziert wird.

2 können aus einer musikpädagogischen Fragestellung heraus Methoden anderer Wissenschaften angewendet werden. Wenn etwa im Fach Musik Unterrichtsforschung betrieben wird, so kommen insbesondere Methoden der Sozialforschung, der Musik-Soziologie, aber auch der Musik-Psychologie zur Anwendung.

3 kann sich unter dem Einfluss musikpädagogischer Fragestellungen die Herangehensweise einer Wissenschaft zu ihren Gegenständen modifizieren. Dies gilt beispielsweise für Fragen nach den Inhalten von Musikrezeption und deren Gültigkeit und Relevanz für Andere: Fragen, die von Musikwissenschaftlern so lange gar nicht gestellt wurden, wie das Subjekt des Fragens für sie irrelevant war.

Weitere Disziplinen, deren Methoden in musikpädagogischem Interesse anzuwenden sind, auf deren Ergebnisse musikpädagogisches Denken zurückgreifen kann oder die unter dem Einfluss nicht nur musikspezifischer, sondern – präziser – musikpädagogischer Fragestellungen zu modifizieren sind, werden bei Abel-Struth im Kapitel über musikbezogene Lernvorgänge erkennbar.

Weitere Bezugsdisziplinen

Bei der Thematisierung der Hörwahrnehmung konnte Abel-Struth seinerzeit lediglich auf die Psychologie zurückgreifen. Heute werden die einschlägigen Prozesse auch von der Neurophysiologie und Neurobiologie erforscht: Wenn man weiß, welche Hirnregionen in welcher Weise bei welchen musikalischen Handlungen aktiv sind, kann man den Unterricht entsprechend strukturieren und Lernmöglichkeiten optimieren.

Indem Lernvorgänge im praktischen Umgang mit Musik untersucht werden, wendet sich die Aufmerksamkeit den Handlungsvollzügen zu, deren Reflexion in Bezug auf Lehren und Lernen nicht genuin ein Anliegen der Musikpädagogik ist – Musikpädagogik kann aber, insbesondere im unterrichtlichen Vollzug, die Erkenntnisse dieser Disziplinen nutzen. Abel-Struth interessierte sich besonders für den audiomotorischen Lernbeginn und für Bewegungserziehung mit Musik: Die Nähe zum Sport und zum Tanz – und damit auch zu Sport- und Tanzpädagogik, Rhythmik und Bewegungserziehung – ist unübersehbar.

Mit dem Thema: Aneignung musikalischer Einstellungen – musikalische Präferenzen und ihre Bedeutung für Musik-Lernen – wird noch einmal die Musiksoziologie berührt, und die Musikwissenschaft wird tangiert, wenn es unter dem Aspekt „Lernvorgang Musikrezeption“ um die Erfassung musikalischer Ausdruckscharaktere, um höranalytische Fähigkeiten im Zusammenhang mit komplexer Musik und um die Möglichkeiten der Veränderung musikalischen Urteils geht. Wie nämlich musikalische Urteile entstehen und begründet werden, untersucht nicht nur die Musik-Soziologie, sondern auch die Musikästhetik.

Was bei Abel-Struth noch ein Nebenaspekt der musikalischen Intelligenz war, nämlich Funktionen der Sprache in musikalischen Lernvorgängen, hat inzwischen an Relevanz gewonnen. Die Frage nämlich, ob und in wieweit beim Umgang mit Musik sprachliche Faktoren beteiligt sind oder ob es so etwas wie einen rein musikalischen Mit- oder Nachvollzug des klingenden Phänomens gibt, wird zur Zeit intensiv diskutiert, dient doch die Antwort zur Begründung von bestimmten Unterrichtsweisen: Sie entscheidet, ob und in welchem Maße im Musikunterricht nur musiziert werden soll oder auch nachgedacht werden darf. Mit der Thematisierung dieser Frage werden neben Erkenntnis- bzw. Wissenstheorie auch Linguistik und Sprachphilosophie berührt. Die kürzlich vorgelegte Dissertation Martina Krauses über „Bedeutung und Bedeutsamkeit“ ist eine solche interdisziplinär verankerte, fachübergreifende, aber im Kern musikpädagogische Arbeit (KRAUSE 2005).

Drei weitere vom musikpädagogischen Denken berührte Wissenschaften sind noch zu nennen: Wenn es – wie bei Abel-Struth im ersten Abschnitt des Kapitels über Musikunterricht – um den bildungspolitischen Rahmen des Schulwesens geht, stehen Fragen der Politologie im Raum. Mit dem Überblick über Lehren für die Erteilung von Musikunterricht wendet Abel-Struth sich weniger der Gegenwart als vielmehr der Vergangenheit zu, also einem Anliegen, dessen Kontexte sich die Geschichtswissenschaft zum Anliegen gemacht hat. Und dass von all diesen Themen auch die Erziehungswissenschaft betroffen ist, liegt auf der Hand.

Auf die Vernetzung musikpädagogischen Denkens mit anderen Disziplinen hatte schon zehn Jahre zuvor Hermann Rauhe hingewiesen. Seine Ausführungen „Zur Funktion der Analyse in der Musikpädagogik“ (RAUHE 1974) machen deutlich, dass musikpädagogisches Denken sich des Wissens und der Methoden anderer Disziplinen zu vergewissern habe und Wechselbeziehungen zwischen Einzelmomenten nach Maßgabe eigener Interessen und Anliegen differenzieren müsse. Als Grundlage musikpädagogischen Denkens stellte er die „interdisziplinäre Korrespondenzanalyse“ heraus. Allerdings gibt Rauhe keine Auskunft über eine Spezifik des musikpädagogischen Zugangs zu den Phänomenen oder Problemen des menschlichen Umgangs mit Musik. So bleibt beispielsweise offen, was der Musikpädagogik am Objekt-Subjekt-Bezug zu analysieren bleibe, wenn die Rezeptionsforschung ihre Arbeit getan hat. Vor allem beantwortet Rauhe nicht die zentrale Frage, wo der Ort des „Inter“ zu suchen sei. So bleibt der Verdacht, Musikpädagogik sei eine Disziplin zwischen den Stühlen der anderen, „richtigen“ Wissenschaften, ein eklektisches Sammelsurium zu einzelnen musikbezogenen Aspekten. Die Frage, ob es neben der Interdisziplinarität eine eigene Disziplinarität gebe und worin sie bestehe, hat als erste Abel-Struth im positiven Sinne beantwortet: Das spezifisch Musikpädagogische artikuliert sich eben darin, dass immer von der pädagogischen Aufgabenstellung her nach den Faktoren der Bereiche Musik-Lernen, Musik-Lehren und Musikunterricht gefragt wird. Was bei Rauhe als Additivum in der Kopula „und“ erscheint – er formulierte als Aufgabe der Musikpädagogik die „Analyse des Objekt-Subjekt Bezugs und seiner didaktischen Beeinflussungsbedingungen, -möglichkeiten, -ziele“ – ist bei Abel-Struth eine integrierte Denk-Voraussetzung (RAUHE 1974, S. 565).

Die Notwendigkeit einer solchen Fokussierung zeigt sich im Scheitern einer anderen zentralen musikpädagogischen Veröffentlichung, der eine solche Struktur fehlte: Dem „Handbuch der Musikpädagogik“, herausgegeben von Hans-Christian Schmidt, dessen erster Band 1986 erschien. Die Publikation war auf fünf Bände angelegt; nur der erste und der vierte erschienen in der ursprünglich vorgesehenen Form. Im ersten Band – „Geschichte der Musikpädagogik“ – sollte „die ideelle und praktische Realität von Musikpädagogik gewissermaßen in konzentrischen Bewegungen eingekreist werden“ (S. 7). Dazu werden die „wichtigsten Stationen der vergangenen 150 Jahre“ (ebd.) in Form von Geschichten erzählt. Entstanden sind lebhafte und anschauliche Erzählungen, die jedoch unverbunden nebeneinander stehen, da ihnen eine kategoriale Ordnung fehlt: So treten historische und anthropologische Perspektiven der Musikerziehung im Rahmen des Versuchs einer Neugewichtung (EHRENFORTH) neben Fragen nach dem Zusammenhang zwischen politischer Struktur und Musikunterricht (EVA RIEGER am Beispiel der DDR), und neben sozialpsychologischen Problemen des Musikunterrichts (KEMMELMEYER) wird die Ausbildung der Unterrichtenden thematisiert (OTT). Der vierte Band hält nicht, was die Konzeption versprach: Heißt es in letzterer (Vorwort zu Bd. 1), er richte den „Blick auf die musikpsychologische und musikpädagogische Grundlagenforschung“ (S. 8), so zeigt sich im Band selbst, dass nur Ergebnisse musikpsychologischer und -soziologischer Forschung mit Blick auf musikdidaktisch relevante Funktionen fruchtbar gemacht werden. Wir erfahren beispielsweise etwas über Wahrnehmung und Gedächtnis, Entwicklung musikalischer Fähigkeiten, soziale Determinanten des Musikgeschmacks, Urteile und Vorurteile, Motivation und Bewertungsformen – nichts aber über ästhetisch-philosophische Theorien musikalischer Bildung oder die Implikationen musikalischen Materials für Lernen und Lehren. Damit wird das Versprechen, mit diesem Band Ergebnisse „musikpädagogischer“ Grundlagenforschung zu präsentieren, nicht eingelöst. Der 2. Band sollte darlegen, „wie Musikunterricht nun stattfindet“ – hätte also im weitesten Sinne Ergebnisse von Musikunterrichtsforschung in konzeptioneller und performativer Hinsicht präsentieren müssen. Er ist nicht erschienen – vermutlich, weil eine derartige Forschung nur rudimentär entwickelt war (und immer noch ist). Auch der letzte Band erschien nicht: Er sollte die Frage beantworten: „Wer sind die jungen Menschen, auf die sich unsere pädagogische Intention richtet?“ (S. 9) und quasi am Beispiel der Jugendkulturen und ihrer Musik das „Selbst- und Fremdverständnis“ heutiger Jugendlicher darstellen (ebd.). Dass dieser Band nicht publiziert wurde, dürfte u. a. darauf zurückzuführen sein, dass es wahrscheinlich nicht gelungen wäre, ihn rein musikpädagogisch auszurichten; er wäre im Rahmen einer kulturwissenschaftlichen Fragestellung zu einer Mischung aus soziologischen und musikologischen Darstellungen geworden. Stattdessen ist – herausgegeben von Christoph Richter – lediglich eine erweiterte Fassung des 3. Bandes erschienen: Instrumental- und Vokalpädagogik wird in zwei Teilbänden entfaltet: „Grundlagen“ und „Einzelfächer“. Auch diesen Bänden fehlt letztlich der wissenschaftstheoretisch fundierte Zusammenhalt: Sie enthalten eine Reihung höchst fundierter und ergiebiger, aber kategorial unverbundener Einzelbeiträge zu musikpädagogischen Problemen – also zur Musikdidaktik und zum Musikunterricht – lassen aber keinen konzeptionellen Zusammenhang erkennen, der einer Theorie musikpädagogisch-wissenschaftlichen Denkens gerecht würde.

Inhalte und Ziele des Musikunterrichts als Bindeglieder zu anderen Disziplinen

In den Blick geraten andere Fächer oder Disziplinen vor allem beim Nachdenken über die Inhalte und Ziele des Musikunterrichts. Dies gilt insbesondere im Zusammenhang mit einem Musikunterricht, der Musik nicht nur als ein klingendes Etwas auffasst, sondern – im weitesten Sinne – als etwas, das (wie Christoph Richter es nannte) als „Fenster zur Welt“ (zuletzt RICHTER 2006, S. 8) fungiert: als ein Phänomen, das in bestimmten Kontexten entsteht, in bestimmten Kontexten fungiert und im Akt der Rezeption mit bestimmten Kontexten verknüpft wird.

Blickt man auf die Themen einschlägiger Veröffentlichungen, so wird die Verknüpfbarkeit von Musik mit den verschiedensten Lebensbereichen deutlich. Damit geraten auch die Wissenschaften, die diese Bereiche erforschen, ins Spiel. Zugleich stellt sich dem musikpädagogischen Denken die Aufgabe, zwischen Musik und diesen Lebensbereichen genau die Ebene aufzufinden, die für Lernen und Lehren, musikalische Bildung und Erziehung fruchtbar werden kann: beispielsweise die Ebene der Denkstrukturen, die Ebene der Erschließung dieser Strukturen, die Ebene der Unterrichtsziele, die Inhaltsebene, die Methodenebene oder die Ebene der Unterrichtsmedien.

Die Themen der Aufsätze, die in den beiden wichtigsten Zeitschriften zum Musikunterricht – „Musik und Bildung“ und „Musik und Unterricht“ – erschienen sind, machen die Vielfalt weiterer möglicher Verknüpfungen deutlich. So wird mit „Musik und Natur“ und „Stille – Natur“ der Bereich der Naturwissenschaften, aber auch der Ökologie berührt. Mit „Filmmusik“ und „Musik im Netz“ wird der Blick auf Medienwissenschaft gerichtet. Die Theologie ist mit „Religiöse Musik im Musikunterricht“ angesprochen, mit „Liebe und Sexualität“ kommen die Biologie und die Ethik, vielleicht auch die Kulturwissenschaft ins Spiel.

Musikpädagogik als Disziplin

Musikpädagogik zeigt sich als eine Disziplin, die Aspekte, Ergebnisse und Methoden anderer Wissenschaften in ihr Denken einbezieht. Dieser Rückgriff erfolgt zum einen hinsichtlich des Grundlagenwissens über Lern- und Lehrvorgänge, zum anderen in Bezug auf musikalische Kontexte. Insofern ist Musikpädagogik eine interdisziplinäre Wissenschaft, die sich als Disziplin in dem Maße konstituieren kann, wie sich das Interesse auf die Möglichkeiten und Notwendigkeiten der Aneignung von Musik durch Menschen und deren Förderung richtet.

Wie ist Musikpädagogik zur wissenschaftlichen Disziplin geworden? Der Gedanke, dass Menschen Musik lernen können, sollten, ja müssten, ist alt – vielleicht so alt wie die Menschheit, sofern man die Fähigkeit zur Selbstreflexion als eine essentielle Qualität des Menschseins und den „ästhetischen Überschuss“ nicht nur als eine anthropologische Gegebenheit, sondern als eine Folge dieser Selbstreflexion herausstellt. Überliefert sind Zeugnisse musikpädagogischen Denkens seit Jahrtausenden. Insbesondere das Gedankengut Platons erfreute sich mit seiner expliziten Ausrichtung auf Erziehungsintentionen einer intensiv gepflegten Tradition. Festzuhalten ist allerdings, dass Ausgangs- und Endpunkt des auf den Umgang des Menschen mit Musik gerichteten Denkens lange Zeit primär pragmatische Aspekte waren, die alle Ebenen der Unterweisung bestimmten: Zieldimensionen waren geprägt vom gegenwärtigen und künftigen Gebrauch der Musik in der Gesellschaft für bestimmte Zwecke, Überlegungen zu Methoden gingen nicht von Kenntnissen über Lernprozesse aus, sondern von Erfahrungen in der täglichen Praxis. Erst mit der Loslösung von einer Denkweise, die sich nur auf den Zweck des Musikunterrichts richtete und nur die Ökonomie der Methoden im Blick hatte, konnte ein wissenschaftliches Denken Raum gewinnen. Es stellte sich durch eine neuartige Weise der Erörterung des Gegenstandsbereichs der Musikpädagogik dar. Als Gegenstandsbereich wurde das gesamte musikalische Verhalten und Empfinden, der gesamte Bezug von Mensch, Gesellschaft und Musik thematisiert. Eine der ersten Einsichten bestand darin, aus der komplexen Erfassung menschlichen Handelns mit Blick auf Musik Konsequenzen konzeptioneller Art zu ziehen statt – wie zuvor – aus einem auf Musik bezogenen allgemeinen Lehr- und Bildungsdenken heraus die herzustellenden Relationen zwischen Mensch und Musik zu bestimmen.

Die Anfänge einer solchen Neu-Orientierung sind bereits in den 1930er Jahren zu erkennen. (Ihren Ursachen nachzugehen wäre ein dankbares Anliegen, das allgemeine Entwicklungen wissenschaftstheoretischer Art – also Entwicklungen im Selbstbewusstsein wissenschaftlichen Denkens – mit zu berücksichtigen hätte.) Doch die Ergebnisse der Neu-Orientierung blieben lange Zeit unter den gewohnten Theoremen verschüttet. Einen wissenschaftlichen Zugriff auf Fragen der Musik im Kontext pädagogischer Bemühungen hat es zwar immer wieder gegeben; zu konzeptioneller Würde ist er jedoch erst seit der Mitte der 1950er Jahre gelangt, nachdem Theodor W. Adorno in Darmstadt seine Thesen zur „Kritik des Musikanten“ geäußert hatte. Ein Selbstbewusstsein von der Notwendigkeit der Wissenschaftlichkeit dieser Bemühungen selbst – sowie die wissenschaftliche Reflexion dieser Wissenschaftlichkeit – existiert erst seit Beginn der 1970er Jahre.

Eine Geschichte der Wissenschaft Musikpädagogik zu erzählen würde hier zu weit führen. Sie ist in groben Zügen in der von Sigrid Abel-Struth 1970 herausgegebenen Veröffentlichung „Materialien zur Entwicklung der Musikpädagogik als Wissenschaft“ nachzulesen.

Abel-Struth weist darin vier strukturell unterscheidbare Modi des Bezugs zwischen musikpädagogischem Denken und dem Denken anderer Wissenschaften auf (vgl. ABEL-STRUTH 1970, S. 81ff.):

Modi des Bezugs zu anderen Wissenschaften

1 Addition: Für diese ist der Gedanke charakteristisch, dass musikpädagogisch relevante Einsichten zu gewinnen seien, wenn man die sachlich in Frage kommenden Erkenntnisse anderer Disziplinen zusammenfasse. Dabei werden Einsichten der Ästhetik, der Geschichte der Musik und der Musiktheorie mit Vorstellungen davon verbunden, worin eine Höherbildung des Menschen bestehen könne und in welcher Weise diese zu bewerkstelligen sei.

2 Kooperation: Diese bestand primär im Kontakt zu erzieherischem Denken. Dabei wurde der Gedanke der Bildung dem Umgang des Menschen mit Musik zugeordnet und ein methodischer Zugriff entwickelt. Ein Beispiel dafür ist die „Pestalozzische Gesangsbildungslehre, nach Pfeiffers Erfindung kunstwissenschaftlich dargestellt im Namen Pestalozzis, Pfeiffers und ihrer Freunde“ von Hans Georg Nägeli (NÄGELI 1809). Sie zeigt eine starke Tendenz zur Missachtung dessen, was für den Umgang mit Musik normalerweise bestimmend ist und konzentriert sich auf erzieherisch relevante Vorgänge. Musikpädagogik erscheint in diesen Büchern als eine Unterabteilung pädagogischer Theorien; die Besonderheiten des Musikalischen und des Umgangs mit ihm bleiben ausgeblendet.

3 Adaption: Dabei liegt eine Anpassung an pädagogisches Denken vor, die so weit geht, dass außermusikalische Zielvorstellungen mit den Mitteln der Musik erreicht werden sollen. Diesem Ansatz wurden nicht selten Theoreme zugrunde gelegt, die sich später als Fiktionen oder Ideologien entpuppten, wie beispielsweise die „Selbsttätigkeit“ oder das „Erleben“, das gegen die Oberflächlichkeit wirken sollte, weil jeder Umgang mit Musik ein tiefgehender sei. Andere Zielvorstellungen, die aus pädagogischen Überlegungen abgeleitet und dem musikalischen Umgang übergestülpt wurden, sind die „Ganzheitlichkeit“ und die Erziehung zur Kreativität. Der komplexe Klang solcher Begriffe, die auch heute noch gerne gebraucht werden, lenkt davon ab, wie nebelhaft sie gerade mit Blick auf pädagogisch relevante Prozesse sind und wie austauschbar Musik in diesem Kontext ist. Adaptionen gab es auch von anderer Seite: So sah Rudolf Stephan Musikpädagogik als angewandte Psychologie, und Theodor W. Adorno stellte fest, dass „gewiß Musikerziehung von musikalischer Ästhetik und schließlich vom gesellschaftlichen Gesamtzustand abhängt“ (ADORNO 4 / 1969, S. 7). Damit wird deutlich, dass nicht nur die Musikpädagogik sich der Theorie und der Betrachtungsweise anderer Disziplinen anpassen kann, sondern dass andere Disziplinen Einfluss auf musikpädagogisches Denken gewinnen können.

4 Partizipation: Lange Zeit wurde Musikpädagogik als eine Unterabteilung der Musikwissenschaft angesehen. Dabei hatte die Musikwissenschaft – in Verbindung mit der Musiktheorie – Lehrinhalte bereitzustellen, die an Kinder und Jugendliche vermittelt werden sollten. Diese Auffassung wurde u. a. von Hugo Riemann und Hermann Kretzschmar sowie von Karl Gustav Fellerer und Hans Joachim Moser vertreten. Letztere erkannten allerdings eine Doppelzugehörigkeit und hielten fest: Musikpädagogik sei Teil der allgemeinen Pädagogik, aufgrund ihres Gegenstandes „Musik“ jedoch den Forschungsstrukturen der Musikwissenschaft unterworfen. Musikpädagogik erscheint damit als eine angewandte Musikwissenschaft – mit der Problematik, dass der eigentliche Gegenstand pädagogischen Fragens von rein methodischen Überlegungen überdeckt bzw. völlig verdrängt wurde.

Die Bemühungen um Autonomie von Musikpädagogik als Wissenschaft begannen bereits in den 1930er Jahren. Zu nennen wären Georg Schünemann, dem auch die erste geschichtliche Übersicht („Geschichte der deutschen Schulmusik“) zu danken ist, Richard Wicke, Walter Kühn und Fritz Reuter. Sie standen in engem Zusammenhang mit den hier skizzierten Problemlagen einerseits und einem durch das Voranschreiten (musik)psychologischer und (musik)soziologischer Forschung beflügelten Wissen andererseits. Dieses Wissen allein kann jedoch den Gegenstandsbereich musikpädagogischen Denkens nicht ausfüllen. Vielmehr ist es notwendig, die Anstrengungen anderer Disziplinen immer wieder aufzugreifen und neu zu formulieren; nur so kann das Spezifische von Musik ins Zentrum rücken und nur so wird die Förderung menschlichen Handelns mit Blick auf Musik thematisiert.

Einführung in die Musikpädagogik

Подняться наверх